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© Copyright: Reinhard Schmoeckel, Bonn 2015
Graphik: Andrea Egler; www.das-Auge-denkt.com; Düsseldorf
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ISBN: 9783741219474
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Thüringen, das schöne Bundesland im Herzen Deutschlands, hat eine reiche und sehr wechselvolle Geschichte. Auf einen kleinen Teil davon möchte dieses kleine Buch einige genauere Blicke werfen, und zwar auf seinen Anfang, als gerade erst der Name „Thüringen“ entstanden war. Wer weiß das schon, dass es vor anderthalb Jahrtausenden einmal ein „Königreich der Thüringer“ gegeben hat?
Ein paar historische Quellen gibt es dazu, vor allem zum Ende dieses „Reiches“, aber diese sind so isoliert und missverständlich, dass moderne Geschichtsforscher wenig damit anfangen können. Erheblich mehr haben die Archäologen über die Zeit dieses Reiches herausgefunden, aber sie können ihre Funde nicht gut einordnen in das, was sonst in dieser Zeit geschah, eben weil es kaum schriftliche Geschichtsquellen gibt.
Von einer ganz anderen Seite her hat sich der Autor dieses Buches dem Thema genähert - - und er kam im Laufe seiner Forschungen zu höchst überraschenden Ergebnissen. Er ist davon überzeugt – und kann das auch mit zahlreichen sehr plausiblen Indizien belegen! -, dass in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. eine größere Gruppe von Sarmaten aus dem heutigen Ungarn nach Thüringen einwanderte.
Da diese Fremden von selbstbewussten Adligen angeführt wurden, gewannen sie bald die Herrschaft über die im Land rund um den Harz lebenden Menschen mit germanischer Sprache und Kultur. Einer dieser Adligen nahm sehr bald den Titel „König“ an. Doch diese Sarmaten waren keine gefürchteten Brandstifter und Plünderer wie die Hunnen, sondern Herrscher ganz anderer Art.
Für die deutsche Geschichtswissenschaft – und damit für alle Deutschen, die sich ein wenig für die Geschichte ihres Landes interessieren und Einiges dazu gelesen haben – ist diese Behauptung völlig unglaublich. In Deutschland kann es doch mindestens seit Caesars Zeiten nur Germanen gegeben haben! Das ist jedenfalls die feste Überzeugung der Geschichtswissenschaft seit dem Mittelalter und auch aller an Geschichte interessierten Laien. Nicht nur die „germanen-begeisterte“ Zeit des Nazi-Reiches in Deutschland hat diese Überzeugung hervorgerufen; sie ist viel, viel älter.
Aber: waren damals wirklich alle Menschen hier in unserem späteren Deutschland „Germanen“? Vor zweihundert Jahren waren die Historiker fest davon überzeugt, sie nannten alle Menschen, die einst hier lebten, „die alten Teutschen“.
Heute sind die Gelehrten viel vorsichtiger. Viele von ihnen wissen gut, dass nicht nur Germanen, sondern auch Kelten und Slawen und „Römer“ und verschiedene andere Bevölkerungsgruppen ihre Gene bei den Menschen hinterlassen haben, die seit langem und bis heute in unserem Land leben.
Wenn wir nur in die jüngere Vergangenheit zurückschauen, dann muss jeder zugeben, dass inzwischen auch Türken und Italiener und Menschen aus allen möglichen anderen Völkern Angehörige unserer Nation geworden sind, die sich „deutsch“ nennt.
Wer dies im Kopf hat, für den ist es vielleicht nicht mehr ganz so schockierend, wenn in diesem Buch behauptet wird, vor gut 1500 Jahren seien Menschen nach Mitteleuropa gekommen, die eben keine Germanen waren und trotzdem zu Anführern einiger Stämme wurden, die sich später zu wichtigen Teilen des Volkes entwickelten, das bald den Namen „deutsch“ bekam.
Diese Menschen waren Sarmaten. Was dies für Leute waren und welche Bedeutung sie hatten, soll dieses Buch erklären. Allerdings sollte kein Leser diese Behauptung falsch verstehen. Nicht die Gesamtheit der späteren Deutschen, wie sie die Geschichte kennt, hatte Menschen dieses Volkes zu Vorfahren.
In dem kleinen Buch, das der Leser in der Hand hält, geht es vor allem um den Einfluss von Sarmaten auf die Geschichte der Region, die man schon seit mehr als 1500 Jahren „Thüringen“ nennt.
Doch weil der Völkername der Sarmaten in der westeuropäischen, speziell der deutschen Geschichtswissenschaft praktisch völlig unbekannt ist, muss wenigstens in einer Kurzform dem Leser das wichtigste Wissen über dieses Volk vermittelt werden. Jedem Leser ist dringend zu empfehlen, auch den Band 1 dieser Buchreihe zu erwerben und zu lesen: „Sarmaten: unbekannte Väter Europas – Ein neuer Blick auf die Frühgeschichte unseres Landes“. Dort ist über die Geschichte und die Geschicke der Sarmaten allgemein in größerer Ausführlichkeit nachzulesen. Eine Kurzfassung davon bildet der Teil I dieses Buches.
Hier soll also von der Entstehung eines neuen Volkes aus verschiedenen Bestandteilen während des Frühmittelalters berichtet werden, einer Zeit, aus der es keinerlei schriftliche Quellen gibt.
Und doch gibt es Quellen. Man findet sie in der Erde, und die Archäologen können sie ausgraben; man findet sie in der deutschen Sprache, und Sprachwissenschaftler könnten Hinweise geben; man findet sie in der Wappenkunde (Heraldik), in der Volkskunde, in alten, nur Spezialisten bekannten Schriften und in manchen anderen Anzeichen. Man muss sich nur trauen, alle diese Indizien als solche für die einstige Existenz des Volkes der Sarmaten zu erkennen und ihr Zusammenspiel zu erklären.
Dies wagt der Autor, der seit mehr als fünfzehn Jahren dem Phänomen dieses „vergessenen Volkes“ der Sarmaten nachgeht.
Reinhard Schmoeckel
Der Teil I dieses Buches ist eine Kurzfassung dessen, was in dem grundlegenden Buch diese Reihe, dem Band 1, Sarmaten – Unbekannte Väter Europas, ausführlich und mit Literaturnachweisen beschrieben ist. Er soll dazu dienen, dem Leser dieses Buches wenigstens eine kurze `Übersicht von dem zu geben, was man heute über dieses so zu Unrecht vergessene Volk weiß. Damit soll er in die Lage versetzt werden, das einordnen zu können, was im Hauptteil II über das Wirken von sarmatischen Einwanderern nach dem heutigen Thüringen vor anderthalb Jahrtausenden berichtet werden kann.
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Nahezu jeder Deutsche, der eine höhere Schule besucht hat, kennt den Völkernamen Hunnen: ein Volk aus Innerasien, das einst vor vielen Jahrhunderten Angst und Schrecken über die Völker Europas gebracht hat.
Fast niemand kennt jedoch ein Volk, das etwa zur gleichen Zeit in Erscheinung trat und auch, oberflächlich betrachtet, manche Ähnlichkeit mit den Hunnen hatte, sich aber dennoch ganz anders verhielt. Darum hat man es vergessen. Das waren die Sarmaten.
Dieses Volk gehörte zu den „Ariern“. Dieser Begriff hat nichts mit „Menschenrassen“ zu tun, wie die Nazis einst behaupteten, sondern mit Sprachen. Fast alle Sprachen, die heute in Europa (zum Teil inzwischen auch in vielen anderen Erdteilen) benutzt werden, gehören zur sogenannten Familie der indoeuropäischen Sprachen. Vor Jahrtausenden waren sie alle eng mit einander verwandt, ja sie müssen vor noch längerer Zeit einmal aus einer gemeinsamen Wurzel entsprungen sein.
Die Geburtsstätte der Menschen, die einst diese Wurzel bildeten, muss irgendwo in den Weiten Innerasiens gelegen haben, irgendwo zwischen Schwarzem Meer und Pamir. Nach langer Ungewissheit lässt sich das heute mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen. Ein Teil dieser Menschen mit indoeuropäischen Sprachen ist später, Jahrtausende vor Christi Geburt, nach Westen, nach Europa, ausgewandert, andere Teile nach Indien. Sie haben ihre Sprachen mitgenommen und den Menschen aufgezwungen, zu denen sie damals kamen. Daher der Name der Sprachfamilie.
Im innerasiatischen Heimatgebiet waren natürlich noch größere Gruppen zurückgeblieben, von ihnen wanderten etwas später die aus der Geschichte der antiken Welt bekannten Perser in ihre neue Heimat ein. In den sich damals noch sehr ähnlichen Sprachen der alten Inder und Perser nannten sich die damaligen Sprecher die „Arier“, die „Reinen“. Aus dieser Sprach gruppe des „Nordiranisch-Arischen“ stammt auch die Sprache der Sarmaten.
Genetisch waren ursprünglich sicher alle die Nutzer dieser Sprachen ebenfalls miteinander verwandt. Sie zeigten äußerlich die helle Haut und früher auch helle Haare und andere Merkmale, die die „Europiden“ noch heute im Allgemeinen von „Mongoliden“ oder „Negriden“ unterscheiden. Das sind die wichtigsten menschlichen Erscheinungsformen (nicht „Rassen“), die sich im Laufe der Entwicklung des „Homo sapiens“ herausgebildet haben.
Bei den Indoeuropäern, die in Mittelasien zurückgeblieben worden waren - die „Zuzügler“ nach Europa waren schon vorher aufgebrochen –, trat bei den Menschen, die dort verblieben waren, ein wichtiger Wandel ihrer Lebensweise ein. Bisher hatten sie mit den Methoden und Hilfsmitteln der Steinzeit einfachen Ackerbau betrieben und Vieh gezüchtet: Schafe, Ziegen, bald auch schon Rinder und Pferde.
Doch dann lernten die Menschen in den Steppen zwischen Schwarzem Meer und Pamir, dass die Wildpferde, die in riesigen Herden dort lebten, noch viel besser zu nutzen waren als zum Verzehr oder zum Ziehen von Wagen. Man konnte auf ihnen reiten. Diese epochemachende „Erfindung“ scheint erst am Anfang des letzten v o r christlichen Jahrtausends dort in den Steppen Südrusslands (heute Kasachstan) gelungen zu sein. Sie hat wohl in nur wenigen Jahrzehnten alle dort lebenden Menschen auf Dauer geprägt.
Seitdem waren die Völker, die dort lebten, stolze Reiterhirten geworden. Das Reiten auf Pferden erweiterte schlagartig die Weidefläche der Rinder- und Schafherden, gestattete den Erwerb größerer Herden, gleich ob auf friedliche oder kriegerische Weise, und veränderte zugleich das Bewusstsein der Reiter.
Die Tatsache, Reiter zu sein, auf pfeilschnellen Rossen blitzschnell riesige Entfernungen zurücklegen zu können, das war für die Männer, Krieger und bisherige Hirten zu Fuß, etwas grundsätzlich Anderes als das Leben eines dem Erdboden verhafteten Bauern, das war etwas Vornehmes, Ritterliches, Kämpferisches.
Ganz sicher werden nicht alle Menschen im Steppengebiet plötzlich zu Reiterhirten geworden sein, sondern es wird überall weiter ansässige Bauern gegeben haben, wenn auch vielleicht weniger als bisher. Nomadische Hirten kommen nicht ganz ohne die Erzeugnisse des Bodens aus, die von den Bauern hervorgebracht werden, und die Bauern konnten ihr Getreide und Gemüse gut gegen die Überschüsse der Rinder- und Schafherden tauschen. Beide Seiten hatten großen Nutzen von dieser friedlichen Zusammenarbeit.
Das erste Volk dieser Reiterhirten, das man mit Namen kennt, waren die Kimmerier. Sie hatten ihren Ursprung wohl in den Steppen nördlich des Schwarzen Meeres, ließen sich aber von ihren Pferden zeitweise bis weit in den Nahen Osten und bis nach Mitteleuropa tragen, als unstete Räuber und Plünderer. Doch um das Jahr 600 v. Chr. verschwanden sie mehr oder weniger spurlos, verdrängt von einem Volk ganz ähnlicher Sprache, Kultur und Lebensweise, den Skythen. Sie waren für die nächsten Jahrhunderte die Herrscher auf den Steppen Südrusslands.
Mit diesen Skythen hatten die Griechen viel zu tun, die in den letzten Jahrhunderten vor Christi Geburt an den Küsten Kleinasiens und des Schwarzen Meeres überall Kolonien gründeten, kleine Städte, die mit den Nachbarn im Hinterland nützlichen Handel trieben. Die Griechen nannten die gesamte riesige Weite Osteuropas bis nach Skandinavien hinauf Skythia; aber das Gebiet blieb ihnen weitgehend unbekannt.
Auch die Hunnen hatten wohl in der gleichen Zeit das Reiten gelernt. Ihre Heimat lag ebenfalls in der Weite Innerasiens nördlich der Gebirge Pamir, Hindukusch und Himalaya, aber einige tausend Kilometer von der indoeuropäischen „Urheimat“ entfernt. Die Menschengruppe, der sie entstammten, hatte sich wohl aus den im Osten Asiens entstehenden „Mongoliden“ heraus zu einer besonderen Art entwickelt, die man in der Wissenschaft heute „turk-mongolisch“ nennt. Von den Völkern aus indoeuropäischer Wurzel unterschieden sie sich grundlegend, sowohl ethnisch wie sprachlich und vor allem kulturell.
Auch diese Hunnen waren wohl einst berittene Hirten oder Jäger, aber bei ihnen hatte sich ein Königtum entwickelt, das bald von sich glaubte, ihm stünde das Recht zu, „Herr der Welt“ zu sein – oder wenigstens Herr aller Völker in erreichbarer Nähe. Die berittenen Krieger der Hunnen waren nur zu gerne bereit, ihren Königen dazu zu verhelfen, durften sie doch bei den ständigen Kriegen nach Herzenslust bei diesen Nachbarn morden und vor allem plündern. Diese Hunnen werden am Schluss dieser kurzen Einleitung noch eine sehr wichtige Rolle spielen. Doch vorerst, in den Jahrhunderten vor und nach der Zeitenwende, lebten sie noch weit weg im Osten Innerasiens, und niemand in Europa wusste von ihnen.
Einst, als das Reiterhirtenvolk der Skythen die Steppen der heutigen Ukraine beherrschte, waren die Sarmaten ihre östlichen Nachbarn. Doch allmählich wurden die Sarmaten stärker und begannen die Skythen zu bedrängen. Etwa zu Christi Geburt waren sie das herrschende Volk am Nordufer des Schwarzen Meeres geworden, und von den Skythen hörte man nichts mehr. Dabei waren auch deren Besieger enge sprachliche, ethnische und kulturelle Verwandte der Skythen.
Mit den Sarmaten hatte nun das Römische Reich zu tun, das seinen Einfluss schon so weit in den Osten Europas ausgedehnt hatte. Die Römer nannten die Weite Osteuropas „Sarmatia“, doch verwechselten viele der antiken und mittelalterlichen Schriftsteller häufig die Begriffe Skythia und Sarmatia; sie sahen wohl gar keinen Unterschied darin. Beide Begriffe bezogen sich ja auf dieselbe Gegend.
Den Römern waren ihre Nachbarn, die Sarmaten, viel zu weit entfernt, als dass sie sich näher damit beschäftigt hätten. Daher weiß man aus antiken Quellen praktisch nichts über dieses Volk, anders als über die Germanen, für die man immerhin das berühmte Werk „Germania“ des Tacitus kennt. Doch gibt es heute noch zwei „Volkssplitter“ dieser Sarmaten, aus deren Denk- und Lebensweise man manches über ihre Vorfahren erfahren kann.