G.F. Barner – Jubiläumsbox 5 – 6er Jubiläumsbox

G.F. Barner
– Jubiläumsbox 5–

6er Jubiläumsbox

E-Book: 23-28

G.F. Barner

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-956-5

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Ruhmloser Stern

Roman von G. F. Barner

Dies ist Durango in Colorado

Vor Jahren haben die Indianer die Stadt zweimal angesteckt.

Vor Jahren haben bei einem einzigen überfall dreiundzwanzig Männer, vierzehn Frauen und wahrscheinlich ein halbes Dutzend Kinder den Tod gefunden. Die genaue Anzahl der Kinder steht nicht fest. Einer sagt, es sind neun gewesen, ein anderer behauptet, es waren nur vier.

Der Bericht von Pater Wheelan und Bruder Josef aus dem Jahr 1869, die beide in der schmucklosen weißen Kirche mit dem roten Ziegeldach von Durango den Überfall erlebten, spricht von sechs Kindern.

Was mit einigen Frauen geschah, soll nicht gesagt werden. Es sei nur gesagt, daß eine Missis Barbara Juliet Prohse nach dem Aufenthalt bei den Jicarilla-Apachen wahnsinnig wurde und später von der 3rd. Colorado Cavalry zu Pater Wheelan gebracht worden ist.

*

Ich bin nicht bereit, das zu schreiben, was sich in und um Durango in diesem Zeitabschnitt ereignet hat, weil es zu furchtbar wäre.

Vor Jahren hatte man im DurangoStreifen, dem La Plata County, etwas Silber gefunden. Damals ist Durango eine wilde Stadt gewesen.

John Boardman, Elisha Colder und Brigham Alberson haben ihr Banditendasein für kurze Zeit in Durango geführt.

Die Minen sind verschwunden, die Berge sind leer.

Es gibt nur noch eine Mine dreißig Meilen östlich von Durango, auf der Höhe des Beaver Creeks.

In der Missionary Ridge – benannt nach den ersten Missionaren, die dort die Roten bekehren wollten, aber zum Teil dabei den Tod fanden – gibt es auch keine Pferde mehr.

Früher wimmelte es dort von Wildpferden.

Früher hat Lew Sargent dort gelebt. Er hat allein über vierhundert Pferde selber eingebrochen und zum größten Teil an die U.S. Cavalry verkauft.

Zu Lew Sargents bester Zeit haben sich in und um Durango alle Banditen aus den Nachbarstaaten ein Stelldichein gegeben.

Manchmal muß Durango die Hölle gewesen sein.

Nur sechzig Meilen westlich von Durango ist der einzige Punkt in den Vereinigten Staaten, an dem vier Staaten – Utah, Arizona, New Mexico und Colorado – zusammenstoßen.

Der Stein dort sagt es. Er sagt:

»The only place in the United States where it is possible to stand in four

states at one time. – Der einzige Platz in den Vereinigten Staaten, an dem es möglich ist, zur gleichen Zeit in vier Staaten zu stehen!«

Man hat von Tes-Nos-Pas (Carrizo) einen dürftigen Weg dorthin gelegt, um den Touristen einen Spaß zu geben.

Natürlich gibt es so etwas Ähnliches wie einen Store dort. Man kann an diesem Platz essen, trinken und erzählen. Wenn der alte George dort seinem Neffen lange genug geholfen hat, die Touristen abzufüttern, und der müde ist, dann redet er bei drei Whisky vielleicht mit einem Fremden. Er sieht wie ein Oldtimer aus – der alte George, er redet auch so. Und er trinkt wie sie. Er sagt, daß sie früher schrecklich viel getrunken hätten und es ein Jammer sei, daß man die Autos erfand. Ein Auto ist kein Pferdewagen.

Er sagt, früher wäre er im Wagen eingeschlafen und sein Gaul hätte ihn nach Hause gekarrt, genau bis vor die Tür. Er sagt vielleicht auch etwas von seiner Frau und der abendlichen Begrüßung, die es jedesmal gegeben hat. Vielleicht, wenn er gute Laune hat, das heißt, genug Whisky, dann macht er vor, wie Lew Sargent geritten ist. Nach seinen Reden muß Lew Sargent so etwas wie ein Idol für jeden Reiter gewesen sein. Allerdings erst nachher, nach seiner Geschichte und der des Sheriffs Dan Martin.

Vorher, da war Lew ein… Doch, das wäre seine Geschichte, die Geschichte Lew Sargents und Dan Martins. Es wäre eine Geschichte, die mit einem Stern zu tun hat. Vielen Männern hat der Stern eines Sheriffs Ruhm, Ehre und Ansehen verschafft. Es gibt genug Beispiele dafür.

Daß es auch umgekehrt sein kann, das haben sie beide, Dan und Lew und einige Leute, erlebt.

Darum ist dies die Geschichte des »Ruhmlosen Sterns«.

Sie ist so wild wie das Land um Durango, dem Land, das, so sagt der alte George, mehr Whisky, Blut und Tränen gesehen hat als Wasser. Das wird übertrieben sein, ganz sicher, aber George hatte den sechzehnten Whisky getrunken.

Er hat keine Frau mehr, die ihm das verbietet.

Nun, alter George, hier ist die Geschichte.

*

In Seiberts Saloon lächelt Ginger in den Spiegel. Sie lächelt nach links und sieht im Spiegel Don Margees schlankes, bartloses Gesicht mit den dunklen Augen. Margee lächelt zurück, er hebt sein Glas und trinkt ihr zu. Und darum ist Margee der erste Mann, der sie sieht.

Dann nimmt Margee den Blick herum auf Seibert, denn sein Glas ist leer. Mitten in der Kopfdrehung stockt Margees Bewegung, seine Augen werden starr, seine Lippen pressen sich blitzschnell zusammen.

Don Margee erkennt Hazel Sherman nur an diesem brandroten Haar und der Narbe am rechten Wangenknochen.

Hazel Sherman steht mitten in der Schwingtür. Seine beiden Revolver zeigen nach außen und sind unten mit den üblichen Lederriemen festgebunden. Dann läßt Hazel auch schon die beiden Flügel los, aber die Flügel wippen nur kurz zurück, denn rechts und links tauchen zwei Hände auf, die blitzschnell die Flügel festhalten.

»Mein Gott«, sagt Margee gepreßt und leise. »Mein Gott, John!«

John Seibert nimmt den Kopf hoch und erstarrt genau wie Margee.

Hazel Sherman lächelt wie jemand, der niemals etwas Böses tun kann. Seine flinken eiskalten Augen gleiten durch den Saloon, bleiben an dem einen Mann in der Ecke hängen und zucken einmal leicht.

Im nächsten Augenblick verliert auch Ginger Rockdale, die sich rechts des Tresens auf einen Tisch stützt, ihr Lächeln.

Hazel Sherman greift mit einer gleitenden, zeitlupenhaften Bewegung an seine linke Seite und schnippt einmal mit dem Daumen.

Ein Mann kann seinen Lederriemen, der den Kolben des Revolvers umfaßt, auch langsam lösen, aber Hazel macht es nur mit dem Daumen. Er braucht keine Hand dazu. Der Riemen ist los.

Der Mann in der äußersten linken Ecke ißt geruhsam. Er hat sicher ziemlichen Hunger und sieht nicht hoch. Er weiß noch nichts von Hazel, denn die Tür hat nicht geklappt. Keine Warnung. Hazel ist immer leise.

Dann werden Margees Augen stumpf, denn jetzt passiert das, was niemand bis jetzt überlebt hat: in der Tür tauchen Art Breechers und Hazels Bruder Jim auf. Sie stehen still, lassen die Flügel hinter sich behutsam und geräuschlos zurückschwingen, damit der Mann in der linken Ecke nicht gewarnt wird.

Und dann sieht sich Hazel um. Er wechselt einen Blick mit Art und Jim. Art geht leise los. Er trägt, genau wie die anderen beiden, die alten Stiefel aus Wildleder, denen die Füße die richtige Form geben.

Art geht auf den Tresen zu und kommt Margee immer näher.

Margee fühlt eine Hand an seinem Hals. Die Hand drückt langsam und kräftig zu, bis Margee keine Luft mehr bekommt und beinahe zu ersticken glaubt.

Art Breechers kommt immer näher. Margee kann sich nicht bewegen. Er hat das Gefühl, als seien seine Stiefel mit den Sohlen an die Dielen geleimt worden.

Dann ist Art auch schon links neben ihm.

Und erst jetzt bemerken die sieben oder acht Männer sowie die zwei Girls, der letzte Rückstand jener Miner-Epoche, der hier in der Stadt lebt, daß drei Männer in den Saloon gekommen sind.

Jetzt ist es passiert.

Aber Hazel steht still vor ihnen und hebt nur warnend die linke Hand über dem Revolverkolben an. In diesem Augenblick entscheidet sich der Haufen Männer zusammen mit den Girls für Schweigsamkeit.

Es ist nicht gut, Hazel zu ärgern, schon gar nicht, wenn Hazel die linke Hand über dem Revolver hängen hat.

Der Mann links in der Ecke schneidet sich gerade ein Ende seines blutigen Steaks ab und stopft es in den Mund, als ihm etwas aufällt.

Es ist immer still, wenn keiner mehr etwas sagt.

Und hier ist es nicht anders, denn das Walzenklavier hat seit der letzten Schießerei der beiden Dillons, die rein zufällig den gleichen Namen führten, Pause. Es spielt nicht mehr. Eine Kugel kam geflogen und ließ den Song von Armisters: »Oh, Kate, wie schön das Leben ist«, mit einem leichten Heuler verstummen. Alle Anstrengungen, das Ding in Gang zu setzen, sind genauso erfolglos geblieben wie die Bemühungen, die Dillons wieder zum Leben zu erwecken.

Der Mann hat den Bissen zwischen den Zähnen, sieht hoch und blickt in Hazels freundliches Gesicht. Dann verschluckt sich der Mann. Er würgt dreimal und schlingt den Bissen ungekaut hinunter.

Danach legt er das Messer rechts und die Gabel links neben den Teller. Er macht es ganz langsam und vorsichtig. Und er behält die Hände auf der Tischplatte, denn – Hazel lächelt jetzt freundlich und sanft.

Das Lächeln dauert vier, fünf Sekunden. Danach macht Hazel Sherman den Mund etwas weiter auf und sagt leise:

»Geht ein wenig vor die Tür, Leute, steht nur nicht im Weg, es könnte…«

Manchmal braucht ein Mann einen Satz nicht zu beenden, man weiß zu genau, daß er nur eine Sache meinen kann und reagiert entsprechend.

Die Männer sind jäh hoch, die Girls blicken sich voller Furcht um und rennen förmlich auf die linke Seite, auf die drei Vorderfenster des Saloons zu.

Vor der Tür ist Jim Sherman drei Schritte in den Raum gekommen und steht mit starrem Gesichtsausdruck schräg hinter seinem großen Bruder. In seinem Rücken stürzt alles auf die Tür zu und rast auf den Vorbau.

Selbst Don Margee am Tresen verliert jenes Gefühl der Anleimung und kann plötzlich gehen. Das heißt, Margee rennt plötzlich los. Und es spricht für seine Gefühle, daß er Ginger und ihr sanftes Lächeln in dieser Sekunde so völlig vergißt wie ein Betrunkener die Zeit.

Hinter seinem Tresen sinkt John Seibert Zoll um Zoll tiefer. Er macht es nicht auffällig, es geht zuckend und ruckweise, immer weiter nach unten.

Ganz rechts steht Ginger steif aufgerichtet vor dem Tisch und bewegt sich dann endlich. Sie hat schon beinahe zu lange gewartet. Ihr schwarzes Haar steht jetzt im krassen Gegensatz zu der fast weißen Gesichtsfarbe, die auch kein Puder verdecken kann. Sie tritt bis an die Hintertür, stützt sich mit beiden Händen gegen sie und drückt sich weit in die Ecke.

Zu dieser Zeit ist Seibert mit der Nase auf der Höhe des Tresens angekommen und bleibt so hocken. Er blickt aus großen Augen über den Tresen hinweg auf den Mann in der Ecke und fragt sich wahrscheinlich, was dieser Mann getan hat.

Doch da sagt Hazel auch schon leise:

»Ich hoffe, es hat dir geschmeckt, Joe?«

Der Mann schluckt zweimal. Er nickt und schüttelt dann den Kopf. Er weiß nicht mehr, was er sagen soll.

Hazel sieht ihn an wie eine Schlange ein Karnickel, das diese gleich verspeisen will.

Jim Sherman geht jetzt mit gleitenden, behutsamen Schritten, als wollte er den Frieden und die Stille im Saloon nicht stören, links an der Wand entlang und lächelt dünn.

In dieser Sekunde wird jedem klar, auch denen, die von draußen hereinsehen, daß drei Männer Joe in der Ecke gestellt haben und Joe keine Chance mehr hat.

»Hallo, Travis«, sagt Jim da auch schon an der linken Wand und steht leicht lächelnd still. »Was für ein Wiedersehen, wie? Man kann einige Dinge auch allein ausführen, aber wenn andere einem die Idee geben, dann geht es einfacher, wie? Travis, du hättest nichts essen sollen.«

Joe Travis schluckt, aber er bleibt trotzdem ganz ruhig und sieht die drei Männer der Reihe nach an.

*

Draußen faßt sich Margee an den Hals, denkt an die Postlinie und das tiefe Tal am Cox Canyon.

Das liegt zwar schon in New Mexico, aber die Post ist von Grand Junction nach Aztec unterwegs gewesen. Und der Mann, der ganz allein und ohne viel Gerede das eine Pferd der Kutsche abschoß, um dann Larson, dem Stage-

coachdriver eine Kugel durch die Haare zu jagen, daß dem der Hut durch die Gegend flog – der Mann heißt Joe Travis.

Joe Travis, der Postkutschenräuber!

Sie haben mit einem Banditen zusammen am Tisch gesessen, ein Salooner hat sie zusammen gesehen.

Joe Travis, der Mann der ein halbes Dutzend Überfälle ausgeführt hat, der im oberen Streifen des Gunnison Rivers wohnen soll. Das ist Joe Travis, der Mann, der schneller schießen soll, als man es für möglich hält.

Margee erinnert sich an seine einträgliche Poststelle und dann an seine Pflicht. Don Margee blickt sich draußen um, sieht das Licht weit drüben im weißgetünchten Office des Sheriffs blinken und rennt auch schon los. Es sind etwa sechzig Schritt, die Margee zu laufen hat. Er rennt so schnell wie nie zuvor und kommt drüben keuchend unter dem schrägen Vorbaudach an. Dann reißt er die Tür zum Office auf, sieht Dan Martin mit der Miene eines gelangweilten Mannes im Stuhl sitzen und holt tief Luft.

Dan Martin hat die Beine auf den Tisch gelegt. Er trägt rostbraune Stiefel ohne Sporen und grinst leicht, als er Martin sieht. Und natürlich denkt er an nichts anderes als den ewigen Streit, den Martin mit seiner Frau Hulda hat. Wahrscheinlich hat Hulda Don mal wieder ausgesperrt und Don braucht ein Nachtlager, um vor dem Gekeife seiner besseren Ehehälfte sicher zu sein. Darum sagt Martin auch nichts, er lächelt nur und nicht einmal seine Hacken nimmt er vom Tisch.

»Hazel«, sagt Don da keuchend und heftig nach Luft ringend. »Hazel, schnell, sie wollen Joe Travis… Joe Travis ist in Seiberts Saloon. Die Hölle ist gleich los. Joe Travis ist in Seiberts Saloon!«

Sheriff Dan Martin reißt seine blaugrünen Augen erschrocken auf und nimmt jetzt die Beine mit einem Ruck vom Tisch.

Dann fragt er kühl und scharf:

»Wer? Joe Travis, den sie drüben suchen?«

»Ja«, erwidert Margee, der sich nun etwas gefaßt hat. »Ja, Dan, es ist Travis. Und Hazel Sherman ist mit seinen beiden Partnern hier und wird ihn erschießen!«

Dan Martin ist mit einem Satz vom Tisch weg, reißt das Halfter mit dem Gurt und dem Revolver von der Wand und wirft sich den Gurt um. Sein Hut hängt am Haken an der Tür. Er steht schon dort, stülpt sich den Hut auf und sagt scharf:

»Woher weißt du, daß es Travis ist, Margee?«

»Sie haben ihn so angesprochen!«

»Ach, zum Teufel, auch das noch. Gibt es denn keinen friedlichen Tag in Durango?«

»Komm, komm schnell«, drängt Margee heftig. »Sie schießen ihn über den Haufen. Du kennst doch Hazel, er schießt immer und kassiert dann seine Belohnung. Wieviel haben sie auf Joe ausgesetzt?«

»Achthundert. Der Steckbrief ist hier, aber ich habe von drüben kein Ersuchen bekommen, Joe zu verhaften. Ich nehme ihn natürlich fest, aber Hazel… Dieser verdammte Kopfgeldjäger. Ist Jim dabei?«

»Ja, ich sagte es doch. Jim und Art Breechers.«

Sheriff Dan Martin rennt aus der Tür, zieht im Lauf seinen Revolver und sieht die Waffe kurz nach. Er läßt den Hammer sofort auf der leeren Hülse ruhen, rennt in langen Sätzen und schneller, als Margee ihm folgen kann, auf den Saloon zu.

Martin ist schnell, er hat auch einen guten Namen, aber er ist in den drei Wochen seiner Amtszeit nicht besonders strapaziert worden. Einige kleine Schießereien, ein versuchter Überfall auf den Store von Clyde Jenkins, das ist alles.

Die Festnahme eines Mannes, der in Utah steckbrieflich gesucht wurde, ist der einzig richtig aufregende Punkt in seiner bisherigen Tätigkeit für das Gesetz gewesen.

Dan sieht die Männer vor dem Saloon, er sieht auch drei Pferde und erkennt Hazels braunes Pferd sofort an den hohen weißen Hacken. Die Männer stehen reglos auf dem Vorbau, nur an den vorderen Fenstern drängen sich einige Leute, die besser und mehr sehen wollen.

Im Saloon ist es totenstill.

Nur der linke Fuß von Jim Sherman, der jetzt auf eine leere Streichholzfaltschachtel tritt, verursacht ein leichtes, brechendes Geräusch.

Joe Travis sitzt hinter dem Tisch, beide Hände auf der Platte, und starrt Hazel an. Er weiß ganz genau, daß Hazel der gefährlichste Mann dieses Rudels ist. Und er erinnert sich an den Tag, an dem er mit Hazel und den anderen in der Nähe der Wood Ranch in New Mexico bei der Huerfano-Trading-Post zusammentraf. Die Erinnerung ist so lebendig, wie das Geld in seiner Tasche schweigsam ist. Könnte das Geld allerdings reden, dann würde es eine seltsam düstere Geschichte von Blut und einem anderen Mann erzählen.

Jener Tag ist es gewesen, der mit einer wilden Trinkerei endete und an dem Hazel, vielleicht im Scherz, aber vielleicht auch im völligen Ernst sagte:

»Die verdammte Kutsche nach Albuquerque! Wenn ich mich nur nicht als halbwegs ehrlicher Mensch betätigen würde, dann hätte ich sie schon dreimal ausgeraubt. Sie bringen ständig mit der Kutsche in einer Transportkiste einige hundert Dollar über den Weg und bewachen sie nicht einmal. Ein Kinderspiel, das reinste Kinderspiel, das Ding anzuhalten und das Geld herauszuangeln. Das wäre ein Fischsport, der sich lohnen würde. Stimmt es, Jim?«

»Ja«, sagte Jim damals und kicherte albern. »Eine Kleinigkeit für drei Männer.«

Vielleicht ist es nur ein Gespräch gewesen, wie es Männer öfter führen, wenn sie irgendwo einen Geldtransport zu Gesicht bekommen oder den Schalterraum einer Bank betreten.

Nun denkt mancher an Raub, an Überfall oder einfach daran, zu Geld zu kommen, aber von tausend Männern kommt sicher nur einer auf die Idee, sich das Geld mit Gewalt zu holen.

Der Mann, der auf die Idee gekommen war, ist Joe Travis. Und er hat eintausendundsechsunddreißig Dollar bei diesem Coup erbeutet. Das Geld steckt in seinem Anzug, dem einzigen Platz, an dem Joe es sicher weiß. Jetzt weiß er, daß das Geld überhaupt nicht sicher ist, daß es gleich verloren sein wird, wenn kein Wunder geschieht. Und er ahnt dumpf, daß er Hazel, Jim und Art die ganze Tour verdorben hat, denn die drei Männer scheinen sich nicht nur spielerische Gedanken um das Geld gemacht zu haben.

»Schlau, was, Joe?« fragt Hazel mit seiner sanften, aber eiskalten Stimme träge. »Das hätten wir nicht von dir gedacht, mein Freund. Steh auf und behalte die Hände oben. Dann tritt drei Schritte vom Tisch weg. Und dann machst du deinen Gurt auf, verstanden? Hoch mit dir, aber vorsichtig, sehr vorsichtig!«

*

In dieser Sekunde ahnt Joe, daß sie ihn umbringen werden, ganz gleich, ob er sich ergibt oder sich verteidigt. Sie werden ihm keine Chance mehr lassen.

Es ist für Travis nun kein Rätsel mehr, weshalb sie seinen Namen kennen und eine ziemlich genaue Beschreibung von ihm haben. Die drei Männer hier, drei Halunken, nicht gerade Banditen, aber auch nicht viel besser. Sie haben seinen Namen angegeben und seine Kleidung beschrieben.

Die Rache dreier Männer, die er betrogen hat. Hätte er nur seinen Anteil ausgeliefert, jene Summe, die man so unter der Hand anderen zusteckt, die an einer Idee beteiligt gewesen sind.

Er hat es nicht getan, er hat fest damit gerechnet, daß man ihn nicht erkannt hat und ihn infolgedessen auch nicht gleich suchen wird.

Sie suchen ihn aber jetzt. Sie suchen ihn. Er hat seinen Steckbrief in Falfa gesehen, mitten in der beginnenden Nacht. Ein Fetzen Papier, Farbe rot, darauf die Belohnung und seine Beschreibung. Achthundert Dollar!

Sein Anteil an der Beute hätte etwas über fünfhundert Dollar betragen, wenn er mit den anderen drei Männern geteilt hätte. Auf jeden also etwas über einhundertsiebzig Dollar. Drei geteilt durch achthundert, das ist die andere Seite der Rechnung. Natürlich teilen sie sich lieber achthundert Dollar. Sie wären ja verrückt, wenn sie es nicht täten. Achthundert oder fünfhundertachtzehn Dollar – ein kleiner Unterschied.

Sie haben also gerechnet, und am Ende der Rechnung stehen sie hier. Sie werden ihn nicht am Leben lassen, weil sie das nicht können. Er wird dann nämlich reden, laut und viel. Zum Beispiel von einer Nacht in der Huerfano-Trading-Post und der Idee, die ihm Hazel und Jim in den Kopf gesetzt hatten, dann wird man auch die beiden Brüder einlochen, als Anstifter, versteht sich. Und weil sie nicht in ein Jail wollen, darum werden sie den lieben Joe einfach umbringen müssen.

»Hör zu, Hazel«, sagt Joe krächzend und hat einen ganz trockenen Hals bekommen. »Joe, wir können uns doch…«

»Du sollst aufstehen! Mach schon, sonst schieße ich, Mann!«

Er sieht die kalten Augen Hazels und schluckt heftig. Es ist wahr: Joe ist schnell, aber die anderen halten ihre Revolver in den Händen. Ehe er ziehen kann, ist er ein Sieb. Das weiß er ganz genau.

Hazel schießt immer zuerst und stellt fast nie hinterher Fragen, weil es nichts mehr zu fragen gibt.

So ist das.

Er sieht in den Revolver Hazels und steht langsam auf. Seine Hände bleiben auf der Tischplatte.

Dort steht Jim Sherman. Auch sein Revolver deutet auf Joe. Joe kann über ihn hinweg die Tür des Saloons sehen und denkt daran, daß sie ihn nie erkannt hätten. Ohne seinen Bart, den er sich gleich im Falfa Creek abgenommen hat, ohne seine Kleidung – denn er trägt andere Sachen – hat ihn keiner erkannt.

Nur diese drei schmutzigen Schurken, die haben sich natürlich nicht durch andere Kleidung und andere Dinge bluffen lassen. Sie sind da. Und die Leute, deren Gesichter er seltsam bleich unter den Türflügeln sieht, diese Leute sind auch da und sehen zu. Er hat nie gewußt, was man fühlt, wenn man fast tot und das Opfer der Neugierde einiger Leute ist.

So ist es also, wenn man selbst derjenige ist, der umgebracht werden sollte. Jetzt weiß er es und kennt das Gefühl.

Er steht da und hat die Wand im Rücken. Es ist immer gut, eine Wand im Rücken zu haben und damit von hinten unangreifbar zu sein.

Unter seinem langen Überrock, in den er sein Geld getan hat, steckt der sechsschüssige Smith and Wesson im Halfter. Den Revolver müßte ich haben – in der Hand – denkt Joe Travis. Was bin ich für ein Narr gewesen!

»Geh drei Schritte zur Seite. Nach links, mein Freund!«

Die Stimme Hazels ist eisig und sein Blick lauernd und wachsam.

»Wo hast du dein Geld, Joe?«

»Ihr verdammten Schufte, ich habe es vergraben!«

»Du lügst, Mann, du würdest es nie vergraben, dazu kennen wir dich zu gut. Nur was du bei dir trägst, das ist bei dir sicher aufgehoben!«

Sie werden es finden, wenn ich tot bin, denkt Joe Travis. Sie werden alles finden und die Helden sein. Dabei stammt die Idee von ihnen. Schurken!

Er macht einen Schritt nach links und sieht in Art Breechers fast gelblich schimmernde Augen. Art wartet nur darauf, daß er sich eine Dummheit einfallen läßt, um dann sofort schießen zu können.

Er macht die drei Schritte und bleibt stehen.

Der Revolver von Hazel zeigt genau auf seinen Kopf, und Hazel Sherman sagt leise und doch scharf:

»Jetzt mach den Gurt auf, Bursche. Und versuchst du auch nur einen krummen Trick, dann siehst du die Welt gleich darauf nicht mehr. Mach die Jacke auf und wirf den Gurt weg! Feuere ihn nach rechts, auf Jim zu!«

Joe weiß, daß es aus ist, und würgt einmal.

Und gerade in diesem Augenblick, in dem er sich aufgibt, klappt leise die Tür.

*

Dan Martin gibt im nächsten Augenblick der Tür einen Tritt mit dem Fuß und richtet seinen Revolver auf Hazel.

Hazel kennt ihn zu gut und weiß, daß Martin stur wie ein Ochse sein kann, der auch in Panik geradeaus rennt und keine Umwege kennt, um an sein Ziel zu kommen.

Hinter dem Tresen kommt Seibert langsam hoch. Sein Mut ist wieder da, und die fast verheerende Angst vor Hazel und seinen Burschen ist fast verflogen.

Der eine Flügel der Tür kracht schwer gegen den anderen und schwingt danach aus.

Dan Martin steht still, den Revolver in der Faust, und sagt in die Stille:

»Hazel, ich würde jetzt nichts tun. Ich würde meinen Revolver senken und daran denken, daß das Gesetz jetzt im Saloon steht. Nun gut, ist das wirklich Travis?«

Travis blickt hilfesuchend zu ihm hin, aber Martin konzentriert seine Aufmerksamkeit auf alle Männer und läßt nur ihn etwas aus den Augen. Er blickt zu Art am Tresen, zu Jim Sherman links an der Wand und dann wieder auf Hazel.

»Sieh an, der Sheriff«, sagt Hazel dann überrascht. »Nun…«

Er stockt. Ein scharfer, kurzer Seitenblick geht zu seinem Bruder Jim, der den Mund auftun will.

»Sei still, ich rede!« sagt Hazel fauchend. »Halte dich heraus, Jim, ich spreche für uns alle. Dan, das ist Travis, der Stage-Räuber. Wir haben ihn und werden ihn mit deiner Hilfe ins Jail einliefern. Dan, nur keine Unruhe, du kennst Travis nicht, aber wir kennen den Burschen. Er ist gefährlich wie eine Klapperschlange. Komm nur an meine Seite und halte ihn in Schach. Ich habe noch nie gegen das Gesetz gearbeitet.«

Martin ist gar nicht sicher, daß Hazel so ehrlich ist, wie er sich den Anschein gibt. Es ist weit und breit bekannt, daß die Shermans mit Breechers Männer jagen und sie manchmal nur tot einliefern. In den meisten Fällen sind es steckbrieflich gesuchte Banditen, deren Geld aber in fast allen Fällen auf rätselhafte Weise bis auf den heutigen Tag verschwunden geblieben ist, nachdem sie von Hazel erwischt wurden.

Jim nagt nervös an seiner Unterlippe und starrt seinen Bruder auf eine Weise an, die deutlich verrät, daß er über Hazel erstaunt ist.

»Hazel, wie habt ihr ihn gefunden?« fragt Martin heiser und kommt näher.

Hazel Sherman grinst, ohne den Kopf zu wenden.

»Eine einfache Rechnung. Er wohnt oben am Gunnison River und hat ein Girl in der Nähe von Aztec. Wir besuchten das Girl und fanden heraus, daß er seine Sachen bei ihr gelassen hatte. Ihn so schnell zu erwischen, haben wir uns nicht träumen lassen.«

Jetzt geht Martin los und blickt zu Travis hin, der seine rechte Hand am Rocksaum hat und gerade den Rocksaum aufknöpfen will.

»Hallo, Mann, du bist verhaftet«, sagt Martin kurz und scharf. »Streck sie wieder hoch und steh still. Und dann gehst du hin, Jim, und nimmst ihm die Waffe ab, verstanden?«

»Ja«, erwidert Jim Sherman und starrt wieder zu Hazel hin. »Und wenn er einen Trick versucht, Dan?«

»Er wird keinen Trick versuchen, weil es zu gefährlich für ihn ist. Travis, die Hände hoch!«

Travis’ Gesicht verzerrt sich. Er sieht etwas in Hazels Augen, das ihn warnt. Er macht den Mund auf und sagt keuchend, während Martin beinahe neben Hazel ist:

»Sheriff, einen Augenblick. Ich muß erst noch etwas sagen. Ich habe die Kutsche nur überfallen, weil mich…«

Er reißt in der nächsten Sekunde die Augen weit auf und weiß, daß es trotz der Anwesenheit von Martin geschehen wird. Sein Versuch, sich zu rechtfertigen, wenigstens zu versuchen, die Dinge zu erklären, und die Shermans als Urheber seiner Idee zu bezeichnen, wird von Hazel jäh unterbrochen.

Hazel Sherman, der Martin nun an der Seite hat, wirbelt hart herum, stößt seinen linken Ellbogen mit aller Gewalt nach der Seite und jagt ihn Martin in den Leib. Dann holt Hazel auch schon aus. Und er ist so schnell, daß das Lampenlicht die huschende Bewegung seines Revolvers nur als Strich und funkelnden Blitz zeigt. Zwar versucht Martin noch auszuweichen, aber Hazel ist zu schnell und zu hinterhältig. Das konnte Martin nicht ahnen.

Der Blitz zuckt auf Dan herunter, dann sieht Martin nur ein schwarzes Loch, in das er krachend fällt. Er hört das hohe und klirrende Singen, das sich zu einem grellen, heulenden Sirenenklang steigert. Und dann legt sich das Dunkel vor seine Augen. Er stürzt dem Boden entgegen, verliert seinen Revolver und prallt hart gegen die Dielen.

Der eine Augenblick, in dem Hazel den Sheriff niederschlägt, bringt sowohl seinen Bruder Jim – als auch Art Breechers in Verwirrung. Sie zucken beide herum und richten ihre Aufmerksamkeit jetzt auf Hazel und den zu Boden fallenden Sheriff.

Travis aber, die Hand am Rock, handelt rasend schnell. Er weiß es jetzt mit absoluter Sicherheit und zaudert nicht mehr, denn diese ist die einzige Chance, die ihm noch bleibt. Blitzschnell hebt er seine Hand dem Rockschoß entgegen, schlägt den Rock hoch und hat die Hand am Revolver. Er ist schnell und wendig und wirft sich sofort nach links, auf den nächsten Tisch zu. Dabei erwischt seine Hand den Revolver. Er duckt sich, reißt die Waffe aus dem Halfter und zieht sie hoch.

Der matte Stahlschimmer blinkt auf, der Revolverlauf kommt hoch. Travis hat seine Chance und ist bereit, sie so teuer wie nur möglich zu verkaufen.

Mit einem Ruck dreht er sich Hazel zu, wirft sich ein Stück weiter gegen den nächsten Tisch und sieht dann entsetzt den Revolver in der linken Hand von Hazel Sherman.

Dies ist, das erkennt er in dem Bruchteil jener Sekunde, bevor der Revolver in Hazels Hand donnernd aufbrüllt, der Trick des Kopfgeldjägers gewesen.

Während Hazel mit der rechten Hand geschlagen hat, ist seine linke Hand zum anderen Revolver geflogen und hat den schweren Colt gezogen.

Travis steht mitten in der Feuerwolke vor dem Revolver und macht sich so klein wie möglich. Die Kugel streift seinen rechten Revolverarm, schleudert seine Hand nach hinten und schlägt sie samt Revolver an die Wand. Er spürt einen kurzen, stechenden Schmerz, dann ist er aber hinter dem Tisch, hat die Hand herum und feuert.

Hazel steht steif wie ein Ladestock mitten im Raum und schießt fast gleichzeitig. Während aber Travis’ Geschoß nur über Hazel hinwegstreift, trifft Sherman genau.

Joe Travis sinkt gegen die Wand zurück. Er kauert einen Augenblick auf den Knien, dann sinkt er nach vorn und auf den Boden. Er sieht nichts mehr, als er den Boden berührt, aber in seiner Bodenlage taucht erst langsam und undeutlich, dann aber immer deutlicher sich herausschälend, ein Gesicht vor ihm aus dem grauen und ziehenden Nebel auf, der ihn einhüllen will.

Joe Travis sieht jenes Mädchen aus Aztec, das den drei Männern seine genaue Signatur verraten hat.

Er sieht deutlich an ihrer Hand den großen, funkelnden Stein in der Goldfassung des Ringes.

Das Geschenk, das ihr Joe Travis verehrt hatte.

Sie hatte dabei gelächelt und später etwas zu schrill gelacht, als sie erfuhr, daß der Erlös von Joes vorletztem Überfall es erst ermöglicht hatte, ihr den Ring zu kaufen.

Joe Travis hört das Lachen und schließt die Augen. Er sieht keinen Nebel mehr, aber er hört das gellende und schrille Gelächter. Und dann ist alles still, das Gelächter ist fort. Joe Travis hört gar nichts mehr. Die Beute steckt in seinem Rock. Sicher wie nie, er hat sie nicht verloren und nicht abgeben müssen.

Die Beute ist da. Und Joe Travis ist tot.

Am Boden liegt der Sheriff.

*

Hazel Sherman blickt eine Sekunde eiskalt auf den Tisch, hinter dem Travis zu Boden gesunken ist. Dann sagt er keuchend:

»Ich wußte es doch, der Kerl würde jede Chance nutzen. Es wird Ärger mit Dan geben, das fürchte ich, aber Dan ist ein zu sturer Mann des Gesetzes. Wahrscheinlich würde ihn Travis irgendwann ausgetrickst und vielleicht sogar erschossen haben. Ich kenne doch Travis, wie?«

Er sieht ziemlich mürrisch auf den Sheriff hinab. Keiner weiß, daß der Tip für den Überfall von den Shermans stammt. Es ist auch niemand mehr da, der es verraten kann, denn Travis ist tot, und die anderen werden nicht mehr reden. Keiner von den drei Männern hat jemals über gewisse Dinge gesprochen, die sich in der Unwegsamkeit der Berge zugetragen hatten.

Jim steht erstarrt an seinem Platz, der Schreck steckt ihm noch in den Knochen. Er bewundert wieder einmal seinen großen eiskalten Bruder Hazel, der selbst den Sheriff geblufft hat. Gleich zu schalten und Martin heranzulocken, das bringt nur Hazel fertig, niemand sonst.

»Jim«, sagt da auch schon Hazel fauchend. »Was stehst du herum und sperrst den Mund auf? Ich wußte, daß Travis irgendeinen Trick versuchen würde. Starr mich nicht so an, sollte ich Dan vielleicht mit offenen Augen in sein Unglück laufen lassen? Travis würde ihn vielleicht schon hier erwischt haben. Tut mir leid, aber ich mußte Dan vor der Dummheit bewahren, Travis zu trauen. Dan ist ein guter Mann, aber zu gutgläubig. Travis hätte ihn hereingelegt. Sieh nach, Jim, sieh nach, ob der Bursche das geraubte Geld bei sich hat.«

Jim weiß Bescheid. Hazel hat mit wenigen Worten das gesagt, was sie von nun an alle drei zu sagen haben werden. Die Sache ist ganz einfach. Jeder hat doch gesehen, daß Travis noch gezogen hat. Vielleicht wird es nicht so rauh werden, denn schließlich haben sie Dan Martin nur niedergeschlagen, einer von ihnen – aus lauter Sorge um Martins Wohlergehen! Aber sicher gibt es kaum einen, der das glaubt. Dan wird es schon gar nicht schlucken.

Und darum bückt Hazel Sherman sich jetzt, angelt unter Martins Körper, nimmt den Revolver des Sheriffs an sich und entlädt ihn mit flinken Fingern.

»Art«, sagt er dann kurz. »Komm her und faß an, wir werden ihn zu seinem Office bringen und dort mit ihm reden. Faß an, Art, schnell!«

Er hat schon wieder seinen nächsten Trick auf Lager. An Trickreichtum ist Hazel kaum zu überbieten. Art erkennt in einem Augenblick, daß Hazel schon wieder eine Idee hat und handelt sofort.

Niemand rührt sich sonst. Seibert hinter dem Tresen macht Glotzaugen und schweigt, die Männer draußen reden nicht und sehen schweigend zu, wie Hazel und Art den schlaffen Dan Martin zwischen sich nehmen und auf die Tür zukommen.

»Nimm ihm alles weg, was er an Geld bei sich trägt«, sagt Hazel in der Tür kalt und ruhig zu seinem prächtigen Bruder Jim. »Das bringst du dann zum Office, damit Dan es erhält und an die Leute der Stage-Linie weitergeben kann. Macht Platz vor der Tür, Leute, oder wollt ihr mich ärgern?«

Keiner will ihn Ärgern, es will auch keiner etwas mit ihm zu tun haben, weder mit ihm noch mit den anderen.

Sie stehen draußen und schweigen alle. Drüben laufen einige Leute heran, aber Hazel kümmert sich nicht um sie. Er weiß verdammt genau, daß sie niemand aufhalten wird. Wohl erkennt er die verstörten Blicke der Leute, die den Sheriff sehen, aber Hazel rührt das nicht die Spur.

»Schnell«, zischt er Art zu. »Wir müssen ihn im Jail haben, bevor er aufwacht, der Bursche hat Bärenkräfte und erwischt uns beide, ist er erst einmal wütend genug. Und ich fürchte, er wird das sein, wenn er aufwacht. Komm schneller, wir können uns kein Risiko leisten. Nach zwei, drei Wochen hat er das vergessen und erinnert sich nicht mehr an die Beule an seinem Kopf.«

Sie schleifen Martin schnell über die Straße auf das Office zu und stoßen die Tür auf.

Im Licht des Office sehen sie auf sein starres, lebloses Gesicht und packen ihn hart, um ihn bis an die Stäbe zu zerren, die das Jail vom Officebau trennen.

»Seine Handschellen. Verdammt, wo hat er die Handschellen?« schnauft Hazel und sieht sich in fieberhafter Eile um. »Art, halte ihn und nehme den Revolver. Dieser verdammte Travis. Um ein Haar hätte uns der Kerl noch verraten. Ich mußte es tun, wenn es auch Ärger geben wird, aber ich mußte einfach.«

Er sieht jetzt im offenen Schrank die Handschellen im Regal liegen. Mit zwei Sätzen ist er dort, greift nach einer, rennt zurück und zieht die Schelle erst hinter dem Gitter durch, ehe er Martin, den Art richtig an das Gitter geschoben hat, fesselt.

»In Ordnung, jetzt kann er aufwachen«, sagt Hazel erleichtert und wischt sich den Angstschweiß von der Stirn. »Boys, was wird der Bursche fluchen.«

Sie treten beide zurück und sehen sich besorgt an.

»Hör mal, wenn wir ihn auch fest haben, er kommt irgendwann los und besucht uns dann, Hazel«, sagt Art warnend. »Ging es nicht anders zu erledigen?«

»Wie denn, du Narr? Sollte Travis reden? Nun, vielleicht weißt du etwas, dann laß es dir ganz schnell einfallen, damit wir nicht Dan auf uns wütend machen. Weißt du was, eh?«

»Nein«, erwidert Art kopfschüttelnd. »Ich weiß nichts, ich will auch gar nichts wissen. Aber täusche dich nur nicht in Dan, er ist ein harter Brocken, wenn er das auch noch nie richtig beweisen konnte.«

»Ah, er ist der falsche Mann auf dem falschen Posten, Art! Vorsicht, er wacht auf! He, da kommt ja auch Jim schon!«

Jim kommt herein, wirft die Tür hinter sich zu und macht mit dem Krach, den die Tür beim Zufallen verursacht, Dan Martin erst richtig munter. Martin hebt leicht den Kopf, schlägt die Augen weit auf und starrt die drei Männer groß an. Dann bewegt er den Oberkörper nach vorn, merkt in der nächsten Sekunde den Ruck an seinen Armen und hört das Klirren. Und war er bis jetzt noch nicht ganz auf dem Boden dieser Welt gewesen – jetzt ist er es.

»Hazel«, sagt er mühsam und schnauft einmal hart. »Hazel, was soll das? Seid ihr verrückt geworden, ihr habt mich gefesselt?«

»Mein lieber Freund«, antwortet Hazel honigsüß, »was sollten wir denn tun? Ich sah an Travis’ Augen, daß er etwas im Sinn hatte, und wollte dich nicht gefährden, darum…«

»Du lügst für mich nicht gut genug, Hazel«, faucht der Sheriff jetzt, der nun richtig bei Besinnung ist und wütend an der Handschelle zieht. »Er wollte etwas sagen, und du hast ihn nicht reden lassen wollen, Hazel, das ist der ganze Grund gewesen. Versuche nicht, mich zu überlisten, ich kenne euch langsam zu gut. Was wollte er sagen?«

»Er wollte etwas sagen?« fragt Hazel verstört und macht richtige Glotzaugen wie ein neugeborenes und unschuldiges Weidekalb. »Mein lieber Mann, ich wußte doch, du wirst uns nicht glauben. Wenn der Kerl etwas sagen wollte – und so habe ich es aufgefaßt, dann nur, um seinen Revolver herauszureißen und zu schießen. Travis hat auch vor vier Mann keine Angst, das weißt du doch.«

»Hatte, wolltest du wohl sagen, eh?« fragt Dan grimmig zurück.

»Das ist doch seine Jacke. Freiwillig hat er sie euch sicher nicht gegeben. Ist er…«

Die Pause danach sagt genug. Hazel senkt die Lider.

»Er schoß einmal, er war unheimlich schnell.«

»Und du hast ihn dazu verleitet, Hazel. Durch deinen Angriff auf mich hast du ihm die Chance gegeben, die er niemals gehabt hätte. Hazel, mach mich augenblicklich los, sonst erlebt ihr alle drei etwas!«

»Wie – wie?« sagt Jim mit falscher Freundlichkeit. »Da rettet man dir sozusagen das Leben, denn du als Sheriff hättest ja schießen müssen, wenn er was versuchte. Und das hättest du, Dan, nicht überlebt. Und da drohst du uns noch? Hier ist alles geraubte Geld. Ich packe es hier auf den Tisch, du kannst mitzählen, ob es auch stimmt.«

»Jim, du bist nicht viel besser als dein verdammter Bruder, das merke ich schon. Ich werde euch einlochen, wenn ihr mich nicht losbindet!«

Hazel ist nur verwundert und beinahe beleidigt. Immerhin ist sein Vater einmal Gaukler gewesen, und seine Söhne haben einen Teil der Beredungskünste des Alten geerbt. Bei Dan Martin haben sie allerdings kein Glück mit ihren betörenden Reden.

Jim schneidet die Jacke einfach auf und macht sich daran, die großen Scheine aus der Beute abzuzählen.

Hazel aber blickt verwirrt auf den Sheriff und sagt noch einmal:

»Das hätte ich nicht von dir gedacht, Dan. Ich wollte dich vor einer Kugel bewahren, und du schiebst mir die böse Absicht in die Schuhe. Daß du dich nicht schämst.«

»Mensch, jetzt ist es aber genug. Noch ein Wort, dann sperre ich dich bis an dein Ende ein. Mach mich los, dann lasse ich euch eine kleine Chance!«

»Ich müßte ja verrückt sein, Mann«, erwidert Hazel jetzt kalt. »Wenn du nicht Vernunft annehmen willst, dann tut es uns leid. Und wenn du nicht gesehen haben willst, daß Travis seine Hand absichtlich an den Rocksaum brachte, dann ist das deine Sache. Auf jeden Fall lasse ich mich nicht von dir beschimpfen und noch einsperren. Halte den Mund, sonst werde ich wild!«

Jim ist mit dem Zählen fertig, stapelt das Geld aus dem Geldbeutel von Travis, den er auch mitgenommen hat, auf den Tisch und sagt heiser:

»Genau die Summe, die er geraubt hat, und einige Dollar mehr. Hier liegt sein geraubtes Geld. Dan, wir ziehen die achthundert Dollar gleich ab und gehen dann.«

»Geht nur möglichst weit. Erwische ich euch, dann sitzt ihr im Jail, bis der Richter kommt und sich die Sache angehört hat. Tätlicher Angriff auf den Sheriff kostet euch vier Wochen Jail. Ihr solltet die Belohnung lieber liegenlassen.«

»Wir bekommen sie doch von der Stage-Linie«, erwidert Hazel kühl. »Es macht nichts, wenn wir sie jetzt schon nehmen. Schließlich kennt uns Shaw ganz gut. So viel Vertrauen hat er noch zu uns, daß wir ihn nicht betrügen.«

Er nimmt das Paket Scheine an sich, steckt es ein und grinst dann auf Dan hinab.

»Wir werden jetzt aus der Stadt reiten, dann kannst du brüllen. Sicher wirst du Hilfe bekommen, Daniel. Und solltest du weiter an deiner närrischen Idee festhalten, daß ich absichtlich gegen dich losgegangen bin, dann bedaure ich dich sogar. Dan, es war nur zu deinem Besten.«

»Was zu eurem Besten sein wird, das werdet ihr noch erleben. Verschwindet, verschwindet nur schnell!«

Er kneift etwas die Lider zusammen und hört hinten in der Zelle den alten Stratton husten, den er wegen Randalierens und Trunkenheit schon zum zweiten Mal in einer Woche eingelocht hat.

Vor seinen Augen gehen die drei Männer aus dem Jail. Er hört deutlich, daß sie den Schlüssel umdrehen und von außen abziehen. Nehmen sie ihn mit, dann kommt hier keiner herein. Das Jail ist samt Office zu sicher gebaut, um einen Einstieg von außen zu ermöglichen. Er vernimmt noch ihre Schritte auf dem Gehsteig, dann wendet er sich scharf um und sagt fauchend: