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© 2021 Anton Christian Glatz
Umschlaggestaltung: A. Ch. Glatz
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt Bildernachweis: A. Ch. Glatz
Abb. Seite →: © Alex Schiller (mit freundlicher Genehmigung)
Foto Seite →: © Duanna Mund, mit freundlicher Genehmigung von Alex Schiller und Valerie Tschida (Galerie upTownArt)
Seite →: gemeinfrei
ISBN 9783753413556
Aus vielerlei Gründen liebe ich Erzählungen. Lassen Sie mich also erläutern. Die Bezeichnung Erzählung ist ein Überbegriff und umfasst weit mehr, als man auf den ersten Blick vermuten mag. Auch eine Meldung im Fernsehen ist eine Erzählung. Es wird z. B. erzählt, dass im Alpenvorland ein Unfall passierte, oder am Soundsovielten Unwetter niedergingen. Die Details begründen die Vollständigkeit, solange sie die sechs W-Fragen beantworten: Wer hat was, wann wo, wie und warum getan? Jeder Kinofilm ist eine Erzählung. Was ist Mozarts „Zauberflöte“? Ganz klar eine Erzählung, und zwar eine fantastische, im doppelten Sinne des Wortes. Mit Tschaikowskis Ballett „Schwanensee“ erfreuen wir uns einer Erzählung. Dass sich all diese Erzählungen durchaus unterschiedlicher Ausdrucksmittel bedienen (bildhafte, musikalische, tänzerische etc.) ändert am Grundcharakter nichts.
In Wirklichkeit sind Erzählungen in all ihren ungemein ausdifferenzierten Erscheinungsformen fast schon allgegenwärtig. Doch leider macht es bekanntlich die Menge nicht. Im Gegenteil: Wirklich gute literarische Erzählungen sind dünn gesät. Es hängt ein bisschen damit zusammen, dass alle Welt glaubt, eine Inspiration, die streng genommen Textvolumen für eine Novelle hergibt, zu einem Roman auswalzen zu müssen. Vor allem in der deutschsprachigen Literatur wimmelt es von Romanen, die übermäßig aufgebläht sind. Ernst Jandl hat es einmal auf den Punkt gebracht: „Roman ist eine Geschichte, bei der alles zu lange dauert.“
Zudem empfinde ich die typischen 500, 600 oder noch mehr-Seiten langen Wälzer meistens als tyrannisch. Wie oft verlangt die Autorin oder der Autor vom Publikum, Stunden um Stunden zu investieren, um das selbstverliebte Geschwätz zu konsumieren? Die allermeisten Romane würden von einer Kürzung profitieren. Unter Insidern heißt es so treffend, ein Roman sei nicht dann fertig, wenn es nichts mehr hinzuzuschreiben gibt, sondern wenn man nichts mehr wegstreichen kann.
Aus meiner Sicht wird in der gegenwärtigen, deutschsprachigen Literatur viel mehr geplappert, als erzählt. Dabei leitet sich das Wort „Dichtung“ von „verdichten“ ab. Dies legt nahe, die Informationen auf das Wesentliche zu verdichten, und nicht, eine dünne Handlung mit einer Unmenge an Worten zu kompensieren. Nach dem Motto: „Ich habe zwar nichts zu sagen, tue das aber mit tausenderlei kunstvollen Worten“ wird jede Menge dünne Suppe mit sprachlicher Akrobatik und Detailverliebtheit gewürzt. Jedoch hat unsere Zeit mit allem, was wesentlich ist, ein – ironischerweise – grundsätzliches Problem.
Was ist also das Wesentliche an einer literarischen Erzählung? Ich halte es mit Jim Henson, der in seinem „Storyteller“ sagt: „Als man sich die Vergangenheit noch in Form von Geschichten erzählte, die Gegenwart in Form von Geschichten zu deuten versuchte und die Zukunft in Geschichten vorhersagte, da hielt man stets den besten Platz am Feuer dem Geschichtenerzähler frei.“ Weder die inhaltliche Übereinstimmung ist der entscheidende Punkt, noch der kommerzielle Erfolg, sondern dass die Leute zusammenkommen. Dieser Minimalkonsens klingt zwar bescheiden, legt hingegen das Fundament dafür, dass sich Literatur zu ihrer Blüte entfalten kann.
Den allermeisten meiner Geschichten liegt selbst ein origineller Entstehungskontext zugrunde, sozusagen erfundene Geschichten, eingebettet in autobiografisch-wirkliche. Einige wenige seien zumindest angedeutet.
Zum Beispiel: „Abakus, die Legende“. Ich kam 2018 in Kontakt mit den sog. „Apfelmännern“. Bei ihnen handelt es sich um eine Vereinigung führender Apfelbauern der Gemeinde Puch bei Weiz, Oststeiermark. Seit 1998 bestimmen diese jedes Jahr nach der Apfelernte, welche Sorte am besten geraten ist. Dann brennen sie in einem „geheimer als geheimen“, wie sie selbst sagen, Vorgang ihren Schnaps. Dazu „verlassen die Apfelmänner Haus und Hof, Frau und Kinder und sperren sich 3 Tage und 2 Nächte lang ein“. Der Hochprozentige wird ein Jahr gelagert und, sofern als würdig empfunden, schließlich der Öffentlichkeit präsentiert. Unter der Marke „Abakus“ wird dieser Schnaps überregional verkauft, 2020 um den schier unglaublichen Preis von € 104,44 zzgl. Versandkosten für die 7/10-Liter-Flasche. Dies auch nicht an jeden x-beliebigen Kunden, denn nach der neunten der zwölf selbsterfunden Regeln „sei der Kunde hinsichtlich seiner inneren Werte geprüft“. Auch sonst betreibt man um diese Marke einen ziemlichen Kult1, der hier keineswegs annähernd erschöpfend dargestellt werden kann.
Alles in allem handelt es sich freilich um einen Marketing-Gag. Indessen fand ich diesen so pfiffig, dass ich mich zu einer Novelle mehr als nur üblich inspiriert fühlte; es drängte mich geradezu, eine Erzählung beizusteuern. Diese sollte einen Charakter mit dem Namen Abakus zum Zentrum haben und sozusagen „historisch“ ableiten, wie es zu diesem Schnaps kam. In dem – an sich sehr umfangreichen – Konzept der Apfelmänner blieb dieser Aspekt nämlich unbeachtet. Ein Blick auf die Kirchentür sagte mir, in welchem Szenario ich die Erzählung anzusiedeln hätte: 1455. In diesem Jahr war die Kirche eingeweiht worden. Allerdings kommt es bei einer historischen Erzählung bekanntlich viel auf die Recherche an.
Also setzte ich mich eines Tages in den öffentlichen Bus in Richtung Gemeinde Puch bei Weiz. Das Setting sollte möglichst realistisch recherchiert sein, wenn schon die Geschichte, also Charaktere und Handlung in bester literarischer Manier frei erfunden waren. In der Gemeinde führte ich ein liebenswürdiges Gespräch mit der Bürgermeisterin Gerlinde Schneider. Aus Freude, dass sich jemand für ihre Gemeindegeschichte interessierte, drückte sie mir die Gemeindechronik „600 Jahre Puch bei Weiz“ in die Hand; selbstverständlich persönlich signiert.
Ich besichtigte eingehend den Ort und machte mich mit dem Ideengut der Apfelmänner vertraut. Meine Erzählung sollte sich möglichst geschmeidig in ihr ideelles Konzept einfügen, andererseits jedoch durchaus eigenständig sein, in sicherem Abstand von jedem Plagiat.
Ich werde die Gemeindechronik stets in Ehren halten. Sie erinnert mich an einen wunderbaren Tag mit reisen, nachforschen, erkunden, auf Menschen zugehen, gute Gespräche führen mit freundlichen Leuten, die Natur genießen, sich inspirieren lassen von allem, was die Kraft dazu hat, frei von allen Zwängen der Vermarktungsmühlen … Das verstehe ich unter lebendiger Literatur. Auf diesem Humus gedeihen meine Geschichten, meine Gedichte. Einige dieser solcherart entstandenen Texte finden sich hier versammelt.
Besonderer Erwähnung bedürfen die Kurzgeschichten „Das Ruinengeheimnis“ (2016) und „Alexanders Versuchung“ (2018). Die Texte wurden von den Teilnehmern der Donnerstagsmorgen-Runde des Männerwohnheims Graz gemeinsam entwickelt. Die Projektleitung hatte Frau Magistra Barbara Tschapeller-Warscher, klinische Psychologin des Hauses, inne, ich die wohlwollende Schriftführung bzw. Redaktion. Die Geschichten wurden in Jahreskalendern, welche inzwischen vergriffen sind, veröffentlicht.
Wie entstanden die Texte? Die Runde arbeitete mit dem Kartenspiel „Es war einmal ….“ (Pegasus-Spiele). Die Herausforderung bestand darin, in der Gruppe eine kleine Erzählung zu entwickeln. Die Spielkarten waren verschiedenen Oberbegriffen zugeordnet: Ort, Ding, Handlung, Charakter, Ereignis, Eigenschaft und Erzählende. Die Teilnehmenden zogen der Reihe nach eine Karte und ließen sich anhand dieser eine Geschichte einfallen. Diese führte der nächste Teilnehmer mit seiner Karte möglichst sinnvoll weiter, solange bis die Geschichte gemäß dem gezogenen Ende (z. B.: „Der Wahnsinn des Prinzen war geheilt.“) beendet wurde. Die Karten wiesen typisch märchenhafte Elemente auf, sorgfältig aufeinander abgestimmt. Sie stellten sich als ungemein inspirativ heraus. Aus Gründen der Authentizität und aus Respekt vor der Leistung der Gruppe wurden die Kurzgeschichten in der – etwas ungeschliffenen – Form aufgenommen, in der sie damals in den Kalendern veröffentlicht wurden.
Mein Beitrag zum Projekt „Imagine ...“ sollte ebenfalls als grenzüberschreitende Zusammenkunft verstanden sein. Hier trafen einander völlig fremde Menschen aus der bildenden Kunst und solche aus der schreibenden Ecke aufeinander. Es ging darum, zu einem der Bilder einen kongenialen Text zu entwickeln. Ohne zusätzliche Hinweise wie Name der Künstlerin oder des Künstlers sowie Titel sollte ich mich nur von der Abbildung selbst leiten lassen. Sprach mich das Bild an? Wohin würde es mich führen? Würde mir ein literarischer Ausdruck in irgendeiner Form gelingen? Auf Basis dieser außerordentlichen, fundamentalen Offenheit wurde mir das Projekt zur willkommenen Übung im Blick über meinen Tellerrand.
Und nun eine kleine Warnung: Wem es an Humor mangelt, wird an vielen meiner Geschichten keine rechte Freude finden. Oft sind es Satiren, in denen ich mich in der Kunst des literarischen Wadelbeißens übe. Ich pinkle gern den offiziellen gesellschaftlichen Autoritäten ans Bein. Selbst die berühmte politische Korrektheit ist mir nicht das Maß aller Dinge. Wo sie mir zum Korsett wird, oder zur vorauseilenden Selbstzensur, setze ich mich über sie hinweg. Ich lade alle Lesenden ein, an der kathartischen Wirkung dieser Grundhaltung zu partizipieren.
Die Abbildungen einer Krähe, die auf einem Kamin sitzt, soll der Gelegenheit dienen, zwischendurch ein wenig meditativ innezuhalten. In jedem kultivierten Spannungsbogen findet sich Raum für eine kleine Pause, sozusagen Zeit zum Luftschöpfen für das Kommende. Was würde diese Krähe erzählen? Sitzt sie auf einem Kamin, weil er wohlig von unten Füße und Bauch wärmt? Lebt sie etwa am Polarkreis und späht in die Umgebung hinaus? Was mag sie erblicken? Starrt sie wirklich nur in den offenen Himmel oder beobachtet sie den rechts oben fliegenden Vogel? Nähert sich eine Krähenkollegin oder ein Raubvogel, vor dem sie sich hüten muss? Und ist der Himmel tatsächlich leer, oder doch vielmehr offen? Offen für eigene Gedanken, Ideen und Fantasien, oder gar Erzählungen und insofern eine Einladung, diesen Projektionsraum mit eigener Kreativität zu füllen? Vermag uns ein offener Himmel wirklich nichts zu erzählen? Die abwechselnde ästhetische Gestaltung der Abbildungen steht als Metapher für die unterschiedliche Sichtweise selbst trivialer Vorgänge. Wie vielseitig ist doch das Leben und das möge sich kundtun. Dies in Balance mit dem stets gleichbleibenden Motiv, wodurch Kontinuität ausgedrückt wird.
Gestatten wir uns auf diese Weise ein bisschen der aktuell mehr denn je notwendigen Entschleunigung. Und sollten sich dabei Ideen einstellen, seien diese auf dem Folgeblatt unter „Notizen“ vermerkt. Auf diese Weise möge das Buch ein klein wenig zum persönlichen Begleiter der Lesenden werden. Diese Zeit wollen wir uns gönnen.
Ja, Zeit … Vielleicht liegt es daran. Eine gute Erzählung braucht Zeit, sie muss reifen dürfen, wie der Schnaps der Apfelmänner auf den Kulmer Lehmziegeln. Was macht den Cognac edel? Die Zeit, die er im Eichenfass zubringen durfte. Die neoliberalen Paradigmen als Faust im Nacken wollen wir doch heutzutage so schnell wie möglich Geschäfte machen. Dadurch ist das marktschreierische Gegacker über ungelegte Eier derart selbstverständlich geworden, dass wir es fast nicht mehr wahrnehmen. Echte Kreativität erodiert unter Zeitdruck und kommerziellen Parametern. Und so komme ich zum Ausgangspunkt der Überlegungen zurück.
Zusammenfassend konstatiere ich trotz – oder vielleicht wegen – der übermächtigen Präsenz von Erzählformen den Archetyp der Erzählung selbst in einer prekären Lage. Ganz besonders sind die kleinen Erzählformen zum Treibgut geraten, für das sich niemand bückt, obwohl gerade sie das Prinzip des Verdichtens verkörpern. Im Vergleich zu der Textmasse eines Romans zwingt die Kurzgeschichte bzw. die Novelle zu erhöhter schriftstellerischer Sorgfalt. Ein sparsames Textvolumen offenbart gnadenlos jeden Durchhänger, während Passagen, die schwächeln, in einem Roman tendenziell untergehen. Der Gesamteindruck am Ende glättet den Blick aufs Detail.
In der kurzen Erzählung sowie Novelle erblicke ich daher die ambitionierteren und für das Publikum ohnehin freundlicheren Textgattungen. „Polarkreis und Umgebung“ ist eine Verneigung vor diesen Kunstformen.
Anton Christian Glatz
Graz, im Herbst 2020, als die Nächte um sich griffen und es frühmorgens nach nasser Erde roch.
1 Weitere Informationen unter: www.abakus-puch.at (Stand 2020)
Es steht immer noch vor meinen Augen, als sei es gerade vorgestern gewesen ... Kompromisslos wie der Zeigefinger Gottes stach sich der erste Strahl der Morgensonne seinen Weg durch finstere Wolkengebirge. Bald würde uns die Frühlingssonne wärmen. Viele von uns brauchten es allerdings nicht mehr, denn sie lagen tot auf matschiger Erde, im Schützengraben, verrenkt im Stacheldraht oder irgendwo zwischen unserer Linie und der der Franzosen. Zerfetzt, ausgeblutet, Uniformen beider Seiten vom Regen, der soeben aufgehört hatte, durchnässt. Noch rauchten die Läufe der Maschinengewehre und der Gestank des abgeschossenen Pulvers reizte Nase und Lunge. Mir dröhnte der Kopf von den Schüssen, den Schreien, den Explosionen, den Befehlen, auch von denen, die ich selbst gebrüllt hatte, einer Sinfonie des Lärms. Manch einen der Verwundeten hörten wir um Hilfe rufen und stöhnen, bis er endlich leiser wurde und zu guter Letzt verstummte.
Am Eingang zu meinem Unterstand saß Fritz, unser Telefonist, mit offener Feldbluse in einer Pfütze. Seine Eingeweide quollen aus dem aufgeschlitzten, blutverschmierten Bauch. Mit zittrigen, dreckigen Fingern versuchte er sie zurückzustopfen. Als er mich sah, deutete er mit einer Kopfbewegung auf die Pistole in meiner rechten Hand und keuchte: „Um Gottes Willen, Herr Leutnant, bitte machen Sie ein Ende. Mir ist die Munition ausgegangen.“
Ich rief nach dem Sanitäter, aber der war weit weg, wo es jede Menge Fälle von ebensolcher Dringlichkeit zu versorgen galt. Ich tat Fritz den Gefallen.
Tagelang waren wir beschäftigt, die Verwundeten zu versorgen, Schäden zu reparieren und Neulinge einzuquartieren. Für mich als Kommandant bedeutete das eine Menge organisatorischer Arbeit. Die Verlustmeldungen wollten geschrieben sein, viele Soldaten mussten ersetzt werden, die Neulinge galt es einzuweisen.
Mitten in diesen Arbeiten befand unser Oberkommando, es sei Zeit, einen Gegenangriff zu starten. Auf meinen Einwand hin, wir wären dafür noch nicht gerüstet, war mir die Auskunft erteilt worden, gerade, weil der Feind ebenso dächte, sei der Zeitpunkt günstig. Es gelte, das Überraschungsmoment zu nützen, das Unerwartete zu tun, eine strategische Raffinesse, mit der ich als einfacher Leutnant freilich überfordert schien.
Ab vier Uhr früh beschoss unsere Artillerie die gegnerische Linie für über zwei Stunden. Wir warteten unterdessen im Graben. Ich machte die Runde und überprüfte sporadisch die Ausrüstung der neuen Soldaten, die gerade einmal wussten, wo die Latrine lag. Mit dem neuen Telefonisten, einem Grünschnabel von vielleicht 17 Jahren, dem ich persönlich keine drei Monate Überlebenszeit gab, hielt ich ständig Kontakt.
Nach der Taktik der Feuerwalze sollten wir uns im Gefolge unseres Artilleriefeuers so weit wie möglich an die feindlichen Stellungen heranmachen, während die Franzosen in ihrer Deckung verharren mussten. Bei Abbruch unseres Artilleriebeschusses sollte es für die feindlichen Soldaten zu spät sein. Soweit die theoretische Überlegung, eine Hoffnung, die sich in meinem Frontabschnitt jedenfalls nie erfüllte; weder für unsere Seite, noch die der französischen.
Das Heulen der Granaten über unseren Köpfen war noch voll im Gange, als das Feldtelefon klingelte. Der Grünschnabel hob ab und meldete sich vorschriftsmäßig. Mit einem „Zu Befehl!“ legte er wieder auf. Es war soweit! Auf mein Kommando pflanzte die Mannschaft die Bajonette auf. Ich zog die Pistole, Typ Parabellum 08, dann kletterten wir aus dem Graben und stürmten los ...
Unser Artilleriefeuer brach zu früh ab, die Franzosen fluteten wieder in ihre Stellungen zurück. Sofort schlug uns heftiges Infanteriefeuer entgegen, wütend ratterten die französischen Maschinengewehre. Ihre Salven sägten sich durch unsere Reihen. Die Handgranaten flogen hin und her, explodierten mal da, mal dort.
Auf halbem Weg zu den Franzosen stolperte ich und fiel in einen der unzähligen Krater. Als ich wieder aufspringen wollte, ließ mich ein stechender Schmerz im linken Knöchel zusammenfahren. Ein Granatsplitter hatte mich gestreift. Verdammt – was tun? Der Linie der Franzosen entgegenhumpeln, hoffen, nicht im Wege zu stehen und dabei ein leichtes Ziel bieten? Lächerlich ... Taktisch schien es mir am klügsten, zu warten bis Hilfe kam. Spätestens in der Nacht wollte ich mich zu meinen Stellungen zurückschleichen. Unter Tag wäre ich bloß eine Beute der feindlichen Scharfschützen geworden. Es heißt, in einen Krater schlüge nicht noch einmal eine Granate ein, was natürlich purer Aberglaube ist. Dennoch vermittelt dieser Unsinn die Illusion eines Rückzugsortes, just da, wo es genau genommen keinen gibt. Glücklicherweise war der Krater tief genug, mich vollständig darin zu verbergen.