Rainer W. Grimm wurde 1964 in Gelsenkirchen / Nordrhein -Westfalen, als zweiter Sohn, in eine Bergmannsfamilie geboren und lebt auch heute noch mit seiner Familie und seinen beiden Katzen im längst wieder ergrünten Ruhrgebiet. Erst mit fünfunddreißig Jahren, bedingt durch eine Rückenerkrankung, entdeckte der gelernte Handwerker seine Liebe zur Schriftstellerei. Als unabhängiger Autor veröffentlicht er seitdem seine historischen Geschichten und Romane, die meist von den Wikingern erzählen.
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© 2018 Rainer W. Grimm
www.rwgrimm.jimdo.com
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
Covergestaltung: Siglinde Lítilvölva
Titelgestaltung, Layout: RWG
ISBN : 978-3-7460-5512-1
Voller Angst zogen sich die Bewohner der Umgebung hinter die schützenden Wälle der Wulfshöhe zurück. Was sie an Habe und Vieh mit sich nehmen konnten, schleppten sie eilig aus ihren Hütten und von ihren Höfen fort. Der warnende Ruf „Die Wikinger kommen!“ hatte dafür gesorgt, dass die Menschen der kleinen Siedlung am Fuße der Burg ihr Werkzeug von sich warfen, um sich und ihre Familien zur Flucht in die Festung des Grafen Dittmar zu wenden. Die Krieger des Gauherrn waren alarmiert, erwarteten jederzeit den Angriff der Wikinger, und waren zum Kampf bereit.
Bald schon waren die Siedlung und die angrenzenden Höfe wie ausgestorben. Die Krieger des Wikingerjarls kamen im Morgengrauen, um zu töten, zu plündern und brandzuschatzen. Doch zu Kämpfen kam es nicht, denn es gab hier keinen Gegner mehr, der sich den Angreifern stellte. Da trieben die Nordmänner alles, was sie noch an Vieh fanden, in ihr Lager an das Ufer des Flusses. Die Hütten und Häuser der Sachsen plünderten sie, bevor der rote Hahn auf den Dächern krähte. Der Feuerschein, der bis in die Nacht hinein den Himmel erhellte, sollte dem Grafen als Warnung dienen, was ihn und die Seinen nun erwartete.
Schon bei Sonnenaufgang rückte das Heer des Jarls1 von Tautra auf die Burg vor. Jarl Einar hatte auf Verhandlungen verzichtet, denn er wollte den Kopf des Dittmar. Und sollten auch Gunnar und Stendar sich auf der Wulfshöhe befinden, so würde er sich auch deren Köpfe holen. Und vor allem ging es ihm um sein Schwert Blutauge, welches ihm Gunnar im Lager im Daneland gestohlen hatte.
„Hier gibt es keine Menschen“, rief Ubbe, der großgewachsene Steuermann des Wellenwolfes, dem schnellen Kriegssegler Jarl Einars. Er trat die Tür eines Hauses auf und stürmte, seine Axt erhoben, in das Innere.
Lange dauerte es nicht, und er erschien wieder im Freien.
„Leer! Alles leer!“, rief er dem Jarl entgegen, der mit einigen Männern auf dem Platz vor dem Haus stand und sich umsah.
„Alle geflohen!“ Thorsti, den sie den Schönen nannten, da er das feingeschnittene Gesicht eines Weibes hatte und nur von wenig Narben entstellt war, trat um die Ecke des Hauses. „Kein Mann und keine Maus mehr da!“
Ein hölzernes Kreuz, das er in den Händen hielt, schlug er wütend an der Wand des Hauses entzwei.
„Diese elenden Feiglinge“, brüllte Olaf, der sein langes, blondes Haar zu einem dicken Zopf geflochten trug. Über seinem braunen Leinenhemd trug er eine weiße Lammfellweste, und an seinem Wehrgehäng hing der Langsax2. In seiner Rechten hielt er seine kurzstielige Axt und mit der Linken seinen Rundschild. Der stämmige Kerl wollte kämpfen, und aus Ermangelung an Gegnern wurde er zornig. Jarl Einar trat neben ihn, legte ihm seine Hand auf die Schulter und sprach zu dem Mann, der ihn um eine ganze Kopfeslänge überragte: „Gedulde dich, mein Freund.
Du wirst deinen Kampf bekommen!“
Da griff Einar nach seinem schwarzen Schild und hob seine Axt. „Lassen wir keine Zeit verstreichen! Folgt mir, stürmen wir die Burg!“
So zogen die Wikinger durch die Ruinen der Siedlung, der Wulfshöhe entgegen, der Burg, die einst Jarl Einars sächsischen Ahnen gehörte. Diese Burg war der wahre Grund, warum der Jarl von der kleinen Insel Tautra, im großen Ladefjord, mit seinen drei Kriegsschniggen3 hierher gesegelt war. Diese Burg, der Reichtum des Mannes, der sein Vater war, und das Schwert seiner Ahnen, welches Gunnar gestohlen hatte.
„Was, wenn sie die Burg einnehmen?“, fragte der Mann mit dem auffallend blonden Haar. „Kack dir nicht in die Beinkleider, Stendar“, ranzte Gunnar den Krieger an, der ihn aus der Gefangenschaft des Inseljarls Einar gerettet hatte.
„Ermold wird uns aus der Burg führen, ohne dass dieser elende Fischerbursche es merkt.“ Die beiden Nordmänner standen hinter einer der Scharten des hölzernen Wehrturmes und sahen hinunter auf den Weg, der hinauf zur Burg führte.
„Einar wird nicht eher Ruhe geben, bis er sein Schwert zurückbekommen hat, und ich habe wenig Lust darauf, gejagt und gehetzt zu werden wie ein Tier. Du siehst doch, er hat nicht lange gebraucht, bis er uns gefunden hat.“
Da schüttelte Gunnar sein braunes Haar. „Wir sind sicher nicht der Grund seiner Anwesenheit. Wahrscheinlich weiß er gar nicht, dass wir hier sind!“
Plötzlich wurde es laut im Burghof. Die Bogenschützen des fränkischen Grafen Dittmar sammelten sich und erhielten den Befehl, die Wehrgänge zu besetzen. Danach scharrten sich die Reiterei und auch die Fußkämpfer zusammen.
Und plötzlich begann es!
Vom Schildwall geschützt, kamen die ersten Krieger den Weg hinauf. Als sie den Befehl erhielten anzuhalten, folgten die Bogenschützen und rückten auf, bis sie im Schutz des Schildwalles ihre Wundbienen an die Sehne legten, sodass wenig später unzählige Brandpfeile über die Palisaden der Wulfshöhe flogen. Knechte, Sklaven, Weiber und auch Kinder liefen mit Kübeln umher, versuchten die Feuer zu löschen, bevor die gesamte Burg in Brand geriet. Und so mancher von ihnen wurde selbst ein Opfer der Flammen, wenn sie in den Hagel der brennenden Pfeile gerieten. Nun begannen auch die Bogenschützen auf der Wehr mit dem Beschuss des Feindes vor dem Tor, und nach einer Weile mussten die Krieger aus dem Norden zurückweichen.
„So kommen wir nicht an die Burg heran“, maulte Ubbe verärgert. „Setzt das Tor in Brand!“
Bald darauf schlugen die Pfeile in das Holz des großen zweiflügeligen Tores ein, und die Männer des Grafen versuchten, dieses von den Wehrtürmen herab wieder zu löschen. Einige Krieger des Wikingerjarls, die von Kampfeslust getrieben gegen das brennende Tor anrannten, fielen im Pfeilhagel der Verteidiger in den Staub des Weges, der zur Burg hinaufführte.
So war diesem Dittmar also nicht beizukommen, und Einar erkannte, dass er Geduld beweisen musste. Da befahl er, am Fuße des Weges ein Feldlager zu errichten, um die Menschen in der Burg einzuschließen und ihre Bewohner auszuhungern.
Mehr als einen vollen Mond belagerten die Wikinger des Jarl Einar nun die Burg des Grafen Dittmar, und Einar war sich sicher, der Graf würde bald einen Ausfall wagen, der ihm ermöglichen sollte, die Burg zu erstürmen. Doch es kam anders, als Einar es sich erhofft hatte.
„Du, Ermold, wirst jetzt beweisen, dass ich mich auf dich verlassen kann“, sprach Graf Dittmar herausfordernd zu seinem Sohn. „Schleiche dich aus der Burg und begebe dich zu Herzog Cobbo. Er muss uns Truppen schicken, die die Belagerung dieser Wölfe beenden. Aber beeile dich!“
„Aber wie …?“, wollte Ermold seine Zweifel anmelden, doch sein Vater ließ kein Aber zu und rief: „Du nimmst den Pfad, der zum Fluß führt, dann suchst du dir ein Pferd und wirst dich auf den Weg nach Osnabruggi machen! Und wage es nicht, ohne die Truppen des Herzogs zurückzukehren. Das wäre unser Ende!“
Stumm nickte der junge Mann dem alten Grafen entgegen, wandte sich ab und ging.
„Mir knurrt der Magen“, beschwerte sich Stendar, der einstige Stevenhauptmann des Flutenbrechers, einer der Schniggen Jarl Einars und sah Gunnar vorwurfsvoll an.
„Lass uns endlich von hier verschwinden, es gibt hier nichts für uns zu holen. Ich will nicht warten, bis Jarl Einar die Burg einnimmt und uns in seine Finger bekommt.“
„Vielleicht hast du ja recht“, grunzte Gunnar. „Ermold hat ein Auge auf das Schwert geworfen. Wenn er ein schönes Sümmchen herausrückt, kann er es haben, und wir verschwinden von hier.“
„Na endlich wirst du vernünftig!“ Der blonde Stendar hatte längst erkannt, dass ihr Plan, was diese Burg betraf, nicht mehr aufging. „Mach ihm ein Angebot, und dann kann er uns aus der Burg führen.“
Bald darauf machten sie sich mit dem Sachsen Raban auf die Suche nach dem ungeliebten Sohn des Grafen und fanden diesen in seiner Kammer.
„Ermold, wohin zieht es dich?“, fragte Stendar neugierig, als er sah, wie der Grafensohn sein Bündel schnürrte, und nachdem Raban die Worte übersetzt hatte, antwortete der Gefragte: „Ich habe von meinem Vater einen Auftrag erhalten, und darum verlasse ich die Burg.“
„Du verlässt die Burg?“ Erstaunt sah Raban den jungen Mann an, und Gunnar schien die Worte verstanden zu haben.
„Ist das denn unbemerkt möglich?“, fragte er den Raban und dieser wiederum den Ermold. „Ja, es gibt einen Pfad, der zur Lipsia4 hinunter führt. Von dort muss man mit einem Kahn weiter. Oder man schwimmt!“ Ermold grinste.
„Dann nimm uns mit dir“, verlangte Gunnar. Da lachte Ermold auf und schüttelte seinen Kopf. „Das ist nicht möglich!“
„Dieser Jarl dort unten ist uns kein Unbekannter“, sprach Gunnar zu Raban und dieser zu dem Grafensohn. „Er darf uns nicht in seine Finger bekommen, verstehst du das?“ Da hob Ermold erstaunt seine Brauen, und Gunnar erkannte seinen Fehler. „Trotzdem geht es nicht!“ Kaum hatte er ausgesprochen, sah er die drei Männer wieder an. „Außer … außer, ihr gebt etwas, das mich umstimmen könnte und ich das Risiko nicht scheue, bei meinem Vater in Ungnade zu fallen.“ Er grinste frech. „Ich entsinne mich, dass du dieses herrliche Schwert dein Eigen nennst, Nordmann!“ Er sah Raban an und bat diesen, seine Worte zu übersetzen. Gunnar sah erst den Stendar und dann den Ermold an, und sein Blick wurde streng. „Du willst das Schwert! Ich bin bereit, es dir zu geben, für … sagen wir … fünfhundert Silberstücke“, verlangte der Wikinger dreist, und der Grafensohn begann frech zu grinsen. „Wenn mein Vater erführe, dass ihr von diesem Kerl da unten so heiß begehrt werdet, wäre es mit der Gastfreundschaft vorbei. Darum denke ich, wäre ein Geschenk von euch sicher nicht zuviel verlangt.“
Da begehrte Gunnar auf, und sein Jähzorn kam zum Vorschein. „Du kleine, gierige Made“, schimpfte er, und Raban sowie auch Stendar mussten ihn zurückhalten, dass er dem Ermold nicht an die Kehle ging. Stendar legte ihm beruhigend seine Hand auf die Schulter. „Wir sollten es ihm geben, sonst ist unser Leben sicher nicht mehr viel wert.“
„Du willst diesem Hundsfott nachgeben?“, beschwerte sich Gunnar. „Und du? Willst du lieber als Geisel dem Einar übergeben werden?“, fauchte Stendar zurück. Gunnar atmete tief ein und musste einsehen, dass sein Leben verwirkt war, würde er diesem Franken nicht das Schwert überlassen. „Gut, du sollst haben, was du verlangst“, willigte Gunnar ein, zog das Schwert aus seinem Gürtel und reichte es dem Ermold. „Gib wenigstens etwas“, sprach nun Stendar, „der Weg ist weit!“ Da nahm Ermold einige Stücke Hacksilber aus seiner Geldkatze5 und reichte sie dem Nordmann.
„Hier, nimm das! Mehr besitze ich nicht“, sprach Ermold, ohne den Blick von dem Schwert abzuwenden.
„Bei Sonnenuntergang erwartet ihr mich an der Tür, die in die Gemächer meines Vaters führt. Aber achtet darauf, dass man euch nicht sieht. Und jetzt geht, ich muss noch einmal vor meinen Vater treten.“
Der Tag war bereits weit fortgeschritten, und als Ermold den verabredeten Platz erreichte, lösten sich aus dem Dunkel einer Ecke drei Gestalten. „Folgt mir“, flüsterte der Sohn des Grafen, und die Männer huschten durch die Gänge der Burg. Bald erreichten sie die Tür, die, hinter einer hölzernen Wandverkleidung versteckt, hinaus auf den Pfad führte.
Diesen Weg war vor vielen Wintern schon der alte Thorstein gegangen, mit dem Säugling Wulfger auf seinem Arm. Einer nach dem anderen schlichen sie dem Pfad folgend, den Hügel hinab bis sie den kleinen Anlegesteg erreichten, an dem ein Nachen vertäut war. Den Zustand des Bootes erkannten die Männer allerdings erst, als es zu spät war. Es war das Gewicht des Raban, das eine morsche Planke brechen ließ, und dessen Bein bis zum Oberschenkel im Nass versank. „So ein elender Dreck!“, fluchte dieser in sächsischer Sprache und bemerkte sofort, dass der Nachen sich nun schnell mit Wasser füllte. Ehe sich die Männer versahen, standen sie bis zur Brust im kalten Wasser. Einige Flüche ausstoßend, schwammen sie am Ufer entlang und hofften, dass die Dunkelheit sie vor der Entdeckung schützte. Erst als sie glaubten, weit genug von der Burg entfernt zu sein, stiegen sie an einer Böschung aus dem Wasser, und als sie das Hochufer erreichten, war Ermold verschwunden.
„Dieses stinkende Frettchen“, fluchte Gunnar böse, denn es schien, als hätte Ermold geahnt, was ihm an Land widerfahren würde. „Bei Tyrs Hand, was wollen wir nun tun?“ Der vor Wasser triefende Stendar hatte sich in das hohe Gras gesetzt und atmete tief, denn sie hatten gegen die Strömung anschwimmen müssen. „Raban, wohin nun?“
Doch Stendar erhielt keine Antwort. „Raban!“
Jetzt erst erkannten sie, das Raban nicht mit ihnen an Land gegangen war. „Wo ist der Kerl?“, fragte Stendar beunruhigt. „Wo soll er schon sein? Ersoffen ist er oder abgehauen“, antwortete Gunnar und ließ sich neben Stendar nieder. „Ich hoffe ersteres!“
Stendar ließ sich rücklings ins Gras fallen und starrte in den schwarzen Nachthimmel. „Ob Odin uns erwartet?“
„Ich glaube nicht, dass man uns bereits einen Platz an der Tafel der Einherjer6 gedeckt hat. Einst hat mir ein Seher gesagt, ich würde es fühlen, wenn der Tod käme. Und ehrlich gesagt, fühle ich mich nur nass!“
„Was werden wir nun tun?“, wollte Stendar wissen, denn er hatte die Hoffnung auf eine Heimkehr bereits aufgegeben.
„Ich will endlich dieses elende Saxland7 verlassen.“ Und da sprach Gunnar Worte, die dem Stendar einen eiskalten Schauer den Rücken hinunter laufen ließen. „Wir gehen in das Lager der Wikinger!“
*
Thoke glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er die beiden Männer auf das Heerlager der Wikinger zulaufen sah. „Bei Lokis haarigem Arsch! Das sind doch …“ Er stand auf Wache, auf der Seite, wo das Lager der Nordmänner zu der Siedlung zeigte. „Das ist doch nicht möglich.“ Ungläubig schüttelte Thoke seinen Kopf, dann griff er zu dem Horn, das an einer Schur um seinen Hals hing, und blies hinein.
Gunnar und Stendar hatten die Burg in einem großen Bogen umlaufen und waren durch die Siedlung marschiert, bis sie das Lager der Wikinger erblickten. „Sie werden uns töten“, sprach Stendar. „Das werden sie nicht, denn Jarl Einar will die Burg einnehmen. Und wir werden ihm dazu verhelfen, denn wir kennen einen Weg, der ihn direkt in die Gemächer des Gaugrafen führt.“
Es hatten sich inzwischen mehr als zehn Männer bei Thoke eingefunden, die nicht weniger staunten als der Krieger, der dort auf Wache stand. „Mann, das ist ja Gunnar!“, rief einer, und ein anderer hatte Stendar erkannt. „Was in Odins Namen treibt die denn hierher?“
„Das bedeutet ihren Tod!“, sagte einer namens Sven und ein gewisser Reric Nasenbluter vermutete gar einen Überfall. „Du Narr! Wie soll Gunnar denn ein Heer aufgestellt haben?“
„Redet nicht“, rief Thoke, „nehmt sie gefangen und bringt sie zu Jarl Einar!“ Dies geschah auch sofort, und die beiden ehemaligen Stevenhauptmänner des Jarl Einar ließen sich ohne Widerstand binden.
Das Gesicht des Jarls und auch das einiger anderer, die an seiner Seite saßen, erstarrte vor Staunen. Olaf war der Erste, der sich besann. Er sprang zornig auf und riss sein Schwert aus dem Wehrgehäng, um sich auf die beiden Verräter zu stürzen. Doch der Ruf des Jarls bremste ihn. Langsam trat Einar auf die Gefangenen zu. „Sieh an, welch dicker Fang uns da ins Netz gegangen ist.“
„Sie kamen freiwillig in unser Lager“, sprach Reric Nasenbluter. Ungläubig sah Jarl Einar die beiden Männer an. „Du siehst mich verwundert, Gunnar. Es ist sehr gewagt, dass ihr hier erscheint, denn ich wüsste nicht, warum ich euch nicht sofort töten sollte?“
„Ich hätte auch die Möglichkeit gehabt, dich zu töten, Jarl.
Entsinne dich! Doch ich nahm nur dein Schwert und nicht dein Leben.“ Jarl Einar sah seine Gefolgschaft an, und einige nickten. „Nun gut, vielleicht sollte ich dich reden lassen, bevor du stirbst, Gunnar.“
„Aber wähle deine Worte gut, Verräter“, mischte sich Olaf ein. „Wo ist mein Blutauge?“ Einar sah Gunnar mit starrem Blick in die Augen. „Es ist fort“, sprach Stendar, „der Sohn des Grafen hat es.“
„Ihr elenden Narren! Der Schwanz soll euch abfaulen!
Wisst ihr eigentlich, was das bedeutet?“, fuhr der Jarl den blonden Stendar an. Er trat von einem zum anderen. „Nennt mir einen Grund, warum ich euch nicht töten sollte.“
„Unser Wissen!“, antwortete Gunnar knapp. Da horchte Einar auf. „Was soll das heißen?“
„Was glaubst du, wie wir hierher kamen? Ihr belagert schließlich die Burg“, sprach Gunnar und hielt dem Jarl die gefesselten Hände hin. Jarl Einar atmete tief ein. „Nehmt ihnen die Fesseln ab!“, befahl er, und es geschah. „Und nun rede!“
„Unser Wissen wird dir einen Überfall auf die Burg ermöglichen, aber nichts im Leben ist umsonst, Jarl.“
„Du dreckige Hundsfott!“ Erbost wollte sich Olaf auf den Gunnar stürzen, doch wieder hielt ihn Einar zurück. „Der Dreckskerl hat hier nichts zu fordern“, blaffte er zornig den Jarl an. „Warten wir ab, Olaf.“ Er wandte sich wieder den beiden Verrätern zu. „Also, was verlangt ihr?“
„Wir wollen natürlich freien Abzug“, forderte Stendar, und Gunnar verlangte zusätzlich zweihundert Stück Hacksilber.
„Sollte ich dein Wissen für gut befinden, sollt ihr bekommen, was ihr verlangt.“
„Auf der Flußseite der Burg gibt es eine versteckte Tür.
Dort könnten Krieger in die Burg eindringen“, sprach Gunnar knapp, und Jarl Einar horchte auf.
„Wo ist diese Tür?“
„Ihr müsst an das Ufer zur Rechten der Burg. Dort schwimmt ihr mit dem Strom und findet am Fuß des Hanges einen kleinen Anlegesteg. Von diesem führt ein Pfad den Hügel hinauf bis zu der Tür, die hinter einem hohen Strauch versteckt liegt“, berichtete Gunnar und grinste dabei überheblich. „Von dort gelangt ihr in den Trakt der Burg, den der Graf bewohnt“, fügte Stendar hinzu. „Von dort dürfte es euch ein Leichtes sein, die Burg einzunehmen.“
Einar blickte den Kjelt an und grinste. Dann wandte er sich Gunnar und Stendar zu. „Wartet hier!“, befahl er und verschwand in seinem Zelt. Als er zurückkehrte, warf er dem Stendar einen ledernen Beutel zu. „Nehmt es und verschwindet! Damit sind wir quitt, und ich werde euch jagen, bis eure Schuld beglichen ist! Geht jetzt!“
Schnell und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, machten sich die beiden Männer aus dem Staub.
Noch ehe Olaf etwas sagen konnte, zeigte der Jarl auf ihn und sprach: „Ich will kein Wort hören. Wir werden sie kriegen, eines Tages!“
Der kommende Tag sollte dem Dittmar endlich sein verdientes Ende bringen. Jarl Einar hatte zehn Männer bestimmt, die mit ihm über die Rückseite in die Burg eindringen sollten, während unter der Führung von Hyrning die Hauptmacht seines Heeres über den Weg die Burg angreifen sollte. Wären Einar und die Seinen erst einmal in der Burg, würden sie aus dem Inneren heraus den Sachsen in den Rücken fallen und dafür sorgen, dass der Angriff der Streitmacht erfolgreich wäre. Doch die Götter wollten es anders!
Zuerst war es nur ein leichter Wind, der blies. Dieser aber wurde schnell stärker, trieb dunkle Wolken heran, die den Himmel erst grau und dann schwarz färbten. Die Zelte der Wikinger flogen durch die Luft, und viele Nordmänner zogen sich in die Ruinen der Siedlung zurück. Und plötzlich öffneten sich die Schleusen des Himmels, und es begann heftig zu regnen. An einen Angriff auf die Wulfshöhe war nun nicht mehr zu denken, denn der Weg, der zur Burg hinauf führte, hatte sich in eine matschige Rutschbahn verwandelt.
Seit mehr als fünf Tagen hatte es durchgeregnet, und im Heerlager der Wikinger war Ruhe eingekehrt. Wachen waren eingeteilt, die Feuer brannten, und viele Krieger hatten sich in die verlassene Siedlung zurückgezogen und suchten dort nach Zerstreuung. Auch Jarl Einar hatte mit der schönen Alma, seiner sächsischen Sklavin, in einer Hütte Schutz vor dem Wetter gesucht, nachdem sein Zelt vom Sturm fortgeweht worden war, und saß nun mit Kjelt, Olaf, Hyrning, Ubbe, dem rothaarigen Bogtyr und Thoke an einem Tisch, als ein Späher eintrat. Diesen hatte der Jarl ausgeschickt, um die Umgebung im Auge zu behalten und vor bösen Überraschungen gewappnet zu sein. Die Männer machten Scherze und lachten, besprachen aber auch die Lage und das weitere Vorgehen. „Jarl Einar, es gibt Neuigkeiten“, machte der Späher auf sich aufmerksam. Der Jarl sah den Mann an und nickte, als Aufforderung, dass er sprechen sollte.
„Der Feind rückt an“, sagte er knapp. „Was soll das heißen?“, fragte Olaf. „Einen halben Tagesmarsch im Osten befindet sich ein Heer der Sachsen, und es nähert sich uns schnell.“
„Hat es dieser alte Bussard etwa geschafft, nach Hilfe zu schicken?“ Kjelt spuckte verächtlich in die Glut der Feuerstelle. „Es sieht so aus, mein Freund“, antwortete Jarl Einar und wandte sich dann dem Späher zu. „Wie groß ist das Heer?“
„Etwa fünfzig Berittene und noch dreimal so viel Fußvolk“, bekam er zur Antwort. „Kannst du überhaupt zählen?“, fragte Thoke, denn dies war nicht selbstverständlich, und so konnte es passieren, dass die Zahlen der Späher nicht stimmten. Doch der Krieger nickte, und so konnte sich der Jarl über die Größe des Heeres recht sicher sein. „Dann werden sie uns morgen erreichen“, stellte Olaf fest. „Wir werden sie gebührend empfangen“, drohte Kjelt kampfeslüstern grinsend, aber Thoke sprach skeptisch: „Ihre Zahl übersteigt die unsere, und wenn dieser Dittmar den Angriff für einen Ausfall nutzt, wird es für uns sehr schwer werden.“
„Hast du etwa Angst, Thoke?“
„Willst du mich beleidigen, Kjelt? Dann haue ich dir auf dein Schandmaul“, drohte der Stevenhauptmann des Wogenreiters verärgert. Kjelt wollte etwas erwidern, doch der Jarl beendete den Streit. „Spart eure Kräfte, ihr werdet sie noch brauchen.“
„Die Stevenhauptmänner sammeln ihre Besatzungen“, befahl der Jarl. „Kjelt, Thoke und Hyrning!“ Er nickte den Männern zu. Da ergriff Hyrning das Wort. „Wir sollten die Wahl des Kampfplatzes nicht dem Gegner überlassen. Hier in der Siedlung stehen wir jedenfalls schlecht!“
„Hyrning hat recht“, stimmte Thoke zu und zeigte in Richtung der Burg. „Wenn die uns in den Rücken fallen, sitzen wir in der Falle.“
Jarl Einar sah sich um, und sein Blick fiel in Richtung des Ufers, dorthin wo die Schiffe lagen. „Wir sollten dort hinter dem Wald Stellung beziehen, um unsere Schiffe zu schützen.“ Nicht weit des kleinen Waldes hatten sie schon bei ihrem ersten Aufenthalt vor den Toren der Wulfshöhe ihr Lager aufgeschlagen. Westlich des Hains lag die Burg, östlich lag die Siedlung, und der breite Weg, der die Wulfshöhe und die Siedlung verband, führte direkt hindurch. Zwischen dem Waldrand und dem Flussufer der Lipsia im Süden lag eine breite Wiese. „Hyrning, du verbirgst dich mit deinen Kriegern in den Hütten und Häusern der Siedlung. Wir locken die Sachsen zum Ufer, sodass ihr ihnen in den Rücken fallen könnt.“
Diesem Vorschlag des Jarls stimmten die Männer zu.
*
1 Jarl – Graf /Earl
2 Sax – einschneidiges Messer oder Kurzschwert
3 Schnigge – schnelle, schlanke Kriegsschiffe mit bis zu 40 Riemen
4 Lipsia – Lippe, Fluß in Westfalen
5 Geldkatze – lederner Beutel, der meist an den Gürtel gebunden wurde
6 Einherjer – im Kampf gefallene Krieger, von den Wallküren nach Walhalla gebracht, um an der Seite Odins in der letzten großen Schlacht gegen das Heer der Riesen zu kämpfen
7 Saxland – Bezeichnung der Nordleute für das Sachsenland, reichte vom heutigen Ruhrgebiet bis hinauf nach Niedersachsen
Dunkelheit lag über dem Hof nicht weit des Nordufers auf der Halbinsel Fylke.
Im Schein mehrerer Fackeln saßen die Schildmaiden der Thordis um den großen Tisch, denn es war an der Zeit, zu beraten, wie sie nun weiter vorgehen wollten. Einige Tage zuvor hatten sie erfahren, dass der König von der Kriegsfahrt aus dem Daneland in die Königsstadt des Trøndelag8 zurückgekehrt war.
„Es gibt für uns nur die eine Lösung, nach Tautra zu Jarl Einar zurückzukehren“, beharrte Gudrun, eine der ältesten unter den Frauen, auf ihrer Meinung, und Eira, auch eine der erfahrenen Frauen, stimmte ihr zu. Doch dies würde bedeuten, dass sich Thordis dem Einar unterwerfen musste, da dieser keinen zweiten Anführer auf der Insel dulden würde. Schon gar nicht seine einstige Gemahlin und Halbschwester Thordis.
Was die Schildmaiden aber nicht wussten, war, dass König Grjotgard9 längst nach Thordis suchen ließ, denn dieser hatte die Schmach, die ihm Jarl Einar im Daneland wegen des Weibes zugefügt hatte, nicht vergessen. Grund war der voreilige Angriff der Schildmaiden auf das Heer des Dänenkönigs Horik10, der Jarl Einar und seinen Lehnsherrn entzweite. Dies hatte Gunnar, der Steuermann des Wellenwolfes, aus Hass auf Thordis verraten, und so den Streit zwischen dem König und seinem Jarl heraufbeschworen. Jarl Einar gelang es, den König mit seinen Kriegern davon abzuhalten, der Thordis ein Leid anzutun. Doch der Trøndnerkönig hatte die Verfehlung des jungen Weibes nicht vergessen, als er nach Lade11 heimgekehrt war, und darum ein Schiff ausgeschickt, das in Tautra nach der Schildmaid suchen sollte.
„Wie lange willst du noch zögern?“, bedrängte Ilva ihre Anführerin. „Irgendwann wird der König herausfinden, wo wir sind, und dann schickt er seine Krieger.“
„Hälst du mich für dumm? Glaubst du, ich weiß nicht, dass es dich zu deinem Kind auf die Insel zieht?“, blaffte Thordis die blonde Ilva an. Seit diese mit dem Einar ein Kind gezeugt hatte, war die Freundschaft der beiden Frauen erkaltet, und es kam oft zu Streitigkeiten. Jetzt sprang Ilva auf und wurde böse. „Es ist nicht meine Schuld, dass du Einar kein Kind schenken konntest“, rief sie zornig. „Und ja, ich will zurück zu meiner kleinen Thorvi. Ich habe dir die Treue geschworen, doch ich werde mich nicht für deine Sturheit schlachten lassen, Thordis Thordsdottir. Morgen werde ich euch verlassen und nach Tautra zurückkehren!“
„Du willst deinen Eid brechen?“ Thordis hätte den Streit mit der schönen Ilva weitergetrieben, wenn nicht Eira das Wort ergriffen hätte. „Ob es dir gefällt oder nicht, Thordis, Ilva hat recht! Es ist an der Zeit, den Hof aufzugeben und uns in Sicherheit zu bringen.“ Sie wandte sich der Ilva zu.
„Wir werden dich begleiten! Wer kommt mit uns?“
Nach und nach hoben sich die Hände der Kriegerinnen, bis von den dreizehn verbliebenen Frauen nur noch vier bereit waren, an der Seite der Thordis zu bleiben. Eine von ihnen war Astrid, die Tochter des Jarls Asbjörn von Levanger.
Enttäuscht sah Thordis in die Runde. „Gut, ihr habt entschieden“, sprach sie mit beleidigter Stimme. „Packen wir unsere Sachen.“ Sie richtete ihr Wort an Gudrun. „Du wirst morgen damit beginnen, das Vieh an das Ufer zu treiben. Dort, wo der Blutdrache vor Anker liegt.“ Gudrun nickte und suchte sich zwei weitere Frauen aus, die ihr helfen sollten. „Arla, du machst den Blutdrachen seeklar“, befahl sie der Steuerfrau.
Thordis erhob sich, erwählte noch zwei weitere Frauen, die mit nach Tautra segeln sollten, und verließ dann die Hütte.
Lange dauerte die Überfahrt zwischen Fylke und der Insel nicht, und so hatten sie zur Mittagszeit all ihr Vieh herübergeschafft. Der Wind blies heftig, und die grauen Wolken zogen schnell über den Himmel hinweg. Nach der letzten Fahrt zogen sie den Blutdrachen mit dem Kiel auf den Strand, und Thordis machte sich mit zwei ihrer Schildmaiden auf den Weg nach Sørhamna, denn sie musste nun vor den Jarl der Insel treten. Da sie nicht in der Südbucht an Land gegangen waren, konnten sie nicht sehen, dass die Schiffe des Jarls nicht im Hafen lagen, und daher war die Enttäuschung groß, als die Schildmaiden erfuhren, dass der Jarl noch nicht wieder auf der Insel weilte. Ferun, die jüngere der beiden Töchter der Ulla, trat in die Schildhalle und lächelte die Thordis an, die dort vor den leeren Hochstühlen stand. „Komm, Thordis, Mutter will dich sehen“, sprach sie und führte die Frauen hinaus und zu dem Haus, das die einstige Gemahlin Jarl Oyvinds und Stiefmutter Jarl Einars bewohnte. Höchst erfreut begrüßte diese die drei Frauen, nachdem sie in das Haus getreten waren. „Thordis“, lächelte sie freundlich. „Was führt euch hierher?“
„Ich kam, um mit Einar einige Worte zu wechseln“, sprach Thordis zögerlich. „Nehmt Platz“, zeigte Ulla auf die Bänke, und die Schildmaiden folgten ihrer Aufforderung.
„Ich muss dich enttäuschen, denn Einar ist noch nicht von der Kriegsfahrt heimgekehrt. So habe ich die Befehlsgewalt, und du musst mit mir reden.“ Ulla setzte sich zu den Frauen.
„Ich hörte, ihr habt Vieh auf die Insel gebracht, warum tatet ihr dies?“
Erstaunt sahen sich die Schildmaiden an. Ein wenig beschämt begann Thordis ihr Anliegen vorzutragen. Da nickte Ulla wissend. „Ein Krieger des Königs war vor nicht allzu langer Zeit hier und verlangte deine Auslieferung“, kam Ferun ihrer Mutter grinsend zuvor. „Was sagst du da?“,
erschrak Thordis. „Es ist wahr, ein Schiff des Königs kam, und der Schiffsführer suchte nach dir. Doch er musste unverrichteter Dinge wieder abziehen.“
„Aber wohin ist er gesegelt?“
„Ich denke, er wollte nach Fylke hinüber“, sagte Ferun und zuckte mit den Schultern. „Denn dort hofft er dich zu finden.“
„Dann ist der Hof in Gefahr!“ Astrid war sichtlich erregt.
Da sprach Ulla ruhig, aber mit der Autorität eines Jarls.
„Ich gestatte euch, hierher nach Tautra zu kommen. Geht auf die Nordinsel und errichtet dort einen Hof, wie ihr ihn in Fylke hattet. Einzig eine Bedingung stelle ich euch.“
Plötzlich wurde die Tür, einer der hinteren Kammern geöffnet, und die zweite Tochter der Ulla trat heraus.
Geistesabwesend humpelte sie in den Raum und verlangte nach Wasser. Alle Augen lagen auf der jungen Frau, die immer noch nicht von ihren schweren Verwundungen genesen war, die sie sich auf der Kriegsfahrt ins Daneland zugezogen hatte. Als eine der Schildmaiden hatte Uma gekämpft, und hätte sie der Gaute Breka nicht vom Schlachtfeld geholt, hätte sie dort ihr Leben gelassen.
Daraufhin hatte Jarl Einar der Thordis befohlen, seine Stiefschwester nach Tautra zu bringen, wo sie ihre Wunden auskurieren sollte. Der größte Teil ihres Gesichtes war von einem dicken Verband verdeckt, der auch eines ihrer Augen verbarg. „Uma“, sprach Thordis ihre Gefolgsfrau an, doch diese reagierte nicht darauf. Sie trank einen Schluck Wasser und humpelte dann zurück in die Kammer. Traurig sah Ulla ihrer Tochter hinterher. „Die Wunden heilen gut, doch ihr Geist will nicht heilen.“
Gudrun war die Erste, die ihre Stimme wiederfand. „Deine Bedingung, Ulla. Was ist deine Bedingung?“
„Ihr Schildmaiden werdet dem Jarl, meinem Sohn den Eid der Gefolgschaft leisten!“ Sie sah den Frauen in ihre Gesichter, einer nach der anderen, und auf dem Antlitz der Thordis blieb ihr Blick liegen. „Ich weiß, dass dir das nicht gefällt, Schildmaid, doch einen anderen Weg gibt es nicht, wollt ihr dem Zorn des Königs entkommen.“
Die Frauen sahen sich an, und eine nach der anderen nickte zustimmend. Da zeigte sich auch Thordis einverstanden.
Und es dauerte nicht einmal einen halben Mond, da bewohnten sie einen Hof nicht weit der schmalen Landbrücke, und ihre Schnigge Blutdrache lag an einem neu erbauten Anlegesteg, der in den Fjord hinausragte.
*
Immer noch fiel leichter Regen aus den grauen Wolken, die schnell über den dunklen Nachthimmel zogen. Bald würde die Sonne aufgehen, und so gab Einar den Befehl, dass die Hauptmänner ihre Krieger sammeln sollten. Niemand wusste, wie weit der Feind noch entfernt war, und so bezogen die Wikinger ihre Stellungen. Hyrning verbarg sich mit seinen Kriegern in der Siedlung, während die Hauptmacht der Wikingerarmee in Richtung des Flussufers marschierte.
Kaum begann der Tag zu grauen, da ertönten von Osten her, die Hornsignale der Feinde.
Sie sollten den Eingeschlossenen auf der Burg signalisieren, dass Hilfe nahte. Wie sich aber schnell zeigte, marschierte das Heer der Sachsen auf die Burg zu, dorthin, wo sie das Lager der Wikinger zu wissen glaubten. Verwirrt stellten die Hauptmänner des Herzogs dann fest, dass das Lager verlassen war, und erst als sie die Hörner der Gegner vom Ufer des Flusses herauf dröhnen hörten, wussten sie, wo sie den Feind finden würden. Das Tor der Burg aber blieb verschlossen. So, wie es von jeher Graf Dittmars Art war, hoffte er darauf, dass die Truppen des Herzog Cobbo die Feinde vertrieben. Einzig der junge Ermold ritt an der Seite der sächsischen Heerführer gegen die Wikinger.
Zwei Schiffsbesatzungen warteten in breiter Front darauf, dass die Feinde aus dem Wald marschierten, in der Hoffnung, die Übermacht durch die List in Bedrängnis zu bringen. Und dann marschierte die Vorhut aus dem Wald, und die Wikinger ließen sie herankommen. „Wo sind die Berittenen?“, fragte Kjelt beim Anblick der Speerträger.
Mehr und mehr Krieger rückten aus dem Wald auf die Wiese, doch von den Reitern fehlte jede Spur. Und plötzlich ertönten die Signalhörner der Sachsen, und die Krieger rückten vor. „Schildwall!“ Von allen Seiten hallte der Ruf der Nordmänner, und die Wikinger rückten zusammen und bildeten die Wehr aus ihren Rundschilden. Nur wenige Krieger blieben dahinter, um die durchgereichten Feinde in Empfang zu nehmen und zu erschlagen. Die vordersten Reihen der Sachsen prallten auf den Schildwall, doch es gelang ihnen nicht, diesen zu entzweien. Plötzlich aber ertönte ein Hornsignal, und die Wikinger öffneten den Wall, stürmten gegen die Feinde und kämpften. Doch mehr und mehr Soldaten des Herzogs Cobbo marschierten aus dem Wald. Wie die Berserker12 kämpften die Männer aus Tautra, und als endlich Hyrning mit seinen Kriegern aus der Siedlung heraus auf das Schlachtfeld marschierte, schien es, als gelänge es den Wikingern, die Übermacht zu schlagen.
Die Wikinger stürzten sich den Sachsen in den Rücken, und die Nordmänner feierten ein Blutfest, da aber ertönte von Westen ein Signal, und der dröhnende Klang aufschlagender Hufe mischte sich mit den Kampfgeräuschen. Nun stürzte sich die Reiterei in den Kampf, und das Blatt wendete sich gegen Jarl Einar und die Seinen.
Wie ein Sturm fegten die Reiter über sie hinweg, und nach kurzem Kampf rief Einar: „Rückzug! Blast zum Rückzug!
Zu den Schiffen!“
Die Hörner erklangen, und die Wikinger erkämpften sich den Weg zum Flussufer.
Die drei Schiffe der Wikinger aus dem Trøndelag hatten eilig vom Ufer abgelegt, und die Männer ruderten nun der Mündung in den großen Strom entgegen.
Nur unter großen Verlusten war es ihnen gelungen, die Sachsen zurückzudrängen, sodass sie ihre Schiffe erreichten.
Viele Krieger hatten Wunden davongetragen, und mehr als ein Dutzend war nach Walhalla 13aufgebrochen.
Nun, da sie dem Pfeilhagel entkommen waren und der Fluß ihnen Sicherheit gab, war Stille unter den Kriegern aus dem Norden. Die Stimmung auf den drei Schniggen war gedrückt, denn die Niederlage setzte den Männern zu, und die rasche Flucht hatte es ihnen unmöglich gemacht, ihre Toten zu verbrennen.
Zu ihrer Rechten sahen sie wieder zwischen den Baumwipfeln die Dächer der Burg, ehe sie die Lipsia verließen und ihre Kiele in die Wellen des Rheins stießen.
Jarl Einar stand bei Ubbe am Heckstand, als Kjelt zu ihm trat.
„Hast du gesehen, was ich sah?“, fragte Kjelt seinen Jarl.
„Was meinst du?“ Dieser blickte seinen Krieger fragend an. „Nun, ich würde jeden Eid darauf schwören, dass ich dein Schwert gesehen habe.“
„Was hast du? Wo?“, rief Einar. „Bist du sicher?“ Kjelt nickte mit dem Kopf und begann, beim Anblick von Einars Erregung zu grinsen. „Der junge Kerl, der schon im letzten Sommer in Graf Dittmars Gefolge ritt, Ermold glaube ich, trug es. Ich habe es genau gesehen, es war das Blutauge.“
„Kjelt, bist du ganz sicher?“, bedrängte der Jarl den Wikinger und traute seinen Ohren nicht. „Natürlich bin ich sicher! Er ritt bei den Hauptmännern der Sachsen. Bei Odins Auge, es war deine Frankenklinge.“ Da sah Ubbe, der Steuermann des Wellenwolfes, seinen Jarl an und fragte ein wenig verärgert: „Ist dir diese Burg soviel wert, dass du uns alle nach Walhalla schicken willst? Wenn du wirklich Graf Wulfger sein willst, dann bist du kein wahrer Nordmann!“
Für einen Moment schwieg Einar, sah den Männern in ihre Gesichter, einem nach dem anderen, und dann sagte er ruhig: „Ich bin Jarl Einar! Dies weiß ich schon seit langen.
Graf Wulfger, so wie es Thorstein erhofft hat, bin ich nicht und werde es auch nie werden. Saxland ist nicht meine Heimat. Aber das Schwert Blutauge ist das meine, und ich will es wiederhaben!“ Die Männer begannen zu grinsen, denn dies waren die Worte, die sie von ihrem Anführer hören wollten.
„Und den Schatz, von dem Thorstein sprach, werden wir uns auch holen. Irgendwann!“
Hatte Einar nach der Schlacht die Heimkehr beschlossen, so ergriff ihn nun die Hoffnung, sein Schwert doch noch zurückzuerhalten.
„Dort rüber“, befahl Einar, der zum Vordersteven des Wellenwolfes gelaufen war und das gegenüberliegende Ufer des Rheins beobachtete. Mit dem Finger zeigte er auf eine bewaldete Landzunge, nicht weit der Mündung der Lipsia.
Diese lag an dem Westufer des großen Stromes und würde es dem Wikingerjarl ermöglichen, die Burg seiner Ahnen im Auge zu behalten. Die Ruderer legten sich kräftig in die Riemen, um gegen die starke Strömung des Flusses anzukämpfen, und doch wurden sie weit abgetrieben, sodass sie den Strom ein ganzes Stück zurück rudern mussten.
„Dort“, rief Einar wieder und zeigte auf eine Uferstelle der in den Strom hineinragenden Landzunge, wo das Wasser flach war und ein Stück sandiger Strand zu einer Böschung führte, hinter der sich eine Wiese bis zum Rand des Waldes erstreckte. „Da wollen wir lagern. Kjelt, stoße ins Horn.“
Das Signal ertönte, und die Stevenhauptmänner der beiden anderen Schniggen folgten dem Beispiel des Wellenwolfes, der mit dem Kiel auf den flachen Strand rutschte.
Sofort schickte der Jarl seine Späher aus, um festzustellen, ob ihnen Gefahr drohte, und bald brannten auch die Feuer.
Zelte und notdürftige Hütten wurden errichtet, und es begann ein eigentlich recht ruhiges Lagerleben.
Auch über das Ufer schickte Einar seine Späher, doch es bot sich keine Gelegenheit, die Burg erneut anzugreifen, denn die Reiterei der herzöglichen Krieger lagerte immer noch zu Füßen der Wulfshöhe.
„Seit einem ganzen Mond hocken wir hier tatenlos herum“, beschwerte sich Olaf lautstark. „Und das nur wegen eines Schwertes!“
Einar sah den Krieger etwas beleidigt an, wusste er doch, dass viele so dachten. Wenn nichts geschehen würde, wäre bald seine Führerschaft in Gefahr. Es schien, als müsste er Blutauge aufgeben?
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Die Stimmung in dem großen Saal auf der Wulfshöhe war trotz des Sieges gegen die Wikinger nicht besonders gut.
Während die Bevölkerung feierte und bester Laune war, konnte man dies von Graf Dittmar nicht behaupten. Nach der Schlacht war der Hauptmann des Herzogs, der Buddo hieß, in die Burg eingezogen, und mit sich brachte er Ermold. Die Reiter wurden als Befreier gefeiert und von Graf Dittmar ehrenvoll begrüßt. Die gute Laune des Burgherrn sollte sich aber bald in das Gegenteil wandeln.
Die Männer betraten den Saal, und Hauptmann Buddo trat geradewegs auf den Thron des Hausherrn zu und nahm darauf Platz. Mit starrem Blick sah der alte Graf den Hauptmann des Herzogs an. „Was soll das, Hauptmann? Du solltest wissen, wem dieser Platz gebührt!“
„Er gebührt dem Herrn über diese Burg“, sprach der Angesprochene ruhig. „Und der bist nicht mehr du!“
Graf Dittmar erschrak, und es war ihm, als schnüre ihm jemand die Kehle zu. „Was … was soll das heißen?“
„Wo waren deine Krieger im Kampf gegen die heidnischen Teufel?“, fragte Buddo kalt. „Wo war der Herr der Wulfshöhe?“