Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2016 Ben Miller

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783741228841

Inhaltsverzeichnis

  1. Rien ne vas plus
  2. Aufräumen
  3. Zukunftsmusik
  4. Machen, Machen, Machen
  5. Los geht’s!
  6. Erste Krise
  7. Ein Bruder im Geiste
  8. Neuer Mut
  9. Es geht doch
  10. Tag am Meer
  11. Großstadtwirren
  12. Gott und die Welt
  13. Hippie-Leben
  14. Wildnis
  15. Nicht mehr allein
  16. Das Ende naht
  17. Angekommen
  18. Weiter zu zweit
  19. Zurück
  20. Alltag
  21. Eins noch…
  22. Achso…

Vorweg

Ich muss meine Leser(innen) vorwarnen. Die ersten beiden Kapitel sind etwas langweilig und nicht wirklich angenehm zu lesen. Sie sind aber leider unerlässlich für all das, was folgt. Darum bitte ich, das Buch nicht gleich wegzulegen und dem weiteren Geschichtsverlauf eine Chance zu geben.

Das Buch basiert auf wahren

Begebenheiten und ist autobiografisch angelegt.

Die Illustrationen im Buch sind als Impressionen gedacht und sind rechtliches Eigentum des Autors. Sie passen nicht immer, aber meistens, zum Textteil.

1 Rien ne vas plus

Es ist schon merkwürdig wie bestimmte Dinge immer zu bestimmten Zeitpunkten geschehen. Das Kartenhaus, das den Anschein machte, mein „Leben“ zu sein, ist nun wohl endgültig zusammengefallen. So tragisch und bitter das Ganze auch sein mag, eigentlich ist es das Beste was mir passieren konnte. Denn wenn ich jetzt zurückdenke auf die letzten 10 Jahre meines Daseins hier auf Erden, wird mir bewusst wie armselig und verbittert mein Leben in dieser Zeit war.

Es lebt sich ganz angenehm, wenn man allen Problemen und vor allem seiner innersten eigenen Natur aus dem Weg geht. Obwohl das so angenehm zu sein scheint, macht es am Ende doch so verdammt unglücklich.

Ich fange am besten ganz am Anfang an. Ich bin Ben und werde in diesem Jahr 30 Jahre alt. Mein Leben ist eine ziemliche Katastrophe. Ich bin Single, lebe noch bzw. wieder zu Hause bei meinen Eltern, ich bin selbstständig und nebenbei auch noch Student. Ich habe noch nichts in meinem Leben erreicht. Meine Selbstständigkeit muss ich nun abmelden, weil sie nichts mehr einbringt und ich zu allem Überfluss noch spielsüchtig bin. Beides zusammen, hat mich finanziell so kaputt gemacht wie es nur geht.

Mein ganzes Leben spielt sich zurzeit innerhalb dieser Grenzen meines Elternhauses ab und das in meinem Alter... Meinem Studium bin ich in letzter Zeit eher weniger nachgegangen. Je länger ich innerhalb dieser Grenzen gelebt habe, desto mehr habe ich mich von allem und jedem abgeschottet. In den letzten Jahren hab ich zudem extreme soziale Ängste aufgebaut, welche dieses Abschotten noch verstärkt haben.

Ich weiß, dass ich nicht herumjammern und lieber etwas verändern sollte, aber das ist leichter gesagt als getan. Ich bin pleite, sehe keinem Ende meines Studiums entgegen und eine Ausbildung anzufangen ist mir auch vergönnt, weil das Geld niemals reichen würde um meine monatlichen Raten für die Schulden, die ich gemacht habe, abzuzahlen. Ich war zu dem Schluss gekommen, dass ich nur so weiterleben kann wie bisher und mich irgendwie dadurch manövriere, aber wie sollte das Gut gehen?

Es hat nicht funktioniert. Die Schulden sind mehr geworden und ich bin an dem Punkt, an dem es finanziell nicht weitergeht. Es ist nicht das erste Mal, dass es heißt „rien ne vas plus“. Die letzte Wette, die letzte Hoffnung alle Verluste zurückzugewinnen, ist verloren. Dieses beklemmende, taube Gefühl in meinem Kopf nimmt Überhand. Mein Kopf scheint zu explodieren und die Angst davor, wie es nun weitergehen soll, ist unerträglich. Kurze Zeit nach dieser betäubten Phase, habe ich mir schon einige Male überlegt, ob es nicht besser wäre, mit allem Schluss zu machen. Es wäre wahrscheinlich einfacher für mich, einfach mit allem Schluss zu machen.

Ich hatte mir schon ganz genau und bis ins Detail überlegt, wie ich meinem Leben ein Ende setzen würde. Zuerst würde ich in irgendeinem Hotel einchecken und noch einmal richtig auf den Putz hauen. Ich würde mich mit gutem Essen und Whiskey eindecken, ein paar Prostituierte einladen und es noch einmal richtig knallen lassen. Ich würde nach Frankreich fahren, nach Le Point St. Mathieu. Das ist ein kleiner Ort in Frankreich in der Bretagne. Ich liebe die Rauheit dieser Gegend und die Küsten, die wie mit Hammer und Meißel ins Land geschlagen zu sein scheinen. Ich würde noch einmal Abschiedsbriefe an die wenigen wichtigen Menschen in meinem Leben versenden. Danach würde ich mit meinem Surfboard zu einem der vielen Strände gehen. Whiskey trinken und Schlaftabletten einwerfen und dann soweit aufs offene Meer hinaus paddeln, wie ich noch kann. Dort auf dem stürmischen Atlantik würde ich der Welt dann noch einmal „Leb wohl“ sagen und ihr die Hand entgegenstrecken, um Ihr zu sagen, dass Sie gewonnen hat. Das mag zwar alles pathetisch klingen, aber so ist der Tod nun einmal, vor allem, wenn man ihn umarmt, statt sich gegen ihn zur Wehr zu setzen.

Schon verrückt wie klar ich das auch jetzt gerade in diesem Moment wieder vor Augen habe. Je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir aber jedes Mal, dass es so nicht mit mir zu Ende gehen darf. Vielleicht bin ich auch nur zu feige, um so etwas tatsächlich zu tun. Jedenfalls will ich ein letztes Mal versuchen mich mit allem, was ich habe, diesem immer attraktiver erscheinenden Schluss, kämpfend entgegenzustellen.

So stehe ich nun hier, lasse den Blick auf die Lichter der Kleinstadt wandern und merke, wie ein kleines, kraftspendendes Pflänzchen Hoffnung in mir aufkeimt. Ich nehme einen letzten Schluck vom Bier und einen letzten Zug von meiner Zigarette. Wieder mal allein! Morgen wird alles besser!

2 Aufräumen

Heute Morgen bin ich mit einem leichten Kater aufgewacht. Ich habe verdammt schlecht geschlafen und ärgere mich immer noch darüber, dass nur ein Tor gefehlt hat, um mir diesen ganzen Ärger, der jetzt auf mich zukommt, zu ersparen. Einige traurige Tage mit Nerv tötenden, beschissenen Aufgaben liegen vor mir. Am liebsten würde ich mein Glück noch einmal versuchen, um das ganze irgendwie doch noch verhindern zu können, aber ich habe mich mit aller Konsequenz dazu entschlossen komplett mit dem Spielen aufzuhören.

Wenn man nach so einer Entgleisung aufräumen muss, kommt der ganze Scheiß zum Vorschein, der unter den Trümmern verschüttet liegt. Als erstes muss ich nun all meinen Gläubigern erklären, dass ich deren Zahlungsaufforderungen nicht fristgerecht nachkommen kann. Dann muss ich einen Plan erstellen, wie ich diesen Schlamassel irgendwie in den Griff bekomme. Des Weiteren muss ich meinen Gläubigern einen Zahlungsplan vorlegen.

Am liebsten würde ich alles stehen und liegen lassen und irgendwohin abhauen, wo ich meine Ruhe vor diesen ganzen kapitalistischen, rein wirtschaftlich denkenden Hurensöhnen und –töchtern hätte. Es ist schon interessant: Wenn die Zahlen nicht stimmen, kann man zahlreiche gute Gründe hervorbringen, warum und wie man die Lage in den Griff bekommt, keine Bank der Welt wird einem in der kurzfristigen Notlage helfen. Deshalb fällt die Standardlösung, einen Kredit aufzunehmen, für mich leider weg. Es bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich finde irgendwie einen anderen Weg, um das Geld zu beschaffen, oder ich muss eine Privatinsolvenz anmelden. Letzteres will ich natürlich um alles in der Welt vermeiden. Außerdem bleibt die Möglichkeit abzuhauen, aber ich habe mir vorgenommen nicht mehr vor meinen Problemen davonzulaufen, obwohl das sicherlich die einfachste Variante darstellt.

Als ich das letzte Mal beim Zocken derart über die Stränge geschlagen bin, habe ich ein paar Sachen gepackt und bin so schnell es ging abgehauen. Ziemlich feige. Eigentlich wollte ich auch nicht so schnell wieder zurückkommen., aber die Gemüter der Menschen, die ich damals enttäuscht habe, beruhigten sich schneller, als erwartet, und so konnte ich demütig und geläutert meinen Heimweg antreten.

Dieses Mal ist das Problem noch nicht so fatal, wie es das letzte Mal der Fall war. Dennoch schlimm genug, aber ich weiß, dass ich jetzt Verantwortung für meine Fehler übernehmen muss und das werde ich auch tun. Sowohl für die Leute, die für meine Fehler büßen müssten, wenn ich einfach verschwinde, als auch für mich selbst. Denn ich habe es satt wie ein Feigling das Weite zu suchen, sobald es mal ungemütlich wird.

Ich habe eben eine Aufstellung aller Schulden gemacht, die jetzt neu angefallen sind. Erst jetzt wird das volle Ausmaß meiner Entgleisung ersichtlich. Es haben sich 10.000 Euro angesammelt. Das ist verdammt hart. Wenn ich meine aktuellen Warenbestände verkaufe und privat alles veräußere, was ich veräußern kann, bleiben am Ende noch ca. 6000 Euro übrig. Das ist kein Kleckerbetrag, aber nichts, was ich nicht hinkriegen könnte. Eigentlich hält es sich sogar einigermaßen in Grenzen, auch wenn es nicht wirklich Trost spendet. Jetzt muss ich noch einen Zahlungsplan erstellen, wie und wann ich welche Rechnung begleichen kann. Letztlich müssen die sich damit arrangieren können, sonst werde ich wohl Insolvenz anmelden müssen.

Zum Aufräumen gehört leider nicht nur ein Plan wie ich meine Schulden zurückzahlen werde, sondern auch eine Selbstreflexion, warum das wieder mal passieren konnte und warum mir dieser verdammte Mist immer und immer wieder passiert. Ich meine: Immer, wenn ich darüber nachdenke, weiß ich, wie verdammt beschissen und dumm diese Zockerei ist, aber in den Situationen, in denen ich zocke und verliere, nehme ich keine Vernunft wahr. Eigentlich nehme ich dann sowie so kaum noch etwas wahr.

Wenn einem der letzte Strohhalm, an dem man sich hoffnungsvoll festklammerte, wegbricht, ist das ein unbeschreibliches Gefühl. Dieses Gefühl ist nicht ausschließlich schlecht, es fühlt sich teilweise sogar gut an.

Für einen Moment bin ich dann wie gelähmt, ein dumpfes Gefühl breitet sich in meinem Kopf aus, ich fühle das Pochen meines Pulses in meinen Schläfen. Für einen Augenblick existiert nichts, man steht oder sitzt wie betäubt da und nimmt nichts wahr. Neben diesem Gefühl macht sich ein wenig Erleichterung breit, als wenn eine Last von einem abfällt. Doch dieser Zustand hält nicht lange an. Kurz darauf arbeitet dein Verstand wieder, und zwar auf Hochtouren. Bei mir nimmt dann die Scham davor, was man getan hat, mein ganzes Wesen ein. Die Scham, so dumm gewesen zu sein, die Scham Menschen enttäuscht zu haben, die Scham schwach zu sein, die Scham ein Versager zu sein. Ich kann dann weder schlafen noch vernünftig denken.

Ich hoffe, dass der Leser einigermaßen eine Vorstellung davon bekommen hat, was in so einem Rien-ne-vas-plus Moment in jemandem vorgeht. Zumindest geht das in mir so vor. Ich habe mich selber nun schon oft mit diesen Gefühlen auseinander gesetzt, denn vor einiger Zeit habe ich bereits eine Therapie begonnen. Nach etwa einem Monat habe ich diese jedoch wieder abgebrochen, weil ich dachte ich wäre von der Spielsucht geheilt. Außerdem hatte ich Probleme an den Gruppensitzungen teilzunehmen, da ich in den letzten Jahren eine Sozialphobie entwickelt habe und ich Angst hatte, vor all den Leuten in der Gruppe einen emotionalen Striptease hinzulegen.

In der kurzen Zeit meiner Therapie habe ich nach den Ursachen für meine Sucht gesucht. Außerdem habe ich mehrere Bücher zum Thema gelesen. Eines habe ich dabei gelernt: Ein Süchtiger versucht meist einen Mangel im eigenen Leben oder eine allgemeine Unzufriedenheit zu kompensieren. Jemand der spielt, findet sein Leben oft langweilig und eintönig. Er ist unzufrieden mit seiner Situation und versucht im Spiel eine Abwechslung, ein Abenteuer oder Freiheit zu finden. Das mag auch am Anfang funktionieren, aber irgendwann ist die Sucht nur noch ein Ventil, um negative Gedanken über sich selbst und sein Leben zu verjagen. Wenn dieses Ventil so funktionieren würde, wäre es wirklich schön, aber nach und nach verstärken sich die negativen Gedanken noch. Dadurch, dass man spielt. Es ist ein Teufelskreis. Die Spezialisten nennen das eine „sich Selbst-erfüllende-Prophezeiung“.

Man kann davon halten, was man will, aber auf mich trifft dieses Modell zu 100% zu. Ich habe das erste Mal gespielt, da habe ich gerade meinen Zivildienst gemacht. So mit ca. 19 Jahren. Es hat auf Anhieb Spaß gemacht und gewonnen hab ich anfangs auch sehr oft. Ein Jahr später ging es mir nicht wirklich gut. Ich studierte ein Fach, das mir keinen Spaß machte. Ich war alleine in einer fremden Stadt und hatte dort keine Kontakte. Da ich das Studium schnell vernachlässigte, waren auch die Kontakte zu meinen Kommilitonen schnell Geschichte. In der Zeit stürzte ich mich voll ins Spielen. Ich las Bücher über verschiedene Pokervarianten, über Black-Jack und Sportwetten und wie man Geld damit verdienen kann. Das war für mich der Ausweg aus dem ganzen Scheiß und die Chance ein unkonventionelles, freies, spaßiges Leben zu führen. Ich verbrachte immer mehr Zeit vor dem PC und spielte online Poker. Stunden, Nächte lang. Ich ging nicht mehr oft aus dem Haus. Nur noch um einkaufen zu gehen oder wenn es unbedingt sein musste.