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Hans Fallada

Bauern, Bonzen und Bomben

Ungekürzte und kommentierte Ausgabe

Hans Fallada

Bauern, Bonzen und Bomben

Ungekürzte und kommentierte Ausgabe

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
EV: Rowohlt Verlag, Berlin, 1931 (565 S.)
1. Auflage, ISBN 978-3-962813-35-2

null-papier.de/573

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Be­spre­chung von Kurt Tuchols­ky

Vor­wort des Au­tors

VORSPIEL

Ein klei­ner Zir­kus na­mens Mon­te

ERSTES BUCH: Die Bau­ern

ERSTES KAPITEL – Eine Pfän­dung auf dem Lan­de

ZWEITES KAPITEL – Jagd nach ei­nem Foto

DRITTES KAPITEL – Die ers­te Bom­be

VIERTES KAPITEL – Ein Ge­wit­ter zieht sich zu­sam­men

FÜNFTES KAPITEL – Der Blitz ist in der Wol­ke

SECHSTES KAPITEL – Das Ge­wit­ter bricht los

SIEBTES KAPITEL – Die Re­gie­rung greift durch

ZWEITES BUCH – Die Städ­ter

ACHTES KAPITEL – Die Er­fin­dung des Boy­kotts

NEUNTES KAPITEL – Der Boy­kott wird Wirk­lich­keit

ZEHNTES KAPITEL – Die Ver­söh­nungs­kom­mis­si­on ar­bei­tet

ELFTES KAPITEL – Die Städ­ter kämp­fen – aber ge­gen­ein­an­der

ZWÖLFTES KAPITEL – Es kracht zum zwei­ten Mal

DREIZEHNTES KAPITEL – Ga­reis der Sie­ger

DRITTES BUCH – Der Ge­richts­tag

VIERZEHNTES KAPITEL – Stuff ver­än­dert sich

FÜNFZEHNTES KAPITEL – Drei Tage Glück

SECHZEHNTES KAPITEL Tre­dups Ende

SIEBZEHNTES KAPITEL – Ga­reis in der Sch­lin­ge

ACHTZEHNTES KAPITEL – Zeu­gen und Sach­ver­stän­di­ger

NEUNZEHNTES KAPITEL – Das Ur­teil

NACHSPIEL

Ganz wie beim Zir­kus Mon­te

Dan­ke

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Besprechung von Kurt Tucholsky

Wer, um sich oder ei­nem Drit­ten einen rechts­wid­ri­gen Ver­mö­gens­vor­teil zu ver­schaf­fen, einen an­dern durch Ge­walt oder Dro­hung zu ei­ner Hand­lung, Dul­dung oder Un­ter­las­sung nö­tig­t – § 253 StGB

Ein po­li­ti­sches Lehr­buch der Fau­na Ger­ma­ni­ca, wie man es sich nicht bes­ser wün­schen kann:

›Bau­ern, Bon­zen und Bom­ben‹ von Hans Fal­la­da (er­schie­nen bei Ernst Ro­wohlt in Ber­lin). Be­vor wir ins The­ma stei­gen: das Buch hat ein got­tes­läs­ter­lich schlech­tes Satz­bild. Wie sieht denn nur die Sei­te aus? Ich habe im­mer ge­lernt, der wei­ße Rand müs­se sich nach der In­nen­sei­te des Bu­ches hin ver­brei­tern – dies Satz­bild ist aber gar nicht schön. Ro­wohlt, Sie sind doch sonst nicht so? Jetzt gehts los.

Fal­la­das Buch ist die bes­te Schil­de­rung der deut­schen Klein­stadt, die mir in den letz­ten Jah­ren be­kannt ge­wor­den ist. Der Ver­fas­ser hat einen Bau­ern­ro­man schrei­ben wol­len – wohl an­knüp­fend an die Vor­gän­ge in Neu­müns­ter in Hol­stein, wo Bau­ern­füh­rer im Sin­ne Klaus Heims und, un­ab­hän­gig von ihm, die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten die vor­han­de­ne Un­zu­frie­den­heit der Bau­ern be­nutz­ten, um ge­gen das, was sie die Re­pu­blik nen­nen, vor­zu­ge­hen. »Die Ge­stal­ten des Ro­mans«, steht im Vor­wort, »sind kei­ne Fo­to­gra­fi­en, sie sind Ver­su­che, Men­schen­ge­sich­ter un­ter Ver­zicht auf bil­li­ge Ähn­lich­keit sicht­bar zu ma­chen. Bei der Wie­der­ga­be der At­mo­sphä­re, des Par­tei­ha­ders, des Kamp­fes al­ler ge­gen alle ist höchs­te Na­tur­treue er­strebt. Mei­ne klei­ne Stadt steht für tau­send an­de­re und für jede große auch.«

Die Bau­ern nun sind in die­sem Ro­man eine dunkle, an­ony­me Mas­se – die paar Ty­pen, die her­aus­ge­grif­fen wer­den, sind viel blas­ser als die Be­woh­ner der klei­nen Stadt Alt­holm; und von den wirt­schaft­li­chen Grün­den bäu­ri­scher Not­la­ge wird so gut wie nichts ge­sagt. Ein­mal ist das hei­kle The­ma, dass die Bau­ern viel­leicht in­ten­si­ver wirt­schaf­ten soll­ten, um sich ge­gen die aus­län­di­sche Kon­kur­renz an­ders als mit Schutz­zöl­len zu be­haup­ten, lei­se an­ge­schla­gen; kein Wort da­von, dass die Ver­diens­te, die der Bau­ern­schaft durch die In­fla­ti­on in den Schoß ge­fal­len sind, sie da­mals für lan­ge Zeit hät­ten schul­den­frei ma­chen kön­nen, es war jene Zeit, wo die Le­der­ses­sel und die Kla­vie­re in die Bau­ern­häu­ser trans­por­tiert wur­den. Und wo stehn die Bau­ern heu­te ... also da­von ist in dem Buch we­nig zu spü­ren. Den Bau­ern gehts eben schlecht – und nun re­vol­tie­ren sie.

Das tun sie auf eine recht merk­wür­di­ge Wei­se.

Die dem Alt­deut­schen ent­lehn­ten ro­man­ti­schen For­men des ar­men Kon­rad wir­ken wie auf­ge­klebt. »Bau­ern Pom­merns, habt ihr dar­über hin­aus schul­dig ge­fun­den die gan­ze Stadt Alt­holm mit al­lem, was dar­in lebt, so sprecht: sie ist schul­dig! – An­klä­ger, wel­che Stra­fe be­an­tragst du ge­gen die Stadt Alt­holm?« Das ist tra­gi­sche Oper, Film und neu­rup­pi­ner Bil­der­bo­gen. Si­cher­lich wird auf die­sen Things so ge­spro­chen; es ist die ge­ho­be­ne Spra­che von Acker­bür­gern, die das Fei­er­li­che sol­cher Hand­lun­gen durch einen Stil be­kun­den, der lei­se Erin­ne­run­gen an die Bi­bel und an alte ver­schol­le­ne Zei­ten auf­weist, da der Bau­er ein­mal wirk­lich re­vo­lu­tio­när ge­we­sen ist. Aber warum, warum das al­les so ist – da­von be­kom­men wir in die­sem Buch we­nig zu hö­ren. Gut ge­sehn und gut ge­schil­dert ist das Dump­fe am Bau­ern, sei­ne Schlau­heit, sei­ne un­ge­heu­re Ak­ti­vi­tät im pas­si­ven Er­dul­den, wor­an sich je­der Geg­ner mit der Zeit tot­läuft ... aber der Bau­er: der ist nicht in die­sem Buch. Das hat kein Bau­er ge­schrie­ben. Die­ser Au­tor hat die Bau­ern­be­we­gung schil­dern wol­len, und un­ter der Hand ist ganz et­was andres her­aus­ge­kom­men: ein wun­der­vol­ler Klein­stadt­roman.

Ge­or­ge Grosz, der du das Ti­tel­bild hät­test zeich­nen sol­len, das lies du! Es ist dein Buch.

Die Tech­nik ist sim­pel; es ist der bra­ve, gute, alte Na­tu­ra­lis­mus, das Dich­te­ri­sche ist schwach, aber der Ver­fas­ser prä­ten­diert auch gar nicht, ein großes Dicht­werk ge­ge­ben zu ha­ben. Ein paar Stel­len sind dar­in, an de­nen schlägt ein Herz. Nein, ein großes Kunst­werk ist das nicht. Aber es ist echt ... es ist so un­heim­lich echt, dass es ei­nem graut.

Ge­zeigt wird das po­li­ti­sche Le­ben ei­ner klei­nen Pro­vinz­stadt; ihre Int­ri­gen und ihre In­ter­es­sen­ten; ihre Stamm­ti­sche und ihre Wei­ber­knei­pen; ihr Rat­haus und ihre Po­li­zei­wa­che ... es ist schmerz­haft echt. Das hat ei­ner ge­schrie­ben, der die­se Um­welt wie sei­ne Ta­sche kennt, ei­ner, der sich aber doch so viel Di­stanz dazu be­wahrt hat, sie schil­dern zu kön­nen. Er hat ge­nau die rich­ti­ge Ent­fer­nung, de­ren ein Schrift­stel­ler be­darf: nah, aber nicht zu nah. Es scheint mir un­ge­mein be­zeich­nend, dass wir kei­nen sol­chen Arz­troman ha­ben; kei­nen sol­chen Bör­sianer­ro­man; kei­nen sol­chen Groß­stadt­roman: es ist, als hät­ten die An­ge­hö­ri­gen die­ser ge­ho­be­nen Bür­ger­schich­ten kei­ne Au­gen im Kopf, um das zu se­hen, was rings um sie vor­geht. Es ist ih­nen wohl zu selbst­ver­ständ­lich. Fal­la­da hat ge­sehn.

Es ist eine At­mo­sphä­re der un­ge­wa­sche­nen Füße. Es ist der Mief der Klein­stadt, je­ner Bro­dem aus Klatsch, Geld­gier, Ehr­geiz und po­li­ti­schen In­ter­es­sen; es ist jene Luft, wo die klei­ne Glo­cke an der Tür des Po­sa­men­tier­wa­ren­la­dens schep­pert und eine alte Jung­fer nach vorn ge­stol­pert kommt ... Au­gen tau­chen hin­ter Fens­ter­la­den auf und se­hen in den ›Spion‹ ... und wenn das nun noch ein Dich­ter ge­schrie­ben hät­te, der nicht nur theo­re­tisch im Vor­wort sagt, dass die­ses Alt­holm für tau­send and­re Städ­te ste­he, son­dern wenn er uns das nun auch noch im Buch selbst ge­zeigt hät­te –: dann wäre dies ein Meis­ter­werk.

So ist es nur ein po­li­tisch hoch­in­ter­essan­ter Ro­man ge­wor­den. Ich kann mir nicht den­ken, dass ich die­ses Buch zu Ende ge­le­sen hät­te, wenn es etwa eine bre­to­ni­sche Klein­stadt schil­der­te; das kann für den Frem­den nur ein Künst­ler wie Mau­passant schmack­haft ma­chen. Die­ses Werk hier habe ich in zwei Näch­ten ge­fres­sen, weil es uns po­li­tisch an­geht, nur des­we­gen. Bei­nah nur des­we­gen.

Im Ge­gen­satz zu die­sen dum­men Bü­chern ge­gen die ›Bon­zen‹, wo der So­zi­al­de­mo­krat nichts als dick, dumm und ge­frä­ßig ist und die an­dern rein und herr­lich; wo die Ar­bei­ter ab­wech­selnd als ver­hetzt und un­schul­dig oder als blö­de Mas­se ge­schil­dert wer­den, und wo sich die gan­ze Wut nicht zu Wor­te ge­kom­me­ner Zahl­a­bend­mit­glie­der ent­lädt – im Ge­gen­satz dazu sind hier Men­schen ge­zeich­net, wie sie wirk­lich sind: nicht be­son­ders bös­ar­tig, aber doch ziem­lich übel, mu­tig aus Feig­heit, klein, ge­duckt alle zu­sam­men – und nie­mand ist in die­sem Be­trieb ei­gent­lich recht glück­lich.

Die Bau­ern de­mons­trie­ren in der Stadt mit der schwar­zen Fah­ne ge­gen die zu ho­hen Steu­ern. Der Bür­ger­meis­ter ver­bie­tet die De­mons­tra­ti­on nicht, der Re­gie­rungs­prä­si­dent will sie ver­bo­ten ha­ben; bei­des sind So­zi­al­de­mo­kra­ten. Der Re­gie­rungs­prä­si­dent ent­sen­det an die Gren­ze des städ­ti­schen Macht­be­reichs Schu­po; so­wie einen ›Ver­trau­ens­mann‹. Der Ver­trau­ens­mann bringt die städ­ti­sche Po­li­zei und die Bau­ern ein biß­chen auf­ein­an­der; hier ist aus­ge­zeich­net ge­schil­dert, wie so et­was ver­läuft: wie gu­ter bö­ser Wil­le, Tücke, Schlau­heit und Ge­ris­sen­heit des Be­am­ten in­ein­an­der über­gehn – Amts­miß­brauch? Das wei­sen Sie mal nach! Und wie sich dann vor al­lem die Er­eig­nis­se selb­stän­dig ma­chen; wie es eben nicht mehr in der Macht der Men­schen liegt, ih­nen zu ge­bie­ten – das ›es‹ ist stär­ker als sie. Die Her­ren Füh­rer ste­hen nach­her als Op­fer da – wie ist das ge­we­sen? Ein Te­le­fon­an­ruf, die Un­ge­schick­lich­keit ei­nes Po­li­zei­in­spek­tors ... du lie­ber Gott, es sind lau­ter Klei­nig­kei­ten, und zum Schluß ist es erns­te Po­li­tik. Fal­la­da hat das gut auf­ge­brö­selt; er be­gnügt sich an kei­ner Stel­le mit die­sen schreck­li­chen Red­ner­phra­sen, wie wir sie sonst in je­dem po­li­ti­schen Ro­man fin­den: er trennt das Ge­we­be auf und zeigt uns das Fut­ter. Riecht nicht gut, die­se Ein­la­ge.

Hie­ßen alle die­se Leu­te: Ko­wal­ski, Pru­nicz­law­ski, Krc­zy­na­kow­ski und spiel­te die­ser Ro­man in Po­len –: die deut­sche Rechts­pres­se wür­de ihn mit Freu­den­ge­heul be­grü­ßen. Was? Die­se Tücke! die­se Falsch­heit – denn ein Grund­zug geht durch das gan­ze Buch, und der ist wahr:

Fast al­les, was hier ge­schieht, be­ruht auf Nö­ti­gung oder Er­pres­sung.

Der Bür­ger­meis­ter drückt auf die Zei­tungs­leu­te; die Zei­tungs­leu­te drücken auf das Rat­haus; die Bau­ern auf die Kauf­leu­te; je­der weiß et­was über wen, und je­der nutzt die­se Kennt­nis auf das raf­fi­nier­tes­te aus. Nun wol­len wir uns nicht vor­ma­chen, es käme sol­ches nur in deut­schen Klein­städ­ten vor; die­se Leu­te sind im­mer noch Wai­sen­kna­ben ge­gen die Fran­zo­sen, die aus Per­so­nal­kennt­nis­sen gra­de­zu meis­ter­haft Ka­pi­tal zu schla­gen ver­stehn – die gute Hälf­te ih­rer Po­li­tik be­steht aus sol­chen Din­gen, und es ist sehr lus­tig, dass der Name ih­rer ein­schlä­gi­gen In­sti­tu­ti­on in wört­li­cher Über­set­zung »all­ge­mei­ne Si­cher­heit« be­deu­tet. Also das ist über­all so. Ge­stal­tet ist es in die­sem Bu­che meis­ter­haft.

Was vor al­lem auf­fällt, ist die Echt­heit des Jar­g­ons. Das kann man nicht er­fin­den, das ist ge­hört. Und bis auf das letz­te Kom­ma rich­tig wie­der­ge­ge­ben: es gibt eine Echt­heit, die sich so­fort über­trägt: man fühlt, dass die Leu­te so ge­spro­chen ha­ben und nicht an­ders.

Die­se Akt­schlüs­se, wenn sie aus­ein­an­der­gehn, mit »Na, denn ... « und »Also nicht wahr, Herr Bür­ger­meis­ter ... «; der schöns­te Ge­sprächs­schluß ist auf der Sei­te 517 ... die gram­mo­phon­ge­treue Wie­der­ga­be des­sen, was so in ei­ner Kon­fe­renz ge­spro­chen wird: wie da die Bür­ger al­ler Schat­tie­run­gen eine Num­mer re­den, halb Stamm­tisch und halb Volks­ver­samm­lung; wie sie un­ter Freun­den spre­chen und wie sie spre­chen, wenn je­mand da­bei ist, ge­gen den sie et­was ha­ben; wie sie schwein­igeln ...

Ja, da le­sen wir nun so viel über die Sit­ten­ver­derb­nis am Kur­fürs­ten­damm. Aber auf kei­nem ber­li­ner Ko­stüm­fest der In­fla­ti­ons­jah­re kann es bö­ser zu­ge­gan­gen sein als es heu­te noch in je­der Klein­stadt in ge­wis­sen Ecken zu­zu­ge­hen pflegt, wenn die Ehe­män­ner, fern von Mut­tern, in das Reich der Akt­fo­to­gra­fi­en und der Wei­ber­knei­pen hin­un­ter­tau­chen. Je­der hat was auf dem Kerb­holz. »Ich sage bloß: Stet­tin ... « sagt ei­ner zum Bür­ger­meis­ter. Ich sage bloß: Alt­holm – und hier­in steht die­ses er­fun­de­ne Alt­holm, das gar nicht er­fun­den sein kann, für jede Stadt. Die­ses Las­ter ist un­sag­bar un­ap­pe­tit­lich.

Wenn sie aber fest­ge­stellt ha­ben, dass Bet­ty, die Sau, heu­te kei­ne Ho­sen trägt, dann rei­ßen sie sich am nächs­ten Vor­mit­tag zu­sam­men und wer­den ›dienst­lich‹. Und das ist nun al­ler­dings ganz und gar deutsch. »Ich kom­me dienst­lich«, sagt ei­ner zu ei­nem Duz­freund. Und dann spie­len sie sich eine Ko­mö­die vor: je­der weiß, dass der and­re weiß, dass er weiß – sie grin­sen aber nicht, son­dern sie wech­seln vor­schrifts­mä­ßig Rede und Ge­gen­re­de, da­mit sie nach­her in den Be­richt set­zen und be­schwö­ren kön­nen: »Herr Stuff sag­te mir, dass er von dem Ver­bleib des In­se­ra­ten­zet­tels nichts wüß­te. So wahr mir Gott hel­fe.«

O wel­sche Tücke, o pol­ni­sche Nie­der­tracht, o deut­sche Dienst­lich­keit.

Und eine Ge­richts­ver­hand­lung: wie da die un­be­que­men Zeu­gen zu An­ge­klag­ten wer­den; wie es ge­dreht wird; wie die­ses gan­ze Thea­ter gar nichts mehr mit Rechts­pfle­ge, da­ge­gen al­les mit Po­li­tik zu tun hat –: das ist ein Meis­ter­stück fo­ren­si­scher Schil­de­rung. Nur zu lang.

Und wenn man das al­les ge­le­sen hat, vol­ler Span­nung, Be­we­gung und un­un­ter­bro­chen ein­an­der wi­der­strei­ten­der Ge­füh­le: dann sieht man die im­men­se Schuld je­ner Re­pu­blik, die wir ein­mal ge­habt ha­ben und die heu­te zer­bro­chen ist an der Schlapp­heit, an der maß­lo­sen Feig­heit, an der In­stinkt­lo­sig­keit ih­res mitt­lern Bür­ger­tums, zu dem in ers­ter Li­nie die Pan­zer­kreu­zer be­wil­li­gen­den Füh­rer der So­zi­al­de­mo­kra­tie zu rech­nen sind. Der Le­bens­wil­le der an­dern war stär­ker; und wer stär­ker ist, hat das An­recht auf einen Sieg. Be­klagt euch nicht.

Hier, in die­se klei­nen Städ­te, ist der de­mo­kra­ti­sche, der re­pu­bli­ka­ni­sche Ge­dan­ke nie­mals ein­ge­zo­gen. Man hat – großer Sieg! – auf man­chen Re­gie­rungs­ge­bäu­den Schwarz-Rot-Gold ge­flaggt; die Den­kungs­art der brei­ten Mas­se hat die Re­pu­blik nie er­faßt. Nicht nur, weil sie maß­los un­ge­schickt, ewig zö­gernd und ener­gie­los zu Wer­ke ge­gan­gen ist; nicht nur, weil sie 1918 und nach dem Kapp-Putsch, nach den fei­gen Mord­ta­ten ge­gen Erz­ber­ger und Ra­thenau al­les, aber auch al­les ver­säumt hat – nein, weil der wirk­li­che Ge­halt die­ses Vol­kes, sei­ne an­ony­me Ener­gie, sei­ne Lie­be und sein Herz nicht auf sol­cher Sei­te sein kön­nen. Die So­zi­al­de­mo­kra­tie ist geis­tig nie auf ihre Auf­ga­be vor­be­rei­tet ge­we­sen; die­se hoch­mü­ti­gen Marxis­ten-Spie­ßer hat­ten es al­les schrift­lich, ihre Theo­ri­en hat­ten sich selb­stän­dig ge­macht, und in der Pra­xis war es gar nichts. Das Volk ver­steht das meis­te falsch; aber es fühlt das meis­te rich­tig. Dass nun die­ses rich­ti­ge Grund­ge­fühl heu­te von den Schreihälsen der Na­zis miß­braucht wird, ist eine and­re Sa­che.

Hier ist eine Blut­schuld der nicht mehr be­ste­hen­den Re­pu­blik. Aus kei­nem Buch wird das deut­li­cher als aus die­sem, der Ver­fas­ser hat es uns viel­leicht gar nicht zei­gen wol­len – die The­se springt aber dem Le­ser in die Au­gen. Was war hier zu ma­chen –! Und was hat man al­les nicht ge­macht –! Zu spät, zu spät.

Ich emp­feh­le die­sen Ro­man je­dem, der über Deutsch­land Be­scheid wis­sen will. Wie weit ist das von dem Rap­pro­che­ment-Ge­schwätz der bra­ven Leu­te aus den großen Städ­ten ent­fernt. Hier ist Deutsch­land – hier ist es.

Es wäre an­zu­mer­ken, dass der Künst­ler in Fal­la­da nur an ei­ni­gen we­ni­gen Stel­len tri­um­phiert. Manch­mal sagt er klu­ge Sa­chen; wie sich zwei bei ei­ner Un­ter­re­dung vor­sich­tig ab­tas­ten: »Ein An­fang ist ge­macht, ein güns­ti­ger An­fang. Die bei­den Her­ren ha­ben sich in ih­ren An­ti­pa­thi­en ge­trof­fen, was meis­tens wich­ti­ger ist, als dass die Sym­pa­thi­en über­ein­stim­men.« Und ein­mal steht da ei­ner die­ser Sät­ze, an de­nen das frü­he­re Werk Ger­hart Haupt­manns so reich ist. Ei­nem Bau­ern geht al­les, aber auch al­les schief. »Wel­che sind, die ha­ben kein Glück, sagt Banz und meint sich.«

Ja, das ist ein Buch! So ist die Stadt; so ist das Land, vor al­lem das nie­der­deut­sche, und so ist die Po­li­tik. Man sieht hier ein­mal deut­lich, wie eben die­se Po­li­tik nicht al­lein in wirt­schaft­li­che Er­klä­run­gen auf­zu­lö­sen ist; wie sich die­se Men­schen um­ein­an­der­dre­hen, sich be­kämp­fen und sich ver­bün­den, sich an­zie­hen und ab­sto­ßen, sich be­feh­den und ver­brü­dern ... als sei­en sie von blin­den und an­ony­men Lei­den­schaf­ten ge­trie­ben, de­nen sie erst nach­her, wenn al­les vor­bei ist, ein ra­tio­na­lis­ti­sches Eti­kett auf­kle­ben; das Eti­kett zeigt den Fla­schen­in­halt nicht rich­tig an. Sie drücken auf­ein­an­der und »las­sen den an­dern hoch­gehn«; sie spie­len ein­an­der die Ko­mö­die des Dienst­li­chen vor – und es sind arme Lu­der, alle mit­ein­an­der. Und man be­kommt einen klei­nen Be­griff da­von, wie es wohl ei­nem zu­mu­te sein mag, der in die­sen mitt­lern und klei­nen Städ­ten auf re­pu­bli­ka­ni­schem Pos­ten steht. Fällt er we­gen sei­ner Ge­sin­nung? Na­tür­lich. Fällt er durch sei­ne Ge­sin­nung? Nie. Sie »ma­chen ihn ka­putt«, wie der schö­ne Fach­aus­druck heißt, aber so: »Herr Schul­rat P. hat ge­gen den § 18 der Be­stim­mung ver­sto­ßen, nach der er ... « Im­mer ist da so ein § 18, und im­mer funk­tio­niert die­ser Pa­ra­graph prompt, wenn sie ihn gra­de brau­chen. Und nie­mals hilft die Re­pu­blik ih­ren Leu­ten; sie wird so ge­haßt und hat da­bei gar nich veel tau seggn. Sie sieht sich das al­les mit an ... sie läßt die­se un­säg­li­chen Rich­ter ma­chen, die die Haupt­schuld an den blu­ti­gen Op­fern der letz­ten Zeit tra­gen. Rechts­schutz gibt es nicht. Gleich­heit vor dem Straf­ge­setz gibt es nicht. Kom­mu­nist sein be­deu­tet: An­ge­klag­ter sein, und wenn die Na­zis gan­ze Klein­städ­te ter­ro­ri­sie­ren, so bleibt der Land­ge­richts­rat mil­de und hackt auf den Be­las­tungs­zeu­gen her­um. Und wenn es gar nicht an­ders geht, wenn sonst nichts da ist, einen ver­haß­ten Re­pu­bli­ka­ner tot zu ma­chen, dann hilft ir­gend ein § 18. Noch nie­mals aber ist ein Mit­glied der herr­schen­den Rechts­kas­te über solch einen Pa­ra­gra­phen ge­stol­pert, falls er sich nicht bei sei­ner Klas­se miß­lie­big ge­macht hat. Da gilt dann der Pa­ra­graph nicht. Man fällt nicht über sei­ne Feh­ler. Man fällt im­mer über sei­ne Fein­de, die die­se Feh­ler aus­nut­zen.

*

So einen Arz­troman möch­ten wir le­sen. So einen Jour­na­lis­ten­ro­man. So einen ber­li­ner Ro­man. Dazu wäre al­ler­dings der be­son­de­re Glücks­fall nö­tig, dass ein schrift­stel­le­risch be­gab­ter Mann in die­sem Mi­lieu lebt und es so ge­nau kennt, wie Fal­la­da das sei­ni­ge.

Er hat es ka­schiert. Sei­ne Hel­den hei­ßen nicht Knut, son­dern Tunk. Wird die­se Tarn­kap­pe ge­nü­gen? Be­geis­tert wird die klei­ne Stadt von sei­ner Schil­de­rung gra­de nicht sein – nicht da­von, wie er sie ent­blö­ßt; wie er auf­zeigt, dass weit und breit kei­ne Ju­den da sind, die man für al­les ver­ant­wort­lich ma­chen könn­te; weit und breit kei­ne Kom­mu­nis­ten, die et­was be­wir­ken. Fal­la­da, sieh dich vor. Es gibt ein al­tes Grimm­sches Mär­chen von der Gän­se­magd, die eine Prin­zes­sin war und die nun als Magd die­nen muß. Den Kopf ih­res treu­en Ros­ses ha­ben sie ans Stadt­tor ge­na­gelt, und je­den Mor­gen, wenn sie ihre Gän­se da vor­über­trei­ben muß, sieht sie es an und spricht:

»O Fal­la­da – dass du han­gest!«

Wenn sie dich krie­gen, Hans Fal­la­da, wenn sie dich krie­gen: sieh dich vor, dass du nicht han­gest! Es kann aber auch sein, dass sie in ih­rer Dumm­heit glau­ben, du ha­best mit dem Buch den So­zis or­dent­lich eins aus­wi­schen wol­len, und dann be­kommst du einen Re­dak­teur­pos­ten bei ei­nem je­ner ver­ängs­tig­ten Dru­cke­rei­be­sit­zer, die in Wahr­heit die deut­sche Pres­se re­prä­sen­tie­ren.

Ob­gleich und weil du den bes­ten deut­schen Klein­stadt­roman ge­schrie­ben hast.

Als Ig­naz Wro­bel, Die Welt­büh­ne, 07.03.1931, Nr. 14, S. 496.

Vorwort des Autors

Die­ses Buch ist ein Ro­man, also ein Werk der Fan­ta­sie. Wohl hat der Ver­fas­ser Er­eig­nis­se, die sich in ei­ner be­stimm­ten Ge­gend Deutsch­lands ab­spiel­ten, be­nutzt, aber er hat sie, wie es der Gang der Hand­lung zu for­dern schi­en, will­kür­lich ver­än­dert. Wie man aus den Stei­nen ei­nes ab­ge­bro­che­nen Hau­ses ein neu­es bau­en kann, das dem al­ten in nichts gleicht au­ßer dem Ma­te­ri­al, so ist beim Bau die­ses Wer­kes ver­fah­ren.

Die Ge­stal­ten des Ro­mans sind kei­ne Fo­to­gra­fi­en, sie sind Ver­su­che, Men­schen­ge­sich­ter un­ter Ver­zicht auf bil­li­ge Ähn­lich­keit sicht­bar zu ma­chen.

Bei der Wie­der­ga­be der At­mo­sphä­re, des Par­tei­ha­ders, des Kamp­fes al­ler ge­gen alle, ist höchs­te Na­tur­treue er­strebt. Mei­ne klei­ne Stadt steht für tau­send an­de­re und für jede große auch.

H. F.

VORSPIEL

Ein kleiner Zirkus namens Monte

1

Ein jun­ger Mann stürmt den Bur­stah ent­lang. Wäh­rend des Lau­fens schießt er wü­ten­de, schie­fe Bli­cke nach den Schau­fens­tern der Lä­den, die in die­ser Haupt­stra­ße von Alt­holm1 dicht an dicht lie­gen.

Der jun­ge Mann, um die fünf­und­zwan­zig, ver­hei­ra­tet und nicht häss­lich, trägt einen al­ten schwar­zen Rock­pa­le­tot, blank ge­scheu­ert, einen breit­krem­pi­gen schwar­zen Filz und schwarz um­rän­der­te Bril­le. Sein blas­ses Ge­sicht dazu – und er scheint ein Lei­chen­bit­ter, wür­dig je­der »Pie­tät« und »Ruhe sanft«.

Wenn schon der Bur­stah der Broad­way von Alt­holm ist, lang ist er nicht. Nach drei Mi­nu­ten ist der jun­ge Mann am letz­ten Haus, di­rekt am Bahn­hofs­platz. Er spuckt kräf­tig aus und ver­schwin­det nach die­ser neu­en Äu­ße­rung sei­ner Stink­wut im Hau­se der »Pom­mer­schen Chro­nik für Alt­holm und Um­ge­bung, Hei­mat­blatt für alle Stän­de«.

Hin­ter der Bar­re der Ex­pe­di­ti­on hockt eine ge­lang­weil­te Tip­peu­se,2 die das Ma­nu­skript ei­nes Zei­tungs­ro­mans weg­ste­cken will. Sie bremst die­se Be­we­gung ab, als sie sieht, es ist nur der An­non­cen­wer­ber Tre­dup.

Er schmeißt einen Pa­pier­fet­zen auf den Tisch: »Da! Das ist al­les. Ge­ben Sie’s in die Set­ze­rei. – Sind die an­de­ren drin­nen?«

»Wo sol­len die denn sonst sein?« fragt die Schö­ne da­ge­gen. »Wird das be­rech­net?«

»Na­tür­lich wird das nicht be­rech­net. Ha­ben Sie schon mal ge­se­hen, dass ein Affe uns An­zei­gen be­zahlt hat?! Neun Mark kos­tet sie. War der Chef schon un­ten?«

»Der Chef er­fin­det schon wie­der seit fünf.«

»Gott soll schüt­zen! Und die Che­fin? Dun?«

»Weiß nicht. Den­ke. Fritz hat ihr um acht eine Pul­le Ko­gnak ho­len müs­sen.«

»Dann ist ja al­les in schöns­ter Ord­nung. – O Gott, was mich die­ser Stall an­kotzt! – Sind die drin­nen?«

»Das ha­ben Sie schon mal ge­fragt.«

»Ha­ben Sie sich nicht, Kla­ra, Klär­chen, Kla­ris­sa. Ich hab Sie heu­te Nacht um hal­ber eins aus der Grot­te kom­men se­hen.«

»Wenn ich von mei­nem Ge­halt le­ben soll­te …«

»Weiß ich, weiß ich. Ob der Chef Geld hat?«

»Aus­ge­schlos­sen.«

»Und der Wenk, hat der was in der Kas­se?«

»Ost­see­ki­no hat ges­tern Abend be­zahlt.«

»Also hole ich mir Vor­schuss. Drin­nen ist er doch?«

»Ich glau­be, Sie ha­ben …«

»Das schon ein­mal ge­fragt. Mehr als eine Wal­ze, bit­te, mei­ne Hol­de. Ver­ges­sen Sie nicht das In­se­rat.«

»Gott. Und wenn schon.«


  1. fik­ti­ve pom­mer­sche Stadt  <<<

  2. Sek­trä­te­rin  <<<

2

Tre­dup zieht die Schie­be­tür zum Re­dak­ti­ons­zim­mer mit ei­nem Ruck auf, geht durch und drückt sie sach­te wie­der zu. Der lan­ge Ge­schäfts­füh­rer Wenk hockt in ei­nem Ses­sel und pult an den Nä­geln. Re­dak­teur Stuff schmiert ir­gend­ei­nen Mist.

Tre­dup feu­ert sei­ne Map­pe in ein Schrank­fach, hängt Hut und Man­tel beim Ofen auf und setzt sich an sei­nen Schreib­tisch. Er zieht gleich­gül­tig, als füh­le er nicht die fra­gen­den Bli­cke, einen Kar­to­thek­kas­ten her­vor und be­ginnt Kar­ten zu sor­tie­ren. Wenk hält mit Nä­gel­schnei­den inne, be­trach­tet sor­gend die Klin­ge im Licht der Son­ne, wischt sie an sei­nem Bü­rolüs­ter­jackett ab, klappt das Mes­ser zu und sieht Tre­dup an. Stuff schreibt wei­ter.

Es er­folgt nichts. Wenk nimmt ein Bein von der Ses­sel­leh­ne und fragt wohl­wol­lend: »Na, Tre­dup?«

»Bit­te, Herr Tre­dup!«

»Na, Herr Tre­dup?«

»Du kannst mich mal mit dei­nem ›na‹!«

Wenk wen­det sich an Stuff. »Er hat nichts, Stuff, sage ich dir. Nichts hat er.«

Stuff glupscht un­ter sei­nem Klem­mer auf Tre­dup, zieht sei­nen grau me­lier­ten Wal­ross­bart durch die Zäh­ne und be­stä­tigt: »Na­tür­lich hat er nichts.«

Tre­dup springt wü­tend auf. Der Kar­to­thek­kas­ten fliegt mit ei­nem Knall auf die Erde. »Was heißt ›na­tür­lich‹? Ich ver­bit­te mir ›na­tür­lich‹! In drei­ßig Ge­schäf­ten bin ich ge­we­sen! Kann ich die Leu­te not­züch­ti­gen? Soll ich ih­nen die In­se­ra­te aus der Nase zie­hen? Wenn sie nicht wol­len, wol­len sie nicht. Ich bet­te­le schon … Und so ein Schreib­knecht sagt ›na­tür­lich‹. Lä­cher­lich!«

»Reg dich bloß nicht künst­lich auf, Tre­dup. Was hat denn das für einen Sinn?«

»Na­tür­lich rege ich mich auf über dein ›Na­tür­lich‹. Geh du doch sel­ber ein­mal los An­non­cen sam­meln. Die­se Af­fen! Die­se Krä­mer! Die­se drehs­tie­ri­ge Ban­de! ›Ich in­se­rie­re vor­läu­fig nicht.‹ – ›Ich habe kei­ne Mei­nung für Ihr Blatt.‹ – ›Be­steht die Chro­ni­k über­haupt noch? Ich dach­te, sie wäre längst ein­ge­gan­gen.‹ – ›Kom­men Sie mor­gen wie­der.‹ – Es ist zum Kot­zen!«

Wenk mur­melt aus sei­nem Ses­sel: »Ich traf heu­te früh den Ma­schi­nen­meis­ter von den ›Nach­rich­ten‹. Die kom­men heu­te mit fünf Sei­ten An­zei­gen raus.«

Stuff spuckt ver­ächt­lich. »Das Mist­blatt. Kunst­stück. Wenn man fünf­zehn­tau­send Auf­la­ge hat.«

»Die ha­ben eben­so gut fünf­zehn­tau­send, wie wir sie­ben­tau­send ha­ben wol­len.«

»Bit­te, wir ha­ben eine no­ta­ri­el­le Be­schei­ni­gung über sie­ben­tau­send.«

»Du musst die Stel­le mal ra­die­ren, wo das Da­tum steht. Die ist schon ganz schwarz vom Zu­hal­ten mit dei­nem Dau­men, all die drei Jah­re, seit die Zahl mal rich­tig war.«

»Ich spu­cke auf die no­ta­ri­el­le Be­schei­ni­gung. Aber den ›Nach­rich­ten‹ wischt ich für mein Le­ben gern was aus.«

»Geht nicht. Der Chef will es nicht ha­ben.«

»Na­tür­lich, weil sich der Chef von den Frit­zen Geld pumpt, müs­sen wir uns an­stin­ken las­sen.«

Wenk setzt den Boh­rer neu an. »Also gar nichts hast du, Tre­dup?«

»Eine ach­tel Sei­te von Braun. Für neun Mark.«

Stuff stöhnt. »Neun Mark? Tie­fer geht es nicht mehr.«

»Und sonst nichts?«

»Die Aus­ver­kaufs­an­zei­ge vom ver­krach­ten Uhren­schlos­ser hät­t’ ich krie­gen kön­nen, aber wir sol­len Ware da­für ab­neh­men.«

»Bloß das nicht. Was mach ich mit We­ckern? Ich steh doch nicht auf, wenn die Din­ger klin­geln.«

»Und der Zir­kus Mon­te?«

Tre­dup bleibt im Auf-und-ab-Ren­nen ste­hen. »Ich hab dir doch ge­sagt, es ist nichts, Wenk. Nun lass ge­fäl­ligst auch das Me­ckern sein.«

»Aber den Mon­te ha­ben wir doch je­des Jahr ge­habt! Bist du über­haupt da­ge­we­sen, Tre­dup?«

»Ich will dir was sa­gen, Wenk. Ich will dir in al­ler Ruhe und Freund­schaft mal was sa­gen, Wenk. Wenn du noch ein­mal so was sagst von ›über­haupt da­ge­we­sen‹, dann kle­be ich dir eine …«

»Aber wir ha­ben ihn doch je­des Jahr ge­habt, Tre­dup!«

»So, ha­ben wir …? Und ich will dir was sa­gen, dann wer­den wir ihn die­ses Jahr eben mal nicht ha­ben. Und du kannst es mir sa­gen, und der Chef kann es mir sa­gen, und Stuff kann mir’s sa­gen: Ich gehe nicht wie­der in die­sen Scheiß­zir­kus vor­fra­gen.«

»Was war denn?«

»Was war? Mist war. Frech­heit war. Zi­geu­ner­frech­heit, se­mi­ti­sches, wi­der­li­ches Ge­ha­be war. Vor­ges­tern war die Vor­an­zei­ge in den ›Nach­rich­ten‹. Ich töf­fe­le hin, ganz auf den Ju­gend­spiel­platz. Der Zir­kus war über­haupt noch nicht da.«

»Dann hat der Ma­na­ger in den ›Nach­rich­ten‹ die An­zei­ge auf­ge­ge­ben.«

»Und bei uns ist er vor­bei­ge­lau­fen. Eben. Ges­tern früh wie­der hin. Die sind beim Auf­bau. Wo ist der Ma­na­ger? Über Land. Pla­ka­te in die Kuh­dör­fer kle­ben. Als ob die Bau­ern jetzt in Stim­mung wä­ren! Soll um eins wie­der­kom­men. Um eins isst der Ma­na­ger. Gut, ich war­te eine Stun­de. Der Ma­na­ger, so ein ver­fluch­ter gel­ber Zi­geu­ner, will mit sei­nem Chef re­den. Ich soll um sechs wie­der­kom­men. Ich bin um sechs da. Hat den Chef noch nicht spre­chen kön­nen, soll heu­te früh wie­der­kom­men.«

»Alle Ach­tung, im­mer nach dem Ju­gend­spiel­platz raus!«

»Das den­ke ich auch. Heu­te früh ler­ne ich den groß­kot­zi­gen Chef ken­nen, die­sen Herrn über an­dert­halb Af­fen, eine sp­ät­kran­ke Kra­cke und ein ver­mot­te­tes Ka­mel. Hut in der Hand, Die­ner bis auf die Erde.

Und die­ses Mist­vieh, die­ses Stink­tier sagt, es lohnt sich ihm nicht, in der ›Chro­ni­k‹ zu in­se­rie­ren! Kein Mensch lese un­ser Kä­se­blätt­chen!«

»Was hast du ihm ge­sagt?«

»Am liebs­ten hät­t’ ich ihm ein paar la­ckiert. Nun, ich dach­te an mei­ne Fa­mi­lie und habe Lei­ne ge­zo­gen. Schließ­lich will mei­ne Frau am Ers­ten auch ihr Wirt­schafts­geld ha­ben.«

Stuff nimmt den Klem­mer ab und fragt: »Hat er ›Kä­se­blätt­chen‹ ge­sagt? Hat er wirk­lich ›Kä­se­blätt­chen‹ ge­sagt?«

»So wahr ich hier ste­he, Stuff!«

Und Wenk hetzt: »Das soll­te ihm nicht so hin­ge­hen. Das wäre doch et­was für dich, Stuff. Du soll­test ihn an­mis­ten, nach No­ten.«

»Tät ich. Tät ich. Aber der Chef will es doch nicht …«

»Das wäre mal eine schö­ne Ge­le­gen­heit, den In­se­ren­ten Angst zu ma­chen. Kriegt ei­ner was auf den De­ckel, in­se­rie­ren die an­de­ren wie­der ein Weil­chen aus Angst.«

»Aber der Chef …«

»Ach was, der Chef! Wir ge­hen alle drei zu ihm hin und sa­gen, dass was ge­sche­hen muss.«

»An­mis­ten tät ich ihn bren­nend ger­ne«, mur­melt Stuff.

»Halt!« schreit Tre­dup. »Ich weiß was. Du ver­langst, dass du die Ro­ten an­mis­ten darfst, dann er­laubt er dir we­nigs­tens den Mon­te.«

»Nicht übel«, nickt Stuff. »Ich weiß da ge­ra­de eine Ge­schich­te mit dem Po­li­zei­meis­ter …«

»Na also, ge­hen wir ins La­bor …«

»Jetzt gleich?«

»Na, na­tür­lich gleich. Du musst doch die Er­öff­nungs­vor­stel­lung von ges­tern Abend run­ter­rei­ßen.«

»Also ge­hen wir zum Chef.«

3

In der Set­ze­rei gab es einen Auf­ent­halt. Die bei­den Li­no­types wa­ren ver­las­sen, und die Ma­schi­nen­set­zer stan­den mit den Ak­zi­denz­set­zern und dem Met­teur am Fens­ter. Sie starr­ten auf den Hof. Es war still im Raum, ein un­ge­wohn­tes Ateman­hal­ten.

Wenk frag­te: »Ist jetzt Früh­stück? Was gibt es?«

Ein we­nig zö­gernd tat sich der Hau­fe am Fens­ter aus­ein­an­der. Der Met­teur, ehr­li­che Küm­mer­nis im fal­ti­gen Ge­sicht, sag­te: »Jetzt liegt sie drau­ßen.«

Die drei gin­gen durch die Gas­se Pau­sie­ren­der vor die Schei­be, ta­ten einen Blick, auch ih­nen ver­schlug es die Rede.

Es ist nur ein klei­ner Hof, rings von Häu­sern um­stan­den, mit Flie­sen be­legt, ei­nem spär­li­chen Grün­fleck in der Mit­te. Um sein schüt­teres Gras läuft ein Git­ter, ei­nes je­ner nied­ri­gen guss­ei­ser­nen Git­ter, die nichts schüt­zen. Fuß­fal­len im Dun­kel.

Aber jetzt war hel­ler Tag, und sie war doch dar­über ge­fal­len. Sie lag dort auf dem Gras, wie sie hin­ge­stürzt, die schwar­zen halb­lan­gen Rö­cke hat­ten sich ver­scho­ben, man sah un­or­dent­lich an­ge­zo­ge­ne St­rümp­fe, schwarz ge­strickt, wei­ße Wä­sche.

»Sie wird über den Hof hin­ten zum Krü­ger ge­gan­gen sein, sich neu­en Schnaps ho­len.«

»Der Fritz hat ihr um acht schon eine Pul­le ge­bracht.«

»Sie ist ohne Be­sin­nung.«

»Nein, sie weiß schon, sie will so lie­gen vor all den Fens­tern.«

»Es ist, seit sich der Jun­ge tot­ge­trun­ken hat.«

Plötz­lich spre­chen alle auf ein­mal. Alle ste­hen sie und star­ren auf den schwar­zen, hin­ge­stürz­ten Schat­ten.

Stuff schiebt die Schul­tern vor, drückt den Klem­mer fest. »Das geht nicht. Komm, Tre­dup, wir ho­len sie.«

Wenk blickt den Fort­ge­hen­den nach. Er fragt be­sorgt: »Ob das rich­tig ist? Der Chef sieht das auch vom La­bor.«

Der alte Met­teur sagt gif­tig: »Sei­en Sie man si­cher, Herr Wenk, wenn der sei­ne Frau so sieht, dann sieht er sie nicht.«

Wenk geht den bei­den nach. Er merkt auf dem Hof an al­len Fens­tern zu­rück­fah­ren­de Köp­fe, die bei ih­rer Neu­gier­de nicht er­wi­scht wer­den wol­len.

Mor­gen ist es durch die gan­ze Stadt. Die Frau hat so viel Geld und suhlt sich im Dreck. Ich soll­te ihr Geld ha­ben …

So ist das Le­ben, denkt der An­non­cen­jä­ger. Na ja, der üb­li­che Salat … Nicht der Sohn, der sich tot­soff, hat ihr den Rest ge­ge­ben, aber dass es alle Leu­te wis­sen, dass er so um­kam … So ’ne klei­ne Stadt.

»Kom­men Sie, gnä­di­ge Frau. Set­zen Sie sich auf.«

Es ist ein ver­wüs­te­tes Ge­sicht – blut­leer, grau­gelb, mit hän­gen­den Fal­ten – das ver­dros­sen zur Son­ne blin­zelt. »Macht das Licht aus«, murrt sie. »Stuff, mach es aus. Noch ist Nacht.«

»Kom­men Sie man, Frau Schab­belt. Wir trin­ken auf der Re­dak­ti­on einen Grog, und ich er­zäh­le Ih­nen Wit­ze.«

»O du Schwein«, sagt die Be­trun­ke­ne, »glau­ben Sie, es ist mir um Wit­ze?« Und plötz­lich leb­haft: »Ja, er­zäh­le Wit­ze. Er hört sie im­mer gern. Ich darf an sei­nem Bett sit­zen, er ist mir nicht mehr bös.«

Und plötz­lich, im Auf­ste­hen, im Ge­hen zwi­schen den bei­den (Wenk folgt, schlen­kert die Ko­gnak­fla­sche ver­ächt­lich zwi­schen den Fin­gern), plötz­lich scheint sie in die Fer­ne zu hor­chen: »Kei­ne Wit­ze mehr, Herr Stuff. Ich weiß schon, Her­bert ist tot. Aber auf Ihrem Sofa will ich lie­gen, wenn das Te­le­fon geht und der Ra­dio­be­richt kommt und die Zei­tung läuft durch die Ma­schi­ne. Es ist dann wie rich­ti­ges Le­ben.«

In der Set­ze­rei ist ein has­ti­ger, ver­le­ge­ner Ar­beits­an­fang. Nie­mand blickt hoch.

»Ver­ge­sst den Ko­gnak nicht!« ruft plötz­lich die Frau.

Auf dem Sofa be­kommt sie noch ein Glas voll, und schon schläft sie mit of­fe­nem Mun­de, schlaf­fem Kie­fer, be­sin­nungs­los.

»Wer bleibt bei ihr?« fragt Stuff. »Ei­ner muss blei­ben.«

»Wollt ihr jetzt noch zum Chef?«

»Wer so fragt, bleibt. Komm, Tre­dup.«

Sie ge­hen. Wenk sieht ih­nen nach. Sieht auf die schla­fen­de Frau, horcht nach der Ex­pe­di­ti­on, fasst die Ko­gnak­fla­sche und gießt sich kräf­tig einen hin­ter die Bin­de.

4

Das La­bo­ra­to­ri­um ist kein mo­der­nes La­bor aus Glas, mit Sau­ber­keit, Hel­le und Luft, es ist der Spe­lun­ken­win­kel ei­nes tü­te­ri­gen Er­fin­ders, der in ei­nem Wust von Gerä­ten, Ide­en, Schutt und Schmutz er­trinkt.

An ei­nem Tisch mit säu­re­zer­fres­se­nem Lin­ole­um sitzt eine Art Gnom mit weißem Strub­bel­bart, ein fet­tes, ku­ge­li­ges Ge­schöpf, eine Art rot­la­ckier­ter Zwerg. Er hat die sehr ge­wölb­ten, hell­blau­en schwa­chen Au­gen ge­gen die Ein­tre­ten­den ge­ho­ben. »Bin nicht zu spre­chen. Macht eu­ern Mist al­lei­ne.«

Stuff sagt: »Gera­de an­mis­ten möcht’ ich je­mand, Herr Schab­belt. – Wenn Sie er­lau­ben.«

Der Zwerg hebt eine Zink­plat­te ge­gen das Licht, prüft sie sor­gen­voll: »Die Au­to­ty­pie kommt nicht.«

»Vi­el­leicht ist der Ras­ter zu fein, Herr Schab­belt?«

»Was ver­ste­hen Sie da­von? Hin­aus, habe ich ge­sagt! Was stinkt der Tre­dup hier her­um? Raus! – Sieh da, zu fein. Dumm bist du nicht, Stuff. Das mag an­ge­hen. – Wen willst du an­mis­ten?«

»Die Ro­ten.«

»Nein. Fün­fund­fünf­zig Pro­zent un­se­rer Le­ser sind Ar­bei­ter und klei­ne Be­am­te. Die Ro­ten? Nie! Wenn wir auch rechts sind.«

»Es ist eine sehr gute Ge­schich­te, Herr Schab­belt.«

»Er­zäh­le sie, Stuff. Sieh, wo du Platz fin­dest. Aber der Tre­dup muss raus. Er stinkt nach Ak­qui­si­ti­on.«

»Ich möch­te schon ger­ne was andres tun«, murrt Tre­dup.

»Quatsch! Du tust es gern. Raus mit dir!«

»Wir brau­chen ihn noch. Nach­her zu der Ge­schich­te.«

»Also stel­len Sie sich dort ins Dun­kel. Er­zäh­le los, Stuff.«

»Sie ken­nen Kal­le­ne, den Po­li­zei­meis­ter? Na­tür­lich. Nach der Re­vo­lu­ti­on wur­de er rot. SPD oder USPD, je­den­falls wur­de er be­lohnt. Der dümms­te al­ler Po­li­zei­die­ner wur­de Po­li­zei­meis­ter.«

»Weiß ich.«

»Und als er’s war, trat er aus der Par­tei aus, gab das Par­tei­buch zu­rück, wur­de streng deutschna­tio­nal, wie er vor­her ge­we­sen.«

»Und?«

»Na, der macht abends auf dem Rat­haus Auf­sicht über die Rei­ne­ma­che­frau­en. Wenn die Bü­ros leer sind, Herr Schab­belt!«

»Und?«

»Da sind so ein paar jun­ge Wei­ber da­bei, ein­fach Klas­se. Man kann es sich ja den­ken, wenn sie so rut­schen über den Bo­den, man be­kommt da Ein­bli­cke …«

»Du kannst es dir je­den­falls den­ken, Stuff.«

»Na na­tür­lich, nicht nur der Kal­le­ne kommt bei so was auf an­de­re Ide­en.«

»Mach’s kurz, Stuff. Wer hat ihn er­wi­scht?«

»Der rote Bür­ger­meis­ter!« schreit Stuff. »Der di­cke Ga­reis. Auf sei­nem Schreib­tisch ha­ben sie’s ge­macht.«

»Und?«

»Na, Herr Schab­belt! So eine Fra­ge! Jetzt hat der Kal­le­ne wie­der das Par­tei­buch.«

»Es lie­ße sich et­was dar­aus ma­chen«, meint Schab­belt. »Aber nicht für uns. Etwa für die KPD. Tre­dup kann es wei­ter­quat­schen.«

»Herr Schab­belt!«

»Ich kann Ih­nen nicht hel­fen, Stuff. Se­hen Sie, wie Sie sonst Ihre Spal­ten voll­krie­gen mit Lo­ka­lem.«

»Aber wenn wir nie stän­kern dür­fen! Das Blatt wird so doof. Man nennt uns schon ›Kä­se­blätt­chen‹.«

»Wer?«

»Ist es nicht wahr, Tre­dup?«

Tre­dup tritt aus dem Schat­ten, ganz gal­lig: »Schmier­blätt­chen. Stink­ma­ku­la­tur. Ha­ken­kreuz­ruh. Scheiß­haus­klap­pe. Un­ter Aus­schluss der Öf­fent­lich­keit.«

Stuff hebt sei­ne Stim­me: »Tan­te vom Kuh­dorf. Der Lan­ge­wei­ler über alle Wän­de. Der Trep­pen­furz. Die Ga­ke­lei. Der Blind­darm. Der Maul­wurf. Lies und schlaf.«

Tre­dup wie­der: »Ich be­ei­de es, Herr Schab­belt. Heu­te Mor­gen erst hat mir ein In­se­rent ge­sagt …«

Der Chef ist zu sei­nen Zink­plat­ten zu­rück­ge­kehrt: »Wen wollt ihr also an­stän­kern?«

Bei­de: »Den Zir­kus Mon­te.«

Und Schab­belt: »Mei­net­we­gen. Dass die Nicht-In­se­ren­ten wie­der ein­mal Angst krie­gen. Und zur Be­loh­nung we­gen des zu fei­nen Ras­ters.«

»Schö­nen Dank, Herr Schab­belt.«

»Schon gut. Aber die­se Wo­che lasst ihr mich nun ge­fäl­ligst in Frie­den. Ich habe kei­ne Zeit.«

»Wir kom­men schon nicht her. Gu­ten Mor­gen.«

5

Stuff sitzt am Schreib­tisch und sieht auf die im­mer noch schla­fen­de Frau. Ihr Ge­sicht hat sich et­was ge­rötet, ihre eis­grau­en Haar­zot­teln lie­gen um den Kopf, hän­gen in ihr Ge­sicht. Er denkt: Die Ko­gnak­fla­sche ist bei­na­he leer. Als ich den Wenk raus­schick­te, stank er nach Schnaps. Jetzt säuft er so­gar der be­sof­fe­nen Che­fin den Schnaps weg. Ich wer­de es ihm ste­cken.

Wie­der nach der Frau hin: Ich wer­de ihr einen Kaf­fee ma­chen las­sen, einen hei­ßen Mok­ka, dass sie ihn trinkt, wenn sie auf­wacht. Ich wer­de nach der Gre­te klin­geln.

Er sieht auf den Klin­gel­knopf ne­ben der Tür, dann auf das wei­ße Pa­pier vor sich auf dem Pult. Schließ­lich, was hilft ihr ein Mok­ka? Gar nichts.

Er dreht an den Knöp­fen des Ra­di­os. Eine Stim­me er­tönt: »Ach­tung! Ach­tung! Ach­tung! Hier ist der so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Pres­se­dienst! Ach­tung!«

Äh, scheiß! Wer­de ich mei­nen Rie­men schrei­ben.

Er setzt an, denkt nach und schreibt die­ses:

»Ein klei­ner Zir­kus na­mens Mon­te hat auf dem Ju­gend­spiel­platz sein Do­mi­zil auf­ge­schla­gen und gab ges­tern Abend sei­ne Er­öff­nungs­vor­stel­lung. Die Leis­tun­gen sind in kei­nem Punk­te über­ra­gend und kom­men nir­gends über ein Mit­tel­maß hin­aus. Nach den Dar­bie­tun­gen, die un­se­re Va­ter­stadt vor noch nicht lan­ger Zeit im Zir­kus Kre­no und im Zir­kus Stern be­wun­dern durf­te, sind die Num­mern des Mon­te-Pro­gramms kläg­li­ches Sur­ro­gat, das al­len­falls für Kin­der­vor­stel­lun­gen aus­reicht.«

Er über­liest noch ein­mal das Ge­schrie­be­ne. »Das wird es tun, den­ke ich.«

Er klin­gelt. Der Lehr­ling Fritz kommt. »Das soll gleich ge­setzt wer­den. Und sag dem Met­teur, er soll es als lo­ka­le Spit­ze brin­gen. Ich geh jetzt erst auf die Kri­mi­nal­po­li­zei und dann aufs Schöf­fen­ge­richt. Wenn noch was ist, rufe ich an. Gut. – Halt, sage der Gre­te, sie soll der Frau Schab­belt einen Mok­ka ma­chen.«

Der Jun­ge geht ab. Stuff sieht auf die schla­fen­de Frau, dann nach der Ko­gnak­bud­del. Er hebt die Bud­del und trinkt den Rest aus. Er schüt­telt sich.

Heu­te Abend wer­de ich mich be­sau­fen. Heu­te Abend wer­de ich Amok lau­fen, denkt er. Mich be­täu­ben, weg sein, ver­ges­sen. Das schwei­nischs­te Hand­werk auf der Welt: Lo­kal­re­dak­teur sein in der Pro­vinz.

Er sieht be­trübt durch sei­ne Klem­merglä­ser und schiebt ab, zur Krim­po1 und zu den Schöf­fen.


  1. Kri­mi­nal­po­li­zei  <<<

ERSTES BUCH: Die Bauern

ERSTES KAPITEL – Eine Pfändung auf dem Lande

6

Auf der Sta­ti­on Ha­sel­horst stei­gen zwei Män­ner aus dem Per­so­nen­zug, der von Alt­holm nach Stol­pe fährt. Bei­de sind städ­tisch ge­klei­det, tra­gen aber über dem Arm Re­gen­män­tel, in der Hand der­be Kno­ten­stö­cke. Der eine ist ein Vier­zi­ger und sieht ver­dros­sen aus, der jun­ge dür­re Zwan­zi­ger blickt sich leb­haft nach al­len Sei­ten um. Al­les in­ter­es­siert ihn.

Sie durch­que­ren Ha­sel­horst auf der Dorf­stra­ße. Über­all schau­en aus dem Grün die Dä­cher der Bau­ern­häu­ser, bald mit Stroh, bald mit Reet, bald mit Zie­geln, bald mit Zink ge­deckt. Je­der Hof liegt für sich, wen­det, meis­tens von Bäu­men um­stan­den, nur die Schmal­sei­te sei­nes Wohn­hau­ses der Land­stra­ße zu.

Sie ha­ben Ha­sel­horst hin­ter sich und ge­hen nun un­ter Ebe­re­schen auf der Chaus­see nach Gram­zow. In den Kop­peln steht Vieh, schwarz­bunt und rot­bunt, sieht sich auch ein­mal, lang­sam wei­ter­käu­end, nach den Wan­de­rern um.

»Es ist schön, ein­mal aus dem Büro her­aus­zu­kom­men«, sagt der Jun­ge.

»Das habe ich auch ein­mal ge­dacht«, wi­der­setzt der Alte.

»Im­mer und ewig nur Zah­len, es ist nicht aus­zu­hal­ten.«

»Zah­len sind be­que­mer als Men­schen. Man weiß, was man von ih­nen zu er­war­ten hat.«

»Mei­nen Sie denn wirk­lich, Herr Kalüb­be, dass et­was pas­sie­ren kann?«

»Re­den Sie kei­nen Quatsch. Selbst­ver­ständ­lich pas­siert nichts.«

Der Jun­ge fühlt nach der Ge­säß­ta­sche. »Je­den­falls habe ich mei­ne Pis­to­le pa­rat.«

Der Äl­te­re bleibt mit ei­nem Ruck ste­hen, schüt­telt wü­tend die Arme, sein Ge­sicht läuft blau­rot an: »Sie Idi­ot, Sie! Sie gott­ge­schla­ge­ner Qu­er­kopf!«

Sei­ne Wut stei­gert sich noch. Er wirft Man­tel und Stock auf die Chaus­see, sei­ne Ak­ten­ta­sche, die er un­term Man­tel trug, dazu.

»Da! Da ha­ben Sie es! Ma­chen Sie den Dreck al­lei­ne! So eine Hirn­ver­brannt­heit! Und solch ein Bul­le …« Er kann nicht wei­ter­re­den.

Der Jün­ge­re ist weiß ge­wor­den, aus Krän­kung, Är­ger, Schreck. Aber er kann sich be­herr­schen. »Ich bit­te Sie, Herr Kalüb­be, was habe ich ge­sagt, dass Sie der­art er­regt sind!«

»Wenn ich schon so et­was höre! Die Pis­to­le pa­rat! Wol­len Sie un­ter die Bau­ern mit ei­ner Pis­to­le ge­hen? Ich habe Frau und drei Kin­der.«

»Aber ich bin heu­te früh noch ein­mal vom Finanz­rat über den Ge­brauch der Waf­fe be­lehrt wor­den.«

Kalüb­be ist ganz Ver­ach­tung. »Der! Sitzt hin­ter sei­nem Schreib­tisch. Kennt nur Pa­pier. Ei­nen Tag soll­te er hier drau­ßen mit mir pfän­den ge­hen, nach Po­se­ritz oder Dül­men oder auch heu­te nach Gram­zow … Er wür­de kei­ne Be­leh­run­gen mehr er­tei­len!!«

Kalüb­be grinst scha­den­froh schon bei dem Ge­dan­ken, dass der Herr Finanz­rat ihn bei sei­nen Pfän­dungs­gän­gen be­glei­ten könn­te.

Plötz­lich lacht er. »Da, ich wer­de Ih­nen was zei­gen.« Er holt aus der Ge­säß­ta­sche sei­ne Pis­to­le, rich­tet sie auf den Kol­le­gen.

»Ma­chen Sie kei­ne Ge­schich­ten«, ruft der und springt zur Sei­te.

Kalüb­be drückt los. »Se­hen Sie: nichts! Gar nicht ge­la­den. Das hal­te ich von die­ser Art Schutz.«

Er steckt sei­ne Pis­to­le wie­der ein. »Und nun ge­ben Sie mir Ihre.« Er zieht den Lauf kräf­tig zu­rück, wirft Pa­tro­ne auf Pa­tro­ne aus. Der Jun­ge sam­melt sie schwei­gend auf. »Ste­cken Sie die Din­ger in die Wes­ten­ta­sche und ge­ben Sie sie heu­te Abend dem Finanz­rat zu­rück. Das ist mei­ne Be­leh­rung über den Waf­fen­ge­brauch, Thiel.«

Thiel hat auch Stock und Man­tel und Ta­sche schwei­gend auf­ge­ho­ben und reicht al­les dem Kol­le­gen. Sie ge­hen wei­ter. Kalüb­be sieht über die Wie­sen, die von Hah­nen­fuß gelb, von Schaum­kraut weiß­ro­sa sind. »Se­hen Sie, Thiel, Sie müs­sen mir das nicht übel­neh­men. Kom­men Sie, ge­ben Sie mir Ihre Hand. – Das ist recht. Alle, die ihr dort drin­nen sitzt auf dem Finanz­amt, ihr habt ja kei­ne Ah­nung, was das heißt, hier drau­ßen Dienst tun.

Habe mich auch ge­freut, als ich Voll­stre­ckungs­be­am­ter wur­de. Nicht nur die Diä­ten und die Be­we­gungs­gel­der. Ich kann sie wahr­haf­tig brau­chen, mit der Frau und den drei Kin­dern. Son­dern drau­ßen sein, hier, an ei­nem Früh­lings­tag, und al­les ist frisch und le­ben­dig. Nicht so bloß Stei­ne. Und man geht durch.

Und jetzt – jetzt ist man der schänd­lichs­te, schmäh­lichs­te Dreck am Ste­cken des Staa­tes.«

»Herr Kalüb­be, Sie, der so ge­lobt wer­den!«

»Ja, die drin­nen! Wenn ein Bau­er zu euch kommt und wenn zehn Bau­ern zu euch kom­men, so sind es Bau­ern in der Stadt. Und wenn sie wirk­lich ein­mal frech wer­den, wie ihr es nennt, so seid ihr vie­le. Und hin­ter der Bar­re. Und der Fern­spre­cher zur Po­li­zei an der Wand.

Hier aber, wo wir jetzt ge­hen, da hat der Bau­er ge­ses­sen vor hun­dert Jah­ren und vor tau­send Jah­ren. Hier sind wir die Frem­den. Und ich gehe mit mei­ner Ak­ten­ta­sche und mit mei­nen blau­en Piep­matz­mar­ken ganz al­lein zwi­schen ih­nen her­um. Und ich bin der Staat, und wenn es gut geht, neh­me ich ih­nen eine Ecke von ih­rem Stolz und die Kuh aus dem Stall, und geht es schlimm an, dann ma­che ich sie hei­mat­los, wo sie seit tau­send Jah­ren sa­ßen.«

»Kön­nen sie denn wirk­lich nicht zah­len?«

»Manch­mal kön­nen sie nicht, und manch­mal wol­len sie nicht. Und in letz­ter Zeit wol­len sie über­haupt nicht. – Se­hen Sie, Thiel, es sind im­mer rei­che Bau­ern ge­we­sen, sie ha­ben im­mer aus dem vol­len ge­lebt, und nun will es ih­nen nicht ein­ge­hen, dass sie Fas­ten­brot es­sen müs­sen. Und dann sol­len sie ja auch nicht rich­tig ra­tio­nell wirt­schaf­ten …

Aber was ver­ste­hen wir da­von? Es geht uns nichts an. Was ge­hen uns die Bau­ern an! Sie es­sen ihr Brot, und wir es­sen un­se­res. Aber was mich an­geht, das ist, dass ich zwi­schen ih­nen um­her­ge­he wie ein un­ehr­li­cher Mensch, wie ein Scharf­rich­ter aus dem Mit­tel­al­ter, der ge­äch­tet war, wie ein Hu­ren­mäd­chen mit dem Räd­chen auf dem Arm, vor dem sie alle aus­spu­cken, mit dem kei­ner an ei­nem Tisch sit­zen mag.«

»Halt! Ei­nen Au­gen­blick!« ruft Thiel und hält den Kol­le­gen am Arm. Im Staub sitzt ein Schmet­ter­ling, ein braun­bun­tes Pfau­en­au­ge, mit zit­tern­den Flü­geln. Sei­ne Füh­ler be­we­gen sich tas­tend in der Son­ne, im Licht, in der Wär­me.

Und Kalüb­be zieht den Fuß zu­rück, der schon über dem Tier schweb­te. Zieht ihn zu­rück und bleibt ste­hen, sieht hin­ab auf den be­seel­ten far­bi­gen Staub.

»Ja, auch das gibt es, Thiel«, sagt er er­leich­tert. »Weiß Gott, Sie ha­ben recht. Auch das gibt es. Und manch­mal wird der Fuß zu­rück­ge­zo­gen. – Und nun bit­te ich Sie nur um ei­nes.«

»Ja?« fragt Thiel.

»Sie sind eben der Be­herrsch­te ge­we­sen und ich der Schrei­er. Mag an­ge­hen, dass sich heu­te noch ein­mal un­se­re Rol­le än­dert. Dann den­ken Sie dar­an, dass Sie jede Schmä­hung, jede Be­lei­di­gung ohne Wi­der­spruch er­tra­gen müs­sen, hö­ren Sie, müs­sen. Dass ein gu­ter Voll­stre­ckungs­be­am­ter kei­ne Straf­an­trä­ge we­gen Be­lei­di­gung stellt, son­dern voll­streckt. Dass Sie nie die Hand he­ben dür­fen, selbst wenn ein an­de­rer die Hand hebt. Es gibt im­mer zu vie­le Zeu­gen ge­gen Sie. Es gibt nur Zeu­gen ge­gen Sie. Wol­len Sie dar­an den­ken? Wol­len Sie mir das ver­spre­chen?«

Thiel hebt die Hand.

»Kön­nen Sie es auch hal­ten?«

»Ja«, sagt Thiel.

»Dann also: Ge­hen wir dem Päplow in Gram­zow sei­ne bei­den Och­sen ver­stei­gern.«

7

Die Uhr geht auf elf. Es ist im­mer noch Vor­mit­tag, und die bei­den Finanz­be­am­ten ha­ben sich eben die Hand ge­ge­ben auf der Chaus­see nach Gram­zow.

Im Krug von Gram­zow ist es drang­voll. Alle Ti­sche sind be­setzt. Die Bau­ern sit­zen vor Bier und Grog, auch die Schnaps­glä­ser feh­len nicht. Aber es ist fast still im Gast­zim­mer, kaum ein Wort wird laut. Es ist, als horch­ten alle nach hin­ten.

Hin­ten in der Wirts­stu­be sit­zen auch Bau­ern, um den Tisch mit der Hä­kel­de­cke, un­ter dem Nuss­baum­re­gu­la­tor. Sie­ben Bau­ern sit­zen dort, ei­ner steht an der Tür, der ach­te. Im Sofa sitzt hin­ter sei­nem Grog ein Lan­ger mit scharf­ge­schnit­te­nem Ge­sicht voll un­zäh­li­ger Fal­ten, mit kal­ten Au­gen und schma­len Lip­pen. »Also«, spricht er und bleibt sit­zen, »ihr, ein­ge­ses­se­ne Bau­ern von Gram­zow, habt ge­hört, was der Bau­er Päplow vor­zu­brin­gen hat ge­gen den Ent­scheid des Finanz­am­tes in Alt­holm. Wer für ihn ist, hebe die Hand. Wer ge­gen den Bau­ern ist, las­se sie un­ge­kränkt un­ten. Je­der tue, wie ihm dünkt, aber nur, wie ihm dünkt. – Stimmt ab.«

Sie­ben Hän­de er­he­ben sich.

Der lan­ge Bart­lo­se steht aus dem Sofa auf. »Stoß die Tür auf, Päplow, zum Gast­zim­mer, dass alle hö­ren. Ich ver­kün­de den Be­schluss der Bau­ern von Gram­zow.«

Die Tür geht auf, und im glei­chen Au­gen­blick er­he­ben sich die Bau­ern drau­ßen. Der Lan­ge fragt durchs Lo­kal zu ei­nem weiß­bär­ti­gen Bau­ern an der Au­ßen­tür: »Sind die Wa­chen be­setzt?«

»Sie sind be­setzt, Vor­ste­her.«

Der Lan­ge fragt nach der Ton­bank mit dem klei­nen wie­sel­ar­ti­gen Wirt: »Ist kein Wei­ber­volk in der Nähe, Krü­ger?«

»Kein Wei­ber­volk, Vor­ste­her.«

»So ver­kün­de ich, der Ge­mein­de­vor­ste­her Rei­mers von Gram­zow, den Be­schluss der Bau­ern­schaft, ge­fasst von ih­ren er­wähl­ten Ver­tre­tern:

Es liegt ein Ent­scheid des Finanz­amts Alt­holm vom zwei­ten März vor ge­gen den Bau­ern Päplow, dass er zu zah­len hat an rück­stän­di­ger Ein­kom­men­steu­er aus dem Jah­re 1928 vier­hun­dert­drei­und­sech­zig Mark.

Wir ha­ben zu die­sem Ent­scheid den Bau­ern Päplow ge­hört. Er hat gel­tend ge­macht, dass dem Ent­scheid die Durch­schnitts­er­trags­be­rech­nung für Höfe die­ser Ge­gend zu­grun­de liegt. Dass die­ser Durch­schnitts­er­trag auf sein An­we­sen aber kei­ne An­wen­dung fin­den kön­ne, weil er im Jah­re 1928 au­ßer­or­dent­li­che Schä­di­gun­gen er­lit­ten hat. Zwei Pfer­de sind ihm ein­ge­gan­gen an Ko­lik. Eine Ster­ke ist beim Kal­ben ver­reckt. Sei­nen Va­ter, den Al­ten­tei­ler, hat er ins Kran­ken­haus nach Alt­holm schaf­fen müs­sen und dort über ein Jahr er­hal­ten.

Die­se Grün­de zum Steu­er­nach­lass sind dem Finanz­amt be­kannt­ge­macht, so­wohl di­rekt, durch den Bau­ern Päplow, wie durch mich, den Ge­mein­de­vor­ste­her. Das Finanz­amt hat die Ver­an­la­gung auf­recht­er­hal­ten.

Wir Bau­ern von Gram­zow er­klä­ren den Be­schluss des Finanz­am­tes Alt­holm für null und nich­tig, weil er einen Ein­griff in die Sub­stanz des Ho­fes be­deu­tet. Wir ver­wei­gern dem Finanz­amt und sei­nem Auf­trag­ge­ber, dem Staat, jede Mit­hil­fe in die­ser Sa­che, es ge­sch­ehe uns Lie­bes oder Lei­des.

Die vor fünf­zehn Ta­gen vor­ge­nom­me­ne Pfän­dung zwei­er gut an­ge­gras­ter Och­sen des Bau­ern Päplow ist nich­tig. Wer bei der heu­te an­ge­setz­ten Ver­stei­ge­rung die­ser Och­sen ein Ge­bot auf sie ab­gibt, soll von Stund an nicht mehr Glied der Bau­ern­schaft sein. Ge­äch­tet soll er sein, nie­mand darf ihm Hil­fe leis­ten, sei es in Nö­ten der Wirt­schaft, des Lei­bes oder der See­le. In Acht soll er sein, in Gram­zow, im Krei­se Lohs­tedt, im Lan­de Pom­mern, im Staa­te Preu­ßen, im gan­zen Deut­schen Rei­che. Nie­mand darf zu ihm spre­chen, nie­mand darf ihm die Ta­ges­zeit bie­ten. Un­se­re Kin­der sol­len nicht mit sei­nen Kin­dern spre­chen, und un­se­re Frau­en sol­len nicht mit sei­ner Frau re­den. Er lebe al­lein, er st­er­be al­lein. Wer ge­gen einen von uns han­delt, hat ge­gen uns alle ge­han­delt. Der ist heu­te schon tot.

Habt ihr alle ge­hört, Bau­ern von Gram­zow?«

»Wir ha­ben ge­hört, Vor­ste­her.«

»So han­delt da­nach. Ich schlie­ße die Bau­ern­ver­samm­lung. Die Wa­chen sind zu­rück­zu­zie­hen.«

Die Tür zwi­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­