Raw Need
Gegen den Verstand
Roman
Ins Deutsche übertragen
von Anja Mehrmann
Zane Larson führt ein Leben auf der Überholspur: als Frontman der größten Rockband der USA hat er die Welt bereist, zerbrochenen Herzen mit seiner Musik geheilt und so viele Frauen in seinem Bett gehabt, dass er sie nicht mehr zählen kann. Dieses Leben – und die Musik, die ihn dieser Welt auch ab und an entfliehen lässt – ist alles, was er will. Doch als er die hübsche Rowan kennenlernt, ist er sich da nicht mehr so sicher. Das erste Mal in seinem Leben, will er etwas anderes. Er will Rowan. Auch wenn sie die einzige Frau ist, die er niemals haben kann: Denn Zanes Bruder ist schuld am Tod von Rowans Ehemann …
Für Jonathan Davis, eine andere Art von Held.
Was zum Teufel sollte man anziehen, wenn man mit einem Rockstar ausging?
Als Rowan Dugas in die Tiefen ihres begehbaren Kleiderschranks starrte, fiel ihr auf, wie selten sie sich diese Frage stellte. Wäre sie ein Hollywood-Starlet, ein Model oder gar ein Pornostar, hätte sie vermutlich einen ganzen Schrank voll mit verführerischen Kleidchen, die zum jeweiligen Anlass passten. Dann wäre die Outfitfrage schnell gelöst. Aber Rowan war nichts dergleichen, sie war einfach nur ein Mädchen aus New Orleans. Eine Witwe. Und eine werdende Mutter in dem peinlichen Stadium, in dem man nicht genau sagen konnte, ob jemand schwanger war oder nur gerade eine riesige Pizza verschlungen hatte.
Abgesehen davon handelte es sich hier ja auch nicht um ein Date. Ehrlich gesagt wusste sie selbst nicht recht, wie sie es nennen sollte, sie wusste nur, dass Zane Larson angeboten hatte, mit ihr auszugehen, und dass sie in einer Art Schockzustand zugesagt hatte.
Zane war ihr Lieblingssänger. Absolut. Seine Musik, die Musik seiner Band August on Fire, hatte ihr über die schlimmsten Zeiten ihres Lebens hinweggeholfen, und durch eine unglaubliche Fügung des Schicksals waren sie Freunde geworden.
Allerdings hatte diese schicksalhafte Fügung mit dem Tod ihres Ehemannes begonnen.
Rowan wollte nicht hinsehen, konnte es aber nicht verhindern. Jedes Mal, wenn sie dieses Zimmer betrat, wurde sie mit Tommys Seite des Schranks konfrontiert, die exakt so aussah, wie er sie vor vier Monaten zurückgelassen hatte, nachdem er seine Sachen gepackt hatte, zu einem Kampf gefahren und niemals zurückgekehrt war. Der Anblick seiner achtlos auf einen Haufen geworfenen Schuhe wirkte immer noch wie ein Schlag in die Magengrube auf sie. Eines seiner Hemden hing nur halb auf dem Kleiderbügel. Tommy hatte das Hemd daneben einfach herausgezogen und sich nicht weiter um die Unordnung gekümmert. Der Drang, es richtig aufzuhängen, war so groß, dass Rowan die Zähne zusammenbiss, und dennoch brachte sie es nicht über sich.
Savannah hatte angeboten, vorbeizukommen und ihr zu helfen, sein Leben wegzuräumen, wenn Rowan bereit dazu war, aber sie wollte das ihrer Schwägerin nicht zumuten. Immerhin hatte Savannah mit Tommy ihren Bruder verloren.
Bald, sagte Rowan zu sich selbst. Bald ist es so weit. Allerdings wusste sie nicht, was mit den Sachen passieren sollte, denn sie könnte niemals irgendetwas davon wegwerfen. Aber alles auf dem Speicher einzulagern, damit es Staub und Spinnweben ansetzte, fühlte sich auch nicht richtig an. Vielleicht würde sie irgendwann gegen den Anblick immun werden, aber sie hätte keine größere Summe darauf verwettet, dass das in absehbarer Zeit der Fall sein würde.
Rowan riss sich von dem Anblick los und konzentrierte sich auf ihre Schrankseite, die entschieden aufgeräumter war. Sie hatte die Kleidung nach Jahreszeiten geordnet, und die Schuhe standen in Reih und Glied in den Regalen, die Tommy für sie gebaut hatte. Eigentlich besaß sie genug anzuziehen – nur waren ihr zurzeit dank des kleinen Überraschungsgastes, der sich in ihrem Bauch bemerkbar gemacht hatte, ihre schicken Klamotten ein bis zwei Größen zu klein.
Also gut, einfach herumzustehen und in den Schrank zu glotzen, hatte wenig Sinn. Ihr blieben noch mehrere Stunden, bis Zane kam, aber die würde sie auch brauchen. In den vergangenen Tagen hatte sie über die Kleiderfrage nicht weiter nachgedacht, denn offen gesagt hatte sie die ganze Zeit damit gerechnet, dass er anrufen und absagen würde. Und das konnte ja auch immer noch passieren. Wer wusste schon, was sonst noch auf seinem Terminplan stand?
Aus dem Schlafzimmer meldete sich ihr Telefon mit dem Klingelton, den sie Savannah zugewiesen hatte. Ein paar Momente der Ablenkung von dem vor ihr liegenden Dilemma.
»Ich weiß nicht, was ich anziehen soll«, sagte Rowan anstelle einer Begrüßung. »Hilfe.«
»Aha, du weißt nicht, was du anziehen sollst«, erwiderte Savannah. Es war keine Frage, eher eine ungläubige Feststellung.
»Ich habe mir noch nichts Passendes für meine neue Figur gekauft. In letzter Zeit habe ich nur Yogahosen getragen, aber aus denen wachse ich auch schon heraus.«
»Darum kümmern wir uns demnächst,« versprach Savannah. Ihre gemeinsamen Shoppingzeiten hatten sich drastisch reduziert, seit Savannah mit Mike Larson, dem MMA-Weltmeister im Schwergewicht, zusammen war. Er war Zanes Halbbruder und Tommys Gegner bei dem Kampf gewesen, bei dem er auf tragische Weise ums Leben kam. Es war nicht Mikes Fehler gewesen. Rowan hatte sich langsam – sehr langsam – damit abgefunden, obwohl es an manchen Tagen immer noch sehr schwer für sie war. Aber Savannah war so glücklich. Jemand, der ihr ein solches Lächeln ins Gesicht zauberte, konnte kein schlechter Mensch sein. Und natürlich hätte sie ohne Mike auch niemals Zane kennengelernt, und es würde keine Verabredung mit ihm geben. Mike hatte sich sehr bemüht, etwas Nettes für Rowan und Savannah in ihrer Trauer zu tun, deshalb hatte er einen Ausflug nach Houston organisiert, damit sie eines von Zanes Konzerten besuchen konnten, mit Backstagepässen und allem Drum und Dran. Es war ein fantastischer Abend gewesen, den sie niemals vergessen würde.
»Schön. Ich weiß aber immer noch nicht, was ich heute Abend anziehen soll.«
»Etwas Lockeres, Leichtes und Kurzes. Es ist warm.«
»Ja.« Rowan schwitzte jetzt schon. Sie zupfte am Kragen ihres Bademantels herum und betrachtete sich in dem großen Spiegel am anderen Ende des Raumes. Sie war sich nicht sicher, ob ihr gefiel, was sie da sah. Ihre grünen Augen blickten traurig, und jeden Tag schien sie eine neue Falte in ihrem einstmals glatten Gesicht zu finden. Die Trauer war ihr deutlich anzusehen an den hängenden Mundwinkeln und den dunklen Schatten unter ihren Augen. Jedermann versicherte ihr, dass ihr die Schwangerschaft guttat und dass sie wunderschön und gesund aussah, aber sie fühlte sich nicht so. »Glaubst du, dass es in Ordnung ist, wenn ich das mache?«
»Du hast es verdient, mal auszugehen, Ro. Amüsier dich. Das ist völlig in Ordnung.«
»Wetten, deine Mutter würde das anders sehen?«
»Dann sag’s ihr einfach nicht.«
»Ja, aber das ist irgendwie … so unehrlich.«
»Ist es nicht. Wo steht geschrieben, dass sie alles wissen muss, was du tust?«
Nirgendwo natürlich. Aber Regina Dugas hatte sich ihr gegenüber wunderbar verhalten. Ohne Tommys Familie hätte Rowan die größte Tragödie ihres Lebens nicht überstanden. Es wäre für sie unerträglich, wenn sie ihr Missfallen erregen würde, aber wie Savannah bereits gesagt hatte: Was war so schlimm an einem netten Abend? Sie würde sich weder betrinken noch Drogen nehmen noch Sex haben. Allein der Gedanke daran kam ihr lächerlich vor – Zane ging vermutlich aus purem Mitleid mit ihr aus. Wahrscheinlich hatten Mike oder Savannah ihn dazu angestiftet. Komm schon, Mann, opfere dich und muntere die traurige schwangere Witwe ein bisschen auf!
Vielleicht sollte sie das Ganze einfach absagen.
»Wenn dir wirklich nicht danach ist, dann lass es«, sagte Savannah, und Rowan fragte sich nicht zum ersten Mal, ob Savvy Gedanken lesen konnte. »Aber wenn es nur darum geht, was Mom oder Tommy von dir denken würden, dann geh hin. Mom ist manchmal ein Kontrollfreak, und das hätte Tommy dir bestimmt nicht gewünscht.«
Savannah wusste wahrscheinlich nicht, wie eifersüchtig ihr älterer Bruder gewesen war. Nicht auf bedrohliche Weise – jedenfalls nicht für Rowan –, aber er hatte es nie leiden können, wenn ihr ein anderer Mann Aufmerksamkeit schenkte.
»Oder willst du kneifen?«, neckte Savannah sie.
»Willst du mich etwa herausfordern?«, fragte Rowan grinsend.
»Wenn du es so sehen willst, bitte. Dann fordere ich dich eben heraus, heute Abend auszugehen. Ich fordere dich heraus, dich zu amüsieren.«
Auf einmal, wie aus dem Nichts, musste sie an das Kleid denken, das sie in Houston nach dem Konzert von August on Fire gekauft hatte. Ein Etuikleid mit hoher Taille, das um den Bauch herum weit genug war, um ihr noch zu passen. An jenem Tag hatte sie sich eigentlich recht gut gefühlt, doch dann hatte sie plötzlich den schlimmsten Zusammenbruch seit Tommys Tod erlitten. Es hatte Wochen gedauert, aus diesem Loch wieder herauszukommen, und an manchen Tagen rutschte sie immer noch ein Stück weit hinein. »Ich glaube, ich weiß, was ich anziehen werde.«
»Gut.«
»Danke, dass du das alles so locker siehst.«
»Alles, was dich glücklich macht, ist für mich in Ordnung. Und bald gehen wir shoppen, versprochen.«
Nachdem sie aufgelegt hatte, ging Rowan in das noch unfertige Kinderzimmer und fing an aufzuräumen, obwohl es dort überhaupt nicht unordentlich war. Die Einsamkeit lag wie eine schwere Decke über ihrem Kopf, und ihr gefiel der Gedanke, dass die Stille nicht mehr so betäubend sein würde, wenn das Baby erst da war. Sie brauchte diesen Abend wirklich … sie brauchte ihn sehr. Angesichts einer solchen Gelegenheit hätte sie eigentlich überwältigt sein sollen vor Freude. Vielleicht war sie das auch, irgendwo tief in ihrem Herzen, wo Trauer und Gefühllosigkeit jedoch so stark waren, dass sie alles andere unterdrückten. An der Oberfläche schien dieser Abend aber nur eine weitere Aufgabe zu sein, die sie hinter sich bringen musste und bei der die Gefahr groß war, dass sie in einer Katastrophe endete. Sie würde Zane Larson zu Tode langweilen. Es gab nichts, worüber sie mit ihm reden konnte.
Zugegeben, bei ihrer ersten Begegnung war dies nicht der Fall gewesen. Zane war erstaunlich charismatisch gewesen, gleichzeitig aber absolut zugänglich. Anfangs fühlte sie sich ein wenig überwältigt, aber dann sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus, und sie hatte das Gefühl, dass er ihr nicht nur wirklich zugehört hatte, sondern dass er ihre Unterhaltung auch genossen hatte. Seitdem hatten sie ein paarmal telefoniert, aber nun hatte er zum ersten Mal vorgeschlagen, sich noch einmal zu treffen. Nur wegen ihr kam er nach New Orleans.
Er war ihr absoluter Lieblingssänger. Rowan hatte eigentlich nie für irgendwelche Berühmtheiten geschwärmt … außer für ihn. Sie hatte erwartet – wegen ihres schlechten Timings sogar beinahe gehofft –, dass er sich als egoistisches Arschloch entpuppen würde, aber bisher hatte sich in ihren Gesprächen nichts dergleichen abgezeichnet. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, wenn er sich als zu perfekt herausstellte und weiterhin dieses bizarre Interesse an ihr zeigte. Wahrscheinlich würde sie weglaufen oder die Faszination einfach unter Schwärmerei für einen Star verbuchen.
Groß, schlank und schwarzhaarig, mit der Stimme eines Engels oder eines Dämons, je nachdem, was der Text von ihm verlangte. Musikalisch zog Zane sie schon seit Jahren in seinen Bann. Sie wusste nicht, ob die Vorstellung, den Mann hinter dieser göttlichen Stimme zu treffen, sie mit Furcht oder Freude erfüllte … aber sie war überzeugt, dass sie das innerhalb der ersten fünf Minuten herausfände und dann auch wüsste, welchen Verlauf der weitere Abend nehmen würde.
Die ersten fünf Minuten. Sie würden entscheidend sein.
Zane Larson lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, faltete die Hände vor dem Bauch und sah zu, wie die Frau in der Gesangskabine sich die Seele aus dem Leib sang.
Ava Marks war zurzeit eine seiner Lieblingssängerinnen und außerdem die Frontfrau von Decider, und er konnte kaum glauben, dass sie gerade bei ihm zu Hause im Studio war und eine Gesangsspur für einen neuen Song von August on Fire aufnahm. Sie hätte das überall machen können, aber sie hatte unbedingt nach Houston kommen und eng mit der Band zusammenarbeiten wollen, damit alles perfekt wurde. Obwohl er schon so lange im Geschäft war, war selbst er manchmal noch fasziniert und beeindruckt.
Er schüttelte den Kopf und blickte hinüber zu Deke, dem Leadgitarristen, der links von ihm saß, mit seiner glänzenden schwarzen Gibson auf dem Schoß. »Das wird der absolute Wahnsinn.«
Deke fuhr sich mit der Hand über seinen bunt gefärbten Irokesenschnitt. »Ja, das ist eine ganz andere Liga.«
Neben Deke saß Maddox Hamilton am Mischpult, ihr Produzent; das Kinn hatte er in die Hand gestützt, den Ellbogen auf die Sessellehne. Zane fand, dass Deke und Mad beide schon völlig verknallt aussahen. Verdammt, er selbst war es wahrscheinlich auch. Avas Stimme klang wie von einem anderen Stern. Zane hatte seinen Teil schon aufgenommen, und ihre Stimmen ergänzten sich auf spektakuläre Weise – die perfekte Mischung aus hell und dunkel.
Schließlich war der Song zu Ende, aber die Magie der Musik klang noch nach.
Ava kam grinsend aus der Gesangskabine. Sie wusste genau, dass die letzte Aufnahme genau auf den Punkt gewesen war. Ihre Bühnenpräsenz war wild, sexy und unbändig, aber die Frau, die jetzt vor ihnen stand, wirkte cool und entspannt. Die zerrissenen Jeans gewährten einen Blick auf ihren gebräunten, tätowierten Schenkel. Ein Knoten aus weißblondem Haar krönte ein hübsches Gesicht, das nicht mal das leichte Make-up gebraucht hätte, das sie an diesem Tag trug.
Deke umarmte sie, und sie lachte. Nachdem Deke sie losgelassen hatte, schüttelte Zane ihr die Hand. »Ava, vielen Dank für alles. Es war mir eine Ehre, dir bei der Arbeit zuzusehen. Ehrlich.«
Sie lächelte ihn an. Ihre blassgrauen Augen bildeten einen merkwürdigen Kontrast zu den kräftigen Farben ihrer Kleidung und ihrer Haut. »Ich denke, das sollten wir feiern. Ihr Jungs könntet mich ausführen und mir das Nachtleben von Houston zeigen.«
Verdammt. »Leider ohne mich«, sagte Zane. »In ein paar Stunden muss ich ins Flugzeug steigen.« Er checkte sein Handy und zog eine Grimasse. »Um genau zu sein, in etwas über einer Stunde. Ich glaube, ich verschwinde jetzt mal.«
»Wohin soll’s denn gehen?«, fragte Ava, und für einen Augenblick ging ihm der irrwitzige Gedanke durch den Kopf, sie würde mit ihm flirten. Ava Marks. Flirtet mit Zane Larson. Für die Öffentlichkeit mochte er in der gleichen Liga spielen wie sie, aber in ihrer Gegenwart fühlte er sich immer noch wie der Trottel, der auf dem Schulhof herumgeschubst wurde, wenn sein Bruder Mike nicht in der Nähe war.
»New Orleans«, sagte er. »Ich habe ein Date.«
»Wow. Und du fliegst extra für sie nach New Orleans? Die Glückliche.«
Er zuckte mit den Achseln und dachte, dass er den letzten Teil nicht hätte erwähnen sollen. Ein falsches Wort zur falschen Person, und Rowans Leben würde kopfstehen. Das war das Letzte, was sie gebrauchen konnte. In den letzten Monaten hatte sie weiß Gott genug Aufregung gehabt. »Wir sind nur Freunde.«
Natürlich glaubte ihm das niemand.
Er bat die anderen, sich an seine Haushälterin zu wenden, falls sie etwas brauchten, und verließ das Studio. In seinem Haus ging es ohnehin zu wie in der Grand Central Station. Es kam nur selten vor, dass niemand in seinem Studio abhing, ihm den Alkohol wegsoff oder es sich in einem der vielen Schlafzimmer gemütlich machte. Mike regte sich tierisch darüber auf, aber Mike regte sich sowieso ständig über alles und jeden auf. Zane war daran gewöhnt.
Nachdem er es sich in seinem Sitz in der ersten Klasse bequem gemacht hatte, zog er sich seine Basecap über die Augen und tat so, als schliefe er. Ein hervorragender Trick, um Gespräche zu vermeiden und möglichst nicht erkannt zu werden. Abgesehen davon schirmte Jase ihn hervorragend gegen die restlichen Passagiere ab. Jase war sein Bodyguard und einer seiner engsten Vertrauten – Zane scherzte oft, dass er ihn würde umbringen müssen, um seine Geheimnisse zu schützen, sollte Jase jemals kündigen wollen.
Es kam nicht oft vor, dass Zane in der Öffentlichkeit geschützt werden musste, aber es hatte ein paar unangenehme Vorfälle gegeben, bei denen er für die Unterstützung dankbar gewesen war. Vor ein paar Monaten hatte er im Klub seines Bruders Damien für Aufruhr gesorgt, aber die Stammgäste waren nun mal ein verrückter Haufen. Jase hatte darauf bestanden, mit nach New Orleans zu reisen, aber Zane würde versuchen, den riesigen Kerl im Hotel zurückzulassen, wenn er sich zu Rowan aufmachte. Der Gedanke, dass die kleine süße Rowan eine Bedrohung darstellen könnte, war einfach lächerlich.
»Kenne ich das Mädchen?«, fragte Jase, als das Flugzeug über New Orleans zur Landung ansetzte.
Zane stellte seinen Sitz gerade und schob die Cap aus der Stirn. »Ich glaube nicht. Aber vielleicht hast du sie schon mal gesehen. Mein Bruder hat sie zu unserer letzten Show in Houston mitgebracht, erinnerst du dich?«
»Ach ja, die Witwe.«
Genau. Die schwangere Witwe. Mike hatte sich so schuldig gefühlt, so verantwortlich für den Tod von Rowans Ehemann im Käfig, dass er ein privates Treffen zwischen ihnen arrangiert hatte, als er erfuhr, dass sie ein großer Fan von Zane war. Zane hatte mit Vergnügen zugestimmt. Jedes Mal, wenn Rowan in seiner Nähe gewesen war – zuerst bei der Beerdigung ihres Mannes und dann bei der Show vor ein paar Monaten –, hatte sie ihn verzaubert.
Trotzdem, sie war ein Fan, und das versetzte ihn immer in Alarmbereitschaft. Er liebte und schätzte jeden einzelnen Fan, musste aber dennoch auf der Hut vor ihnen sein. Meistens besaßen sie gute Absichten, manchmal aber auch nicht. Manchmal waren die Leute von der Musik fasziniert und stellten ihn auf irgendein verdammtes Podest und stellten Ansprüche, denen er niemals genügen konnte. Und manchmal musste er sich einfach nur vor ihnen verstecken. In der Nähe von Fans zu sein, das war, als stolpere man mit verbundenen Augen durch einen Raum voller Fremder. Man wusste, einer von ihnen hatte ein Messer dabei, aber wer es war, das wusste man nicht.
Rowan schien okay zu sein. Sie trauerte, und offenbar fiel es ihr leichter, mit jemandem darüber zu sprechen, der praktisch ein Fremder für sie war, als mit den Menschen aus ihrem Umfeld. Mit jemandem, der sie weder verachten noch verurteilen würde. Das hatte sie ihm einmal gesagt. Und sie wusste, dass er ihren Schmerz verstand … wegen seiner Texte natürlich. Sie hatten Stunden am Telefon verbracht, über alles und nichts geredet, und inzwischen war er ein bisschen süchtig nach ihrer süßen, traurigen Stimme.
Ihre erste Begegnung, ausgerechnet bei der Beerdigung ihres Mannes, hatte natürlich unter keinem guten Stern gestanden. Zane hatte versucht, Mike die Teilnahme an der Beerdigung auszureden – Mike fühlte sich verantwortlich dafür, dass es diese Beerdigung überhaupt gab –, aber da sein großer Bruder darauf bestanden hatte, ließ Zane ihn nicht allein hingehen. Rowan hatte auf Mikes Anwesenheit reagiert wie erwartet, und Zane musste sich mit aller Macht davon abhalten, ihr hinterherzurennen, nachdem sie davongestürmt war. Am liebsten hätte er sich im Namen seines idiotischen Bruders entschuldigt und sie getröstet. Die abgrundtiefe Verzweiflung in ihrem schönen Gesicht hatte ihn umgehauen. Diese Frau sollte eigentlich lachend in der Sonne liegen und die Welt erobern. Verdammt, sie sollte knutschend unterm Eiffelturm stehen, an der französischen Riviera am Strand liegen oder so. Sie verdiente es, angebetet zu werden und ihr Leben zu leben, anstatt ihren jungen Ehemann zu Grabe tragen zu müssen.
Sie war zierlich und blond und hatte große, unschuldige grüne Augen … Normalerweise bevorzugte Zane größere Frauen mit brünettem Haar, die … äh … möglichst nicht schwanger waren. Er hatte absolut nichts gegen Kinder oder dagegen, irgendwann selbst welche zu haben. Aber dass sie schwanger war, stand im Moment wie eine Mauer zwischen ihnen. Dennoch freute er sich auf das Wiedersehen. Darauf, sie zum Lächeln zu bringen und ihr vielleicht sogar ein Lachen zu entlocken. Rein freundschaftlich.
Aber der Himmel wusste, dass sie recht hatte: Auch Zane hatte einen schrecklichen Verlust erlitten und wusste genau, was sie durchmachte. So was hatte kein Mensch verdient. Keiner. Und wenn er es ihr ein bisschen leichter machen konnte, und sei es nur einen Abend lang, dann würde er das tun.
Er blickte aus dem Fenster, beobachtete den Landeanflug des Flugzeugs und dachte, dass sie jetzt irgendwo da draußen auf ihn wartete. Ob sie nervös war? Verdammt, er war nervös, warum auch immer. Er, der regelmäßig vor Zehntausenden stand und sang, der Angebote von einigen der schönsten Frauen der Welt bekam (vielleicht sogar irgendwann von Ava Marks), er hatte feuchte Hände bei dem Gedanken an die hübsche, einsame Frau, die er heute Abend treffen würde. Geistesabwesend rieb er mit den Handflächen über seine Jeans.
»Und du bist wirklich sicher, dass du das hier willst?«, fragte Jase. Zane musterte den kahlköpfigen, bärtigen, Furcht einflößenden Teufelskerl und zuckte mit den Schultern.
»Bin ich, warum auch immer.«
»Sieht aber so aus, als könntest du dir damit ein paar Probleme einhandeln.«
»Es ist nur ein Abend. Wir werden uns amüsieren, und danach sehe ich sie wahrscheinlich nie wieder. Ich weiß nicht. Sie kann momentan keine Komplikationen gebrauchen, also werde ich sie ihr ersparen.«
»Okay, ich bleibe im Hintergrund und lasse euch ein bisschen Privatsphäre.«
»Du kommst überhaupt nicht mit.«
»Das wollen wir doch mal sehen.«
»Jase, es wird schon gutgehen.«
»Mir gefällt das aber nicht.«
»Das muss es auch nicht.« Manchmal stritten sie sich wie ein altes Ehepaar, und sie stritten sich auch noch, als sie schon gelandet waren und sich direkt zum Ausgang begaben, wo ein schwarzer SUV darauf wartete, sie ins Hotel zu bringen. Zane hatte nur eine Stunde, um sich zu duschen und fertig zu machen. Als er den Dampf vom Badezimmerspiegel wischte, dachte er, dass er sich für Rowan etwas ganz Spezielles hätte einfallen lassen sollen. Vielleicht ein kurzer Trip irgendwohin, wo sie noch nie gewesen war. Ein Dinner an einem abgelegenen Strand oder so was, nur sie beide. Aber wie ein Volltrottel hatte er überhaupt nichts geplant … Außerdem konnte sie das auf falsche Gedanken bringen. Er mochte sie, er mochte sie mehr, als ihm lieb war, aber solche Signale zu senden, das konnte er sich nicht leisten. Diese Sache hier würde zu nichts führen.
Als er sein langes schwarzes Haar zu einem Knoten zusammenband, klopfte Jase an die Tür. »Ich hab den Wagen«, brummte er. »Und die Sache gefällt mir immer noch nicht.«
»Je auffälliger ich auftrete, Jase, desto wahrscheinlicher ist es, dass ich dich brauche, und das wollen wir doch beide nicht. Also bleibe ich schön unauffällig. Entspann dich.«
Sogar durch die geschlossene Tür hörte er Jase beim Weggehen seufzen.
Sein Bodyguard war genauso schlimm wie sein Bruder. Eigentlich fehlte jetzt nur noch Mike, der ihn ermahnte, sich Rowan gegenüber vorbildlich zu benehmen. Mike befürchtete, dass Zane irgendwie ihre Gefühle verletzen könnte, und das wäre ein weiterer Kratzer auf Mikes angeschlagenem Gewissen. Er musste sich keine Sorgen machen. Zanes Gewissen war ebenfalls angeschlagen genug.