Anselm Grün

Jeder Mensch
hat einen Engel

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Neuausgabe 2019

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 1999, 2008

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Umschlaggestaltung: Gestaltungssaal, Rosenheim

Umschlagmotiv: © mirrima / iStock / GettyImages

ISBN Print 978-3-451-03230-1

ISBN E-Book 978-3-451-81883-7

INHALT

Einleitung

Angemessen sprechen über Engel

Annäherung von der Theologie

Annäherungen von der Psychologie

1. Der Schutzengel

2. Der Engel, der das Schreien des Kindes hört

3. Der Engel, der den Himmel öffnet

4. Der Engel, der das Opfer verhindert

5. Der Engel, der segnet

6. Der Engel, der sich in den Weg stellt

7. Der Engel, der beruft

8. Der Engel, der Weisungen erteilt

9. Der Engel, der heilt (Rafael)

10. Der Engel, der das Feuer lindert

11. Der Engel, der aus der Löwengrube befreit

12. Der Engel, der anrührt und aufweckt

13. Der Engel, der uns auf allen Wegen behütet

14. Der Engel, der für uns kämpft (Michael)

15. Der Engel, der ein Kind verheißt (Gabriel)

16. Der Engel, der die Freude verkündet

17. Der Engel, der im Traum erscheint

18. Der Engel, der dem Leben dient

19. Der Engel, der sich mit mir freut

20. Der Engel, der die Angst nimmt

21. Der Engel, der die Fesseln löst

22. Der Engel, der die Auferstehung bewirkt

23. Der Engel, der das Leben deutet

24. Der Engel, der uns in den Himmel trägt (Lazarus)

Schluss

Literatur

EINLEITUNG

In vielen Religionen ist der Glaube an einen persönlichen Schutzengel verbreitet. Schon die frühe Kirche glaubt gemeinsam mit der jüdischen Überlieferung daran, daß Gott jedem Menschen einen Engel zuteilt, der ihn auf allen seinen Wegen begleitet, von der Geburt bis zum Tod und über den Tod hinaus in das Paradies. Noch vor einigen Jahren ist dieser Glaube von der akademischen Theologie belächelt worden. Er sei nur eine kindliche Vorstellung, die aber nichts mit der christlichen Offenbarung zu tun habe. Erstaunlich ist, daß laut einer Umfrage des Magazins „Focus“ sehr viele Deutsche an einen persönlichen Schutzengel glauben. Mit dem Glauben an Engel tun sich die Menschen heute offensichtlich leichter als mit dem Glauben an Gott und an Jesus Christus.

In der Esoterik ist es modern geworden, von Engeln zu sprechen, die man sehen kann, die jedem Menschen zur Seite stehen und ihnen wichtige Lehren erteilen, die ihnen helfen, das Leben zu meistern. Engelerscheinungen wecken das Interesse zahlreicher Leserinnen und Leser. Mir scheint jedoch die Esoterik allzusehr um das Außergewöhnliche zu kreisen. Aber immerhin weckt sie mit ihren Engelbüchern, Engelkongressen und Engelseminaren in einer säkularisierten Welt die Neugier der Menschen auf das, was die Banalität ihres Alltags übersteigt. Durch die Engel tritt das Geheimnisvolle in ihr oft so oberflächliches Leben ein.

Wenn ich in diesem Buch davon schreibe, daß jeder Mensch einen Engel hat, dann möchte ich von der biblischen Tradition ausgehen. Ich halte mich an biblische Geschichten von Engeln, die dem Menschen zu Hilfe kommen und ihm den Weg weisen. 24 Geschichten habe ich ausgesucht, die in wunderschönen Bildern beschreiben, wie ein Engel in die Ausweglosigkeit eines Menschen eintritt, wie Engel ihn behüten und beschützen und wie sie ihm die Augen öffnen für den Weg, der ihn zum Leben führt. In diesen Engelgeschichten wird deutlich, daß die Engel den Menschen in keiner Situation allein lassen, daß sie alle seine Wege mitgehen und ihm Schutz und Geborgenheit gerade dort vermitteln, wo er mit seiner Angst alleine ist.

Und ich schreibe über die Engel, die ein jeder von uns hat, auch aus einem therapeutischen Interesse heraus. In vielen Gesprächen habe ich von Menschen gehört, daß ihnen die Vorstellung von dem Engel, der bei ihnen ist, geholfen hat, ihr Leben zu bewältigen. Gerade als Kinder war ihnen das Bild des persönlichen Schutzengels hilfreich. Viele haben als Kinder mit ihrem Schutzengel gelebt. Der Engel, der mit ihnen geht, war für sie genauso real wie die Puppe, mit der sie gespielt haben, oder wie der Teddybär, der sie in den Schlaf begleitet hat. Oft erzählen mir Menschen ihre Lebensgeschichte ausschließlich von den Verletzungen her, die sie erfahren haben. Es ist sicher wichtig, daß wir die Kränkungen anschauen, die uns in unserer Kindheit oder auch später noch krank gemacht haben. Doch ich erlebe auch viele Menschen, die nur noch um ihre Verletzungen kreisen. Da werden immer neue Methoden angepriesen, um an diese frühkindlichen Verwundungen heranzukommen. Das erscheint mir schon fast als Sucht, immer neue Wunden zu entdecken. Da ist für mich die Vorstellung hilfreich, daß dieser Mensch in seiner Kindheit nicht allein den kränkenden Menschen ausgeliefert war, sondern daß ihm auch ein Engel zur Seite gestanden ist, der ihn beschützt hat und der ihn an die Orte geführt hat, an denen er aufatmen konnte, an denen er Heilung erfahren durfte. Statt immer wieder in der „Wunde des Ungeliebtseins“ (Peter Schellenbaum) zu bohren, wäre es für uns oft besser, nach den Engelsspuren in unserem Leben zu suchen. Engelsspuren nenne ich die heilsamen und heilenden Spuren, die in jedem Leben zu finden sind. Sie entdecke ich, wenn ich mich frage, wo ich mich als Kind wohlgefühlt habe, wo ich mich vergessen konnte, wo ich ganz aufgegangen bin in meinem Spielen. Was waren meine Lieblingsorte? Was habe ich da getan? Was habe ich am liebsten gespielt? Wo war ich ganz in meinem Element? Wenn ich diesen Spuren nachgehe, werde ich erkennen, daß ich nicht den kranken und kränkenden Eltern ausgeliefert war, sondern daß mich schon als Kind ein Engel begleitet hat. Der Engel hat es mir ermöglicht, daß ich trotz Verletzungen und vieler Mangelerfahrungen überlebt habe, daß ich gesund geblieben bin und meine eigene Lebensspur gefunden habe.

Die Vorstellung, daß jedes Kind einen Engel hat, kann für Eltern entlastend sein. Viele machen sich oft genug Sorgen, ob sie ihre Kinder richtig erziehen, ob nicht negative Einflüsse von außen die Kinder auf den falschen Weg bringen, ob die Verletzungen, die sie unbewußt ihren Kindern zufügen, diese nicht für immer schädigen. Solche Sorgen und Ängste sind durchaus berechtigt. Ich erlebe Eltern, die durch psychologische Bücher völlig verunsichert sind. Sie möchten alles richtig machen und richten sich peinlich genau nach den erteilten Ratschlägen. Aber ihrem eigenen Gefühl trauen sie nicht mehr. Dadurch wird der Umgang mit den Kindern nur noch komplizierter. Es kann sein, daß sie ihre Kinder mehr kränken, gerade weil sie ihre Kinder nicht verletzen wollen, als Eltern, die ihrem natürlichen Instinkt folgen. Die Vorstellung, daß jedes Kind seinen Engel hat, befreit die Eltern von ihrer übertriebenen Sorge. Trotz aller Begrenzungen der Eltern und trotz aller erzieherischen Mängel kann das Kind gesund heranwachsen, weil ein Engel es begleitet und über es wacht.

Das Buch wendet sich aber nicht nur an Eltern, sondern auch an alle, die ihre eigene Kindheit anschauen, sie vielleicht sogar in einer Therapie oder geistlichen Begleitung bearbeiten, um auf Verdrängungen und Verletzungen zu stoßen, die sie am Leben hindern. Manchmal sind diese Menschen verzweifelt. Sie haben schon so oft über ihre Kindheit nachgedacht und mit anderen darüber gesprochen. Sie haben möglicherweise versucht, alles aufzuarbeiten, was da auf ihnen an Belastungen lag. Aber das Wissen allein hilft ihnen nicht weiter. Die Erkenntnis, wo und wann und wie sie verletzt worden sind, heilt ihre Wunden nicht. Im Gegenteil, manche wollen immer mehr wissen über die Kränkungen ihrer Lebensgeschichte, sie wühlen in ihren Wunden und reißen die Narben wieder auf. Es ist für diese Menschen wichtig, auch die Engelsspuren in ihrem Leben zu verfolgen. Sie waren in ihrer Kindheit nicht nur dem alkoholkranken Vater oder der depressiven Mutter ausgeliefert. Sie wurden nicht nur von negativen Botschaften bestimmt wie „Du taugst nichts. Du bist mir eine Last. Am besten wärest du gar nicht da“. Auch an ihrer Seite gab es einen Engel, der ihnen einen anderen Lebensraum ermöglichte, in dem sie sich wohl fühlten, in dem sie frei waren vom negativen Einfluß ihrer Umgebung, in dem sie etwas wie Heil und Ganzheit spürten. Sich mit dieser Engelsspur zu beschäftigen, kann genauso heilsam sein wie die Aufarbeitung der Verletzungen. Wenn wir mit unserer Engelsspur in Berührung kommen, werden wir auch wieder fähig, den Engel zu entdecken, der jetzt an unserer Seite geht und der uns heute genauso zum Leben führen möchte wie damals.

Wie die Engel ihre Hand schützend über dem Kind und über jeden Menschen halten, was sie an uns bewirken, das möchte ich anhand der biblischen Engelerscheinungen und Engelbegegnungen beschreiben. Dabei geht es mir nicht um eine exegetische Erklärung dieser Bibelstellen, sondern um ein bildhaftes Ausdeuten auf unsere eigene Erlebniswelt hin. Denn über Engel kann man nur angemessen in Bildern sprechen. Die Bibel hat es uns vorgemacht. Wenn wir uns auf die biblischen Bilder einlassen, werden wir mehr über unsere hilfreichen Engel erfahren als durch theologische Spekulation. Dennoch möchte ich wenigstens kurz auf die theologischen und psychologischen Bedingungen für ein angemessenes Sprechen über die Engel eingehen, um mich auch abzugrenzen von manchen übertriebenen Engelvorstellungen, wie sie heute propagiert werden.

ANGEMESSEN SPRECHEN ÜBER ENGEL

In der Esoterik wird heute viel von Engeln gesprochen. Offensichtlich sehnen sich die Menschen danach, die übernatürliche Welt zu sehen und zu erfahren. In die Engelvorstellungen der Esoterik sind Bilder heidnischer Götter und Göttinnen eingeflossen, und sie werden geprägt von Erfahrungen sensitiver und hellsichtiger Menschen. Engel werden der astralen Welt zugeordnet und sind feinstofflicher Natur. Schon in der frühen Kirche übten solche konkreten Engelvorstellungen eine große Faszination aus. Der Autor des Kolosserbriefes warnt daher die frühen Christen: „Niemand soll euch verachten, der sich in scheinbarer Demut auf die Verehrung beruft, die er den Engeln erweist, der mit Visionen prahlt und sich ohne Grund nach weltlicher Art wichtig macht.“ (Kol 2, 18) Offensichtlich betrieben die Häretiker, vor denen der Kolosserbrief warnt, einen Engelskult und fühlten sich über die Christen erhaben, die sich nur an Jesus Christus hielten. Solche Überlegenheit spricht heute aus vielen esoterischen Schriften. Sie wollen mehr wissen, als man zu wissen vermag. Daher gilt es, von den Engeln so zu sprechen, wie es der christlichen Tradition angemessen ist.

ANNÄHERUNG VON DER THEOLOGIE

Allerdings sind die Engel in der Theologie der letzten 30 Jahren vernachlässigt worden. Die Theologie sagt, daß die Bibel die Existenz der Engel voraussetze, aber nicht eigens offenbare. Die Engel gehörten einfach zur Vorstellung der damaligen Welt, in der die Bibel auch von Gott und seinem Wirken an den Menschen spreche. Aber eigentlich hätten sie keine Bedeutung. Christliche Theologie käme auch ohne das Sprechen von den Engeln aus. Gegenüber dieser kritischen Haltung sehen wir in der Geschichte der Theologie und der christlichen Dogmatik, daß die kirchliche Überlieferung von Engeln als Geschöpfen Gottes redet. Sie sind also von Gott genauso geschaffen wie der Mensch und stehen in seinem Dienst. Und wenn Engel Geschöpfe sind, „dann müssen sie mit dem ganz normalen menschlichen Erkenntnisvermögen erkannt werden können“ (Vorgrimler 31). Sie sind geistig-personale Mächte und Gewalten. Von der kirchlichen Lehre her sind die Engel also mehr als nur ein Bild für die heilende und liebende Nähe Gottes. Engel sind Mächte. Sie haben eine Kraft in sich. Und sie haben eine Aufgabe für den Menschen. Als geistig-personale Geschöpfe sind sie von vornherein auf den menschlichen Geist und die Person des Menschen bezogen und wirken auf seinen Geist und seine Personalität ein. Es geht also weniger um sie als isolierte Wesen als in ihrer Beziehung auf den Menschen hin.

Nach dem heiligen Augustinus ist „Engel“ eine Bezeichnung für eine Aufgabe, nicht für ein Wesen. Der Engel ist der Bote Gottes, durch den Gott dem Menschen eine Botschaft sendet oder ihn begleitet und etwas in ihm bewirkt. Der Engel kann in einem Menschen zu uns kommen, im Traum oder in unserer Seele. Der Ort, an dem Engel erfahren werden können, ist das menschliche Herz. Die Bibel und die Kirchenväter sind überzeugt, daß der Mensch die Engel immer wieder einmal sehen und erfahren kann. Diese Erfahrungen werden bildhaft beschrieben. Alles genauere Eindringen in das Wesen und das Wirken der Engel, alle menschliche Neugier, der Engel habhaft zu werden, wird von der Kirche zurecht abgelehnt.

Wenn wir die kirchliche Lehre ernst nehmen, so dürfen wir mit gutem Recht von den Engeln sprechen, in denen uns Gott seine Nähe zeigt, durch die Gott selbst an uns wirkt. Gott bedient sich in den Engeln geschaffener Energien. Das können psychische Energien sein, helfende Kräfte unserer Seele, das kann die Fürbitte anderer Menschen sein, das kann auch die liebende Anteilnahme von Verstorbenen sein, die wir geliebt haben. Vorgrimler fragt zurecht: „Sollten solche psychisch-energetischen Kräfte bedeutungslos sein? Es kann nicht falsch sein, auf Gottes Schutz durch solche schützenden Kräfte zu vertrauen.“ (Vorgrimler 105) Wenn die Engel geschaffene geistige Wesen sind, dann können sie durch die eigenen seelischen Kräfte, durch andere Menschen und in Träumen zu uns kommen, uns das Leben deuten und heilend und helfend auf uns einwirken. Im Engel konkretisiert sich für uns damit Gottes Nähe. Gottes liebende Nähe umgibt mich im Engel in einer geschaffenen Wirklichkeit. Sie wird also für mich erfahrbar, konkret. Ich muß nicht nur an Gottes Nähe glauben. Sie läßt sich auch erfahren: etwa in einem Gedanken, der in mir aufblitzt. Von der christlichen Tradition her ist es legitim, zu sagen, ein Engel habe mir diesen Gedanken eingegeben. Die Bibel spricht vom Engel immer wieder im Zusammenhang mit dem Traum. Im Traum spricht ein Engel zu mir und konkretisiert mir Gottes Botschaft. Eine Frau erzählte mir, daß sie nie daran glauben konnte, daß Gott sie liebe. Wenn sie in einer Predigt hörte oder in einem Buch davon las, daß sie Gottes geliebte Tochter sei, sei das an ihr vorbeigegangen. Doch dann träumte sie davon, daß eine Stimme zu ihr sprach: „Du bist meine geliebte Tochter. An dir habe ich mein Gefallen.“ Im Traum wurde das Wort Gottes zu einer inneren Wirklichkeit. Sie mußte nicht mehr nur daran glauben. Sie hatte die Wirklichkeit des göttlichen Wortes erfahren. Ein Engel hatte ihr diese Botschaft gebracht, und zwar so, daß sie sie unmittelbar erleben konnte.

Wenn Engel eine geschaffene Wirklichkeit sind, dann können sie auch in Geistwesen auf uns zukommen, die uns umgeben, oder die die Gestalt eines Menschen annehmen. Ein Mensch kann für uns zum Engel werden. Der Mensch ist nicht seinem Wesen nach Engel. Aber in diesem oder jenem Augenblick wird er für mich dazu. In ihm erfahre ich Gottes helfende und liebende Nähe. Eine geschaffene Wirklichkeit ist auch das innere Licht, das manchmal in uns aufblitzt, oder ein inneres Bild, das in uns aufsteigt. Und eine geschaffene Wirklichkeit ist das Bild des Engels, der mich umgibt, das Bild eines leuchtenden Geistwesens. Wir können oft nicht unterscheiden, ob solche Bilder Traumbilder sind oder Visionen oder ob die Engel tatsächlich mit den normalen Augen gesehen werden können. Das ist auch nicht entscheidend. Ob Traumbilder, Visionen oder sichtbare Geistwesen, immer handelt es sich um Erfahrungen, in denen dem Menschen etwas widerfährt, was er als Engel versteht, als Boten Gottes. Im Engel kommt ihm Gottes heilende und schützende Nähe erfahrbar nahe.

Wir müssen nicht an die Engel glauben. Engel sind nicht Gegenstand unseres Glaubens. Glauben können wir nur an Gott. Aber in den Engeln kann sich der Glaube an Gottes Liebe konkretisieren und verdichten. Engel können erfahren werden. Sie verbinden unsere Welt mit der Welt Gottes. In den Engeln reicht Gott in unsere alltägliche Wirklichkeit hinein. Und daher tut es uns gut, von ihnen zu sprechen. Denn Gott ist immer auch der ganz andere, unbegreifliche, unnennbare; er ist das absolute Geheimnis, das wir nie erfassen können. In den Engeln zeigt er uns auf menschliche Weise seine Nähe. Daher dürfen wir von den Engeln sprechen. Aber wir sollen es immer im Zusammenhang mit Gott tun und nicht – wie in der Esoterik – aus bloßem Interesse am Außergewöhnlichen. Engel sind Boten Gottes. Sie verweisen uns auf Gott. Sie öffnen unsern Blick für das Geheimnis Gottes. Sie stellen die Verbindung her zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch. Sie steigen auf der Himmelsleiter des Jakob auf und nieder, um Gottes Botschaft in unseren Herzen zu verankern.

ANNÄHERUNGEN VON DER PSYCHOLOGIE

Die evangelische Pastoralpsychologin Ellen Stubbe hat in ihrem Buch „Die Wirklichkeit der Engel in Literatur, Kunst und Religion“ die Überlegungen des englischen Kinderanalytikers Donald W. Winnicott aufgegriffen, um heute angemessen von Engeln sprechen zu können. Winnicott spricht von „Übergangsobjekten und Übergangsphänomenen“. Er unterscheidet beim Kind eine äußere und innere Welt: Die äußere Welt ist bestimmt von den Eltern, von den Dingen, an denen es sich stößt und für die es sich interessiert. Die innere Welt sind die eigenen Phantasien. Winnicot geht nun davon aus, daß es noch eine „dritte Dimension“ gibt. Sie ist ein „Zwischenbereich des Erlebens, zu dem sowohl die innere Realität als auch das äußere Leben beitragen. Es ist ein Bereich, der nicht in Frage gestellt wird“ (Stubbe 61), ein Ruheplatz, auf dem das Kind sich ausruhen kann und der ihm hilft, die innere und äußere Realität miteinander zu verbinden. Ein Stofftier, eine Puppe oder ein anderer Gegenstand dienen dem Kind als Übergangsobjekt, das ihm hilft, die Angst vor der Nacht oder vor unbekannten Gefühlen zu überwinden. Dieses Übergangsobjekt ermöglicht es dem Kind, an Geborgenheit und Sicherheit zu glauben, auch wenn die Mutter abwesend ist – oft genug ist es Ersatz für die abwesende Mutter. Winnicott sieht die beständige Aufgabe des Menschen darin, die innere und äußere Realität miteinander in Beziehung zu setzen. Eine Hilfe von Kindheit an ist der Zwischenbereich des Erlebens: für das Kind das Spiel, in dem es seine Phantasie und seine Illusionen ausdrückt. Für den Erwachsenen wandelt sich dieser Zwischenbereich in Kunst und Religion.