9783736313163_front.jpg

Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

Epilog

Die Autorin

Die Romane von Avery Flynn bei LYX

Leseprobe

Impressum

AVERY FLYNN

Ice Knights

HAPPY END MIT MR WRONG

Roman

Ins Deutsche übertragen
von Ralf Schmitz

Zu diesem Buch

Männer spielen in Tess Gardners Leben keine große Rolle. Zu oft wurde sie schon enttäuscht. Und als sie Cole Phillips, einen der Spieler der Ice Knights, bei der Hochzeit ihrer Freundin kennenlernt, glaubt sie nicht, dass sie eine Chance bei ihm hat. Doch ihre Anziehungskraft ist unleugbar, und beide geben der Versuchung nach … einmal, zweimal, dreimal. Aber dann müssen sie feststellen, dass ihre Affäre ungeahnte Folgen hat …

Für meine durchgeknallten, nerdigen Schwestern, die nie die richtigen Worte finden. Normal ist echt überschätzt. Xoxo

1

Tess Gardner fühlte sich von den vielen Menschen überfordert. Aber die Hochzeit ihrer Busenfreundin zu schwänzen kam leider nicht infrage.

Also stand sie im Schatten einer der Topfpalmen, die den Speisesaal des Hayes Resorts säumten, nippte an ihrem Wein und zählte die Minuten, bis sie auf ihr Zimmer zurückkehren, unter die geradezu lächerlich extravagante Bettdecke in diesem Luxushotel schlüpfen und sich wieder in ihr Buch vertiefen konnte. Aber der Nachtisch war kaum gereicht, und es würde weitere Trinksprüche und Tänze zur Feier von Lucys morgiger Hochzeit geben.

Es war nicht so, dass Tess sich nicht für Lucy und ihren Zukünftigen, Frankie, gefreut hätte – denn das tat sie durchaus. Aber im Lauf des letzten Jahres war Tess in ihrer Clique so etwas wie das siebente Rad am Wagen geworden. Jede einzelne ihrer drei besten Freundinnen war eine feste Beziehung eingegangen, sodass sie jetzt in einer schicken Ferienanlage in der Nähe von Harbor City im Abseits stand und zusah, wie Lucy und Frankie miteinander tanzten, Fallon mit Zack über irgendetwas lachte und Gina Ford küsste.

Das alles war gleichzeitig unglaublich und fantastisch und absolut furchtbar.

Ihre drei besten Freundinnen gingen ohne sie neue Wege.

Oh, das würde natürlich niemand laut aussprechen. Eigentlich sahen ihre Mädels nicht einmal, dass es so war, aber wenn man so wie Tess aufgewachsen und wie ein unerwünschtes Erbstück in der Familie herumgereicht worden war, hatte man einen sechsten Sinn dafür, wenn man nicht dazugehörte.

Klar, es gab noch den wöchentlichen Mädelsabend bei Paint-and-Sip, aber wie lange würde das noch so bleiben? Bestimmt nicht lange. Daher fand sie sich lieber mit ihrer neuen Lage ab, auch wenn sie morgen eine von Lucys Brautjungfern geben und sich aufrichtig für ihre Freundin freuen würde.

Alles hatte seine Zeit, so war das Leben nun mal.

Vielleicht sollte sie sich eine Katze oder ein Minischweinchen oder eine Ziege oder sonst irgendwas zulegen, um die unvermeidlich entstehende Lücke irgendwie zu füllen. Sie könnte das Tier Kahn nennen und, wann immer es gefüttert werden musste, Captain Kirks berühmten Schrei »Kahn!« nachahmen. Darth oder Rey ginge natürlich auch. Ein Hündchen mit Namen Boba Fetch wäre ebenfalls lustig.

»Gouda und Edam sind Städte in welchem Land?«, fragte einer der um den Nebentisch sitzenden Jungs.

Eine Handvoll Spieler der Ice Knights, für die Lucy als unangefochtene PR-Göttin arbeitete, hatte sich während der letzten zehn Minuten mit irgendeiner Trivia-App beschäftigt. Bisher hatten sie sich ganz ordentlich geschlagen – nun ja, zumindest der Typ, der allein gegen die drei anderen, aus je zwei Mann bestehenden Teams antrat –, aber die vielen selbstbewusst in die Runde geworfenen falschen Antworten bereiteten ihr körperliche Schmerzen.

Und diese Frage war dafür ein erstklassiges Beispiel. Die dem Einzelkämpfer gegenüberstehenden Teams gingen so ziemlich jede bekannte Stadt in Italien oder Frankreich durch, während piep-piep-piep, die von der App vorgegebene Zeit sich dem Ende zuneigte.

»Niederlande«, sagte sie leise zu sich selbst, während sie beobachtete, wie Frankie Lucy über die Tanzfläche wirbelte.

Da verkündete der Spieler, der die Fragen stellte, der Lockenkopf, den Lucy als Ian Petrov vorgestellt hatte, die richtige Antwort, »in den Niederlanden«, und stellte die nächste auf der App erscheinende Frage: »Wie nennt man die Sternfrucht auch?«

Auf einen Moment des Schweigens folgten brummige Kommentare wie »Was zum Henker ist eine Sternfrucht?« oder »Wieso gibt es keine Sportfragen?«

»Karambola.« Tess trank einen Schluck Wein, während alles, was sie über diese Frucht wusste, vor ihrem inneren Auge ablief, Wort für Wort, wie sie es schon ihr ganzes Leben kannte.

Die grüngelbe Frucht stammte ursprünglich aus Sri Lanka und wuchs an kleinen Bäumen, aus deren glockenförmigen Blüten sich die Sternfrucht entwickelte. Sie hätte zahllose weitere Fakten und Statistiken aufzählen können. Manchmal konnte sie ihren Verstand überhaupt nicht mehr abschalten. Das war schon immer so gewesen. Trivia landete tonnenweise auf ihrer riesigen inneren Festplatte, die ebenso unerschöpflich schien wie allzeit bereit, zum unpassendsten Zeitpunkt Wissen auszuspucken.

So wie jetzt.

Einer der Ice-Knights-Spieler, den sie noch nicht kannte und der wie Thor persönlich aussah, hatte anscheinend mitbekommen, wie sie die letzte Antwort murmelte, denn er lachte nicht mehr über seine Kameraden, wie er es in den letzten zehn Minuten unablässig getan hatte. Stattdessen sah er sie an, schätzte sie mit berechnenden Blicken ab, so cool wie das Eisblau seiner Augen. Dann zwinkerte er ihr zu.

Ihr Puls schaltete in einen höheren Gang, ihr Kopf fuhr herum, ihr Blick richtete sich wieder auf die Tanzfläche, ihre Aufmerksamkeit jedoch nicht.

Mist, Mist, Mist.

Die erste Regel, wenn man die Außenseiterin war, lautete, sich keinerlei Blöße zu geben, sodass niemand bemerken konnte, was los war. Und doch strich sie um eine Gruppe von Leuten herum, die sie nicht kannte, und beantworte wie eine Vollidiotin erster Güte die belanglosen Quizfragen eines Spiels, an dem sie nicht mal teilnahm. Und ließ sich auch noch dabei erwischen.

Sie holte das Handy aus ihrer Tasche und warf in der Hoffnung, den Eindruck zu erwecken, sie hätte gerade von irgendwem eine Nachricht erhalten, einen Blick darauf. War es schon spät genug, dass sie sich verdrücken konnte? Aber wie viel Aufmerksamkeit würde sie erregen, wenn sie, wie ihr Körper sie förmlich anschrie, die Beine in die Hand nahm und flüchtete?

Jedenfalls mehr als eine verletzte Gazelle, die im Zoo von Harbor City durchs Löwengehege humpelte.

Erst mal tief Luft holen. Dann die alten Nachrichten von Gina, Lucy und Fallon durchgehen. Lächle, als hättest du nicht gerade eine Panikattacke. Du kannst dich gleich in aller Ruhe vom Acker machen, ohne aller Welt zu demonstrieren, dass du komplett und ohne irgendwelche Abstriche peinlich und durchgeknallt bist.

»›Perfecto‹, ›Torpedo‹ und ›Parejo‹ sind alle drei was?«, las Ian die nächste Frage ab.

Ehe Tess antworten konnte – dieses Mal nur in Gedanken, weil sie nicht auf öffentliche Demütigungen stand –, rief Thors Ebenbild: »Zigarren!«

Nein, sie wollte ihn eigentlich nicht ansehen, es passierte einfach irgendwie. Und weil ihr Leben so war, wie es war, und sich darin eine unschöne Situation an die andere reihte, blickte er sie jetzt unverwandt an. Aber im Unterschied zu Tess schien er nicht das Geringste dagegen zu haben, dabei ertappt zu werden. Die anderen Männer am Tisch stöhnten, irgendwer rief ihm ein herzliches »Fick dich« zu. Doch er tat die Verwünschungen schulterzuckend ab und zeigte seinen Kumpanen den Mittelfinger, ohne sie dabei auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen.

Es wäre gut, wenn du jetzt wegschauen könntest, Tess. Mach schon, wende den Kopf ab, einfach abwenden, Menschenskind!

Aber das tat sie nicht. Sie konnte es nicht. Vielleicht ließ der Wein sie irgendwie zur Salzsäule erstarren.

Ian fragte: »Wie hieß der echte Chef Boyardee mit Vornamen?«

Thors Ebenbild hob eine Braue und forderte sie zur Antwort heraus.

»Hector«, sagte sie, wobei sie den Namen nur zu flüstern glaubte, doch da die Tanzmusik gerade endete, der Wein seine Wirkung entfaltete und der Mann sie ansah wie die faszinierendste Person im ganzen Saal, klang ihre Stimme lauter als beabsichtigt.

»Heilige Scheiße, das stimmt sogar«, bemerkte Ian und drehte sich ganz zu ihr um – eine Bewegung, die alle am Tisch nachmachten, mit Ausnahme von Thors Ebenbild, der sie ja schon die ganze Zeit anglotzte. »Woher wissen Sie das?«

Wie oft im Leben hatte man ihr diese Frage schon gestellt? Zu häufig jedenfalls, um noch mitzählen zu können, und im Unterschied zu den Quizfragen, die Ian stellte, wusste sie darauf keine Antwort. Irgendwie hatte ihr Gehirn immer schon so funktioniert und ihr einen Ausweg gezeigt, wann immer sie etwas überwältigte oder schlicht aus dem Ruder lief.

»Machen wir es mal etwas spannender«, sagte Thors Ebenbild jetzt. »Miss Chef Boyardee und ich gegen euch sechs, die Besten aus drei Runden gewinnen.«

Moment. Was? Wie war sie da hineingeraten? Sie sah sich rasch nach einer Fluchtmöglichkeit um. Aber ihre Freundinnen hatten alle Hände voll mit den Männern zu tun, in die sie sich verliebt hatten, und alle, die sie an den anderen Tischen kannte, tanzten entweder oder saßen an ihren über das Parkett verteilten Tischen und lachten und machten Fotos. Sie war auf sich allein gestellt.

»Und worum spielen wir?«, wollte einer der Männer wissen.

Thors Ebenbild hob sein Glas. Der Inhalt sah aus wie Scotch auf Eis. »Die Verlierer zahlen am Wochenende die Getränke für das gesamte Team.«

Ein weiterer Spieler, den Lucy ihr als Alex Christensen vorgestellt hatte, ließ einen schrillen Pfiff hören. »Wenn man bedenkt, dass das eine unserer wenigen freien Wochen vor dem Saisonende ist, kommt da bestimmt einiges zusammen.«

»Machst du dir deshalb Sorgen, Christensen?«

Alex schnaubte verächtlich. »Ich will deiner berüchtigt verschlossenen Brieftasche bloß nicht das Wasser in die Augen treiben.«

»Wirst du nicht, weil wir nämlich nicht verlieren werden.« Thors Ebenbild sah sie an. Alles an ihm, von den schulterlangen blonden Haaren über die Grübchen in den Wangen bis hin zu seinen aus den aufgerollten Hemdsärmeln ragenden überirdisch muskulösen Unterarmen, verriet den superselbstbewussten Sex-Gott. »Alles klar?«

Sie war nicht die Sorte Frau, mit der Kerle wie Thors Ebenbild redeten. Sie gehörte eher zu der Sorte, die mit einem Fan-T-Shirt und schlichten Ohrringen in der Ecke stand.

Okay, heute Abend trug sie ein Kleid, und ihre unbändigen Locken kringelten sich mal nicht um ihr Gesicht und verfingen sich in ihrer Brille, sondern waren ordentlich hochgesteckt, trotzdem gehörte sie nicht mal annähernd zu der ersten Sorte Frau.

»Jeder verliert mal«, sagte sie. Die Worte entschlüpften ihr, bevor sie sie zurückhalten konnte. Ihre Nervosität und alte Gewohnheiten machten es fast unmöglich, dass in solch einem Moment nicht weitere Trivia einfach so aus ihr herausplatzten. »Stephen Kings Carrie wurde dreißigmal abgelehnt, bevor endlich ein Verlag zugriff.«

»Dann sind wir Nummer einunddreißig.« Damit stand er auf und rückte ihr einen freien Stuhl zuecht. »Kommen Sie, spielen Sie mit.«

Aber für sie war es nie ein Spiel, sich unters Volk zu mischen. Es war riskant und peinlich und ging mit der schweißfeuchten Gewissheit einher, dass sie einen großen Fehler beging – oder eine Million Fehler auf einmal. Es wäre besser, sie würde sich einfach umdrehen und gehen, aber das tat sie nicht, und sie hatte keine Ahnung, was sie davon halten sollte.

»Oh, mein Gott, Thor, wie können Sie wissen, dass der Mindestlohn 1938 bei fünfundzwanzig Cents pro Stunde lag, aber nicht, dass Lissabon die Hauptstadt von Portugal ist?«

Cole Phillips ließ ihr die Thor-Bemerkung durchgehen. Als Tess am Tisch Platz genommen hatte, wurden ihr reihum alle vorgestellt, trotzdem hatte sie an ihrem Spitznamen für ihn festgehalten. Und Cole hatte aufgehört, sie zu korrigieren, nachdem sie hintereinander weg zehn Fragen richtig beantwortet hatte. Schließlich war er nicht so dumm, sich darüber zu beklagen, wie es jemand anstellte, solange sie gewann und er am Ende des Tages nicht auf einer aller Voraussicht nach immensen Getränkerechnung sitzen blieb. Wenn es nach ihm ging, hätte Tess ihn sogar »Sahneschnitte« nennen und ihm dabei den Hintern versohlen dürfen.

Trotzdem konnte sein Ego ihren Kommentar nicht einfach so durchwinken – schon gar nicht, nachdem er vor einer Stunde beobachtet hatte, wie seine Verflossene, Marti, sich mit dem Wall-Street-Typen hinausschlich, mit dem sie seit einem Monat ging. Natürlich verletzte es seinen Stolz, machte ihm aber längst nicht so viel aus, wie er gedacht hatte, als er hörte, dass die beiden kommen wollten. Womöglich war diese Veränderung doch nicht der Teufel auf Rollerskates.

»Nicht jeder ist so ein Nerd und weiß, dass Cincinnati im 19. Jahrhundert als Pordo-, Porso-, äh, Portopolis bekannt war«, gab er, über das Wort stolpernd, zurück.

»Porkopolis«, sagte sie mit einem Kichern, das ein wenig kesser klang als noch ein Glas Wein vorher. »Grunz, grunz.«

Verflixt, mit ihren großen Augen, die kaum hinter ihrer Brille verschwanden, war sie ziemlich süß. Nicht mal die aus ihrem streng zurückgebundenen Haar geschlüpften Locken und das hellblaue, auf ein Pin-up-Girl zugeschnittene Kleid änderten etwas an dem Umstand, dass Tess das menschliche Äquivalent einer Zimtschnecke war – Zucker und Gewürz, und alles hübsch gemischt. Wäre er der Typ, der auf süße Mädchen stand, wäre er in Versuchung geraten.

Aber er stand nicht auf süße Mädchen.

Genau genommen bevorzugte er einen einzigen Typ Frau, und ihr Name war Marti Peppers, aber sie hasste ihn. Sie waren zusammen gewesen und wieder getrennt und wieder zusammen, seit er vor sechs Jahren in die Liga aufgestiegen war. Seit sechs Monaten waren sie mal wieder auseinander, und dieses Mal würden sie gewiss nicht wieder zusammenkommen. Das hatte sie unmissverständlich klargemacht. Er hatte ihr sein Herz geschenkt, und sie hatte ihm, nun ja, zwar nicht gerade den Laufpass gegeben, dafür aber ungefähr ein Dutzend Schüsse in den Rücken und ihm zum Schluss den Finger gezeigt.

Christensen wandte sich an die übrigen Ice Knights, die über das Wochenende zu Lucys Hochzeit herausgekommen waren. »Wie können diese beiden Schnapsdrosseln uns schlagen?«

Tess protestierte kreischend. »Wir sind nicht betrunken, wir sind bloß fröhlich!«

Er nickte zustimmend. »Sie sagt es.«

Schön, wo sein Herz mal gesessen hatte, gab es noch viel zu viele Scherben mit gezackten Rändern, um wirklich fröhlich zu sein, aber betrunken war er definitiv nicht. Ein wenig neben der Spur? Ja, schon, aber hackedicht? Nein.

»Letzte Frage für die sechs«, sagte Ian mit seiner schönsten Stadionsprecherstimme, mit der er in der Kabine immer alle zum Lachen brachte. »Wenn ihr Dummbeutel danebenliegt, bekommt das Team Zweisam die Möglichkeit, davonzuziehen. Wenn sie falschliegen, habt ihr gewonnen. Wie auch immer, ich trinke sowieso mein Lebendgewicht in Bier und ihr Idioten zahlt die Rechnung dafür. Alles klar?«

Die anderen nickten.

»In welchem Land wurde Arthur Conan Doyle geboren?«

Svoboda legte den Kopf schief. »Wer?«

»Der Typ, der Sherlock Holmes geschrieben hat«, warf Christensen ein.

Thibault, einer der Neulinge, trank einen Schluck Bier und sagte: »Ich dachte, das ist eine Fernsehserie.«

»Zuerst war es ein Buch«, berichtigte Christensen. Und sah den Neuling an, als wollte er sagen: »Stell dich nicht so unterbelichtet an.« »England muss richtig sein; Holmes war der größte englische Detektiv.«

»Ist das euer letztes Wort?«, wollte Ian wissen und wartete, bis der andere Mann genickt hatte. »Falsch!«

Alle auf der anderen Tischseite stöhnten auf. Christensen versank fast in seinem Stuhl, während der Neue sich seine Schadenfreude verkneifen wollte, damit aber kläglich scheiterte. Nun wandte sich Ian Cole und Tess zu.

»Er war …« Tess zögerte. »Darf ich mich kurz mit meinem Partner beraten?«

Ian nickte.

Sie winkte Cole heran, der sich halb vom Stuhl warf, um sich mit ihr darüber unterhalten zu können, wer zum Teufel genau was wusste. Dabei war es nicht so, dass sie nicht beide genau gewusst hätten, dass Doyle in Schottland geboren worden war. Tess drehte sich so auf ihrem Platz, dass sie den Jungs auf der anderen Seite fast den Rücken zukehrte, um ihnen beiden ein Mindestmaß an Privatsphäre zu verschaffen. Die Bewegung gewährte ihm Ausblick auf die obere Rundung ihrer Brüste – oder hätte es wenigstens, wenn er hingesehen hätte. Aber das tat er nicht. Wenigstens nicht sehr lang.

»Der Mindestlohn in der Liga beträgt etwa 750 000 Dollar«, sagte sie leise. »Sie verdienen mindestens so viel, oder?«

»Mehr.« Viel mehr, aber das musste er ihr nicht auf die Nase binden.

»Oh«, sagte sie, mit vor Verblüffung hoher Stimme. »Dann sind Sie ein sehr guter Spieler?«

Vielleicht war er doch etwas mehr als bloß neben der Spur, weil ihm nicht einleuchten wollte, dass sie das nicht wusste. Es gab eine Werbetafel von ihm mitten in Harbor City, dort wo sich die Touristen tummelten, einen Vertrag mit Under Armour und er kam fast täglich in den Sportnachrichten vor. »Sie kennen das Liga-Minimum, wissen aber nicht, ob ich als Hockeyspieler was tauge?«

»Leute sind nicht so mein Ding.« Sie spielte mit dem Ende der Schleife, die ihr Kleid an Ort und Stelle hielt. »Und ein paar von den anderen sind Neulinge, die also viel weniger verdienen?«

Wäre er nicht so davon abgelenkt gewesen, wie sie mit der Schleife spielte, und hätte er sich nicht gefragt, ob sie wohl halten würde, hätte er sicher eher kapiert, worauf sie hinauswollte. »Sie denken doch nicht …«

Sie nickte. »Oh doch.«

Seine Brieftasche schrie im übertragenen Sinn protestierend auf, aber wie sollte er diesem Gesicht einen Wunsch abschlagen? »Sie sind ein schrecklicher Einfluss.«

»Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.« Sie lächelte, dabei zeigte sie ein Grübchen, das so niedlich war, dass man davon Karies bekommen könnte. »Ich bin vollkommen harmlos.«

Aber das glaubte er ihr nicht mal für eine Sekunde.

»Sind Sie sicher?«, fragte sie, plötzlich wieder ernst.

Als er nickte, wurde ihr Lächeln sogar noch breiter; er vibrierte innerlich nicht weniger als beim Aufstieg des Teams in die Play-offs.

Nun wandte sich Tess wieder dem Tisch zu und rief mit lauter, klarer Stimme: »Auch wenn ich anderer Meinung bin, besteht mein Partner darauf, dass er recht hat und Arthur Conan Doyle aus Australien stammte.«

»Falsch«, verkündete Ian und knallte, um sein Urteil zu unterstreichen, die Hand auf den Tisch. »Er wurde in Schottland geboren.«

Cole konnte es nicht glauben. Sie hatte ihn dazu gebracht, die Getränke der Mannschaft zu bezahlen und ihn dabei auch noch den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Australien? Das lag nicht mal auf derselben Hemisphäre wie die korrekte Antwort, und das wusste sie ganz genau. Ihrer Süße war definitiv etwas Säuerliches beigemischt.

Während die anderen Spieler einander abklatschten und zu frotzeln begannen, schloss Cole die Finger um ihre Lehne und zog den Stuhl zu sich heran. »Das war aber nicht sehr nett.«

»Stimmt«, sagte sie, doch es schien ihr kein bisschen leidzutun. »Aber schauen Sie mal, wie glücklich Sie die anderen gemacht haben.«

Natürlich waren sie begeistert. Die Glückpilze würden sich das ganze Wochenende auf seine Kosten betrinken – und das würden sie ihm wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit unter die Nase reiben. Christensen hatte bereits sein Gesicht aufgesetzt, das ausreichend Bullshit ankündigte, um sämtliche Kornfelder von Nebraska damit zu düngen.

»Aber Sie müssen sich jetzt einfallen lassen, wie ich hier herauskomme, ohne dass es so aussieht, als würde ich kneifen, damit ich mir den ganzen Sermon ersparen kann.« Er deutete auf das Freudentänzchen, das Christensen und Svoboda gerade aufzuführen versuchten. »Das wäre zusätzlich zu den Ausgaben auch noch eine grausame und außergewöhnlich harte Strafe.«

Sie sah drei Sekunden lang schuldbewusst aus, dann erhob sie sich und sagte: »Nun ja, wir haben vielleicht verloren, aber wenigstens müssen wir jetzt nicht tanzen oder irgendwas in der Art.«

Seine Mannschaftskameraden stiegen sofort darauf ein, obwohl sie das scheinbar nur so dahingesagt hatte.

»Tanzen! Tanzen! Tanzen!«, stimmten sie einen Sprechchor an.

Nicht darüber zu lachen kam nicht infrage, also gestattete er sich eine in jüngster Zeit fremd gewordene Reaktion. »Was haben Sie getan?«

Da er beinahe brüllen musste, um seine idiotischen Teamkollegen zu überstimmen, war er nicht gerade überrascht, als sie nicht zurückschrie, sondern sich auf die Zehenspitzen stellte und sich zu ihm vorbeugte.

»Ich rette Sie aus einer prekären Lage«, sagte sie, ihre Lippen berührten fast sein Ohr. »Kommen Sie, einmal rund um die Tanzfläche, dann können wir uns durch den Wintergarten absetzen, ohne dass ihr zerbrechliches Männerego allzu sehr Schaden nimmt.«

Er warf einen Blick zur Tür auf der anderen Seite der gut gefüllten Tanzfläche. Es würde einiger Geschicklichkeit bedürfen, um sich durch die Tanzenden zu fädeln, ohne wie Flüchtende zu wirken. Andererseits war er daran gewöhnt, den Puck durch eine aus Profisportlern bestehende Abwehr zu spielen, die eine Menge Geld dafür bekamen, ihm den Puck mit dem Schläger oder durch eine Rempelei abzuluchsen. Das hier würde ihm daher leichtfallen.

Er grinste sie an und nahm ihre Hand. »Guter Plan.«

Der Plan war gut, bis sie die Tanzfläche betraten und sie in seinen Armen lag. Seine Schritte kamen einen halben Takt zu spät, was indes mehr von seiner Unfähigkeit zu tanzen als vom Scotch herrührte. Seine Hand lag in ihrem Kreuz auf der seidenweichen und dank des rückenfreien Kleides entblößten Haut, und ihr Kopf schmiegte sich an seine Achsel, denn – wie sollte es anders sein – kaum dass sie das Parkett betraten, begann ein langsames Stück.

Nichts an ihr entging ihm, als sie sich im Rhythmus wiegten: ihr beschleunigter Atem, als er mit dem Daumen über ihre Haut strich, wie sie näher kam, als sie über den Boden glitten, wie ihre Locken seinen Hals kitzelten. All das verband sich zu berauschender Vorfreude und einem Verlangen, das ihn sich nach dem Ausgang umsehen ließ, bevor er eine Dummheit machte, zum Beispiel dem Drang nachzugeben, sie mitten auf der Tanzfläche zu küssen.

Da blickte sie zu ihm auf, ihre vollen Lippen leicht geöffnet, und in ihren Augen lag unverstelltes Begehren. Und plötzlich schien es ihm eine prima Idee zu sein, eine Dummheit zu begehen.

»Bei drei verschwinden wir durch die Tür«, sagte er und zwang sich, den Satz beinahe alltäglich klingen zu lassen.

Und dann? Zum Teufel, er konnte es kaum erwarten, es herauszufinden.