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© 2018 Ralf Mattern – aufbruch@web.de

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783752881585

Danksagung:

Für die Unterstützung, Hilfe und Zuarbeit danke ich herzlich: Stadtarchiv Wernigerode (Hans-Peter Mahrenholz und Saskia Düsedau), Harzbücherei Wernigerode (Steffi Hoyer), GWW (Kirsten Fichtner und Stefan Korsch), Klaus Buchmann, Torsten Klinke, Reinhard (»Hardy«) Prüßmann, Thomas (»Flipper«) Richardt, Ivonne Sielaff, Dieter Zinke

und natürlich meiner Frau Melanie, die die Idee für dieses Projekt hatte.

Ralf Mattern

Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Ivonne Sielaff

Die wenigsten können von sich behaupten, am 28. Dezember 1895 in Paris gewesen zu sein. Genauer gesagt im »Salon Indien des Grand Cafés«. Was also haben wir verpasst? Die Brüder Louis Jean und Auguste Lumiere hatten das Lokal am Boulevard des Capucines angemietet, um ihre Erfindung, den Cinematographen, und einige selbstgedrehte Filme vor einem zahlenden Publikum zu präsentieren. Das Ticket kostete einen Franc. Diese Vorstellung vor 122 Jahren ist nicht nur als erste öffentliche Filmvorführung Frankreichs in die Geschichte eingegangen, sondern vor allem als Geburtsstunde des Kinos.

Es war nicht das erste Mal, dass die Brüder Lumiere ihren Cinematographen zeigten. So hatten sie ihre vielversprechende Apparatur bereits Monate vorher während eines mehrtägigen Kongresses der französischen Fotografenvereinigung vorgestellt. Auch waren die Lumieres nicht die ersten, die Filme vorführten. Tatsächlich arbeiteten in jenen Tagen Wissenschaftler in aller Welt parallel an einer Möglichkeit, die Bilder laufen zu lassen.

Ausgangspunkt war die Laterna Magica im 17. Jahrhundert, mit der man Bilder an eine Wand projizieren konnte, und die Erfindung der Fotografie um 1826. Stroboskop, Stereoskop und Panoptikum folgten und wurden im 19. Jahrhundert zu Jahrmarkt-Attraktionen.

Die ersten bewegten Bilder gelangen dem Briten Eadweard Muybridge mit seinen Serienfotografien eines galoppierenden Pferdes. In den USA stellte Thomas Alva Edison im Jahr 1891 seinen Aufzeichnungsapparat Kinetograph und sein Projektionsgerät Kinetoskop vor. Am 1. November 1895 präsentierten die Brüder Skladanowsky mit ihrem Bioskop neun Kurzfilme im Rahmen eines Varieté-Programms im Berliner »Wintergarten«.

Dennoch war es die Erfindung der Brüder Lumiere, die sich durchsetzen sollte. Louis Jean und Auguste Lumiere hatten einen Apparat entwickelt, der Aufnahme-, Kopier- und Abspielgerät in einem war – zu dem Zeitpunkt ein einmaliger Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Dazu kam, dass die Fabrikantensöhne nicht nur über reichlich Geld, sondern auch über Kontakte in die Wirtschaftsbranche verfügten, die es ihnen ermöglichten, ihr Patent zu vermarkten.

Gerade einmal 33 Neugierige wohnten der ersten öffentlichen Vorstellung der Lumieres an jenem 28. Dezember 1895 bei. Gezeigt wurden zehn Filme, darunter »Der begossene Gärtner« (»L’Arroseur arrosé«) und die inzwischen legendäre »Ankunft eines Zuges im Bahnhof La Ciotat« (»L’arrivée d’un train en gare La Ciotat«). Keiner der Filme war länger als ein paar Minuten. Sie bildeten die Realität ab, dokumentierten alltägliche Ereignisse. Doch das Publikum war begeistert.

Die neue Attraktion sprach sich in Paris herum. Schon bald waren die Sitzplätze im »Salon Indien des Grand Cafés« heiß begehrt. Nicht nur in Frankreich wollten die Menschen die bewegten Fotografien der Lumieres sehen. Der Cinematographe eroberte die Welt. Doch bis die ersten Lichtspielhäuser gebaut wurden, bis sich der Film von der Kuriosität zum Unterhaltungsmedium entwickelte, war es noch ein langer Weg.

Vorerst tourten die Erfinder als Unternehmer durch die ganze Welt – mit dem Ziel, ihre Apparaturen und Filme zu verleihen. Die Vorführungen fanden zu jener Zeit in provisorisch umgebauten Ladenlokalen, Gaststätten, Biergärten und Veranstaltungssälen statt. Filme wurden in Jahrmarktszelten gezeigt, ergänzten das Programm von Varieté-Theatern. Kurz darauf schossen in den europäischen Städten und auch auf dem amerikanischen Kontinent die ersten eigenständigen Kinematographen-Theater aus dem Boden.

Filme galten zu jener Zeit als billige Massenunterhaltung. Und so waren die kurzen Streifen auch, die gezeigt wurden: billig. 358 Filme enthielt beispielsweise der Katalog der Lumiere-Brüder im Jahr 1897 – darunter kurze Dokumentarfilme, Alltagsszenen, Trickfilme, amüsante Possen.

Es brauchte einen weiteren Franzosen, um den Film zu revolutionieren: Georg Méliès. Er gilt als einer der Pioniere der frühen Filmgeschichte. Zum Ende des 19. Jahrhunderts besuchte er eine der ersten Vorstellungen der Brüder Lumiere. Deren Cinematographe und Filme begeisterten den Zauberkünstler und Theaterbesitzer. Er baute sich eine eigene Filmapparatur und begann, selbst Filme zu drehen. Anders als seine Zeitgenossen dokumentierte er nicht einfach nur die Realität. Er begann mit Schnitt, Doppelbelichtungen und Überblendungen zu experimentieren, entwickelte die Stop-Motion-Technik. Er schuf die allerersten Special-Effects und mit »Reise zum Mond« (1902) den ersten Science-Fiction-Film der Kinogeschichte. Tausende von Filmen gehen auf Méliès Konto. Leider brach ihm die Filmbranche das Genick. Seine teuer produzierten Streifen konnten alsbald nicht mehr mit der billigeren Konkurrenz mithalten. Schon bald darauf waren der Kinovisionär und seine Filme in Vergessenheit geraten. Doch sein Einfluss auf das Kino hatte Bestand.

Längst betrachteten die Zuschauer den Film nicht mehr als technische Sensation. Die Faszination war abgeebbt. Dafür rückten die Geschichten, die auf der Leinwand erzählt wurden, und die Schauspieler, die sie präsentierten, ins Interesse des Publikums. Das Starsystem war geboren. Nun war es nicht mehr die Technik selbst, sondern Schauspieler wie Asta Nielsen, Charlie Chaplin, Buster Keaton und Greta Garbo, die die Menschen ins Kino lockten.

In den vergangenen 122 Jahren hat sich der Film in vielerlei Hinsicht verändert. Ton, Farbe, Dolby Surround, 3D – die moderne Zeit wird es mit sich bringen, dass sich die Zuschauer auf immer wieder neue Finessen einstellen müssen. Eines aber ist geblieben: Die leise Aufregung, wenn man den Kinosaal betritt. Das Gefühl von Ehrfurcht, wenn man im Dunkeln sitzt und andächtig wartet, dass sich der Vorhang hebt und die Bilder zu laufen beginnen.

Wernigerode, im April 2018

TEIL 1: »Lebende Photographien« in Wernigerode

Am Ende des 19. Jahrhunderts, genauer gesagt: Am 14. Dezember 1897 begannen auch in Wernigerode die Bilder das Laufen zu lernen. Bis dahin »wanderten« sie eher gemächlich. Seit dem im Jahr 1880 in Breslau der Erfinder August Fuhrmann sein erstes »Kaiser-Panorama« eröffnete, wurde dieses Medium schnell populär. Bis zu 25 Personen gleichzeitig konnten stereoskopische Bilderserien durch ein Guckloch betrachten. Im Panorama befand sich ein Zahnkranz, auf dem fünfzig Glasdias befestigt waren, die von der Rückseite her durch Gas- oder elektrisches Licht durchleuchtet wurden. Der Antrieb erfolgte in der Regel automatisch durch ein Uhrwerk, nach Ertönen eines Glockenschlages wurden die Bilder um eines weitergerückt. Fuhrmanns Idee war buchstäblich Gold wert: Er zog bald nach Berlin, baute Vorführgeräte, die er dann an eigenständige Unternehmer verkaufte. Die Bilder stellte Fuhrmann auch zur Verfügung: Um 1910 soll es über 100.000 stereoskopische Bilder gegeben haben, die in Ringleihe in ganz Deutschland vorgeführt wurden.

Auch nach Wernigerode kamen des Öfteren »Kaiser-Panoramen«. Und obwohl das Anschauen der Bilderserien sehr beliebt war, läutete in der »bunten Stadt« am 12. Dezember 1897 eine eher unscheinbare Zeitungsanzeige im »Wernigeröder Tageblatt« eine neue Epoche ein: Das Zeitalter des Kinos begann am Fuße des Brocken.

Am Dienstag, den 14. und Donnerstag, den 16. Dezember 1897 gastierte im Wernigeröder Kurhaus (ab 1935: »Stadtgarten«) das »Theater lebender Photographien durch den besten Kinematographen, genannt Vitograph, Clement & Hilmers, Paris«, wie es in der Ankündigung im »Wernigeröder Tageblatt« hieß.