Für Siegfried

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2018 Ingeborg Bauer

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9-78375286420-5

“Man spricht immer davon, sich der Natur hinzugeben. Aber es gibt auch so etwas wie sich dem Bild hinzugeben.“

Pierre Bonnard

INNENRÄUME – INNERE RÄUME - LEBENSRÄUME

Interieurs in der Malerei in Nord und Süd

Dass sich in einem Bild der Künstler auch selbst darstellt, ist im weitesten Sinne einleuchtend. Es trifft in besonderem Maße auf Maler zu, die Innenräume zur Darstellung bringen, Innenräume, die oft auch einen unterschiedlich gestalteten Bezug zum Außen haben. Zudem spricht der Raum stets vom Menschen, der sich in ihm aufhält oder auch abwesend ist, was den Maler selbst einschließt. Das kann so weit gehen, dass Person und Raum eins werden, sich zum Lebensraum im engeren Sinne entwickeln. Auch mehrere Personen können miteinander kommunizieren oder sich einem Dialog verweigern. Es handelt sich nicht um ein Entblößen, auch dann nicht, wenn zum Beispiel Bonnard sein Modell, Marthe, nackt im Bade darstellt. Das Intime, Private bleibt gewahrt. Es bleibt stets etwas Unausgesprochenes.

Aber auch in der realen Welt verbindet sich der äußere Raum mit dem Lebensgefühl des Künstlers. So schreibt der portugiesische Dichter Fernando Pessoa über die lange unterbrochene Linie der stillen Kais in Lissabon, dass sie ihn mit ihrer Schwermut trösten, „wenn ich mich an diesen Abenden in ihr Labyrinth der Einsamkeit begebe … Und gehe ich dort, bis es dunkel wird, begleitet mich ein Lebensgefühl, ähnlich dem dieser Straßen.“

Innenraum bei den Anchers

Inhalt:

Räume - Lebensräume

Geschlossene und offene Räume

innere Räume

Lebensräume

Geschlossene Räume,

verschlossene Räume,

die einen lassen sich öffnen

die andern sind absichtlich

nicht zugänglich.

Geschlossene Räume bieten

Schutz, Privatsphäre.

Verschlossene Räume geben Rätsel auf,

machen Angst.

Über innere Räume verfüge ich,

ob ich sie teilweise öffne oder mich in ihnen

abschotte,

das ist meine Entscheidung.

Räume auf Bildern

Fiktive, erahnte Räume,

konkrete Räume,

erinnerte Räume,

Gedächtnisräume.

Räume auf Bildern und reale Räume:

Räume im Norden (Dänemark)

Räume im Süden (Côte d’Azur)

Räume jenseits des Atlantiks

Innenräume – gemalte Innenräume und fremde Innenräume, die sich nur erahnen lassen.

Der Innenraum des Menschen - die inneren Räume betreten, indem man die real bewohnten Räume betritt. Den Versuch wagen und sich damit fremde Lebensräume erschließen. Und dabei Rilkes Einwand bedenken: in meinem Haus muss man geboren sein.

Die Innenhaut wird zunächst wahrgenommen wie die weiße, roh verputzte Wand eines unvollendeten Baus, völlig leer, ohne Ansatzpunkte, die der Orientierung auf die Sprünge helfen könnten, ohne Zeichen, die das Auge zu lesen vermöchte.

Doch spiegelt sich das Innen dem geduldig Lauschenden und wird in der äußeren Form vom Betrachter verinnerlicht. Es kommt zur Kommunikation, zum Gespräch, zum Dialog mit dem bildimmanenten Innenraum. Geschichten spielen in den Zwischenräumen, sind vorstellbar, deuten sich an oder bleiben geheimnisvoll verborgen.

Räume als solche.

Räume auf Bildern.

Innen und Außen.

Die Innenhaut repräsentiert die Seele, das Erlebte, Erfahrene, das sich durch Farbe und Form mitteilt, sich als Atmosphäre darstellt und so gewissermaßen nach außen gestülpt erscheint, zur Außenhaut wird.

Räume als Stillleben.

Auch Stille kann beredt sein.

Räume, deren Menschenleere dennoch

von Menschen spricht, die in diesen Räumen leben,

gelebt haben.

Räume, die zu Empfindungen werden.

Die Intimität, das Private, das sich (freilich) im Unbestimmten mitteilt, verschlüsselt, verborgen und doch in Farbe und Form ausdrückt, in Harmonie und in Kontrasten, durchaus auch widersprüchlich. Anmutung und Berührung, Eingehen in die Erfahrungswelt des Betrachters, die sich nicht zuletzt auch aus dessen Leben speist.

Künstlerkolonie Skagen

Beginnen wir mit der Familie Hirschsprung, einer Fabrikantenfamilie, deren Oberhaupt zum Kunstmäzen in Kopenhagen wird.

Familie Hirschsprung

Peder Severin Krøyer,
Bildnis der Familie Hirschsprung, 1881

Heinrich Hirschsprung war deutsch-jüdischer Abstammung. Sein Vater war nach Kopenhagen gezogen und hatte dort eine Tabakfabrik eröffnet, die seine Söhne, vor allem Heinrich, erfolgreich weiterführten. Im Jahr 1866 kaufte Heinrich Hirschsprung sein erstes Gemälde. Ab 1872 begann er konsequent Kunst zu sammeln. Zunächst ist er auf die Maler des Goldenen Zeitalters der dänischen Kunst vom Beginn des 19. Jahrhunderts (1820er bis 1840er Jahre) fokussiert, des Goldenen Zeitalters um Christoffer Wilhelm Eckersberg, wo die Maler noch durchweg einen biedermeierlichen Blick auf die Welt werfen, wenn auch bei Eckersberg selbst sich schon Zeichen einer Loslösung vom rein ideal-realistischen Genre bemerkbar machen.

So finden sich symbolistische Ansätze in dem Gemälde „Ein Seemann, seine Freundin verabschiedend“ (1846). In der nicht-realen Darstellung der Schatten, die die beiden Figuren an die Wand werfen, wird die bevorstehende Trennung thematisiert. Dieses Spiel mit den Schatten verweist in seinen surrealistischen Zügen schon ein wenig auf Magritte, führt vielleicht auch schon zu den Lichteinfällen und damit zu den Schattenwürfen in den Bildern der nächsten Malergeneration.

Der Einfluss internationaler, vor allem französischer Kunst begann sich damals auch in Dänemark zu regen. Und Hirschsprung unterstützte diese Richtung, auch indem er junge Künstler förderte, darunter vor allem Peder Severin Krøyer, der Zeit seines Lebens in enger Verbindung zu der Familie seines Gönners stand. 1881 entstand sein „Bildnis der Familie Hirschsprung“, das deutlich seine Bekanntschaft mit den französischen Malern zeigt. Hier erinnern der pastose Farbauftrag und die Reflexe des Sonnenlichts auf dem Tisch und den Fliesen des Balkons wohl am ehesten an Manet. Vorbei sind die Inszenierungen, die die soziale Stellung in den Vordergrund heben. Krøyer malt die Familie scheinbar zufällig um den Kaffeetisch versammelt auf dem Balkon ihres Feriendomizils. Dennoch handelt es sich um eine bewusst gestaltete Komposition, die eine klare Trennung der Geschlechter vornimmt, wie sie der Tradition entspricht. Während Vater und Söhne in der Nähe der Balkonbrüstung mit der Zeitung, einem Skizzenblock des Malers und dem Geschehen jenseits der Brüstung befasst sind, sitzen Mutter und Tochter auf der Seite der Hauswand, mit Handarbeiten beschäftigt. Krøyer wird Lehrer von Vilhelm Hammershøi an der Freien Künstlerschule in Kopenhagen. Krøyer wird später in Skagen ganz andere, stärker am Impressionismus und seiner Farbpalette orientierte Bilder malen.

In welchem Ambiente lebte das wohlhabende Bürgertum damals? Räume der Familie Hirschsprung in der Bredgade 45 beeindrucken auf Fotos schon allein durch ihre Höhe. Bilder ersetzen in ihrer dichten Hängung geradezu jegliche Tapeten- oder sonstige Wandgestaltung. Durchgänge sind durch stark ornamentierte Vorhänge gestaltet. Schwere gemusterte Polstermöbel, solide Kommoden, Stühle im Stil des Empire, prächtige Kandelaber und ein gefliester Boden vermitteln Würde, aber auch Schwere. Ein solcher Salon in der Bel Étage will soziales Prestige vermitteln. Obwohl die Hammershøis ähnliche Häuser bewohnen, vermitteln die karg möblierten, geradezu leeren Räume seiner Bilder eine völlig andere Botschaft. Es ist die Zeit, in der Sigmund Freud sich der Psyche des Menschen widmet. 1900 veröffentlicht er „Die Traumdeutung“.

Der Genremaler Martinus Rørby (1804-1848), ein Maler des Goldenen Zeitalters kam als erster nach Skagen. Er machte kleine Zeichnungen und Skizzen, die er im Atelier in Kopenhagen als Vorlagen zu für die Zeit typischen Gemälden benutzte. Schon der Titel weist darauf hin, dass er eine Idylle darstellt: „Männer aus Skagen an einem Sommerabend bei gutem Wetter“. Doch war zu der Zeit die Nordspitze Jütlands nur sehr beschwerlich erreichbar. Erst als 1870 eine Eisenbahnlinie zwischen Hjørring und Frederikshavn eröffnet wurde, änderte sich das. Von dort brachte eine Postkutsche den Besucher nach Skagen, was von einem andern Gast der ersten Jahre, Carl Locher, in einem Gemälde bezeugt wird: „Der Postwagen“ (1885). Der Dichter und Marinemaler Holger Drachmann kam im Frühjahr 1872. Zwei Jahre später erschien der auf Bornholm geborene Michael Ancher. Ein Jahr später wurde er von Viggo Johansen (1851-1935) und Laurits Tuxen (1853-1927) begleitet. Damals hatte Skagen etwa 2000 Einwohner. Wenn die Künstler nach Skagen kamen, wohnten sie in Brøndums Gård. Die Wirtsleute Erik und Ane Hedvig Brøndum hatten Unterstützung von sechs fast erwachsenen Kindern. Es war ein Vierseithof mit Laden und Schankstube, die Peder Severin Krøyer auf berühmt gewordenen Ölbildern festgehalten hat.

In vielen Bildern der Maler der Kolonie lässt sich eine Unmittelbarkeit der Darstellung beobachten. Inszenierte Augenblicke werden festgehalten durch den flüchtigen Effekt des Lichts, das durch Fenster in Räume dringt. Räume sind aufgeschnittene Quader, in denen Menschen ihre Spuren hinterlassen. Außen- und Innenraum verschränken sich durch Schwellen. Türen und Fenster schaffen Übergänge. Gegenstände treten miteinander in Beziehung. Der Raumeindruck entsteht durch ein Sichtbarmachen der Linien, die sich aus dem Aufeinandertreffen von Wand- und Bodenflächen ergeben. Oder aber die Grenze zwischen Boden und Wand wird verschliffen, dann tritt die Raumillusion zurück hinter der Farbe, den Lichtreflexen. Aber auch durch den Abstand von Mobiliar zueinander, von Tisch und Stuhl zum Beispiel, konstituiert sich Raum.

Anna Ancher (1859-1935)

Anna Anchers Geschichte beginnt wie ein Märchen. Am 17. August 1859 besucht der dänische Märchenerzähler Hans Christian Andersen Skagen. Er steigt ab in Brøndums Gasthaus, das damals das einzige war am Ort. Und es ging dort recht einfach zu. Die Wirtin Ana Hedvig Brøndum, obwohl hochschwanger, bediente den prominenten Gast selber, was wohl Wehen auslöste. Jedenfalls wurde ihre Tochter Anna am darauffolgenden Morgen geboren. Die Anwesenheit Andersens betrachtete sie als gutes Omen und glaubte von Anfang an, dass diese Tochter etwas ganz Besonderes sein würde, in welcher Hinsicht freilich, wusste sie nicht.

Andersen war es auch, der andere Künstler dazu animierte, nach Skagen zu kommen, an diesen Ort, an dem die Wellen von Nord- und Ostsee so spektakulär aufeinander treffen. Spätestens ab Ende der 1870er Jahre und bis zur Jahrhundertwende war Skagen Treffpunkt skandinavischer Künstler, die inspiriert waren von der Darstellung des Lebens einfacher Leute und der Freiluftmalerei des Impressionismus, die auf der Suche nach Orten mit geeigneten Motiven waren. Das Leben der Fischer, aber auch die eigene Häuslichkeit boten solche Anregungen.

Auch wenn Anna erst ein Schulkind war, als die ersten Maler nach Skagen kamen, war sie doch hellwach und versuchte selbst zu zeichnen. Sie war offenbar talentiert. Und so durfte Anna, als ihre beiden älteren Schwestern im Winter 1875/76 in Kopenhagen die Hauswirtschaftsschule besuchten, sich dort in einer privaten Malschule für Frauen einschreiben. Dem weiblichen Geschlecht war die Kunstakademie damals verwehrt. Später ging sie auch nach Paris, wo sie den Impressionisten und ihren Bildern begegnet sein muss. Doch findet sie ihren eigen Weg, das Licht ins Zentrum zu stellen. Ihr Thema sind Frauen im Alltag. Doch scheint die Zeit stehen zu bleiben in ihren Bildern. Das im Vorhang gefangene, durch einen Türspalt oder ein Fenster hereinströmende Sonnenlicht und das zarte Spiel der Farben werden zu den eigentlichen Protagonisten ihrer Darstellung. So hat ein Märchenerzähler, wie noch zu auszuführen sein wird, den Beginn eines glücklichen Märchens bewirkt, das wohl weitgehend vom Schmerz und Leid seiner sonstigen Geschichten verschont bleibt.

Michael Ancher (1849-1927)

Der junge Maler kommt 1874, wie schon erwähnt, zum ersten Mal nach Skagen. Er war Schüler an der Kunstakademie in Kopenhagen, bestand allerdings das Abschlussexamen nicht. Dort war man bei den Idealen des Goldenen Zeitalters stehen geblieben und hatte die Entwicklung, die sich in Paris und anderswo anbahnte, regelrecht verschlafen. Und er war nicht der einzige. Auch Viggo Johansen und Karl Madsen hatten dieses Schicksal. Paris war zur Kunsthauptstadt Europas geworden. 1874 stellt Claude Monet sein Gemälde „Impression, Soleil Levant“ in Paris aus, das dem Impressionismus seinen Namen verleiht. Und damit tritt eine neue Stilrichtung ihren Siegeszug an. In Skagen sind die jungen Künstler weit weg von der etablierten Kunstszene in der Hauptstadt Kopenhagen und können ihre eigenen Vorstellungen diskutieren und damit experimentieren. Man reist nach Paris und knüpft neue Kontakte. Man entdeckt das ganz spezielle Licht dieser nördlichsten Küste Dänemarks.

Schon im ersten Sommer in Skagen entsteht eine Freundschaft zwischen der jungen Anna Brøndum und Michael Ancher. 1880 heiraten drei Paare. Kusinen von Anna heiraten Karl Madsen und Viggo Johansen, und Anna verbindet sich mit Michael Ancher. Das Paar wohnt zunächst in dem zum Gasthof gehörenden Gartenhaus, zieht aber nach der Geburt der Tochter Helga 1883 in das Haus im Markvej. Das Paar wird bald zum Mittelpunkt der Künstlerkolonie. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hat sich Skagen als Treffpunkt der Künstler Skandinaviens etabliert.

Peder Severin Krøyer,
Porträt des Malers Michael Ancher, 1894

Ein Dreiviertelporträt des Kollegen und Freundes zeigt diesen als selbstbestimmten Künstler und verlässlichen Menschen. Auch auf späteren Bildern hat dieser Däne etwas bodenständig Solides. Er weiß genau, was er will, und die Notwendigkeit, sich mit seiner Arbeit zurückziehen zu können, teilt er mit seiner Frau.

Michael Ancher, Porträt meiner Frau. Die Malerin Anna Ancher, 1884

Ein Bildnis in lebensgroßem Format. Anna Ancher steht in im Profil mit Blick in den Außenraum. Es ist ein durchkomponierter kleiner Raumwinkel mit einer warmen hellmodulierten Wand, dem ein freundlich durchlichtetes Außen entspricht. Auf der Schwelle steht ein Hund, der zu ihr aufblickt. Hunde stehen für Treue.

Peder Severin Krøyer,
Porträt des Malers Michael Ancher, 1894

Michael Ancher, Porträt meiner Frau. Die Malerin Anna Ancher, 1884

Hinter dem grün gehaltenen Türrahmen ist ein Streifen von Garten und Himmel sichtbar. Mit dem gewählten Bildformat gibt er seiner Frau, die sich auch als Schwangere nicht zurückzieht, Würde. Man darf dieses Bild wohl als damals ungewöhnliches Beispiel der Gleichberechtigung zwischen Partnern verstehen, und es erregte Anstoß. Man denke an Paula Modersohn-Beckers Darstellung als Schwangere mit entblößtem Oberkörper – obwohl sie zu dem Zeitpunkt gar nicht schwanger war. Auch für Paula Modersohn-Becker hat sich ihr Künstlersein nicht ohne Probleme gestaltet. Ähnliches gilt für Clara Rilke-Westhoff.

Für andere Malerinnen, wie Marie Triepke, die Ehefrau von Peder Severin Krøyer, bedeutete die Ehe mit einem Maler im Grunde das Ende ihres eigenen Schaffens.

Anna Ancher

Anna Ancher arbeitet am liebsten allein, im Stillen, ohne dass ihr dabei jemand zuschaut. Sie ist nicht von Konventionen belastet und so offen für die Moderne. Sie hat Anregungen der zugereisten Künstler aufgenommen und deren Malweise studiert und für sich verarbeitet. Besonders Christian Krogh und Peder Severin Krøyer haben sie beeinflusst. Beim ersteren sind es die starken Farben, die sie beeindrucken, von Krøyer übernimmt sie die Wirkung des Lichts auf Raum und Gegenstände. Ihr Aufenthalt während der Weltausstellung in Paris 1889 bestätigt Anna Ancher darin, dass es nicht auf die Inhalte ankommt, sondern dass die Motive in erster Linie von den Farben und dem Licht getragen werden. Es ist eine zarte, in sich gekehrte Malerei, mit der sie überzeugt. Sie malt Frauen in häuslicher Umgebung, wie sie gedankenversunken dasitzen oder einer alltäglichen Beschäftigung nachgehen, die aber als solche nicht allzu wichtig ist. Die Zeit scheint still zu stehen in ihren Bildern. Der junge schwedische Maler Oscar Björck (1860-1929) gibt in einem Brief das folgende Urteil ab: „Meine große Bewunderung galt Anna Ancher, sowohl als Person als auch als Künstlerin – sie war wie ein Sonnenschein und in ihren Gemälden gab es etwas, das niemand von uns in diesem Maße besaß, eine stille Hingabe an ihre Aufgabe und ein Kolorit, das so gesättigt und saftig war, dass man es wie eine reife Frucht genießen konnte.“

Anna Ancher, Sonnenschein in der blauen Stube, 1991

Das Bild „Sonnenschein im blauen Zimmer“ wird durch Blautöne bestimmt, die durch Goldtöne gesteigert werden. Anna Ancher ist eine Malerin des Lichts und der Farbe. Lichteffekte auf intensivem Blau, Goldtöne auf dem Haar der häkelnden Tochter, auf dem Teppich. Die Künstlerin liebt gedämpfte Stimmungen, das Licht des späten Nachmittags, ein weiches Licht aus sanften Farben, die ein harmonisches Ganzes aus liebevollen Details entwickeln. Dieses Bild kommt einer Meditation gleich, die sie in ihre geliebte häusliche Umgebung legt. So werden das im Vorhang gefangene oder durch einen Türspalt hereinströmende Sonnenlicht und das zarte Spiel der Farben zu den eigentlichen Protagonisten der Darstellung. Es ist das Zimmer von Annas Mutter Ana Hedvig Brøndum, das Anna und Michael Ancher für Gemälde nutzen. Das Licht fällt durch das rechts angeschnittene Fenster, und die auf dem Fenstersims stehende Pflanze wirft einen Schatten auf die blaue Wand. Ein Lichtstreifen durchkreuzt den gestreiften, blau und gelb getönten Teppich und beleuchtet das Wollknäuel von Helgas Häkelarbeit. Das Mädchen sitzt auf der Kante des Stuhls in der Nähe des Fensters, so dass ihr goldblondes Haar, ihr Nacken, Teile der blauen Schürze und die Hände mit der Handarbeit betont werden. Helgas Köpfchen führt über den Schattenwurf der Pflanze hinauf zu einem Bild einer Frau, die wohl Maria darstellt, die Mutter Jesu, und die nun den Blick schützend auf die kleine Tochter wirft.

Anna Ancher, Sonnenschein in der blauen Stube, 1991

Kleine Gegenstände spielen eine Rolle, wie auf einem anderen Bild eine Teekanne, die im goldenen Licht zu schwimmen scheint, das Detail einer Vase. Sie arbeitet oft im blauen Zimmer ihrer Mutter, hilft aber auch im Hotel. In ihrer Bescheidenheit ist sie dennoch der Mittelpunkt der Kolonie, auch unter den Frauen. Sie besaß offenbar natürliches Selbstvertrauen, und sie konnte ohne jegliche Arroganz die Leistung anderer anerkennen. Und dann ist da noch die Partnerschaft mit ihrem Mann Michael.

Anna und Michael Ancher, Beim Betrachten des Tagwerks, 1883 (17)

Es gibt ein Bild, wo die beiden vor einem Gemälde am Abend beieinandersitzen, Michael aufrecht in einem