Die kuschelige Bettwärme liegt seit einer halben Stunde hinter mir. Den Sprung aus dem Bett hätte ich heute Morgen gerne noch ein Stündchen weiter in den Tag hinein verlegt. Ein schöner Traum hatte mich nämlich die Nacht hindurch begleitet.
Während ich am Küchentisch vor einer dampfenden Tasse Tee hocke, kommt es mir vor, als wenn die rote 29 auf dem Abreißkalender neben der Küchentür immer größer wird. Irgendwie scheint sie sich ihrer Bedeutung bewusst zu sein.
Ein sonniger Aprilsonntag kommt langsam in das Puschen.
Mich treibt irgendeine Verpflichtung aus dem Haus. Niemand begegnet mir in dieser frühen Morgenstunde, sodass ich noch ganz für mich die Jungfräulichkeit des Tages genießen kann.
Einzig die Krähen in der kleinen Baumkolonie am Rande der Weide werkeln schon fleißig an ihren Horsten. Die Welt um mich herum ist noch unter sich, sie ist noch ohne technischen Lärm.
Die letzten Häuser bleiben hinter mir zurück. Ein Stück außerhalb des Ortes kommt mir ein Fahrzeug entgegen. Während es näher kommt, denke ich noch: Hee, ein Käfer mit Nienburger Kennzeichen - die Feriengäste hat es wohl auch nicht mehr in ihren Betten gehalten. Vielleicht wollen sie zur Frühmesse in den nächsten Ort.
Langsam rollt das Auto an mir vorbei, und ein Gesicht im Innern des Wagens wischt an mir vorüber. Dieses Vorüberwischen hat im gleichen Augenblick vier Jahrzehnte meines Lebens mit sich genommen. Exakt genau vierzig Jahre. Damals war es auch am Tage nach meiner Mutters Geburtstag – am 29. April. Dieses Datum ist mir in die Seele gebrannt. Ich habe es die ganzen Jahre geahnt. In Momenten des Wissens habe ich es immer wieder verpackt, und sorgsam in die hinterste Lade verstaut. Doch plötzlich steht es im Licht - schöner und wertvoller als zuvor.
Ich bin auf einmal wieder der halberwachsene Junge von 1962. Ich bin längst kein Kind mehr, aber auch noch kein Mann. Ich bin ein Jüngling voller Gefühle - wie ein Meer voller Wasser. Genau so ruhig, genau so wild - genau so voll Zusammenhalt, und genau so voll innerer Zerrissenheit.
Ich fühle mich zurückversetzt auf die Insel Norderney. Seit einem Jahr ist dieser wunderschöne Sandhaufen vor der ostfriesischen Küste mein Platz zum Leben.
Die Ausbildung hat mich hierher verschlagen.
Zufällig. Natürlich nur vordergründig.
Eine Lehrstelle als Kellner hätte ich nämlich auch an unserem Wohnort bekommen. In Wahrheit hat die Flucht vor meiner Mutter mich hier landen lassen. Die Flucht vor der fürsorglich liebenden, starken und bestimmenden Mutter. Ich muß gestehen - ich hatte genug, genug von der alles beschirmenden Mutterliebe. Bei ihr stand vielleicht die Furcht dahinter, etwas zu verlieren, was ihr doch ohnedies niemand nehmen konnte. Kinderliebe ohne Fesseln treibt doch viel mehr blühende Zweige.
Ich sitze an der Abbruchkante einer Düne. Es ist mein Lieblingsplatz während meiner freien Stunden. Im Staatsbad ist noch nicht viel los. Die Ostergäste haben die Insel gleich nach dem Fest wieder verlassen – sie stören nicht mehr die Idylle. Der Wind singt leise im offenen Gras und das Meeresorchester begleitet ihn. Ich kann mich jedesmal nur schwer von diesem Platz trennen. Im weiten Dünenland und auf dem langgestreckten Sandstreifen entlang des Wassers befindet sich außer mir kein menschlicher Zweibeiner. Die Möwen, die in schnellem Flug über die Brandung streichen, schackern beim Streit ums Futter. Der Kiebitz läßt hoch in der Luft sein helles Kiwit erklingen.
Widerstrebend erhebe ich mich, und lasse das vertraute Bild allein. „Bis morgen ihr Lieben“, rufe ich ganz laut in den pergamentfarbenen Himmel, und mache mich dann auf den Weg in die Stadt.
240 hungrige Kur- und noch gut ein halbes Hundert Hotelgäste warten darauf, bedient zu werden. Die Kurenden weilen als Versicherte der Knappschaft im dem „Kaiserhof“ angegliederten Kurheim. Es sind in der Mehrheit staubgequälte Bergmannslungen. Frauen sind unter den Patienten in der Minderheit. Nur eine kleine Zahl der Kurenden nutzt jedoch die Gelegenheit zur Aufpäppelung ihrer angeschlagenen Gesundheit. Die meisten ziehen den Aufenthalt in den Dorfkneipen, oder ein Techtelmechtel mit dem Kurschatten irgendwelchen Heilbehandlungen vor. Sicher wird bei ihnen zuhause schon soviel an ihnen herumgedoktert, daß sie hier ganz einfach nur ein Stückchen Freiheit genießen möchten.
So ein Mist - jetzt hab’ ich in meinen Gedanken versunken den falschen Weg genommen. Na, egal – es sind über die Kapdüne eh nur hundert Schritte weiter. Die Zeit reicht noch leicht. Mit irgendetwas im Kopf beschäftigt, drüdel ich an der alten Bake vorbei. Ich bin schon fast auf der anderen Seite, da weht mir ein freundliches „Häee“ hinterher. Ich hab’ gar nicht bemerkt, daß jemand auf den Findlingen unter der Bake sitzt.
Erschrocken drehe ich mich um - und tauche in der Sekunde in eine andere Welt.
Ich sehe ein Mädchengesicht vor mir, und spüre zugleich einen Schwarm bunter Schmetterlinge im Bauch. Ich müßte jetzt etwas sagen, doch ich bin stumm wie ein Fisch im Wasser. In meinem Hals sitzt ein Kloß, der so groß ist wie der runde Vollmond.
Die Gestalt vor mir erscheint mir wie eine Märchenfee. So wie sie sich von den Steinen erhebt, und zwei Schritte auf mich zukommt. Wir stehen uns schweigend gegenüber. Ich kann ihr nur in die Augen sehen. Es sind große, blanke, grüne Augen. Sie sind so tief wie ein Bergsee, und so warm wie die Sonne, die hinter meinem Rücken eintaucht in den fernen Horizont.
Wieviel Spannen Zeit wir so dastehen, kann ich nicht sagen. Mir scheint es wie ein Flug durch die Ewigkeit.
Festen Grund unter den Füßen spüre ich erst wieder, als unsere Lippen sich voneinander trennen. Ich weiß - ich befinde mich auf der guten alten Erde. Aber der Himmel hat sich für mich aufgetan. Hat mein Engel mich den Weg geführt? Ich glaube es ganz fest, denn Edeltraud - so heißen die strahlenden Augen - ist auch nicht an dem Platz, an dem sie eigentlich sein wollte.
Wir können beide nicht viel reden - genau genommen sagen wir gar nichts.
Da ist nur Nähe, da ist nur einander fühlen und streicheln. Die Schmetterlinge in mir wollen nicht zur Ruhe kommen. Die einzigen Worte, die wir gleichzeitig nach einem endlos letzten Kuss flüstern, sind: „Bis morgen Abend.“
Wir wissen beide, daß wir die gleiche Stelle, und die gleiche Zeit meinen.
Der Weg nach Hause ist für mich wie ein fliegen durch rosarote Wolken. Zuhause angekommen, laufe ich allerdings auf der Stelle. Herrgott noch mal, wie lang können vierundzwanzig Stunden sein. Für den nächsten Abend hat mein sonst so gestrenger Chef mir freigegeben. Ich glaube, er hat das Glück in meinem Gesicht leuchten sehen, und daraus seine Schlüsse gezogen.
Eine Stunde vor der Zeit habe ich mich schon mit beschwingtem Schritt zur alten Bake aufgemacht, und wen sehe ich kurz darauf über den Dünenweg schweben? Meine geliebte Herzensblume. Es war also doch kein Traum. Den ganzen Tag über habe ich gebangt und gefürchtet, am Abend aus einem schönen Bild gerissen zu werden.
Wie ich das letzte Stück des Weges so schnell hinter mich gebracht habe, weiß ich nicht. Liebe verleiht wohl doch Flügel. Wir liegen uns in den Armen, als wenn zwei Teile eines Ganzen wieder zusammengefügt worden sind.
An diesem Abend gehört die einsame Weite der Dünen uns allein. Eine neue, eine andere Welt hat sich für uns aufgetan. Wir lieben uns mit einem Feuer das uns verbrennt - und doch keine Asche hinterläßt. Wir klammern uns aneinander wie zwei Ertrinkende im riesigen Meer. Immer und immer wieder.
Lange nach Mitternacht liegen wir zusammengekuschelt am Fuß des alten Leuchtturms. Über uns hängt der strahlende Kranz des Leuchtfeuers – unter uns knistert das noch winterspröde Dünengras. Das erste Mal in meinem Leben fühle ich mich frei von Angst. Frei von der Angst, irgendetwas irgendjemandem nicht recht gemacht zu haben. Es fehlt plötzlich dieses teuflisch beklemmende Gefühl, das mir in der Vergangenheit zum Ergötzen meiner älteren Geschwister oft den Atem abdrückte.
In der Halsbeuge spüre ich das weiche Haar meiner Fee. Ihm entströmt ein Duft, der mir die Sinne nimmt. Im Paradies kann es nicht lieblicher gerochen haben.
Irgendwann in der Nacht machen wir uns notgedrungen auf die Füße. Der lange Weg vom Leuchtturm bis in die Stadt ist uns aber noch viel zu kurz.
Wissen wissen wir noch nicht viel über uns - kennen kennen wir uns schon ewig, so scheint es mir. Wir sind uns bestimmt nicht zufällig hier auf der Insel begegnet.
Vor dem Seehospiz trennen wir uns wie Zwei, die einander nicht loslassen können. Edeltraud taucht rückwärts gehend in den dunklen Gängen unter, und ich - ich stolpere wie ein Blinder ohne Herz und Seele zum Kaiserhof. All dies ist bei ihr geblieben. Morgen - jubelt es in mir - Morgen bekomme ich es zurück.
Mein Schlaf ist in Träume gebettet. Es sind Traumbilder, die mich in Glück und Wärme wiegen, wie niemals zuvor.
Ich fühle mich wie am Beginn einer schönen Reise.
Die Arbeit läuft mir am nächsten Tag von der Hand, als wenn ich mit schnellerem Tempo die Stunden der Trennung verkürzen könnte. Es ist seliger Trug - ich weiß es ja - und trotzdem scheint es mir so.
Manoman, im Speisesaal läuft es heute auch überhaupt nicht. Als wenn die Kurgäste alle nichts Besseres vorhaben. Sonst geht es ihnen mit dem Essen gar nicht schnell genug, weil Kneipe, Tanz und Kurschatten warten. Das ist Heute anders. Es wird an den Tischen im Speisesaal geschäkert und herumgealbert - als wenn man alle Zeit der Welt hätte. Oder scheint es mir nur so, weil mich meine Liebe zieht?
Verdammt noch mal, denke ich – nun lüftet endlich eure Hintern und verzieht euch. Unsere Glücksstunden sind doch begrenzt. Sie sind eingeschnürt in das Korsett eiserner Regeln.
In Regeln von Nichtverliebten, in Regeln von verbiesterten Vorgesetzten und strengen keuschen Ordensschwestern. Am liebsten möchte ich den Trödelsusen im Saal Feuer unter den Stuhlsitzen machen, um sie in Bewegung zu bringen. Das tue ich natürlich nicht. Ich halte ganz schön meine Klappe und schweige. Stattdessen schmiede ich im Stillen Rachepläne gegen jeden, der mich auch nur vermeintlich um Minuten meiner Seligkeit bringt.
Endlich - endlich bin ich auf dem Weg zum Treffpunkt. Jeder Rekordhalter würde gegen mich unterliegen. Noch ein paar Schritte, und ich habe die Waldkirche erreicht.
Hohe Bäume säumen den Andachtsplatz in der Dünenmulde. Einsame Leere empfängt mich. Kein bunter Farbklecks ist zu sehen - kein erwartungsfrohes Häee ist zu hören.
In meinem Kopf schlagen die schwärzesten Gedanken Purzelbaum. Hinter jeden Stamm schaue ich, hoffe irgendwo mein Glück zu entdecken, und finde nichts.
Vor Enttäuschung könnte ich ins Gras beißen. In diesen Wirbel verrückter Gedanken dringt plötzlich ein silbernes Lachen. Es weht in meine Ohren wie der Klang von lieblichen Glocken. Edeltraud liegt - wie hingegossen - oben auf dem riesigen Findling, der während der Sommergottesdienste als steinerner Altar dient.
Dieses süße Biest hat mich absichtlich leiden lassen. Umso höher schlagen kurze Zeit später die Wogen über uns zusammen. Bis zur Erschöpfung lieben wir uns auf dem geweihten Stein.
Der liebe Gott hat den Schirm des Verstehens über uns gebreitet. Er sorgt dafür, daß uns kein anderes Wesen stört.
Als unsere Herzen den sanften Gleichklang wiedergefunden haben, machen wir uns zufrieden auf den Weg in unsere Welt. Die ruhige Weite des Insellandes wartet auf uns.
Es erscheint mir verrückt. Wir sind anscheinend wie zwei Hälften einer Seele umhergeirrt, bis wir uns hier auf der Insel gefunden haben. Wir gehen, wir stehen, wir setzen uns in den Sand – stets im Gleichklang. Wir brauchen keine Worte der Verständigung, bei dem was wir tun.
Die Zeit hat für uns Halt gemacht, auf ihrer Reise durch die Ewigkeit. Diesen Abschnitt des Verweilens hat sie uns beiden geschenkt. Zum Erzählen, und zum öffnen des Herzens, in dem so vieles eingeschlossen ist wie in einem tiefen Kerker.
Traudes Zuhause ist ein kleines Häuschen am Rande Nienburgs. Es ist ein verwunschenes Häuschen am Waldrand. Ihr Vater ist fanatisch religiös. Er ist ein Mann von kleiner Statur, aber dafür unerbittlich der Familie gegenüber in der Befolgung seiner Lebensregeln.
Die nächste Kirche ist für regelmäßige Gottesdienst-Besuche zu weit weg, also muß die Familie jeden Sonntagmorgen - im Feiertagsstaat - um sieben Uhr früh in der Küche versammelt sein.
Der Radiosender Luxemburg überträgt um diese Zeit in seinem Mittelwellenprogramm regelmäßig die Evangelisation von Werner Heukelbachs Zeltmission.
Die Mama dagegen ist großherzig, und voller Liebe zu den Kindern. Ohnmächtig ist sie aber gegenüber dem religiösen Eiferer, der ihr Mann ist.
Gottergeben ist sie in Leben und Schicksal - auch wenn es in Teufelsgestalt daherkommt. Schützen will sie ihre Kinder vor den Folgen der Vergangenheit des Vaters. In der ostdeutschen Heimat sah des Vaters Leben bis Kriegsende nämlich ganz anders aus.
Mit einer Namensänderung während der Flucht vor der anrückenden Roten Armee hat er versucht dieses Leben hinter sich zu lassen, um am Ende als Kerkermeister bei der Religion zu landen.
Zehn Geschwister hat meine Edeltraud noch. Sie alle leiden unter diesem Zuhause - und lieben es doch. Allein schon wegen der Mutter.
Nach ihrer Schulentlassung hat Edeltraud das Schneiderhandwerk erlernt. Es sollte ihr als Grundlage für ein Leben als Diakonisse dienen. Es war ein Diktat ihres Vaters, dem sie auch ihren Dienst auf Norderney verdankt. Das Seehospiz ist Kinderheim und Klinik eines evangelischen Ordens, in dem strenge Regeln für den Lebenswandel der Bediensteten herrschen. So ist es ihm wenigstens vom Gemeindepastor dargelegt worden.
Nach Meinung des Vaters ist dies ein geeigneter Aufenthaltsort für ein unschuldiges, junges Mädchen ausserhalb des Elternhauses.
Dass auch unter der Leitung von Diakonissenschwestern häufig die Zeit der Inquisition der Vergangenheit angehört, hat der Pastor seinem fanatischen Glaubensbruder weise verschwiegen, wenn er es denn selber schon wusste
Er hat vielleicht gedacht, Schweigen zur rechten Zeit ist keine Sünde.
Sie fragt sich oft, was der Vater wohl unter Unschuld versteht, denn das was sie als Zehnjährige durch einen wesentlich älteren Bruder über sich ergehen lassen musste, war von den Eltern als eine Lüge von ihr abgetan und dementsprechend geahndet worden. So ist sie ins Seehospiz gekommen. Nicht ohne das feste Versprechen der Schwestern für den Vater, seine Tochter gottgefällig zu behüten. Ein Jahr ist sie schon auf dem Eiland. Sie hat hier – weitab von zuhause - ihre Liebe zur wilden, einsamen Schönheit der See entdeckt. Sie dankt ihrem Gott - der doch so anders sein muß, als wie ihn der Vater immer darstellt. Wie hätte er sie sonst so glücklich gemacht.
Gleich in den ersten Tagen ihrer Verbannung, in den behüteten Hort der Unschuld, ist ihr eine Frau über den Weg geschickt worden, die fortan um sie blieb wie eine Sonne - die herzige Oma Lüders.
Oma Lüders ist alt, und ihr Rücken von der Last des Lebens gebeugt. Sie muß trotz ihres hohen Alters täglich noch etwas dazu verdienen. Ihre Rente – die so schmal ist wie ein Handtuch - reicht nicht einmal für das zum Leben Notwendigste. Die Mutter Oberin gewährt ihr ein Zubrot - auch wenn sie nicht mehr so flink durch die Gänge saust wie wohl die jungen Mädchen es vermögen.
Oma Lüders ihr Zuhause ist eine ehemalige Wehrmachtsbaracke, die den Krieg überdauert hat. Zwischen Siedlung und Stadt steht sie einsam am Weg in die Dünen.
Vom Notquartier hat sich das Holzhäuschen zum schönsten Wohnplatz auf der Insel gemausert. Wir beide empfinden es jedenfalls so.
Wenn man durch die hohe Dornenhecke in das Geviert des Gartens tritt, wähnt man sich in eine andere Welt versetzt. Die fühlbare Liebe zur Natur überrollt mich beim ersten Besuch wie eine Woge von Zufriedenheit und Glück. Bei Oma Lüders sitzen und Tee trinken, das bedeutet für uns jedesmal so etwas wie eintauchen in Geborgenheit, Wärme und Zuversicht.
Die alte Frau sitzt dann in dem uralten Lehnstuhl, der nahe beim Ofen steht. Er ist für sie ein Stück Heimat, noch von ihres Großvaters Händen aus ostpreußischem Holz getischlert.
Den weiten Weg von Gumbinnen - nahe der russischen Grenze - bis auf diese Nordseeinsel hat sie den Lehnstuhl auf ihrem Handwagen gezogen.
Damals saß auf weiten Strecken ihre betagte Mutter im Stuhl auf dem Leiterwagen, wenn die müden Beine ihr den Dienst versagten. Ohne den Stuhl auf dem Leiterwagen hätte ihre Mutter es niemals bis auf diese Insel geschafft.
Im Februar neunundvierzig hat der liebe Gott sie dann zu sich geholt. Was von ihr blieb liegt auf dem Inselfriedhof - ein Fußbreit neben dem Glockenturm. Zu gerne wäre sie in der Heimat, inmitten der ostpreußischen Seen, zur letzten Ruhe gebettet worden. Wenn des Sonntags in der Frühe die Glocken zum Gebet ins Gotteshaus rufen, dann erzählt Oma Lüders ihrer Mutter, was so die Woche über auf der Insel passiert ist, und wie sie das Leben ohne sie handhabt. Ich spüre, es liegt ihr viel an diesen Zwiegesprächen.
Ein anderes Stück Heimat in ihrer Küche - das kleine, buckelige Sofa - hat sie für ihre Liebesleute, wie sie oft sagt, für Edeltraud und mich reserviert.
Wenn wir im schummerdüster, eng aneinandergeschmiegt, auf dem verblichenen Samtbezug kuscheln, dann versinkt alles um uns her.
Der Lichtkreis der Petroleumlampe, die auf der hellen, sorgfältig gescheuerten Tischplatte steht, hält alles was sich nicht in ihm befindet, von uns fern.
Das Feuer im eisernen Küchenherd knistert und knastert, als wenn wir im Herbst durchs trockene Unterholz des Inselwäldchens laufen.
Durch die Risse und Schrunden, in der schwarzen, blank geputzten Kochplatte, werfen die züngelnden Flammen geisterhaft tanzende Sprenkel an die, von Kochdunst und Rauch in langen Jahren braun gefärbte, niedrige Küchendecke. In diesen Stunden der Muße gibt es nur uns Drei. Die Welt führt in diesem Stück Zeit ihr Hasten und Treiben ohne uns. Oma Lüders Erzählen nimmt uns beide jedesmal mit auf die Reise - zurück in eine Geschichte, die wir zum Glück nicht erleben durften. Stundenlang könnten wir sie so begleiten.
Tja - und dann sind da die Abende, an denen Oma Lüders nicht erzählt.
Sie fühlt, wenn uns etwas bedrückt - und schweigt. Nur ihre zerfurchte, schwielige Hand sucht dann unsere Hände, oder sie fährt sacht über den Kopf meiner Fee – so sacht, als wenn ein Engelsflügel vorbei streicht.
Ganz von selbst fängt dann unser Kummer an zu fließen. Worte und Sätze werden zu einem Bach, und Oma Lüders zeigt ihm den Weg, damit er in das große Meer der Erleichterung fließen kann. Jede Sorge, und jedes Bedrücken, verwandelt sie in einen frohen Abschied.
Oma Lüders weites Herz streut Blumen über jedes schwarze Erinnern. Die Teestunde ist meist der Einstieg in einen solchen Abend.
Unser Begehren aufeinander stillen wir, wenn Wetterpetrus es zulässt, in unserem weiten Dünenland. Oma Lüders weiß davon – nur, darüber spricht sie nicht. Nie nicht einmal eine Andeutung in diese Richtung hören wir von ihr.
Heute Abend geht sie zum Abschied mit uns bis vor die Dornenhecke. Zum ersten Mal begleitet sie uns beim weggehen hinaus. Bevor sie sich umwendet, um wieder ins Haus zurückzukehren, sagt sie noch:
„Kinners, morgen müßt ihr mir alten Tante einen Gefallen tun. Ich muß Morgen aufs Festland, um was Dringendes in Norden zu beschicken.“
Das klingt richtig amtlich, doch als sie weiter spricht, wird ihre Stimme weich:
„Die Katze muß versorgt werden, und ich mag das Haus über Nacht nicht allein lassen. Hier ist ein Schlüssel von der Hintertür. Bleibt Morgen über Nacht man hier. Und - mein Deern - die Schwester Oberin hab’ ich gefragt, die hat da niks gegen, daß du eine Nacht auf mein Haus acht gibst.“
Edeltraud öffnet verdattert den Mund, als wenn sie etwas entgegnen wolle, doch Oma Lüders kommt ihr zuvor.
„Ich will keine Ausreden hören. Das ist eine abgemachte Sache. Wir seh’n uns übermorgen wieder. Paßt man schön auf alles auf.“
Unsere Sprachlosigkeit haben wir noch gar nicht abgeschüttelt, da stehen wir auch schon allein auf dem Weg. Das erste Mal können wir eine ganze Nacht zusammenbleiben. Ganz allein im Haus, in einem Bett. Oma Lüders hat mich ja mit einbezogen in ihr: ‚passt man schön auf alles auf’. Sie hat es geschafft. Die Überraschung ist ihr gelungen.
Heute Abend fällt uns das Auseinandergehen leichter. Ich denke nur an Morgen. Traude scheint es nicht anders zu ergehen, denn auf dem Weg zum Hospiz fällt zwischen uns nicht ein einziges Wort. Nur unsere Hände sprechen eine beredte Sprache.
Dich scheint’s ja gewaltig erwischt zu haben, stellt mein kluger Chef so ganz beiläufig fest, als ich ihn am nächsten Morgen nach dem Frühstück um eine Freinacht bitte. Als er das sagt, strahlt er gar nichts ‚Beißerhaftiges’ aus, so wie wir es sonst an ihm kennen, wenn ein Begehren unsererseits die Ordnung stört. Plötzlich sieht er eher aus wie eine lächelnde Bulldogge. Entgegen allen bisherigen Erfahrungen, die wir Lehrlinge in solchen Dingen mit ihm gemacht haben, meint er nur:
„Das kriegen wir schon hin - aber paßt gut auf, ihr Beiden.“
Wieder höre ich dieses: „Paßt gut auf“ - harrijeses - können denn mit einem, mal alle um mich herum hellsehen?
Na - und wenn schon. Das ist mir dann auch egal. Nur mit den Schmetterlingen im Bauch muß ich den Tag über alleine fertig werden. Sie flattern und flattern, und wollen sich überhaupt nicht in ihre Blütenbäume setzen. Die können auch wohl in die Zukunft schauen. Wenigstens bis in die folgende Nacht.
Mit dem Abräumen der Kaffeetische ist für mich am Nachmittag die Arbeit beendet. Duschen und Umziehen muß ich Heute nicht im Eilzugtempo hinter mich bringen. Vor einer guten halben Stunde zog meine Liebste nämlich noch mit ihrer Kindergruppe auf der Strandpromenade am Kaiserhof vorbei. Sie hat um die normale Feierabendzeit Dienstschluß. Um Liebesurlaub kann sie die Schwester Oberin ja schlecht angehen.
Meine Hochstimmung leidet darunter nicht - eine ganze, lange Nacht liegt ja vor uns.
Abholen vom Seehospiz muß ich mein Glück aber doch. Die große Normaluhr am Denkmal in der Stadtmitte geht auf halb sechs zu, als ich lostöffel. Jetzt aber man gau, sonst bin ich doch noch zu spät am Seehospiz.
Auf dem Weg springe ich schnell noch bei Feinkost Bakker rein, um eine Schachtel Feodora, und eine Mediumflasche Fürst Metternich zu kaufen. Meine private Trinkgeldkasse wird angesichts dieser Ausgabe zwar eine mächtige Delle bekommen, aber heute möchte ich sonst was tun.
„Hast du heute Abend was Besonderes vor“, will Claas Bakker von mir wissen, als ich mein Kaufbegehren von mir gebe. Stifte mit zwanzig Mark Lehrlingsgeld im Monat kaufen wohl nicht so häufig Pralinen und Sekt in seinem Laden.
Außerdem scheinen sich alle, denen ich heute begegne, auf mich einzuschießen. Jeder will etwas von mir erfahren. Ich bin doch kein Auskunftsbüro - oder sieht man mir etwa an, daß ich vor Glück rein aus dem Häuschen bin?
Pfeifend und trällernd schlendere ich die Beneke-Straße hoch – in Richtung Seehospiz. Zehn Minuten muß ich mich denn doch noch gedulden, als ich das große Tor erreiche. Mein Gott, hat vielleicht jemand die Uhrzeiger angehalten? Sie bewegen sich ja gar nicht vorwärts.
So ein Quatsch, denk ich dann wieder - aber es kommt mir einfach so vor.
Heiße Ohren hat mir das Denken an die Nacht schon beschert, als endlich meine Märchenprinzessin aus dem Halbdunkel auftaucht.
Wie eine Elfe erscheint sie mir heute. Ein gelber Rock tanzt um ihre wunderschönen Sommerbeine. Die langen seidigen Haare - sonst sittsam in einem Knoten zusammengefasst - wehen wie ein goldener Schleier um ihr strahlendes Gesicht. Ich kann mich nicht von der Stelle rühren - bis sie in meinen Armen liegt. In ihren Augen glitzert es verräterisch - ein paar Glückstränen schwimmen auf dem grünen See. Können zwei Menschen nur durch ihr Zusammensein vor Seligkeit überströmen? Ich kann die Antwort nicht geben - ich kann sie nur fühlen. Würde die Schwester Oberin uns jetzt sehen - wir bräuchten ihr bestimmt nichts mehr zu erklären.
Hand in Hand bummeln wir aus der Stadt hinaus, dem Anger zu. Vom Rande des Argonnerwäldchens her beobachtet uns eine Ricke. Sie steht zwischen den maigrünen Büschen. Im Frühling wechseln die Tiere von den ostfriesischen Mooren auf die Insel über. Sie benötigen dafür keinen Wattführer.
Unser Reh zeigt keine Scheu. Auf zehn Schritte Entfernung läßt es uns an sich vorüberschlendern.
Es äugt mit großen braunen Lichtern zu uns her. Die Ricke läßt ihre Lauscher spielen, als ob sie sagen wolle: Vor euch fürchte ich mich nicht – ich wünsche euch viel Glück, ihr Beiden. Als wir uns ein wenig von ihr entfernt haben, dreht sie langsam bei, und verschwindet im Dickicht.
Die Franzosenschanze hat sich wie eine Wand zwischen uns und den neugierig blitzenden Fenstern der letzten Häuser des Dorfes geschoben. Als wenn der Schutzwall weiß, daß wir uns hochnötig umarmen und liebhaben müssen, um unseren drängenden Gefühlen ein Ventil zu öffnen.
Oma Lüders Dornenhecke ist noch gar nicht in Sicht, da haben wir schon den Duft der aufbrechenden wilden Rosen in der Nase.
Nun hält uns aber nichts mehr. Unsere Beine werden wie von selber immer schneller. Einen Schritt machen wir noch durch die Rosenhecke, und sind dann mitten in unserem verwunschenen Reich.
Glücklicher können Dornröschen und ihr Prinz auch nicht gewesen sein. Die rote Lilly liegt zusammengerollt auf dem Dach des alten Ziehbrunnens. In vollen Zügen genießt sie die wärmende Maiensonne. Ein halbes Auge schenkt sie uns nur als Beachtung, denn noch ist ja nicht Futterzeit.
Wenn ihr Magen knurrt, dann sind es zwei Augen, ein erhobenes Köpfchen, ein krummer Buckel, ein hoch aufgestellter Schwanz, und ein begehrliches Schnurren. So sehr unterscheiden wir warmblütigen Geschöpfe uns in gewissen Situationen da gar nicht voneinander.
Meine Prinzessin ist schon im Inneren des Häuschens verschwunden. Ich höre von ihr einen hellen Schrei, eile ihr nach - und bleibe in fassungslosem Erstaunen unter der Tür stehen.
Ich merke, wie eine feuchte Spur meine Wangen zeichnet. Traudel nimmt ganz zärtlich meinen Kopf in ihre Hände und küßt sie mir fort. Als wenn ein Fabelwesen mir etwas flüstert, weht ihre Stimme in mein Ohr: Oh, wie ich dich liebe - deine Tränen streicheln meine Seele.
Seltsam – ich empfinde keine Scham über meine Tränen, sondern Freude breitet sich in mir aus. Freude und Glück - und eine unendliche Wärme. Es ist mir, als wenn ich die Sonne in meinen Armen halte.
Wir stehen wie Eins in der Küche - schauen um uns zu - schauen uns an, und flüstern:
„Liebe, liebe Oma Lüders.“
Zu mehr sind wir einfach nicht fähig. Die Küche, und die angrenzende Kammer sind ausgeschmückt wie zu einer Hochzeit. Den Küchentisch ziert ein steif gestärktes, damastenes Tischtuch. Drei blutrote Rosen neben zwei schneeigen Kerzen in einem silbernen Leuchter zieren den Tisch. An der Seite unseres Kuschelsofas stehen Gläser aus feinstem Kristall und eine Flasche edlen Burgunders.
Das Bett in der Kammer sieht aus, als wenn es vom Himmel gefallen wäre. Das wolkendicke, strahlendblaue Bettzeug ist schon einladend aufgeschlagen.
Der Herd ist zum anzünden vorbereitet - wir brauchen bloß noch ein Streichholz anreissen.
An der Vase auf dem Tisch lehnt eine vergilbte Hochzeitfotografie. Sie zeigt einen Soldaten des Kaisers, und seine Braut. Es sind Oma Lüders und ihr Mann.
Auf der Rückseite steht, wohl mit zitternder Hand geschrieben:
„Dies ist mein Dankeschön für euer Geben. Die Liebe zwischen zwei jungen Menschen ist das Schönste, was der Herrgott uns schenkt. Mir wurde sie in der Jugend versagt. Lebt sie für mich mit - eure alte Oma Lüders.“
Es dauert geschlagene fünfzehn Minuten, bis wir wieder klar blicken können. Oma Lüders hat mit ihren Worten eine Quelle freigelegt, aus der das Herzenswasser nur so sprudelt.
Das trübt aber nicht die Stimmung, sondern ganz im Gegenteil hat es mein Ungestüm eher sachte gebremst.
Als wir endlich im Bett liegen, hülle ich mein Liebstes in Berge von Zärtlichkeit. Ihre Wärme bringt die Pralinen, die ich auf ihrem Körper verteilt habe, zum schmelzen. Meine Zunge schleckt emsig die Schokolade von ihrer Haut. Wir treiben uns mit unseren Liebkosungen in schwindelnde Höhen, um dann mit einem Jubelschrei in die Tiefen der Erlösung zu fallen. Am Grunde angekommen denke ich, ich bin tot.
Bin ich tot? - nein ich lebe, ich lebe die schönste Sache der Welt - ich liebe das schönste Mädchen der Welt. Diese kleinen Tode der Liebe möcht ich jeden Tag tausendmal sterben – jedesmal mit einem fröhlicheren Herzen.
Wie kann sich lieben doch schön sein.
Unsere Stunden auf dem Meer des Vergessens werden vom heimeligen Licht der Petroleumlampe umfangen.
Von dem guten Roten haben wir bislang nur ein winziges Gläschen getrunken - mehr Zeit gibt die Liebe nicht her. Sie zeigt uns die Sterne des Lebens – sie treibt uns von Himmels- zu Himmelsrand.
Den Sekt wollen wir mit Oma Lüders nach ihrer Rückkehr gemeinsam genießen.
Zwischen den wirbelnden Lustreigen muß ich immer wieder verzaubert meine Märchenfee betrachten. Ich sehe das weiche Gesicht in den Wolkenbergen ruhen. Alles Glück ist in ihm vereint, als wäre es gelöst vom Gestern und vom Morgen.
Mitternacht ist lange vorüber, als wir uns zusammenkuscheln wie Zwillinge im Mutterleib.
Wohlbehütet in der Wiege des Lebens.
Träume ich oder ist es Wirklichkeit? Ich spüre ein zartes Lippenpaar auf meiner Stirn, auf meinen Wangen, auf meinem Mund. Ein zartes Vögelchen zirpelt an meinem rechten Ohr, und flüstert mir zu:
„Ich liebe dich - ich liebe dich - ich liebe dich.“
Der Schlaftraum weicht, und das Vögelchen zirpelt immer noch an meinem Ohr. Es hüllt mein Gesicht in einen goldenen Baldachin verführerisch duftender Haare.
Du Langschläfer - das Frühstück ist fertig. Dieser Satz bringt mich dazu, mit beiden Beinen zugleich aus dem Bett zu springen. Halt - du hungriger Wolf. Willst du nach den Stunden des Schlafes nicht erst deine Wölfin begrüßen - sagt meine innere Stimme. Diese Mahnung hätte sie sich sparen können. Die strahlenden Augen und der lockende Mund meiner Zauberfee, eingesponnen in einen Kokon weiblichen Duftes, hindern mich ohnedies am Aufstehen.
Was wäre es, so einen Tag zu beginnen, ohne sich der Liebe zu beugen. Das beste Frühstück der Welt wird dadurch nur immer noch besser. Es werden schon noch genug einsame Morgen folgen, an denen ein trockenes Brötchen die einzige Freude sein wird. Weise, wie meine Prinzessin nun einmal ist, brüht sie den Tee erst auf, als unser Verlangen wieder auf ruhigerem Wasser schwimmt.
Irgendjemand hat es so eingerichtet, daß wir beide einen gemeinsamen freien Tag haben. Da ich niemanden aus meiner Bekanntschaft in diese Möglichkeit einbringen kann, hat Oma Lüders ganz bestimmt ihre ordnende Hand im Spiel gehabt. Dieser gemeinsame freie Tag schließt sich, auch sicherlich nicht rein zufällig, an Oma Lüders Reise auf das Festland an.
Unserer Nacht in der Sternenwelt der Liebenden folgt ein sanftes Gleiten, wieder hinunter auf die erwachende Erde.
So eine Reise möchte ewig dauern, doch das haben Reisen meist nicht so an sich.
Den Tag über werkeln wir gemeinsam im Garten, um unserer Wohltäterin ein wenig Arbeit abzunehmen. So wie Gott uns schuf bestellen wir den Acker. Es ist ein herrliches Gefühl, sich hüllenlos in der Natur zu bewegen.
Um sechs Uhr nachmittags wird Oma Lüders mit der letzten Fähre auf die Insel übersetzen. Wenn wir mit ihr vom Dampfer kommen, soll ihr Heim wieder so sein wie zuvor. Mit dem blank gescheuerten Küchentisch vor dem Sofa, und auf dem Bett in der Kammer die bunt gemusterten Laken, unter denen sie immer schläft - ganz so, als sei nichts geschehen. Traudel konnte aber nicht umhin, das Hochzeitsfoto von Oma Lüders, inmitten eines großen Herzens aus Heckenrosen, auf den Küchentisch zu legen.
Ich habe mich noch schnell auf die Socken gemacht, um von meinem Freund Bent einen dicken, frisch geräucherten Aal zu besorgen. Für einen Smoortaal würde Oma Lüders sterben - das wußte ich - nur leisten würde sie sich ihn nie. Ihre Spargroschen ausgeben, um uns damit eine Freude zu bereiten - ja. Sich selber einen Räucheraal leisten - unmöglich.
Oma Lüders ist wohl ein Mensch, der von Gott geschickt wurde, um die Erde reicher zu machen.