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Gottfried Keller

Die missbrauchten Liebesbriefe

Novelle

Gottfried Keller

Die missbrauchten Liebesbriefe

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962812-87-4

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Inhaltsverzeichnis

Die miss­brauch­ten Lie­bes­brie­fe

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Die missbrauchten Liebesbriefe

Vik­tor Stör­te­ler, von den Seld­wy­lern nur Vig­gi Stör­te­ler ge­nannt, leb­te in be­hag­li­chen und or­dent­li­chen Um­stän­den, da er ein ein­träg­li­ches Spe­di­ti­ons- und Wa­ren­ge­schäft be­trieb und ein hüb­sches, ge­sun­des und gut­mü­ti­ges Weib­chen be­saß. Die­ses hat­te ihm au­ßer der sehr an­ge­neh­men Per­son ein ziem­li­ches Ver­mö­gen ge­bracht, wel­ches Grit­li von aus­wärts zu­ge­fal­len war, und sie leb­te zu­tu­lich und still bei ih­rem Man­ne. Ihr Geld aber war ihm sehr för­der­lich zur Aus­brei­tung sei­ner Ge­schäf­te, wel­chen er mit Fleiß und Um­sicht ob­lag, dass sie treff­lich ge­die­hen. Hie­bei schütz­te ihn eine Ei­gen­schaft, wel­che, sonst nicht lan­des­üb­lich, ihm einst­wei­len wohl zu­stat­ten kam. Er hat­te sei­ne Lehr­zeit und ei­ni­ge Jah­re dar­über näm­lich in ei­ner grö­ße­ren Stadt be­stan­den und war dort Mit­glied ei­nes Verei­nes jun­ger Comp­toiris­ten ge­we­sen, wel­cher sich wis­sen­schaft­li­che und äs­the­ti­sche Aus­bil­dung zur Auf­ga­be ge­stellt hat­te. Da die jun­gen Leu­te ganz sich selbst über­las­sen wa­ren, so über­nah­men sie sich und mach­ten al­ler­hand Dumm­hei­ten. Sie la­sen die schwers­ten Bü­cher und führ­ten eine ver­wor­re­ne Un­ter­hal­tung dar­über; sie spiel­ten auf ih­rem Thea­ter den Faust und den Wal­len­stein, den Ham­let, den Lear und den Na­than; sie mach­ten schwie­ri­ge Kon­zer­te und la­sen sich schreck­ba­re Auf­sät­ze vor, kurz, es gab nichts, an das sie sich nicht wag­ten.

Hie­von brach­te Vig­gi Stör­te­ler die Lie­be für Bil­dung und Be­le­sen­heit nach Seld­wy­la zu­rück; ver­mö­ge die­ser Nei­gung aber fühl­te er sich zu gut, die Sit­ten und Ge­bräu­che sei­ner Mit­bür­ger zu tei­len; viel­mehr schaff­te er sich Bü­cher an, abon­nier­te in al­len Leih­bi­blio­the­ken und Le­se­zir­keln der Haupt­stadt, hielt sich die »Gar­ten­lau­be« und un­ter­schrieb auf al­les, was in Lie­fe­run­gen er­schi­en, da hier ein fort­lau­fen­des, schön ver­teil­tes Stu­di­um ge­bo­ten wur­de. Da­mit hielt er sich in sei­ner Häus­lich­keit und zu­gleich sei­ne Um­stän­de vor Scha­den be­wahrt. Wenn er sei­ne Ta­ges­ge­schäf­te mun­ter und vor­sich­tig durch­ge­führt, so zün­de­te er sei­ne Pfei­fe an, ver­län­ger­te die Nase und setz­te sich hin­ter sei­nen Le­se­stoff, in wel­chem er mit großer Ge­wandt­heit her­um­fuhr. Aber er ging noch wei­ter. Bald schrieb er ver­schie­de­ne Ab­hand­lun­gen, wel­che er sei­ner Gat­tin als »Essays« be­zeich­ne­te, und er sag­te öf­ter, er glau­be, er sei sei­ner An­la­ge nach ein Essayist. Als je­doch sei­ne Essays von den Zeit­schrif­ten, an wel­che er sie sand­te, nicht ab­ge­druckt wur­den, be­gann er No­vel­len zu schrei­ben, die er un­ter dem Na­men »Kurt vom Wal­de« nach al­len mög­li­chen Sonn­tags­blätt­chen in­stra­dier­te. Hier ging es ihm bes­ser, die Sa­chen er­schie­nen wirk­lich fei­er­lich un­ter dem herr­li­chen Schrift­stel­ler­na­men in den ver­schie­dens­ten Ge­gen­den des Deut­schen Rei­ches, und bald be­gann hier ein Ro­de­rich vom Tale, dort ein Hugo von der In­sel und wie­der dort ein Gän­se­rich von der Wie­se einen ste­chen­den Schmerz zu emp­fin­den über den neu­en Ein­dring­ling. Auch kon­kur­rier­te er heim­lich bei al­len aus­ge­schrie­be­nen Preis­no­vel­len und ver­mehr­te hie­durch nicht we­nig die an­ge­neh­me Be­wegt­heit sei­nes ein­ge­zo­ge­nen Le­bens. Neu­en Auf­schwung ge­wann er stets auf sei­nen kür­ze­ren oder län­ge­ren Ge­schäfts­rei­sen, wo er dann in den Gast­hö­fen man­chen Ge­sin­nungs­ver­wand­ten traf, mit dem sich ein ge­bil­de­tes Wort spre­chen ließ; auch der Be­such der be­freun­de­ten Re­dak­ti­ons­stüb­chen in den ver­schie­de­nen Pro­vin­zen ge­währ­te ne­ben den Han­dels­ge­schäf­ten eine ge­bil­de­te Er­ho­lung, ob­gleich die­se hie und da eine Fla­sche Wein kos­te­te.

Ein Haup­ter­leb­nis fei­er­te er ei­nes Ta­ges an der abend­li­chen Wirts­ta­fel in ei­ner mitt­le­ren deut­schen Stadt, an wel­cher nebst ei­ni­gen al­ten Stamm­gäs­ten des Or­tes meh­re­re jun­ge Rei­sen­de sa­ßen. Die wür­di­gen al­ten Her­ren mit wei­ßen Haa­ren führ­ten ein ge­mäch­li­ches Ge­spräch über al­ler­lei Schrei­be­rei, spra­chen von Cer­van­tes, von Ra­be­lais, Ster­ne und Jean Paul so­wie von Goe­the und Tieck und prie­sen den Reiz, wel­chen das Ver­fol­gen der Kom­po­si­ti­ons­ge­heim­nis­se und des Sti­les ge­wäh­re, ohne dass die Freu­de an dem Vor­ge­tra­ge­nen selbst be­ein­träch­tigt wer­de. Sie stell­ten ein­läss­li­che Ver­glei­chun­gen an und such­ten den ro­ten Fa­den, der durch all der­glei­chen hin­durch­ge­he; bald lach­ten sie ein­träch­tig über ir­gend­ei­ne Erin­ne­rung, bald er­freu­ten sie sich mit erns­tem Ge­sicht über eine neu ge­fun­de­ne Schön­heit, al­les ohne Geräusch und Er­hit­zung, und end­lich, nach­dem der eine sei­nen Tee aus­ge­trun­ken, der an­de­re sein Schöpp­chen ge­leert, klopf­ten sie die lan­gen Ton­pfei­fen aus und be­ga­ben sich auf et­was gich­ti­schen Fü­ßen zu ih­rer Nachtru­he. Nur ei­ner setz­te sich un­be­ach­tet in eine Ecke, um noch die Zei­tung zu le­sen und ein Glas Punsch zu trin­ken.

Nun aber ent­wi­ckel­te sich un­ter den jün­ge­ren Gäs­ten, wel­che bis­lang hor­chend da­ge­s­es­sen hat­ten, das Ge­spräch. Ei­ner fing an mit ei­ner spöt­ti­schen Be­mer­kung über die alt­vä­te­rische Un­ter­hal­tung die­ser Al­ten, wel­che ge­wiss vor vier­zig Jah­ren ein­mal die Schön­geis­ter die­ses Nes­tes ge­spielt hät­ten. Die­se Be­mer­kung wur­de leb­haft auf­ge­nom­men, und in­dem ein Wort das an­de­re gab, ent­wi­ckel­te sich aber­mals ein Ge­spräch bel­le­tris­ti­scher Na­tur, aber von ganz an­de­rer Art. Von den ver­jähr­ten Ge­gen­stän­den je­ner Al­ten wuss­ten sie nicht viel zu be­rich­ten als das und je­nes ver­grif­fe­ne Schlag­wort aus schlech­ten Li­terar­ge­schich­ten; da­ge­gen ent­wi­ckel­te sich die aus­ge­brei­tets­te und ge­naues­te Kennt­nis in den täg­lich auf­tau­chen­den Er­schei­nun­gen leich­te­rer Art und al­ler der Per­so­nen und Per­sön­chen, wel­che sich auf den tau­send grau­en Blät­tern stünd­lich un­ter wun­der­ba­ren Na­men her­um­tum­meln. Es zeig­te sich bald, dass dies nicht sol­che Igno­ran­ten von al­ten Ge­richts­rä­ten und Pri­vat­ge­lehr­ten, son­dern Leu­te vom Hand­werk wa­ren. Denn es dau­er­te nicht lan­ge, so hör­te man nur noch die Wor­te Ho­no­rar, Ver­le­ger, Cli­que, Ko­te­rie und was noch mehr den Zorn sol­chen Vol­kes reizt und sei­ne Fan­ta­sie be­schäf­tigt. Schon tön­te und schwirr­te es, als ob zwan­zig Per­so­nen sprä­chen, die tücki­schen Äug­lein blin­ker­ten, und eine all­ge­mei­ne glor­rei­che Er­ken­nung konn­te nicht län­ger aus­blei­ben. Da ent­larv­te sich die­ser als Gui­do von Strahl­heim, je­ner als Os­kar Nord­s­tern, ein drit­ter als Ku­ni­bert vom Mee­re. Da zö­ger­te auch Vig­gi nicht län­ger, der bis­her we­nig ge­spro­chen, und wuss­te es mit ei­ni­ger Schüch­tern­heit ein­zu­lei­ten, dass er als Kurt vom Wal­de er­kannt wur­de. Er war von al­len ge­kannt, so wie er eben­so alle kann­te, denn die­se Her­ren, wel­che ein gu­tes Buch jahr­zehn­te­lang un­ge­le­sen lie­ßen, ver­schlan­gen al­les, was von ih­res­glei­chen kam, auf der Stel­le, es in al­len Kaf­fee­bu­den zu­sam­men­su­chend, und zwar nicht aus Teil­nah­me, son­dern aus ei­ner son­der­ba­ren Wach­sam­keit.

»Sie sind Kurt vom Wal­de?« hieß es dröh­nend, »ha! will­kom­men!« Und nun wur­den meh­re­re Fla­schen ei­nes un­ech­ten wohl­fei­len und sau­ren Wei­nes be­stellt, der bil­ligs­te un­ter Sie­gel, der im Hau­se war, und es hob erst recht ein ener­gi­sches Le­ben an. Nun galt es zu zei­gen, dass man Haa­re auf den Zäh­nen habe! Alle Män­ner, die es zu ir­gend­ei­nem Er­fol­ge ge­bracht und in die­sem Au­gen­bli­cke Hun­der­te von Mei­len ent­fernt viel­leicht schon den Schlaf der Ge­rech­ten schlie­fen, wur­den auf das gründ­lichs­te de­mo­liert; je­der woll­te die ge­naues­ten Nach­rich­ten von ih­rem Tun und Las­sen ha­ben, kei­ne Schand­tat gab es, die ih­nen nicht zu­ge­schrie­ben wur­de, und der Re­frain bei je­dem war schließ­lich ein tro­cken sein sol­len­des: »Er ist üb­ri­gens Jude!« Worauf es im Chor eben­so tro­cken hieß: »Ja, er soll ein Jude sein!«

Vig­gi Stör­te­ler rieb sich ent­zückt die Hän­de und dach­te: Da bist du ein­mal vor die rech­te Müh­le ge­kom­men! Ein Schrift­stel­ler un­ter Schrift­stel­lern! Ei! was das für ge­rie­be­ne Geis­ter sind! Wel­ches Ver­ständ­nis und welch sitt­li­cher Zorn!

In die­ser Nacht und bei die­sem Schwe­fel­wein ward nun, um der schlech­ten Welt vom Amte zu hel­fen und ein neu­es Mor­gen­rot her­bei­zu­füh­ren, die förm­li­che und fei­er­li­che Stif­tung ei­ner »neu­en Sturm- und Drang­pe­ri­ode« be­schlos­sen, und zwar mit plan­vol­ler Ab­sicht und Aus­füh­rung, um die­je­ni­ge Gä­rung künst­lich zu er­zeu­gen, aus wel­cher al­lein die Klas­si­ker der neu­en Zeit her­vor­ge­hen wür­den.

Als sie je­doch die­se ge­wal­ti­ge Ab­re­de ge­trof­fen, konn­ten sie nicht wei­ter, son­dern senk­ten als­bald ihre Häup­ter und muss­ten das La­ger su­chen; denn die­se Pro­phe­ten er­tru­gen nicht ein­mal gu­ten, ge­schwei­ge denn schlech­ten Wein und büß­ten jede klei­ne Aus­schrei­tung mit großer Ab­schwä­chung und Übel­keit.

Als sie ab­ge­zo­gen wa­ren, frag­te der alte Herr, wel­cher zu­rück­ge­blie­ben war und sich höch­lich an dem Trei­ben er­götzt hat­te, den Kell­ner, was das für Leu­te wä­ren? »Zwei da­von«, sag­te die­ser, »sind Ge­schäfts­rei­sen­de, ein Herr Stör­te­ler und ein Herr Hu­berl; der drit­te heißt Herr Stralau­er, doch nur den vier­ten kenn ich nä­her, der nennt sich Dr. Me­wes und hat sich ver­gan­ge­nen Win­ter ei­ni­ge Wo­chen hier auf­ge­hal­ten. Er gab im Tanz­saal beim Blau­en Hecht, wo ich da­mals war, Vor­le­sun­gen über deut­sche Li­te­ra­tur, wel­che er wört­lich ab­schrieb aus ei­nem Bu­che. Das­sel­be muss­te aus ir­gend­ei­ner Biblio­thek ge­stoh­len wor­den sein, dem Ein­ban­de nach zu ur­tei­len, und war ganz voll Eselsoh­ren, Tin­ten- und Öl­fle­cke. Au­ßer die­sem Bu­che be­saß er noch einen zer­zaus­ten Leit­fa­den zur fran­zö­si­schen Kon­ver­sa­ti­on und ein Kar­ten­spiel mit ob­szö­nen Bil­dern dar­in, wenn man es ge­gen das Licht hielt. Er pfleg­te je­nes Buch im Bett aus­zu­schrei­ben, um die Hei­zung zu spa­ren; da ver­schüt­te­te er schließ­lich das Tin­ten­fass über Stepp­de­cke und Lein­tuch, und als man ihm eine bil­li­ge Ent­schä­di­gung in die Rech­nung setz­te, droh­te er, den Blau­en Hecht in sei­nen Schrif­ten und ›Feuil­le­tons‹ in Ver­ruf zu brin­gen. Da er sonst al­ler­lei häss­li­che Ge­wohn­hei­ten an sich hat­te, wur­de er end­lich aus dem Hau­se ge­tan. Er schreibt üb­ri­gens un­ter dem Na­men Ku­ni­bert vom Mee­re al­ler­hand süß­li­che und nach­ge­ahm­te Sa­chen.«

»Was Teu­fel!« sag­te der Alte, »Ihr wisst ja wie ein Mann vom Hand­werk über die­se Din­ge zu re­den, Meis­ter Ge­org!« Der Kell­ner er­rö­te­te, stock­te ein we­nig und sag­te dann: »Ich will nur ge­ste­hen, dass ich selbst an­dert­halb Jah­re Schrift­stel­ler ge­we­sen bin!«

»Ei der Tau­send!« rief der Alte, »und was habt Ihr denn ge­schrie­ben?«

»Das weiß ich kaum gründ­lich zu be­rich­ten«, fuhr je­ner fort, »ich war Auf­wär­ter in ei­nem Kaf­fee­haus, wo sich eine An­zahl Leu­te von der Gat­tung un­se­rer heu­ti­gen Gäs­te bei­na­he den gan­zen Tag auf­hielt. Das lag her­um, fla­nier­te, rä­so­nier­te, durch­stö­ber­te die Zei­tun­gen, är­ger­te sich über frem­des Glück, freu­te sich über frem­des Un­glück und lief ge­le­gent­lich nach Hau­se, um im größ­ten Leicht­sinn schnell ein Dut­zend Sei­ten zu schmie­ren; denn da man nichts ge­lernt hat­te, so be­saß man auch kei­nen Be­griff von ir­gend­ei­ner Verant­wort­lich­keit. Ich wur­de bald ein Ver­trau­ter die­ser Her­ren, ihr Le­ben schi­en mir mei­ner dienst­ba­ren Stel­lung weit vor­zu­zie­hen, und ich wur­de eben­falls ein Schrift­stel­ler. Auf mei­ner Schlaf­kam­mer ver­barg ich einen Pack zer­le­se­ne Num­mern von fran­zö­si­schen Zei­tun­gen, die ich in den ver­schie­de­nen Wirt­schaf­ten ge­sam­melt, wo ich frü­her ge­dient hat­te, ur­sprüng­lich, um mich dar­in ein we­nig in die Spra­che hin­ein­zu­buch­sta­bie­ren, wie es ei­nem jun­gen Kell­ner ge­ziemt. Aus die­sen ver­schol­le­nen Blät­tern über­setz­te ich einen Misch­masch von Ge­schicht­chen und Ge­schwätz al­ler Art, auch über Per­sön­lich­kei­ten, die ich nicht im min­des­ten kann­te. Aus Un­kennt­nis der deut­schen Spra­che be­hielt ich nicht nur öf­ter die fran­zö­si­sche Wort- und Satz­stel­lung, son­dern auch alle mög­li­chen Gal­li­zis­men bei, und die Sal­ba­de­rei­en, wel­che ich aus mei­nem ei­ge­nen Ge­hir­ne hin­zu­füg­te, schrieb ich dann eben­falls in die­sem Kau­der­welsch, wel­ches ich für echt schrift­stel­le­risch hielt. Als ich ein Buch Pa­pier auf sol­che Wei­se über­schmiert hat­te, an­ver­trau­te ich es als ein Ori­gi­nal­werk mei­nen Her­ren und Freun­den, und sie­he, sie nah­men es mit al­ler Auf­mun­te­rung ent­ge­gen und wuss­ten es so­gleich zum Druck zu be­för­dern. Es ist et­was Ei­gen­tüm­li­ches um die schlech­ten Skri­ben­ten. Ob­gleich sie die un­ver­träg­lichs­ten und ge­häs­sigs­ten Leu­te von der Welt sind, so ha­ben sie doch eine un­über­wind­li­che Nei­gung, sich zu­sam­men­zu­tun und ins Mas­sen­haf­te zu ver­meh­ren, ge­wis­ser­ma­ßen um so einen me­cha­ni­schen Druck nach der obe­ren Schicht aus­zuü­ben. Mein Büch­lein wur­de so­fort als das sehr zu be­ach­ten­de Erst­lings­werk ei­nes geist­rei­chen jun­gen Au­tors ver­kün­det, wel­cher deut­sche Schär­fe des Ur­teils mit fran­zö­si­scher Ele­ganz ver­bin­de, was wohl von des­sen mehr­jäh­ri­gem Auf­ent­halt in Pa­ris her­rüh­re. Ich war näm­lich in der Tat ein hal­b­es Jahr in die­ser Stadt bei ei­nem deut­schen Gast­wirt ge­we­sen. Da un­ter dem über­setz­ten Zeu­ge meh­re­re pi­kan­te, aber ver­ges­se­ne An­ek­do­ten wa­ren, so zir­ku­lier­ten die­se, un­ter An­füh­rung mei­nes Bu­ches, als­bald durch eine Men­ge von Blät­tern. Ich hat­te mich auf dem Ti­tel Ge­or­ge d’Esan, wel­ches eine Um­keh­rung mei­nes ehr­li­chen Na­mens, Ge­org Nase ist, ge­nannt. Nun hieß es über­all: Ge­or­ge De­san in sei­nem in­ter­essan­ten Buch er­zählt fol­gen­den Zug von dem oder von je­nem, und ich wur­de da­durch so auf­ge­bla­sen und keck, dass ich auf der be­tre­te­nen Bahn ohne wei­tern Auf­ent­halt fort­rann­te wie eine ab­ge­schos­se­ne Ka­no­nen­ku­gel.«

»Aber zum Teu­fel!« sag­te jetzt der Alte, »was hat­tet Ihr denn nur für Schrei­be­stoff? Ihr konn­tet doch nicht im­mer von Eu­rem Pack al­ter Zei­tun­gen zeh­ren?«

»Nein! Ich hat­te eben kei­nen Stoff als so­zu­sa­gen das Schrei­ben selbst. In­dem ich Tin­te in die Fe­der nahm, schrieb ich über die­se Tin­te. Ich schrieb, kaum dass ich mich zum Schrift­stel­ler er­nannt sah, über die Wür­de, die Pf­lich­ten, Rech­te und Be­dürf­nis­se des Schrift­stel­ler­stan­des, über die Not­wen­dig­keit sei­nes Zu­sam­men­hal­tens ge­gen­über den an­dern Stän­den, ich schrieb über das Wort Schrift­stel­ler selbst, un­wis­send, dass es ein echt deut­sches und al­tes Wort ist, und trug auf des­sen Ab­schaf­fung an, in­dem ich an­de­re, wie ich mein­te, viel geist­rei­che­re und rich­ti­ge­re Be­nen­nun­gen aus­heck­te und zur Er­wä­gung vor­schlug, wie zum Bei­spiel Schrift­ner, Tin­te­rich, Schrift­mann, Buch­ner, Fe­der­künst­ler, Buch­meis­ter und so fort. Auch drang ich auf Ve­rei­ni­gung al­ler Schrei­ben­den, um die Ge­währ­leis­tung ei­nes schö­nen und si­chern Aus­kom­mens für je­den Teil­neh­mer zu er­zie­len, kurz, ich reg­te mit al­len die­sen Dumm­hei­ten einen er­heb­li­chen Staub auf und galt eine Zeit lang für einen Teu­fels­kerl un­ter den üb­ri­gen Schmier­pe­tern. Al­les und je­des be­zo­gen wir auf un­se­re Fra­ge und kehr­ten im­mer wie­der zu den ›In­ter­es­sen‹ der Schrift­stel­le­rei zu­rück. Ich schrieb, ob­gleich ich der un­be­le­sens­te Ge­sell von der Welt war, aus­schließ­lich nur über Schrift­stel­ler, ohne de­ren Cha­rak­ter aus ei­ge­ner An­schau­ung zu ken­nen, kom­po­nier­te ›ein Stünd­chen bei X.‹ oder ›ein Be­such bei N.‹ oder ›ei­ne Be­geg­nung mit P.‹ oder ›ei­nen Abend bei der Q.‹ und der­glei­chen mehr, was ich al­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­