Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2021 Sonja Bethke-Jehle

Illustration: Markus Jehle

Lektorat: Juno Dean

Korrektorat: Tanja Körber und Markus Jehle

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783753412535

Für alle Menschen, die vor die Entscheidung gestellt werden,

ein Teil ihrer Herkunftsfamilie zu bleiben oder mit ihrem

Lieblingsmenschen zu leben.

Liebe sollte kein oder sein, sondern ein und!

Sonja Bethke-Jehle wurde am 07.11.1984 im Odenwald geboren und lebt heute an der Bergstraße. Das Lesen und Schreiben ist bereits seit ihrer Kindheit eine große Leidenschaft von ihr. Mit dem ersten Teil der Umdrehungen-Trilogie veröffentlicht sie 2015 erstmals ein Buch. Ein großer Traum erfüllt sich. Die beiden Nachfolgebände, diverse Kurzgeschichten, die erfolgreiche Gesamtausgabe sowie die eigenständigen Romane Kontaktaufnahme und Tango in der Dunkelheit folgen. Nach Schrankgeflüster sind weitere Romane geplant.

Zusätzliche Informationen zu der Autorin finden Sie im Internet unter www.sonja-bethke-jehle.de

Vorwort

Die Geschichte von Jona, seiner Familie und seinen Freunden befindet sich zu Teilen bereits seit 2016 – also fünf Jahren – auf meinem Computer, in meinem Kopf und in meinem Herzen. Bis die Abschnitte sich zueinander fügten und die Puzzleteile ein Bild ergaben, dauerte es bis zum Sommer letzten Jahres.

Ich bin christlich erzogen und katholisch getauft worden. Mit dem Islam kam ich in Berührung, als Ece und ich nach der Grundschule in eine Klasse sortiert wurden. Wir wurden beste Freundinnen. In einer unversöhnlichen Welt, in der Kriegstreiber Religionen dazu nutzen, Menschen gegeneinander aufzuhetzen, um ihre eigene Macht auszubauen, interessierte uns an unseren unterschiedlichen Religionen lediglich die vielen Gemeinsamkeiten. Es war der Glaube an ein höheres Wesen, an die gleiche höhere Macht, die mir Jahre später Trost brachte, denn Ece starb bereits mit Anfang 20.

Schrankgeflüster ist der Versuch einen religionskritischen aber glaubensbejahenden Roman zu schreiben. Ich hoffe, es ist mir gelungen! Trotz meiner großen Probleme, die ich mit Religionen im Allgemeinen und den monotheistischen Strömungen im Speziellen habe, konnte ich die Faszination an einige der tröstlichen Rituale sowie den Glauben, dass da irgendetwas sein muss, nicht ablegen.

Solltet ihr Euch in einer ähnlichen Situation wie Jona befinden, hoffe ich von Herzen, dass ihr eine Vertrauensperson habt, der ihr Euch anvertrauen könnt. Sucht euch Verbündete und beginnt, über eure Zweifel, Probleme und Ängste zu sprechen. Ihr habt ein Recht darauf, zu sein, wer ihr seid; und die Person zu lieben, die ihr liebt!

Ich wünsche allen Leser*innen viel Spaß mit Jona und Flo. Mögen sie euch so sehr ans Herz wachsen, wie sie mir in den letzten fünf Jahren ans Herz gewachsen sind.

Eure Sonja.

»Schaust du dir das Spiel an?«

Jona stopfte die Fußballschuhe in die Sporttasche und nickte. »Sicher«, sagte er. Immer wieder nervte es ihn, dass viele dachten, er würde sich kein Spiel der Nationalelf ansehen, nur weil er Algerier war. Seine Familie war zwar erst vor zehn Jahren hierhergekommen, und sein Herz schlug nach wie vor für sein Heimatland, da viele seiner Verwandten dort lebten, trotzdem hatte er hier in Deutschland eine neue Heimat gefunden. Er hatte einen Schulabschluss erworben, obwohl ihm die Sprache fremd gewesen war, und anschließend eine Ausbildung gemacht. Nun arbeitete er in einem türkischen Obst- und Gemüseladen. Zwar verdiente er nicht viel, doch er war fest angestellt und profitierte von einer angenehmen Arbeitsumgebung. Er wusste, dass er das nicht nur seinem eigenen Willen zu verdanken hatte, sondern ebenso den Lehrern in der Schule und seinem Chef, der selbst Migrationshintergrund hatte, aber schon viel länger in Deutschland lebte.

Natürlich würde er sich das Spiel anschauen! Er war begeisterter Fußballer und liebte den Kitzel und die Spannung, die vor einem Tor spürbar waren. Die deutsche Mannschaft war ihm sympathisch, und er mochte die Art, wie sie ihre Manöver ausspielten.

»Ich feiere meinen Geburtstag nach. Wir grillen im Garten, danach sehen wir uns zusammen das Spiel an«, kündigte Luca an. »Hast du Lust zu kommen?«

Überrascht sah Jona ihn an. Er stand auf und hob die schwere Tasche hoch, um sie sich über die Schulter zu werfen. Noch nie war er zu jemandem nach Hause eingeladen worden. Also von keinem Deutschen. Von Hani wurde er natürlich ständig eingeladen. Weil er in Algerien ziemlich gut im Fußball gewesen war, hatte sein älterer Bruder Abdel ihn gedrängt, in den Verein einzutreten. Seine Eltern waren dagegen gewesen – zu teuer, sinnlos, unbrauchbar. Doch Abdel hatte nicht aufgehört, sich dafür einzusetzen. Und Jona war der Meinung, dass Fußball eine gute Methode war, um von sich und seinem Geheimnis abzulenken. Das war der Grund, warum er sich getraut hatte, sich gegen seine Eltern durchzusetzen.

Es fiel ihm schwer, mit Deutschen Freundschaften zu schließen. Er war innerhalb der Mannschaft ein Außenseiter. Was Lucas Einladung so ungewöhnlich machte.

»Es wird eine große Party. Ich meine, man wird nicht jedes Jahr 26, oder?« Luca grinste.

Jona zögerte.

»Von der Mannschaft kommen fast alle. Gib dir einen Ruck. Wir kennen dich immer noch nicht so richtig.« Luca klopfte ihm auf die Schulter.

Zusammen liefen sie auf den Ausgang der Umkleidekabine zu. Jona betrachtete Luca von der Seite und fragte sich, ob dieser irgendwas ahnte und sich nur mit ihm anfreunden wollte, weil er neugierig war. Zumindest war er keine große Gefahr für Jona, nichts an ihm faszinierte Jona auf die Art, wie er es schon bei anderen Männern empfunden hatte und von denen er sich fernhielt, um ja kein Risiko einzugehen.

»Du könntest jemanden mitbringen. Überleg es dir und sag mir Bescheid.«

Luca nannte ihm Uhrzeit und Adresse. Anschließend eilte er zu einer hübschen Frau, die rechts des Feldes auf ihn wartete. Er küsste sie auf die Wange und nahm sie in den Arm, bevor er mit ihr Richtung Ausgang ging.

Zumindest hatte er eine Freundin, was Jona beruhigte.

Aber was wollte Luca von ihm? Warum hatte er ihn eingeladen? Misstrauisch starrte Jona dem Pärchen nach und runzelte die Stirn. Wollte Luca ihn irgendwie verarschen? Sie hatten doch zuvor nie miteinander gesprochen.

Luca war beliebt, hatte eine Freundin und scheinbar einen großen Freundeskreis – wofür brauchte er Jona bei seiner Party? Oder wollte er einfach nur nett sein und dachte sich gar nichts dabei?

Trotz seiner Irritation verspürte Jona einen Hauch von Aufregung. Er würde sich vermutlich nur verdächtig machen, wenn er nicht käme. Dann wäre er erst recht der komische Typ, der mit keinem redete. Grundsätzlich klang die ganze Sache nach einer lustigen Grillparty, und Fußball nicht zu Hause mit seinen Eltern schauen zu müssen, schien ebenfalls verlockend.

Mit dem Besuch bei Jona könnte er endgültig klarstellen, dass er bei der Weltmeisterschaft eindeutig für Deutschland war, zumindest jetzt, nachdem Algerien in der Vorrunde rausgeflogen war.

Innerhalb der Familie sprachen sie in der Regel Arabisch. Obwohl seine Eltern behaupteten, sie sollten sich alle integrieren, hatten sie selbst nicht viel dafür getan. Beide konnten nur mittelmäßig Deutsch, waren strenggläubig und schwärmten für die Kultur und die Traditionen Algeriens. Abdullah, sein grauhaariger, gebeugter Vater würde das Deutschlandspiel niemals schauen, wenn nicht eines der Kinder zu Hause wäre und das einfordern würde. Nadira, seine Mutter, die zwar nicht viel jünger als sein Vater war, aber erheblich unverbrauchter aussah, trug nach wie vor ein Kopftuch, allerdings nicht auf die spielerische Art, wie es seine Schwester tat. Sie ging fast nie raus und verstand es als ihre einzige Aufgabe im Leben, ihre Familie zu versorgen. Sie hatte weder Hobbys noch besonders viele Freundinnen. Fußball interessierte sie nicht, sträuben würde sie sich allerdings nicht, wenn jemand von ihnen schauen wollte.

Zum Glück war seine Schwester Raya da anders, sie hatte einen guten Kompromiss zwischen Tradition und Integration gefunden. Sie sah mit ihrem Tuch, welches sie eher lässig über die Schultern warf, in Verbindung mit der westlichen Kleidung ziemlich modern aus. Stets ließ sie, vermutlich aus Protest gegen ihre Eltern, ein paar dunkle Locken herausschauen.

Jona war 25 Jahre alt und ging seit einigen Jahren arbeiten, trotzdem hatte er nie daran gedacht auszuziehen. Er würde vermutlich erst in eine eigene Wohnung ziehen, wenn man für ihn eine geeignete Frau gefunden hatte, die er aber gar nicht wollte. Jona hatte keine Ahnung, ob er bis an sein Lebensende bei seinen Eltern leben würde. Da er jede Frau ablehnte, die sie ihm vorstellten, würde es wohl genauso kommen. Dann wäre er ein seltsamer alter Mann, und jeder würde denken, ihn hätte keiner gewollt.

Lediglich sein älterer Bruder wohnte in einer eigenen Wohnung. Statt auf die Empfehlung des Vaters zu hören, hatte er keine Algerierin geheiratet, sondern lebte mit seiner Freundin zusammen, die er aus der Uni kannte. Ohne sie vorher geheiratet zu haben. Sie war Studentin, Abdel in der Uni Hausmeister. Alleine das hatte in der Familie für Empörung und viel Streit gesorgt. Der Gedanke, dass die Partnerin seines Bruders gebildeter war als Abdel, machte ihre Eltern zusätzlich nervös. Abdullah erwähnte regelmäßig, seine Hoffnung, die Familienehre aufrecht zu erhalten, läge nun auf Jona und seinem jüngeren Bruder, jetzt, wo er Abdel verloren habe. Abdel ließ sich immer seltener blicken, weil es sowieso nur Streit gab. Seine Freundin brachte er nie mit. Jona kannte sie nur, weil er Abdel häufiger besucht hatte.

Ungeachtet dessen, dass Abdels Lebensweise nicht mal ansatzweise das war, von was Jona manchmal träumte, hielt er Abdel für aufgeschlossener als den Rest der Familie. Schon einige Male hatte Jona überlegt, ob er sich Abdel anvertrauen sollte. Bisher hatte er es nicht gewagt.

»Ich sehe mir das Spiel am Wochenende bei einem Freund an«, teilte Jona beim Abendessen auf Arabisch mit.

»Welcher Freund? Und welches Spiel?«, erkundigte sein Vater Abdullah sich misstrauisch.

»Deutschland spielt im Achtelfinale, Baba«, erinnerte Raya ihn. Seine jüngere Schwester klang genervt und verdrehte die Augen in Jonas Richtung.

Abdullah schaute auf sein Essen und brummte etwas.

»Welcher Freund?«, wiederholte seine Mutter die Frage seines Vaters.

Nadira sah ihn erstaunt an.

»Vom Fußball. Ein Freund halt.« Jona stocherte in seinem Reis herum.

»Aha.« Nadira klang interessiert, aber sie hakte nicht weiter nach. Vermutlich, weil sie sich in Anwesenheit ihres Mannes nicht traute. Vielleicht würde sie später versuchen, ihn über Luca auszuhorchen, wie alt er war und wo er wohnte, und ganz wichtig: Ob seine Familie nett und Luca wohlerzogen war.

Jona seufzte. Manchmal nervte es ihn, wie wenig seine Eltern sich integriert hatten, wie wenig sie sich für das Land interessierten, das sie aufgenommen hatte. Gleichzeitig liebte er sie und wollte ihnen gehorchen und alles dafür tun, dass sie eines Tages stolz auf ihn sein konnten.

»Sind das Deutsche?«, hakte Abdullah nach und hob eine Augenbraue.

Raya verdrehte wieder die Augen. Sie lehnte sich von den drei in diesem Haushalt übrig gebliebenen Geschwistern am meisten gegen die alten Zwänge auf und war viel häufiger beim ältesten Bruder zu Besuch als alle anderen. Sie diskutierte mit ihrem Vater und nahm dabei kein Blatt vor den Mund. Sie scheute sogar einen lautstarken Streit nicht, wenn es darum ging, etwas durchzusetzen.

Rasch sah Jona zu Adil, der hämisch kicherte. Er war das jüngste Kind. Schrecklich angepasst und den Eltern nervig treu ergeben. Manchmal hatte Jona den Eindruck, als würde Adil sich freuen, wenn Raya oder er Ärger mit Abdullah hatten. Ständig offenbarte er seinen Spott und Hohn darüber. Adil folgte der Linie ihres Vaters protestlos. Er war der Einzige der Brüder, der regelmäßig zur Moschee ging und tatsächlich fünfmal am Tag betete. Als Abdel begonnen hatte, gegen sein strenges Elternhaus zu rebellieren, war Adil noch ein Kind gewesen. Vermutlich hatte der Vater geglaubt, auf Jona nicht mehr einwirken zu können, also hatte er die strengen Erziehungsmaßnahmen hauptsächlich an Adil ausgeführt, mit Erfolg. Adil war algerischer als mancher Algerier in der Heimat.

Wie so oft versuchte Jona sich an einer Art Mittelweg. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass er sich auf diese Weise so unauffällig wie möglich benahm. Er traute sich keinen offenen Protest und versuchte nur stillschweigend und heimlich auszubrechen. Er hatte nicht den Mut von Raya, das Selbstbewusstsein von Abdel oder den Willen, sich allem zu beugen wie Adil. Er wollte einfach nur unter dem Radar bleiben, um unauffällig zu bleiben.

»Ja, das sind Deutsche, aber ich werde Hani mitnehmen.«

Beruhigt nickte Abdullah und widmete sich wieder dem Essen. Nadira wirkte ebenfalls besänftigt. Sie lächelte ihn an und kontrollierte dann die Teller der Familie. Als sie sah, dass einige schon fast leer waren, sprang sie auf und eilte in die Küche, um Nachschub zu holen.

Hani war ebenfalls Algerier und lebte wie Jona bei seinen wenig integrierten Eltern. Gegen ihre Freundschaft hatte somit niemand etwas einzuwenden, und jeder schien beruhigt, wenn sie gemeinsam unterwegs waren. Solange er Hani dabeihatte, so dachten sie, würde er nichts anstellen. In Wahrheit trank er mit Hani ab und an ein Bier in einer Kneipe oder sie gingen ins Kino statt zum Gebetskreis, wie zuvor behauptet.

Eigentlich befanden sie sich in einer Art Zweckgemeinschaft. Jona hatte keine Ahnung, ob er mit Hani befreundet wäre, hätte er andere Freunde oder wären die Umstände andere. Abdullah war in der Firma von Hanis Vater untergekommen, was ihn davor bewahrt hatte, arbeitslos zu bleiben. Inzwischen war er wegen seines Rückens und den Gelenken in Frührente. Somit verdankten sie Hanis Familie viel, und scheinbar lag es an Jona, diese Dankbarkeit zu zeigen, indem er Hani überall hinschleppte.

Hani war ein gern gesehener Gast, im Gegensatz zu den Freundinnen von Raya, die größtenteils aus Deutschland stammten. Sie war die Einzige der Geschwister, die Deutsche mit nach Hause brachte. Nicht einmal Abdel hatte das gemacht, als er noch hier gewohnt hatte. Zwar waren die Mädchen alle wohlerzogen und nett, trotzdem war Nadira ihnen gegenüber skeptisch, und Abdullah ignorierte sie weitgehend.

Hani hingegen liebten sie, und sie waren bereit, bei ihm alle Augen zuzudrücken. Vielleicht lag es daran, dass er, ähnlich wie Jona, nur heimlich rebellierte: Nach außen hin war er stets der brave Sohn. Oder aber sie wagten nicht, Kritik auszusprechen, weil sie wussten, wie viel sie seinen Eltern verdankten.

Während Hani an der Haustür klingelte, balancierte Jona das Geschenk für Luca im Arm. Obwohl sie bereits ein Buch für ihn gekauft hatten, hatte es sich Jonas Mutter nicht nehmen lassen, ihm selbstgebackene Gebäckteilchen mitzugeben.

»Hey.« Luca schlenderte über den Rasen auf sie zu. »Kommt doch einfach durch den Garten.« Er öffnete das Gartentürchen und ließ sie beide rein. Freundlich begrüßte er zunächst Hani, dann gab er Jona die Hand.

»Meine Mutter hat dir was gebacken«, murmelte Jona und drückte Luca das

Geschenk in den Arm. »Nach einem Rezept aus Algerien.«

Es war ihm jedes Mal peinlich, wenn Nadira den Menschen traditionelles Essen aus Algerien schmackhaft machen wollte. Die meisten reagierten erfreut – genauso wie Luca, der neugierig auf das Präsent schaute.

»Kommt schon.« Er winkte ihnen und lief hinter das Haus.

Luca hatte auf jeden Fall nicht übertrieben, als er gesagt hatte, dass viele Leute kommen würden. In einzelnen Gruppen standen junge Frauen und Männer herum, aber auch einige Kinder rannten über den Rasen.

»Es gibt gleich Essen.« Luca zeigte auf den Grill.

»Schön wohnst du hier«, sagte Hani und nickte anerkennend zu dem Haus.

»Nur meine Eltern. Ich feiere hier nur meine Partys, weil es in meiner Wohnung dafür zu eng ist.« Luca sah amüsiert aus. »Nehmt euch was zu trinken und mischt euch unter das Volk.« Er legte das Geschenk auf einen Gartentisch am Rand der Terrasse, auf dem bereits andere Geschenke aufgestapelt waren.

»Echt cool.« Hani sah begeistert aus, während er sich umschaute.

Jona runzelte die Stirn und hob die Schultern. Er war nicht halb so glücklich wie Hani. Stattdessen fühlte er sich so unwohl, dass ihm ganz heiß wurde. Es waren zu viele Gäste. Zwar hatte er schon einige aus seiner Mannschaft erkannt, doch die standen alle bei Besuchern, die Jona nicht kannte. Viel zu selten war Jona auf Partys wie solchen, und er war verunsichert und wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Einerseits hatte er stets den Eindruck, dass man über ihn dachte, er wäre komisch oder nicht integriert, wenn er mit niemandem sprach, andererseits war er zu schüchtern, einfach zu fremden Leuten zu gehen, um sich vorzustellen. Aus dem Grund wollte er lieber nicht draußen im Garten bleiben.

»Lass uns reingehen«, bat er und zeigte durch die Terassentür auf das Wohnzimmer. Ein riesiger Fernseher hing an der Wand, und Lucas Freunde saßen auf dem Sofa, auf dem Boden und auf herbeigeschleppten Stühlen davor, um sich die Vorberichte anzuschauen. Wenigstens würden sie nicht wie zwei Idioten in der Gegend herumstehen und alle anstarren, sondern könnten vorgeben, beschäftigt zu sein.

Oft gingen Hani und er irgendwo hin, weil sie sich mal wieder vorgenommen hatten, rauszukommen und andere zu treffen, und dann lungerten sie doch nur wie zwei Deppen, die bestellt, allerdings nicht abgeholt worden waren, am Rand und sahen nur zu. So war es jedes Mal. Hani hatte genauso wenig Mut wie er selbst, aber eine viel größere Klappe.

Hani folgte ihm, wirkte dabei jedoch etwas enttäuscht. »Kennst du hier jemanden?«, fragte er, als Jona durch die Terrassentür ging.

»Nicht so richtig«, murmelte Jona und lehnte sich gegen die Wand. »Ich habe nicht so viel mit denen zu tun.«

»Aber ihr spielt zusammen Fußball.« Ratlos musterte Hani ihn und stellte sich daneben.

Jona hob die Schultern und starrte nach vorne zum Bildschirm.

»Dieser Luca war ja eigentlich ganz nett«, fügte Hani hinzu.

»Wenn du draußen jemanden vollquatschen willst, kannst du das ja gerne tun.« Jona verlagerte sein Gewicht.

Hani verdrehte die Augen. Genau das hatte Jona erwartet. Sein Freund hatte die tollsten Ideen, war aber zu feige, um sie auszuführen. Oft schickte er Jona vor. Zum Beispiel, wenn es darum ging, Frauen anzusprechen oder in einer Kneipe an der Theke Bier zu bestellen. Hani tat so cool, war aber genauso hilflos wie Jona und kam genauso wenig mit deutschen Mitmenschen zurecht. Erst bei ihren algerischen Freunden taute er auf und war eine Spaßkanone.

Das war bei Jona anders. Das Problem war nicht, dass er nicht integriert war, das Problem war eher, dass er schüchtern war und Angst hatte, dass man ihm etwas anmerken würde, wenn er mit einer Frau sprach. Oder mit einem Mann.

Er wollte keinen schwulen Eindruck erwecken und versuchte deswegen, besonders charmant bei Frauen zu sein, andererseits hatte er dabei Berührungsängste wegen seiner Religion. Abdullah sah es nicht gerne, wenn er zu viel mit Frauen zu tun hatte. Bei Männern war es jedoch genauso gefährlich, denn Jona achtete stets darauf, ihnen niemals zu nahe zu kommen, weil genau das genauso verdächtig war. Es war ziemlich anstrengend. Mit Männern konnte er nicht umgehen, weil er schwul war, mit Frauen ebenso nicht, weil er Moslem war. Wie man es drehte und wendete, es schien, als sei er für die Einsamkeit bestimmt.

Angefangen hatte es vor ungefähr fünf Jahren, als ihm bewusst geworden war, dass er homosexuell sein könnte. Zuvor hatte er zu viele andere Sorgen gehabt, um groß darüber nachzudenken.

In seiner Kindheit war der Bürgerkrieg in Algerien ausgebrochen, dessen Auswirkungen ihn bis heute quälten. Seine Eltern waren arbeitslos gewesen und hatten keine Perspektive für ihre Kinder im Heimatland gesehen. Die Entscheidung, alles zu verkaufen, war ihnen sicherlich nicht leichtgefallen. Jona erinnerte sich gut, dass weder er noch seine Geschwister hatten hierherkommen wollen, die Flucht war ihnen auch erst im zweiten Anlauf gelungen. Beim ersten Versuch war Abdullah verhaftet worden, was die Lage der Familie nicht verbessert hatte. Der Gefängnisaufenthalt hatte Abdullah verändert und etwas in ihm kaputt gemacht. Jona wusste nicht, was genau man ihm angetan hatte, er war sich allerdings sicher, dass sein Vater gefoltert worden war.

Raya und Abdul schienen das vergessen zu haben, doch Abdullah war nicht immer so gewesen, er hatte in Algerien viel mit seinen Kindern unternommen und war lebensfroh gewesen. Nadira war noch fröhlicher gewesen, und beide hatten mal einen liebevollen Umgang miteinander und zu den Kindern gepflegt.

Es folgte diese Idee von der Flucht und die Verhaftung von Abdullah, und ihr Leben war auseinandergefallen wie der Plastikbagger, den Jona während der Flucht bei sich gehabt hatte und den sein älterer Bruder jedes Mal aufs Neue mit Klebeband repariert hatte – bis das nicht mehr geholfen hatte.

Dann hatte sein Vater keine Arbeit mehr gefunden, und ihre Familie wurde geächtet. Spätestens zu diesem Zeitpunkt gab es für sie keine Alternative, als es erneut mit der Flucht zu versuchen. In Deutschland war das Leben zunächst mühsam gewesen. Was auch immer sich seine Eltern vorgestellt hatten, ihre Träumereien waren keine Wirklichkeit geworden. Anfänglich hatten sie in einer Asylunterkunft gelebt, an die Jona nur schlechte Erinnerungen hatte. Die Eingewöhnungsphase und das jahrelange Bangen darum, ob sie bleiben durften, hatte Jona so mitgenommen, dass ihm nicht danach gewesen war, sich Gedanken über seine Sexualität zu machen.

Ein weiteres Mal kam ihm der Gedanke, ob er das nicht einfach loswerden konnte, das Verlangen danach, sich Männer im Internet anzusehen oder irgendwelche Fremden in der Straßenbahn zu beobachten und zu bewundern, wie sie sich bewegten, wie sie sich gaben. Ob er die Sehnsucht danach, von einem Mann berührt und angefasst zu werden, irgendwie hinter sich lassen könnte. Es würde so viele Probleme lösen.

»Hey!« Luca beugte sich durch die Terrassentür nach drinnen. »Kommt. Die ersten Würstchen sind fertig.« Er grinste und winkte sie alle nach draußen.

Das Essen war weniger schlimm, als Jona befürchtet hatte. Zwei weitere Mannschaftskameraden kamen zu ihm und Hani und begannen ein Gespräch, sodass sie nicht isoliert von der Gruppe waren. Hani verzichtete komplett auf Fleisch, weil er befürchtete, dass das Rindfleisch mit Schweinefleisch in Berührung gekommen war. Jona jedoch nahm ein Steak vom Rind gerne an. Hanis Abneigung gegen Schweinefleisch war so extrem, dass man es kaum noch als religiösen Gehorsam bezeichnen konnte. Er behauptete, ihm würde bei dem Geruch schon schlecht.

Jona selbst hatte einmal Schweinefleisch gegessen, als er in der Schule gewesen war. Damals hatten ihm die Mitschüler einen Streich gespielt und behauptet, es sei Geflügelwurst. Erst nachdem er das ganze Brot verspeist hatte, fest davon überzeugt, seine Mitschüler wollten ihm nur aushelfen, weil er vergessen hatte, sein eigenes morgens einzupacken, waren sie lachend zusammengebrochen. Weil Jona sich keine Blöße hatte geben wollen, war er nicht sofort aufgesprungen, um sich den Mund auszuspülen. Er hatte es ausgehalten, den ganzen Schultag zu überstehen, und so getan, als würde es ihm nichts ausmachen. Erst zu Hause hatte er sich die Zähne geputzt.

Er hatte sich gedemütigt gefühlt, verletzt, ausgeschlossen und nicht akzeptiert. Auf so eine Erfahrung hätte er gerne verzichtet, denn es hatte verursacht, dass er den Menschen weniger vertraute und sich schwerer tat, Freunde zu finden.

Pünktlich zum Anpfiff setzten sich alle ins Wohnzimmer vor den Fernseher. Hani und Jona ergatterten einen Platz auf dem großen Sofa eng aneinandergedrückt. Das ganze Wohnzimmer war ziemlich voll.

Auf seiner anderen Seite, ebenfalls dicht neben ihm, saß eine Frau in seinem Alter. Sie hatte die Beine nach oben gezogen, und ihre Füße berührten seinen Oberschenkel. Zunächst war es ihm unangenehm. Ihre Nähe machte ihn nervös. Er konnte ihr Parfüm riechen, und er mochte es, wenn sie lachte. Er hatte so wenig Kontakt mit jungen Frauen in seinem Alter, dass selbst seine Homosexualität es nicht verhindern konnte, dass er aufgeregt war, sie so nah neben sich zu wissen. Ständig musste er daran denken, was sein Vater sagen würde, würde er ihn so sehen.

Bei dem Anblick der jungen Frau neben sich dachte er darüber nach, wie seine Mutter die Szene kommentieren würde. Die langen, blonden Dreadlocks, das Piercing in der Nase und das knappe Oberteil würden sie die Nase rümpfen lassen.

Die ganze Gruppe war gut gelaunt und kommentierte das Spiel auf eine witzige Art und Weise; oft versuchten sie sich zu übertrumpfen mit dummen Sprüchen oder frechen Wortwitzen. Nicht nur Jona musste einige Male laut lachen, Hani amüsierte sich ebenfalls.

Es war das erste Mal, dass Jona so viel Spaß bei einem Fußballspiel hatte. Wenn Algerien spielte und die ganze Familie vor dem Fernseher saß, war das ein kleines Highlight in seinem ansonsten recht grauen Alltag, doch auch das konnte es nicht mit dem heutigen Erlebnis aufnehmen. Das Spiel war nicht besonders spannend, da die deutsche Mannschaft ziemlich schnell hintereinander zwei Tore schoss, doch ungeachtet dessen machte es Spaß. Sie saßen mitten in einer Gemeinschaft, und je weiter das Spiel voranschritt, desto entspannter wurde Jona. Er fühlte sich wohl und plauderte sogar in der zweiten Halbzeit mit der Frau, die neben ihm saß. Er erfuhr, dass sie Stefanie hieß, lieber Steffi genannt wurde, zwei Jahre älter als er war und Luca kannte, weil sie früher in seiner Nachbarschaft gewohnt hatte.

Direkt nach dem Spiel standen Hani und er auf, um sich zu verabschieden. Alle anderen machten den Eindruck, als würden sie jetzt erst richtig losfeiern, doch sie hatten ihren Eltern versprochen, nicht zu lange weg zu bleiben. Sie bedankten sich bei Luca und liefen zusammen zu Hanis Auto.

»Das war echt ein toller Abend«, schwärmte Hani.

»Ja, das war er wirklich.« Jona stieg ins Auto ein und grinste, während er sich anschnallte.

»So zufrieden habe ich dich ja schon ewig nicht mehr gesehen«, behauptete Hani und erwiderte das Grinsen. Er startete das Auto, ohne sich anzuschnallen. Erst nachdem er einige Meter gefahren war, holte er das nach. Er musste wohl einfach mal wieder den Coolen spielen.

»Ich habe mich wohl gefühlt«, bestätigte Jona.

»Und Stefanie?« Hani lachte und zwinkerte ihm zu. Es sah merkwürdig aus, wenn er das machte, zwanghaft cool und gerade deshalb albern.

»Was soll mit ihr sein?« Jona hob die Schultern.

»Findest du sie süß?« Hani fuhr um die Kurve und beschleunigte.

Jona hob wieder die Schultern. Er hasste diese Art des Aushorchens. Leider kannte Hani kaum ein anderes Thema als Frauen. Er hatte keine Freundin und vermutlich nie eine gehabt, trotzdem tat er manchmal so, als wäre er der größte Macho und Frauenschwarm.

»Sicher findest du sie süß.«

»Vielleicht.« Jona seufzte. Er hasste es, dass er ständig beobachtet wurde und jeder darauf wartete, dass er sich in ein Mädchen verliebte. Es war schon schlimm genug, schwul zu sein und für immer alleine zu bleiben, mussten alle um ihn herum ihm auch noch ständig Druck machen? Konnten sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Vermutlich würde er sowieso ein einsames Leben führen, war das nicht schon Strafe genug?

»Habt ihr Nummern ausgetauscht?« Hani kicherte.

Jona sah ihn an und schüttelte den Kopf.

»Warum nicht?« Hani runzelte die Stirn.

»Glaubst du, mein Vater würde es zulassen, dass ich mich mit einer deutschen Frau verabrede?« Jona verschränkte die Arme und schnaubte. Abdullah würde bald eine Frau für ihn aussuchen, mit großer Wahrscheinlichkeit eine Algerierin, die man zur Hochzeit nach Deutschland einfliegen lassen würde, und Nadira würde voller Eifer die Festlichkeit planen.

Jona hatte das ganze Theater mit Abdel angesehen, der genau das nicht mit sich hatte machen lassen. Er wusste aber, dass er nicht so stark war. Abdel konnte sich durchsetzen, notfalls mit Androhung des Kontaktabbruchs, Jona hatte zu große Furcht. Er würde sich vermutlich beugen und heiraten, weil man es von ihm verlangte. Sein älterer Bruder hatte sich geweigert und war als Konsequenz ausgezogen. Das war für ihn keine Alternative.

»Du musst es ihm ja nicht sagen.« Hani hob die Schultern.

»Nicht so mein Ding.« Jona schüttelte den Kopf.

»Was ist nicht dein Ding?« Hani bremste beim Ortsschild abrupt ab, weil direkt danach ein Blitzer kam.

»Ein Mädchen heimlich daten, ohne eine Chance auf eine gemeinsame Zukunft«, brummte Jona. »Was bringt mir das?«

»Spaß?«

»Ne, kein Interesse. Es ist erbärmlich.«

»Dann ist dir wohl noch keine heiße Frau über den Weg gelaufen.« Hani bog nach links ab, ohne zu blinken.

»Als hättest du schon mal ein heimliches Date gehabt.« Jona verdrehte die Augen. Er hob die Hände und fuhr sich damit durch die Haare. »Du hast immer so tolle Sprüche auf Lager, aber selbst traust du dir ja auch nichts zu.«

»Ich hatte sehr wohl Verabredungen«, betonte Hani.

»Treffen mit meiner Schwester oder deinen Cousinen zählen nicht, Hani«, erinnerte Jona ihn. »Wenn du dich mit Frauen triffst, die aus Algerien stammen, ist das nicht sonderlich mutig oder gar aufregend.«

»Nein, ich hatte richtige Dates.« Hani grinste und hielt vor Jonas Haus an.

»Klar.« Jona verdrehte die Augen. Er schnallte sich ab.

»Doch, sicher.«

»Arbeitskolleginnen in der Kaffeepause zählen auch nicht.« Jona öffnete die Tür und stieg aus. »Danke fürs Heimbringen«, fügte er hinzu und beugte sich hinab, um ins Auto hineinsehen zu können.

»Jona?« Hani lehnte sich über den Beifahrersitz. »Ganz im Ernst jetzt. Jeder macht das ab und zu. Ich weiß, dass du deinem Vater gehorchst, du solltest allerdings wenigstens dein Leben genießen, bevor du ... Wir alle wollen später fürsorgliche Ehemänner sein und eine große Familie haben, doch … bis dahin darfst du … Frauen treffen. Du solltest nur nicht darüber sprechen.«

Jona lehnte sich gegen die geöffnete Tür. »Willst du das wirklich, Hani? Heimlich irgendwelche Mädels treffen, mit denen du keine Zukunft hast? Und willst du dir tatsächlich eine Frau aussuchen lassen und mit einer Wildfremden Kinder zeugen?«

»Willst du das nicht?« Hani sah ihn verständnislos an.

Jona hob die Schultern. Niemals würde er Hani sagen, was bei ihm los war. Trotzdem konnte er nicht glauben, dass Hani nicht wenigstens ein bisschen den Wunsch verspürte auszubrechen.

»Willst du enden wie dein Bruder? Alleine ohne Familie?«, hakte Hani nach.

»Nein, natürlich nicht.« Jona schluckte.

»Siehst du?« Hani trommelte auf dem Lenkrad. »Also mein Bruder und seine Frau haben sich nach der Hochzeit lieben gelernt. Du kennst sie ja. Sie sind wunderbar zusammen.«

»Das ist nicht die Regel, Hani, und das weißt du.« Jona warf die Tür zu. Weil er wusste, dass er sich sonst mies fühlen würde, drehte er sich nochmals um, um Hani zu winken. Dieser winkte jedoch nicht zurück, sondern sah gekränkt aus.

Er war so gut gelaunt gewesen, jetzt saß er wie ein Häufchen Elend in seiner alten Karre. Jona hatte ein schlechtes Gewissen und war atemlos angesichts der Zwänge, die seine Familie, seine Religion ihm auferlegten. Manchmal bekam er Wut, wenn er seine deutschen Teamkollegen aus dem Fußball sah, die sich aussuchen konnten, welche Frau sie heirateten, die die Wahl hatten, ob sie Kinder wollten oder nicht, oder ob sie ganz einfach Single bleiben wollten. Ganz schlimm war es, wenn Jona Schwule auf der Straße sah. Es kam nicht so oft vor, aber wenn, dann war der Neid so allumfassend, dass er sich schnell in Wut verwandelte. Jona hätte auch gerne eine Wahl. Und er hasste es, dass er für die Wahl so hart kämpfen musste, wie es sein älterer Bruder getan hatte. Vermutlich noch viel mehr.

Für Jona war die Tatsache, dass er auf Männer stand, zwar eine Katastrophe, doch es fühlte sich natürlich an. Nicht gewöhnlich, aber wie etwas, das schon ewig da gewesen war. Bevor ihm die ganze Sache bewusst geworden war, hatte er schon unbewusst für Männer geschwärmt. Erst später hatte er verstanden, warum er sich in einem Sportmagazin lieber die Bilder ansah, auf denen ein Mann zu sehen war, als die mit dem tollen Körper einer Frau. Er war in dem Bewusstsein erwachsen geworden, dass Männer das attraktivere Geschlecht waren. Erst später, als seine Freunde begonnen hatten, über Frauen zu sprechen, war ihm klar geworden, dass nicht alle Menschen so empfanden.

Angeblich war es eine Sünde, Jona verstand allerdings nicht, warum Gott sich daran stören sollte, wenn er sich selbst zum Orgasmus brachte, während er sich im Internet erotische Bilder ansah. Es waren nicht einmal Pornos, denn er wagte nicht, solche Seiten zu öffnen, aus Angst vor einem Virus oder dass jemand erfuhr, wo er sich herumgetrieben hatte. Seine Eltern hatten freilich keine Ahnung, wie sie einen Computer bedienten, doch seine Geschwister kannten sich gut genug aus. Nur etwas freizügigere Bilder von Models, die sah er sich an. Was konnte daran Sünde sein? Er tat ja damit niemandem weh. Anders wäre es natürlich, wäre er verheiratet und würde mit einem Mann schlafen. In dem Fall würde er die Gefühle seiner Frau verletzen. Es wäre Sünde im doppelten Sinne: Ehebruch und homosexuelles Verhalten.

Aber das hier?

Jona konnte sich wirklich nicht vorstellen, dass Gott sich um banale Dinge wie so etwas kümmerte, wenn es überall sonst auf der Welt Mord und Totschlag, Kriege und Korruption, Elend und Hunger gab. Da war er, der sich Erleichterung suchte und dabei die falschen Bilder ansah, sicherlich unwichtig.

Trotzdem fühlte Jona sich danach stets schlecht, und das war heute wieder Fall. Er löschte den Verlauf seines Internetbesuchs und klappte den Laptop zu. Anschließend öffnete er die Tür, die er sicherheitshalber abgeschlossen hatte, obwohl er gerade alleine in der Wohnung war, huschte über den Flur und wusch sich ordentlich die Hände. Erst danach ließ er sich auf den Schreibtischstuhl in seinem kleinen Zimmer nieder.

Nachdenklich spielte er mit dem Kabel der Maus herum und schauderte. Er war verrückt nach Selbstbefriedigung, und das war in den letzten Jahren schlimmer geworden. Vorher spürte er Aufregung, währenddessen ebenfalls, danach fühlte er sich allerdings selten wohl, sondern eher dreckig. Nur wenn er sich nachts verwöhnte, im Dunkeln und unter der Decke, genoss er die Momente nach dem Orgasmus, wenn sich der ganze Körper entspannte. Danach schlief er meist wie ein Baby, und am Morgen wachte er energiegeladen auf.

Er wusste genau, wie bescheuert es war. Warum sollte Selbstbefriedung besser sein, wenn man es im Dunklem machte? Das war absurd. Als könne man Gott damit täuschen. Aber zumindest konnte Jona anscheinend sich selbst damit täuschen.

Am Anfang hatte Jona verzweifelt versucht, an Frauen zu denken, während er sich berührte, doch es machte einfach keinen Spaß. Zum Orgasmus kam er zwar – irgendwann, nach einer quälend langen Zeit. Meist schlich sich gegen Ende doch noch ein Abbild von einem Mann vor sein inneres Auge. Für Jona war es eben normal, währenddessen an Männer zu denken.

Seufzend klappte er den Laptop erneut auf und kontrollierte, ob der Verlauf tatsächlich gelöscht war. Er war ziemlich paranoid deswegen, denn es wäre eine Katastrophe, wenn Raya oder gar Adil etwas erfahren würden.

Er rief die Homepage seines Fußballvereins auf. Gleich auf der Startseite war ein Gruppenbild von ihnen. Jona war weit hinten zu sehen, fast verdeckt von zwei anderen Spielern. Luca hingegen sah man gut. Er kniete vorne in der ersten Reihe neben dem Torwart. Er strahlte in die Kamera und hatte den Arm um den Torwart gelegt. Die zwei anderen Spieler, mit denen Jona auf der Party gesprochen hatte, standen in der zweiten Reihe. Auch sie lachten.

Jona war froh, dass er auf der Party gewesen war. Er musste ständig daran denken, wie es gewesen war, eingequetscht zwischen Hani und Stefanie zu sitzen und den frechen Sprüchen der anderen zu lauschen, während sie das Spiel ansahen. Und wenn ein Tor fiel, hatten sie alle zusammen gejubelt. Es hatte richtig real gewirkt, so als hätte Jona Freunde. Echte, wahre Freunde.

Die wenigen Bekannten, die Jona hatte, waren algerischer Herkunft, und ihre Eltern waren ebenfalls alle miteinander befreundet. Es war wie eine Zweckgemeinschaft. Sicherlich notwendig, wenn man bedachte, dass Jonas Familie vor zehn Jahren hier bei Null angefangen hatte, aber eben nicht wahrhaftig. Lediglich Hani, den wollte Jona nicht missen, obwohl er manchmal mit seiner gespielt draufgängerischen Art nervte. Ja, es hatte den Anschein, dass Hani dem am nächsten kam, was man einen beständigen und treuen Freund nennen würde. Er glaubte, dass Hani ihn mochte. Oder bewunderte. Warum auch immer.

Jona fragte sich, ob er ein zweites Mal eingeladen werden würde. Es wäre cool, wenn er mehr Anschluss finden könnte. Er stellte sich gerade vor, dass er derjenige war, der eine Grillparty veranstalte. Er musste kichern, als er an die Blicke seiner Familie dachte, wenn sie die langen Haare von Luca sahen oder Stefanie, die Jona kumpelhaft in den Arm nahm, ohne an eine Etikette zu denken. Dann wurde er sofort traurig, denn ihm wurde bewusst, dass er niemals selbst eine Grillparty organisieren würde. Die Welten waren einfach zu unterschiedlich, viel zu weit voneinander entfernt. Die Tatsache, dass Jona weder in der einen noch in der anderen komplett anwesend war, verursachte vermutlich, dass er so verdammt einsam war.

»Hey.«

Als wären sie nicht schon seit zwei Runden im Stadion gejoggt, grinste Luca ihn an und hob die Hand. Er überholte Jona, drehte sich im Laufen um und joggte rückwärts vor ihm, um ihn zu mustern.

»Hallo.« Jona fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Der Schweiß fühlte sich heiß an.

»Das Gebäck von deiner Mutter war lecker.« Luca lächelte. Er wandte sich um und joggte neben Jona.

»Freut mich sehr.« Jona vergaß, dass ihm die Oberschenkel schmerzten. Dass Luca ihn angesprochen hatte und die Backkünste seiner Mutter lobte, stimmte Jona das erste Mal an dem Tag fröhlich. Könnte Luca ein Freund werden? Ein richtiger, echter Freund, durch den Jona ein bisschen in die Welt seiner deutschen Mitbürger eintauchen konnte? »Soll ich dir noch mal welche mitbringen?«, erkundigte er sich höflich.

Luca winkte ab. »Nein, Quatsch. Ich will deiner Mutter keine Umstände machen.«

Jona konzentrierte sich wieder auf sein Laufen. Lucas Ablehnung verletzte ihn ein bisschen. Ob Luca sich nur über ihn lustig machen wollte? Warum hatte er ihn sonst angesprochen?

»Wo schaust du dir das nächste Deutschlandspiel an?«, erkundigte Luca sich.

Jona hob die Schultern. »Keine Ahnung.« Eigentlich zusammen mit seinen jüngeren Geschwistern im Wohnzimmer seiner Eltern, doch das wollte er nicht so offen sagen. Es war erbärmlich, wenn er erwähnte, wie oft er daheim war oder dass er überhaupt noch dort wohnte, das war ihm bewusst.

»Wir gehen in unsere Stammkneipe. Dachte, du hättest auch eventuell Lust.

Kannst auch deinen lustigen Kumpel mitbringen.« »Hani?«

Jona war verwirrt.

Luca grinste. »Ja, der kam gut an.«

Jona runzelte die Stirn. Damit hatte er nicht gerechnet, eher, dass alle von Hani genervt waren, weil er manchmal so cool tat, obwohl er in Wahrheit der uncoolste Typ der Welt war.

Luca streckte die Hand aus. »Gib mir dein Handy, ich speichere dir meine Nummer ein. Wir bleiben in Kontakt.«

Fassungslos sah Jona ihn an, dann blieb er stehen, griff in seine Hose, zog das Handy aus der Seitentasche und reichte es Luca. Während dieser etwas eintippte, betrachtete Jona die langen Haare, die Luca während des Sportes zu einem Knoten zusammenband Ob Luca sehr darunter schwitzte? Er hatte ziemlich dichtes Haar. Beim Fußball nervte es bestimmt, aber es sah richtig cool aus.

»Schreib mir einfach nach dem Training, damit ich deine Nummer auch habe«, wies Luca ihn an.

»Wer ist … wir?«, erkundigte Jona sich anschließend und steckte das Handy ein. Er war nie mit Anderen außer Hani in einer Kneipe verabredet gewesen, und er freute sich, dass Luca an ihn gedacht hatte. Trotzdem wollte er wissen, mit wem er es zu tun hatte. Es wäre möglich, dass man ihn sah und seinen Eltern berichtete, mit wem er sich rumgetrieben hatte. Wenn das der Fall wäre, würde er sich abermals einen Vortrag darüber anhören, dass es nicht ehrenvoll war, zu trinken und einen lockeren Umgang mit Mädchen zu haben.

Wann hatten Abdullah und Nadira eigentlich aufgehört, sie bei der Integration zu unterstützen? Vor zehn Jahren, als sie ganz neu hier gewesen waren und im Asylantenheim lebten, hatten sie dafür gesorgt, dass sie alle die neue Sprache rasch lernten, um möglichst bald in der Schule mitzukommen. Sie hatten Raya sogar erlaubt, regelmäßig mit ihrer Freundin in die katholische Bücherei in den Räumlichkeiten der Kirche zu gehen, weil sie der Meinung waren, dass Bücher förderlich waren.

Doch irgendwann hatte sich das Blatt gewendet. Möglicherweise zu dem Zeitpunkt, als sie gemerkt hatten, dass sie sich selbst nicht richtig eingliedern konnten und ihre Kinder einfach besser darin waren. Es war ihnen nie gelungen, tatsächlich hier anzukommen, obwohl sie in Algerien nicht mehr sicher und ebenfalls kein Teil der Gesellschaft mehr gewesen waren. Womöglich steckte hinter all dem nur die Angst, dass sie hier fest verwurzelt waren, während ihre Eltern nach wie vor nur Besucher zu sein schienen.

»Timmy, ich und Thomas, es kommen noch ein paar andere Freunde, die du nicht kennst. Steffi kommt auch.« Luca hob die Augenbraue und grinste.

»Steffi?« Jona spürte, dass ihm langsam heiß wurde. Er räusperte sich schnell.

»Stefanie. Du hast neben ihr gesessen und dich blendend mit ihr verstanden.« Luca schlug ihm auf die Schulter.

»Ach so.« Jona wischte sich den Schweiß aus dem Nacken. »Nicht, dass du denkst, dass ...«

»Ach.« Luca winkte ab. »Ich denke gar nichts.« »Nein, im Ernst. Wirklich«, betonte Jona hastig.

»Mach dir keine Gedanken. Ich wollte lediglich damit ausdrücken, dass sie Single ist.« Er zwinkerte Jona zu und gab dann Gas.

Jona ließ er mit einem unguten Gefühl zurück. Er starrte Luca hinterher und fragte sich, wie er solche Gerüchte loswerden konnte. So etwas konnte er keineswegs gebrauchen. Nicht mal als Ablenkung von seiner Homosexualität taugte es, da seine Eltern ihm den Kopf abreißen würden, wenn sie erfuhren, dass er mit einem deutschen Mädchen flirtete. Außerdem ... Was sollte eine Frau wie Stefanie schon mit ihm zu tun haben wollen? Er war langweilig, schüchtern und in ihren Augen sicherlich auch etwas seltsam.

Trotzdem würde Jona in die Kneipe gehen, einfach, weil er merkte, dass es ihm guttat, mit Menschen in seinem Alter das Spiel anzusehen. Ein kleiner Ausflug in die Freiheit, bevor er zu seiner Familie zurückkehren musste.

Die Kneipe war natürlich voll, und Jona und Hani mussten sich durch die Menge kämpfen. Stefanie entdeckte sie als Erstes und winkte. Erleichtert erwiderte Jona den Gruß und zog Hani hinter sich her durch das Gedränge. Luca stand auf, gab ihnen die Hand und wies ihnen Plätze auf der Bank in der Ecke zu. Schon zuvor war die Bank voll gewesen, jetzt aber war es richtig eng und unbequem, Jona fühlte sich dennoch wohl. Er saß erneut zwischen Stefanie und Hani und war damit in fast gewohntem Gebiet.

Abgesehen von Luca und Mario war niemand vom Fußball da. Einige kannte Jona von der Gartenparty, allerdings konnte er sich nur schwach an sie erinnern. Er hatte nie mit ihnen gesprochen. Ihm gegenüber saß ein Pärchen, von dem er wusste, dass sie nicht bei Lucas Party gewesen waren. Die Frau hatte die Beine auf den Stuhl gezogen und umschlang sie mit beiden Armen, das Kinn auf den Knien abgelegt. Es sah unbequem aus, gleichzeitig irgendwie sehr unbefangen und zwanglos. Ihr Freund war der Inbegriff von Lässigkeit. Er hatte den Arm um ihre Schultern gelegt und hing breitbeinig und mit einer unbekümmerten Miene auf dem Stuhl. Abwesend streichelte er ihren Rücken und starrte zum Fernseher. Seine Haare waren halblang und reichten ihm bis ans Kinn. Sein Shirt war verwaschen. Ein Piercing steckte in seiner Augenbraue. Bartstoppeln zierten sein Gesicht.

»Trinkt ihr Bier?«, wollte Luca wissen und beugte sich zu ihnen über den Tisch.

Jona zögerte. Normalerweise natürlich nicht, doch er wollte sich nicht die Blöße geben.

Hani war mutiger. Er schüttelte den Kopf. »Nein, danke.«

»Dann gibt‘s Wasser«, stellte Luca fest und wartete nicht mehr auf Jonas Antwort, sondern drehte sich um.

Jona sah Luca hinterher, der für sie an die Bar ging. Er überlegte, ob es wirklich nur Bier und Wasser gab, er wollte Luca allerdings nicht hinterherrufen und ihm sagen, dass er gerne eine Limonade oder Apfelsaftschorle gehabt hätte. Schließlich war er dankbar dafür, dass Luca sie ein wenig unter seine Fittiche nahm.

»Also, ihr spielt mit Luca Fußball?«, erkundigte sich plötzlich der Mann ihnen gegenüber.

Er hatte den Arm von den Schultern seiner Freundin gelöst und sich auf den Tisch gestützt. Vor ihm stand ein Bier. Er spielte mit den Fingern an dem Glas herum, indem er es in den Händen drehte. An seinem linken Handgelenk trug er mehrere Lederbändchen. Er sah nicht zu ihnen, trotzdem war es klar, dass er sie meinte.

Jona räusperte sich. Er fühlte sich unsicherer, als er es sonst sowieso war. Der Mann strahlte eine Präsenz aus, die ihn beeindruckte. »Nur ich.«

Nun blickte sein Gegenüber kurz auf. »Ah ja.« Er sah wieder zum Fernseher.

Obwohl Jona wusste, dass es unhöflich war, konnte er nicht wegsehen und starrte auf die Finger, die nach wie vor gedankenverloren mit dem Glas spielten. Der Mann hatte sehr helle Augen, dafür, dass er braune Haare und eine sonnengebräunte Haut hatte. Schöne, hellblaue Augen, fast als wären sie farblos. Ein schmerzendes Ziehen fuhr durch Jonas Körper.

Als der Mann sich ein weiteres Mal zu ihm wandte, zuckte Jona zusammen und schluckte schwer.

»Ich bin übrigens Florian. Meine Freunde nennen mich Flo.«

»Hani.« Hani grinste, anschließend konzentrierte er sich auf den Bildschirm, völlig unbeeindruckt von dem Mann.

Kurz musterte Flo seinen Freund, betrachtete dann Jona und schob das Glas zur Seite, um Jona die Hand hinzuhalten.

»Jona.« Schüchtern schüttelte Jona die Hand und bemerkte, wie weich sie war. Er schluckte erneut. Er wusste genau, was gerade bei ihm passierte, und er wollte es nicht. Das würde alles kaputt machen. Er hasste es, verknallt zu sein, denn in dem Zustand benahm er sich noch komischer als sonst und wirkte auch ungeschickter. Das könnte alles zerstören, zum Beispiel die Hoffnung, endlich ein paar Freunde zu finden.

»Jonas?«, fragte Flo.

»Jona«, korrigierte Jona lächelnd. Das war gewohntes Territorium. Wie oft hatte er seinen Namen verbessert, weil man stets davon ausging, sein Name würde mit einem s am Ende geschrieben werden?

»Echt?« Flo zog die Augenbrauen hoch und sah zur Mattscheibe, ohne die üblichen Nachfragen zu stellen. Seine Freundin lehnte sich eng an ihn, flüsterte etwas, und er lachte, während er seinen Oberkörper an sie presste und ihre Hand berührte. Es sah vertraut aus.

Jona drückte sich gegen die Lehne der Bank und merkte, dass er die Lust an dem Abend verlor. Genau so wollte er berührt werden. Von irgendjemandem, am besten von jemandem wie Flo. Verärgert biss er sich auf die Lippen, als ihm bewusst wurde, was er dachte.

Es war ständig das selbe. Er war eifersüchtig, weil Flo sich nicht sonderlich für ihn interessierte und stattdessen mit seiner Freundin flirtete. Warum musste er immer auf Typen stehen, die eine Freundin hatten? Und was genau störte ihn daran? Schließlich konnte er sowieso keinerlei Annäherung zulassen. Also was interessierte es ihn? Es sollte ihm egal sein, und er müsste gleichgültig bemerken, dass Flo unbesorgt hetero und glücklich mit seiner Freundin war. War doch schön für die beiden.

Es war nicht egal. Verdammt!

Plötzlich runzelte Flo die Stirn, während er zum Fernseher sah, dann drehte er sich um und musterte Jona. »Im Religionsunterricht haben wir da so eine Story von einem Fisch gehört.«

Ein Kitzeln durchfuhr Jonas Bauch. Er nickte. »Ja, Jonas, der von dem Fisch verschlungen und wieder ausgespuckt wird.«

»Also hattest du ebenfalls katholischen Religionsunterricht bei einem staubigen Pfarrer?«, erkundigte sich Flo und wirkte das erste Mal während des Gesprächs wirklich interessiert.

Jona schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein, ich bin Moslem. Komme aus Algerien.«

»Die Fischgeschichte ist doch eine christliche Erzählung«, betonte Flo und sah ihn misstrauisch an. »Ich weiß nicht mehr viel vom Religionsunterricht, aber daran kann ich mich erinnern. Das war eine richtig gute Abenteuergeschichte. Da habe ich mich endlich nicht mehr gelangweilt. Dieser Jonas war echt cool.«

Jona wurde rot, obwohl das Lob nicht ihm galt. Es war trotzdem ein tolles Gefühl, dass er nach einer coolen Persönlichkeit benannt worden war. »Die Geschichte gibt es auch im Koran. Jonas oder Jona, wie wir ihn nennen, ist ein Prophet des Islam.«

»Und das ist die gleiche Geschichte? Die mit dem Fisch?« Ungläubig sah Flo ihn an.