Inhalt

  1. Titel
  2. Zu diesem Buch
  3. Widmung
  4. 1
  5. 2
  6. 3
  7. 4
  8. 5
  9. 6
  10. 7
  11. 8
  12. 9
  13. 10
  14. 11
  15. 12
  16. 13
  17. 14
  18. 15
  19. 16
  20. 17
  21. 18
  22. 19
  23. 20
  24. 21
  25. 22
  26. 23
  27. 24
  28. 25
  29. 26
  30. 27
  31. 28
  32. Epilog
  33. Danksagung
  34. Die Autorin
  35. Kim Nina Ocker bei LYX
  36. Impressum

KIM NINA OCKER

Like Nobody Else

Roman

Zu diesem Buch

Die zwanzigjährige June Bishop wünscht sich nur eins: endlich selbst für ihr Leben verantwortlich sein zu können. Seit sie vor vier Jahren einen Autounfall hatte, von dem sie nicht nur körperliche, sondern auch seelische Schäden davontrug, lassen sie ihre überfürsorglichen Eltern kaum aus den Augen. Doch June schafft es, sie zu einem Kompromiss zu bewegen: Sie kann wieder aufs College gehen, wenn sie sich jemanden sucht, der ihr bei den Dingen hilft, die sie allein nicht bewältigen kann. Aber als der gutaussehende Sam vor ihr steht und sie dazu überredet, ihm den Job zu geben, ahnt sie nicht, dass er wesentlich mehr für sie werden wird als ihr Collegebegleiter – genauso wenig wie Sam ahnt, dass dieser gutbezahlte Job sein ganzes Leben durcheinanderbringen wird …

Für dich

1

»Muss ich dir beim Pinkeln helfen?«

Ich sah von dem Bewerbungsbogen auf und musterte das Mädchen, das vor mir saß. Ein Teil von mir war sicher, dass ich mich verhört hatte, ein anderer wollte lachen, und ein dritter wollte den Löffel nach ihr werfen, der auf meiner Untertasse lag. Ihren Angaben auf dem Bewerbungsbogen nach hieß das Mädchen Paris, und ja … irgendwie sah sie auch aus wie eine Paris. Wasserstoffblonde Haare, eigenartig unnatürlich wirkende blaue Augen und genug Schminke im Gesicht, um die echte Paris Hilton ein Jahr lang mit Make-up zu versorgen.

Am liebsten wäre ich einfach aufgestanden und gegangen. Doch Paris war schon die achte Bewerberin heute. Die achte, der ich würde absagen müssen, und allmählich wurden meine Möglichkeiten knapp. Meine Eltern zahlten zwar gut, aber irgendwann würden mir trotzdem die Bewerbungen ausgehen, und dann hatte ich ein echtes Problem.

Erneut musterte ich mein Gegenüber und versuchte mir angestrengt vorzustellen, die nächsten Monate mit diesem Mädchen zu verbringen. Vielleicht war sie ja ganz lustig, wenn man sie besser kennenlernte. Vielleicht hatte sie gerade eine übel durchzechte Nacht hinter sich, oder sie war krank, weswegen ihr Gehirn vorübergehend einfach nicht vollständig in Betrieb war.

»Ähm, nein«, beantwortete ich schließlich ihre Frage und rang mir ein verdammt überzeugendes Lächeln ab. Ich wusste, dass ich mich zickig benahm und eventuell nicht ganz fair zu ihr war. Allerdings musste man zu meiner Verteidigung auch sagen, dass sie nicht die erste Bewerberin war, die ich mir heute ansah. Meine Nerven lagen blank, und ich wollte nur noch eins: Nach Hause in meine Badewanne und mich die nächsten zwei Stunden nicht mehr bewegen. »Nein, für so etwas bist du nicht zuständig.«

»Für was bin ich dann zuständig?«, fragte sie, griff nach ihrem Eistee und nahm einen Schluck. Auf dem Glas blieb ein Lippenstiftabdruck zurück.

Das war eine verdammt gute Frage. Ich atmete einmal tief durch, um mich zu sammeln, und blickte hinab auf meinen Ausdruck der Stellenausschreibung. »Wie in der Anzeige schon stand, brauche ich jemanden, der mir im College und in Alltagsdingen hilft«, sagte ich und klang dabei wie meine eigene Mutter. »Es ist mein letztes Semester, und es fallen eine Menge Dinge an, die ich vor meinem Abschluss erledigen muss. Für mich allein ist das organisatorisch schwierig, deswegen brauche ich jemanden, der mir zur Seite steht. Autofahren, Wege erledigen, Besorgungen machen … Solche Sachen eben.«

Sie sah mich an, und eine ihrer Augenbrauen wanderte in die Höhe. »Aber du sitzt nicht im Rollstuhl.«

»Dir entgeht ja wirklich nichts«, murmelte ich und schloss einen Moment die Augen. Nein, das hier hatte keinen Sinn. Mochte sein, dass ich zurzeit ein wenig gereizt war, doch ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, mehrere Monate mit diesem Mädchen zu verbringen. Wir waren definitiv zu verschieden. Nicht, dass ich es unbedingt auf ein mehrmonatiges Arbeitsverhältnis anlegen würde, aber ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, wie lange es dauern würde, bis ich einen Praktikumsplatz und eine Wohnung gefunden und meine Eltern davon überzeugt hatte, dass ich mein Leben allein bewältigen konnte, also konnte sich die Sache durchaus länger hinziehen.

»Ich habe etwas, das man Parese nennt«, erklärte ich. Allmählich fühlte ich mich wie eine gesprungene Schallplatte, weil ich den ganzen Tag schon das Gleiche erzählte. »Meine linke Seite ist nicht normal belastbar, das bedeutet, dass ich bei manchen Dingen im Alltag Schwierigkeiten habe. Und ich fahre prinzipiell kein Auto. Aber auch das stand in der Anzeige, wenn ich mich nicht irre.«

»Schon klar«, erwiderte Paris leicht verwirrt. »Hab mich nur gewundert, weil du so normal aussiehst.«

»Vielen Dank.« Ich nahm einen kräftigen Schluck von meinem inzwischen lauwarmen Kaffee, faltete die Hände dann auf dem Tisch und sah Paris. »Es tut mir wirklich leid, Paris, aber ich denke nicht, dass das mit uns beiden funktioniert.«

»Warum nicht?«

Ich wand mich innerlich. »Weißt du, ich suche nicht einfach nur jemanden, der mir hilft«, versuchte ich zu erklären, genau wie ich es meinen Eltern vor zwei Wochen erklärt hatte. »Ich suche so etwas wie eine Freundin, verstehst du? Eine Art Mitbewohnerin, die mir ab und zu zur Hand geht. Ich bin kein Pflegefall.«

War ich wirklich nicht, auch wenn ich die meiste Zeit das Gefühl hatte, dass meine Eltern genau das über mich dachten. Seit dem Autounfall vor drei Jahren hatte ich eine halbseitige Lähmung, wenngleich auch keine schwere. Ich konnte selbstständig laufen, den linken Arm und das linke Bein scheinbar normal bewegen, doch für manche Dinge fehlte mir schlicht und ergreifend die Kraft. Ich fuhr nicht Auto, hatte Probleme, mich in einer U-Bahn aufrecht zu halten und konnte mir nicht allein die Schuhe zubinden. An schlechten Tagen schaffte ich es nicht einmal, einen Reißverschluss zu schließen oder mein Handy zu bedienen, was ziemlich schwierig ist, wenn man allein lebt. Aus diesem Grund wohnte ich noch bei meinen Eltern. Und das nervte mich. Immerhin war ich fast einundzwanzig Jahre alt. Ich hatte zugestimmt, bei ihnen zu bleiben, bis ich das College beendet hatte. Dieses Versprechen hatte ich gehalten, doch jetzt, da ich mit großen Schritten auf meinen Abschluss zuging, wurde ich unruhig. Ich wollte mein neues Leben planen und verdammt noch mal endlich richtig durchstarten. Nichts konnte mich aufhalten. Außer diese dämlichen Bewerbungsgespräche vielleicht. Denn genau das war der Deal: Mom und Dad ließen mich ohne Riesendrama ausziehen – vorausgesetzt, ich fand jemanden, der mir bei der Vorbereitung und in der ersten Zeit nach meinem Abschluss zur Hand ging.

Und das gestaltete sich offensichtlich schwieriger als gedacht.

»Wir könnten Freunde werden!«, sagte Paris und holte mich damit gedanklich wieder zu unserem Gespräch zurück. »Im Ernst, ich wäre ’ne super Freundin!«

Ich lächelte müde. Mir war klar, weshalb sie sich dermaßen ins Zeug legte. Offenbar war ihr gerade klar geworden, dass meine Eltern wirklich ziemlich gut bezahlten, wenn man bedachte, dass die Person, die den Job ergatterte, den Großteil der Arbeitszeit einfach nur anwesend sein musste.

»Es tut mir wirklich leid«, sagte ich lächelnd, aber bestimmt. »Danke, dass du gekommen bist.«

Sie musterte mich noch einen Moment lang, als würde sie überlegen, welche Argumente sie noch anbringen konnte, um mich zu überzeugen. Wahrscheinlich deutete sie meinen Gesichtsausdruck richtig, denn schließlich gab sie auf und verschwand ohne ein weiteres Wort. Dass sie ihren Eistee nicht bezahlt hatte, störte sie dabei offensichtlich wenig.

Sobald sie verschwunden war, ließ ich mich stöhnend in meinem Stuhl zurücksinken. Mein Bein tat mir weh, weil ich es bereits seit Stunden nicht richtig bewegt hatte, und mir dröhnte der Kopf von dem Geräuschpegel und der stickigen Luft in dem kleinen Café. Acht Bewerber hatte ich hinter mir. Acht Bewerber, die allesamt absolut untauglich waren. Viele waren selbst noch Studenten und würden es zeitlich kaum einrichten können, mich zu einigen Kursen zu begleiten, manche waren sicher nur wegen des Geldes aufgetaucht, und andere waren mir einfach unsympathisch gewesen. Dabei hatte ich gar keine hohen Ansprüche. Ich forderte keine medizinische oder pflegerische Ausbildung, nicht einmal Erfahrung in diesem Bereich. Alles, was ich wollte, war ein nettes Mädchen in meinem Alter, das mir nicht das Gefühl vermittelte, ein Krüppel zu sein. Eine Freundin, mehr nicht. Allerdings bezahlte man Freunde normalerweise nicht dafür, Zeit mit einem zu verbringen.

»Langer Tag?«

Ich wandte mich um und entdeckte Jam, der mit einem Tablett auf der Hand neben mir aufgetaucht war und mit dem Kopf auf meine leere Kaffeetasse deutete. Jam war der Inhaber des Cafés. Ich schätzte ihn auf Mitte fünfzig, trotz des glatten Gesichts und der immer noch blonden Haare. Doch aus irgendeinem Grund strahlte er die Weisheit eines weitaus älteren Mannes aus. Ich kannte Jam seit ungefähr zwei Jahren, seit ich Stammgast in seinem Café in Uptown Manhattan war. Nach dem Unfall hatte es eine Weile gedauert, bis ich mich wieder unter Menschen getraut hatte, doch seitdem kam ich jede Woche hierher, um zu lernen oder am Laptop zu arbeiten. Oder um einfach ein bisschen der liebevollen Fürsorge meiner Eltern zu entfliehen.

»Ich verstehe Menschen nicht, Jam«, seufzte ich und reichte ihm meine leere Tasse. »Wirklich, manche von denen haben sicher nicht einmal die Stellenanzeige richtig gelesen.«

Er lachte tief und irgendwie rauchig. »Du bist viel zu pessimistisch für dein Alter, Kleine.«

Ich nahm die Bewerbungsbögen in die Hand und hielt sie hoch wie eine Waffe. »Acht Leute, Jam! Acht Leute, und keiner hat auch nur annähernd gepasst.«

Er besah sich den Stapel und zuckte die Schultern. »Wie viele sind noch übrig?«

»Nachdem wir diejenigen aussortiert haben, die schon auf dem Papier Idioten waren? Im Ernst, da war eine, die hat als Foto ein Bild von sich und ihren Freundinnen beim Spring Break geschickt. Inklusive Bikini und roten Bechern! Und dabei hatte ich nicht mal nach Fotos gefragt«, motzte ich und erntete ein Grinsen. »Zwölf waren danach noch übrig. Aber ich kann mir unmöglich noch vier Mal diesen Blödsinn anhören.«

Jam sah sich einen Moment in seinem Laden um und checkte die vier besetzten Tische, dann ließ er sich mit einem Schnaufen auf den Stuhl sinken, auf dem eben noch Paris gethront hatte. »Was ist los, Kleine?«

Wieder seufzte ich. Wenn ich so darüber nachdachte, hatte ich im Laufe des Tages ziemlich viel geseufzt, dabei war es noch nicht mal Abend. »Ich will diesen Job gar nicht vergeben, weißt du? Es ist unnötig. Ich bin doch kein Pflegefall!«

»Das behauptet auch niemand, June.«

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Meine Eltern schon.«

Er schüttelte den Kopf. Jam kannte meine Geschichte und meine Situation, und irgendwie war er einer der wenigen, auf dessen Meinung ich tatsächlich etwas gab. »Das tun sie nicht, und das weißt du auch. Sie machen sich nur Sorgen um dich.«

»Das weiß ich«, sagte ich leise. »Aber ich will niemanden, der mich behandelt wie ein rohes Ei. Am liebsten würde ich einfach in eine WG ziehen. Da sind schließlich immer Leute, die mir helfen können, falls ich etwas brauche.«

»Und warum tust du es nicht?«

Ich lachte trocken. »Die Leute müssen wissen, worauf sie sich einlassen. Ich kann nicht einfach zu fremden Menschen ziehen und erwarten, dass sie mir die Schnürsenkel binden.«

Jam schenkte mir ein schiefes Lächeln. »Dann kauf dir Schuhe mit Klettverschluss.« Gegen meinen Willen musste ich tatsächlich lachen, doch Jam wurde schnell wieder ernst. Er bedeckte meine schwache linke Hand mit seiner riesigen Pranke und drückte meine Finger. »Ich hab das Gefühl, du weißt selbst nicht so richtig, was du willst.«

»Doch«, erwiderte ich ein bisschen patzig. »Dass man mich in Ruhe lässt.«

»Sie sind deine Eltern«, erinnerte er mich überflüssigerweise. »Sie haben Angst um dich, Mädchen. Sie wollen nicht noch eine Tochter verlieren, und du bist ihnen ein bisschen Nachsicht schuldig, finde ich. Besorg dir diesen Alltagshelfer, mach deinen Abschluss und beiß die Zähne zusammen, bis sie sich daran gewöhnt haben, dass du jetzt ein großes Mädchen bist. Danach kannst du tun und lassen was du willst.«

»Dein Wort in Gottes Gehörgang«, murmelte ich und rang mir ein Lächeln ab, als Jam aufstand und mir die Schulter drückte.

Als er weg war, griff ich nach dem Handy und öffnete meine Nachrichten. Ich war nicht gut im Tippen, weil meine linke Hand meistens nicht mitspielte und ich mit nur einer Hand ziemlich langsam war. Doch bevor ich auch nur ein Wort ausschreiben konnte, klingelte das Telefon, und ich zuckte zusammen.

»Hey, Mom«, sagte ich in betont fröhlichem Ton und strich mit der freien Hand über meinen schmerzenden Oberschenkel. »Ich wollte dir gerade schreiben.«

»Ich weiß«, erwiderte sie, »ich habe gesehen, dass du online bist.«

Nur mit Mühe konnte ich eine patzige Antwort unterdrücken. Ich liebte meine Mom wirklich, aber die Vorstellung, dass sie auf ihr Handy starrte und wartete, dass ich online kam, machte mich genauso wütend wie meine erfolglose Suche nach einem brauchbaren Alltagshelfer.

»Wie ist es gelaufen?«

»Geht so«, murmelte ich und blätterte die Liste der Bewerber durch. »Viele waren nur wegen der guten Bezahlung da, schätze ich, und manche studieren selbst noch.«

Ein paar Sekunden lang blieb es still, dann hörte ich, wie sie geräuschvoll ausatmete. »Dad und ich haben das schon befürchtet. Vielleicht war das doch keine so gute Idee …«

»Was?«, fragte ich und saß auf einmal kerzengerade auf meinem Stuhl. »Macht keinen Rückzieher, Mom, wir haben einen Deal!«

»Der Deal war, dass wir dir Freiraum geben, wenn du jemanden findest, June. Aber im Moment sieht es nicht danach aus, dass …«

»Ich brauche eure Erlaubnis nicht«, erinnerte ich sie leicht panisch. »Ich bin zwanzig, Mom, und wenn ich ausziehen will, dann tu ich das auch!«

Meine Antwort war um einiges barscher ausgefallen als beabsichtigt. Ich hörte, wie meine Mutter kurz Atem holte, und hätte mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Klar, ich war volljährig, und genau genommen hatten meine Eltern keinerlei Macht über mich. Doch ich liebte die beiden und wusste zu schätzen, was sie in den vergangenen drei Jahren für mich getan hatten. Mir war durchaus klar, was sie durchzustehen hatten. Ich wollte ihnen keinen Kummer machen, wollte nicht, dass sie sich Sorgen machten.

»Entschuldige, Mom«, sagte ich leise. »Wirklich, es war einfach ein langer Tag.«

Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie antwortete. »Lass uns zu Hause weiterreden, ja? Vielleicht finden wir ja eine andere Lösung.«

Wieder wallte leichte Panik in mir auf. Dieser Deal war hart erkämpft, und ich würde nicht zulassen, dass sie einen Rückzieher machten, nur weil ich zu pingelig bei der Auswahl war. »Ich habe jemanden!«, sagte ich kurz entschlossen, zog auf gut Glück einen Bewerberbogen aus dem Stapel der Leute, die ich noch nicht persönlich kennengelernt hatte, und legte ihn vor mir auf den Tisch. »Ich nehme Sam. Weißt du noch, mit dem Hund? Das wird super!«

Ich war nicht wirklich gut im Lügen, deswegen wunderte es mich nicht, dass Mom misstrauisch klang. »Ich dachte, es wäre nicht gut gelaufen?«

»Ist es auch nicht«, entgegnete ich betont fröhlich. »Die anderen Bewerber waren für die Tonne, aber Sam passt zu mir, Mom.«

Jam ging an mir vorbei und warf mir einen fragenden Blick zu. Ich lächelte nur.

»Bist du sicher?«

»Klar, Mom«, sagte ich und betete zu Gott, dass das stimmte.

Am nächsten Tag verabredete ich mich mit Sam. Im Gegensatz zu meinen Eltern hatte ich ihr noch nicht versichert, dass sie den Job bekam, sondern sie lediglich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Allerdings hatte mein Dad bereits den Vertrag aufgesetzt, weshalb dieses Gespräch unbedingt gut laufen musste. Ansonsten würde ich mir schleunigst eine andere Sam suchen oder jemanden dafür bezahlen, sich für Sam auszugeben. Denn wenn meine Eltern Wind davon bekamen, wie schlecht die Umsetzung des Plans lief, würden sie garantiert einen Rückzieher machen.

Dieses Mal ging ich nicht in Jams Café, weil ich mich dort gestern ein bisschen beobachtet gefühlt hatte. Stattdessen hatte ich ein Treffen im Central Park vorgeschlagen. Für September war es noch recht warm, und mein Bein machte nach der langen Sitzerei am Vortag Probleme, sodass mir ein bisschen Bewegung ganz guttun würde. Außerdem fand ich es irgendwie sinnvoll, Sam direkt zu demonstrieren, auf was sie sich da einließ. Die Physiotherapie zeigte zwar Wirkung, doch die Gangstörung konnte ich nie ganz kaschieren. Ich versuchte, mich nicht dafür zu schämen, doch ich konnte auch nicht bestreiten, dass mir die Blicke anderer Leute manchmal unangenehm waren.

Ich war ein bisschen früh dran und schlenderte durch den Park zur Bow Bridge. Ich mochte den Central Park, doch meistens war er mir deutlich zu überfüllt. Jetzt, unter der Woche und am Vormittag, war es erträglich, und ich ließ mir die mehr oder weniger warme Sonne ins Gesicht scheinen. Die ersten Blätter verfärbten sich bereits orange und verwandelten den See und die Brücke in die malerische Kulisse, die man oft auf Postkarten bewundern konnte. Das hier mochte ich an New York. Ich befand mich in einer der aufregendsten Städte der Welt, aber in dieser Oase mittendrin – auch wenn man den Lärm und die einen umrahmenden Wolkenkratzer nie ganz ausblenden konnte – war es wirklich friedlich. Im Herbst würde es umwerfend sein, und im Winter konnte man auf dem Wollman Rink Schlittschuh laufen. Auch wenn ich das seit meinem Unfall nicht mehr gemacht hatte, war ich optimistisch, dass ich mich diesen Winter trauen würde. Es konnte immerhin nicht mehr passieren, als dass ich auf dem Hintern landete.

Fünf Minuten zu früh erreichte ich die Bow Bridge, stellte mich mitten darauf und lehnte mich gegen das Geländer. Ich machte mir keine Sorgen, dass Sam mich übersehen würde, zu dieser Uhrzeit waren lediglich vereinzelte Jogger, Touristen oder Pärchen unterwegs. Ich stützte mich mit den Unterarmen auf die Brüstung und sah hinab aufs Wasser, das sich leicht im Wind kräuselte. Dieser See mit dem wahnsinnig kreativen Namen The Lake hatte mich als Kind sehr fasziniert. Mein Dad hatte Tara und mir erzählt, dass darin Kobolde lebten, an die man Wegezoll zahlen musste, wenn man die Brücke überqueren wollte. Zahlten wir nicht, würden sie uns folgen und unsere Haarspangen oder Ohrringe klauen. Diese Vorstellung hatte uns sehr fasziniert, aber ich musste auch zugeben, dass ich echt Schiss vor den kleinen imaginären Biestern gehabt hatte. Auch wenn wir jedes Mal brav einen Keks oder einen Penny auf die Brüstung gelegt hatten, hatte ich bei jedem Schritt überprüft, ob alle Klammern noch an Ort und Stelle waren.

Ich lächelte bei der Erinnerung, auch wenn ich einen leichten Stich in der Brust verspürte. So war es immer, selbst nach drei Jahren noch. Die schönsten Bilder in meinem Kopf hatten einen grauen Schleier, als wären sie nicht richtig entwickelt worden. Als würde ein Teil fehlen, weil ich die Einzige war, die sich daran erinnerte. Tara konnte es nicht mehr.

Mit einem leisen Seufzen schob ich die Hand in die Tasche. Ich hatte zwar nur Hustenbonbons dabei, aber ich war sicher, dass die Kobolde es durchgehen lassen würden. Entschlossen legte ich zwei Bonbons neben mir auf die Steinmauer. Eines für mich, eines für Tara.

»Bist du June?«

Ich zuckte zusammen und drehte mich um. Ich war so in Gedanken gewesen, dass ich meine Verabredung total vergessen hatte. Und Sam wohl auch, wie es aussah, denn neben mir stand ein hochgewachsener blonder Kerl und sah erwartungsvoll auf mich runter. Und ja, er sah buchstäblich auf mich runter. Er musste an die einsneunzig sein, was bei meinen einsdreiundsechzig schon einen gewaltigen Größenunterschied darstellte.

Seufzend hob ich die Hand. »Schickt sie dich, um mir abzusagen?«

Der Typ runzelte die Stirn und musterte mich, er wirkte nachdenklich. Ich musste mich zusammenreißen, um seinem Blick nicht zu folgen und zu überprüfen, ob mein Hosenstall offenstand oder etwas in der Art.

»Wer soll mich geschickt haben?«, fragte er schließlich. Er hatte eine dunkle und durchaus freundliche Stimme.

»Sam«, sagte ich langsam. »Ich war mit ihr hier verabredet. Wegen des Jobs.«

Er sah mich ein paar weitere Sekunden lang an, dann verzog sich sein Gesicht zu einem Grinsen. Und, holla, was für ein Grinsen das war. Auch mit ernster Miene sah der Kerl schon gut aus: groß, breite Schultern, dunkelblondes Haar, markante Züge. Doch wenn er nicht so ernst dreinblickte, war er wirklich ein Schnuckelchen. Er hätte locker auf der Titelseite irgendeines Männermagazins posieren können.

Er streckte mir eine große Hand entgegen, die ich misstrauisch schüttelte. »Ich glaube, ich hab mich nicht vorgestellt. Ich bin Sam.«

Ich blinzelte ein paar Mal zu ihm hoch. »Bitte was?«

»Wir waren verabredet.«

»Nein.«

Er lachte leise und nickte. »Ich fürchte doch.«

Oh Gott.

2

Das musste ein schlechter Scherz sein. In der Stellenanzeige hatte eindeutig gestanden, dass ausschließlich weibliche Bewerberinnen gesucht wurden. Und dieser Kerl war eindeutig nicht weiblich.

»Tut mir leid, aber das kann nicht sein«, sagte ich mit fester Stimme und deutete mit der Hand auf ihn. »Du bist nicht die Sam, mit der ich geschrieben habe.«

Einer seiner Mundwinkel hob sich amüsiert. »Und warum nicht?«

»Weil in der Anzeige eindeutig stand, dass ich eine Frau suche«, erklärte ich. »Und Sam Smileys benutzt hat.« Dieser Kerl sah nicht aus, als würde er Smileys benutzen.

Innerlich gratulierte ich mir selbst zu diesem schlagenden Argument, doch der Typ schien nicht sonderlich beeindruckt. »In der Anzeige stand nichts dergleichen. Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber ich bin Sam. Samuel, wenn du es genau wissen willst.«

»Was?«, schrie ich beinahe, während mir immer rascher das Blut ins Gesicht stieg. »Natürlich stand es drin! Ich würde niemals …«

Er unterbrach mich, indem er mir sein Smartphone unter die Nase hielt. Dort stand meine Anzeige, schwarz auf weiß. Und der Titel lautete »Alltagshelfer (m/w) gesucht«.

»Ich bin mir sicher, dass ich es anders eingestellt habe!«, rief ich und griff nach dem Handy, doch er entwand es mir und tippte erneut darauf herum. Das war eindeutig unser Chatverlauf. Die Nachrichten, die ich mit der vermeintlichen Sam gewechselt hatte.

Verdammt, verdammt, verdammt. Mir klappte der Mund auf, und ich zog mein eigenes Handy hervor, doch natürlich handelte es sich um denselben Chat. Wie hatte mir ein derartiger Fehler unterlaufen können? Und warum zum Teufel hatte ich mit Sam nicht telefoniert? Weil ich Telefonieren hasste und es mich nervös machte, schon klar, doch im Moment hätte ich mich wirklich dafür schlagen können.

»Tja«, sagte ich. Die Situation überforderte mich völlig. »Das ist ja jetzt unangenehm.«

»Sehe ich auch so.«

Ich sah auf und bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. »Warum hast du dich überhaupt beworben?« Selbst wenn ich es nicht ausdrücklich in die Anzeige geschrieben hatte, hätte er zwischen den Zeilen lesen müssen, dass ich eine Frau für diesen Job suchte und keinen jungen Typen.

»Weil die Anforderungen gepasst haben«, sagte er und fuhr sich mit der Hand durch die Haare, die danach ein bisschen lächerlich in alle Himmelsrichtungen abstanden. »Ein Kumpel hat mir die Anzeige geschickt. Trip Young, ich glaube, du kennst ihn.«

Ja, ich kannte Trip, wenn auch nur flüchtig. Meine Tante arbeitete in der Beratungsstelle seiner Familie. Allerdings verstand ich nicht, warum Trip meine Stellenanzeige an irgendwelche absurd großen, grotesk gut aussehenden Typen weiterleiten sollte. »Tut mir echt leid, dass du den ganzen Weg gekommen bist und so weiter, aber das wird nichts«, sagte ich bestimmt.

»Ich habe keine falschen Angaben gemacht«, sagte er, immer noch mit diesem schiefen Grinsen. »Ich habe nicht behauptet, eine Frau zu sein. Und ich heiße wirklich Sam. Ich wollte dich nicht täuschen, ich habe einfach nicht dran gedacht, dass der Name irreführend sein könnte. Dass du falsche Schlüsse gezogen hast, ist nicht meine Schuld.«

Ich öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich wieder. Hastig versuchte ich meine Gedanken zu ordnen und die Sache irgendwie mit Vernunft anzugehen. »Ist dir eigentlich klar, was du tun musst, falls du diesen Job bekommst?«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe die Anzeige gelesen, June. Und ich bin mir sicher, dass du mir den Rest erklären wirst«, sagte er zuversichtlich.

Missmutig musterte ich ihn und überlegte, wie ich aus der Situation wieder herauskommen sollte. Denn ich wollte ihn eindeutig nicht als Alltags- oder Collegehelfer. Es war mir ohnehin schon unangenehm genug, mir von einem völlig fremden Menschen beim Schuhebinden helfen lassen oder ihn durch meine Kurse schleifen zu müssen. Das auch noch von einem durchaus schnuckeligen Typen zu verlangen, war undenkbar.

Allerdings wusste ich nicht, ob ich überhaupt eine Wahl hatte. Schließlich hatte ich meinen Eltern großspurig erzählt, dass ich jemanden gefunden hatte. Wenn ich jetzt einen Rückzieher machte, stellten sie sich womöglich wieder quer. Und das wollte ich beinahe noch weniger, als mir von diesem Sam beim Pinkeln helfen zu lassen.

Hatte ich meiner Mom gegenüber eindeutig erwähnt, dass Sam ein Mädchen sei? Falls ja, war ich ohnehin aufgeflogen. Ich versuchte mir unsere Gespräche gestern am Telefon und dann zu Hause in Erinnerung zu rufen, doch ich war mir nicht sicher. Egal, ich musste es riskieren.

Ich atmete einmal tief durch und hob den Blick zu Sam. »Warum hast du dich überhaupt beworben?«, fragte ich, in der Hoffnung, irgendein Gefühl für den Kerl zu bekommen. »Ich meine, das ist nicht gerade der typische Sommerjob, oder?«

Er zuckte mit den Schultern, wirkte weder peinlich berührt noch verlegen. Der Kerl strahlte eine Selbstsicherheit aus, um die ich ihn ein wenig beneidete. Viele Menschen, die selbstsicher rüberkommen wollten, wirkten arrogant. Sam nicht.

»Wie gesagt, Trip hat mich drauf gebracht«, erklärte er lächelnd, stellte sich neben mich und lehnte sich mit dem Hintern gegen die Mauer. »Ich will ehrlich sein, die Bezahlung ist der Wahnsinn. Weißt du eigentlich, dass du dich damit weit überm Durchschnittslohn befindest?«

Jetzt war es an mir, mit den Schultern zu zucken. Das Geld interessierte mich wenig, damit hatte ich nichts zu tun; das war Sache meiner Eltern.

Er lächelte mich an. »Ich kann gut mit Menschen, und normalerweise können Menschen auch ganz gut mit mir. Ich bin mir sicher, wenn du dich entspannst, sind wir beide ein tolles Team.«

»Das klingt ja ganz nett und so weiter«, sagte ich und lehnte mich neben ihm an die Brüstung. Dass mein Kopf dabei kaum bis auf seine Schulterhöhe heranreichte, registrierte ich durchaus. »Aber ich will kein Team. Ich will unabhängig sein. Das ist der einzige Grund, warum ich diese Anzeige geschaltet habe.«

Das Stirnrunzeln kehrte zurück. »Verstehe ich nicht.«

»Ist auch nicht wichtig«, seufzte ich und schüttelte den Kopf. Dann sah ich ihn an, wobei ich mich ziemlich strecken musste, und kniff die Augen ein wenig gegen das grelle Sonnenlicht zusammen. »Und du bist dir sicher, dass du Bock darauf hast? Du musst mit mir zum College, und wenn ich shoppen gehen will, musst du mich begleiten, wenn ich das will. Du bist quasi mein persönlicher Sklave!«

Er lachte so laut, dass ich ein wenig zusammenzuckte. Trotzdem musste ich zugeben, dass es ein angenehmes Lachen war. Warm und voll und irgendwie ehrlich. »So leicht lasse ich mich nicht abschrecken, keine Sorge.«

»Im Ernst«, sagte ich nachdrücklich, ohne ihn aus den Augen zu lassen. »Jemanden, der nach einer Woche das Handtuch schmeißt, kann ich nicht gebrauchen. Dann suche ich mir lieber gleich jemanden, der es ernst meint.«

»Die Bewerbung war mein voller Erst«, sagte er ruhig und erwiderte meinen Blick. »Ein wenig Vertrauen wäre gar keine schlechte Basis für uns beide, meinst du nicht?«

Pfft. Mein Vertrauen musste er sich erst einmal verdienen.

»Okay«, sagte ich schließlich und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wir machen einen Probearbeitstag. Wenn du dich vernünftig anstellst, bekommst du den Job.«

Eine seiner Augenbrauen wanderte in die Höhe. »Dir ist aber schon klar, dass dein Dad mir den Entwurf für den Vertrag bereits geschickt hat, oder?«

»Ich entscheide, wer eingestellt wird«, sagte ich mit so viel Selbstbewusstsein in der Stimme, wie ich aufbringen konnte. »Also wirst du mich überzeugen müssen, Sam.«

Sein Grinsen wurde eine Spur breiter, als würde er sich auf diese Herausforderung freuen. Allerdings bezweifelte ich, dass ihm klar war, was tatsächlich auf ihn zukam. Meine Eltern bezahlten gut für diesen Job, er sollte ihn sich also verdienen.

»Ich werde dich überzeugen, June«, sagte er und hob die Hand für ein High-Five. »Du wirst mich nicht mehr gehen lassen wollen.«

Ich verdrehte die Augen und klatschte halbherzig ab. »Ich glaube, das ist eine Szene aus Pretty Woman«, sagte ich. »Und ich bin der reiche Kerl, der dich aus der Gosse holt.« Er lachte, aber ich stimmte nicht mit ein. »Ich weiß, dass du den Job wegen des Geldes machst.«

Sein Lachen erstarb, zu meiner Enttäuschung wirkte er aber weder peinlich berührt noch ertappt. Stattdessen richtete er sich ein wenig weiter auf, sodass er mich noch mehr überragte als ohnehin schon. »Ich kenne dich nicht, June, also werde ich es nicht um deinetwillen tun. Ich kann das Geld gut gebrauchen. Das bedeutet aber nicht, dass ich meine Arbeit nicht vernünftig machen werde. Okay?«

Ich sah ihn noch ein paar Sekunden an, doch in seinem Gesicht war nichts als Entschlossenheit zu erkennen. »Okay. Dann sind wir uns einig.«

SAM

»Trip!«, rief ich, als die Haustür hinter mir ins Schloss fiel und ich meine Turnschuhe abstreifte.

»Was?«, schrie er zurück.

Ich folgte seiner Stimme ins Wohnzimmer, wo er mit Lexie auf der Couch lag. Immerhin waren die beiden angezogen. Vor zwei Wochen war ich früher als gewöhnlich nach Hause gekommen und hätte, wenn ich auch nur zwei Minuten später aufgetaucht wäre, die beiden locker in flagranti erwischt. Lexie war heiß und inzwischen quasi Bestandteil dieser WG, und Trip war mein bester Freund – trotzdem gab es Dinge, die ich einfach nicht sehen wollte.

»Hey, Lexie«, sagte ich und ließ mich auf den Sessel den beiden gegenüber fallen. Ja, ich kam mir vor wie das fünfte Rad am Wagen, aber ehrlich gesagt war ich das mittlerweile gewohnt. Seit die beiden es auf die Reihe bekommen und eine Beziehung angefangen hatten, hing Lexie ständig hier ab.

Sie grinste und wackelte mit den Augenbrauen. »Na, wie war’s?«

Ich runzelte die Stirn. »Ich hab keine Ahnung.«

Trip tätschelte Lexie den Hintern, und sie rückte ein wenig von ihm ab, damit er sich einigermaßen gerade hinsetzen konnte. »Hast du es versaut, Mann? Das wäre peinlich.«

»Für wen?«, fragte ich genervt. »Für dich oder für mich?«

»Ich hab Molly gesagt, dass du ein guter Kerl und perfekt für den Job bist.«

»Kennst du diese June überhaupt?«, fragte ich.

Er zuckte mit den Schultern. »Wir sind uns ein paar Mal begegnet. Sie ist nett. Wie kann man das denn in den Sand setzen?«

»Habe ich doch gar nicht«, sagte ich energisch. »Warum geht ihr eigentlich automatisch davon aus?«

»Weil du nicht so wirkst, als hättest du gerade die Anstellung deines Lebens ergattert.« Lexie zeigte mit einem manikürten Finger auf mich. »Hast du vergessen, was ihre Eltern dir monatlich zahlen wollen?«

»Glaub mir, das ist der einzige Grund, warum ich das mache«, grummelte ich und ließ mich ächzend in den Sessel sinken. »Ich war nur nicht so richtig das, was Miss Bishop erwartet hat, befürchte ich.«

Trip musterte mich stirnrunzelnd. »Wie meinst du das?«

»Sie dachte, ich bin eine Frau.«

Lexie lachte schallend. »Warum das?«

Ich schüttelte missmutig den Kopf. »Hab nur ›Sam‹ in meine Bewerbung geschrieben. Ich hab nicht dran gedacht, dass sie das missverstehen könnte.«

»Du Trottel!« Sie lachte. »Wie hat sie reagiert?«

»War nicht begeistert.«

Trip wirkte nicht annähernd so amüsiert wie Lexie, was ich ihm nicht verdenken konnte. Er hatte mit Molly gesprochen und ein gutes Wort für mich eingelegt. Molly arbeitete in der Beratungsstelle seiner Eltern und war Junes Tante, deshalb hatte Trip von der freien Stelle erfahren. Und er hatte direkt an mich gedacht.

Trip war einer der wenigen Menschen auf dieser Welt, die über meine Situation Bescheid wussten.

»Keine Sorge«, sagte ich ihm, auch wenn ich ihn nicht direkt ansah. »Ich habe morgen einen Probearbeitstag. Das schaffe ich schon.«

»Will ich dir auch geraten haben«, maulte er. »Du kennst Molly nicht. Die will man wirklich nicht wütend machen. Und sie beschützt ihre kleine Nichte wie ein Pitbull.«

»Ihre kleine Nichte braucht keinen Pitbull«, bemerkte ich aus voller Überzeugung. »Sie hat mich richtig langgemacht, dabei ist sie nur fünfzig Zentimeter groß oder so.«

»Bring sie mal mit!«, rief Lexie begeistert. »Wenn sie schon den ganzen Tag mit dir verbringen muss, kann sie dabei auch ein bisschen Spaß haben!«

Energisch schüttelte ich den Kopf. »Ich glaube nicht, dass ihr so etwas Spaß machen würde.«

Ihr Lachen erstarb, und ein Funkeln trat in ihre Augen, das mir ein bisschen Angst machte. »Was soll das denn heißen? Ich bin lustig!«

Ich hob die Hände. »Ich habe auch nichts anderes behauptet. Ich glaube nur, dass du ein bisschen zu … zu …«

»Ja?«

»Überleg dir gut, was du sagst, Mann«, sagte Trip, der jetzt deutlich amüsierter wirkte als noch vor ein paar Minuten. Schön für ihn.

»Du bist vielleicht ein bisschen zu laut für sie, verstehst du?«, versuchte ich die Situation zu retten, stand aber vorsichtshalber langsam aus dem Sessel auf. »Sie ist mehr so der trockene Typ, hab ich den Eindruck.«

»Zu laut?«, wiederholte Lexie, richtete sich ein Stück auf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bin absolut liebenswert, und ich habe ein Händchen für Menschen, Sam! Ich habe euch alle um den kleinen Finger gewickelt, ohne dass ihr es überhaupt gemerkt habt.«

»Klar«, sagte ich hastig, biss mir auf die Lippen und bewegte mich möglichst unauffällig ein Stück in Richtung meines Zimmers. »Ich werde sie fragen, in Ordnung?«

Sie sah mich aus zusammengekniffenen Augen an, wirkte aber nicht zufrieden. »Erzähl ihr einfach, wie großartig wir sind!«

Ich drehte mich um und verließ das Wohnzimmer, bevor sich Lexie weiter in ihre Idee reinsteigern konnte. Denn nein, ich würde June sicher nicht fragen. Ich wusste nicht recht, was ich nach unserer ersten Begegnung von ihr halten sollte. Wir spielten definitiv nicht in derselben Liga, trotzdem hatte dieses Mädchen irgendetwas an sich, was mich neugierig machte. Vielleicht war es auch nur ihre Geschichte, die mich interessierte, ich konnte es nicht genau benennen. So oder so fiel mir aber die Vorstellung schwer, wir könnten uns eines Tages anfreunden. Sie hatte einen Stock im Arsch, so viel war sicher. Und ihre Familie hatte vermutlich mehr Geld, als ich jemals hätte ausgeben können. Ich lebte mit Sicherheit nicht an der Armutsgrenze, aber für das, was ich mir für mein Leben vorstellte, reichte es nicht mal annähernd.

Und vor allem nicht für das Leben meines Stiefbruders, an dem mir wesentlich mehr lag als an meinen eigenen Plänen.

Doch die Situation würde sich hoffentlich bald ändern. Auf ein Jahr war dieser Job begrenzt. Ein Jahr lang würde ich mehr verdienen als jemals zuvor. Ich musste June lediglich beweisen, dass ich perfekt für diesen Posten war.

Ein Kinderspiel.