«30. Recklinghäuser Autorennacht 2017«
Herausgeber: NLGR e. V. - Neue Literarische Gesellschaft Recklinghausen e. V.
www.nlgr.de, www.autorennacht.de
© 2017 der vorliegenden Ausgabe: NLGR e. V.
© 2017 Die Rechte liegen bei den jeweiligen Autorinnen und Autoren
Alle Rechte vorbehalten.
Satz und Umschlag: NLGR e. V. (Ralf Kropla)
Foto Umschlag: NLGR e. V. (Ralf Kropla)
Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 9783746071442
Liebe Leserin, lieber Leser,
hiermit halten Sie die zehn Beiträge in Händen, die es beim Schreibwettbewerb zur Vestischen Literatur-Eule 2017 in die Endrunde geschafft haben. Wir gratulieren den Autorinnen und Autoren an dieser Stelle schon einmal sehr herzlich zu diesem Erfolg!
Auch in diesem Jahr haben wir den Wettbewerb für Autorinnen und Autoren aus dem gesamten Ruhrgebiet geöffnet.
Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Textbandes standen nur diejenigen Kurzgeschichten oder Gedichte fest, die am 18. November in der Altstadtschmiede in Recklinghausen vorgelesen werden, nicht aber, welche Autorin bzw. welcher Autor am Ende der Autorennacht den Jurypreis erhalten wird. Der Jurypreis, ein Eulenmotiv der Künstlerin Judith Hupel, wird bei der Veranstaltung überreicht, die wieder von der Neuen Literarischen Gesellschaft Recklinghausen gemeinsam mit der Altstadtschmiede Recklinghausen organisiert und durchgeführt wird.
Neben dem Jurypreis, der am Ende der Veranstaltung verliehen wird, wird es – wie in den Vorjahren – auch einen Publikumspreis geben.
Die Preisträger des Jurypreises waren in den vergangenen Jahren: Gabriele Schnettler (2001) / Klaus Dittmar (2002) / Wilfried Besser (2003) / Mirko Kussin (2004) / Hubert Lohrmann (2005) / Klaus Dittmar (2006, erneut) / Andrea Rohmert (2007) / Ulrich Dittmar (2008) / Mirko Kussin (2009, erneut) / Natascha Eschweiler (2010) / Sylvia Seelert (2011) / Volker Köhn (2012) / Norbert Kühne (2013) / Wilfried Besser (2014, erneut) / Holger Pannenbäcker (2015) / Andrea Rohmert (2016).
Wir möchten folgenden Personen ganz herzlich danken:
Ich wünsche Ihnen – ebenso wie meine Kolleginnen und Kollegen der Neuen Literarischen Gesellschaft Recklinghausen – viel Spaß beim Lesen dieses Buches!
Herzliche Grüße,
Stephan Schröder
(Vorsitzender der NLGR)
Das aktuelle Veranstaltungsprogramm der NLGR finden Sie unter www.nlgr.de.
Das Hotel hatte kein Restaurant, das hätte sich nicht gelohnt. Wir hatten die Bar und einen Sandwichtoaster. Und mich. Ich stand fünf von sieben Abenden hinter der abgewetzten Theke aus Holzimitat. Wenn ich frei hatte, hatte die Bar geschlossen. Sandwiches liefen nicht so gut, Whiskey ging besser.
Natürlich hätte Danny die paar Gäste versorgen können. Wenigstens an den Abenden, an denen ich nicht da war. Machte sie aber nicht. »Ich weiß doch gar nicht, wo was steht«, sagte sie und lächelt ihr ›Entschuldige, ‹Ich bin nicht so helle›-Lächeln, das ihre perfekt geweißten Zähne zeigte. Ich bekam immer ein wenig Angst, wenn sie das machte. Sie hatte richtige Raubtierzähne.
Ich arbeitete seit über dreißig Jahren in dem Hotel. Abend für Abend schenkte ich Bier und Schnaps aus. Wenn ich das Bekannten erzählte, erntete ich meist ein ungläubiges »Wie lange« und einen Mitleidsspruch. Dabei machte ich meinen Job gerne, und ich glaube, auch ganz gut. Sonst hätte mich Alex − das ist mein Chef − schon längst rausgeschmissen. »Dich kann ich nicht feuern, Samuel«, hat er einmal gesagt, »Du bist doch mit der Bar verwachsen«, und da ist was dran. Ich habe eine Menge Gespräche geführt, in all den Jahren, und meine Fremdsprachenkenntnisse aufgefrischt. Ich spreche heute leidlich Englisch, ein wenig Russisch und sogar ein bisschen Spanisch - wobei ich mir da nicht so ganz sicher bin, denn die Spanier, die mir das beibrachten, waren zu dem Zeitpunkt bereits tierisch betrunken. War mir langweilig, hatte ich ja immer noch Jim und Johnny und Herrn Jameson, die mir Gesellschaft leisteten.
Die Bar lief gut, aber das lag nicht an mir. Es gab sonst wenig Unterhaltung im Hotel. Alex sagte, er habe Ende der 80er Fernseher auf den Zimmern installieren lassen, aber als eine norwegische Delegation einmal das ganze Hotel buchte und nach drei Tagen wieder abreiste, war über die Hälfte der Geräte zertrümmert. Muss ein sehr frustrierendes Meeting gewesen sein. Seither gab es keine Fernseher mehr. Das hielte die Zimmerpreise schön niedrig, sagte Alex.
Danny, die eigentlich Daniela hieß, aber nach Amerika auswandern wollte und sich darum für eine englische Variante ihres Namens entschieden hatte, meinte, das sei die falsche Entscheidung. Man müsse mit der Zeit gehen, meinte sie und sich die Nägel lackieren. Pink. Die hätte bestimmt lieber in so einem Nobelschuppen gearbeitet, ‹Hilton› oder ‹Steigenberger›. Aber da würde sie es nicht packen. Die hatte ja noch nicht mal eine Ausbildung. Vielleicht hatte sie in dem Punkt recht. Zwar wurde die Fassade des Hotels vor einigen Jahren mal renoviert, innen jedoch sah es noch immer so aus wie vor dreißig Jahren. Ich fand‘s gemütlich, aber die Gäste an der Bar wurden zuletzt immer schräger.
Meine Schicht begann um fünf, da war Danny schon seit drei Stunden hinter ihrem Tresen. Ihre Vorgängerin hieß Anna-Maria und war eine wahre Wucht. Erst vor zwei Monaten ist sie in Rente gegangen.
Danny war jung, viel zu jung für den Job. Sie hatte große Brüste, die sie überraschend offenherzig präsentierte. Ich ertrug den Anblick oft nur mit dem einen oder anderen Schnaps. Der Empfang befand sich gegenüber der Theke. Unsere Lobby war recht breit, morgens frühstückten die Gäste dort, abends genehmigten sie sich an den Tischen ihre Drinks. Also sah ich Danny jeden Tag, wenn ich mir auch die Brille dazu aufsetzen musste, sonst waren ihre Konturen verschwommen. Sie hatte mir mal bei einer Zigarette erzählt, sie wolle nach Amerika, um Schauspielerin zu werden. Hollywood. Ich fragte sie, warum sie dann in diesem Hotel in Berlin arbeite, da zuckte sie nur mit den Schultern und meinte, sie müsste erst noch warten, »etwas erledigen«. Die wollte sich doch nur wichtig machen.
Es ist nicht viel passiert, was auch an Danny lag. Ich habe selten eine so faule Person gesehen. Die surfte im Netz, wenn nichts los war, las Klatschzeitschriften und kontrollierte ständig in einem kleinen rosa Taschenspiegel das Make-up. An manchen Tagen fand ich das ziemlich heiß, an anderen übertrieb sie. Manchmal fragte ich mich, wo Alex die aufgegabelt hatte. Einmal hat sie den Zimmerschlüssel von zwei Gästen verwechselt, das gab Ärger! Und wenn ein Handwerker kam, wusste sie grundsätzlich nicht, was der machen sollte und wo. Dabei stand das doch alles im PC! Manchmal blieb sie stundenlang verschwunden und keiner wusste, wo sie war. Hing vermutlich in irgendwelchen Beauty-Salons rum. Den Job könnte ich viel besser. Aber ich mochte meine Bar, und da blieb ich auch.
Letztens war übrigens jemand da, der wollte meinen Job. Echt! Der war auch noch ziemlich jung, vielleicht ein wenig älter als Danny, und hat mich gefragt, ob er nicht bei mir lernen könnte. »Nee Jüngchen«, hab ich gesagt, »das hier ist nichts für Dich. Hier arbeiten nur erfahrene Kräfte. Den Job kann nicht jeder machen.« Da ist er wieder abgehauen. Richtig traurig hat der ausgesehen. Hat mir fast ein bisschen leid getan.
Gäste kamen in letzter Zeit nicht mehr viele. Wurde immer leerer, abends vor der Bar. Fast hatte ich den Eindruck, dass Danny dahintersteckte. Die schluderte mit den Reservierungen. Schaute zu viel auf Ihre Nägel und zu wenig in die Anmeldungen. Vielleicht lag es auch daran, dass unsere Bewertungen im Netz immer schlechter wurden. Ich hatte Alex schon mal vorsichtig drauf angesprochen, dass man vielleicht mal ein bisschen was investieren könnte, um die Geschäfte anzukurbeln, aber davon wollte der nichts wissen. Danny hab ich nachher natürlich trotzdem davon erzählt. Aber die hat nur mit den Schultern gezuckt und gesagt: «Is mir doch egal.« Die glaubte immer noch an die Hollywood-Nummer. Habe versucht, ihr das auszureden, aber die hat nur gemeint »Ist schon gut, Opa«, und mir auf die Schulter geklopft.