KIM LEOPOLD

how to be happy

Winterrose

 

Für Tatjana, ohne die Rose und Jér niemals ihr verdientes Happy End bekommen hätten.

»Storms are the poetry of the earth. The intensity, the emotion, the honesty, the music. The language of darkness and light.«

- Victoria Erickson

 

[triggerwarnung]

Dieses Buch enthält Beschreibungen und Gedanken, die bei manchen Personen traumatische Erinnerungen auslösen könnten. Mehr Details zu den Themen dieser Geschichte findest du auf dieser Seite. Bitte nimm diese Warnung ernst und lies das Buch nur, wenn du mit den dort genannten Themen umgehen kannst.

 

 

[playlist]

  1. Raise Hell – Dorothy
  2. You've Got the Love – Florence + the Machine
  3. Zuhause – Fynn Kliemann
  4. Everyone Goes Your Way – Ella Eyre
  5. Waiting All Night – Ella Eyre
  6. Helpless – Phillipa Soo
  7. NO EXCUSES – NEEDTOBREATHE
  8. A Winter's Coat – Ryan McMullan
  9. Growing Pains – Maria Mena
  10. I Can't Go On Without You – Kaleo
  11. Notion – Tash Sultana
  12. Young & Free – Dermot Kennedy
  13. Grace – Lewis Capaldi
  14. The Boy You Knew – Jack Vallier


Intro

Tief atme ich ein, schnuppere an seinem Shirt und inhaliere den Duft, den ich in zahlreichen Parfümerien gesucht, aber doch nie gefunden habe.

[1]

»Last Christmas …«

»Gott, kannst du das bitte ausschalten?« Ich lehne mich nach vorne und wuschle Lily durch die Haare. Sie kreischt empört auf, macht jedoch keine Anstalten, den Sender umzustellen. Stattdessen weicht sie aus und grölt lauthals mit.

Ihre Stimme hört sich grauenvoll an. Nicht nur, dass sie nicht singen kann, die Erkältung gibt ihr den Rest. So schlimm klingt nicht einmal das Kratzen von Kreide auf einer alten Schultafel.

»Jamie!«, quengle ich und verfluche mich innerlich, dass ich mit ihnen gefahren bin. Ich hätte selbst fahren sollen. Dann könnte ich jetzt wenigstens meine eigene Playlist anschmeißen. »Tu etwas! Das ist Folter für meine Ohren!«

Er lacht und schaltet um, doch Lily drückt sofort wieder auf den Sender, der den Weihnachtsstimmungstöter spielt. Die beiden liefern sich ein Klickduell, bis Lily schließlich aufgeben muss, weil ihre Nase läuft. Geschieht ihr recht.

»Himmel«, stöhne ich und lasse mich zurück in den Sitz fallen. »Nächstes Mal nehme ich mein eigenes Auto.«

Lily schnieft geräuschvoll in ihr Taschentuch und dreht sich dann in ihrem Sitz um, um mich hinterlistig anzugrinsen. »Ich prophezeie dir, dass du dieses Lied in den kommenden zwei Wochen noch einige Male hören wirst«, erklärt sie mit heiserer Stimme.

Ich verdrehe die Augen. »Ich hab’s befürchtet. Vielleicht sollte ich mich nächstes Jahr einfach in meinen eigenen vier Wänden verbarrikadieren. Dann komme ich wenigstens nicht mit Erkältungsviren, kleinen Kindern und Wham! in Kontakt.«

»Du liebst Lilou doch«, protestiert Lily und dreht sich wieder nach vorne, weil ihr sonst schlecht wird. Das weiß ich, weil sie mir schon mal ins Auto gekotzt hat, als wir auf dem Weg in die Hamptons gewesen sind und sie zu viel mit Jamie herumgealbert hat, der auf der Rückbank saß.

»Ich weiß nicht, ob man jemanden genug lieben kann, um mit ihm rund um die Uhr zusammen zu sein.« Für einen winzigen Moment denke ich an den einzigen Mann, mit dem ich mir das vorstellen konnte. Achtundvierzig Stunden, in denen ich glücklich war. Achtundvierzig Stunden, in denen ich begonnen habe, an eine gemeinsame Zukunft zu denken.

Doch dann hat er eine falsche Entscheidung getroffen und mir bewiesen, dass ich immer wieder auf die falsche Sorte Mann hereinfalle.

»Ich glaube ganz fest daran«, wirft Jamie ein und legt seine Hand auf Lilys Oberschenkel. Sie schiebt ihre über seine und drückt sie leicht.

Urgh.

Was hab ich mir nur dabei gedacht, mit zwei Paaren in einen romantischen Ski-Urlaub zu fahren? Tagsüber werden sie mir mit ihrem Gesülze auf die Nerven gehen und nachts … Glücklicherweise habe ich meine Kopfhörer eingepackt und klammere mich immer noch an die Hoffnung, dass Lilou und ich uns schon die Zeit vertreiben werden. Irgendwer muss Ashs und Camis Tochter schließlich die wichtigen Sachen des Lebens beibringen.

Ich wende den Blick ab und schaue aus dem Fenster in die Eislandschaft, die uns mittlerweile umgibt. Dass die Straßen überhaupt frei sind, ist nach dem Schneefall der letzten Tage ein Wunder. In New York war das Wetter noch angenehm, hier - mitten in Kanadas Wildnis - bin ich froh um die neuen, wasserfesten Winterstiefel und die Skisachen, die ich mir vor ein paar Tagen im Internet bestellt habe.

Immerhin hat unsere Hütte einen Kamin, vor dem ich es mir jederzeit mit einer heißen Tasse Kakao und meinem Notizbuch bequem machen kann. Sollen die anderen sich ruhig auf der Piste vergnügen. Ich freue mich auf die Auszeit von der Arbeit und darauf, endlich wieder an neuen Songs arbeiten zu können.

Bei La Malbaie biegen wir vom Highway ab und nähern uns dem Ort. Zehn Stunden Fahrt haben bald ein Ende, und die Aufregung steigt. Obwohl ich mit Lily und Greg nun schon einige Male Urlaub gemacht habe, ist das kleine Mädchen in mir jedes Mal wieder nervös, wenn es eine neue Welt zu entdecken gibt.

Ich drücke meine Nase an die Scheibe und sauge die neuen Eindrücke gierig in mir auf. Der kleine Ort La Malbaie wimmelt nur so von Touristen, die in den winzigen Boutiquen nach letzten Weihnachtsgeschenken suchen oder sich an einer der zahlreichen Holzhütten amüsieren, die auf dem Marktplatz stehen. Glühwein, Flammkuchen, kanadische Spezialitäten wie Ahornsirup oder Nanaimo Bars, Schals und Mützen, Schmuck und jede Menge Kunst … hier gibt es alles, was in einem Touristenort nicht fehlen darf. Sogar eine Schlittschuhbahn entdecke ich.

Ein paar Straßen weiter kommen wir an einem großen Supermarkt und einem Kino vorbei.

»Woah, die zeigen ja Schwarz-Weiß-Filme«, stellt Jamie aufgeregt fest. »Das ist was für Ash.«

»Vielleicht können wir uns einen ansehen«, schlage ich vor und sehe aus der Heckscheibe, um einen Blick auf das Programm zu erhaschen, doch wir sind schon zu weit weg, als dass ich auf den Filmplakaten noch etwas erkennen könnte.

Wir verlassen La Malbaie wieder, und schon sehr bald werden die Straßen schlechter, weil sie nicht mehr so regelmäßig geräumt werden. Das Pelletier Spa & Resort ist bereits ausgeschildert. Sich auf dem Weg dorthin zu verfahren ist allerdings nahezu unmöglich, denn vom Weg zweigen kaum weitere Straßen ab.

Als wir um die nächste Kurve biegen, atme ich erstaunt ein. Vor uns liegt ein offenes Tal, und in dessen Mitte thront das Hauptgebäude des Resorts. Mit seinen Türmen und Fenstern wirkt es wie ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert. Auf den Bergen und Hügeln drum herum sieht man vereinzelte Schneisen zwischen den Wäldern, die auf die zahlreichen Ski-Pisten hindeuten. Laut Internet ist hier für jeden Schwierigkeitsgrad etwas dabei.

Seit ich mir vor drei Jahren beim Snowboarden fast das Genick gebrochen hätte, traue ich mich sowieso nicht mehr aufs Board. Ich werde mir wohl eher einen Schlitten ausleihen und mit dem Baby-Hügel vorliebnehmen.

Sicher ist sicher.

»Château-Stil«, referiert Lily und deutet auf das Gebäude. Seit sie als Restauratorin arbeitet, lässt sie uns mit ihrem Wissen nicht mehr in Ruhe. »Es ist wunderschön, oder?«

»Oh ja.« Jetzt beuge ich mich doch wieder nach vorne, um aus der Windschutzscheibe zu sehen, während wir uns den Weg hinunterschlängeln. Ab und zu verschwindet das Hotel hinter Bäumen und anderem Gewächs, aber die Fahrt lässt uns genug Zeit, den mehrstöckigen Bau zu bewundern. Bis man sich in diesem Gebäude zurechtfindet, dauert es sicher eine Weile. Fast bedauere ich, dass wir uns für eine der verschiedenen abseitigen Holzhäuser entschieden haben. Aber nur fast.

»Wo ist denn unsere Hütte?«, frage ich neugierig, denn obwohl das Hotel wirklich toll aussieht, freue ich mich noch mehr darauf, unseren Rückzugsort zu entdecken. Auf den Bildern im Internet sah sie großartig aus. Viel Holz, Leder und Felle, eine richtige Jagdhütte eben, die man für wohlhabende Gäste zu einem luxuriösen Aufenthaltsort gemacht hat. Zwar hängen hier keine Geweihe an den Wänden, aber der urige Touch ist immer noch vorhanden und hat gleich dafür gesorgt, dass wir Feuer und Flamme waren.

»Versteckt in den Wäldern.« Jamie wirft mir durch den Rückspiegel einen Blick zu. »Weit weg von den ganzen Touristen, die dieses Hotel belagern werden. Ich glaub nicht, dass man sie von hier aus sehen kann.«

»Schade«, murmle ich und widme mich wieder dem Ausblick auf das Hotelgebäude, bis wir den Parkplatz erreichen.

Wir steigen aus dem Wagen. Jamie holt unsere Jacken aus dem Kofferraum und reicht sie uns. Während ich in meinen Mantel schlüpfe, schaue ich mich nach Ashs rotem Mustang um, aber dann fällt mir ein, dass sie ihn kurz vor Lilous Geburt schweren Herzens gegen einen langweiligen Familienwagen von Cadillac ausgetauscht haben.

Ich entdecke das charakterlose Gefährt relativ nah bei uns und kann nur anhand des Kennzeichens ausmachen, dass sie es sind. Es ist nämlich nicht der einzige Cadillac dieser Art und Farbe auf dem Parkplatz, und irgendwie bricht es mir das Herz, dass Ash sich von seinem Mustang trennen musste.

»Sie sind schon da«, stoße ich dennoch freudig hervor und schnappe mir meine Handtasche vom Rücksitz, bevor Jamie den Wagen abschließt und wir uns auf den Weg ins Innere des Gebäudes machen.

Pelletier Spa & Resort steht mit goldenen Lettern auf einem blauen Schild neben der Tür. Daneben prangen fünf goldene Sterne und zeugen davon, dass wir hier bestens aufgehoben sind.

Das Foyer des Hotels ist groß, aber trotzdem gemütlich. Rote und blaue Farbtöne wechseln sich mit dunklem Holz und hellem Kalkstein ab. Auf der rechten Seite hat man ein paar Chesterfieldsofas und -sessel zu Sitzgruppen zusammengestellt, links befinden sich die Fahrstühle und ein offenes Treppenhaus, das in die anderen Etagen führt.

Mein Blick fällt auf die kleine Familie, die an der langgezogenen Rezeption vor uns steht, und mein Herz füllt sich mit Freude.

»Cami! Lilou!«, rufe ich aufgeregt. Cami dreht sich mit Lilou auf dem Arm um und winkt mit ihrer freien Hand.

»Das nenne ich mal Punktladung.« Sie lacht und gibt mir Küsschen links und rechts. Das sechs Monate alte Mädchen auf ihrem Arm gähnt und blickt verschlafen durch die Gegend. »Wir sind gerade erst angekommen.«

Cami begrüßt Jamie und Lily, während sich Ash um unsere Hütte kümmert. Sie erzählt von der Fahrt, und davon, wie Lilou gerade erst aufgewacht ist. Mitten im Gespräch erhellt sich plötzlich ihr Blick, und sie deutet an uns vorbei. »Und schaut mal, wen wir noch mitgebracht haben.«

Ich erstarre für einen Moment, bevor ich mich langsam umdrehe und dem Grund meiner schlaflosen Nächte in die Augen sehen kann.

Mir stockt der Atem.

Jérôme.

Ich schlucke und blicke zur Tür, aber jetzt wegzurennen wäre das, was eine Dreijährige machen würde. Ich bin dreiundzwanzig und damit wohl offiziell alt genug, um mich den Fehlern meiner Vergangenheit zu stellen.

So ein Mist.

Er hebt verlegen eine Hand und winkt, obwohl er uns schon beinahe erreicht hat, und als wäre ihm das selbst aufgefallen, unterbricht er seine Geste, um sich stattdessen übers Haar zu fahren.

»Hi«, stößt er nervös hervor.

»Das ist Jérôme, mein Bruder«, stellt Cami ihn vor und löst damit die Anspannung - zumindest zu einem winzigen Bruchteil. Lily, die eindeutig die herzlichere von uns beiden ist, beginnt zu strahlen und fällt dem Mann vor uns um den Hals.

Wenigstens habe ich so einen Moment Zeit, um ihn zu betrachten. Er ist noch genauso muskulös wie beim letzten Mal, wohlgeformt allerdings, nicht so wie die Kerle, die rund um die Uhr im Fitness-Studio pumpen gehen. Jérs Muskeln kommen eindeutig von körperlicher Arbeit. Die graue Jeans sitzen ihm lässig auf der Hüfte, und der dunkelblaue Pullover verdeckt einen großen Teil seiner Tätowierungen, aber die feinen Linien ziehen sich auch über seinen Nacken und die entblößten Unterarme.

Seine Haare sind raspelkurz. Nichts mehr zu sehen von den kurzen Locken, in denen ich ...

Nach Lily begrüßt auch Jamie ihn, als wäre er ein Familienmitglied, und mir wird klar, dass mir das Unausweichliche bevorsteht. Schnell setze ich ein Lächeln auf. Er soll schließlich nicht glauben, ich würde ihm nicht Hallo sagen wollen, weil er … ja, weil er jemanden umgebracht hat. Ungewollt fliegt mein Blick zu seinen Händen, und bevor ich mich versehe, zeigt mir mein Kopfkino Bilder, die ich nicht sehen will. Blutige Bilder.

Scheiße.

So viel zum Thema Verurteilen.

Reiß dich zusammen, fahre ich mich an, da bin ich auch schon an der Reihe und bleibe dicht vor Jér stehen. Ich hebe den Blick und tauche in seine graublauen Augen ab. Wenn er doch wenigstens nicht so verdammt heiß wäre.

»Hi«, bringe ich hervor und könnte mich selbst dafür schütteln, dass ich so unsicher klinge.

»Rose?« Er runzelt besorgt die Stirn.

Ach, scheiß doch drauf! Ich mache den letzten Schritt und falle ihm in die Arme. Ein überraschter Laut entweicht ihm und auch einigen anderen um uns herum. Es dauert keine fünf Sekunden, da schließen sich seine Arme um mich. In meinem Hals bildet sich ein verdächtiger Kloß.

Ich bin sowas von verloren.

Verloren.

Verloren.

Shit.

Tief atme ich ein, schnuppere an seinem Shirt und inhaliere den Duft, den ich in zahlreichen Parfümerien gesucht, aber doch nie gefunden habe. Dann reiße ich mich abrupt von ihm los. Was mache ich hier eigentlich? Ich kann ihm doch nicht einfach um den Hals fallen! Was sollen denn die anderen denken?

»Ich hoffe, dir geht’s gut«, bringe ich mit rasendem Herzen hervor und spiele verlegen mit einer Strähne meines Haars, bevor ich seinem Blick ein weiteres Mal begegne. Da ist es! Dieses Lächeln, mit dem er sich damals gleich einen Platz in der ersten Reihe erschlichen hat. Zumindest die Erinnerung daran. Bis er wieder so lächeln kann, wird es sicher noch eine Weile dauern.

»Danke«, erwidert er höflich. »Mir geht es gut.«

»Gut. Das ist gut.« Ich überlege fieberhaft, was ich sagen könnte, um unser Gespräch zu verlängern. Oder zu beenden. Ich kann mich nicht entscheiden, was mir lieber wäre.

Ash hustet und klimpert mit den Schlüsseln. »Wenn ihr fertig seid, können wir los.«

Die Hitze breitet sich in meinen Wangen aus und ich wende mich ab, um aus der Lobby zu gehen, ohne dass die anderen mir ins Gesicht sehen können. Hinter mir höre ich, wie Lily Jér in ein Gespräch verwickelt und stelle entsetzt fest, dass sie ihn scheinbar schon in ihr Herz geschlossen hat, obwohl sie ihm gerade zum ersten Mal begegnet ist. Ich hätte sie niemals in unsere gemeinsame Geschichte einweihen dürfen. Jetzt wird sie sich die nächsten zwei Wochen lang benehmen, als wäre er bereits Bestandteil unserer Familie.

 

[2]

Zwei Wochen.

Der Gedanke daran, vierzehn Tage auf engstem Raum mit Jér zu verbringen, hebt meine Stimmung nicht gerade. Was hat sich Cami nur dabei gedacht, ihren Bruder einzuladen? Und wieso ist er überhaupt schon draußen? Sollte er nicht eigentlich noch ein paar Wochen im Gefängnis sitzen?

Mir wird klar, dass ich überhaupt nichts über ihn weiß, weil ich in den letzten Monaten immer fleißig weggehört habe, wenn Cami von ihm erzählt hat. Verdrängung - meine Lieblingsbeschäftigung, wenn die Auseinandersetzung mit einer Sache zu schmerzhaft ist. Tja … Hätte ich mich vor knapp zwei Jahren mit dem Thema auseinandergesetzt, wüsste ich heute, wie ich mich um ihn herum verhalten soll.

So fühle ich mich, als hätte man mich ins kalte Wasser geworfen. Und das wird nicht besser, während ich vor unserer Hütte aus dem Jeep steige, mit dem uns ein Fahrer des Hotels hergebracht hat. Jér, Cami und die anderen sind uns ein Fahrzeug voraus und tragen gerade ihr Gepäck ins Haus. Jér hebt einen grünen Seesack aus dem Kofferraum und schultert ihn sich, bevor er sich umdreht und sein Blick an mir kleben bleibt.

Ich lächle ihn unsicher an und trete mir in den Hintern, weil ich die Bad-Ass-Heldin in mir nicht mehr wiederfinde. Wo ist die Frau, die Männer zur Vorspeise verschlingt und zum Nachtisch wieder rauswirft, wenn sie nicht gut genug sind? Wo ist die Frau, die in der Firma ihres Vaters dafür sorgt, dass die Anteile an der Börse steigen?

»Ich sollte mal …« Ich deute auf unseren Kofferraum und drehe mich um, bevor es noch seltsamer zwischen uns wird. Hinter meinem Rücken höre ich seine Schritte durch den Schnee knirschen, während er seine Sachen in die Hütte bringt.

Ich schultere meine Handtasche und hole den roten Rollkoffer aus dem Kofferraum des Jeeps, bevor ich selbst durch den schmalen Pfad im Schnee stapfe und meinen Koffer hinter mir herziehe. Er rumpelt so sehr über den unebenen Boden, dass ich befürchte, seine Rollen könnten jeden Moment abfallen.

Die Hütte hat zwei Geschosse und eine weite Veranda, auf der man in den Sommermonaten sicher ein entspanntes BBQ machen kann. Im Winter sind der große Grill allerdings abgedeckt und die Gartenmöbel weggeräumt. Wie eine waschechte Jagdhütte ist auch diese hier überwiegend aus Holz gebaut, bloß der Schornstein ragt steinern in die Luft und zeigt an, dass jemand den Kamin im Inneren schon angezündet haben muss.

Ächzend schleife ich meinen Koffer die Treppe zur Veranda hoch und ziehe ihn dann in die Hütte. Dort stelle ich ihn an eine Wand und schaue mich in diesem Mix aus modern und rustikal um. Das Erste, was mir ins Auge fällt, ist dann wirklich der große steinerne Kamin, in dem ein fröhliches Feuer prasselt. Die Sitzgruppe mit Sofalandschaft und zwei Sesseln drum herum sieht gemütlich aus, aber das Highlight im Wohnbereich ist der geschmückte Tannenbaum, der mich daran erinnert, wieso wir überhaupt hier sind. In meiner Magengrube entzündet sich ein Funken Vorfreude.

Den Winter habe ich schon immer geliebt und Weihnachten ganz besonders, denn es ist die einzige Jahreszeit, in der Familien es nicht übers Herz bringen, ihr Pflegekind wegzugeben.

Neben dem großzügigen Esstisch führt eine Wendeltreppe aus schwarzem Metall auf eine schmale Galerie, von der mehrere Türen abzweigen. Unter den oberen Räumen befindet sich eine moderne Küche, in der gut mehrere Personen gleichzeitig kochen können. Eine weitere Tür führt in den unteren Schlafraum, ein Badezimmer und den kleinen Wellnessbereich mit Sauna und Whirlpool, den Ash und Jamie unbedingt haben wollten.

Ich bin jetzt schon begeistert, dabei habe ich noch nicht einmal die Schlafräume gesehen.

Bevor ich mich allerdings meinem Zimmer widmen kann, muss ich noch meine Gitarre aus dem Kofferraum des Jeeps holen, damit der Fahrer wieder zum Hotel zurückkehren kann. Ich schultere die schweineteure Fender, die ich mir erst vor ein paar Wochen zugelegt habe, und bezahle dem Fahrer ein großzügiges Trinkgeld. Dann gehe ich wieder hinein und schließe die Tür hinter mir, weil alle anderen längst drin sind und damit angefangen haben, die Zimmer zu okkupieren.

Nur Jér steht wie bestellt und nicht abgeholt im Wohnzimmer rum und wartet auf etwas. Da wird mir klar, dass sich in dieser Hütte nur drei Schlafzimmer befinden. Zwei davon mit Doppelbetten und eins mit zwei Einzelbetten.

Verdammt.

Cami erwartet doch wohl nicht, dass ich mir mein Zimmer mit ihrem Bruder teile, oder?

»Ich nehme die Couch«, sagt er, bevor ich weiter drüber nachdenken kann, und wirft seinen Seesack neben die Sofalandschaft.

»Okay«, gebe ich möglichst cool zurück und bin ahnungslos, was ich sonst sagen soll. Ich werde ihm bestimmt nicht anbieten, bei mir im Zimmer zu schlafen. Dann könnte ich auch gleich einen Pakt mit dem Teufel eingehen.

Auch wenn ein richtiges Bett sicher bequemer ist, denke ich und spüre, wie das schlechte Gewissen in mir aufkeimt. Ganz schnell drücke ich es zurück in die dafür vorgesehene Schublade, schnappe mir meinen Koffer und ziehe ihn hinter mir her durch den schmalen Flur. Ich drücke die Tür zum dritten Schlafzimmer auf und jauchze begeistert.

Es sieht so einladend aus, dass ich meine Sachen direkt neben der Tür ablade und mich auf das weiß bezogene Bett fallenlasse. Die Matratze ist so weich, dass ich am liebsten nie wieder aufstehen würde. Ich vergrabe meine Finger in dem unechten Fell am Bettende und atme tief ein. Es riecht nach Kiefernnadeln und Orangen. Herrlich!

Ich öffne die Augen und sehe mich weiter um. Neben meinem Bett steht ein zweites in der Größe und mit dem gleichen Bezug, den ich Jér später rausgeben werde. Dazwischen befindet sich ein Nachttisch, der aussieht, als wäre er verdammt teuer gewesen.

An einer Wand hängt ein großes Bild von der schneebedeckten Natur Kanadas, an der anderen steht eine lange Kommode, die Platz genug bietet, um all meine Kleidung dort unterzubringen. Nur einen Kleiderschrank, in dem ich ein paar Sachen aufhängen könnte, gibt es nicht.

Seufzend stehe ich auf und nehme meine Gitarre, um sie auf der Kommode in Sicherheit zu bringen. Es ist das erste Mal, dass ich so viel Geld für ein Instrument ausgegeben habe. Da möchte ich nicht, dass es gleich kaputt geht.

Danach hieve ich meinen Koffer auf das Bett und ziehe mein Handy aus der Handtasche, um die Playlist des Monats einzuschalten. Zur Musik von Dermot Kennedy und Ella Eyre räume ich meine Sachen in die Kommode. Als ich bei den Weihnachtsgeschenken angelangt bin, fällt mir auf, dass ich kein Geschenk für Jér habe.

»So ein Mist«, murmle ich und unterdrücke die Wut, die in mir aufsteigen will, weil mich niemand vorgewarnt hat. Gerade Lily, die weiß, was geschehen ist, hätte mir wirklich eine Warnung mit auf den Weg geben können.

Ich reiße die Kopfhörer aus meinen Ohren, werfe das Handy auf das Bett und stapfe aus dem Zimmer, um ihr einen Besuch abzustatten. Ich spüre Jérs Blick auf mir, während ich die Treppe hinaufgehe und nach Lily und Jamie suche. Sie liegen auf dem Kingsize-Bett und rollen auseinander, nachdem ich - ohne zu klopfen - die Tür geöffnet habe.

»Mann, Rose!«, schimpft Lily und fährt sich über die geschwollenen Lippen. Ihre Stimme klingt nasal und lässt mir die Nackenhaare aufstellen. »Kannst du nicht einmal klopfen?«

Ich schließe die Tür hinter mir. »Und kannst du mich nicht einmal vorwarnen?«, entgegne ich sauer.

»Ich wusste ja nicht mal, dass er hier ist.«

Jamie steht auf und macht ein unbeteiligtes Gesicht, während er sich dem Gepäck widmet. Aber ich bin mir sicher, dass er Lily später ausquetschen wird, um zu erfahren, wovon wir reden.

»Ihr hättest es mir sagen sollen«, jammere ich und lasse mich neben Lily aufs Bett fallen. »Ich weiß gar nicht, wie ich die zwei Wochen überstehen soll.«

»Du machst das schon.« Die Furche zwischen Lilys Brauen glättet sich, und sie sieht mich mitleidig an. »Du solltest einfach mit ihm reden. Wenn ihr alles geklärt habt, ist es bestimmt nicht mehr komisch zwischen euch.«

»Reden wir hier gerade von dir und Jérôme?«, erkundigt sich Jamie nun doch.

»Nein«, erwidere ich grimmig. »Lily und ich reden von Jérôme. Du bist von diesem Gespräch ausgeschlossen.«

Er lacht auf und streckt mir die Zunge raus, ich antworte mit meinem Mittelfinger, seufze und stehe wieder auf, um die beiden allein zu lassen.

»Ich werd nicht ihm reden«, erkläre ich an Lily gewandt. »Das kann ich nicht. Er ist gerade erst wieder frei, da hat er sicher andere Sachen im Kopf.«

»Und wenn nicht?«

 

»Wo ist Lilou?« Ich verstecke mein Gesicht zwischen den Händen, nur um sie kurz darauf wieder davon zu lösen. »Da ist Lilou!«

Lilou kichert und deutet mit einem Finger auf mein Gesicht, dabei strampelt sie voller Freude mit den Beinen. Ich wiederhole mein Spiel noch ein paar Mal und werde nicht müde, sie so viel lachen zu sehen. Dann kitzle ich sie, auch wenn sie nicht wirklich kitzelig ist, sondern nur gluckst, weil sie sieht, wie sehr ich mich darüber freue. Wenn sie wirklich kitzelig wäre, würde sie sich viel mehr winden.

Ich hebe sie vorsichtig hoch und presse sie an mich. Sie verströmt diesen unverkennbaren Duft nach Baby und etwas, das mich an Zuhause erinnert. Ihre Händchen vergraben sich in meinem Haar und zupfen an den Strähnen. Ich verziehe das Gesicht, sage aber nichts.

Ich liebe sie viel zu sehr, als dass ich jemals mit ihr schimpfen könnte.

»Ein Baby steht dir wirklich gut«, meint Ash, der beobachtet hat, wie ich mit seiner Tochter spiele.

»Lass mal lieber«, erwidere ich und schiebe den altbekannten Schmerz weit genug fort, um nicht länger darüber nachzudenken. »Es reicht mir schon, wenn ich euren Engel ausleihen darf.«

Er grinst und lehnt sich auf dem Sofa zurück, um die Augen für einen Moment zu schließen. Ich trage Lilou durch die Hütte, um ihr alles zu zeigen. Der Weihnachtsbaum fasziniert sie am meisten. Wir zählen die Kugeln, während sich Jamie, Jér und Cami fertigmachen, um den Fahrdienst anzurufen, der sie zum Parkplatz bringen soll, damit sie anschließend mit dem eigenen Auto Einkaufen fahren können.

Ich bin erleichtert, dass Jér mit ihnen fährt und das Gespräch mit ihm noch für eine Weile aufgeschoben ist. Ihn einfach ignorieren kann ich nämlich nicht besonders gut - das musste ich in der letzten Stunde schon feststellen, weil mein Blick immer wieder auf ihm lag, als würde er mich magisch anziehen …

Allein der Gedanke lässt mich aufschnauben, was Lilou total witzig findet.

Im Gefängnis ist er älter geworden. Die Falte zwischen seinen Augenbrauen war damals noch nicht da, genauso wenig wie die Augenringe. Er sieht erschöpft aus. Was vor allem neu ist, ist der grimmige Zug um seine Lippen. Schon vor zwei Jahren brauchte er eine Weile, um aufzutauen, aber da konnte man wenigstens in seinem Gesicht lesen. Heute habe ich das Gefühl, in ein verschlossenes Buch zu schauen. Eins von der Art, wie man sie in der verbotenen Bibliothek von Hogwarts finden würde.

Ich will gar nicht wissen, was er in den letzten zwei Jahren durchmachen musste.

Lilou strampelt auf meinem Arm und erinnert mich daran, mich wieder um sie zu kümmern, statt ausgiebig die Christbaumkugeln zu betrachten und über Jér nachzugrübeln. Ich wackle mit ihr durch die Hütte, zeige ihr die sternförmige Dekoration an den Fenstern und den sanften Schneefall, der vor ein paar Minuten eingesetzt hat. Irgendwann kommt Lily hinunter und lässt sich neben Ash auf die Couch fallen.

»Liebe Grüße von Dad«, bestellt sie uns. »Ich hab gerade noch mit ihm telefoniert. Er hat immer noch keine Pläne für Weihnachten.«

»Ich dachte, Liz und Toby sind dort?«, frage ich nach und setze mich mit Lilou in einen der beiden großen Sessel.

»Sind sie. Aber auch nur für einen Tag. Den Rest der Zeit …« Lily hebt die Schultern. Ich sehe ihr an, dass sie ein schlechtes Gewissen hat. Eigentlich wollte sie Dad über die Feiertage nicht allein lassen, aber seine Freundin Melanie und er haben sie so lange bequatscht, bis sie schließlich zugestimmt hat, zu verreisen.

»Er kommt schon klar«, meine ich. »Das hat er doch auch geschafft, bevor wir da waren. Außerdem hat er immer noch Melanie.«

Sie seufzt und zieht die Beine an den Körper, bevor sie zu Ash blickt.

»Schläft er?«, fragt Lily leise und betrachtet ihn mit großen Augen, bevor sie eine Hand ausstreckt und ihn vorsichtig anstupst. Er reagiert nicht, sondern schlummert selig weiter.

»Müssen anstrengende vier Wochen gewesen sein.« Jeden Abend woanders aus seinem Buch zu lesen und gleich im Anschluss daran zwei Wochen Urlaub bei Camis Mutter zu machen, stelle ich mir zumindest furchtbar anstrengend vor.

Aber die Lesereise war ein voller Erfolg. Sein Buch ist direkt auf der New York Times Bestsellerliste eingestiegen.

»Ich hab’s immer noch nicht gelesen«, gestehe ich flüsternd. »Schande über mein Haupt. Dabei bin ich so neugierig, über wen er dieses Mal ein Buch geschrieben hat.«

Sein erstes Buch handelt von zwei Schwestern, die sich in einer New Yorker WG wiedergefunden haben, und einem jungen Mann, der irgendwie beide geliebt hat. Im zweiten geht es um einen Autor und seine Lektorin, die unter merkwürdigen Umständen in Irland gelandet sind, um dort den Ring of Kerry entlangzuwandern.

Geschichten, die er direkt aus seinem Leben gegriffen hat.

Lily lacht leise. »Eindeutig Toby und Liz. Die Protagonisten sind dieses Mal deutlich jünger und haben eine Fernbeziehung.«

»Du hast es schon gelesen?« Ich reiße erstaunt die Augen auf. »Du liest doch sonst keine Bücher.«

Sie zuckt mit den Schultern. »Es ist Ashs Buch«, antwortet sie, als würde das alles erklären, und irgendwie tut es das auch. »Und es sind unsere Geschichten.«

»Das stimmt allerdings.« Ich wiege Lilou sanft hin und her. Ihre Augen werden schon ganz schwer, während sich ihre winzige Hand um meinen Zeigefinger schließt. »Wie gut, dass ich mein Exemplar dabei habe. Meinst du, er wird es mir signieren?«

Lily grinst. »Meins hat auch eine Signatur bekommen.«

»Wie unfair!«, beschwere ich mich. »Ich hab Vergiss mich nie direkt am Erscheinungstag gekauft und immer noch keine Signatur.«

»Du musst zu einer Lesung gehen, wenn du es signiert haben willst.«

»Pff«, mache ich belustigt. »Ich hab fast jeden Abend auf Lilou aufgepasst, und das ist nicht mal eine Signatur wert?«

Natürlich weiß ich, dass er mir jederzeit etwas in mein Exemplar schreiben würde, wenn ich ihn darum bäte. Ich hab nur nicht dran gedacht, bevor er auf Lesereise gegangen ist. Also nehme ich mir vor, ihn direkt zu fragen, wenn er wieder wach ist.

Lily und ich quatschen noch eine Weile weiter, doch irgendwann steht sie auf, um sich mit der Küche vertraut zu machen. Bereits im Vorfeld hat sie angekündigt, uns mit viel Liebe zu bekochen und einen Plan für unsere Mahlzeiten gemacht, mit dem jeder glücklich ist. Wenn Lily in der Küche steht, geht niemand hungrig nach Hause. Ich koche zwar auch gerne, aber noch lieber lasse ich mich von ihr bekochen.

Seit sie YouTube für sich entdeckt hat, gibt es für sie keine Fertiggerichte mehr. Selbst Pizzateig macht sie neuerdings immer selbst, obwohl es so guten im Supermarkt zu kaufen gibt. Und da sie oft genug so viel kocht, dass Jamie und sie es nicht allein aufessen können, lädt sie mich ständig zum Abendessen ein.

»Sag mir, wenn ich dir helfen kann, ja?«, bitte ich sie, doch sie winkt ab. Also mache ich es mir ein bisschen bequemer in meinem Sessel und betrachte die mittlerweile schlafende Lilou ausgiebig, während ich mir für einen Moment die Vorstellung erlaube, sie könnte meine Tochter sein.

 

[3]

Vor zwei Jahren

 

»Das ist nicht so, wie es aussieht.«

Oh, Ash. Innerlich schüttle ich den Kopf über so viel Talent, Dinge zum Schlimmeren zu wenden. Er sagt genau die Dinge, die ich sagen würde, um jemanden loszuwerden. Normalerweise würde ich mich entspannt zurücklehnen und das Schauspiel genießen, aber nach all dem Drama in den letzten Tagen bin ich froh, wenn die beiden sich endlich finden und er aufhört, diese Miene zu ziehen.

Ich trete hervor und nehme den großen Kerl neben der Blondine in Augenschein, die mich immer noch verwirrt mustert.

»Also, Jérôme.« Ich lasse seinen Namen über meine Lippen gleiten, koste davon, als wäre er der Nektar einer Blüte … einer Blüte, die himmlisch schmecken könnte, so wie sie aussieht. »Ich schätze, wir sollten die beiden Turteltauben jetzt wirklich allein lassen. Ich bin am Verhungern.«

Seine graublauen Augen blitzen amüsiert auf. Er verschränkt die tätowierten Arme vor der Brust, lässt seinen Blick über meinen Körper gleiten, als hätte er ähnliche Gedanken wie ich.

Ich drehe mich um, um meine Schuhe und den Mantel zu holen, und wackle dabei etwas mehr mit dem Hintern, als ich es normalerweise tun würde. Wenn Ash mir gesagt hätte, dass Camille einen so heißen Bruder hat, hätte ich mir etwas Hübscheres angezogen. Aber seine Aufmerksamkeit habe ich ohnehin schon. Ich kenne diese Art Mann, und ich weiß, dass selbst unter der härtesten Schale ein weicher Kern schlummert. Diese Schale zu knacken - das ist die Art von Spiel, die ich gerne mag.

Ich schlüpfe in meine Sachen und dränge mich an Ash vorbei, der immer noch wie angewurzelt im Türrahmen steht. »Wartet nicht auf uns«, zwitschere ich fröhlich und schiebe meine Hand unter Jérômes Ellbogen, um ihn mit mir durch den Flur zu ziehen. Er ist überrascht von so viel Körpereinsatz, lässt sich aber nicht zweimal bitten. Noch ein Zeichen dafür, dass ihm offensichtlich gefällt, was er sieht. Wusste ich es doch.

»Also, italienisch oder chinesisch?«, frage ich ihn, als wir im Treppenhaus angelangt sind. Er wirft mir einen Blick von der Seite zu und fängt an zu lachen. Seine Augen funkeln, sein Lächeln nimmt mir für einen Moment den Atem. Jackpot, schießt es mir durch den Kopf.

»Französisch«, erwidert er mit dunkler Stimme und einem starken Akzent, der davon zeugt, dass er genauso flüssig französisch wie englisch spricht. Sein verschmitzter Gesichtsausdruck macht seinen Vorschlag zweideutig. In meinem Magen flirrt es aufgeregt. »Du bezahlst.«


[4]

Nachdem die anderen zurückgekehrt sind, kommt Leben in die Hütte. Ash wacht auf und bittet mich, Lilou in ihr Reisebett zu legen und das Babyfon anzustellen, damit sie in Ruhe weiterschlafen kann. Ich bringe das Baby hoch und stelle das Gerät auf den Esstisch, damit wir sie jederzeit hören können. Dann geselle ich mich zu Lily und schneide das Gemüse für das Abendessen klein.