Nur keine Angst
Um die Hemmungen und Widerstände zu durchbrechen, die wir über Jahre in uns aufgeschichtet haben, müssen wir Dinge tun, die uns falsch erscheinen oder schwerfallen. (Ähm, im übertragenen Sinne und NUR AUF PAPIER, versteht sich.) Ja, es wird auch peinlich-gefühlvoll, vielleicht wirst du die Augen verdrehen. Dafür hab ich Verständnis. Ich verdrehe die Augen, wenn mir mein Vater eine Geburtstagskarte schickt und an »die beste Tochter der Welt« adressiert. Aber bringen wir doch das verlegene Ächzen in uns zum Schweigen und machen uns lieber an die Arbeit! Was ist das Schlimmste, was passieren könnte? Dass wir zu Hippies werden und uns, mit Halbedelsteinen behängt, mitternachts gegenseitig umarmen? So schlecht ist das doch nicht.
Wie dem auch sei, jetzt wirds ernst.

Schreibe »Ich bin das Beste seit der Erfindung des Schweizer Käses«, immer und immer wieder.
Tritt nun einen Schritt zurück und riskiere, für einen Moment daran zu glauben.
Glaube WIRKLICH daran. Stell dir buchstäblich vor, das Beste seit der Erfindung des Schweizer Käses zu sein. Und schreib weiter!

Siehst du? Da ist niemand, der uns auslacht, kein Zensor, der ein Fehlverhalten bemängelt oder dich daran erinnert, dass deine Schenkel ein bisschen zu kräftig sind für deine Jeans. Selbstwertgefühle, und seien sie noch so großspurig, sind hier in Sicherheit. (Und ob wir es glauben oder nicht, wir SIND das Beste seit Erfindung des Schweizer Käses. Parmesan? Nun, darüber lässt sich streiten.)
Gefühle sind unsere Freunde
Mit einem halbherzigen »Ach, was solls?« gelingt es niemandem, eine Skulptur zu schaffen, ein Rezept zu erfinden oder ein Gebäude zu entwerfen. Emotionen sind das A und O der Kreativität. Und Resistenz. Wenn also bei der Lektüre dieses Buches eine starke Empfindung in dir aufsteigt, sei sie positiv oder negativ, nimm sie an und koste sie aus. »Mann, warum kann ich mich einfach nicht für das Beste seit der Erfindung des Schweizer Käses halten? Leide ich an einer Laktoseintoleranz? Wer hat mir eingeredet, dass ich nicht stolz auf mich sein darf, und was setze ich dem entgegen?«
Es hilft, sich Zeit für dieses Buch zu lassen. Verfahre mit den Ideen hier wie mit einem ohne Mehl, aber viel Schokolade gebackenen Kuchen: Nimm immer nur kleine Stücke und lass sie auf der Zunge zergehen, denn wenn du alles auf einmal in dich hineinschlingst, wird es sich anfühlen, als hättest du einen tausend Pfund schweren Stein im Magen. Leg nach jedem Kapitel eine kleine Pause ein und überlege, wie du den einen oder anderen Gedanken auf dich anwenden kannst, insbesondere im Hinblick auf deine Gefühlslage. Hat dich irgendwas geärgert? Nimms zur Kenntnis. Begeistert? Nimm auch das zur Kenntnis. (Solltest du dich an irgendeiner Stelle langweilen, ist es meine Schuld, und es tut mir leid, aber keine Sorge, es liegt nicht an dir.)
Beim Aufräumen stößt man manchmal zufällig auf erfreuliche Dinge. (Einen Zwanzigeuroschein in einer alten Jeans zum Beispiel. JUCHHU!) Dinge, die wir nicht zuordnen können. (Wessen Kugelschreiber ist das? Habe ich ihn irgendwo mitgehen lassen? PEINLICH!) Oder Dinge, an die wir uns nicht erinnern wollen. (Die Unterwäsche eines Ex. NEIIIN!) All das verdient unsere Aufmerksamkeit. Je schonungsloser wir zu identifizieren lernen, was starke GEFÜHLE in uns auslöst, desto besser ist das für unsere Kreativität.

Wirf Dinge, die mit starken Gefühlen für dich verbunden sind, ins Feuer. Positive wie negative. Was macht dir Angst? Was begeistert dich? Wörter, Sätze, Ideen – schreib auf oder skizziere, was dir in den Sinn kommt, wenn du in das unten angefachte Feuer blickst.
Schreib so viel, dass es am Ende eingeschwärzt ist.


Ich kann dir versprechen, dass sich mit einem heftigen Gefühl unsere Kreativität befeuern lässt!
Schütze dich
Behalte lieber für dich, dass du dieses Buch durcharbeitest. Mir ist klar, dass dieser Rat ein bisschen bizarr klingt, zumal heutzutage alles geteilt wird. Bei manchen wird er so ankommen wie »Felicia will, dass ich einen Monat lang kein Wort mehr sage, nur noch Limabohnen esse und mich vorübergehend in einer Kommune auf den Azoren einquartiere«. Dabei ist das Buch doch nur 304 Seiten dick. Du wirst überleben. Hier und jetzt kommt es darauf an freizulegen, was in uns verborgen ist und sich scheut, ans Licht zu treten. Den Blick anderer auf uns gerichtet zu fühlen, macht uns befangen. Ketchup-Flecken im Gesicht sind an sich keine große Sache, es sei denn, sie fallen jemandem auf, stimmts?

Notiere fünf Adjektive, die beschreiben, wie du dich fühlst, wenn du allein tanzt.
Jetzt schreib fünf Adjektive auf, die beschreiben, wie du dich fühlst, wenn du tanzt und andere dir zuschauen.

Die beiden Listen sind ziemlich UNTERSCHIEDLICH, nicht wahr? In welcher steckt mehr Freude? Lass sie uns ausleben! (Wenn du lieber unter den Augen anderer tanzt, beglückwünsche ich dich – aus einer tiefen, dunklen, neurotischen Ecke heraus.)
Ich möchte dir auch empfehlen, Abstand von Social Media zu nehmen, solange du an deiner Kreativität arbeitest. Ich weiß, das ist hart (habe selbst dreimal Facebook gecheckt, während ich diese Seite schreibe), aber es lohnt sich. Okay, du darfst ein paarmal am Tag nachsehen, ich bin schließlich kein Monster, aber dann LOG DICH AUS. Und jedes Mal, wenn du den Drang verspürst, deine Zeit online zu vergeuden, arbeite stattdessen ein wenig, und sei es nur, dass du mehrmals »Lieber würde ich jetzt durch Twitter scrollen, als mich mit diesem Mist hier abzumühen« an den Rand schreibst.
Schütze den Prozess. Schütze den inneren Kreator. Dieser Raum ist NUR FÜR DICH.
Flow
Zieh nun eine durchgehende Linie über diese und die nächste Seite.

Verwirf den Gedanken, dieses Buch könnte dir etwas an die Hand geben, das du anderen ZEIGEN kannst. Wir versuchen, am kreativen PROZESS Freude zu entwickeln. Ohne ein Ziel vor Augen, ohne Druck. Wir befinden uns in einer ruhigen, kreativen Gemütsverfassung. Sind mit Vergnügen konzentriert. Wir schaffen es, die Zeit zu dehnen. Zeichne auf jedem Fleckchen DIESER Seite. Und DER NÄCHSTEN.
Fülle jede noch leere Stelle. Mit scharfen Ecken, Kurven, Kringeln, wonach du dich gerade FÜHLST. Und nicht den Stift ablegen!
ZEICHNE WEITER!
Kritzle über Wörter. Kritzle bis an den Rand. Du kannst ja nichts falsch machen.
Hast du bemerkt, dass Zeit vergangen ist?
Oder ist sie von deinem Tun aufgebraucht worden?
WENN JA, GUT SO. WIR HABENS GESCHAFFT.
So fühlt es sich an, wenn man kreativ ist.
Es gibt keine »Zeitverschwendung«, wenn wir uns in unserer Gedanken- und Gefühlswelt aufhalten.
In unserer einzigartigen Innenwelt.
Wiederhole im Stillen, jetzt und immer, wenn du dich kreativ betätigst:
Ich habe ein RECHT darauf, meine Zeit so zu verbringen.
