Inhalt

Einleitung

Der deutsche Adel und die Nationalsozialisten trafen sich in einem Punkt: in ihrem Antisemitismus. Schon 1920 hatte die Deutsche Adelsgenossenschaft einen internen „Arierparagraphen“ eingeführt, der – ganz gemäß der Stammes-Ideologie der Nazis – weit zurückreichte: Mitglied im „Eisernen Buch des deutschen Adels deutscher Art (EDDA) konnte nur sein, wer „arische“ Vorfahren bis 1800 nachwies.

Denn Juden, das waren für den Adel Repräsentanten der Moderne, und damit wollte diese monarchistisch gesinnte Kaste nichts zu schaffen haben. Zudem war der Adel seit dem verlorenen Ersten Weltkrieg und dem Ende der Monarchie – samt der als „Schmach“ gedeuteten Flucht Kaiser Wilhelms II. – ohnehin geschockt und suchte nach neuen ideologischen Ankern.

Wenig überraschend also, dass vor allem junge Adlige bei völkisch Rechtsnationalen, später bei den Nationalsozialisten ihre politische Heimat fanden. Und auch wenn die meisten Familien ihre Archive bis heute unter Verschluss halten: Fakt ist, dass schon 1930 Adlige massiv für die NSDAP warben. August Wilhelm Prinz von Preußen etwa agitierte im Bierzelt für Hitler, Prinz Max Egon zu Hohenlohe-Langenburg spann internationale Fäden nach Westeuropa; die Mussolini-Kontakte organisierte Prinz Philipp von Hessen.

Es gab im preußischen Adel „praktisch keine der berühmten Familien, die nicht dabei war“, sagt Historiker Stephan Malinowski, Verfasser des Bandes „Vom König zum Führer“. Und eine der Ursachen sei in der Tat der Status- und Machtverlust nach 1918 gewesen, sagt Historikerin Karina Urbach, die das Buch „Hitlers heimliche Helfer“ schrieb. Die Erfahrung der Revolution und die Angst vor einer Bolschewisierung Europas hätten zu einem Umdenken im Adel geführt, sagt Urbach. „Autoritäre Regime werden plötzlich attraktiv.“

Das äußert sich auch in Zahlen: Allein 70 Mitglieder des Hochadels traten schon vor 1933 in die NSDAP ein; bis 1941 waren es schon 270. Der Kleinadel tat es ihnen gleich: Aus 350 stichprobenartig untersuchten Familien traten laut Malinowski fast 3.600 Adlige der NSDAP bei, darunter allein 43 Bismarcks und 41 Schulenburgs. Und jeder vierte von ihnen vor 1933.

Hinter all dem stand die – irrige – Idee, das anfangs belächelte plebejische „Parvenü“-Regime für eigene Interessen zu nutzen: Der Adel spekulierte nicht nur auf Land, das Hitler im Zuge des Angriffskrieges in Osteuropa erobern wollte. Das NS-Regime bot auch Karrieremöglichkeiten in Diplomatie und Militär; die Anzahl der adligen Offiziere etwa stieg zwischen 1933 und 1935 von 900 auf 2.300. Und in der berüchtigten Totenkopf-SS waren 1938 rund 18 Prozent der Obergruppenführer adlig. „Dazu kamen Karrierechancen infolge politischer Säuberungen im höheren Verwaltungsdienst und der Diplomatie“, sagt Malinowski. Damit habe die Mehrzahl der Adligen das NS-Regime gestützt.

Dabei leugnet der Historiker nicht, dass es auch ehrenwerte adlige Demokraten gab – wie die Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944 um Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Das gescheiterte Attentat sei im Wortsinn ein „Aufstand des schlechten Gewissens“ gewesen.

„Ohne Adel hätte es keinen 20. Juli 1944 geben“, sagt Malinowski. Aber eben auch nicht Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933.

(Quelle: http://www.taz.de/!5359327/)

Karl Ritter von Halt

* 2. Juni 1891 in München

† 5. August 1964 ebenda

Karl Ferdinand Halt, war ein deut scher Sportfunktionär im nationalso zialistischen Deutschen Reich und in der Bundesrepublik.

Halt war der Sohn des aus Württemberg stammenden Münchener Schlossermeisters Karl Halt und dessen Ehefrau Katharina, geborene Gaab. Nachdem er die Luitpold-Oberrealschule München absolviert hatte, fand Halt 1908 eine Anstellung bei der Depositenkasse der Deutschen Bank. Nebenbei studierte er an der Universität München und promovierte zum Doktor der Staatswissenschaften (Dr. rer. pol.).

Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete er sich am 3. August 1914 als Freiwilliger in das Infanterie-Leib-Regiment der Bayerischen Armee. In der Zwölften Isonzoschlacht nahm er mit der von ihm geführten Kompanie am 27. Oktober 1917 den Monte Madlessena ein. Dafür erhielt er später das Ritterkreuz des Militär-Max-Joseph-Ordens. Mit der Verleihung war die Erhebung in den persönlichen Adelstand verbunden; er durfte sich nach der Eintragung in die Adelsmatrikel Ritter von Halt nennen. Als Leutnant der Reserve und Führer der 3. Kompanie wurde Halt in der Schlacht von Épehy zum insgesamt fünften Mal während des Krieges verwundet und geriet dabei in englische Kriegsgefangenschaft. Nach Kriegsende wurde er aus dieser am 18. November 1918 entlassen und schied kurz darauf nach seiner Rückkehr nach München aus dem Militärdienst.

Ab 1923 war Halt beim Bankhaus H. Aufhäuser in München beschäftigt und wurde dort im selben Jahr Generalbevollmächtigter. 1936 wurde er Direktor bei der Deutschen Bank und war ab 1938 das für den Personalbereich verantwortliche Vorstandsmitglied. Zusätzlich hatte er das Amt des „Betriebsführers“ inne.

Als mehrfacher deutscher Zehnkampfmeister – er nahm wie Avery Brundage an den V. Olympischen Spielen 1912 in Stockholm im Fünfkampf (nach drei Wettbewerben ausgeschieden) und im Zehnkampf (Platz 8) teil – wurde er 1931 Vorsitzender des Sportbundes für Leichtathletik und als Nachfolger von Franz Lang kommissarischer Präsident der International Amateur Handball Federation (ab 1934 gewählter Präsident) sowie 1929 in das Internationale Olympische Komitee(IOC) gewählt. Da das IOC bei seiner Sitzung während der Olympischen Sommerspiele 1932 in Los Angeles besorgt über die Verhältnisse in Deutschland war und einen Sieg der NSDAP bei den kommenden Reichstagswahlen befürchtete, wurde Karl von Halt (das IOC-Mitglied mit dem besten Draht zu Hitler) beauftragt, sich mit Hitler zu treffen und ihn im Hinblick auf die Einhaltung olympischer Regularien zu befragen. Da von Halt mit einer Reihe von Alten Kämpfern befreundet war, bekam er eine Audienz bei Hitler, der zusagte, dass für ausländische Olympiateilnehmer selbstverständlich die internationalen Regeln gelten würden. Hiermit gab sich das IOC zufrieden.

Halt trat am 1. Mai 1933 in die NSDAP (Mitgliedsnummer 3.204.950) und in die SA ein, wo er Oberführer wurde. Er gehörte zum Freundeskreis Reichsführer SS. Als Vorstandsmitglied der Deutschen Bank leistete er wiederholt erhebliche Spendenzahlungen an die SS. Mit dem Freundeskreis Himmler besichtigte Halt 1937 das Konzentrationslager Dachau, während die KZ-Häftlinge ihrer Arbeit nachgingen, und 1939 das Konzentrationslager Oranienburg. 1937 wollte v. Halt in die SS übertreten, was jedoch am Widerstand von Stabschef Lutze scheiterte.

Halt hatte 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin maßgeblichen Anteil an der Ausladung der damals überragenden Hochsprung-Leichtathletin Gretel Bergmann. Da die USA mit Boykott drohten, falls jüdische Athleten ausgeschlossen würden, holten die Deutschen sie mit einer List aus England – für welches sie an den Spielen teilnehmen wollte – zurück und luden sie am Tag der Ankunft der Amerikaner in Deutschland (einen Tag vor Beginn der Spiele) schriftlich wieder aus. Das Dokument dazu wurde von Halt verfasst. Die Titel-Favoritin wurde so im Vorfeld um ihren möglichen olympischen Ruhm gebracht.

Er blieb durch sein Bekenntnis zur NSDAP an der Spitze der deutschen Leichtathletik, jetzt in der Funktion als Leiter des Fachamtes für Leichtathletik. 1936 wurde er Präsident des Organisationskomitees für die IV. Olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen.

Schon im Mai 1935 sah er „mit wachsender Sorge“, wie er in Briefform an Oberregierungsrat Hans Ritter von Lex und das Reichsministerium des Innern im Vorfeld der Verschleierungen berichtet, „in Garmisch-Partenkirchen und Umgebung eine planmäßig einsetzende antisemitische Propaganda“ und „vor allem auf der Landstraße von München nach Garmisch-Partenkirchen“. Abschließend schrieb er: „Lieber Lex, […] Du weißt auch ganz genau, dass ich diese meine Sorgen Dir nicht deshalb mitteile, um den Juden zu helfen, es handelt sich ausschließlich um die olympische Idee.“

Bei den Sommerspielen in Berlin verantwortete er die Organisation der leichtathletischen Wettkämpfe. Nach den Spielen wurde er vom Reichssportführer mit der Leitung des Fachamtes für Bob- und Rodelsport betreut und in den Vorstand des Internationalen Bobsportverbandes gewählt. Von 1937 bis 1945 war er zudem Mitglied des Exekutivkomitees des Internationalen Olympischen Komitees; ab 1944 bekleidete er kommissarisch im Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen das Amt des Reichssportführers.

Mitte April 1945 wurde er zum Volkssturm eingezogen und nahm dort eine Führerposition ein. Am 7. Mai 1945 wurde er von sowjetischen Streitkräften gefangengenommen und als 'leitende Persönlichkeit der Wirtschaft' registriert. Bis Anfang 1950 wurde er ohne ein gerichtliches Verfahren im Speziallager Nr. 2 in Buchenwald des NKWD(sowjetischer Staatssicherheitsdienst), dem ehemaligen KZ Buchenwald, gefangengehalten. Aus der Gefangenschaft wurde er entlassen, nachdem sich vor allem die IOC-Größen Avery Brundage und IOC-Präsident Sigfrid Edström für ihren alten Freund Ritter von Halt eingesetzt hatten. So war eine grundlegende Bedingung an die Sowjetunionfür Aufnahmeverhandlungen mit dem IOC, dass Ritter von Halt aus Buchenwald entlassen würde: „Ohne Freilassung von Halts keine IOC-Mitgliedschaft.“

Im Januar 1950 kam er frei, kehrte er nach München zurück und arbeitete bei der Bayerischen Creditbank. Er wurde 1952 Aufsichtsratsmitglied der Deutsche-Bank-Nachfolgerin Süddeutsche Bank in München. Trotz andauernder medialer Kritik zwischen 1951 und 1960 aufgrund seiner Stellung im Nationalsozialismus wurde er Präsident des westdeutschen Olympischen Komitees. Die Gespräche zur die Bildung einer gesamtdeutschen Mannschaft für die Olympischen Spiele 1952 mit dem ostdeutschen NOK unter der Führung Kurt Edels führte er so, "dass sie ergebnislos verlaufen mussten" Von 1961 bis 1964 war er Ehrenpräsident des NOKs für Deutschland. Ferner war er Ehrenpräsident des Internationalen Handballverbandes und des deutschen Leichtathletik-Verbandes.

1959 setzte sich Halt beim damaligen Bundeskanzler Adenauer erfolgreich für die weitere Beibehaltung der ' Gesamtdeutschen Mannschaft bei den Olympischen Spielen ein.

Anlässlich der Bundesjugendspiele wurde am 18. Juli 1958 ein Sportplatz in Garmisch-Partenkirchen auf den Namen „Ritter-von-Halt-Stadion“ getauft. Am 18. Juli 2006 wurde es wieder in „Stadion am Gröben“ umbenannt.

Karl Ritter von Halt starb im Alter von 73 Jahren in München an Kreislaufschwäche] Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof Partenkirchen in Garmisch-Partenkirchen1

Karl Ritter von Halt begrüßt Hitler am 6. Februar 1936 zur Eröffnungsfeier der
IV. Olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen


1Peter Heimerzheim: Karl Ritter von Halt. Leben zwischen Sport und Politik. Schriften der Deutschen Sporthochschule Köln (Band 44). Academia-Verlag. Sankt Augustin 1999. ISBN 3-89665-124-2

Richard von Hegener

* 2. September 1905 in Sensburg, Ostpreußen; † 18. September 1981 in Hamburg

Richard von Hegener war im nationalsozialistischen Deutschen Reich als Hauptstellenleiter in der Kanzlei des Führers mitverantwortlich für die Organisation des nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programms.

Hegener absolvierte nach Schulabschluss eine Banklehre, arbeitete als Angestellter und gründete eine Färberei, die in Konkurs ging. Er trat bereits 1931 in die NSDAP ein. Mit dem Präsidenten des Reichsgesundheitsamtes Hans Reiter war er verschwägert.

Hegener war arbeitslos, als er durch Vermittlung eines Bekannten 1937 eine Anstellung in der Kanzlei des Führers fand. Hier hatte er zunächst als Hilfsreferent in der Beschwerdestelle an Adolf Hitler gerichtete Post zu sortieren und Heiratsgesuche von „jüdisch-arischen Mischlingen“ zu bearbeiten. 1939 war er bereits zum ständigen Vertreter von Amtsleiter Hans Hefelmann als Leiter des Amtes IIb aufgerückt. In diesem Amt wurden Angelegenheiten aus dem Bereich der Reichsministerien und deren nachgeordneten Geschäftsbereichen sowie Gnadengesuche bearbeitet.

Mit Beginn der sogenannten Kinder-„Euthanasie“ und der anschließenden Erwachsenen-„Euthanasie“ (im Nachkriegssprachgebrauch als „Aktion T4“ bekannt) wurden mehrere Scheinunternehmen zu Tarnungszwecken gegründet, um zu vermeiden, dass die Kanzlei des Führers sowie das ebenfalls involvierte Reichsministerium des Innernmit diesen der Geheimhaltung unterliegenden Maßnahmen in Verbindung gebracht werden konnten. Für die Organisation der Kinder-„Euthanasie“ wurde ein „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ gegründet. Dahinter stand das Amt IIb der Kanzlei des Führers unter der Leitung von Hans Hefelmann. Zum Transport der Kranken in die Tötungsanstalten wurde die „Gemeinnützige Krankentransport GmbH (Gekrat)“ geschaffen, die unter der Leitung von Reinhold Vorberg vom Amt IIc der Kanzlei des Führers stand. Hegener, für die Materialbeschaffung zuständig, besorgte für diese Organisation Busse der Reichspost, so dass die Gekrat intern zunächst „Sonderstaffel von Hegener“ genannt wurde. Vor dem Untersuchungsrichter des Landgerichts Frankfurt am Main sagte Hegener am 2. September 1965 folgendes aus:

„Anfänglich hatten wir fast ausschließlich Fahrzeuge von der Reichspost. Der Reichspostminister hatte eine Bescheinigung des Inhalts ausgestellt, dass die genau bezeichneten Fahrzeuge in jeder Reparaturwerkstatt der Deutschen Reichspost bevorzugt repariert werden konnten. Es hätten sich Schwierigkeiten ergeben können, weil diese Fahrzeuge während des Einsatzes bei der T4 nicht von Postbeamten, sondern von Zivilisten gesteuert wurden. In dieser Bescheinigung war die Bezeichnung ‚Sonderstaffel von Hegener‘ geprägt worden. Die Fahrzeuge unterstanden der Gekrat. Diese trat aber nach außen hin nicht in Erscheinung, infolgedessen war für die Fahrzeuge von der Staffel von Hegener die Rede.“

In einer Vernehmung am 23. Juni 1961 führte er weiter aus:

„Die Omnibusse wurden äußerlich zunächst nicht mit einem Tarnanstrich versehen. Sie wurden vielmehr mit dem roten Außenanstrich und der RP-Nummer benutzt; erst etwa nach der Hälfte der Aktion wurden sie – ebenso wie die Reichspostomnibusse – mit dem grauen Tarnanstrich (Luftschutz) versehen. Es hätte ja gar nicht in unserem Sinne gelegen, diese Omnibusse für ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit besonders kenntlich zu machen und herauszustellen.“

Zur Frage, wie die Opfer des „Euthanasie“-Programms schließlich getötet werden sollten, existiert ein Bericht Hegeners.

„Ursprünglich hatte man in Betracht gezogen, einzelne Unheilbare […] durch Injektionen oder Überdosen von Schlafmitteln umzubringen. Diese Überlegungen erwiesen sich aber aus technischer Sicht als nicht durchführbar […], entsprechend der Mehrheit der konsultierten Ärzte. Daher wurde vorgeschlagen […], die infrage kommenden Personen irgendwie in einer größeren Anzahl gleichzeitig zu töten. Nach zahlreichen Besprechungen […] der Chemiker des Reichskriminalpolizeiamtes wurde auch gehört, entschied man sich, jeweils einen Raum in günstig gelegenen Heilanstalten einzurichten. Dieser Raum sollte schließlich mit Kohlenmonoxid-Gas gefüllt werden […]“

Hierzu wurde im Januar 1940 im alten Zuchthaus von Brandenburg eine „Probevergasung“ vorgenommen, an der auch Hegener teilgenommen hat. Die Kranken wurden auf Empfehlung des Kriminaltechnischen Instituts (Näheres siehe unter Walter Heeß) durch Kohlenmonoxid-Gas in einer Gaskammer getötet (Näheres siehe unter Albert Widmann). Hegener war als Vertreter Hefelmanns zuständig für die Beschaffung des in den Tötungsanstalten benötigten Materials für den Einbau von Gaskammern und Krematoriumsöfen sowie die Lieferung des Kohlenmonoxid-Gases. Auch die Beschaffung der für die Tötung der Kinder in den dafür bestimmten Heil- und Pflegeanstalten im Rahmen der Kinder-„Euthanasie“ sowie die für die zweite Phase der Erwachsenen-„Euthanasie“ benötigten großen Mengen von Medikamenten wie Luminal hatte Hegener zu sorgen.

Nach dem Krieg verdingte sich Hegener als Landarbeiter und später als Arbeiter in einem holzverarbeitenden Betrieb. Unter seinem leicht abgewandelten Namen fand er als „Richard Wegener“ eine Anstellung beim Ministerium für Handel und Versorgung in Mecklenburg und brachte es hier zügig bis in eine leitende Position.

1951 wurde Hegener wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhaftet und schließlich mit Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 20. Februar 1952 zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt. Durch einen sogenannten Ministerialbeschluss wurde er im Juli 1956 nach vierjähriger Haftzeit entlassen. Hegener nahm umgehend Kontakt zu seinem ehemaligen Vorgesetzten Hefelmann auf und fand als kaufmännischer Angestellter durch Vermittlung des dort als Justitiar tätigen Dietrich Allers (vormals Geschäftsführer der Zentraldienststelle-T4) eine Anstellung bei der Deutschen Werft. Mit Hefelmann hielt Hegener auch weiterhin Kontakt.

Im Prozess gegen Franz Hofer, dem ehemaligen Gauleiter von Tirol-Vorarlberg, Anfang der 1960er Jahre trat Hegener ebenso als Zeuge auf wie in dem später eingestellten Prozess gegen Hans Hefelmann 1964 sowie gegen Dietrich Allers 1968.

Am 18. September 1981 verstarb Richard von Hegener in Hamburg2


2Ernst Klee: Richard von Hegener Eintrag in ders.: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Aktualisierte Ausgabe. Fischer-Taschenbuch, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0

Wolf-Heinrich
von Helldorff

* 14. Oktober 1896 in Merseburg;

† 15. August 1944 in Berlin-Plötzensee

Wolf-Heinrich Julius Otto Bern hard Fritz Hermann Ferdinand Graf von Helldorff, oftmals fälschlich Wolf Heinrich Graf von Helldorf,war für die NSD AP ab 1933 Reichstagsabgeordneter und Polizeipräsident von Potsdam, später von Berlin. Er war General der Polizei und erreichte in der SA den Rang eines Obergruppenführers; in der SS erhielt er den gleichen Dienstgrad als Ehrenrang. Er knüpfte ab 1938 Kontakte zu Widerstandskreisen und wurde 1944 hingerichtet.

Er stammte aus dem meißnischen Uradelsgeschlecht von Helldorff und war der Sohn des Rittmeisters Ferdinand von Helldorff (* 1869). Wolf-Heinrich diente nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Fahnenjunker im Thüringischen Husaren-Regiment Nr. 12 und wurde im März 1915 zum Leutnant befördert. Später im Krieg wurde er zum Rittmeister befördert und qualifizierte sich als Dolmetscheroffizier. Als solcher war er bei den Ereignissen um den Waffenstillstand von Compiègne (1918) anwesend und wurde von Matthias Erzberger auch als Kurier beauftragt. Nach Kriegsende war er Angehöriger mehrerer Freikorps, darunter auch des Freikorps Roßbach. 1920 beteiligte er sich am sogenannten Kapp-Putsch und musste danach mehrere Monate nach Italien flüchten.

Zwischen 1921 und 1928 betätigte sich Helldorff in der Landwirtschaft als Rittergutsbesitzer in Wohlmirstedt. Von 1924 bis 1928 und erneut 1932 war Helldorff Mitglied des Landtages, zunächst für die NSFP in Preußen und ab 1. August 1930 für die NSDAP (Mitgliedsnummer 325.408); 1932 war Helldorff deren Fraktionsvorsitzender.

Von Helldorf konnte im Sommer 1932 den späteren Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop, nach dessen eigenen Aussagen, für den Nationalsozialismus gewinnen.

Bereits 1931 war er der SA beigetreten und fungierte als SA-Führer in Berlin. Er organisierte bereits lange vor der Machtübertragung am 12. September 1931 antijüdische Krawalle in Berlin. Im darauf folgenden Strafverfahren kam Helldorff, der von Roland Freisler verteidigt wurde, mit einer geringen Strafe davon.

1933 wurde ihm die SS-Führung von Berlin-Brandenburg anvertraut. In dieser Funktion gab er angeblich die Parole heraus, dass für jeden getöteten Nationalsozialisten jeweils zehn Marxisten zu sterben hätten. Gleichzeitig wurde er in der 9. Wahlperiode 1933 in den Reichstag gewählt. Im März 1933 wurde er zum Polizeipräsidenten von Potsdam ernannt und ab Juli 1935 übernahm er dieselbe Funktion in Berlin.

Helldorff hatte sein ererbtes Rittergut 1931 verloren. Sein Bankrott war nicht allein durch den Verfall der Agrarpreise zu erklären, vielmehr hatten Wettschulden und verschwenderischer Lebenswandel mit dazu beigetragen. Es wurde kolportiert, Helldorff habe sich bei Erik Jan Hanussen, dem bekannten jüdischen Hellseher, verschuldet und sei von ihm abhängig. Auch als Polizeipräsident machte Helldorff durch Spielschulden, Luxuskäufe, unbezahlte Rechnungen und Mietschulden von sich reden; es kam sogar zu Gehaltspfändungen. Mehrfach erhielt Helldorff zur Entschuldung zinslose „Darlehen“ in beträchtlicher Höhe, die ihm aus Parteikassen gezahlt wurden und die er nicht zurückzahlen musste.

Antisemitismus

Helldorff hatte sich frühzeitig bei Übergriffen gegen Juden hervorgetan. Im März 1933 leitete er eine Gruppe von SA-Leuten, die das Krankenhaus Am Urban stürmten und den ärztlichen Direktor Hermann Zondek sowie weitere jüdische bzw. kommunistische Ärzte eigenmächtig absetzten. In seiner amtlichen Eigenschaft war Helldorff „ein eifriger Befürworter schärferer legaler Verfolgungsmaßnahmen“ gegen Berliner Juden. Joseph Goebbels notierte am 2. Juli 1938 im Tagebuch: „Helldorff will in Berlin ein Judenghetto errichten. Das sollen die reichen Juden selbst bezahlen. Das ist richtig. Ich unterstütze ihn dabei.“ Helldorff erließ im Juli 1938 „Richtlinien für die Behandlung von Judenangelegenheiten“, die in 76 Punkten kleinlichste Verwaltungsschikanen enthielten: Vorladungen vornehmlich am Sabbat, schärfere und häufigere Kontrollen, Verwaltungsgebühren zum Höchstsatz. Goebbels schrieb darüber: „Helldorff überreicht mir eine Aufstellung der in Berlin gegen die Juden getroffenen Maßnahmen. Die sind nun wirklich rigoros und umfassend. Auf diese Weise treiben wir die Juden in absehbarer Zeit aus Berlin heraus.“ Ab 1938 erpresste er von emigrationswilligen Berliner Juden die sogenannte Helldorff-Spende, bevor er ihnen ihren zuvor konfiszierten Reisepass aushändigen ließ.

Im Gegensatz dazu steht das nachsichtige Urteil des Schriftstellers und NSDAP-Mitglieds Hans-Otto Meissner, Helldorff habe „viele Juden in bemerkenswerter Weise geschützt und einer Anzahl zur Emigration verholfen.“ Auch andere Zeitzeugen bestätigen, sie hätten bei Helldorff erfolgreich für jüdische Freunde interveniert. Allerdings gibt es Anhaltspunkte, dass Helldorff dafür Geld empfangen hat.

Kontakte zum Widerstand

Helldorff hatte über seinen Untergebenen Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg, mit dem er befreundet war, Kontakte zu hohen Offizieren der Wehrmacht. Er zeigte sich empört über die Intrigen bei der Blomberg-Fritsch-Krise und spielte der Wehrmachtführung entlastendes Material zu, das von der Gestapo zurückgehalten wurde. Angesichts der drohenden Kriegsgefahr knüpfte er 1938 Kontakte zu Ludwig Beck und Erwin von Witzleben. Helldorff gab später Geheimberichte des Sicherheitsdienstes an Hans von Dohnanyi weiter, in denen die Massenerschießungen in Polen dargestellt waren. Auch zu Friedrich Fromm und Friedrich Olbricht hatte er Verbindung. Mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg traf er sich im Jahre 1944 mehrfach.

Die Verschwörer überschätzten allerdings die Möglichkeit, über Helldorff den Polizeiapparat nutzen oder auch nur neutralisieren zu können. Helldorffs zögerliche Haltung beim Staatsstreich kann dahin gedeutet werden, als wollte er sich nach beiden Seiten absichern. Allerdings muss offenbleiben, ob denn seinen Anordnungen überhaupt Folge geleistet worden wäre.

Tod

Wegen seiner Teilnahme an der Verschwörung vom 20. Juli 1944 wurde Helldorff vom Volksgerichtshof unter Roland Freisler zum Tode verurteilt. Die Reaktion auf Helldorffs „Verrat“ war überaus heftig. Goebbels klagte wiederholt über den Undank des Verräters, den er gefördert und dem er aus einem Geheimfonds ein Gut von 500 Morgen Land geschenkt habe. Heinrich Himmler zählte 1944 bei seiner Rede vor den Gauleitern Helldorff an erster Stelle unter den Verschwörern auf.

„Jetzt kommt leider etwas ganz Betrübliches. Mit im Bunde war leider ein alter Parteigenosse, Graf Helldorf. Er hat seit einem halben Jahr bis einem Jahr den ganzen Verrat voll und ganz mitgemacht, ausgerechnet er. Das ist eine der paradoxesten Sachen. Er beschwerte sich, die Partei sei so bonzenhaft geworden. Daraufhin wurde ihm aber sofort von unserem Beamten, der ihn vernahm […], gesagt: Erlauben Sie, dann sind Sie der Oberbonze. Ausgerechnet Herr Helldorf,[sic] den früher Dr. Goebbels und ich, glaube ich, bestimmt zweimal, wenn nicht dreimal entschuldet haben. [Einwurf von Goebbels: Mit 80.000 Mark, und er besitzt vier Wohnungen im bombardierten Berlin!]“

Auch Hitler klagte, er habe dem Grafen vier- oder fünfmal die Schulden bezahlt, selten weniger als 100.000 Mark. Hitler ordnete hasserfüllt an, dass Helldorff drei Hinrichtungen ansehen und danach in Plötzensee erhängt werden solle.

Helldorff wurde auf dem Friedhof in Tangstedt (Kreis Stormarn) bestattet.

Konrad Heiden bezeichnete Helldorff als „einen Abenteurer und Landsknecht übelster Sorte“. André François-Poncet, damals Botschafter Frankreichs, nannte ihn einen „sinistren Abenteurer“. Albert Speer fühlte sich durch Helldorffs Gier „angewidert“, als dieser sich 1938 in Wien mit Luxusgütern eindeckte.

In der Literatur über den deutschen Widerstand wird der Name Helldorff kaum erwähnt. Er war „eine schillernde und umstrittene Figur“ in Widerstandskreisen. Helldorff „gehört zu den widersprüchlichsten Gestalten des Dritten Reiches“ und wirkt wegen seiner Leichtfertigkeit, seiner Verschwendungssucht, seiner antisemitischen und korrupten Einstellung nicht sympathisch. Andererseits verharrte er nach Ted Harrison nicht „in blindem Glauben“ und Gehorsam, sondern fühlte sich abgestoßen von Intrigen und Massenmorden und wendete sich gegen eine Regierung, die das Land in Krieg und Unglück stürzte.3

Von Helldorf vor dem Volksgerichtshof 1944


3Ted Harrison: „Alter Kämpfer“ im Widerstand. Graf Helldorff, die NS-Bewegung und die Opposition gegen Hitler. (PDF, 6,5 MB) In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte.45(1997), S. 385–423.

Philipp von Hessen

* 6. November 1896 in Schloss Rumpenheim bei Offenbach;

† 25. Oktober 1980 in Rom

Philipp von Hessen war ein Prinz aus der Linie Hessen-Kas sel des Hauses Hessen und als natio nalsozialistischer Politiker Oberpräsi dent der preußischen Provinz Hessen-Nassau. Da seine beiden älteren Brüder im Ersten Weltkrieg gefallen waren, wurde er nach dem Tod seines Vaters 1940 Chef der Linie Hessen-Kassel und nannte sich der Tradition der Familie gemäß Landgraf von Hessen.

Philipp von Hessen wurde als dritter Sohn des Prinzen Friedrich Karl von Hessen-Kassel und Hessen-Rumpenheim und Prinzessin Margarethe von Preußen geboren. Seine Urgroßmutter mütterlicherseits war Königin Victoria von Großbritannien, seine Mutter war die jüngste Schwester von Kaiser Wilhelm II. Er besuchte zunächst das Goethe-Gymnasium in Frankfurt am Main und anschließend das Helmholtz-Gymnasium Potsdam. Er kämpfte im Ersten Weltkrieg als Freiwilliger und Leutnant im Großherzoglichen Leib-Dragoner-Regiment.

Als Prinz Friedrich Karl 1918 kurzzeitig gewählter König von Finnland wurde, bestimmte er nicht seinen ältesten lebenden Sohn Philipp, sondern dessen jüngeren Zwillingsbruder Wolfgang (1896–1989) zum Kronprinzen von Finnland. Philipp sollte dagegen die Geschäfte der Familie in der hessischen Heimat weiterführen.

Nach dem Ende des Krieges begann er ein Studium der Kunstgeschichte, zunächst in Berlin später in Rom. Dort soll er auch als Architekt gewirkt haben.

Prinz Philipp heiratete am 23. September 1925 Prinzessin Mafalda von Savoyen, eine Tochter des Königs Viktor Emanuel III. von Italien. Das Ehepaar lebte in Italien und hatte vier Kinder.

Nationalsozialistischer Politiker

Schon vor Errichtung des NS-Staates war Prinz Philipp aktiver Nationalsozialist. Er war bereits 1930 in die NSDAP (Mitgliedsnummer418.991) und 1931 auch in die SA eingetreten, in der er Gruppenführer wurde. Mit seinen Mitgliedschaften sorgte er u. a. dafür, die NSDAP auch in adligen Kreisen „salonfähig“ zu machen. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde er 1933 von seinem langjährigen Freund Hermann Göring zum Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau ernannt.

Als Schwiegersohn des italienischen Königs nutzten ihn die Nationalsozialisten zur Vermittlung von Kontakten zu Benito Mussolini, der anfangs zurückhaltend gegenüber dem NS-Regime war. In den 1930er-Jahren übernahm er verschiedene diplomatische Missionen nach Italien, vorbei an offiziellen diplomatischen Kanälen. Am 25. August 1939 informierte er im Auftrag von Hitler Mussolini über den kurz bevorstehenden Überfall auf Polen.

Ab 30. Januar 1939 war Philipp Inhaber des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP.

Mit Hitler verbanden ihn gemeinsame Kunst- und Architekturinteressen. Er vermittelte den Kauf zahlreicher wichtiger Kunstwerke für das große Museum, das Hitler in Linz plante. Die Reichskanzlei richtete ihm zu diesem Zweck ein Sonderkonto bei der Deutschen Botschaft in Rom ein, über das Prinz Philipp frei verfügen konnte. In den Jahren 1940/41 nahmen die deutschen Kunsteinkäufe in Italien daraufhin derart zu, dass die faschistische Regierung den Verkauf von Kunstschätzen an Ausländer im September 1941 untersagte.

1941 kühlten die Beziehungen zwischen Philipp und Hitler ab. Philipp und seine Ehefrau kamen als Sonderhäftlinge in KZ-Haft, als sein Schwiegervater Mussolini im Juli 1943 verhaften ließ. Mafalda starb 1944 nach einem Luftangriff auf das KZ Buchenwald. Philipp verbrachte den Rest des Krieges in verschiedenen Lagern, darunter Flossenbürgund Dachau, und wurde 1945 von der Wehrmacht befreit.[4] Wegen seiner prominenten Rolle im nationalsozialistischen Regime kam er danach in alliierte Haft, aus der er 1947 entlassen wurde.

Nach seiner Freilassung wohnte er wechselweise in Schloss Fasanerie, wo sich auch seine Antikensammlung befindet, und in Italien. Der kinderlose Prinz Ludwig von Hessen und bei Rhein adoptierte 1960 Philipps Sohn Moritz, so dass sich nach dem Tod von Ludwig 1968 die beiden seit 1567 getrennten Hauptlinien des Hauses Hessen, Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt, wieder zum 'Haus Hessen' vereinigten.4


4Jonathan Petropoulos: Royals and the Reich. The Princes von Hessen in Nazi Germany. Oxford University Press 2006, ISBN 0-19-920377-6

Konstantin von Neurath

* 2. Februar 1873 in Kleinglattbach König reich Württemberg;

† 14. August 1956 im Leinfelder Hof bei Enzweihingen, Baden-Württem-berg

Konstantin Hermann Karl Freiherr von Neurath war ein deutscher Diplomat im Kaiserreich und der Weimarer Republik. Er wurde 1932 Außenminister und blieb dies bis 1938 auch in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. Zwischen 1939 und 1943 war er Reichsprotektor in Böhmen und Mähren.

Neurath gehörte zu den 24 im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshofangeklagten Personen und wurde am 1. Oktober 1946 in allen vier Anklagepunkten schuldig gesprochen und zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt, aus der er 1954 vorzeitig entlassen wurde.

Neurath wurde am 2. Februar 1873 in Kleinglattbach/Vaihingen an der Enz als ältester von drei Söhnen einer württembergischen Adelsfamilie geboren. Sein Vater Konstantin Sebastian Freiherr von Neurath (* 1847; † 1912) war königlich württembergischer Oberkammerherr, Chef des Kammerherrenstabes und Gutsbesitzer, seine Mutter Mathilde (* 1847; † 1924) entstammte dem Rittergeschlecht der Freiherren von Gemmingen. Nach dem Abitur absolvierte Neurath seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger im Infanterie-Regiment „Kaiser Friedrich, König von Preußen“ (7. Württembergisches) Nr. 125. Er studierte Rechtswissenschaft an der Eberhard Karls Universität Tübingen und der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. 1894 wurde er Mitglied (später Ehrenmitglied) des Corps Suevia Tübingen. Im Jahr 1897 bestand er das Referendar-Examen, im Folgejahr trat er in den württembergischen Justizdienst ein.

Ab 1903 war er königlich württembergischer Kammerjunker, ab 1910 Kammerherr. In der Württembergischen Armee war er ab 1898 Sekondeleutnant, ab 1909 Oberleutnant der Reserve.

Am 30. Mai 1901 heiratete er die Bankierstochter Marie Auguste Moser von Filseck (* 1875; † 1960) in Stuttgart. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor: Konstantin Alexander (* 1902; † 1981), der zunächst die Diplomatenlaufbahn einschlug und nach dem Zweiten Weltkrieg zur deutschen Wirtschaft wechselte, und Winifred (* 1904; † 1985), die 1926 Hans Georg von Mackensen heiratete.

Karriere als Diplomat

Nach bestandenem Assessor-Examen wurde Neurath 1901 in die konsularische Laufbahn des Auswärtigen Dienstes einberufen. Zwischen 1903 und 1908 war er Vizekonsul im deutschen Generalkonsulat in London, anschließend kehrte er wieder in das Auswärtige Amt nach Berlin zurück. Durch Protektion Kiderlen-Waechters gelang ihm zum Jahreswechsel 1912/13 der Wechsel in die diplomatische Laufbahn. Als Legationsrat in der Politischen Abteilung wurde er 1914 zum Botschaftsrat in Konstantinopel ernannt, allerdings trat er diesen Posten erst im Frühjahr 1915 an, da er zuvor als Reserveoffizier im Grenadier-Regiment „Königin Olga“ (1. Württembergisches) Nr. 119 am Ersten Weltkriegteilnahm. Im Osmanischen Reich erlebte Neurath den Völkermord an den Armeniern vor Ort mit.

Auf eigenen Wunsch wurde er zum Jahresende 1916 aus dem Reichsdienst entlassen. Er übernahm von seinem Onkel Julius von Soden den Posten als Chef des Zivilkabinetts des württembergischen Königs. Bis zur Novemberrevolution von 1918 blieb er engster Berater von König Wilhelm II. von Württemberg.

Am 13. Dezember 1919 kehrte er mit Genehmigung des Reichspräsidenten Friedrich Ebert in den diplomatischen Dienst zurück und wurde Gesandter in Kopenhagen, bekleidete von 1921 bis 1930 den Posten des Botschafters in Rom und kehrte in der Zeit von 1930 bis 1932 als Botschafter nach London zurück.

Neurath und Goeppels bei der Abrüstungskonferenz Genf 1933

Reichsaußenminister

Bereits nach dem Tod von Gustav Stresemann 1929 favorisierte Reichspräsident Paul von Hindenburg Neurath als neuen Außenminister, seine Berufung auf diesen Posten war allerdings zu diesem Zeitpunkt aufgrund fehlender parlamentarischer Unterstützung nicht möglich. Erst als Hindenburg im Juni 1932 ein nicht mehr auf den Reichstag gestütztes Präsidialkabinett unter Franz von Papen bildete, avancierte Neurath zum Außenminister dieses „Kabinetts der Barone“. Er behielt sein Ministeramt auch in den folgenden Kabinetten Schleicher und Hitler als Exponent einer konservativen Fachbeamtenschaft bei. Bei sonst loyaler Mitarbeit innerhalb der Regierung Hitler ist bekannt, dass von Neurath sich 1935 ebenso wie seine Kabinettskollegen Gürtner, Blomberg und Frick für die von der Gestapo festgehaltenen Rechtsanwälte einsetzte, die die Witwe des im Zuge der politischen Säuberungswelle beim sogenannten Röhm-Putsch ermordeten katholischen Politikers Erich Klausener vertraten, was zu deren Entlassung aus der Haft beitrug.

Neurath stand für eine konservativ-revisionistische deutsche Außenpolitik und trug den immer stärker von Hitler vorgegebenen Kurs der Außenpolitik (z. B. den Austritt aus dem Völkerbund, die Wiedereinführung der Wehrpflicht oder die Wiederbesetzung des Rheinlandes) aktiv mit. Hitler wiederum profitierte nicht nur von Neuraths Reputation im Ausland, sondern auch von der Expertise der von ihm angeleiteten Ministerialbürokratie. Die Handlungsfreiheit des Auswärtigen Amts wurde jedoch durch die Konkurrenz des im Hintergrund agierenden NS-Außenpolitikers Joachim von Ribbentrop und dessen Dienststelle Ribbentrop ab etwa 1936 immer stärker eingeschränkt.

Anlässlich des 4. Jahrestages der Machtergreifung verlieh Hitler an alle parteilosen Kabinettsmitglieder das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP, wodurch Neurath Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 3.805.229) wurde. Am 18. September 1937 erhielt er den Rang eines SS-Gruppenführers (SS-Nr. 287.680), der dem Rang eines Generalleutnants entsprach. Bereits vorher war er Mitglied der von Hans Frank gegründeten nationalsozialistischen Akademie für Deutsches Recht geworden.

Bis 1937 trug Neurath eine „Politik der Stärke“ mit, die etwa auf die Gleichschaltung Österreichs abzielte und schließlich in das Berchtesgadener Abkommen mündete. Doch gegen Kriegspläne, wie sie Hitler auf der Hoßbachkonferenz vom November 1937 verkündete, erhob er Einwände. Im Zuge der Blomberg-Fritsch-Krise wurde Neurath am 4. Februar 1938 zum Präsidenten des niemals zusammengetretenen Geheimen Kabinettsrates „befördert“ und als Außenminister durch seinen Konkurrenten Ribbentrop ersetzt. Formal gehörte Neurath bis zum 30. April 1945 als Reichsminister ohne Geschäftsbereich der Reichsregierung an.

Reichsprotektor in Böhmen und Mähren

Nach der sogenannten Zerschlagung der Rest-Tschechei und dem Einmarsch deutscher Truppen in Prag am 15. März 1939 wurde Neurath – möglicherweise als Beschwichtigungsgeste gegenüber den Briten – Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, wo er unter anderem für die Unterdrückung der politischen Kultur der Tschechen und die Durchsetzung der Nürnberger Gesetze zuständig war. Hitler hielt Neurath jedoch für nicht brutal genug, um die zunehmende tschechische Widerstandsbewegung zu unterdrücken. Er beurlaubte ihn deshalb im September 1941 zunächst dauerhaft, um seine Vollmachten an den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich bzw. nach dessen Ermordung durch tschechische Widerstandskämpfer Mitte 1942 an Kurt Daluege zu übertragen. Im August 1943 entsprach Hitler den wiederholten Entlassungsgesuchen Neuraths im Zuge eines größeren Revirements: Heinrich Himmler wurde zum Reichsinnenminister befördert und Neurath formell von dem Amt des Reichsprotektors entbunden, das der bisherige Reichsinnenminister Wilhelm Frick übernahm.

Im Juni 1943 war Neurath zum SS-Obergruppenführer befördert worden, was dem Rang eines Generals entsprach. Zu seinem 70. Geburtstag erhielt er von Hitler eine Dotation in Höhe von 250.000 Reichsmark.

Angeklagt in Nürnberg

Am 6. Mai 1945 wurde Neurath von französischen Truppen gefangengenommen und dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg überstellt. Dort wurde er 1946 wegen „Verschwörung gegen den Weltfrieden, Verbrechen gegen den Frieden, Planung und Durchführung eines Angriffskrieges, Kriegsverbrechen“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ angeklagt und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.

Auf Initiative des Vatikans und mit Billigung der Sowjets wurde Neurath Anfang November 1954 vorzeitig aus dem Kriegsverbrechergefängnis Spandau entlassen. Vorher hatten die Sowjets alle Bemühungen um Entlassung oder Hafterleichterung strikt abgelehnt. Nach seiner Entlassung aus der Haft am 6. November 1954 verbrachte Neurath die letzten zwei Lebensjahre auf seinem Gut Leinfelder Hof bei Enzweihingen.5


5Lars Lüdicke: Constantin von Neurath. Eine politische Biographie. Schöningh, Paderborn 2014, ISBN 978-3-506-77838-3

Theodor Adrian von
Renteln

* 15. September 1897 in Hodsi, Russland

† 1946 in der Sowjetunion

Theodor Adrian von Renteln war ein deutscher Journalist, Politiker (NSDAP) und Wirtschaftsfunktionär. Für die NSDAP arbeitete er vor allem zu Themen des Mittelstandes, insbesondere in Handwerk, im Handel und in genossenschaftlichen Organisationsformen. 1931/32 war er kurzzeitig Führer der Hitlerjugend. Während des Zweiten Weltkriegs war er als Generalkommissar in Litauen auf Seiten der Zivilverwaltung einer der Hauptverantwortlichen für die Ermordung der litauischen Juden.

Renteln war von baltendeutscher Herkunft und hatte von 1905 bis 1917 Gymnasien in Riga und Dorpat besucht. Ab 1917 hielt er sich in Deutschland auf, wo er von 1920 bis 1924 Volkswirtschaft und Rechtswissenschaft in Berlin und Rostock[1] studierte. Im Februar 1924 wurde er mit einer Arbeit über die Währung Lettlands zum Dr. rer. pol. promoviert.

Zwischen 1924 und 1929 arbeitete von Renteln als Kaffeehausmusiker und freier Journalist. 1928 leitete er die Hochschulgruppe Berlin des NS-Studentenbundes und trat zum 1. Januar 1929 in die NSDAP (Mitgliedsnummer 109.184) und die SA ein. Im November 1929 gründete er den zuvor seit 1927 nur in einzelnen Ortsvereinigungen bestehenden NS-Schülerbund (NSS) als reichsweite Organisation und stand ihm bis zum 16. Juni 1932 als Reichsführer vor. Zugleich war er als Wirtschaftsreferent in der Reichsleitung der NSDAP in München beschäftigt.

Am 1. November 1931 wurde von Renteln als Nachfolger Kurt Grubers vorübergehend auch Reichsführer der Hitlerjugend, bis Baldur von Schirach dieses Amt am 16. Juni 1932 übernahm. Von April 1931 bis 1933 war von Renteln auch hauptamtlicher Referent für Wirtschaftsfragen in der Reichsleitung der NSDAP und Leiter der Abteilung für Wirtschaftspolitik in der Hauptabteilung IV (Wirtschaft) der Reichsorganisationsleitung der NSDAP.