Schriftenreihe Textil - Kultur - Mode

herausgegeben von Waltraud Rusch

Waltraud Rusch „… von der Lust und Liebe, mit den Händen etwas zu gestalten“. Puppen und Figuren der Künstlerin Maria Elisabeth Huber.

Fotos: Jürgen Nebel

Band 4

Fachverband ... textil..e.V. Wissenschaft - Forschung - Bildung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2018 Waltraud Rusch

Layout und Herstellung: Nebel Medienproduktion, Muggensturm

Umschlaggestaltung: Jürgen Nebel, Waltraud Rusch

Verlag (Druck, Bindung, Vertrieb): BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783744867313

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Puppen, unsere heimlichen Kinder

Nun wohne ich schon über vier Jahre im Wohnstift Augustinum in Essen. Als ich damals zum letzten Mal etwas wehmütig durch mein Haus in Kelkheim ging, um von ihm Abschied zu nehmen, waren meine Koffer schon gepackt. Alles was zurückblieb, sollte entsorgt werden. Da saß doch tatsächlich in meinem Schlafzimmer noch die kleine, von mir handgearbeitete Puppe, meine Franziska und schaute mich an. Neben ihr lag Max, ihr kleiner Bruder, ein Teddy. Ich stockte, das ging nicht. Die beiden mussten mit. Ich konnte sie doch nicht einfach entsorgen lassen. Vor über 30 Jahren, als meine Enkelkinder auf die Welt kamen, hatte ich begonnen, Puppen anzufertigen. Ich selbst habe als Kind wenig mit Puppen gespielt, aber diese kleinen Wesen, mit denen ich mich wochenlang beschäftigte, wuchsen mir ans Herz. Ich weiß nicht warum. Es waren keine Kunstwerke, aber jede Puppe wurde eine kleine Persönlichkeit, von mir geschaffen. Und dann musste ich sie hergeben, ich hatte sie ja zum Verschenken gemacht. Als wieder eine fertig war, spürte ich, das ist die letzte Puppe die ich herstelle. Ich hatte fast das Gefühl, ich gebe ein Kind weg.

Und nun konnte ich sie doch nicht einfach zurücklassen. Also wanderte Franziska, die erste Puppe, die ich als Probestück gemacht hatte, mit mir in das Augustinum und ihr kleiner Freund, Teddy Max ebenso. Auch ihn hatte ich damals selbst angefertigt. Jeden Tag, wenn ich sie jetzt in meinem Zimmer ansehe, spüre ich etwas wie Freude, Zugehörigkeit, Wärme.

Als ich einige Monate im Augustinum wohnte, fuhr ich wie jeden Tag zum Mittagessen mit dem Aufzug in unser Restaurant. Eine neue Mitbewohnerin schloss sich mir an. Sie war schon sehr gebrechlich, doch sie fiel mir durch ein ungewöhnliches Kleid auf. Spontan sagte ich: „Mein Gott, was haben Sie für ein schönes Kleid an.“ Sie freute sich über meine Bemerkung und lud mich zu einer Tasse Tee in ihre Wohnung ein. So lernte ich Frau Huber kennen. Ihre Wohnung überraschte durch viele Bilder und Kunstwerke. Im Fenster saßen zwei kleine außergewöhnliche Puppen. Es waren keine Puppen zum Spielen, sondern Darstellungen von Kindern. Im Lauf unseres Gespräches erzählte sie dann von ihrer Freude, ja fast Leidenschaft, zu malen und Puppen herzustellen. Leider war sie sehr krank. Monate vergingen bis zu unseren nächsten Begegnungen. Als ich wieder einmal ihre Puppen bewunderte, erfuhr ich, dass noch etwa 70 weitere in Containern im Keller eingelagert waren. Ihr sehnlicher Wunsch war es, ihre kleinen Lieblinge noch einmal zu sehen. Ich überlegte mit ihr, ob und in welcher Form das wohl möglich wäre.

Auf meine Nachfrage hin erklärte sich das Augustinum bereit, im Rahmen einer Sonderausstellung der Reihe „Bewohner für Bewohner“ eine Vitrinenausstellung zu gestalten. Und dann ging alles sehr schnell. Frau Professor Dr. Waltraud Rusch und Herr Professor Dr. Jürgen Nebel übernahmen die qualitative Beurteilung und fotografische Bestandsaufnahme der Puppen. Die Konzeption der Ausstellung entwickelte Waltraud Rusch. Mit einem Vortrag über das Thema „... von der Lust und Liebe, mit den Händen etwas zu gestalten“ stellte sie die Puppen und Figuren der Künstlerin Maria Elisabeth Huber im Theater des Augustinums der Öffentlichkeit vor. Die Gesamtdokumentation liegt nun als Buch vor.

Dieses Werk vermittelt etwas von dem Zauber, den Puppen auf uns ausüben. Sie rühren an unser Herz und ohne Worte spüren wir Nähe und Wärme, das, was wir uns wünschen und so sehr brauchen.

Essen, März 2018

Maria Winkler

Kurze Geschichte der Puppe

Die Puppe ist das plastische Abbild eines Menschen. Bei allen Völkern der Vergangenheit und der Gegenwart finden sich – unabhängig von ihren Kulturstufen – solche Abbilder. So vielfach die Völker, so vielfach sind die verwendeten Materialien und Erscheinungsformen der Figuren. Die Puppe ist plastisch oder flach, bunt oder einfarbig, weich oder hart, leise oder laut, starr oder beweglich. Sie spricht alle menschlichen Sinne an. Als Relikt vergangener und als Gut bestehender Kulturen reflektiert sie diese. Ihre Bestimmung ist nicht sichtbar. Sie ist, wenn überhaupt, erst durch die Kulturgeschichte des betreffenden Volkes zu entschlüsseln.

Die Archäologie hat die Puppen des Altertums wieder zu Tage befördert. Die prähistorischen Figuren sind einfach und verwandeln sich nur mit Hilfe der Phantasie zu menschlichen Gestalten. Die Funde der neolithischen Zeit überbetonen die weiblichen Formen. Dies ist ein Hinweis auf die Verehrung der Mütterlichkeit. Sie sind Symbole der Fruchtbarkeit. Solche weisen noch heute die Puppen verschiedener Naturvölker auf.

Die berühmtesten puppenähnlichen Figuren der frühen Geschichte sind die „Ushabti“, Grabfiguren der alten Ägypter. Sie stammen aus der Zeit um 2000 v. Chr. und besitzen als Opfergaben rein kultischen Charakter. Überdauert haben diese Holzfiguren nur durch die trockene Hitze Ägyptens.

Vermutlich gibt es in Griechenland ebenfalls Holzpuppen. Erhalten sind jedoch nur mykenische Puppen aus gebranntem Ton, die sowohl rituellen Zwecken als auch dem Spiel dienen. Viele Gliederpuppen aus Ton werden in Tempeln gefunden, denn das junge griechische Mädchen pflegt seine Puppe der Göttin Artemis zu weihen, wenn es heiratet.

Die Römer benutzen ebenfalls aus Ton gefertigte Puppen, die mit Holzgliedern ergänzt sind. Wie bei den griechischen Mädchen, so ist es auch bei den römischen Sitte, die Puppe am Vorabend der Hochzeit einer Göttin zu weihen. Grabfunde in den Katakomben beweisen, dass auch Christinnen Puppen schätzen. Die frühen Puppen ähneln sich oftmals in Form und Material, auch wenn die Fundorte sehr weit voneinander entfernt sind.

Puppen nehmen in verschiedenen Religionen den Platz des verehrenden Gottes oder des zu opfernden Menschen ein. Diese Bestimmung der Puppen finden wir bei den Ägyptern und Römern wie auch bei den Asiaten und Südamerikanern. Sie sind aus Materialien gefertigt, die sich in der Natur finden: Ton, Gras, Stroh, Blätter, Tannen- und Pinienzapfen, Nüsse, Kastanien, Baumrinde, Haut, Pelz und vieles mehr.

In Afrika ist die Puppe der Ort, der die abgeschiedene Seele des Verstorbenen aufnimmt. Phantasiefiguren dienen den Medizinmännern als Zaubermittel und Fruchtbarkeitssymbole. Wenn die Puppe – meist aus einem ausgehöhlten Kürbis hergestellt – ihren Zweck erfüllt hat, bekommt das Kind die Frucht als Spielzeug. Puppen als Hoffnungsträger und Glücksbringer, z.T. sogar aus Walrosszähnen angefertigt, kennen auch die Russen und Eskimos. Ein Relikt des Aberglaubens, d.h. des Vertrauens auf zauberkräftige Riten, sind die bis in unsere Zeiten mitgeführten Amulette, Talismane und Maskottchen.

Das Besprechen und Zerstückeln von Wachs- und Tonpuppenporträts soll der abgebildeten Person Fluch, Krankheit und Tod bringen, ein Ritual der Hexen des 17. Jahrhunderts, das in England bis weit ins 20. Jahrhundert nachzuweisen ist.

Häufig symbolisiert die Puppe Dank und Glück im Erntebrauchtum der verschiedensten Völker der Erde, z.B. bei den Hopi-Indianern, den Amerikanern und Engländern.

Alle frühen Puppen haben also zwei Bestimmungen. Sie sind einerseits Fetisch, andererseits Spielzeug. Im Rahmen der Darstellung des Menschen aus religiösen Motiven muss auch die Krippe mit ihren Figuren erwähnt werden. Die ältesten Berichte über Krippen stammen aus Italien. Im Jahre 1478 wird eine Krippe in Auftrag gegeben, „zu der das Christkind, die Jungfrau Maria, der hl. Josef, elf Engel und die drei Weisen aus dem Morgenland, Hirten mit Schafen und Hunden, der Ochs und der Esel und sogar Bäume gehört haben.“ (Hillier, 1968, 55) Die Krippe wird zum Weihnachtssymbol der Christen. Angefertigt werden die Figuren aus billigsten und teuersten Materialien, wie all die anderen Puppen auch.

In China und Japan verwendet man die Puppe aus Furcht vor ihren Zauberkräften nicht als Spielzeug. Man nimmt an, dass erst die Holländer das Spielzeug Puppe den Japanern näherbringt. Die japanischen Puppenfeste – am 3. März für die Mädchen, am 5. Mai für die Knaben – werden bis in die Gegenwart gefeiert. Sie sind ursprünglich ein Huldigungsakt für den Kaiser (Tenno), dem göttliche Vorfahren zugeschrieben werden. Noch heute stellen die beiden Hauptfiguren der feierlichen Puppengruppe Kaiser und Kaiserin dar.

Die Puppe dient auch den Völkern und Stämmen des europäischen Raums als Kultsymbol religiöser Verehrung, als Votivplastik, als Toten- und Grabbeigabe, Zauber- und Idolfigur, Amulett und Talisman.

Tradition der europäischen Spielpuppe

Die Entwicklung der Puppe zur Spielpuppe ist erst mit dem 13. Jahrhundert belegt. Die ältesten Funde stammen aus Straßburg (13. Jh.) und aus Nürnberg (14. Jh.), der Stadt des Spielzeugs. Diese Stadt war die Metropole des florierenden Puppen- und Spielzeughandels seit dem 15. Jahrhundert und ist es bis heute mit seiner Spielzeugmesse geblieben. Die ersten Dockenmacher, d.h. Puppenhersteller, werden 1413 urkundlich erwähnt. Sie bilden eine eigene Zunft. Docken von Holz geschnitten und aus Papier, ähnlich dem späteren Papiermaché, fertigen die Dockenmacher an, also einfache Spielpuppen.

In Frankreich dagegen entwickelt sich die Puppenfabrikation im 17./18. Jahrhundert in eine andere Richtung. Da die Puppe hier vorwiegend der Unterhaltung Erwachsener dient, wird sie immer luxuriöser ausgestattet. So können sich nur begüterte adelige Kreise die anspruchsvoll gestalteten, prunkvollen Geschöpfe leisten. Sie tragen die Mode der Zeit zur Schau. Sie sind die ersten Modelle, die ersten Mannequins. Schneiderinnen, Putzmacherinnen und Coiffeure kreieren die allerneuste Mode, die die Puppen aus Wachs, Holz oder Terrakotta zur Schau tragen. Sie sind die Botschafterinnen der Mode, eine Aufgabe, die ab dem 18. Jahrhundert vorwiegend die Modejournale übernehmen. Alle europäischen Höfe werden durch diese wertvollen Modepuppen und ihr Reisegepäck über die neue „Pariser Mode“ unterrichtet. Die weiteste Reise solcher Modepuppen führt bis nach Indien. Bis zum 1. Weltkrieg werden diese Mannequins eingesetzt, jedoch wegen der hohen Kosten nur noch in geringer Zahl.

Eine andere Berufsgruppe, nämlich die der Künstler, bedient sich einer Verwandten der Modepuppe, der Gliederpuppe. Aus Ton gebrannt, dann in Wachs gegossen, später aus Holz mit gesteckten Gliedern steht sie mehr oder weniger berühmten Malern Modell.