Fantasy Sammelband 6 Romane - Das Schiff der Ischtar und andere Abenteuer

Abraham Merritt

Published by Cassiopeiapress/Alfredbooks, 2018.

Inhaltsverzeichnis

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Fantasy Sammelband

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Vorwort

1. DER BLOCK AUS BABYLON

2. DAS ERSTE ABENTEUER

3. ZARPANITS SCHULD

4. BIN ICH NICHT EIN WEIB?

5. RUDERSKLAVE

6. UNTER ZACHELS PEITSCHE

7. DIE KETTEN BRECHEN

8. SHARANES ÜBERWÄLTIGUNG

9. DER SCHWARZE PRIESTER SCHLÄGT ZU

Der König der zwei Tode

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Vorwort

Was bisher geschah

1. ZURÜCK AUF DEM SCHIFF

2. DIE INSEL DER ZAUBERER

3. DER KÖNIG DER ZWEI TODE

4. „ISCHTAR! ZEIGE DEIN ANTLITZ!“

5. DIE ARGLIST DES SCHWARZEN PRIESTERS

6. SHARANES ERWACHEN

7. HINAUS AUF DIE SEE

8. DIE LETZTE SCHLACHT DES SCHIFFES

9. DAS ZERBROCHENE SPIELZEUG

Königin im Schattenreich

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Vorwort

BUCH I:

1. GERÄUSCHE IN DER NACHT

2. DER KRAKENRING

3. DAS KHALK’RU RITUAL

4. KHALK’RUS TENTAKEL

BUCH II:

5. DAS LUFTBILD

6. DAS SCHATTENLAND

7. DAS KLEINE VOLK

8. EVALIE

BUCH III:

9. IM FATA MORGANA-LAND

10. KÖNNTE MAN NUR SEIN GEHIRN VOLL NUTZEN!

11. DIE TROMMELN DER RRRLLYA

12. AUF DER NANSURBRÜCKE

Die Höhle des Kraken

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Vorwort

Zum Inhalt des vorangegangenen Teils

BUCH I:

1. KARAK

2. IN DER SCHWARZEN ZITADELLE

3. DER GEISTERSEE

4. LURS KÜSSE

BUCH II:

5. PRÜFUNG DURCH KHALK’RU

6. LURS WÖLFE

7. DIE EROBERUNG SIRKS

8. »TSANTAWU – LEB WOHL!«

BUCH III:

9. RÜCKKEHR NACH KARAK

10. KHALK’RUS TOR

11. IN KHALK’RUS TEMPEL

Die Schlangenmutter

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1. SUARRA

2. DIE UNSICHTBAREN BEOBACHTER

3. DAS WEISSE LAMA

––––––––4. DAS FLIEHENDE GESCHÖPF

5. DIE ELFENHÖRNER

6. DAS GESICHT IM ABGRUND

7. DIE BEWACHTE GRENZE

8. DIE ECHSENMENSCHEN

9. IN HUONS BAU

10. YU-ATLANCHIS GESETZLOSE

11. DAS VOLK OHNE TOD

12. DIE VERBORGENE ALTE STADT

13. DIE HÖHLE DER FROSCHFRAU

14. DER SCHATTEN DER ECHSENMASKE

15. „LEIH MIR DEINEN KÖRPER, GRAYDON!“

16. DIE HÖHLE MIT DEN BEMALTEN WÄNDEN

17. ÜBERFALL AUF HUONS BAU

18. DIE ARENA DER DINOSAURIER

19. DIE SCHLANGENMUTTER

20. DIE WEISHEIT DER SCHLANGENMUTTER

21. DIE HÖHLE DES VERLORENEN WISSENS

22. DAS FEST DER TRÄUMER

23. SUARRAS GEFANGENNAHME

24. BRAUT DER ECHSENMÄNNER

25. NIMIRS HALSBAND

26. RAGNARÖK IN YU-ATLANCHI

27. DER ABSCHIED DER SCHLANGENMUTTER

Flieh, Hexe, flieh!

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VORWORT

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Further Reading: 2782 Seiten Fantasy Abenteuer - Die magische Bibliothek der Sucher

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About the Publisher

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Fantasy Sammelband

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Dieses Buch enthält folgende Romane:

––––––––

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ABRAHAM MERRITT: DAS Schiff der Ischtar

Abraham Merritt: Der König der zwei Tode

Abraham Merritt: Königin im Schattenreich

Abraham Merritt: Die Höhle des Kraken

Abraham Merritt: Die Schlangenmutter

Abraham Merritt: Flieh, Hexe, flieh!

In der großartigen Übersetzung von Lore Straßl.

Verbannt auf dem Schiff der Götter

Der Archäologe John Kenton, ein Mann unserer Tage, verfällt einem uralten Zauber und erreicht eine andere, längst vergangene Welt. Aus seiner eigenen Dimension herausgerissen, findet er sich plötzlich auf einem Schiff wieder, das die Götter dazu verdammt haben, für alle Ewigkeit die Ozeane einer fremden Welt zu befahren.

John Kenton wird Zeuge des Streites der Götter. Auf der Seite Ischtars nimmt er teil am ewigen Kampf zwischen der Göttin der Liebe und der Rache, und Nergal, dem Totengott.

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author /Cover: Adelind/Pixabay

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Das Schiff der Ischtar

ISCHTAR #1

von Abraham Merritt

Der Umfang dieses Buchs entspricht 169 Taschenbuchseiten.

Verbannt auf dem Schiff der Götter

Der Archäologe John Kenton, ein Mann unserer Tage, verfällt einem uralten Zauber und erreicht eine andere, längst vergangene Welt. Aus seiner eigenen Dimension herausgerissen, findet er sich plötzlich auf einem Schiff wieder, das die Götter dazu verdammt haben, für alle Ewigkeit die Ozeane einer fremden Welt zu befahren.

John Kenton wird Zeuge des Streites der Götter. Auf der Seite Ischtars nimmt er teil am ewigen Kampf zwischen der Göttin der Liebe und der Rache, und Nergal, dem Totengott.

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

Originaltitel: THE SHIP OF ISHTAR - 1. Teil

Aus dem Amerikanischen von Lore Straßl

© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Vorwort

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Ray Capeila, Fan und Autor (er verfasste eine Reihe von Storys, die in Robert E. Howards Hyborischem Zeitalter spielen; sein Held Arquel ist im Gegensatz zu Howards Conan ein umherziehender Schauspieler und Akrobat) schrieb über Merritt:

„Merritt war ein Wortmaler, einer, dem es auf Beschreibung und Detail ankam, um seinen Erzählungen Schönheit und Leben zu geben; darunter litt jedoch nie die Handlung. Die Aktion war mitreißend, seine Schlachten und Kämpfe mochten auch den eingeschworensten Howard-Fan zufriedenstellen. Und er bediente sich seiner Ideen mit Verstand. Wo Burroughs und Kline ihre Konzepte endlos breittraten, beschränkte sich Merritt auf das Wesentliche – gewöhnlich für einen Roman oder eine einleitende Novelle, der dann ein Roman folgte. Der Merritt-Fan träumt unweigerlich von weiteren Abenteuern Kentons mit Ischtars geheimnisvollem Schiff, denn dieser Roman lässt ihn nicht so schnell wieder los.“

The Ship of Ishtar erschien 1924 in 6 Fortsetzungen im ARGOSY-ALL-STORY-Magazin, einem wöchentlich erscheinenden Abenteuer-Magazin, das seit Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts existierte und eines der erfolgreichsten Magazine seiner Art war. Der Leserbeifall war außerordentlich. Merritt war zu dem Zeitpunkt kein Neuling mehr. Neben mehreren Storys waren bereits drei seiner ausgezeichneten Romane erschienen. The Moon Pool, The Metal Monster und The Face in the Abyss. Merritt schrieb The Ship of Ishtar ursprünglich als Novelle. Die Herausgeber legten ihm jedoch nahe, dieses phantastische Thema in Romanlänge auszuarbeiten. Es fiel Merritt nicht leicht. Er schrieb mehrere der Schlusskapitel zuerst und füllte nach und nach den Mittelteil auf.

Was so hart geboren wurde, brachte schließlich einen überwältigenden Erfolg. 14 Jahre nach dem Erscheinen, 1938, ermittelten die Herausgeber des Magazins an Hand einer Leserumfrage die beliebteste Story, die je in den Seiten von ARGOSY erschienen war.

In die engere Wahl kamen viele bekannte Autoren, darunter Edgar Rice Burroughs, der Schöpfer Tarzans, James Branch Cabell, Autor von Jürgen, Johnston McCulley, Schöpfer Zorros, Erle Stanley Gardner, Autor der Perry-Mason-Krimis, Gaston Leroux, bekannt durch sein Phantom aus der Oper, Westernautor Max Brand und andere ähnlicher Prominenz.

Zur beliebtesten Erzählung von allen wurde jedoch A. Merritts The Ship of Ishtar gewählt. Der Roman wurde in ARGOSY wiederum in 6 Folgen nachgedruckt. Ein weiterer Magazinnachdruck erschien im März 1948 in FANTASTIC NOVELS mit fünf Illustrationen von Virgil Finlay, einem der beliebtesten Pulp-Illustratoren. Eine ganze Reihe von Merritt-Romanen wurden in diesen Jahren nachgedruckt. Es gab sogar ein eigenes Magazin, A. MERRITTS’S FANTASY MAGAZINE, von dem 1949 und 1950 fünf Ausgaben erschienen. Neben Merritts eigenen Romanen enthielt das Magazin Fantasy Storys in der Art, wie sie Merritt geschrieben hatte.

Der Borden Verlag in Los Angeles gab 1949 eine Merritt-Gedenkausgabe heraus, eine Buchausgabe von The Ship of Ishtar mit fünf neuen, wesentlich verfeinerten Illustrationen Virgil Finlays. Dieses Buch ist ein sehr schönes Sammlerstück.

Merritt wurde 1884 in Beverley, New Jersey, geboren. Er wollte Jurist werden, nahm jedoch mit 19 aus finanziellen Erwägungen eine Anstellung als Reporter beim Philadelphia Inquirer an, war sehr erfolgreich und kam nicht mehr vom Schreiben los. 1912 ging er nach New York, um eine Stelle beim American Weekly anzunehmen, dessen Herausgeber er in späteren Jahren wurde und bis zu seinem Tod im August 1943 blieb. Bekannt wurde der Autor vor allem auch durch seinen unheimlichen Kriminalroman Seven Footprints to Satan, der sofort nach Erscheinen verfilmt wurde, und seinen spannenden Horror-Schocker Burn Witch Burn, der ebenfalls verfilmt wurde unter dem Titel The Devil Dolls, mit Lionel Barrymore in der Hauptrolle.

Burn Witch Burn erschien auch bereits in deutscher Sprache zweimal. Creep Shadow Creep aus dem Jahre 1934, eine Art Fortsetzung zu Burn Witch Burn, ist sein letzter Roman. In den verbleibenden neun Jahren seines Lebens schrieb Merritt keine Erzählungen mehr.

Ungewöhnliche Konzepte, faszinierende Ideen, dramatische Geschehnisse und ein poetischer Stil, der vor allem im vorliegenden Roman zu spüren ist, haben ihm den Titel eingebracht, den ihm in all den Jahren niemand wirklich streitig machen konnte: Abraham Merritt – Lord der Fantasy!

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1. DER BLOCK AUS BABYLON

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Verwirrt und eine Spur verstört blickte John Kenton auf den großen Block. Seltsam, dachte er, ja, wirklich seltsam, wie all seine innere Unruhe, seine unerklärliche Sehnsucht, seine Bedrückung, für die es eigentlich keinen Grund gab, sich darauf zu konzentrieren schien. Es war, als zöge der Block sie an – wie ein Magnet. Und lag nicht auch ein unheimliches Versprechen in dieser unbegreiflichen Anziehungskraft?

Er schüttelte den Kopf und griff erneut nach Forsyths Brief. Vor drei Tagen war diese Nachricht des alten Archäologen gekommen, dem Kentons Geld es ermöglicht hatte, dem Staub des einst so mächtigen Babylon lang verlorene Geheimnisse zu entreißen.

Wie gern hätte Kenton diese Expedition begleitet, mit welcher Begeisterung hatte er es geplant gehabt! Sein ganzes Leben hatte ihn die Vergangenheit gerufen und er hatte auf diesen Ruf gehört. Er war zu lang vergessenen Orten gewandert, wo vor fernen Zeiten die Städte großer Zivilisationen gestanden hatten. In all diesen Jahren war er an der Liebe vorbeigegangen. Die Romantik der Vergangenheit bedeutete ihm mehr. Als Gelehrter, Asket schon fast, hatte sein Herz keine Erfahrungen gesammelt, doch sein Geist dafür ein stolzes Wissen, das ihm den Respekt der Fachleute einbrachte.

Am Tag vor dem Aufbruch der Expedition war Amerika in den Krieg eingetreten. Kenton hatte darauf bestanden, dass Forsyth ohne ihn auf die Reise ging. Er selbst nahm an einem Offizierslehrgang teil und war nach kurzer Ausbildung an die Front versetzt worden. In Belleau hatte eine Verwundung den Krieg für ihn beendet und man schickte ihn heim. Von Alpdrücken gequält und voll Unruhe war er zurückgekehrt, und seine Lebenseinstellung, wie die aber tausend anderer, hatte sich völlig verändert. Die Welt, die er kannte, bot keinen Reiz mehr für ihn. Und die, in der er glücklich sein könnte, wusste er nicht zu finden, Er konnte nicht einmal sagen, wie sie sein müsste. Der Krieg hatte ihm die Gegenwart unter den Füßen weggerissen, schlimmer noch, er hatte ihm die Brücke zur Vergangenheit zerstört, über die seine Seele so oft und gern gewandert war.

Doch Forsyths Brief weckte etwas in ihm auf, das er bereits für tot gehalten hatte. Er beschwor einen Hauch jener so vertrauten Verbindung zwischen dem Damals und Jetzt herauf. Ein Echo vibrierte in ihm wie von einer fernen schwachen Stimme, die ihn rief, die seinem alten Ich zu erwachen befahl – zu erwachen und – sich in acht zu nehmen!

Und mit Staunen hatte er festgestellt, dass er voll Ungeduld auf jenes Ding wartete, das der Brief ankündigte.

Am Nachmittag hatte der Zoll ihn freigegeben – den Block aus Babylon. Allein und mit wachsender Neugier hatte er die Kiste geöffnet. Sorgsam in dichten Strohlagen verpackt, war der Steinblock unbeschädigt angekommen. Stein? Aber weshalb war er so merkwürdig leicht?

Wieder dachte er darüber nach, als er ihn betrachtete. Der hohe Spiegel am Ende des Zimmers gab seine nachdenkliche Miene, seine gebückte Haltung wieder. Schlank war er und hochgewachsen, das Gesicht dunkel, die Züge scharf geschnitten, ein wenig an einen Adler erinnernd mit der schmalen Hakennase und dem ein wenig spitzen und leicht gekerbten Kinn. Die nach unten gezogenen Mundwinkel und der Ausdruck der Augen verrieten seine Bitterkeit und Enttäuschung – die der Krieg ihm geprägt hatte.

Das war John Kenton vor seinem großen Abenteuer.

Noch einmal las er den Brief, den Forsyth ihm geschrieben hatte:

Ich schicke Ihnen den Block, denn er trägt eine Inschrift über Sargon von Akkad, eine der wenigen, die je über diesen König gefunden wurden. Es war mir nicht möglich, seinen Zweck zu ergründen. Ich dachte, er würde Sie interessieren und Ihnen die Langeweile während Ihrer Rekonvaleszenz vertreiben. Mit der Zeit, die Ihnen nun sicher in reichem Maß zur Verfügung steht, gelingt es Ihnen vielleicht, zu übersetzen, was mir aus Zeitmangel leider nicht möglich war.

In der Inschrift findet sich immer wieder der Name Ischtar, Muttergöttin, Göttin der Liebe und auch des Kampfes, des himmlischen Zorns, der Fruchtbarkeit, aber auch Rachegöttin. Gerade in dieser letzteren Eigenschaft wird sie hier erwähnt. Der Name Nabu, der babylonische Gott der Weisheit, erscheint ebenfalls sehr oft. Doch der Text ist so verstümmelt, dass, von einzelnen Worten abgesehen, die offenbar eine Warnung bedeuten sollen, die Hinweise auf ihn nicht entzifferbar sind. Auch der Name Nergal, Gott der assyrischen Unterwelt, ist des Öfteren zu finden. Wie bei Nabu ist es kaum möglich, den Text zu rekonstruieren – zumindest nicht in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung steht.

Noch andere Namen werden erwähnt: Zarpanit, zweifellos ein Frauenname, und Alusar, ein Männername. Im babylonischen Pantheon war Zarpanit oder Sarpanit die Frau des Gottes Bei Meredach und galt als niedrigere Erscheinungsform Ischtars. Aber ich glaube, die hier erwähnte Zarpanit war wirklich eine Frau, vielleicht eine Priesterin der Göttin. Da der Name Alusar ständig in Verbindung mit dem Namen Nergal vorkommt, kann man annehmen, dass er ein Priester dieses finsteren Gottes war.

Wir fanden den Block im Hügel Amran ibn Ali südlich des Quasr, des Palasts Nebukadnezars. Es gibt Hinweise, dass sich dort Esagila, die Zikkurat befunden hat, die als Heim der Götter in Babylon galt. Es dürfte dem Block große Bedeutung beigemessen worden sein, denn nur so wäre zu erklären, dass er bei der Vernichtung der Stadt durch Sanherib verschont blieb und dann später in den wiederaufgebauten Stufentempel gebracht wurde.

Kenton faltete den Brief zusammen und betrachtete den Block erneut. Er war ein Meter zwanzig lang, vielleicht sogar ein wenig länger, ein Meter zwanzig hoch, und etwa neunzig Zentimeter stark, und das verblasste Gelb verriet sein Alter, das ihn wie ein halb sichtbares Kleidungsstück umgab. Seine Oberflächen, die einmal glatt und glänzend wie Porzellan gewesen sein mussten, waren nun pockennarbig und zerkratzt, so dass die Inschrift nur teilweise zu erkennen war.

Er fuhr leicht mit der Hand darüber. Das Material gab ihm ein Rätsel auf. Es war weder Stein noch Ton; es war hart und feinkörnig und in dem bleichen Gelb glitzerten schillernde Pünktchen.

Kenton wandte seine Aufmerksamkeit nun der Inschrift zu. Es war eine archaische Keilschrift. Ja, hier waren die Namen Zarpanit und Alusar, die Zeichen für Ischtar, die Ruhmreiche, den Düsteren Nergal, den Blauen Nabu, Spender der Weisheit. Sie alle waren unzählige Male zu finden. Und überall, unübersehbar, das Zeichen der Warnung, immer mit dem Namen Nabu verbunden.

Seltsam, dachte er, wie rätselhaft die Inschrift war. Es schien ihm, als hinge ein Schleier zwischen ihr und ihm, als rühre jedes mal, wenn er der Lösung schon ganz nahe war, etwas an sein Gehirn und verwirrte seine Gedanken.

Mit einem mal wurde er sich eines Duftes bewusst, der sich verstohlen um ihn wand, der ihn sanft streichelte – wie verirrte Blumenseelen. Süß war dieser Duft und lockend und nie geahnt. Und er trug etwas mit sich, das den Rhythmus seines Lebens änderte und seinem so fremdartigen Pulsschlag anpasste. Er lehnte sich über den Block – die duftenden Schleier wirbelten um ihn, klammerten sich wie winzige Hände an ihn, flehentlich, sanft und doch drängend.

Sie flehten – um ihre Befreiung!

Er schüttelte die verrückten Gedanken ab und richtete sich auf. Der Duft war nichts weiter als Parfüm, das mit der Substanz des Blocks gemischt worden war und sich nun in dem warmen Raum entfaltete. Welchen Unsinn hatte er da nur mit offenen Augen zusammen geträumt? Unwirsch schlug er mit der Faust auf den Block.

Der Block erwiderte diesen Schlag.

Er murmelte. Das Murmeln schwoll an. Ein gedämpftes Klingen wie von einem Glockenspiel aus feiner Jade war herauszuhören. Dann erstarb das Murmeln, nur der helle Glockenklang blieb. Immer klarer wurde er, immer näher kam er aus endlosen Korridoren der Zeit.

Plötzlich übertönte ein scharfes Splittern ihn. Der Block spaltete sich und aus dem Spalt pulsierte ein Leuchten wie von rosigen Perlen. Welle um Welle von vibrierendem Duft strömte heraus, nicht länger sanft, nicht länger flehend.

Sieghaft! Triumphierend!

Etwas befand sich im Innern des Blocks. Etwas war dort verborgen – versteckt seit Sargon von Akkads Herrschaft vor sechstausend Jahren.

Kenton war schon dabei, seinem Butler zu läuten, da hielt er inne. Nein, er wollte dieses Erlebnis mit niemandem teilen.

Das Leuchten, das aus dem Block drang, war mehr als das eines Juwels. Es war die lebende Schönheit einer Göttin, die sich aus einem steinernen Sarkophag befreit.

Durften andere aufdecken, was im Innern verborgen lag? Durften andere außer ihm sehen, was bald frei sein würde?

Nein!

Er hastete aus dem Zimmer und eilte mit Werkzeug zurück, um freizulegen, was seit sechstausend Jahren im Block gefangen gewesen war.

Das Material des Blocks war ungewöhnlich hart. Es schien sich gegen ihn zu wehren. Mit Meißel und Bohrer löste er Stück um Stück der hartnäckigen Substanz entlang des Spalts, aus dem das rosige Leuchten drang.

Plötzlich erzitterte der Block wie ein lebendes Wesen. Wieder war das Klingen wie von einem jadenen Glockenspiel zu hören. Hell klang es, dann floh es zurück durch die Hallen der Zeit, bis es immer schwächer wurde. Und als es erstarb, zersprang der Block, wurde zu einer wirbelnden, sich langsam setzenden Wolke glitzernden Staubes.

Aus dieser Wolke drang der fremdartige Duft. Er sprang Kenton an, blieb an ihm haften. Noch einen weiteren Augenblick wirbelte die Wolke, ein Strudel funkelnden Dunstes, dann verschwand sie wie ein Vorhang, den eine Hand zurückzieht.

Auf dem Boden, wo sich der Block befunden hatte, stand – ein Schiff. Es war ein zauberhaftes Kunstwerk, ein Einmaster, wie die Dschinns aus Aladins Tagen ihn vielleicht für eine Elfenprinzessin geschaffen hätten, damit sie wundersame Ozeane damit überquere.

Es ragte aus zierlichen Wellen mit Schaumspitzen, die vollendet aus Türkis geschnitten und mit milchigem Kristall gekrönt waren. Die Schiffshülle selbst, etwa einen Meter von Bug bis Heck, war ebenfalls aus Kristall, cremefarbig und schwach leuchtend. Der Bug war wie ein schlanker zurückgebogener Krummsäbel. Seine Spitze ragte über das Vorkastell, dessen den Wellen zugewandte Seiten, wie bei Galeeren, Backbord-und Steuerbord-Bug darstellten. Wo die Schiffshülle sich hob, um dieses Deckhaus zu bilden, erwärmte ein rosiger Ton das milchige Kristall und verzauberte das Kastell zu einem aus innen heraus leuchtenden Juwel.

In der Mitte des Schiffes und etwa von einem Drittel der Gesamtlänge befand sich eine Versenkung. Zu ihrem, durch ein Geländer geschütztem Rand, fiel ein Deck aus Elfenbein, so fahl wie das Gelb des aufgehenden Mondes in einer Frühlingsnacht, schräg ab. Das Deck dagegen, das vom Heck herabführte, war schwarzer Onyx. Auch dort ragte ein Kastell empor, kleiner als das am Bug, gedrungener und ebenholzfarbig. Beide Decks verliefen zu beiden Seiten der Versenkung zu zwei breiten Terrassen. In der genauen Mitte des Schiffes trafen Elfenbein- und Onyxdeck aufeinander, ohne jedoch ineinander zu verlaufen. Sie endeten abrupt, wie feindselig, Kante an Kante.

Aus der Versenkung, dem Ruderdeck, erhob sich ein hoher Mast, aus einem riesigen Smaragd geschnitten. Von der Rahe breitete sich ein Segel in pfauenfarbigem Schillern aus, aufgebläht wie von unspürbarem Wind. Es schimmerte wie zu Opal verwandelte Seide. Vom Mast und den Rahnocken hingen Taue aus geflochtenem Gold.

An jeder Seite zog sich eine Bankreihe mit sieben großen Rudern entlang, deren scharlachfarbene Blätter tief in das schaumgekrönte Türkis der Wellen tauchten. Am Bug des Schiffes hingen goldene Ketten, und am Heck Ketten schwarz wie Teer.

Und das Juwelenschiff war bemannt! Weshalb, fragte sich Kenton, hatte er die winzigen Figuren nicht schon früher bemerkt? Es war, als wären sie eben erst auf dem Deck erschienen. Eine war offenbar gerade dabei, aus der Tür des rosigen Vorkastells zu treten. Sie hatte zum Schließen den Arm ausgestreckt. Es war eine Frau. Noch drei weitere Frauenfiguren sah er auf dem Elfenbeindeck, ihre Köpfe waren gebeugt, zwei zupften an Harfen, die dritte hielt eine Doppelflöte an die Lippen. Winzige Figuren waren es, nicht mehr als fünf Zentimeter hoch.

Merkwürdig, dass er weder ihre Gesichter noch Einzelheiten ihrer Kleidung deutlich erkennen konnte. Sie wirkten verschwommen, als verhülle ein Schleier sie, ähnlich jenem, der die Keilschrift auf dem Block bedeckt hatte. Doch vielleicht stimmte etwas mit seinen Augen nicht? Das Schiff aus dem Block zu befreien, war nicht ganz einfach gewesen. Die Arbeit hatte seiner ungeteilten Aufmerksamkeit bedurft. Wahrscheinlich waren seine Augen nur müde. Oder vielleicht blendete ihn das perlrosige Leuchten des Bugs?

Kenton blickte hinunter auf das verschleierte Heck. Seine Unsicherheit und Verwirrung vertieften sich. Das schwarze Deck war leer gewesen – das könnte er beschwören. Aber jetzt drängten sich vier winzige Figuren am Geländer zum Ruderdeck zusammen.

Er versuchte mit aller Kraft, eine von ihnen hochzuheben. Er konnte es nicht. Sie schien ein Teil des Decks zu sein. Methodisch zog er an jeder der kleinen Gestalten, doch mit demselben Ergebnis. Er starrte in die Versenkung. Auch dort waren Spielzeugfiguren – Ruderer. Er zählte zwei an jedem Ruder, eine stehend, eine sitzend, achtundzwanzig insgesamt, und jede in Ketten.

Eine Einzelheit an dem zum Kastell zusammenlaufenden Bug fiel ihm plötzlich auf. Es war wirklich erstaunlich, dachte er, wie er so viele Details hatte übersehen können – wie diese kleinen Figuren geradezu urplötzlich sichtbar geworden waren!

Etwa in halber Höhe des Deckhauses befand sich ein Sims – oder war es ein Balkon? Zwergbäumchen mit Hunderten von winzigen Juwelenblüten standen darauf. Vögel nisteten hier, und Dutzende von ihnen saßen auf den Zweigen. Es waren weiße Vögel mit Karneolschnäbeln, korallenroten Füßen und glitzernden Rubinaugen.

Was waren sie? Aber natürlich! Tauben!

Die Tauben der Göttin Ischtar!

Und das, das ...

Das war das Schiff Ischtars!

Er blinzelte verwirrt. Wie war er nur auf diesen Gedanken gekommen? Was wusste er von Ischtars Schiff?

Die winzigen Figuren verschwammen immer mehr. Gewiss lag es nur daran, dass er seine Augen überanstrengt hatte. Er würde sich eine Weile hinlegen und ihnen Ruhe gönnen. Er schritt zur Tür, vergewisserte sich, dass sie verschlossen war, und drehte sich um.

Die ganze Zimmerseite jenseits des Juwelenschiffs war hinter wirbelnden silbernen Dunstschleiern verborgen, die immer dichter wurden und nach dem geheimnisvollen Schiff tasteten.

Und als der Nebel es berührte, es einhüllte, begann es zu schaukeln und zu wachsen!

Er bemerkte eine Bewegung auf den Decks. Die Spielzeugfiguren – rührten sich! Die Ruderer holten aus, schnitten durch das Wasser!

Die schimmernde Schiffshülle schoss hoch, trug die eifrigen Gestalten weit über sein Blickfeld hinaus.

Ein Schrillen und Kreischen wie von aufeinanderprallenden Armeen von Stürmen erhob sich.

Einen flüchtigen Moment sah Kenton die Umrisse der Wolkenkratzer New Yorks unter einem weiß-schäumenden Meer versinken, sah, wie die haushohen Wogen auf ihn zuströmten.

Doch ganz deutlich hörte er durch den tobenden Sturm hindurch das Schlagen einer Uhr – einmal – zweimal. Es war seine Wanduhr, deren Zeiger auf sechs standen. Der dritte Schlag begann, erstarb wie abgewürgt.

Der feste Boden unter seinen Füßen schmolz. Einen Herzschlag lang hing er im Nichts. Vor ihm erhob sich der Bug des Schiffes – und sank in die Tiefe eines Wellentals.

Das Heulen und Kreischen und Schrillen des Sturms, den er hörte, doch nicht fühlte, verstummte plötzlich.

Der sichelförmige Bug schoss nur ein paar Meter unter ihm dahin. Das elfenbeinfarbige Deck schwang von den Wellen getragen in die Höhe.

Kenton fiel.

Das Deck kam ihm entgegen. Er spürte einen betäubenden Aufprall, einen brennenden Schmerz an der Schläfe. Zersplitterte Blitze maserten eine Dunkelheit, die Schiff und See verhüllte.

Und dann gab es nur noch Schwärze für John Kenton.

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2. DAS ERSTE ABENTEUER

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Kenton lauschte einem sanften, unaufhörlichen Wispern, wie das Brechen von kleinen Wellen. Das Geräusch war überall um ihn, wurde immer eindringlicher. Licht drang durch seine geschlossenen Lider. Er spürte eine Bewegung unter sich, ein weiches Schaukeln. Er öffnete die Augen.

Er befand sich auf einem Schiff, auf einem schmalen Deck, und lag mit dem Kopf gegen die Reling. Vor ihm hob sich ein Mast aus dem Unterdeck. Dort plagten sich Männer an den Rudern. Der Mast schien aus Holz, doch mit einem durchscheinenden smaragdgrünen Lack überzogen. Er weckte eine vage Erinnerung.

Wo hatte er einen solchen Mast schon gesehen?

Seine Augen wanderten an ihm empor. Er sah ein breites Segel, ein Segel aus opalschimmernder Seide, das sich unter einer duftschweren Brise aufblähte. Der tiefhängende Himmel darüber war wie ein weicher Silberschleier.

Kenton hörte eine sanfte, süße Mädchenstimme. Verwirrt setzte er sich auf. Zu seiner Rechten, unter der gebogenen Spitze des halbmondförmigen Bugs, stand ein rosig schimmerndes Deckhaus mit einem Balkon herum. Kleine Bäume blühten auf diesem Balkon und Vögel flatterten zwischen den Zweigen.

Plötzlich erinnerte er sich des Blocks aus Babylon – an das wundersame Schiff, das er daraus befreit hatte. Und mit dieser Erinnerung kam zögernd das Begreifen.

Er befand sich auf diesem Schiff – auf Ischtars Schiff!

Wieder erklang die süße Mädchenstimme. Eine tiefere, wie vibrierende Goldsaiten, antwortete ihr mit befehlendem Ton. Sein Blick folgte dem goldenen Klang, streifte drei kniende Frauen und blieb an einem Gesicht hängen.

Nie zuvor hatte er eine solche Frau gesehen!

Hochgewachsen war sie, schlank und geschmeidig wie eine Flamme. Ihre großen Augen unter geraden schwarzen Brauen schimmerten grün wie tropische Küstengewässer und tiefe Waldtäler. Ihr Gesicht war schmal und fein gezeichnet. Ihr roter Mund verriet eine schlummernde Sinnlichkeit und die sanfte Halsgrube schien wie ein für Küsse bestimmter Kelch, leer noch, doch voller Erwartung.

Über den Brauen hielt ein silbernes Diadem in Form eines Halbmonds die Fülle rot goldenen Haars über der Stirn zurück und ließ es, das liebliche Gesicht einrahmend, in seidigen Locken bis fast zu den Sandalen wallen. Blasse Perlen und rosige Edelsteine glitzerten wie Tautropfen in der rot goldenen Pracht.

War sie Frau oder Mädchen? Kenton konnte es nicht sagen. Jung schien sie wie der Frühling – doch weise wie der Herbst; eine Primavera Botticellis, doch genauso eine Mona Lisa. Mochte ihr Körper jungfräulich sein, ihre Seele war es sicher nicht.

Er folgte ihrem ironischen Blick zur Tür des schwarzen Kastells, wo ein Mann stand. Um einen Kopf war er größer noch als Kenton, mit kräftiger Statur. Seine blassgrauen Augen hingen unbewegt an der Frau und schienen drohend, boshaft. Sein bartloses Gesicht war bleich, grob geschnitten und grausam. Trotz seiner Kompaktheit erinnerte er in seiner Haltung an eine Schlange, und seine Augen verrieten List und Gnadenlosigkeit. Sein wuchtiger abgeflachter Schädel war glattrasiert, seine auffallend große Nase wirkte wie ein Geierschnabel. Eine schwarze Robe verhüllte ihn bis zu den Füßen.

Hinter ihm waren noch drei Männer mit kahlgeschorenen Köpfen zu sehen, zwei von ihnen so unbewegt und drohend wie er. Beide hielten ein muschelförmiges Bronzehorn. Am dritten blieben Kentons Augen fasziniert hängen. Sein spitzes Kinn ruhte auf einer hohen Trommel, deren bauchige Seiten wie die Haut eines Pythons glitzerten. Mit nacktem, mächtigem Oberkörper kauerte er darüber, die Arme, lang wie die eines Affen, um sie geschlungen, mit den Spitzen der spinnen gleichen Finger auf dem Schlagfell.

Aber es war das Gesicht, dem Kenton sich nicht entziehen konnte. Es wirkte spöttisch, doch in keiner Weise bösartig wie das der anderen. Ein breiter Schlitz von einem Mund, wie der eines Frosches, verriet Humor. Seine verschmitzt blinzelnden, tiefliegenden schwarzen Augen richteten sich mit offener Bewunderung auf die Frau. Schwarze Ringe baumelten von den Ohren.

Unwillkürlich empfand Kenton ein Gefühl der Verbundenheit für diese Personifizierung des Satyrs.

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DIE FRAU KAM MIT SCHNELLEN Schritten auf Kenton zu. Als sie stehenblieb, hätte sie nur die Hand auszustrecken brauchen, um ihn berühren zu können. Aber sie schien ihn nicht einmal zu sehen! Dass niemand sich um ihn kümmerte, dass niemand seine Anwesenheit zu bemerken schien, machte dieses ohnehin so seltsame Abenteuer um so unwirklicher.

„He, Klaneth!“, rief sie. „He – du aussätziger Wurm! Ich hörte Ischtars Stimme. Sie ist auf dem Weg hierher! Bist du bereit, ihr die gebührende Ehre zu erweisen, Wurm Nergals?“

Unverkennbarer Hass, wie eine Woge aus der Hölle, zog über das bleiche Gesicht.

„Das Haus der Göttin fließt über vor Licht, Sharane“, erwiderte der Mann mit düsterer Stimme und es war, als hinge ein Modergestank ihr nach. „Aber verrate mir, Tempelsklavin, vertieft der Schatten meines gefürchteten Gottes sich nicht hinter mir?“

Nun bemerkte Kenton, dass aus dem rosigen Kastell ein pulsierendes Licht drang, immer stärker, wie der aufgehende Mond in einer gewaltigen Perle; während aus dem schwarzen Deckhaus sich Finsternis zusammenballte.

„Ja!“, höhnte die Frau. „Die Göttin kommt. Und dein Dunkler Herr kann es nicht erwarten, ihr entgegenzueilen! Aber weshalb sollte dich das erfreuen? Denn sie gibt mir reine Kraft. Doch du, Klaneth, bist nichts als ein Abwasserkanal, durch den der Schmutz sickert, den du als Nergal anbetest!“

Bei diesen Worten sprangen die beiden Priester mit den Hörnern vor und verwünschten die Frau mit hässlichen Flüchen. Das grausame Gesicht Klaneths wurde noch fahler, noch hassverzerrter. Er hob die geballten Hände und zischte vor Wut.

Ein plötzlicher Windstoß hüllte das Schiff ein. Die Tauben flogen schreiend empor und umflatterten die Frau. Drei schnelle Schritte machte sie rückwärts.

Die Affenarme des froschlippigen Trommlers lösten sich und hielten über der Trommel inne. Die Schwärze vertiefte sich, verbarg ihn und das ganze Heck.

Kenton spürte, wie gewaltige Kräfte sich des Schiffes bemächtigten. Er drückte sich gegen die Reling. Ein heller Trompetenschall klang herausfordernd vom Elfenbeindeck. Kenton drehte den Kopf. Die Härchen in seinem Nacken stellten sich auf.

Die Frau war verschwunden. An ihrer Stelle lehnte eine riesige mondförmige Scheibe gegen das perlfarbige Kastell, aber sie war nicht weiß und kalt wie der Himmelsbegleiter, sondern pulsierte mit einem rosigen Leuchten, das sich über das Schiff breitete, und dessen Schein die Frau sanft umwogte. Die Lider der wunderschönen Augen waren geschlossen. Und doch glitzerten Pupillen hindurch. Ganz deutlich sah er sie. Augen hart wie Jade, weißglühend vor Grimm, funkelten aus den geschlossenen Lidern.

Das silberne Halbmonddiadem der jungen Frau strahlte wie der Mond selbst und die volle Pracht des rotgoldenen Haares hatte ein eigenes Leben angenommen, peitschte um sich, wirbelte wie seidene Fäden um das feine Gesicht. Rundherum flogen die Tauben und kreischten schrill.

Aus der Dunkelheit dröhnte der Donner der Schlangentrommel.

„Ai-ai-i!“ Die mondgekrönte Gestalt stieß diesen Schrei wie das Jubilieren des Frühlingswindes hervor, der über die blütengeschmückten Wipfel Tausender von Bäumen streift.

Ein neues Dröhnen der Trommel beantwortete ihn, düster und drohend. Aus der Schwärze starrte ein halb verschleiertes, körperloses Gesicht, schwamm in einem tiefen Schatten. Es war Klaneths Gesicht, und doch genau so wenig sein eigenes, wie das herausfordernde jenes Sharanes war. Die blassen Augen waren nun pupillenlose Teiche weißer Höllenflammen. Das zeitlose, absolut Böse lauerte in ihnen. Einen Herzschlag nur war dieses von der Dunkelheit umrahmte Gesicht zu sehen. Dann senkte der Schatten sich darüber und verbarg es.

Jetzt bemerkte Kenton, dass dieser Schatten wie ein Vorhang genau an der Linie hing, wo das helle mit dem schwarzen Deck zusammenstieß und dass er auf ersterem lag, kaum einen Meter von der Trennlinie entfernt. Er sah auch, dass das Leuchten der Scheibe gegen diesen Vorhang prallte und einen gewaltigen Kreis wie aus einem rosigen Spinngewebe darauf beschrieb. Gegen diesen Kreis drückte der Schatten, versuchte durchzubrechen.

Plötzlich wurde das Dröhnen der Schlangentrommel auf dem schwarzen Deck noch lauter, und die Muschelhörner schrillten. Und dieses Donnern und Schrillen verschmolz – wurde zum Puls Abbadons, der Hölle der Verdammten, zum Pochen der Stimme Abyssus. Und es nährte den Schatten, stärkte ihn, war der Rhythmus seines Willens. Schwärzer und dichter warf er sich jetzt gegen das Lichtgewebe.

Von Sharanes zusammengekauerten Frauen erhob sich ein Sturm von Harfenklängen wie winzige scharfe Pfeile, und mit ihnen das Pfeifen der Doppelflöte wie schnelle Speere. Pfeile und Speere aus Klang schnitten durch das Donnern der Trommel und das Schrillen der Hörner, schwächten es und drängten es zurück.

Eine Bewegung wurde im Schatten deutlich. Er brodelte, spie seine Brut aus!

Schwarze Schatten schwärmten über die leuchtende Scheibe. Sie schienen wie riesige gesichtslose Insektenlarven. Mit schwarzen Klauen versuchten sie das feine Gewebe zu zerreißen, sich mit grässlichen Tentakeln und ledrigen Flügeln hin durchzukämpfen.

Das Gewebe gab nach!

Sein Rand hielt, aber langsam, unsäglich langsam wurde es in der Mitte zurückgeschoben, bis die Scheibe wie eine hohle Kugelhälfte erschien. In dieser Halbkugel krochen und schlugen die monströsen Formen zu.

Messinghörner und Schlangentrommel stießen ihren Triumph hinaus.

Wieder erschallte der helle Trompetenklang. Aus der Scheibe am Vorkastell strömte ein unerträgliches Leuchten. Der Rand des rosigen Gewebes schoss vorwärts und umschloss die schwarze Brut. Wie Fische im Netz wand sie sich darin.

Und wie ein von einer kräftigen Hand gehobenes Netz schwang das zusammengezogene Gewebe mit seiner höllischen Beute weit über das Schiff hinweg. Es leuchtete nicht weniger stark als die riesige Scheibe, deren Strahlen jetzt die Dunkelheit des Hecks durchdrangen und sie vertrieben. Die Gebilde der Schwärze zuckten, schrumpften, lösten sich auf. Mit einem schrillen, kläglichen Wimmern verschwanden sie.

Das kugelförmige Netz, das das leuchtende Gewebe gewesen war, öffnete sich, schüttelte eine Wolke schwarzen Staubes aus. Dann schwebte es zu der Scheibe zurück und verschmolz damit.

Urplötzlich verschwand die Scheibe.

Wie weggewischt war auch die Schwärze, die Klaneths Deck eingehüllt hatte.

Hoch über dem Schiff kreisten Ischtars Tauben, gurrten und tanzten den Siegesreigen.

Eine Hand berührte Kentons Schulter. Er blickte hoch – geradewegs in die verschleierten Augen der Frau mit dem Namen Sharane. Keine Göttin war sie mehr, nur noch eine liebliche, bezaubernde Frau. Verwirrung und Unglauben las er in diesen Augen. Er spürte ihre Wärme, nahm ihren berückenden Duft auf.

Kenton sprang auf die Füße. Zu spät erinnerte er sich des Schlages gegen seinen Kopf, als er auf dem Schiff aufgeprallt war. Ein betäubender Schmerz schoss durch seinen Schädel. Das Deck wirbelte um ihn. Er versuchte, das Schwindelgefühl zu überwinden. Er konnte es nicht. Das Schiff drehte sich unter seinen Füßen, und danach, in immer weiteren Kreisen, auch die Türkise See und der silberne Horizont.

Nun formten sie einen Strudel, der ihn an sich zog und verschluckte. Alles verschwamm vor seinen Augen. Wieder hörte er das Schrillen und Kreischen eines schrecklichen Sturms. Hilflos ergab er sich den tobenden Mächten.

Der Wind erstarb. Er stand auf festem Boden. Drei klare Glockenschläge vernahm er. Er öffnete die fest zusammengepressten Lider.

Kenton befand sich in seinem Zimmer.

Am Fenster glitzerte das Juwelenschiff.

Die Glockenschläge, die er gehört hatte, waren die seiner Uhr, die die sechste Stunde anzeigte. Achtzehn Uhr! Der letzte Laut seiner vertrauten Welt, ehe die geheimnisvolle See sie unter ihm davon geschwemmt hatte, war der dritte Schlag der gleichen Stunde gewesen. Alles, was er gesehen hatte, sein ganzes Abenteuer, musste demnach während eines halben Glockenschlags geschehen sein!

Abenteuer? War es wirklich eines gewesen? Oder nur ein Traum?

Er hob die Hand und zuckte zusammen, als sie einen schmerzenden Bluterguss an seiner rechten Schläfe streifte. Der Aufprall war jedenfalls kein Traum gewesen. Er stolperte zum Schiff. Ungläubig starrte er es an. Dann zog er nacheinander an den winzigen Figuren darauf. Unbewegbar, hart wie Edelstein, und wie ein Teil des Decks selbst, schien jede von ihnen wie zuvor zu sein.

Und doch ... In diesem halben Glockenschlag hatten die kleinen Spielzeuggestalten sich bewegt, und neue waren dazugekommen.

Denn jetzt stand der langarmige Trommler aufrecht auf dem schwarzen Deck und spähte auf die Plattform rechts des Mastes, wohin eine Hand deutete, während die andere auf der Schulter eines Miniaturkriegers mit goldenem Bart und in glitzerndem Kettenhemd lag.

Auch stand nicht mehr die Frau an der Tür des rosigen Kastells, sondern fünf schlanke Mädchen mit Wurfspeeren in der Hand. Die Frau bückte sich dagegen an der Steuerbordreling, als beuge sie sich über jemanden, der dort lag – genau an der Stelle, wo er gelegen hatte, als die Schlacht zwischen der leuchtenden Scheibe und dem Kern der Schwärze tobte.

Wieder berührte er jede einzelne Figur. Um die Gestalt der Frau verharrten seine Finger ein wenig länger, streichelten sie. Doch kein Leben war in ihr, keine Wärme, kein Pulsschlag. Hart und kalt und von vollendeter Form wie skulptierter Edelstein war sie.

Nur Spielzeugfiguren?

Aber weshalb quoll dann unerklärliche Freude in ihm auf, während seine Fingerspitzen auf dem Halbmondschmuck ihrer Stirn lag? Wie eine brausende Woge tobte neues Leben durch seine Adern. Was war es, das ihm zuschrie, seine Verbindung zu diesem Schiff Ischtars habe eben erst begonnen?

Unwillig zog er die Hand zurück, nahm einen seidenen Wandbehang und warf ihn über das glitzernde Schiff, ehe er sich in das Badezimmer begab, um den Bluterguss an seiner Schläfe im Spiegel zu betrachten. Er war zwar schmerzhaft, doch nicht gefährlich. Er könnte ohne weiteres auf den Boden seines Zimmers gefallen sein, als das starke Parfüm des Schiffes ihn übermannte, dachte er.

Aber er wusste, dass es nicht so war.

Kalte Umschläge ließen den Bluterguss innerhalb einer Stunde fast verschwinden. Um sieben Uhr dreißig aß er zu Abend. Er speiste gut und reichlich. Wohin immer er sich auch begeben würde, es konnte nichts schaden, frisch gestärkt zu sein. Denn er zweifelte keinen Augenblick daran, dass das Schiff ihn zurückholen würde.

„Ich brauche Sie heute Abend nicht mehr, Jevins“, erklärte er. „Ich arbeite an etwas ungemein Wichtigem. Falls jemand nach mir fragt, ich bin nicht zu Hause. Ich werde die Tür abschließen und möchte auf gar keinen Fall gestört werden.“

Jevins, der Butler noch aus seines Vaters Tagen, versicherte ihm, er würde niemanden zu ihm vorlassen.

„Es ist wirklich äußerst wichtig.“ Kenton legte die Hand auf die Schulter des Alten. „Ich glaube – ich vermute – es wird das wichtigste Werk meines Lebens sein“, schloss er. Er wusste nicht, wie wahr er gesprochen hatte.

Er kehrte in sein Schlafzimmer zurück. Kritisch betrachtete er sich im Spiegel. Für eine Reise auf dem Schiff war er nicht gerade passend gekleidet. Er zog sich aus und wühlte in einer Truhe mit Kostümen herum, die er vor mehreren Jahren aus Persien mitgebracht hatte. Eine seidene Weste und eine bestickte Tunika fanden sein Gefallen, genau wie die Pluderhose mit einem breiten Gürtel aus blauem Geflecht. Schließlich schlüpfte er noch in ein paar türkische Pantoffel.

Sein Blick fiel auf einen uralten Umhang, den er in Mosul erstanden hatte. Er war wunderschön. Jahrhunderte hatten sein ursprünglich tiefes Blau ein wenig gebleicht, ein Blau, durch das sich wie kabbalistische Zeichen silberne Schlangen wanden. Er warf ihn sich über die Schulter und staunte über sein eigenes Spiegelbild. Konnte dieser junge abenteuerlustige Sultan, dessen scharf geschnittenes dunkles Gesicht ihm entgegen starrte, wirklich er sein? Das Blau und Silber des Umhangs ließen ihn noch größer als seine ein Meter achtzig erscheinen. Außerdem haftete ihm plötzlich ein Ausdruck von Macht an. Merkwürdig, wie verändert sein Gesicht, seine Haltung wirkten.

Konnte der Umhang dafür verantwortlich sein?

Das erinnerte ihn, dass noch etwas fehlte – die eigenartige Klinge, die in den Umhang gehüllt war, als er ihn kaufte. Er fand sie, wog sie in seiner Hand.

Es war wahrhaftig eine seltsame Waffe! Silberschlangen wanden sich um den Griff, der in einem blauen, rundgeschliffenen Edelstein auslief. Es war kein Saphir, überhaupt kein Stein, den er kannte. Aus dem Griff ragte ein starker Bronzestab, etwa zwanzig Zentimeter lang und drei im Durchmesser, der schließlich zu einer schmalen, rasiermesserscharfen Klinge abflachte, mit einer Länge von sechzig Zentimeter, und fünfzehn Zentimeter an ihrer breitesten Stelle, eine Klinge, die den Assagais der Zulus erstaunlich ähnelte. Er schob sie in den Gürtel und fühlte sich nun für seine neue Rolle richtig gekleidet.

Vorsichtig öffnete er die Schlafzimmertür und lauschte, ehe er über den Gang in das Zimmer mit dem Schiff huschte. Behutsam hob er den Wandbehang davon ab und bewunderte noch einmal andächtig die Schönheit dieses Kunstwerks. Erst dann schaltete er das Licht aus.

Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, bemerkte er das schwache Schimmern, das das Schiff umgab. Wie ruhig es doch im Raum geworden war. Er füllte sich mit Stille wie ein Gefäß mit Wasser.

Doch nun durchbrach ein Geräusch die Stille, das sanfte Schlagen von ruhigen kleinen Wellen. Es wurde ihm bewusst, dass er die Augen geschlossen hatte. Mit aller Gewalt versuchte er, sie zu öffnen. Das Schlagen der Wellen klang näher.

Ihm gegenüber erhob sich dichter Dunst, ein kugelförmiger Silbernebel, der auf ihn zutrieb wie eine andere Welt.

Eine Welt, mit der diese, seine eigene zusammenstoßen würde?

Nein – eine Welt, mit der sie ineinanderlief.

In dem kurzen, flüchtigen Augenblick, als ihm dieser Gedanke durch den Kopf schoss, erkannte er ihn als die einzige Erklärung des Unerklärlichen.

Im Licht dieses Gedanken sah Kenton die Erdkugel, auf der er lebte, nicht als das, was sie schien, sondern als das, was sie war – eine ätherische Vibration zwischen den Intervallen in deren Rhythmen die Elektronen anderer ineinander verlaufender Welten pulsierten – Zeugen jener Urkraft, deren Vibrationen Materie in allen uns bekannten Formen sind – und solchen, die wir nicht kennen.

Er stellte sich diese Welten und seine eigene als eine Zusammenballung von Elektronen vor, von denen jedes in Wirklichkeit so weit voneinander entfernt ist, wie es die einzelnen Planeten sind, und diese wiederum von der Sonne. Er sah durch diese Schluchten des Raumes zwischen diesen Pünktchen Myriaden ähnlicher Zusammenballungen, die zu ungesehenen, unsichtbaren Welten gruppiert waren. Und jede Welt drehte sich und wirbelte um ihre Achse, ohne andere zu berühren oder von ihnen berührt zu werden, obwohl sie ineinander verschlungen waren.

Ineinandergreifende Welten, die auf einer niedrigen oder höheren Frequenz als unsere abgestimmt sind und in völliger Unwissenheit um die Existenz der anderen bestehen. Welten, die durch und um uns dahinziehen. Welten, die von anderen ebenso wenig registriert werden wie die Tausende von drahtlosen Nachrichten von einem Empfangsgerät, das nicht auf ihre Frequenz eingestellt ist.

Und auf einer dieser Welten segelte Ischtars Schiff.

Dieses Juwelengebilde auf dem Fensterbrett war nicht das Fahrzeug selbst. Es war der Schlüssel, der die Tür von Kentons Welt zu der des Schiffes öffnete; der Mechanismus, der ihn auf die Frequenzen jener anderen Welt einstimmte.

Schnell kam diese Erkenntnis; schnell floh sie.

*

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DURCH DEN SILBERSCHLEIER trieb das Schiff herab zu ihm. Seine Ruder lagen still, sein Segel war nur leicht gebläht. Kleine blaue Wellen schäumten am sichelförmigen Bug. Das halbe Zimmer war bereits unter den heranbrausenden Wogen verschwunden. Der Teil, in dem er stand, schien mehrere Meter über der See. So tief war sie unter ihm, dass das Schiffsdeck sich in gleicher Höhe mit seinen Füßen befand.

Näher kam das Schiff. Weiter zog Kenton sich von den sanft wogenden Wellen zurück. Er wunderte sich, dass er diesmal weder das Rauschen des Windes noch das Heulen des Sturmes hörte. Nein, nichts war zu vernehmen außer dem leisen Flüstern der schaumgekrönten Wellen.

Nun drückte Kentons Rücken bereits gegen die Zimmerwand. Vor ihm erstreckte sich der Türkise Ozean, und das Schiff schien nicht weiter als zwei Meter von ihm entfernt.

Kenton sprang – auf das Schiff.

Jetzt brausten die Winde, der Sturm heulte um ihn, doch auch diesmal spürte er sie nicht.

Urplötzlich erstarben sie. Seine Füße berührten festen Boden. Keuchend öffnete er die Augen. Er stand auf dem Elfenbeindeck, unmittelbar gegenüber dem rosigen Kastell mit den blühenden Bäumen und den Schwärmen von Ischtars Tauben.

Zwischen ihm und der Deckhaustür stand ein Mädchen. Fast demütiges Staunen las er in ihren Augen – und Unglauben wie in den verschleierten Sharanes, als sie sich neben dem smaragdgrünen Mast über ihn gebeugt hatte.

Selbst durch die Verwirrung, die ihn noch erfüllte, erkannte er, wie liebreizend das Mädchen war. Ihr roter Mund stand offen wie der eines verwunderten Kindes. Ihr blauschwarzes Haar hing in weichen Löckchen über die weißen Schultern. Das fast durchsichtige Grün ihres seidigen Gewandes verriet eine voll erblühte Schönheit, doch die Augen versicherten ihre Unschuld, und ihre Stimme klang hell wie die eines ganz jungen Mädchens, als sie zu ihm sprach.

„Seid Ihr Lord Nabu selbst, der Ihr aus der leeren Luft kommt und seinen Mantel der Weisheit mit den silbernen Schlangen tragt?“, fragte sie zögernd. „Nein – das ist nicht möglich“, beantwortete sie ihre eigene Frage. „Denn Nabu ist alt, und Ihr seid jung. So seid Ihr wohl sein Bote?“ Sie fiel auf die Knie und überkreuzte ihre Hände auf der Stirn, mit den Handflächen nach außen.

„Ich bin nicht Lord Nabu“, hörte Kenton sich sagen – und wunderte sich vage, wieso er ihre Sprache so gut verstehen und ihr antworten konnte. „Vielleicht hat er mich gesandt. Ich weiß es nicht.“

Aber das Mädchen war bereits auf die Füße gesprungen und zur geschlossenen Tür des rosigen Kastells.

„Kadishtu!“ Sie pochte sacht. „Heilige! Lady Sharane – ein Bote unseres Herrn Nabu.“

Kenton drehte sich um. Seine Augen wanderten über das Unterdeck mit den Ruderern hinweg. Sie schienen zu schlafen. Ihre nackten Oberkörper waren über ihre Ruder gebeugt, ihre Köpfe hingen schlaff herab. Der goldbärtige Krieger war von dem schwarzen Deck verschwunden, aber der Satyrtrommler stand noch da. Ungeheure Verwunderung zeichnete sich auf seinem hässlichen Gesicht ab. Die Froschlippen öffneten sich staunend, die kleinen Augen quollen schier aus den Höhlen, eine schwere Hand schwang über das Trommelfell, als wolle sie Alarm schlagen. Kenton sah, dass der gewaltige Rumpf auf einem Paar grotesker krummer Beine balancierte, die so kurz waren, wie die Arme lang. Oberhalb der Mitte war der Trommler ein Gigant, unterhalb ein Zwerg.

Die schwarzen Augen musterten ihn, dann zogen sich seine Mundwinkel hoch, und sein Gesicht legte sich in tausend Fältchen. Der Trommler hatte ihn angelächelt! Die zum Schlag bereite Pranke zog sich vom Trommelfell zurück, und winkte ihm einen Gruß zu, ein wenig ironisch, aber auch beruhigend – und warnend ebenfalls, denn sein langer Daumen deutete zweifellos auf das schwarze Kastell.

Die Tür des rosigen Deckhauses schwang auf. Auf der Schwelle stand die Frau mit dem rotgoldenen Haar, die Frau Sharane. Ihre Augen verrieten Staunen und auch ein vages Erkennen. Sie schaute an ihm vorbei auf den Trommler. Kenton folgte ihrem Blick. Der Satyr tat, als schliefe er.

„Pass auf, Satalu“, flüsterte sie dem Mädchen zu.