Brustkrebs
… na und?

Alexandra Lieb

illustriert von Eric Schwarz

Vorwort

 

Brustkrebs ist mit etwa 30 Prozent die häufigste Krebserkrankung bei Frauen der Industrieländer. Seit den 1980er Jahren ist die Zahl der Fälle auf das Doppelte gestiegen: Ungefähr 69.000 Mal im Jahr stellen Ärztinnen und Ärzte aktuell die Diagnose „Mammakarzinom“ bei einer Frau.

Dabei steigt das Risiko mit zunehmendem Alter. Jüngere Frauen sind nur selten betroffen, erst ab dem 40. und besonders ab dem 50. Lebensjahr erhöht sich das Risiko, um etwa ab dem 70. Lebensjahr wieder abzusinken.

Brustkrebs ist die häufigste, aber nicht die gefährlichste Krebsart. Rechtzeitig erkannt und behandelt, sind die meisten Erkrankungen mittlerweile sehr gut heilbar. Das Mammakarzinom wird heute mit gezielteren und oft weniger belastenden Methoden behandelt. Die Zahl der Sterbefälle sinkt seit einigen Jahren und dies trotz steigender Rate an Neuerkrankungen.

Fünf Jahre nach der Diagnose sind über 80 Prozent der Patientinnen noch am Leben. Die Heilungsrate ist in den letzten 10 Jahren durch eine verbesserte Früherkennung, neue Therapiekonzepte (operativ, strahlentherapeutisch und medikamentös) und die interdisziplinäre Betreuung in den zertifizierten Zentren gestiegen (Deutsche Krebsgesellschaft 2020).

Darüber hinaus haben andere Therapiebausteine, gerade bei Krebserkrankungen, eine hohe Bedeutung, wie z.B. die soziale Unterstützung durch den Partner, Freunde, Selbsthilfegruppen u. Ä.

Dazu zählt auch der mittlerweile etablierte Rehabilitationssport, der von Krankenkassen und anderen Kostenträgern gefördert wird. Das Gruppentraining wird in den jeweiligen Bundesländern durch den Behinderten- und Rehabilitationsverband organisiert. Dieses gezielte Bewegungsprogramm soll den krankheitsbedingten Leistungsverlust kompensieren und das körperliche Wohlbefinden verbessern. Darüber hinaus trägt das gemeinsame Training unter Gleichgesinnten zur psychischen Stabilisierung bei.

Seit knapp 20 Jahren werden verstärkt die epidemiologischen Zusammenhänge von körperlicher Aktivität und Krebs betrachtet sowie der Einsatz von Bewegung begleitend zur Krebstherapie und in der Nachsorge von onkologischen Patienten erforscht.

Beobachtungsstudien zum Darm- und Brustkrebs zeigen, dass ein hohes Niveau von körperlicher Aktivität mit einer deutlichen Reduktion der krebsspezifischen Mortalitätswahrscheinlichkeit für Brust-, Darm- und Prostatakrebs einhergeht. („Das Risiko für eine Krebserkrankung reduziert sich mit jeder Minute körperlicher Aktivität.“Prof. Dr. Rudolf Kaaks, DKFZ Heidelberg, 2017).

Ein niedriges körperliches Aktivitätsniveau gilt als ein unabhängiger Risikofaktor für die Entstehung und Prognose von Krebserkrankungen. Andererseits kann ein mit viel Bewegung gekennzeichneter Lebensstil häufige Nebenwirkungen der onkologischen Therapie, wie z. B. Fatigue (starke Müdigkeit), Depressivität, Ängste, reduzierte Funktionsfähigkeit und Lebensqualität, günstig beeinflussen. Ein möglichst individualisiertes und bedarfsadaptiertes Bewegungstraining ist sicher und kann nahezu jedem Patienten empfohlen werden. Aber vor allem auch das alltägliche Bewegungsverhalten („Jeder Schritt zählt!“) ist ein wesentlicher Therapiebestandteil und gehört heutzutage in jedes Beratungs- bzw. Therapiegespräch (N. Wiskemann et al. 2019).

Dr. Markus Schwarz, Universität des Saarlandes Sportwissenschaftliches Institut & Institut für Sport und Präventivmedizin

 

Hallo! Mein Name ist Carcinom. Mamma Carcinom. Ja, Sie lesen richtig!Ich bin eine Brustkrebszelle. Meine Wirtin ist eine nette junge Frau Anfang 40 – genauer gesagt hat sie vor ein paar Monaten erst ihren 40sten Geburtstag gefeiert. Das war ein schönes Fest – mal was anderes. Sie hatte ein Kino gemietet! Es wurde sogar ein Film gezeigt – „Willkommen bei den Sch‘tis“, vielleicht kennen Sie den? Das ist ihr Lieblingsfilm – eine französische Komödie, die immer lustiger wird, je öfter man den Film anschaut.Ähnlich wie bei „Das Leben des Brian“.

Aber ich schweife ab, ich wollte mich ja noch weiter vorstellen. Also ich befinde mich in der linken Brust meiner Wirtin und ich bin nicht allein. Meine Mitbewohner und ich bilden eine mittelgroße Gemeinschaft, die langsam, aber stetig wächst. Ich habe den zeitlichen Überblick verloren, wann die ersten eingezogen sind, aber ich schätze mal vor ca. fünf Jahren war ich die erste Zelle, die sich hier niedergelassen hat, und seitdem sind wir allmählich immer mehr geworden.

Teil 1

 

Freitag – 15. 07. 2011

Die Diagnose

Es ist ein Freitagmorgen. Freitags kann ich ausschlafen, da ich erst mittags Einsatz habe. Ich stehe mit meinem Partner in der Küche und hole mir Kaffee, als mein Telefon klingelt. Ein komisches Gefühl überkommt mich, ich sehe auf das Display. Es ist die Nummer meines Gynäkologen. Oh nein, denke ich, ich gehe einfach nicht ran. Ich habe plötzlich ein ganz ungutes Gefühl, meine Welt gerät für einen Moment ins Wanken. „Das ist die Praxis von meinem Frauenarzt“, sage ich zu meinem Partner. „Geh doch ran“, sagt er, „die wollen dir nur sagen, dass alles in Ordnung ist.“

Rückblick: Donnerstag – 14. 07. 2011

Da war die Welt noch in Ordnung

Ich habe morgens einen Termin bei meinem Gynäkologen. Ich gehe davon aus, dass es nicht lange dauert und ich danach ganz normal wieder ins Büro gehen kann. Vor ein paar Tagen hat mein Partner zufällig beim rumalbern meine linke Brust gestreift und einen Knoten gespürt. Ja, da war was, gut spürbar unter der Haut. Ich bin nicht sehr beunruhigt. In meiner Familie gibt es keine mir bekannten Krebserkrankungen, ich habe Anfang des Jahres meinen vierzigsten Geburtstag gefeiert, fühle mich noch zu jung für eine Krebserkrankung, bin sportlich, habe nie geraucht und nicht viel Alkohol getrunken, bin immer regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung. Ein Tumor kann also gar nicht sein, nicht bei mir! Ich, die noch nie krank war, die immer so stolz darauf war, noch „intakt“ zu sein, ohne Operationsnarben, ohne Knochenbrüche. Dieser Knoten ist sicherlich nichts Schlimmes, eine Milchdrüsenverhärtung oder vielleicht eine Zyste. Das hört man doch öfter, oder? Als ich also in der Arztpraxis ankomme, bin ich relativ entspannt – wie entspannt man als Frau sein kann, wenn man weiß, dass man sich gleich vor einem fremden Mann ausziehen muss – und als mich mein Arzt fragt, was er für mich tun kann und ich sage „Ich habe einen Knoten in der Brust“ geht mir der blöde Witz durch den Kopf, den ich inzwischen gar nicht mehr witzig finde. Kennen Sie den: „Kommt eine Frau zum Arzt und sagt: „Ich habe einen Knoten in der Brust.“ Darauf der Arzt: „Wer macht denn sowas?“

Nachdem sich die Sprechstundenhilfe auch nochmal versichert hat, dass mein Kreislauf stabil ist, darf ich aufstehen und werde mit dem Hinweis „entlassen“, dass das Ergebnis der Stanze frühestens in der kommenden Woche vorliegen würde. Es ist kurz vor Mittag und da ich nichts Besseres zu tun habe, fahre ich ins Büro.

Innerhalb unserer Wohngemeinschaft verstehen wir uns prächtig. Von den umliegenden Zellen werden wir immer etwas schief angesehen und in regelmäßigen Abständen werden wir auch von sogenannten Killerzellen angegriffen! Aber wir sind inzwischen zu so einer starken Gemeinschaft angewachsen, dass uns die Angriffe nichts mehr anhaben können. Wir wissen, uns zu verteidigen. Momentan sind wir noch auf ein festes Areal in der linken Brust beschränkt, aber bald wollen wir Kundschafter aussenden, um nach neuen Siedlungsmöglichkeiten Ausschau zu halten. Dazu wollen wir die Lymphbahnen nutzen. Dort kann man sich leicht mit dem Strom der Lymphflüssigkeit quasi unbemerkt fortbewegen.