9783968612508.jpeg

Die Schlangenkraft aus der Tiefe

Wie der Name es bereits andeutet, kann man die „Geringelte“, die mit eingerolltem Rumpf im Körper schlummert, mit einer Schlange vergleichen. Ebenso wie die aufgrund ihres Giftes Furcht erregende Schlange alle bösen Kräfte symbolisiert, steht die Kundalini, solange sie leblos in uns liegt, im Zusammenhang mit unseren dunklen, unbewussten Energien, den vergifteten wie den vergiftenden. Sobald sie erwacht sind und unter Kontrolle stehen, werden sie kreativ und verleihen wahre Kraft.

Die Kundalini ähnelt einer Schlange auch dahingehend, dass sie Gift ausstößt. Beabsichtigt sie zu beißen, schwingt sie sich herum und bildet mit Hilfe ihres Schwanzes einen Kreis. Steht sie aufrecht, bedeutet sie keine Gefahr mehr. Ebenso verhält es sich mit der Kundalini. Sobald sie sich entrollt und bis zur Schädeldecke aufsteigt – senkrecht wie ein Stab – wird sie nicht nur harmlos, sondern erweist sich auch als kostbarer Schatz, wenn die negative Natur ihrer Kraft transformiert wird. Sind alle Auswirkungen des Giftes eliminiert worden, beginnen Herrlichkeit und Kraft den gesamten Körper zu durchdringen, wie es der Begriff viṣa mit seiner doppelten Bedeutung ausdrückt – durchdringendes, Tod bringendes „Gift“ und das „alles Durchdringende“ 13, der Nektar der Unsterblichkeit (amṛta).

Wie kann das Gift weltlicher Energien dazu gebracht werden, höheren Zielen zu dienen? Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder das Gift zu verdauen oder den Nektar beherrscht bereitzuhalten. Liegt darin nicht die Bedeutung der Mythologie des Shiva, der bereitwillig das Gift trinkt, das der Milch – deren Fülle er den Göttern verschenkte – entzogen wurde und das er in seiner Kehle behält, die dunkelblau wird. Ähnlich hält der Yogi, dessen Körper rein ist, das bereit, was er in göttlichen Nektar umgewandelt hat. Um ihn auszugießen, schöpft er aus diesem Gefäß voll Ambrosia, das einem Ozean gleicht, sich aber niemals vermehrt oder abnimmt.

Die Kundalini offenbart sich demnach als ein Energiereservoir, das entweder verborgen im menschlichen Körper schlummert oder, wenn sie ihr bewusstes Wesen wiedererlangt, alle Fähigkeiten entfaltet und sie auf das Universelle richtet. Daher bildet sie die Grundlage für die zahlreichen Yoga-Wege und die höchsten mystischen Erfahrungen.

Als Schlange und Hüterin der größten aller Schätze – der Unsterblichkeit – erinnert die Kundalini an die uralte Schlangenkraft aus der Tiefe, Ahirbudhnya14, die in den Veden gepriesen wird. Von dieser Schlange wird gleichzeitig mit der Erde, dem Himmel, dem Meer und den kosmischen Zeichen (ṛta) Nahrung und Lebenskraft erfleht. Ihre Verehrung steht in Zusammenhang mit der Anbetung der ältesten Götter wie Aditi („personifizierte Loslösung“), Mutter der āditya, sowie der asura, der Schatzhüter. Unter diesen Göttern wird die geheimnisvolle Schlange des Abgrunds sehr oft als Aja-ekapād, der einfüßige Ungeborene, angerufen, von dem sie sich wahrscheinlich nicht unterscheidet.

Die Tiefen seines Reiches sind jene des Meeres, der Atmo­sphäre mit ihren Wolken und Nebeln und der Erde, aus der die wohltätigen Quellen hochbranden. Ahirbudhnya umschließt das Universum und hüllt es mit sich selbst ein.

Während eines vedischen Rituals wendet man sich an den Opferthron des mit „unergründlichem Wissen“ ausgestatteten brahmanischen Priesters mit folgenden Worten: „Ihr seid ein alles umfassendes Meer, Ihr seid der einfüßige Ungeborene, Ihr seid die Schlange der Meerestiefen.“ 15

Dichter und Mystiker (kavi und ṛṣi) hielten das Wissen über diese uralten Göttern so geheim, dass der Schlüssel zu ihm verloren ging, schon in der Zeit des Rig Veda. Bereits in dieser Ära besiegt der kriegerische Gott Indra, der Trinker des Soma, Asura und Āditya, beraubt sie des Schatzes, den sie eifersüchtig hüten, und verteilt ihn unter seinen Verehrern. Zur selben Zeit wird die Schlange Ahi, die Hüterin der Quellen, zum Drachen und von Indra und seinem Gefolge geschlagen.16

Lassen sich nicht auch in einigen Mythen des alten Indien Anspielungen auf die Kundalini erkennen, wo die nāgas, jene mächtigen, einer Kobra ähnlichen Götter, eine wesentliche Rolle spielen?

In den Heldensagen sehen wir Vishnu in den Urgewässern schlafend auf den zahlreichen Windungen der kosmischen Schlange Ādiśeṣa, auch Ananta, die Unendliche, genannt, ruhen. Es ist er, der die Erde umfasst und aufrechterhält. Erwähnt sei auch die wahrscheinlich im vor-aryanischen Indien, besonders in Kaschmir, auftretende Verehrung der berühmten nāgas, der göttlichen Schlangen und Mystiker zugleich, die ein ungeheures okkultes Wissen besaßen und das himmlische Ambrosia vor den Unreifen verbargen.

Die Schlangengötter finden sich auch in zahlreichen buddhistischen Legenden, die im Pali-Text des Tripiṭaka wiedergegeben werden. Buddha unterwirft die gefährlichen nāgas, wie jene von Uruvilvā. Beide kämpfen die ganze Nacht hindurch mit dem lodernden Feuer (tejas), das sie als ihre einzige Waffe ausstoßen. Der feuerspeiende nāga wird schließlich von dem feurigen Glanz des Buddha überwunden. Gewöhnlich wird der nāga durch das Wort des Erwachten besiegt und bietet ihm dann seine Unterstützung an. So handelt der König der nāgas, Muchilinda, der in zahlreichen Skulpturen dargestellt wird, wie er aufrecht hinter dem Buddha steht und sein Haupt vor den Elementen schützt, indem er seine Kapuze wie einen Baldachin oder Sonnenschirm ausbreitet.

Die mythische Schlange in Zusammenhang mit der Kundalini zu erwähnen, gestattet uns die Tatsache, dass dieses Symbol in das Shiva-System aufgenommen wurde. Wir werden sehen, dass bei der höchsten Einweihung durch das „Anstechen der Schlange“ (bhujaṅgavedha)17 die Energie mit Lichtgeschwindigkeit zum Scheitel emporschießt und in der Gestalt einer fünffach verhüllten, lebendig vibrierenden Kobra zur Glückseligkeit erblüht. Sich so über dem Kopf ausbreitend, versinnbildlicht sie die kosmische dvādaśānta. Auf dieser Stufe breiten sich die alles durchdringenden Energien des Yogi in das gesamte Universum aus.

1   

Shivas dreifache Manifestation und die drei Aspekte der Kundalini

Im dritten Kapitel des Tantrāloka beschreibt Abhinavagupta die Manifestationsphasen der verschiedenen Aspekte der Kundalini.

„Die höchste Energie der Gottheit, der akula, ist (die Energie) kaulikī, durch die sich das höchste Bewusstsein, kula, ausbreitet.

Der Herr ist untrennbar von ihr“ (67).

Jayaratha erläutert: Wenn kula, das höchste Bewusstsein, das vielgestaltige Universum hervorbringt und in sich zurückzieht, geschieht dies unabhängig von Shiva und seiner Energie. Das ist anuttara (A), das erhabene, reine Licht und die höchste Wirklichkeit, welche die Essenz des Paares Shiva-Shakti in sich gebiert, wenn es aus seiner absoluten Freiheit heraus das Universum zu manifestieren wünscht.

Akula andererseits beschreibt Shiva als Licht (prakāśa), übersinnlich und einzigartig (anuttara).

Dank seiner Energie (kaulikī) strahlt er „Selbst-Bewusstheit“ aus (vimarśa). Diese äußerst feine Energie, die Kundalini, verbindet sich mit Shiva in einer vereinigenden Spannung gegenseitiger Wonne, erhebt sich und nimmt die Gestalt der Energie des Willens, des Wissens und der Aktivität an (17).

„Das Verschmelzen des Paares (yāmala) Shiva und Shakti ist die Energie der Glückseligkeit (ānandaśakti), aus der das gesamte Universum entsteht – eine Wirklichkeit jenseits des Höchsten und des Nicht-Höchsten. Sie wird Göttin, Essenz und (glorreiches) Herz genannt – das ist die Manifestation, der allerhöchste Herr“ (68-69).

Der Auslegung zufolge handelt es sich bei der Vereinigung um einen Spannungsstoß, eine Schwingung, eine glückselige Energie, die das universelle Strömen hervorruft. Auf dieser Stufe scheinen Shiva und die Energie getrennt zu sein: In Bezug auf das Universum ist Shiva transzendent, während die Energie immanent bleibt, ohne dass ihre Fülle gemindert wird.

Kaulikī ist der Wunsch auszustrahlen, eine Bewusstheit, für immer eins mit dem höchsten bewussten Wesen. Da das Aufwallen18 eine nach außen gerichtete Bewegung anregt, beginnt sie auszustrahlen. Allmählich erwacht die Glückseligkeit, so wie sich das Vorwärtsdrängen des Selbst offenbart, soweit sich die Energie der Aktivität ausdehnt.19

Die absolute Energie, identisch mit dem höchsten Bewusstsein (parasamvit), wird auch amākalā genannt, die ‘siebzehnte’ Energie, höchste Glückseligkeit, Selbst-Bewusstheit und vollkommene Freiheit. Ohne sie würde nichts existieren. Mit Shiva identisch, offenbart sie sich als Leben und allumfassende Herrlichkeit.

Abhinavagupta zitiert dazu aus dem Triśirobhairava: „Die siebzehnte kalā hat Ambrosia (amṛta) als ihre Essenz und ihre Form. Sich durch die Bewegung des Punktes (bindu) ausbreitend, der als eine höchste-nicht-höchste Manifestation zweifach wird, bildet sie den augenscheinlichen Glanz aller Dinge.

Wenn sie nicht ausstrahlt, nimmt die Kundalini die Gestalt einer reinen, stillen Energie, śaktikuṇḍalikā, an. Später wird sie prāṇakuṇḍalinī, Lebens- oder Atemenergie. Selbst wenn sie den äußersten Punkt ihrer Ausstrahlung erreicht hat, bleibt sie höchste Kundalini, höchster Brahman, Firmament des Shiva und Sitz des Selbst. Die abwechselnden Bewegungen von Ausstrahlung und Auflösung sind allein die Werke des Herrn.“ 20

Aus demselben Tantra zitierend, erläutert Jayaratha: „Den Sitz des Selbst, der alle Wege transzendiert, nennt man „Energie, Kundalini und Bewusstseinsfirmament.“ Undifferenziert und beispiellos liegt er jenseits aller Wissenskriterien. In diesem höchsten Reich, auf dem Gipfel des Bewusstseins, gibt es weder Dinge noch Begriffe. Betrachten wir diesen höchsten Punkt als das Firmament des Shiva, das allumfassende Gefäß. Wie das, was nach innen gewandt wächst und wachsen lässt, so erscheint der allerhöchste Brahman, der alles befähigt, aber nicht befähigt wird durch irgendetwas.21

Unumschränktes Bewusstsein umfasst die Bewegungen von Ausstrahlung und Rücknahme des Universums in den Aspekten von Wissendem, Wissen und Gewusstem, wobei es sich um nichts anderes als die Manifestation des Herrn handelt.

Die dreifache Manifestation (visarga)

Der Begriff visarga bezieht sich sowohl auf die kreative Manifestation (viṣṛj-) als auch auf die diakritischen Zeichen des Sans­krit-Alphabets, das hier einen leichten Hauchlaut am Ende eines Vokals andeutet. Die schöpferische Manifestation erfolgt durch eine Doppelbewegung – durch die vereinigende Spannung zwischen Shiva und der Energie. Im Menschen läuft dieselbe Bewegung ab – und zwar in Form der Spannung zwischen Einatmung und Ausatmung oder auch in der sexuellen Vereinigung.

Visarga ist Ursprung und Ziel der Zeugungskraft (vīrya) und der aufsteigenden Kundalini.

Die Höchste Manifestation

Abhinavagupta definiert den Zustand der Manifestation (vaisargikī sthiti), die reine Glückseligkeit ist, als „die Widerspiegelung des Selbst im und durch das Selbst“ (141).

Nach Jayaratha handelt es sich hierbei um eine reine Manifestation des Herrn, in der alles vom Selbst als strahlend schöne Entfaltung (parisphūraṇa) ausgeht, wobei sie innere und äußere Aspekte annimmt.

Die Zwischenmanifestation

Als höchste, aber auch als nicht höchste, gehört die für die śaktikuṇḍalinī charakteristische Manifestation zu der Kula-Energie oder śaktivisarga. Es ist Kundalini als Bewusstsein (vimarśakuṇḍalinī).

Die ursprüngliche Bewegung vor der eigentlichen Manifestation erfolgt, wenn die kulakuṇḍalinī sich zu rühren beginnt. Es heißt, sie sei „geschwollen“ 22 wie ein Same, der im Begriff steht zu keimen. Als reine, ruhige Energie, śaktikuṇḍalinī, noch nicht nach außen gerichtet, schlummert und ruht sie in sich selbst in Form von Bewusstsein (samvit). Obwohl nicht ausstrahlend, wird sie als visarjanīya beschrieben, da sich in ihr eine zarte Tendenz erkennen lässt, das Universum auszustoßen. Es zeigt sich als eine Art Erregung, aber noch versunken in der ungeteilten Fül­le eines vollkommenen Inneren, in der die objektive in der sub­jektiven Energie aufgegangen und mit ihr verschmolzen ist. Der einzelne Punkt, bindu23 oder akula Shiva, beginnt sich zu spal­ten, woraus die zwei Punkte des visarga entstehen.

In der śaktikuṇḍalinī befinden sich diese beiden Punkte in vollkommenem Gleichgewicht. Geraten sie aus dem Gleichgewicht und einer gewinnt die Herrschaft über den anderen, zeigt sich eine leichte Tendenz zur Manifestation. Sobald sich einer der beiden Punkte zurückzieht, wird der andere sichtbar. Lässt die Energie das Universum entstehen, bleibt Shiva verborgen und ohne seinesgleichen. Saugt sie das Universum wieder auf, erstrahlt Shiva in all seiner Herrlichkeit. Doch der unwandelbare Shiva ist niemals irgendeiner Veränderung unterworfen.

Aufgrund dieses Doppelpunkts drückt sich śaktikuṇḍalinī als visarga, als das Phonem Ḥ aus, unmanifestiert und übertragen in Form von zwei übereinanderliegenden Tüpfelchen, um die zweifache Tendenz, die dieser Energie zu eigen ist, darzustellen:

Ā als Glückseligkeit (ānanda) und H als Ausdruck des Ausstoßungsvorgangs, der in den Lebensrhythmus oder Atem (prāṇa) mündet.

pic1

Da die śaktikuṇḍalinī an der Ebene teilhat, die als höchste und nicht-höchste gekennzeichnet ist, liegt sie zwischen den beiden folgendermaßen beschriebenen Kundalini: Wird ihr Punkt nach innen gerichtet (āntarkoṭī), geht sie in Shiva auf und gewinnt ihre Essenz als die siebzehnte kalā, reines Bewusstsein oder höchste Kundalini, zurück. Wird ihr Punkt nach außen gerichtet und sie beginnt sich zu regen (kṣobha), wird sie auf der niederen Stufe der Manifestation H, die Energie des Lebensatems, prāṇakuṇḍalinī. Verdichtet sich diese Manifestation, wird der Atem haṃsa (Schwan) genannt, ein Konsonant.24

Niedere Manifestation und Prāṇakuṇḍalinī

Die Kundalini des Lebensatems geht der Emanation, aus der sich die Ebenen der Wirklichkeit (tattva) erheben, voraus.

In der Dämmerung kosmischer Entwicklung angesiedelt, ist nur ein erstes Erzittern der objektiven Manifestation wahrzunehmen, nichts weiter als die Tendenz, sich zu veräußerlichen, daher der Ausdruck „ādikoṭi“ – dem Ursprung zugewendeter Punkt, die Offenbarung des Universums.

Kṣemarāja25 zeigt, wie sich das Bewusstsein in Lebensenergie umwandelt. Obwohl es sich um die innerste Realität und die allgemeine Grundlage handelt, fährt das höchste Bewusstsein, das seine wahre Natur auf der Stufe der Illusion () verbirgt, fort, sich zu veräußerlichen, und wenn es den kosmischen Punkt (bindu in H) erreicht hat, kommt seine Bewegung zum Stillstand. Dann hat es sich als prāṇa offenbart, wie es in der berühmten Aussage heißt: „Am Anfang entfaltete es sich als Lebensatem.“ 26

Nachdem das Bewusstsein im Laufe seines allmählichen Abstiegs selbst zur Lebensenergie (prāṇaśakti) geworden ist, verweilt es auf den Stufen der Intelligenz, des Körpers und so fort, indem es dem Verlauf von Tausenden von Kanälen (nāḍī) folgt. Dann erfüllt es den Hauptkanal27 und steigt mit Unterstützung der Atemenergie vom Scheitel zur unteren Öffnung an der Wirbelsäulenbasis ab.28 Man vergleicht dies mit der Mittelrippe eines Blattes des Dhāka- oder Palāśa-Baumes, bei dem alle Blattnerven mit ihr verbunden sind, denn von diesem Kanal gehen alle Funktionen aus und in ihm kommen sie zur Ruhe. Dieser Kanal ist leer (śūnya) und wird haṃsa (Schwan) oder Zentralatem genannt.29 Auf diese Weise entspricht er nicht nur der Manifestation der Energie, sondern auch ihrer Rückkehr zu der vitalen, phonetischen und kosmischen Quelle.

Parā- oder Pūrṇākuṇḍalinī

Nachdem die Kundalini śaktikuṇḍalinī, dann prāṇakuṇḍalinī geworden ist, kehrt sie auf ihrem Weg zum Ursprung spontan zur Fülle zurück, ohne ihrer Ausstrahlungstendenz beraubt worden zu sein, denn in einer solchen Fülle30 gibt es nur Handlung und Bewegung. Das gesamte, von Shiva untrennbare Universum bleibt in der höchsten Energie, parakuṇḍalinī.

Man beachte, dass diese Rückkehr, verglichen mit dem Beginn des Weges, eine Bereicherung ist, da die Kundalini dann die gesamte Welt umfasst. Damit Shiva sich als Paramaśiva, das All, jenseits von Immanenz und Transzendenz, offenbart, muss die Kundalini aus ihm emporsteigen und zu ihm zurückkehren.

Im Kula-System wird die Kundalini als der Ursprung, die Substanz und die Vollendung von allem betrachtet.

2   

Die im Körper „aufgerollte“ Kundalini

Zentren und Nāḍīs

Bevor die wesentlichen Stufen der aufsteigenden Kundalini beschrieben werden, bedarf es einiger Erläuterungen bezüglich der „Physiologie“ des Yoga.

Unsere Texte befassen sich kaum mit diesem Thema, und wir möchten nicht auf die späteren Abhandlungen des Hatha-Yoga zurückgreifen, in denen sich der Begriff Chakra auf die Zentren oder Lotosblüten (pīṭha und padma) bezieht, deren Blütenblätter mit ihren jeweiligen Buchstaben sich zahlenmäßig unterscheiden und die das Tantra und die Upanishaden später beschreiben.

Die Chakras oder Räder sind für die Shivaiten Kaschmirs weniger bildhafte Darstellungen, die als Konzentrationsgrundlage ihren Einsatz finden, sondern vielmehr Schwingungszentren, die sie aus der Erfahrung kennen. Da der Yogi während des Aufstiegs der Kundalini einen heftigen Wirbel in den auf der Mittellinie liegenden Zentren verspürt, spricht man von „sich drehenden Rädern“. Von dort breiten sich die Energien aus und werden im Körper aktiv.31 Jedes Rad besitzt eine bestimmte Anzahl von Speichen. Insgesamt hat man für den ganzen Körper fünfzig aufgeführt. Diese Speichen, Symbole einer strahlenden und schwingenden Energie, wurden später im Yoga und in den tantrischen Lehren zu Blütenblättern mit entsprechenden Buchstaben, speziellen Klängen, Formen, Farben und Funktionen.

Anstatt der sieben Räder jener Lehren gibt es im Trika nur fünf aufeinanderfolgende Haupträder, beginnend mit dem Wurzelzentrum (mūlādhāra) bis zum Scheitel (brahmarandhra, der Öffnung des Brahman).

Zwischen jedem Zentrum liegt ein Abstand von drei Handbreit oder drei übereinanderliegenden Fäusten. Die Zentren sind durch die nāīs32, feine Ströme der Lebensenergie (prāṇaśakti), untereinander verbunden. Von diesen Energieströmen, die in den Zentren beginnen und den gesamten Körper durchdringen, soll es 72000 geben, von denen drei als die wichtigsten herausragen, nämlich iā, piṅgalā und suṣumnā. Die beiden ersten verlaufen rechts beziehungsweise links neben dem mittleren Kanal, der königlichen suṣumnā, dem Hauptweg, auch madhyanāḍī genannt.

So zart wie das Lotosgewebe ist diese Straße. Sie ist der göttliche Feuerpfad, auf dem die Kundalini zum Gipfel emporsteigt. Da sie leer ist, bietet sie kein Hindernis, denn nur in der Leere schwingt der Atem, wird wieder bewusst und erlangt seine universelle Natur.

Entlang dieses nāḍī reihen sich Zentren übereinander, die von der Kundalini durchbohrt werden müssen.

Beim Durchschnittsmenschen drehen sich und schwingen diese Räder nicht. Sie formen unentwirrbare Knäuel, so genannte „Knoten“ (granthi), da sie Geist und Materie „verknoten“ und dadurch das Gefühl für das Ego stärken. Einige dieser Energieknoten, mūlādhāra und bhrū, lassen sich nicht leicht lockern. Zusammen bilden sie das unbewusste Lebensgewebe (saṃskāra), geknüpft aus der Illusion; und die Schwere und Starre der Vergangenheit setzen dem Durchgang der geistigen Kraft einen starken Widerstand entgegen. Da jeder Knoten einen Widerstand bildet, muss er entwirrt werden, damit die aus den Zentren freigesetzte Energie von der Kundalini aufgenommen und ihre Universalität wiedererlangt werden kann.

Bei diesen „Rädern“ handelt es sich keineswegs um physiologische und feststellbare Punkte des groben Körpers, sondern vielmehr um Kraftquellen der feinstofflichen Hülle, Zentren, die allein der Yogi während der Entfaltung der Kundalini mit einer solchen Genauigkeit festzulegen vermag, als gehörten sie zum Körper.

Das Wurzel-Zentrum (mūlādhāra oder mūlabhūmi)

Die „Wurzel“ (mūla) befindet sich an einem Punkt der Wirbelsäulenbasis, an dem die Hauptenergieströme zusammentreffen. Sie besitzt zwei Öffnungen, die nicht gleichzeitig tätig sein können. Schließt sich die eine, öffnet sich die andere. Im Grunde genommen gibt es nur eine Öffnung, die sozusagen umgepolt und mit einem Dreieck verglichen werden kann. Zeigt seine Spitze nach unten – dann nennt man es adhovaktra (niedere Öffnung)33 – wird die geistige Kraft zugunsten des sexuellen Lebens umgewandelt, da Atem und Samenflüssigkeit dem nach unten gerichteten Weg folgen. Dreht der Yogi das Dreieck um, weist die Spitze nach oben34, und die Öffnung, meḍhrakanda35, an der Basis des Sexualorgans, lässt die Zeugungskraft herein, die in den mittleren Kanal tritt.

Dieses Dreieck ist der trikoṇa, das „dreieckige Heiligtum“, denn es besteht aus den drei göttlichen Energien Wille, Wissen und Aktivität.

Bevor sie erwacht, liegt die Aufgerollte träge und unbewusst, so als habe sie Gift genommen, im Wurzel-Zentrum. Dreieinhalbmal hat sie sich um den bindu gewunden, den Kraftpunkt, der Shiva und das Wesen der Zeugungskraft (vīrya) symbolisiert. Mit ihrem Haupt blockiert sie den Zugang zum mittleren Kanal. Ihr Schlaf fesselt den Unwissenden, der seinen Körper fälschlicherweise für sein wahres Selbst hält. Dort wird sie „Bodenenergie“ (ādhāraśakti) genannt, denn sie enthält alle Elemente des Universums. Obwohl sie schläft, trägt sie das Leben des Menschen und der Welt, die beide in einen Schlummer gefallen sind.36

In ihren Windungen birgt die schlafende Kundalini das Gift (viṣa), das die Vitalität der Menschen zerstört, wenn sie ihre Energien in sexueller Unruhe vergeuden. Sobald sie sich aber erhebt und eine reine, klar ausgerichtete Energie herrscht, verwandelt sich dieses Gift in eine alles durchdringende Kraft (viṣ)37 und öffnet den Zugang zur Universalität.

Das Nabel-Zentrum (nābhicakra)

Das zweite Rad befindet sich in der Nabelregion und bildet ein wichtiges Austauschzentrum. Seinen zehn Speichen entspringen die zehn Hauptströme (nāḍīs)38, die emporsteigen und deren Hauptlinie der mittlere Kanal, die suṣumnā, bildet.

Das Herz-Zentrum (hṛdayacakra)

Im dritten Rad, dem des Herzens (hṛdaya), wird die Energie sehr fein. Sobald dieses Zentrum erwacht ist, überträgt es seine Energie unwillkürlich auf die anderen.39 Obwohl die Kundalini von jedem Zentrum aus erwachen kann, da sie in allen gleichermaßen zugegen ist, beginnt sie sich gewöhnlich im Herzen zu regen, denn nach Abhinavagupta findet die Vermischung der Atemzüge und ihre anschließende Verschmelzung im Herzen statt. Hat sich alles an dieser Stelle gesammelt, erfreut man sich der Glückseligkeit.

Kaṇṭha- und Bhrūmadhya-Zentrum

Wie der Name besagt, liegt das vierte Zentrum, kaṇṭha,40 am Halsansatz oder hinter der Kehle. Das fünfte Zentrum, bhrūmadhya, befindet sich zwischen den Augenbrauen.

In der oberen Kopfregion gibt es einige wichtige Punkte, die nicht zu den Chakras gezählt werden: lalāṭa in der Stirnmitte, tālu und triveṇi auf der Ebene von bhrūmadhya. Tālu, am Gaumenbogen gelegen, wird lambikā oder lampikāsthāna, Zäpfchen, und auch catuṣpada41 genannt, da es am Schnittpunkt von vier Bahnen liegt – dem Weg des gewöhnlichen Atems, der nach unten zu den Lungen führt und andererseits durch die Luftröhre emporsteigt, sowie den beiden Bahnen des nach innen gelenkten Atems, die nur dem Yogi Zugang zur suṣumnā gewähren und die beim Durchschnittsmenschen blockiert sind. Eine42 führt zum Wurzel-Zentrum hinunter und die andere, die zum nächst höheren Zentrum aufsteigt, wird von ūrdhvakuṇḍalinī gefolgt. Es heißt, wenn die Energie tālu erreicht, bringt sie tausend Strahlen hervor, die auf die Schulterblätter hinunterleuchten.

Triveṇi, ein Dreieck43, liegt am Zusammenfluss der Dreiheit Feuer, Sonne und Mond – udāna, prāṇa und apāna

Das zarte Zentrum bhrūmadhya, wörtlich „zwischen den Augenbrauen“, bildet für die Lebensenergie einen besonders schwierigen Durchgang. Um ihn zu überwinden, bedarf es der Beherrschung von samādhi und der Hilfe eines sehr erfahrenen Gurus.

Vers sechsunddreißig des Vijñānabhairava widmet sich einer Übung, die bhrūkṣepa oder bhrūvedha genannt wird, dem Brechen von bhrū, was zur vollständigen Ausdehnung der Energie führt. Wenn in diesem Augenblick der Gedanke frei von Dualität ist, transzendiert man die irdische Begrenzung und durchdringt alles. Die einzelnen Zentren werden allmählich bis hin zum bhrūmadhya mit Prana-Energie gefüllt, und wenn dieses Chakra mit konzentrierter Energie gesättigt ist und samādhi verhindert, dass sie in die äußere Welt entweicht, muss man die Augenbrauen nur ganz leicht zusammenziehen und die Energie direkt auf den schmalen Steg, den sie zu überqueren hat, lenken, um brahmarandhra zu erreichen. Gelingt es nicht, die Lebenskraft zu kanalisieren und zum Scheitel hinaufzusenden, verflüchtigt sich der Atem durch die Nasenlöcher.

Bei Setu handelt es sich nicht nur um einen Damm, der dem Strom des Ein- und Ausatmens Einhalt gebietet, sondern um eine Brücke, die das Zentrum zwischen den Augenbrauen mit dem brahmarandhra verbindet. Bei dem Unwissenden besteht zwischen diesen beiden Zentren keine Verbindung. Bei einem Yogi überquert die sublimierte Lebenskraft die Brücke und erreicht lalāṭa in der Stirnmitte. Diesem – von einem Yogi sehr selten erlangten Zustand – entspringt ein unklares Glücksgefühl und eine starke Hitze. Sobald man sich dieser Seligkeit hingibt, hören alle Funktionen auf, und die Energie breitet sich im Kopf bis hinauf zum tausendblättrigen Lotos aus. Da die Verbindungen zu saṃsāra, der vergänglichen Welt, abgebrochen sind, verwandelt sich alles in reine Bewusstseinsenergie.

Die häufige Verwendung des Begriffs bindu für bhrūmadhya ist darauf zurückzuführen, dass die dort zurückgehaltene, angestaute Energie beim Durchbohren dieses Zentrums freigesetzt wird und ein strahlender Lichtpunkt erscheint, „ein subtiles, wie eine Flamme aufloderndes Feuer“. Das ist der „bindu“, ein dimensionsloser Punkt – und daher frei von Dualität – in dem sich ein Maximum an Kraft konzentriert. Wird nach dem Erreichen der Stirnmitte die Konzentration in dem Moment auf ihn gelenkt, in dem er sich auflöst, geht man in der Herrlichkeit des Bewusstseins auf. Die drei Punkte – der Herz-Bindu, der Bindu zwischen den Augenbrauen und der Brahmarandhra-Bindu – sind eins geworden, da die Kundalini sie in der Vollendung ihres Aufstiegs vereinigt hat.

Der stufenweise Aufstieg44 mit seinen alternierenden Phasen, Meditation mit geschlossenen Augen und Meditation mit geöffneten Augen, geht nur von bhrū aus. Am Anfang, wenn die Energie zu bhrū aufsteigt, schießt der Atem durch die Nase, die Augen öffnen sich, und man atmet ein. Dann schließen sich die Augen, und die vollkommen aufrecht stehende Kundalini offenbart sich als ungeheuer mächtiger Energiestrom. Öffnet man die Augen, ist die Welt von einer neuen Freude erfüllt, die trunken macht (ghūrṇi). Sobald die universelle Kundalini ihre spontane Aktivität wiedergewinnt, genießt man den Strom der Lebensfülle mit seiner unaufhörlichen Ebbe und Flut von Emanation und Rückzug. Der Yogi ruht naturgemäß in unmīlanasamādhi – Meditation mit offenen Augen – und erfreut sich höchster Glückseligkeit, jagadānanda. Für ihn ist alles in Glückseligkeit getaucht und ist nichts als Glückseligkeit.

In lalāṭa, der Stirnmitte, entdeckt die Kundalini das Tor zu brahmarandhra, und ihre Reise findet ihr Ende. Von nun an gibt es nur noch höchste und alles durchdringende Energie.

Das Brahmarandhra oder Dvādaśānta

Der Begriff dvādaśānta, „zwölf Finger breit“, bezieht sich auf drei verschiedene Orte. Erstens, äußerlich betrachtet, bezeichnet er den genauen Punkt, an dem der gewöhnliche Atem, drei Hand breit von der Nase entfernt, aufhört. Zweitens, innerlich betrachtet, ist er brahmarandhra, „Öffnung oder Schlitz von Brahman“ auf dem Scheitel, der Schädelwölbung folgend, zwölf Finger breit von bhrūmadhya entfernt. Er wird nur von einem Yogi in samādhi erfahren, der das Selbst, nicht aber Shiva im Universum erkannt hat.45 Der intensive Schwingungszustand von ghūrṇi deutet auf dieses Durchbohren hin. Als drittes finden wir, oberhalb des Schädels, das höchste dvādaśānta, zwölf Finger breit vom brah­marandhra entfernt, das nur derjenige kennt, der sich mit dem alles durchdringenden Shiva identifiziert hat. Es besteht keine Beziehung zum Körper mehr. Es ist das kosmische dvādaśānta oder sahasrāra, ein Rad mit tausend Speichen, mit unzähligen Energien, strahlend und immer gegenwärtig, das sich nicht durch irgendwelche eigenen Anstrengungen erreichen lässt, da es das Wesen der Dinge (svābhāvika) selbst ist.

Aufgrund seiner fließenden Eigenschaft verbreitet es den göttlichen Nektar und ist zugleich so beständig wie das Firmament.46 Oberhalb der Schädeldecke liegend, besteht es aus dem Zusammenschluss von bindu und nāda, von Shiva und Energie, zwei identische Aspekte der absoluten Wirklichkeit, das Licht einerseits und die schwingende Resonanz andererseits.

Der Überlieferung zufolge wird dvādaśānta mit dem Vollmondkreis verglichen, der in ungebrochenem Glück erstrahlt. Ein strahlendes Lichtdreieck (triśūla) im Innern steht für die dreifache Energie von Willen, Wissen und Aktivität. Die große Leere leuchtet dort als zarter bindu oder haṃsa47, dem eigentlichen Sitz des Shiva, der jenseits aller Illusion liegt und wo das Selbst vollkommen verwirklicht ist.

Um seinen natürlichen Zustand der Instabilität zu verlieren, muss der Gedanke in dieser ungeheuren Leere fest verankert sein, in der jegliche Unruhe für immer schweigt. Der Mensch, der sich beständig im Zustand des dvādaśānta befindet und seine Energie willentlich dorthin zu lenken vermag, wird frei, während er noch lebt.48

Suṣumnā, Chakra und Trikoṇa Die Mittlere Bahn, die Räder und die Dreiecke

Die Erfahrungen des Yogi werden durch Räder und Dreiecke dargestellt. Die Chakras scheinen Kraftzentren zu sein, in denen sich die gesamte Energie zunächst konzentriert und dann ausstrahlt. Alle im Wurzel-Zentrum gesammelten Energien laufen auf ihrem Weg zum Nabel (nābhi) zusammen und breiten sich von dort über zehn Bahnen im Oberkörper aus. Im Herz-Zentrum laufen die Energien erneut zusammen und strahlen über die Schulterblätter hinauf. Schließlich sammeln sie sich in Kehlkopfhöhe, steigen auf beiden Seiten des Kopfes empor, nähern sich zwischen den Augenbrauen (bhrū) an und breiten sich von dort zum brahmarandhra aus.

Jedes Rad enthält drei zusätzliche Elemente. Erstens, an der Peripherie liegend, die kalā, feine Energien, denen auf der Sprach­ebene die Phoneme oder Buchstaben (varṇa und mātṛkā) des Sanskrit-Alphabets entsprechen. Zweitens gibt es Bahnen, die Nāḍīs, pulsierende Resonanzen, die vom Zentrum zur Peripherie oder von der Peripherie zum Zentrum strahlen, was davon abhängt, ob die Energie nach außen oder während des Aufsteigens der Kundalini nach innen gerichtet wird. Drittens weilt im Zentrum eines jeden Rades der bindu, der nicht ausdehnbare Punkt, in der suṣumnā oder der mittleren Bahn.

Die Kundalini-Meditation zielt darauf ab, alle Körper-, Gedanken- und Sprachenergien zu vereinigen, um sie zu einem einzigen Strom starker Schwingungen zu verschmelzen, der sie zum Zentrum, dem bindu, trägt. Nachdem sie sich im Kundalini-Feuer aufgelöst und nādānta (das Ende der Klangschwingung) geworden sind, wird der nāda zu einem Aufwärtsstrom, dem Aufwärtsstrom der suṣumnā.49 Das Gleiche wiederholt sich im nächsten Zentrum, dessen erwachter bindu sich mit dem bindu des höheren Zentrums verbindet. Dieser Vereinigungsvorgang findet so lange statt, bis es nur noch einen einzigen bindu gibt. Das Selbst mit seinen harmonisch miteinander verbundenen Energien identifiziert sich mit Paramashiva. Fehlt eine der Energien, bleibt der Yogi trotz seines hohen geistigen Zustands „gefesselt“ (paśu), denn er ist nicht Meister (pati) aller seiner Energien.

Niemand versteht, wie der erste und letzte Buchstabe des Sanskrit-Alphabets, A und HA, mātṛkā ausmachen und wie ihr Verschmelzen in einen einzigen Punkt, den bindu, aham hervorbringt, das Ich in seiner Fülle, in dem Shiva und Shakti, die identisch sind, sich in den einen Paramashiva auflösen. Die besondere Bedeutung des erhabenen Mantras aham bildet den Schlüssel zum Trika-System.

Das Dreieck symbolisiert im Trika-System die Dreiheit der Energien – Feuer, Sonne und Mond – von denen jede an einer Dreieckspitze sitzt. Sie bedeuten Wissender, Wissen und Gewusstes oder auch die drei Kanäle, die drei Hauptatem und so fort.

Der Durchschnittsmensch verbringt sein Leben im Pendeln zwischen dem iḍā- und piṅgalā-Kanal, zwischen Wissen und Bekanntem oder Ein- und Ausatmen.

Im Anfangsstadium sind sūrya und soma in agni aufgegangen, in dem Feuer des Wissenden, ebenso in suṣumnā, dem mittleren Kanal, und udāna, dem vertikalen Atem.

Erwacht und vereinigt, erreichen diese drei den bindu in der Dreiecksmitte, die lebendige Essenz, die sie energetisiert und es der Kundalini ermöglicht, aufzusteigen. Der Yogi erfährt das Dreieck im Mūlādhāra-, im Bhrūmadhya- und im Brahmarandhra-Chakra.50

Bei der normalen Atmung, bei der es den Zustand des samādhi nicht gibt, begegnen sich das untere und das obere Dreieck nicht. Dennoch ist die Erfahrung einer verfeinerten sexuellen Freude möglich, wenn der zum unteren Zentrum fließende Atem das untere Dreieck berührt. Bei einem Yogi in samādhi, dessen Kundalini aufsteigt, bewegt sich das untere Dreieck nach oben, um dem höheren zu begegnen.

Wie wir zu Beginn gesehen haben, weist der Punkt des niederen Dreiecks von Natur aus nach unten, aber wenn sich der Yogi sammelt, dreht er sich nach oben. Das bedeutet, dass der Strom der suṣumnā das niedere Dreieck zu bhrū hinaufträgt, wo sich beide Dreiecke umkehren und vereinigen. Im Brah­marandhra-Chakra bilden sie eine sechseckige Form, aṭkoṇa, mit dem bindu als Zentrum, dem einzigen Punkt für das spontane Zusammentreffen51 von Shiva und seiner Energie. Dieses Symbol zeigt, wie man von einem Dreieck in das andere gleitet, ohne das durch ihre unauflösbare Vereinigung entstandenen ṣaṭkoṇa zu verlassen.