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Peter Gerdes

Friesisches Inferno

Roman

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Zum Autor

Peter Gerdes, geb. 1955, lebt in Leer (Ostfriesland). Studierte Germanistik und Anglistik, arbeitete als Journalist und Lehrer. Schreibt seit 1995 Krimis und betätigt sich als Herausgeber. Seit 1999 leitet er das Festival »Ostfriesische Krimitage«. Seine Krimis wurden bereits für den niedersächsischen Literaturpreis »Das neue Buch« nominiert. Gerdes betreibt mit seiner Frau Heike das »Tatort Taraxacum« (Krimi-Buchhandlung, Veranstaltungen, Café und Weinstube) in Leer. Neuere Veröffentlichungen: »Ostfriesische Verhältnisse«, »Langeooger Serientester«, »Friesisches Inferno« und »Ostfriesen morden anders«.

www.petergerdes.com; www.tatort-taraxacum.de

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2020

(Originalausgabe erschienen 2017 im Leda-Verlag)

Umschlaggestaltung: Katrin Lahmer

unter Verwendung eines Fotos von: © Olaf Schlenger

ISBN 978-3-8392-6438-6

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Karte

Karte-Endfassung.tif

1. Schergen

»Nach Wilmshaven? Wirklich? Da soll es jetzt Eisbären geben!« Der Vollbärtige schaute ungläubig. In seinem überwucherten Gesicht glänzten die aufgerissenen Augen matt wie zwei bodenlose Tümpel. Der Dolch, mit dem er gerade ein Stück geröstete Kartoffel in dieses Gestrüpp hinein hatte stecken wollen, verharrte auf halbem Wege.

Helm warf seinem jungen Begleiter einen warnenden Blick zu. Hatte er Gander nicht eingeschärft, grundsätzlich niemals Fragen nach woher und wohin zu beantworten? Und wenn, dann nicht wahrheitsgemäß? Natürlich hatte sich der junge Spund nicht daran gehalten. Kaum hielt er sich eine Pfeife lang in der Gesellschaft eines Fremden auf, ohne dass der ihm das Licht ausblies, schon glaubte er, diesem Fremden vertrauen zu können! Der Junge musste wirklich noch viel lernen. Hoffentlich nicht auf die harte Art.

»Eisbären, ja?« Helm gab sich unbeeindruckt. »Ich dachte, den letzten hätten sie vor über dreißig Ernten erlegt, oder so. Das Fell hängt bei Franko überm Herdfeuer.« Als er sah, wie der Bärtige fragend die Stirn runzelte, fügte er hinzu: »Häuptling Franko, oben in Greetland. Kennst du nicht?«

»Ach der. Klar!« Der Bärtige lachte kurz auf und stopfte sich sein Kartoffelstück in den Mund. »Nennt sich also jetzt Häuptling, was? Das soll er mal bloß nicht Groß Onno hören lassen!« Er kaute geräuschvoll. »Aber der Eisbär, den du meinst, das war noch einer von denen aus Beehaven. Den haben sie wohl erlegt, kurz bevor er sowieso an Altersschwäche eingegangen wäre!« Wieder das harte, höhnische Lachen. Dann wurde er ernst, und seine Stimme wurde leise und rau. »Aber nee, diese neuen, das sind andere. Riesige Biester, mehr gelb als weiß, mit Hälsen dick wie Bäume. Und auch fast so lang. Von denen hat bestimmt noch keiner ein Fell überm Feuer.«

Der Bärtige lehnte sich zurück, sichtlich gespannt auf die Wirkung seiner Worte. Gander zeigte sich gebührend beeindruckt. Bären mit Hälsen wie Bäume! Der Junge sollte sich bloß keinen Bären aufbinden lassen. Aber was Wunder, hatte er es doch in seinem bisherigen Leben mit keinem gefährlicheren Tier zu tun gehabt als einer Stachelmöwe. Obwohl Stachelmöwen nicht zu unterschätzen waren. Eisbären aber waren natürlich ein anderer Schnack.

Helm zeigte keine Reaktion. Es wusste, dass Gesichter reden konnten und wie gefährlich das war, und er hatte seins im Griff. Wer konnte wissen, was der Fremde bezweckte, ganz egal, ob er nun die Wahrheit sagte oder log? Wollte er sie davon abbringen, weiter nach Osten zu ziehen, warum auch immer? Oder wollte er herausbekommen, über was für Waffen sie verfügten?

Das kann er lange versuchen, dachte Helm, ohne eine Miene zu verziehen. Der Überraschungseffekt war ebenso wichtig wie die Waffe selbst, das wusste er. Niemals würde er leichtfertig darauf verzichten. Nicht einmal dem jungen Gander gegenüber.

Die matten Tümpelaugen blieben stur auf ihn gerichtet. Helm wusste, was sie sahen, und konnte sich denken, was der Bärtige von ihm hielt. Ein hagerer alter Mann, nicht sehr groß, mit tief liegenden grauen Augen, hohlen, zerfurchten Wangen und einem langen Kinn, mit hoher Stirn, Kopf und Gesicht mit grauweißen Stoppeln gesprenkelt. In seinem verblichenen Umhang unterschied er sich kaum von einem der elenden Sucher, die überall im Land herumkrochen wie Feuermilben auf glimmenden Scheiten, stets nur einen Mund voll Essen vom Hungertod entfernt. Solch eine Gestalt musste ein Kraftprotz wie dieser Bärtige nicht fürchten.

Gut so, dachte Helm.

Der Bärtige angelte sich noch eine Kartoffel aus dem stinkenden Krautfeuer. Sein Dolch war lang, fast schon ein Kurzschwert. Damit machte er Helm keine Angst. Was aber mochte in den Satteltaschen oder der Packrolle des schweren Rappen stecken, der dort im Schatten der Bäume rupfte und stampfte? Angeblich gab es immer noch große Vorräte an Munition für Gewehre. Helm hielt nichts davon, Gewehre waren wie Glücksspiel, die Patronen versagten häufiger, als sie zündeten. Trotzdem ließen sich Menschen immer noch von Gewehren beeindrucken. Ob der Bärtige eins dabei hatte?

Vielleicht war er ja Jäger. Oder warum hatte er sonst von Eisbären angefangen? Dann aber sollte er etwas Wirksameres dabei haben als ein Gewehr, denn Raubtiere ließen sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen wie Menschen.

»Wo stehen denn eure Pferde?«, fragte der Bärtige kauend. »Ihr seid doch nicht etwa zu Fuß unterwegs?« Er deutete auf Helms Stiefel, dann auf Ganders geflochtene Schuhe: »Nein, das seid ihr nicht, stimmt’s?«

Natürlich nicht. Ihr Schuhwerk war nahezu sauber, und mit sauberen Schuhen kam man in diesen Zeiten keinen halben Klommer weit. Nicht im Ernter und nicht nach diesem tagelangen Regen. Wie blöd, dass er nicht daran gedacht hatte, Schuhe und Stiefel glaubwürdig einzudrecken! Vorhin, als sie in der Dämmerung die Kartoffeln aus dem verlassenen Feld geklaubt hatten, wäre doch die beste Gelegenheit dazu gewesen. Dann aber hatte der Bärtige sie überrascht, und jetzt war es zu spät.

Natürlich waren sie nicht zu Fuß unterwegs. Auch nicht zu Pferd. Ihr Boot lag nicht weit entfernt im Kanal vertäut, unter überhängenden Büschen gut versteckt. Dieses Boot aber ging den Bärtigen gar nichts an.

Dieses Boot ging überhaupt niemanden etwas an, dachte Helm grimmig. So unauffällig wie möglich tastete er nach seinem Faltmesser.

Als Gander den Mund öffnete, wusste Helm, dass er zu lange gezögert hatte. Jetzt war es zu spät, den Jüngeren noch am Reden zu hindern, ohne den Bärtigen endgültig misstrauisch zu machen. Wenn Gander sie jetzt verriet, dann gab es nur noch eine Möglichkeit. Helm spannte die alten Muskeln.

»Mit ’nem Bauern mitgekommen«, sagte Gander, schwer verständlich, da auch er mit vollen Backen kaute. »Hinten auf ’m Karren. Bis dicht an Auck.« Er wedelte mit der Hand ins Dunkel hinein. »Aber reinlassen wollten sie uns nicht. Darum sind wir noch bis hier. Alte Straße.« Er nickte noch einmal bekräftigend, ehe er sich vorbeugte und in der Glut nach einer weiteren Knolle stocherte.

»Ja, so sind sie in Auck«, sagte der Bärtige. »Misstrauisches Pack! Die würden nicht mal ihre eigene Großmutter reinlassen ohne Handbrand.« Erneut erklang das harte Lachen: »Nicht mal, wenn sie sie günstig verhökern könnten!«

Helm stimmte in das Lachen ein. Dabei entspannte er sich ein wenig und gönnte Gander einen anerkennenden Blick. Gut gelogen, Kleiner! Der Jüngere aber glotzte nur auf seine Kartoffel, von der er vorsichtig und möglichst sparsam vom Verbrannten abpulte.

»Und ihr traut euch also auf Alte Straßen?« Der Bärtige rammte seinen langen Dolch vor sich in den Boden; anscheinend war er gesättigt. »Zu zweit, ohne Bedeckung?« Er schüttelte missbilligend den Kopf. »Habt ihr keine Angst, dass euch die Drübener pflücken wie reife Früchte?«

»Rund um Auck lassen sich die Drübener selten blicken«, erwiderte Helm. Er rief sich das Bild vor Augen, das Gander gerade aus der Luft gegriffen hatte: »Der Bauernkarren, der uns mitgenommen hat, hatte sechs Eisenmänner als Bedeckung! Und die Stadt ist ständig dabei, die Mauern zu erhöhen. Da suchen sich die Drübener lieber leichtere Ziele.«

»Sag ich ja«, brummte der Bärtige. »Reisende ohne Bede­ckung! Und diese Eisenmänner, ich bitte dich! Steife Spießer, die schubse ich doch mit dem Knüppel um.«

So siehst du aus, dachte Helm und musterte die bulligen, runden Schultern und die knorrigen Arme des Bärtigen. Der Mann war fast einen Kopf größer als er und kaum mehr als halb so alt. Wenn der ihm übelwollte, dann würde er sich auch vom jungen Gander nicht daran hindern lassen, über ihn herzufallen. Vor einem alten Mann wie Helm schreckte er bestimmt nicht zurück.

Tja. Diesen Fehler hatte schon mancher gemacht.

»Mit dem Knüppel, ja?«, fragte Helm zurück. »Du bist dir deiner Sache ja ganz schön sicher! Fragst uns, warum wir uns zu zweit auf Alte Straßen trauen, und bist doch selber ganz alleine unterwegs. Wie passt denn das zusammen?«

Gander schaute ihn erschrocken an. Er hatte Helm schon früher so fragen hören – aber stets hinter dicken Mauern. Auf freiem Feld, unter Fremden, fragte man nicht so. Das schickte sich nicht, und was sich nicht schickte, konnte gefährlich werden. Sehr gefährlich. Was, wenn der Bärtige beleidigt war? Sein Dolch war schnell zur Hand, und er war lang.

Der Bärtige aber schien nicht beleidigt zu sein. »Hast recht«, brummte er und nickte Helm zu. »Aber dennoch irrst du dich. Ich bin nicht allein.«

Wie aufs Stichwort ertönten Hufschläge, gedämpft zunächst, dann zügig lauter werdend. Und das Schnauben von Pferden. Als Helm klar wurde, dass das Getrappel von der einen und das Schnauben von der anderen Seite ihres Lagerplatzes kam, waren sie bereits eingekreist.

Sechs Männer waren es jetzt insgesamt, mit dem Bärtigen. Der begrüßte die Ankömmlinge wie alte Bekannte, was sie offenkundig waren. Die Reiter trugen allesamt Langwaffen und blechbeschlagene Lederjacken. Jetzt wusste Helm auch, was sich in dem Bündel hinter dem Sattel des Bärtigen befand. Der Mann hatte sie täuschen wollen, und das war ihm bestens gelungen.

Die Neuankömmlinge gruppierten sich ums Feuer und schauten den Bärtigen fragend an. War er der Bossmann? Noch hielt er sich bedeckt.

Helm gab Gander einen Wink. Der verstand und begann, einen Teil der Kartoffeln, die sie eigentlich als Reiseproviant hatten mitnehmen wollen, in die Glut zu werfen. Eine freundliche Geste konnte nicht schaden. Ihr Nutzen allerdings war ziemlich fraglich. Die Zeiten, als Leute, die miteinander aßen, sich anschließend nicht gegenseitig die Kehlen aufschlitzten, waren vorbei.

Wie so vieles andere auch.

»Wie war’s bei euch?« Der Bärtige wandte sich an die Reiter, die zu dritt eingetroffen waren. »Was haben die Bauern gesagt?«

»Na, was wohl?« Der Längste der drei lachte genauso hart und höhnisch wie zuvor der Bärtige. »Geflucht haben sie, dass der Lehm von den Wänden gefallen ist! Von wegen, das wäre hier nicht Onnos Beritt. Aber das haben wir ihnen schnell klargemacht, dass sie das nicht zu entscheiden haben, wie weit wessen Beritt reicht. Sondern Groß Onno. Also wir, solange der Herr gerade nicht zugegegen ist!«

Jetzt lachten auch die anderen. Helm kroch es kalt über den Rücken. Er griff nach den Enden seines Schals und zog ihn sich fester um den Hals.

»Und? Haben sie Tribut gezollt?«, fragte der Bärtige. Seine Tümpel-Augen glitzerten im Widerschein des Feuers.

Der Lange ließ seinen Bossmann ein wenig auf die Antwort warten, aber sein Lächeln verriet ihn. »Alle bis auf einen!«, verkündete er stolz. »Und auch dieser eine leistet uns jetzt gute Dienste.« Er zwinkerte in die Runde. Brüllendes Gelächter antwortete ihm.

Helm kannte die Bilder. Körper toter Menschen, aufgehängt an großen Bäumen, torkelnd im Wind, ein Fraß für die Aaskrähen, eine Warnung für alle. Früher hatte man solchen Erhängten Schilder angeheftet, auf denen stand, was sie verbrochen hatten; der Onkel hatte ihm alte Bilder gezeigt in einem alten Buch. Heute schnitt man den Toten Symbole in die bleiche Haut. Es konnte ja kaum noch jemand lesen.

»Gut.« Der Bärtige nickte und gluckste zufrieden. »Wie steht es mit Draht?«

»War allerhand dabei«, sagte der Lange. »Rollenweise! So viel, dass wir’s vergraben haben. Nächstes Mal, wenn der Wagen durchkommt, können wir es holen. Groß Onno wird Augen machen!«

Die ersten Kartoffeln waren gar, und die Neuankömmlinge begannen im Feuer zu stochern. Ihre Bewaffnung war sehr unterschiedlich, aber reichlich. Lange Messer besaßen sie alle.

»Und was hast du hier?«, fragte der Lange und schaute den Bärtigen über eine aufgespießte Knolle hinweg an. »Zollen sie oder nicht?«

Alle Augen richteten sich auf Helm und Gander. Der jüngere schien es nicht zu bemerkten; er prokelte weiter im Feuer herum. Helm hielt den Blick fest auf den Bärtigen gerichtet. Jetzt kam es darauf an.

»Ja, was haben wir hier?«, echote der Bärtige. Tief im Gestrüpp seiner Gesichtsbehaarung war ein Lächeln zu erahnen. »Viel habt ihr ja noch nicht rausgelassen. Wer seid ihr, was seid ihr? Treibt ihr Handel? Aber wo ist dann eure Ware? Oder seid ihr Sucher?«

Helm schüttelte den Kopf. »Keine Händler. Auch keine Sucher. Aber so ähnlich. Wir sind Finder.«

»Finder?« Der Bärtige schüttelte unwirsch den Kopf. »Nie gehört. Was soll denn das sein? Und woher kommt ihr überhaupt?«

Wozu drum herum reden, dachte Helm. Das war jetzt egal. »Wir sind von Nesserland«, sagte er.

Sie starrten ihn an, als hätte er gesagt, sie kämen von jenseits der Trennung. Dann schauten die Gerüsteten zum Bärtigen. Wer noch eine Kartoffel auf der Spitze seines Messers hatte, streifte sie ab, ohne hinzuschauen.

Als der Bossmann schwieg, ergriff der Lange das Wort. Er schien so etwas wie ein Unterführer zu sein; vielleicht war er damit nicht mehr zufrieden. »Zu denen gehört ihr also«, zischte er. »Zu den Selbstgerechten! Zu den Schändlichen!« Langsam erhob er sich. Sein langer Dolch wechselte in die linke Hand, seine rechte tastete nach dem Ding, das an seinem Gürtel baumelte. Vermutlich einer der Knüppel, von denen der Bärtige gesprochen hatte. Sicherlich keiner aus Holz.

»Setz dich!«, sagte der Bärtige. Seine Stimme war leise, ließ aber eindeutig erkennen, dass er nicht gewillt war, sich die Führung seiner Truppe aus der Hand nehmen zu lassen. »Von Nesserland also, was? Na schön. Wir sind von Nörn, wie du ja sicher schon weißt. Wir dienen Groß Onno. Und soviel ich weiß, war es nicht Groß Onno, gegen den ihr euch erhoben habt, richtig? Also soll mir das egal sein. Vorausgesetzt« – er kniff seine Tümpel-Augen zu schmalen Schlitzen zusammen – »vorausgesetzt, ihr erklärt euch bereit, Groß Onno Tribut zu zollen, jetzt und immerdar.« Er breitete die Hände aus, um seine Worte zu unterstreichen. »Alles andere interessiert mich nicht. Versündigt euch von mir aus, gegen wen und was ihr wollt! Solange ihr nur Groß Onno die Ehre erweist. Seine Macht ist die Macht, die kommt, das könnt ihr mir glauben. Seiner Macht hält keine andere stand. Nicht in ganz Friesland! Ihr seid doch nicht dumm, jedenfalls macht ihr nicht den Eindruck. Stellt euch auf die richtige Seite, solange ihr die Wahl noch habt.«

»Ja, wir haben die Wahl«, bestätigte Helm. »Und wir stehen auf der richtigen Seite.«

Zustimmendes Gemurmel ertönte in der Runde; der Lange klatschte seine Handflächen auf die Oberschenkel: »Na seht ihr! Geht doch!«

Der Bärtige aber hob kurz die Hand und brachte seine Leute zum Schweigen. »Was heißt das?«, hakte er nach. »Erweist ihr nun Groß Onno die Ehre oder nicht?«

»Ehre, wem Ehre gebührt«, sagte Helm; er hatte keinen Schimmer, woher ihm dieser Spruch plötzlich in den Kopf gekommen war. Stammte wohl noch vom Onkel. »Deinem Onno jedenfalls gebührt keine. Bauernlegen zeugt nicht von Größe.« Bei den letzten Worten erhob er sich.

Keine Sekunde zu früh. Auch die sechs Tributeure sprangen auf die Füße, am schnellsten der Lange. In einer einzigen, fließenden Bewegung riss er seinen Eisenknüppel aus dem Gürtel, schwang ihn hoch über den Kopf, machte zwei große Schritte auf Helm zu und ließ den Prügel auf ihn niedersausen. Er musste darin geübt sein, denn die faustgroße Kugel am Ende des Knüppels traf genau die Mitte von Helms Schädeldecke.

Jedenfalls fast. Im letzten Moment hatte Helm seinen linken Arm hochgerissen. Es dröhnte metallisch, als der Eisen­knüppel den Unterarm traf und mitten in der Bewegung erstarrte wie plötzlich eingefroren. Der Lange glotzte fassungslos. Jeder Knochen hätte unter einem solchen Schlag zerbersten müssen wie zundriges Holz; Helm aber zeigte keinerlei Schmerz. Stattdessen wischte er den Knüppel mit einer beiläufigen Bewegung seines linken Arms beiseite und hob den rechten. Es klickte leise, als er ihn niederpeitschen ließ.

Der Lange hatte immer noch nichts begriffen. Jetzt war es dafür auch zu spät, ein für alle Mal. Mit gespaltenem Schädel sackte der Unterführer in sich zusammen.

Noch einen zweiten von Groß Onnos Männern erledigte Helm auf genau die gleiche Weise, ehe die anderen begriffen hatten, dass hier jemand vor ihnen stand, den sie nicht so einfach legen konnten wie einen Bauern. Sie traten ein paar Schritte zurück und scharten sich um den Bärtigen. Gander, der sich ebenfalls erhoben hatte, stellte sich zu Helm, hielt aber zwei Armlängen Abstand.

Er wusste, warum.

Der Bärtige erteilte Anweisungen, gedämpft und für Helm unverständlich; nur der drängende Ton war zu vernehmen. Die Männer begannen sich zu verteilen, wollten Helm und Gander in die Zange nehmen. Zwei hatten jetzt lange Klingen in den Händen, der eine ein gekrümmtes Schwert, der andere einen Beidhänder. Helm konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. In welchem Schaufenster mochten diese schmucken Dinger einst gelegen haben? Womöglich zerbarsten die Klingen schon beim ersten ernsthaften Hieb. Sicher wissen aber konnte man das nie, und er wollte kein Risiko eingehen.

Also ließ er den Teleskopstab fallen und nahm seinen Schal ab.

Der mit dem Beidhänder attackierte zuerst. Offenbar wollte er einen Schlag von oben in Helms Halsbeuge führen, der Schulter und Brustkorb bis zum Herzen gespalten hätte, wenn er denn angekommen wäre. Helm aber knetete kurz die Enden seines Schals, schleuderte das Ding über seinem Kopf herum und ließ genau im richtigen Moment die Maschen durch die Finger gleiten. Das eine Ende des Schals traf den Angreifer mitten auf die Stirn.

Es knackte hörbar. Dem Mann riss es die Füße nach vorne und das lange Schwert aus den Händen. Schwer fiel er auf den Rücken und regte sich nicht mehr.

Was machten die anderen? Der Bärtige hielt sich noch im Hintergrund; anscheinend hatte er auch nicht vor, sein kostbares Leben zu riskieren. So waren sie, diese Bossmänner. Na ja, irgendwie musste sie ja in ihre Positionen gekommen sein. Der Mann mit dem gebogenen Schwert versuchte nach wie vor, in Helms Rücken zu gelangen, hielt jedoch großen Abstand und beschränkte sich aufs Fintieren. Gut so. Und Nummer drei?

Auch Nummer drei hielt sich außer Reichweite. Er hatte etwas erhoben, das genau in dem Moment, als Helm es identifizierte, einen Ton von sich gab wie einen harten Schlag. Verflucht, eine Armbrust! Warum hatte er die denn nicht eher bemerkt?

Er wurde eben doch alt. Und jetzt vielleicht auch nicht mehr älter.

Der Schuss aber traf nicht Helm, sondern Gander. Der Junge, der Helm bereits jetzt um einen halben Kopf überragte, sank lautlos zu Boden. Der Schaft des Pfeils ragte aus der linken Seite seiner Brust. Noch im Fallen packte er ihn und riss ihn heraus. Dann schlug er hart auf und rührte sich nicht mehr.

Na dann, dachte Helm. Ist nicht so schlimm.

Dieser Gedanke verflog, als er bemerkte, dass der Schütze drauf und dran war, seine Armbrust nachzuladen. Der Bärtige lief derweil zu seinem Pferd. Wollte er sich jetzt schon vom Acker machen, obwohl es immerhin noch drei gegen einen stand? Ganz schön feige. Oder ganz schön schlau, wie man wollte.

Helm stürmte auf den Schützen zu, der seine Waffe bereits gespannt und den Pfeil in die Schiene gelegt hatte. Während Helm ausholte, riss der Mann die Armbrust hoch und schoss auf gut Glück. Helm hörte das Geschoss so dicht an seinem Ohr vorbeizischen, dass er glaubte, eine der Federn an seiner Wange zu spüren. Dann gab er seinem Schal den entscheidenden Schwung. Das zusammengeknüllte Blei am Ende zerschmetterte dem Schützen die Schläfe.

Helm spähte nach dem Bärtigen, als ihm plötzlich bewusst wurde, dass da ja noch ein Schwertkämpfer war. Im Umdrehen riss er instinktiv seinen linken Arm mit der Stahlschiene hoch. Keine Sekunde zu früh; der Kerl mit dem krummen Schwert hatte bereits zum todbringenden Schlag ausgeholt. Helm blockte ihn mit Mühe und Not. Damit aber schien der Angreifer gerechnet zu haben, denn sofort setzte er linkshändig mit seinem Langdolch nach. Ohne seine Schlagwaffe blieb Helm keine andere Möglichkeit, als nach dem Handgelenk des anderen zu greifen. Das gelang auch, aber Helm spürte sofort die Kraft des Jüngeren, der nicht mehr als zwanzig Ernten zählen mochte. Schon begann sein eigener Arm einzuknicken, und die Dolchspitze näherte sich bedrohlich seinem Unterbauch, begleitet vom hässlichen, siegesgewissen Lachen des Angreifers.

»Gander!«, schrie Helm in höchster Not. »Gander, jetzt!«

Gerade hatte sein junger Begleiter noch bewegungslos dagelegen – jetzt stand er plötzlich auf seinen Füßen. Mit einer Bewegung, die zu schnell für jedes Auge war, war er noch im selben Augenblick bei Helm, schlug dessen Gegner Schwert und Dolch gleichzeitig aus den Händen, fasste ihn an Gürtel und Jacke und hob ihn hoch.

Dann zerriss er ihn in zwei Hälften.

»Halt, Gander.« Helm schützte sein Gesicht mit beiden Armen, während das Blut des Groß-Onno-Mannes auf ihn niederprasselte, das Blut und nicht nur das. Dann schaute er sich wieder nach dem Bärtigen um. Dem konnte er es nun auch nicht mehr ersparen.

Der Bärtige saß schon auf seinem Pferd. Das wenige Mondlicht, das durch die Bäume fiel, ließ erkennen, dass auch er etwas in den Händen hielt und zielte. Etwa noch eine Armbrust?

Es klickte, dann zischte etwas wie eine wütende Doppel­kreuzotter. Der Bärtige fluchte. Helm nickte wissend. Ja, Gewehre waren heutzutage nur noch dazu gut, hilflose Leute einzuschüchtern. Wenn es hart auf hart kam, taugten sie nichts.

»Gander«, sagte er leise. Der große Junge schaute ihn aufmerksam an.

»Das werdet ihr büßen, ihr Nesserlander! Ihr Abartigen, ihr Gottvergessenen!« Der Bärtige brüllte aus vollem Hals, während er seinen Gaul herumriss und ihm die Sporen gab. Das Tier schrie panisch auf und setzte zu einem mörderischen Galopp an. »Wir werden euch holen und bestrafen!«, röhrte der Bärtige weiter. »Vor Groß Onno könnt ihr euch nicht verstecken, auch nicht in eurem verkackten Emm! Wartet nur, wir kriegen euch!«

Merkt er eigentlich gar nicht, wie lächerlich es ist, so zu zetern und zu drohen, während er gerade flieht, dachte Helm. Vermutlich nicht. Häuptlingsknechte waren schon wieder dermaßen gewohnt, alles zu bekommen, was sie wollten, dass ihnen solche Feinheiten gar nicht mehr auffielen. Das riss jetzt mehr und mehr ein.

Und weil das so war, gab es nunmehr Leute wie ihn.

Der Bärtige war schon außer Hörweite, so schnell sprengte sein Pferd mit ihm davon. Trotzdem wäre es für Gander ein Leichtes gewesen, ihm nachzulaufen, ihn einzuholen und zurückzubringen. Oder aber ihn gleich an Ort und Stelle … Ja, das wäre es. Eine Kleinigkeit.

»Gander, halt«, sagte Helm jedoch. »Lass ihn ziehen. Nach Nörn, zu seinem Großmaul Onno. Mal schauen, ob er sich wirklich wieder her traut.«

»Aber unser Nesserland ist doch gar nicht in Emm«, erwiderte Gander verwundert.

»So ist es«, sagte Helm und klopfte ihm auf die Schulter. »So ist es.«

2. Gander

In der leichten Morgenbrise glitten sie fast lautlos dahin. Das bräunliche Moorwasser des Kanals glitzerte in der aufgehenden Sonne, und Helm musste die Augen zusammenkneifen, um weit genug voraus sichern zu können. Seine letzte Sonnenbrille war schon vor Jahren zerbrochen. Die neue Welt war einfach zu hart für spröde gewordenen Kunststoff.

Gander lag vor ihm, lang ausgestreckt zwischen den Gepäckstücken auf den Bodenbrettern des schmalen, flachen Prahms, den sie erst gestern kurz hinter Auck entdeckt und erbeutet hatten. Das Ding mochte einem Bauern gehört haben, der damit zu seinen Feldern herübergestakt war und seine bescheidene Ernte eingebracht hatte, oder auch einem Kanalfischer; bis auf eine Leine mit einem simplen Haken daran hatten sie allerdings keinerlei Fischerzeugs gefunden. Wie auch immer, der frühere Besitzer würde sich ein neues Boot bauen müssen – oder ebenfalls eins erbeuten. Helm hatte nicht vor, es zurückzubringen.

Das braune Segel, das sich im günstigen Nordwest blähte, war dagegen seins. Federleicht war es, aus Nylongewebe, wie es mal üblich gewesen war, früher, in den vergangenen Zeiten. Die meisten Segel dieser Art waren längst von der Sonne gedörrt und vom Sturm zerfetzt worden; wer sich heute auf dem Wasser bewegen musste, war längst zu Tuchsegeln zurückgekehrt, schwer und unhandlich, aber haltbar und leicht zu reparieren. Dieses Focksegel jedoch hatte bei einem Segelmacher auf dem Dachboden gelegen, gut verpackt und geschützt in einem Sack. Mehr als fünf Jahrzehnte lang. Es war immer noch so gut wie neu.

Als Mast diente der lange Stakstock des Prahms, provisorisch aufgerichtet mit Seilen, die sie immer dabei hatten, denn der Prahm war zum Segeln gar nicht gedacht. Diese improvisierte Vorrichtung hatte aber auch Vorteile, denn so konnten sie an jeder Brücke den Mast schnell und einfach legen, ohne dass ihr Boot den Schwung verlor, und ihn nach der Durchfahrt ebenso schnell wieder aufstellen. Die Zeiten, als Brücken noch geöffnet werden konnten, waren lange vorbei.

Gander murrte im Schlaf und warf sich herum, so dass der leichte Prahm ins Schwanken geriet. Helm glich die Gewichtsverlagerung aus, so gut es ging, um das Boot auf Kurs zu halten. Der Junge würde noch eine Weile brauchen, ehe er wieder bei Kräften war. Das war der Preis, den er zahlen musste, wenn er aufs Stichwort explodierte; danach aß er jedes Mal unglaubliche Mengen und fühlte sich trotzdem ausgelaugt und erschöpft. Helm fragte sich, wie viel davon körperlich war und wie viel mental. Er wusste es nicht, und er kannte auch keinen, der ihm das hätte sagen können. Gander war einzigartig.

Ansehen konnte man ihm das nicht. Groß und wuchtig war er, rundgesichtig und weizenblond, mit leicht abstehenden Ohren und blassblauen Augen, die neugierig in die Welt guckten, wenn Gander nicht gerade schlief, so wie jetzt. Ein junger Friese wie viele andere auch. Sollte man meinen.

Als kleiner Junge war Gander dicklich gewesen, schon immer mit einem gesunden Appetit ausgestattet, der sich nicht immer stillen ließ. Jetzt, da sein Körper wuchs und sich streckte, begannen sich die Konturen des Mannes herauszuschälen, der er einmal sein würde. Durchaus vielversprechend, das hörte Helm immer wieder. Dann nickte er stets und lächelte. Seine Besorgnis behielt er für sich.

Wer wusste schon, was wirklich in diesem Jungen steckte?

Tatsache war, dass er sich veränderte. Von Monat zu Monat, sogar von Woche zu Woche. Klar, er war in der Pubertät, da veränderten sich alle Menschen, nicht nur die Jungen. Das machte sie unberechenbar und häufig müde, weil jeder Umbau Kraft kostete. Aber das, was mit Gander geschah, sprengte diesen Rahmen bei weitem. Und es war nicht absehbar, wann diese Entwicklung ihr Ende erreicht haben würde.

Falls das überhaupt jemals geschah.

Der Junge hob den Kopf, plierte verschlafen in die Sonne und drehte sich zu Helm um. »Kann ich noch was haben?«, nuschelte er.

»Na klar«, erwiderte Helm und wies auf den Beutel mit dem Hartbrot. »Hier. Und Äpfel sind auch noch da.«

Gander verzog den Mund. »Nichts Richtiges mehr?«

Helm schüttelte den Kopf. »Aber wir können nachher mal angeln.«

»Au ja.« Gander stopfte sich Hartbrot in den Mund, das unter seinen kräftigen Zähnen krachte und staubte. Dann griff er sich zwei Äpfel und legte sich wieder hin.

Er ist gutmütig, dachte Helm. War er selbst auch so gewesen in diesem Alter? Schwer zu sagen; seine Erinnerung gab das nicht her. Damals hatte Chaos geherrscht, erst die Große Flucht, dann das Große Sterben. Die Gesetze des Überlebens hatten sich von selber aufgestellt, und wer sich nicht daran hielt, war schnell Geschichte.

Geschichte! Auch so ein Ausdruck vom Onkel. Wenn etwas »Geschichte war«, dann war es unwiederbringlich verloren und keinen zweiten Gedanken wert. Und damit ja eigentlich das Gegenteil von Geschichte, überlegte Helm. Geschichte, das war doch gesichertes Wissen über das Gewesene. Ein Fach in der Schule hatte so geheißen. Und jetzt? Niemand gab auch nur ein Stück trockene Kuhscheiße für das Gewesene. Nur das Hier und Jetzt zählte noch. Und gerade noch der morgige Tag, den zu erleben der größte Daseinszweck geworden war.

Schule. Helm hatte noch ein paar Jahre lang eine Schule besucht, eine Handvoll Jahre, ehe das Chaos ausgebrochen war. Lesen und Schreiben und Rechnen. Vor allem Heimatkunde. Was wäre er heute ohne die! Natürlich auch Religion. Helm schüttelte den Kopf, wenn er an die Wunder­märchen dachte, die man ihm damals aufgetischt hatte.

Später einmal, irgendwann, hatte er nachts um ein Wunder gefleht, halb verhungert, regennass und kalt. Der Onkel hatte ihn gehört. Und ihm zwei gewaltige Ohrfeigen verpasst.

Tja, der Onkel. Der war die wahre Schule gewesen. Hartes Herz, harte Hände. Ohne ihn hätte Helm mit Sicherheit nicht überlebt.

Er schreckte aus seinen Gedanken auf. Was hatte sich da vorne bewegt? Ein Bauer, der Wasser für sein Feld schöpfte oder für sein Vieh? Ein Sucher? Vielleicht ein Drübener, der es irgendwie geschafft hatte, die Todeszone zu durchqueren? Noch mehr Schergen von Groß Onno oder einem anderen selbsternannten Häuptling? Oder womöglich der Ausguck einer der vielen Wegelagerer-Banden, die jede Überland-Reise zu einem unkalkulierbaren Wagnis machten? Helm vermochte es nicht zu sagen. Wer oder was immer das gerade gewesen war, hatte sich wieder ins Unterholz des kleinen Uferwäldchens zurückgezogen. Einzig ein paar nachfedernde Äste zeigten an, dass er sich nicht getäuscht hatte.

In der Morgensonne hatten die überwucherten Kanalufer zu leuchten begonnen, in vertrauten Farben ebenso wie in solchen, für die Helm nicht einmal einen Namen hatte. Manche dieser Blüten, die da an langen, biegsamen Stengeln durchs Gras krochen wie Schlangen, konnten ihre Farbe von einem Tag auf den anderen wechseln. Manche von ihnen schnappten nur nach Insekten, andere waren giftig und konnten ganze Ringelmäuse packen und verdauen. Auch Menschen taten gut daran, sich vor diesen Blüten in Acht zu nehmen, denn einige verbrannten einem die Haut wie Sauerfraß, und von diesen Schmerzen hatte man lange etwas.

Wenigstens waren keine Speerspargel in Sicht, registrierte Helm. Einige von denen wurden dick wie Bäume und wuchsen in kürzester Zeit meterhoch. Wer die Zeichen nicht erkannte und sein Nachtlager über einem Speerspargelsprössling aufschlug, der erlebte unweigerlich den nächsten Morgen nicht mehr.

Nachdenklich schaute Helm wieder zu Gander. Der Junge schien schon wieder zu schlafen. Er war noch nicht annähernd weit genug erholt, um erneut zu einer solch übermenschlichen Leistung zu explodieren wie letzte Nacht. Wenn er ihm jetzt schon wieder das Stichwort gab, konnte das sehr gefährlich für Gander werden, ihn vielleicht sogar töten. Jedenfalls nahm Helm das an. Genau wissen konnte das niemand. Was wusste man schon sicher über Gander?

Helm blieb angespannt, während sie das Wäldchen passierten, und ließ das Ufer nicht aus den Augen. Niemand war zu sehen, keine unnatürliche Bewegung im Grün der Büsche und Bäume festzustellen. Langsam entspannte er sich wieder. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder nach vorne.

Keine Sekunde zu früh. Ein paar Bootslängen voraus ragte das gelbliche, kugelige Augenpaar eines Panzerhechtes aus dem Wasser. Leichtes Kräuseln der ansonsten nahezu glatten Wasseroberfläche deutete an, dass dieses Vieh mindestens dreieinhalb Meter lang sein musste. Jetzt erschienen auch die Rückenstacheln in Helms Blickfeld. Das Tier hatte sich also zum Angriff entschlossen. Noch ein letzter taxierender Blick aus den gelben Kugelaugen, dann tauchten sie ab, die aufgerichteten Stacheln im Gefolge. Es wurde ernst.

Panzerhechte waren verflucht intelligent – genügend jedenfalls, um einem Boot anzusehen, ob sie es umwerfen konnten oder nicht. Helm hatte schon viele Berichte davon gehört, wie Menschen, die aus ihren gekenterten Booten ins Wasser gefallen waren, von diesen Biestern und ihrer Brut in Fetzen gerissen worden waren. Von einem erfolglosen Angriff eines Panzerhechtes auf ein Wasserfahrzeug jedoch hatte er noch nie gehört. Oder davon, dass jemand einen Angriff überlebt hätte.

Blitzschnell ging er in die Knie. Von den Besitztümern der Groß-Onno-Schergen gestern Abend hatten sie nicht viel mitgenommen; zwei der Dolche zum Beispiel und die erstaunlich geringen Proviantvorräte. Das meiste hatten sie liegen lassen, vor allem die beiden Schwerter, die sich tatsächlich als besserer Wandschmuck entpuppt hatten.

Nicht jedoch die Armbrust. Die war zwar alt, hatte aber eine Menge Durchschlagskraft, und einen kleinen Vorrat Pfeile gab es auch. Helm hatte sie heute früh probeweise gespannt und bestückt. Sie lag noch in Griffweite.

Obwohl Panzerhechte überhaupt keine Hechte waren, führten sie ihren Namen nicht ohne Grund; ihr horniger Rücken war für Pfeile undurchdringlich. Helm musste also warten, bis das Vieh wieder auftauchte. Falls es das überhaupt tat. Zwei Angriffstaktiken eines Panzerhechts waren bekannt: Entweder verbiss sich das Tier im Dollbord eines kleineren Bootes, oder aber es tauchte unter seine angepeilte Beute und machte den Todesbuckel, der auch ein größeres Boot zum Kentern bringen konnte. Wie groß war ihr Prahm in den Augen dieses Fisches? Davon konnte ihr Leben abhängen.

Helms Gedanken rasten, wie immer in solchen Situationen. Wohin schießen, wenn das Tier wieder auftauchte? Die Augen? Sinnlos, die saßen oben auf dem Kopf, noch extremer als bei einem Krokodil, da gab es keinen direkten Weg zum Hirn, jedenfalls nicht für einen Pfeil, und blenden konnte ein Treffer immer nur ein Auge. Wohin dann? Warten, bis der weiche Bauch ins Visier kam? Dann lagen sie längst im Wasser. Und wenn der Panzerhecht unter ihnen den Buckel machte? Helm neigte nicht zum Beten, aber etwas anderes wollte ihm beim besten Willen nicht einfallen.

Das Tier schoss aus dem Wasser, wenige Meter seitlich, durchbrach den Wasserspiegel mit einem regelrechten Knall, der das Rauschen und Platschen des Wassers übertönte, und stürzte sich mit weit geöffnetem Rachen auf die niedrige Bordwand des Prahms. Helms fand seine Frage beantwortet. Der kurze Pfeil seiner erbeuteten Armbrust schnellte direkt zwischen die mörderischen Zahnreihen, durchschlug den Gaumen und fuhr dem Tier ins Gehirn. Als es mit zuklappenden Kiefern die Bordwand rammte, vorwärtsgetrieben von der eigenen Körpermasse, war es bereits tot, auch wenn der gepanzerte Körper immer noch zuckte. Helm schnappte sich einen der langen Dolche und trieb ihn seitlich unter dem Panzer in den Körper des Viehs, um es am Untergehen zu hindern.

Der Lärm und das Schwanken des Bootes hatten Gander geweckt. »Was ist denn los?«, fragte er verschlafen und rieb sich die Augen. »Was machst du da?«

»Du wolltest doch etwas Richtiges zu essen«, antwortete Helm. »Ich hab dir mal was geschossen. Komm, fass mit an.«

Es war noch ein hartes Stück Arbeit, den Tierkörper mit Seilen zu sichern und bis zu einer geeigneten Uferstelle zu schleppen, die einerseits genügend Deckung durch Gestrüpp, andererseits einen ausreichend weiten Rundumblick gewährte, um herannahende Gefahren rechtzeitig sichten zu können. Dann stellte sich heraus, dass der Panzerhecht zu schwer war, als dass sie beide ihn hätten an Land ziehen können. Wenn man Gander nicht aktivierte, war er ein ganz normaler Heranwachsender, sehr groß und kräftig für sein Alter, aber keineswegs übermenschlich stark. Helm hütete sich, ohne Not das Signal zu geben. So mussten sie das Tier wohl oder übel noch im Wasser zerlegen.

»Hoffentlich locken wir damit nicht noch so ein Biest an«, unkte Gander, als das gelbliche Blut des Monstrums ins Kanalwasser sickerte, während sie das Fleisch mit ihren Messern von Knochen und Gräten lösten. Tatsächlich, dieses Tier besaß beides.

Helm schüttelte beruhigend den Kopf. »Panzerhechte dulden keinerlei Konkurrenz in ihrem Revier«, sagte er, »und so ein Revier ist groß. In diesem Fall dürfte es wohl den ganzen Kanal zwischen Auck und der nächsten Schleuse um fassen. Hier lebt garantiert kein einziges anderes Raubtier mehr. Außer der eigenen Brut natürlich.«

»Und die würde nicht die eigene tote Mutter fressen?« Gander kratzte sich den Kopf. »Oder ist es der Vater?«

Helm lachte. »Tatsächlich beides«, sagte er. »Und nein, die Nachkommen stürzen sich niemals auf ihr Elterntier. Zumindest nicht gleich. Erst einmal haben sie anderes zu tun.«

»Nämlich?«

»Sich gegenseitig zu töten und zu fressen.« Helm seufzte. »Irgendwas in ihrem Organismus sorgt dafür, dass sie sehr klein bleiben, solange ihr Elterntier lebt, kaum größer als eine Hand. Wenn das große Tier aber stirbt, ist das für sie das Signal, sofort um die Revier-Nachfolge zu kämpfen. Und natürlich zu fressen und schnell zu wachsen. Praktischerweise lässt sich das hervorragend kombinieren.«

Nachdem sie den Panzerhecht erst einmal aus seiner stabilen Rückhaut geschlagen hatten, ging das Zerlegen leichter. Selbst Helm staunte, als er an einem der Seitenteile des Tieres ein stummeliges Beinchen entdeckte. Schau an, dachte er, das könnte die Frage beantworten, wie diese Biester seinerzeit in die Binnenreviere vorgestoßen sind.

Seinerzeit – was für ein seltsamer Begriff! Wessen Zeit sollte das gewesen sein? Wenn schon, dann die des Chaos’. Und dessen Zeit war ganz bestimmt noch lange nicht vorbei.

Obwohl sie natürlich genau daran arbeiteten. Jedenfalls einige von ihnen.

»Machen wir Feuer?«, fragte Gander hoffnungsvoll.

»Natürlich nicht!« Helm runzelte vorwurfsvoll die Stirn. »Hast du schon wieder vergessen, wozu das gestern Abend geführt hat? Ich hab nicht schon wieder Lust auf ungebetenen Besuch.« Zwar war Friesland heutzutage weit weniger dicht besiedelt als in Helms Kindheit, trotzdem war man gut beraten, immer damit zu rechnen, dass irgendjemand in der Nähe war. Und dass dieser Jemand nichts Gutes im Schilde führte.

Gander machte ein enttäuschtes Gesicht. »Dann dauert es ja wieder ewig«, murrte er, fügte sich aber Helms Entscheidung.

Die Frage hat er nicht beantwortet, dachte Helm, während er den Parabolschirm ihres Patentofens auseinanderfaltete. Wusste Gander wirklich noch, was gestern Abend geschehen war? Oder löschten die unerklärlichen Vorgänge in seinem Körper und seinem Geist jede Erinnerung an seine übermenschlichen Kraftakte aus? Von sich aus hatte er jedenfalls noch nie darüber geredet, und wenn Helm die Sprache darauf brachte, ganz vorsichtig natürlich, reagierte er jedesmal sehr einsilbig darauf.

Der Parabol-Ofen war wirklich ein patentes Ding. Natürlich eine Entwicklung des Onkels; Helm hatte wahrlich unendlich viele Gründe, dem lange Verstorbenen dankbar zu sein. Dieser Ofen war wesentlich leistungsfähiger als die besseren Spielzeuge, die seinerzeit – seinerzeit! – in Umlauf gewesen waren und die in diesen Breiten kaum ausgereicht hatten, um Wasser zu erhitzen. Der Onkel hatte einen Spiegel konstruiert, der wesentlich größer und leistungsfähiger war, gleichzeitig aber leicht, vollständig faltbar und einfach zu transportieren. Trotzdem dauerte es natürlich eine Weile, dicke Stücke Fleisch damit durchzugaren. Dabei hatten sie heute noch Glück, denn es war sehr sonnig für die Jahreszeit.

Insgesamt aber wurde es wieder kälter. In Nesserland hatten sie noch Thermometer, welche mit Quecksilber und solche mit Bimetallstreifen, die alle ohne Batterien funktionierten. Seit etlichen Jahren wurden jetzt wieder regelmäßige Aufzeichnungen durchgeführt, und die sprachen eine deutliche Sprache. Nach Jahren der allgemeinen Erwärmung nahmen die durchschnittlichen Temperaturen nun wieder ab, leicht nur, aber eindeutig. Warum? Man wusste es nicht. Wie man so vieles nicht wusste.

Zum Beispiel wusste man bis heute nicht, warum das Kraftwerk in Ling, weiter oben an der Ems, in die Luft geflogen war. Damals war es zu Massenfluchten von der Friesischen Halbinsel gekommen, denn der Wetterbericht warnte vor südlichen Winden und schweren Niederschlägen. Die Angst vor tödlicher Verstrahlung hatte die Menschen wahnsinnig gemacht. Helm erinnerte sich noch gut an die Kämpfe an Zapfsäulen und die Schüsse an den Straßensperren. Sein Vater hatte noch schnell Proviant holen wollen; sie hatten ihn nie wieder gesehen. Wohl aber sein Auto, viel später, ausgebrannt auf einem Supermarkt-Parkplatz. Der Onkel hatte ihm die Nummernschilder gezeigt. Da hatte seine Mutter auch schon nicht mehr gelebt.

Der Onkel. »Fahrt nicht«, hatte er gewarnt, »der Wind dreht! Wenn ihr jetzt nach Süden fahrt, kommt ihr mitten hinein.« Helm wusste es noch wie heute, obwohl er damals erst elf gewesen war. Er hatte seinem Onkel vertraut, nicht nur, weil der eine eigene kleine Wetterstation besaß. Alles, was der Onkel sagte, hatte Hand und Fuß. Auf wen sollte man in solch einer Situation denn hören, wenn nicht auf ihn?

Trotzdem, wer nur irgend konnte, war gefahren, voller Panik, nichts wie raus aus dieser Sackgasse, runter von diesem Flecken Land, der von drei Seiten vom Wasser umgeben war! Sie waren alle in ihr Verderben gefahren. Denn der Wind hatte tatsächlich gedreht, wie der Onkel es vorhergesagt hatte, von Süd über Südwest auf West, später auf Nordwest zu West. Die Flüchtenden waren nicht nur in die Fallout-Wolken hineingefahren, diese waren ihnen anschließend auch noch gefolgt.

Dann waren die Tage und Nächte des Donners gekommen, die sie im Keller eines verlassenen Hauses verbracht hatten. Ein großes Haus, es gab viele Vorräte und ein Schwimmbecken im Keller, aus dem sie tranken, als kein Wasser mehr aus den Leitungen kam. Nachdem der Strom wegblieb, aßen sie Fertigmahlzeiten aus tropfenden Kühltruhen. Als es kein Gas mehr zum Kochen gab, waren die Konserven an der Reihe. Helm konnte heute noch den Geschmack von weißen Bohnen mit Suppengrün auf der Zunge spüren, wenn er sich konzentrierte.

»Schmeckt komisch.« Gander hatte sich bereits bedient, während Helm noch sinnierte. Er verzog den Mund, aber dieser Mund war voll, und der Junge kaute beherzt.

Der Hunger treibt’s rein, dachte Helm und bediente sich ebenfalls. Der Geschmack der hellen, glasigen Lamellen, die in der Hand zerfielen, war in der Tat merkwürdig. Nicht Fisch, nicht Fleisch, aber von beidem etwas, genau wie das Tier, von dem es stammte. Bisher hatte Helm noch niemanden diesen Geschmack schildern hören, das wusste er genau, denn sein Gedächtnis war immer noch unbestechlich. Konnte es sein, dass sie die ersten waren, die Fleisch vom Panzerhecht aßen? Möglich; offenbar hatte es noch niemand vor ihnen geschafft, solch eine Bestie zu erlegen.

Sei’s drum, dachte er und nahm noch mehr. Sorgen machte er sich keine; seine Sinne waren so geschärft, dass er schnell erkannte, ob eine Speise womöglich unbekömmlich war, und hier empfing er keinerlei Warnsignale. Und was den Geschmack anging – solange sie noch Salz hatten, sollten ihm solche Unwichtigkeiten herzlich egal sein.

Sie aßen, soviel sie konnten, brieten von den restlichen Stücken so viele wie möglich durch und salzten den Rest ein. Das meiste des riesigen Tierkörpers war von vornherein nicht verwendbar erschienen und wieder im Kanal gelandet, trotzdem verfügten sie jetzt über einen beachtlichen Fleischvorrat. Das hatte Vor- und Nachteile, überlegte Helm. Gut, sie hatten tagelang reichlich zu essen, nicht bloß Hartbrot und Obst. Aber sie hatten auch schwerer zu tragen. Kein Problem, solange der Prahm schwamm und der Wind günstig stand, aber nicht mehr lange, und sie würden wieder an eine Schleuse kommen, wie schon kurz hinter Auck. Dann mussten sie den Prahm außen herum tragen, denn wie so gut wie alles andere aus dem technischen Zeitalter funktionierten auch die Schleusen nicht mehr. Das hölzerne Boot konnten sie zu zweit gerade bewältigen, mit Absetzen zwischendurch zum Verpusten. Ihr Gepäck aber mussten sie dazu herausnehmen, und das war durch das Fleisch nicht nur schwerer geworden, sondern auch reizvoller. Für Tiere aller Art ebenso wie für jeden Sammler, der es unbewacht vorfand. Und natürlich für Schergen oder Wegelagerer – ganz egal, ob nun bewacht oder nicht.

Ganz zu schweigen von den Drübenern. Bei denen wusste man nie, was einen erwartete.

»Helm«, fragte Gander, als sie ihr Boot beladen und vom Ufer abgestoßen hatten, »was suchen wir eigentlich in Wilmshaven?«

Helm zwang ein Lächeln auf sein Gesicht. »Wir suchen nicht, wir finden«, versuchte er zu scherzen. »Darum sind wir ja auch keine Sucher. Wir sind Finder. Das Wort Sucher ist schon anderweitig vergeben.«

»Ja, ja.« Gander lächelte ebenso gequält zurück. »Aber was wollen wir dort denn nun finden? Du hast versprochen, es mir zu sagen, bevor wir dort sind. Wenn ich dir helfen soll, muss ich doch wissen, worum es geht.«

Wo der Junge recht hatte, hatte er recht, dachte Helm und konzentrierte sich verbissen darauf, das Segel zu trimmen, bis es beinahe faltenfrei im Wind stand. »Wir wollen nicht etwas finden, sondern jemanden«, sagte er dann. »Nämlich eine Person, die wir sehr vermissen. Und eine weitere Person auch noch. Nämlich denjenigen, der für ihr Verschwinden verantwortlich ist.«

Gander sperrte Mund und Augen auf. »Du meinst – Engel? Wir suchen nach Engel?«

Helm sah davon ab, den Jungen erneut zu berichtigen, und nickte. »Ja, genau«, bestätigte er. »Wir holen deine Schwester zurück.«

 

3. Der Drübener

Obwohl sie so viel Zeit verloren hatten, kam die nächste Schleuse viel zu früh in Sicht. Helm barg das Segel und steuerte den Prahm unter die überhängenden Zweige eines Busches, der direkt in der Kanalböschung wurzelte und sich als harmlos erwies. Hier konnten sie halbwegs ungesehen abwarten, bis die Dämmerung eingesetzt hatte. Das Umtragen des Bootes und des Gepäcks war eine zeitraubende Angelegenheit und machte sie angreifbar. Da war der Schutz der hereinbrechenden Dunkelheit das mindeste.

Gander schien inzwischen Gefallen am Geschmack des Panzerhecht-Fleisches gefunden zu haben und ließ keine Gelegenheit aus, ihre Vorräte zu dezimieren. Jeder Heranwachsende würde das tun, dachte Helm, in diesen Zeiten; Ganders unnatürlicher Heißhunger war vorbei, nahtlos übergegangen in einen für sein Alter normalen Schmacht.

»Du, Helm«, sagte Gander, als er endlich gesättigt war und sich die fettigen Finger an seinem wollenen Überwurf abwischte, »was weißt du eigentlich über meinen Vater?«

Helm schüttelte den Kopf. »Gar nichts, mein Junge«, antwortete er. »Leider gar nichts. Ich habe ihn nie kennen­gelernt. Im Gegensatz zu deiner Mutter. Die habe ich sehr gut gekannt.«

Natürlich durchschaute Gander den Ablenkungsversuch. »Aber du weißt doch, wer mein Vater war«, hakte er nach. »Niemand will es mir sagen. Nane-Mö weint jedes Mal, wenn ich frage, und Ohm Focko hat sogar gedroht, mir eine zu scheuern, wenn ich nicht mit der Fragerei aufhöre.« Er grinste: »Ohm Focko ist inzwischen einen ganzen Kopf kleiner als ich. Aber ich glaube, er würde es trotzdem tun.«