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© Copyright: Reinhard Schmoeckel, Bonn 2016
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ISBN: 978-3-7412-1944-3
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Hat sich wohl schon einmal ein an Geschichte interessierter Laie gefragt, was wohl vor anderthalb Jahrtausenden in unserem Land passierte, als die „Völkerwanderung“ den Erdteil Europa auf den Kopf stellte?
Und: waren damals alle Menschen hier in unserem späteren Deutschland „Germanen“? Vor zweihundert Jahren waren die Historiker fest davon überzeugt, sie nannten alle Menschen, die es im Altertum hier gab, „die alten Teutschen“.
Heute sind die Gelehrten viel vorsichtiger. Viele von ihnen wissen gut, dass nicht nur Germanen, sondern auch Kelten und Slawen und „Römer“ und verschiedene andere Bevölkerungsgruppen ihre Gene bei den Menschen hinterlassen haben, die heute in unserem Land leben. Wenn wir nur in die jüngere Vergangenheit zurückschauen, dann muss jeder zugeben, dass inzwischen auch Türken und Italiener und Menschen aus allen möglichen anderen Völkern Angehörige unserer Nation geworden sind, die sich „deutsch“ nennt.
Wer dies im Kopf hat, für den ist es vielleicht nicht mehr ganz so schockierend, wenn in diesem Buch behauptet wird, vor gut 1500 Jahren seien Menschen nach Mitteleuropa gekommen, die eben keine Germanen waren und trotzdem zu Anführern einiger Stämme wurden, die sich später zu wichtigen Teilen des Volkes entwickelten, das bald den Namen „deutsch“ bekam.
Diese Menschen waren Sarmaten . Was dies für Leute waren und welche Bedeutung sie hatten, soll dieses Buch erklären. Allerdings sollte kein Leser diese Behauptung falsch verstehen. Nicht die Gesamtheit der späteren Deutschen, wie sie die Geschichte kennt, hatte Menschen dieses Volkes zu Vorfahren.
In dem kleinen Buch, das der Leser in der Hand hält, geht es vor allem um den Einfluss von Sarmaten auf die Geschichte des heutigen Westfalen. Doch weil der Begriff der Sarmaten in der west-europäischen, speziell der deutschen Geschichtswissenschaft praktisch völlig unbekannt ist, muss wenigstens in einer Kurzform dem Leser das wichtigste Wissen über dieses Volk vermittelt werden. Jedem Leser ist dringend zu empfehlen, auch den Band 1 dieser Buchreihe zu erwerben und zu lesen: „Sarmaten: unbekannte Väter Europas – Ein neuer Blick auf die Frühgeschichte unseres Landes“. Dort ist über die Geschichte und die Geschicke der Sarmaten allgemein in größerer Ausführlichkeit nachzulesen.
Hier soll also von der Entstehung des Stammes der Westfalen berichtet werden, den Menschen, die zwischen Weserbergland und Niederrhein, zwischen dem flachen Münsterland und dem bergigen Sauerland vor anderthalb Jahrtausenden lebten.
Fragt man die „berufenen“ Historiker, dann können sie mehr oder weniger nur die Schultern zucken. Genau über diese Zeit und über diese Gegend finden sie keine schriftlichen Dokumente, und darauf sind sie angewiesen.
Und doch gibt es Quellen. Man findet sie in der Erde, und die Archäologen können sie ausgraben; man findet sie in der deutschen Sprache, und Sprachwissenschaftler könnten Hinweise geben; man findet sie in der Wappenkunde (Heraldik), in der Volkskunde, in alten, nur Spezialisten bekannten Schriften und in manchen anderen Anzeichen. Man muss sich nur trauen, alle diese Indizien als solche für die einstige Existenz des Volkes der Sarmaten zu erkennen und ihr Zusammenspiel zu erklären.
Dies wagt der Autor, der seit mehr als fünfzehn Jahren dem Phänomen dieses „vergessenen Volkes“ der Sarmaten nachgeht.
Reinhard Schmoeckel
Der Teil I dieses Buches ist eine Kurzfassung dessen, was in dem grundlegenden Buch diese Reihe, dem Band 1, Sarmaten – Unbekannte Väter Europas, ausführlich und mit Literaturnachweisen beschrieben ist. Er soll dazu dienen, dem Leser dieses Buches wenigstens eine kurze `Übersicht von dem zu geben, was man heute über dieses so zu Unrecht vergessene Volk weiß. Damit soll er in die Lage versetzt werden, das einordnen zu können, was im Hauptteil II über das Wirken von sarmatischen Einwanderern nach Westfalen vor anderthalb Jahrtausenden berichtet werden kann.
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Nahezu jeder Deutsche, der eine höhere Schule besucht hat, kennt den Völkernamen Hunnen: ein Volk aus Innerasien, das einst vor vielen Jahrhunderten Angst und Schrecken über die Völker Europas gebracht hat.
Fast niemand kennt jedoch ein Volk, das etwa zur gleichen Zeit in Erscheinung trat und auch, oberflächlich betrachtet, manche Ähnlichkeit mit den Hunnen hatte, sich aber dennoch ganz anders verhielt. Darum hat man es vergessen. Das waren die Sarmaten.
Dieses Volk gehörte zu den „Ariern“. Dieser Begriff hat nichts mit „Menschenrassen“ zu tun, wie die Nazis einst behaupteten, sondern mit Sprachen. Fast alle Sprachen, die heute in Europa (zum Teil inzwischen auch in vielen anderen Erdteilen) benutzt werden, gehören zur sogenannten Familie der indoeuropäischenSprachen. Vor Jahrtausenden waren sie alle eng mit einander verwandt, ja sie müssen vor noch längerer Zeit einmal aus einer gemeinsamen Wurzel entsprungen sein.
Die Geburtsstätte der Menschen, die einst diese Wurzel bildeten, muss irgendwo in den Weiten Innerasiens gelegen haben, irgendwo zwischen Schwarzem Meer und Pamir. Nach langer Ungewissheit lässt sich das heute mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen. Ein Teil dieser Menschen mit indoeuropäischen Sprachen ist später, Jahrtausende vor Christi Geburt, nach Westen, nach Europa, ausgewandert, andere Teile nach Indien. Sie haben ihre Sprachen mitgenommen und den Menschen aufgezwungen, zu denen sie damals kamen. Daher der Name der Sprachfamilie.
Im innerasiatischen Heimatgebiet waren natürlich noch größere Gruppen zurückgeblieben, von ihnen wanderten etwas später die aus der Geschichte der antiken Welt bekannten Perser in ihre neue Heimat ein. Die sich damals noch sehr ähnlichen Sprachen der alten Inder und Perser nannten die damaligen Sprecher die der „Arier“, der „Reinen“. Aus dieser Sprach gruppe des „Nordiranisch-Arischen“ stammt auch die Sprache der Sarmaten.
Genetisch waren ursprünglich sicher alle die Nutzer dieser Sprachen ebenfalls miteinander verwandt. Sie zeigten äußerlich die helle Haut und früher auch helle Haare und andere Merkmale, die die „Europiden“ noch heute im Allgemeinen von „Mongoliden“ oder „Negriden“ unterscheiden. Das sind die wichtigsten menschlichen Erscheinungsformen (nicht „Rassen“), die sich im Laufe der Entwicklung des „Homo sapiens“ herausgebildet haben.
Bei den Indoeuropäern, die in Mittelasien zurückgeblieben worden waren - die „Zuzügler“ nach Europa waren schon vorher aufgebrochen –, trat bei den Menschen, die dort verblieben waren, ein wichtiger Wandel ihrer Lebensweise ein. Bisher hatten sie mit den Methoden und Hilfsmitteln der Steinzeit einfachen Ackerbau betrieben und Vieh gezüchtet: Schafe, Ziegen, bald auch schon Rinder und Pferde.
Doch dann lernten die Menschen in den Steppen zwischen Schwarzem Meer und Pamir, dass die Wildpferde, die in riesigen Herden dort lebten, noch viel besser zu nutzen waren als zum Verzehr oder zum Ziehen von Wagen. Man konnte auf ihnen reiten. Diese epochemachende „Erfindung“ scheint erst am Anfang des letzten vor christlichen Jahrtausends dort in den Steppen Südrusslands (heute Kasachstan) gelungen zu sein. Sie hat wohl in nur wenigen Jahrzehnten alle dort lebenden Menschen auf Dauer geprägt.
Seitdem waren die Völker, die dort lebten, stolze Reiterhirten geworden. Das Reiten auf Pferden erweiterte schlagartig die Weidefläche der Rinder- und Schafherden, gestattete den Erwerb größerer Herden, gleich ob auf friedliche oder kriegerische Weise, und veränderte zugleich das Bewusstsein der Reiter.
Die Tatsache, Reiter zu sein, auf pfeilschnellen Rossen blitzschnell riesige Entfernungen zurücklegen zu können, das war für die Männer, Krieger und bisherige Hirten zu Fuß, etwas grundsätzlich Anderes als das Leben eines dem Erdboden verhafteten Bauern, das war etwas Vornehmes, Ritterliches, Kämpferisches.
Ganz sicher werden nicht alle Menschen im Steppengebiet plötzlich zu Reiterhirten geworden sein, sondern es wird überall weiter ansässige Bauern gegeben haben, wenn auch vielleicht weniger als bisher. Nomadische Hirten kommen nicht ganz ohne die Erzeugnisse des Bodens aus, die von den Bauern hervorgebracht werden, und die Bauern konnten ihr Getreide und Gemüse gut gegen die Überschüsse der Rinder- und Schafherden tauschen. Beide Seiten hatten großen Nutzen von dieser friedlichen Zusammenarbeit.
Das erste Volk dieser Reiterhirten, das man mit Namen kennt, waren die Kimmerier. Sie hatten ihren Ursprung wohl in den Steppen nördlich des Schwarzen Meeres, ließen sich aber von ihren Pferden zeitweise bis weit in den Nahen Osten und bis nach Mitteleuropa tragen, als unstete Räuber und Plünderer. Doch um das Jahr 600 v. Chr. verschwanden sie mehr oder weniger spurlos, verdrängt von einem Volk ganz ähnlicher Sprache, Kultur und Lebensweise, den Skythen. Sie waren für die nächsten Jahrhunderte die Herrscher auf den Steppen Südrusslands.
Mit diesen Skythen hatten die Griechen viel zu tun, die in den letzten Jahrhunderten vor Christi Geburt an den Küsten Kleinasiens und des Schwarzen Meeres überall Kolonien gründeten, kleine Städte, die mit den Nachbarn im Hinterland nützlichen Handel trieben. Die Griechen nannten die gesamte riesige Weite Osteuropas bis nach Skandinavien hinauf Skythia; aber das Gebiet blieb ihnen weitgehend unbekannt.
Auch die Hunnen hatten wohl in der gleichen Zeit das Reiten gelernt. Ihre Heimat lag ebenfalls in der Weite Innerasiens nördlich der Gebirge Pamir, Hindukusch und Himalaya, aber einige tausend Kilometer von der indoeuropäischen „Urheimat“ entfernt. Die Menschengruppe, der sie entstammten, hatte sich wohl aus den im Osten Asiens entstehenden „Mongoliden“ heraus zu einer besonderen Art entwickelt, die man in der Wissenschaft heute „turk-mongolisch“ nennt. Von den Völkern aus indoeuropäischer Wurzel unterschieden sie sich grundlegend, sowohl ethnisch wie sprachlich und vor allem kulturell.
Auch diese Hunnen waren wohl einst berittene Hirten oder Jäger, aber bei ihnen hatte sich ein Königtum entwickelt, das bald von sich glaubte, ihm stünde das Recht zu, „Herr der Welt“ zu sein – oder wenigstens Herr aller Völker in erreichbarer Nähe. Die berittenen Krieger der Hunnen waren nur zu gerne bereit, ihren Königen dazu zu verhelfen, durften sie doch bei den ständigen Kriegen nach Herzenslust bei diesen Nachbarn morden und vor allem plündern. Diese Hunnen werden am Schluss dieser kurzen Einleitung noch eine sehr wichtige Rolle spielen. Doch vorerst, in den Jahrhunderten vor und nach der Zeitenwende, lebten sie noch weit weg im Osten Innerasiens, und niemand in Europa wusste von ihnen.
Einst, als das Reiterhirtenvolk der Skythen die Steppen der heutigen Ukraine beherrschte, waren die Sarmaten ihre östlichen Nachbarn. Doch allmählich wurden die Sarmaten stärker und begannen die Skythen zu bedrängen. Etwa zu Christi Geburt waren sie das herrschende Volk am Nordufer des Schwarzen Meeres geworden, und von den Skythen hörte man nichts mehr. Dabei waren auch deren Besieger enge sprachliche, ethnische und kulturelle Verwandte der Skythen.
Mit den Sarmaten hatte nun das Römische Reich zu tun, das seinen Einfluss schon so weit in den Osten Europas ausgedehnt hatte. Die Römer nannten die Weite Osteuropas „Sarmatia“, doch verwechselten viele der antiken und mittelalterlichen Schriftsteller häufig die Begriffe Skythia und Sarmatia; sie sahen wohl gar keinen Unterschied darin. Beide Begriffe bezogen sich ja auf dieselbe Gegend.
Den Römern waren ihre Nachbarn, die Sarmaten, viel zu weit entfernt, als dass sie sich näher damit beschäftigt hätten. Daher weiß man aus antiken Quellen praktisch nichts über dieses Volk, anders als über die Germanen, für die man immerhin das berühmte Werk „Germania“ des Tacitus kennt. Doch gibt es heute noch zwei „Volkssplitter“ dieser Sarmaten, aus deren Denk- und Lebensweise man manches über ihre Vorfahren erfahren kann.
Der eine dieser Überreste ist das Volk der Osseten im Kaukasus, heute benutzen noch etwa 500 000 Menschen deren Sprache. Man weiß von diesen Osseten, dass sie Reste des sarmatischen Volkes (ursprünglich Stammes) der Alanen sind, die sich im späten 4. Jahrhundert n. Chr. vor dem Ansturm der Hunnen in die unzugänglichen Täler des Kaukasus-Gebirges geflüchtet haben. Allerdings sind diese Osseten inzwischen doch schon stark von den umgebenden Kaukasus-Völkern und vor allem von den Russen beeinflusst worden, die seit gut 200 Jahren dort herrschen.
Kaum von Fremden beeinflusst ist dagegen ein winziges Völkchen im Himalaya, am Oberlauf des Indus, das jedoch nur noch gut 2000 Menschen zählt. Es heißt Minaro und ist erst in den letzten Jahren näher von europäischen Ethnologen untersucht worden. Offenbar haben sich schon vor 2000 Jahren Menschen aus der Gruppe, die zuvor die „arischen“ Inder, die Perser und die Reitervölker mit indoeuropäischer Sprache hervorgebracht hatte, dort in die Bergeinsamkeit zurückgezogen.
Sie sehen heute noch sehr „europäisch“ aus, im Gegensatz zu ihren Nachbarn mit tibetisch-mongolischen Gesichtszügen. Und so wenige Minaros es nur noch gibt, so leisten sie sich zwei Bevölkerungsklassen, die streng voneinander getrennt existieren; ein Mann aus der Adelskaste, der ein Mädchen aus der unteren Kaste zur Frau nimmt, darf das Haus seiner Eltern nie mehr betreten, in drei Generationen nicht. Aber die biologisch so geschiedenen Kasten sind durch religiös begründete Schwurgemeinschaften auf Dauer miteinander verknüpft: mehrere Bauern oder Handwerker aus der unteren Kaste leisten für sich und ihre Familien einem Adligen einen lebenslang gültigen Gefolgschaftsschwur. Der hat Wirkung nicht nur für die Menschen aus der unteren Kaste, sondern genauso für den Adligen: er ist für seine Gefolgsleute verantwortlich und muss ihnen helfen und in Schwierigkeiten beistehen.
Dieses Prinzip dürften auch die sarmatischen „Vorfahren“ der Minaros angewendet haben. Nach allem, was man weiß oder erschließen kann, haben sich die Adligen der Sarmaten streng nach der Devise verhalten und die zu ihrer Schwurgenossenschaft gehörigen und damit ihrem Schutz anvertrauten Menschen nie als Sklaven oder „unberührbar“ behandelt. Stattdessen könnte der heute noch für den gesamten europäischen Adel geltende Spruch „Noblesse oblige – Adel verpflichtet“ direkt dem Denken dieses bemerkenswerten Volkes entsprungen sein.
Von der Religion der Sarmaten weiß man praktisch nichts, hier hilft auch der Vergleich mit den Minaros nicht weiter, die offenbar heute noch einen vor- indoeuropäischen Feen-Glauben praktizieren.