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ISBN 978-3-492-97750-0
© Piper Verlag GmbH, München 2017
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Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck
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Der Knabe wird ein Maler werden.
Er ist 13 Jahre alt. Gerhard Richter hatte eben Geburtstag. Kein Geschenk, keine Feier, 1945 gab es nichts. Seit 1993 Tagen, fast die Hälfte seines Lebens, herrscht Krieg. Die Russen kommen. Mit seiner Mutter Hildegard und Schwester Gisela hatte es ihn ins sächsische Waltersdorf verschlagen, einen entlegenen Sprengel an der Grenze zum tschechischen Protektorat. Der Vater Horst Richter kämpft im Westen an der Front. Von Osten einschießende Tiefflieger bestreichen die Oberlausitz, treiben Flüchtlingstrecks und Hitlers zurückflutende Wehrmacht in die Gräben. Gefechtsdonner aus Richtung Görlitz. Gewalt überrollt das Hinterland. Erschießungen. Plünderungen. Vergewaltigungen. Freund oder Feind, das Kind hält sich das Grauen spielerisch vom Leib. Der Erwachsene wird den Krieg später als spannendes Abenteuer erinnern. Der Knabe sollte eines Tages weltberühmt sein.
70 Kilometer Luftlinie westlich legen britische Bomber Richters Geburtsstadt Dresden in Schutt und Asche. Schwere Attacken im Schutze der Nacht des 13. Februar 1945. Die Stadt, der Adolf Hitler versprach, »der Nationalsozialismus wird ihr eine richtige Fassung geben«, soll sterben. 650 000 Stabbrandbomben und 529 Luftminen fallen, um nur das Gröbste zu nennen, verwandeln die einstige königliche Residenz in eine Todesfalle für Zehntausende. Am helllichten Tag des 14. geben amerikanische Geschwader »Elbflorenz« den Rest. So weit das Auge reicht, Ruinen, eine mit Schutt übersäte Weite. Von der klaffenden Leere gibt es keinen richtigen Begriff, es sei denn in Bildern ihres großen Sohnes Gerhard Richter.
In den 50er Jahren stapft der Student Tag für Tag durch die Trümmer zur Kunstakademie, der Pfad geht mitten durch die skelettierte Frauenkirche. Die Öde der dem Erdboden gleichgemachten Stadt, ihr Untergang binnen Stunden, lastet bis heute auf den Gemütern wie ein Phantomschmerz: Eine »Ziegelsteppe«, ein »Garnichts« blieb von den viel beschriebenen Kulturstätten, notieren Chronisten wie Erich Kästner: »Man geht hindurch, als liefe man im Traum durch Sodom und Gomorra.« Das bestimmte Dresdner Gefühl, schwerlich mit etwas anderem zu vergleichen, hinterließ ein Empfinden umfassenden Verlustes. Kein Neubau, keine Rekonstruktion konnte es heilen. Das Zerborstene, so hieß es unter Schock, könne nie wieder auferstehen. In dem Dauerprovisorium war Richter nie »daheeme«. Der übermächtige Eindruck einer vielfach zerklüfteten Stadtlandschaft verstärkte bei ihm die Stimmung politischer Hoffnungslosigkeit. Schlussendlich ließ ihn die Enttäuschung 1961 aus dem Sozialismus in den Kapitalismus flüchten.
Zum 50. Jahrestag der Vernichtung Dresdens hängt 1995 vor den Brühlschen Terrassen (schwarz gebackene Krusten konservieren im Elbsandstein die Februarkatastrophe, als müsse für ewig Trauer getragen werden) sein Wandbild »2 Kerzen«, ausgespannt ein Banner von 19 x 23 Meter: Zeichen des Gedenkens und Symbol für Richters Heimkehr. Er war dort an der Kunsthochschule ausgebildet worden, laut Bestandsliste »mittelschwer beschädigt«, was bedeutete, der Bau ließ sich notfalls reparieren. Selbst im demolierten Zustand für den Anfänger »wahnsinnig imponierend«, mit Säulen, Nischen, Statuen, Medaillons und was sonst in Stein geschlagen oder in Kupfer getrieben an Raffinessen vorgeführt wird. Über dem Hauptportal der »Genius der Kunst«. Richter swingt förmlich durch den Triumphbogen, sein Tor zur Welt. Ein über die Maßen erhebender Beginn, »dass man nun dazugehörte und die Lehrer echte Künstler waren«. Otto Dix lief ihm über den Weg, Kretzschmar, Rudolph, die Grundigs, lauter Bedeutende. Der Architekt Mart Stam dürfte bei der Immatrikulationsfeier gesprochen haben, »eine imposante Erscheinung«. Heiß durchströmte Richter das Glück des Anfangs. Wenige Festtage reichen an diesen heran.
Nebenan hatte in der Pracht des Museums Albertinum die »Örtliche Luftschutzleitung«, »ÖL«, Deckung gesucht. Dort liefen im Februar ’45 die Meldungen wegen anfliegender »schneller Kampfflugzeuge mit Nordostkurs« ein. Die Alliierten markierten das Gebäude auf ihren Angriffsplänen mit einem schwarzen Kreuz: zur Zerstörung freigegeben! Später wird Gerhard Richter deutsche Stukas malen, die dem Feind entgegenrasen, sowie eine aus acht Maschinen gebildete »Mustang-Staffel« über offenem Gelände, ein Schwarm wilder Hornissen im Sturzflug. Bei der Attacke auf Dresden gaben sie in einer Stärke von 430 Jägern den amerikanischen Bombern Geleitschutz. Ihre Fracht konnte Menschen bei lebendigem Leib schmoren lassen und zerreißen.
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2004 präsentiert Richter dieses der Zerstörung seiner Heimat geschuldete Flieger-Bild bei einer Ausstellung im Albertinum. Wohin er sich dreht und wendet, mit seinen Arbeiten voll gehängte Säle. Selbst wenn die auf der Glaskuppel der Akademie tänzelnde »Fama«, Personifizierung des Gerüchts, ihm das zugeflüstert hätte, der Student hätte es sich in den kühnsten Träumen nicht vorzustellen gewagt. 1960 war sein »Stilleben mit Muscheln« dort im Museum zur Schau »Junger Künstler« zugelassen. Heute muss er nur wollen, schon hat er alle Wände für sich. Der früheste Erfahrungsraum des Knaben, der ein Maler werden wird, ist der Krieg. Was ihn streifte, musste Narben hinterlassen. Die Erfahrung des Abgrunds führt bis zum explosiven »War cut«, seinem in prangenden Farben gehaltenen Künstlerbuch zum Irak-Konflikt, 59 Jahre nach der Zerstörung Dresdens.
13. Februar 1945. Tod und Verderben brechen in Wellen herein. Ein endloser Bomberstrom aus England über dem schwarzen Spiegel der Nordsee. Bald glänzte die Elbe unter ihnen auf. 1281 Todbringer erfüllen die Luft mit gleichmäßig sonorem Brummen, das so noch niemand gehört hatte und das nicht enden wollte. Kaum behelligt von Flak, erreichen die Heere aus der Nacht die ihnen schutzlos ausgelieferte Zielscheibe. Die letzte Warnung an die Bevölkerung: »Volksgenossen, haltet Sand und Wasser bereit!« Wie von englischen Meteorologen prognostiziert, öffnete sich zum Abend die dicke Wolkendecke über Mitteleuropa für Stunden. Eine Lücke, in die Piloten nur hineinstoßen mussten, die schlafende Stadt unter sich. Knapp eine Million Einwohner und Flüchtlinge wähnten sich sicher. Bisher vergleichsweise glimpflich durch den Zweiten Weltkrieg gekommen, war Dresden nur allzu bereit, die Luftattacken vom Herbst ’44 für einen Irrtum zu halten. Fast überheblich in ihrer gerühmten Schönheit, wähnt sich die Stadt unantastbar. Nahte nicht schon der Frieden? Dresden glaubte an seine Bestimmung, barockes Kleinod mit unvorstellbaren Schätzen zu sein.
Umso brutaler treffen die ersten Einschläge. Ein Pfeifen und Rauschen durchbraust den Äther, Explosionen lassen die Erde zittern, Rauchgebirge türmen sich auf. Wie zur Verhöhnung filmen die Angreifer aus knapp 5000 Meter Höhe die unter ihnen schmelzende Stadt. Bis dort hinauf sind die am Boden herrschenden 1000 Grad Celcius zu spüren. Grüne, weiße, rote Feuerwerkskörper illuminieren die Szenerie, am Firmament funkelndes Gestirn, das zuvor kein Astronom kannte. Für die Überlebenden gibt es auf weich gekochten Straßen kaum ein Entrinnen. Nicht wenige fangen an den Füßen zuerst Feuer und verbrennen von unten nach oben. Die dicht auf dicht folgenden Treffer wirken wie ein einziger Schlag, verheerend, da die Menschen in panischer Flucht unterwegs oder als Helfer mit Löscharbeiten beschäftigt sind.
Unvorstellbares Chaos herrscht in den Straßen und Winkeln. Tausende Brände lodern auf einer Fläche von 7 x 5 Kilometern, von keinem Hindernis aufzuhalten. Einheimische irren fremd in ihrer eigenen Stadt herum. Die Eingeschlossenen fürchten, die Elbe werde zu sieden beginnen, ein Eindruck, der in den Davongekommenen lebenslang nachglüht. Eine so übermächtige Gewalt, als wollten die Alliierten nicht nur ein für alle Mal den Nazi-Ungeist ausräuchern, sondern Feuerteufeln gleich alles abfackeln. Am Ende der Nacht erwacht trotzdem der Morgen, Dresden ist erfüllt von Wehklagen.
Die geheime »Schlussmeldung« der Ordnungspolizei, Dokument 7/45, »gez. i.A. Thierig«, versucht wenigstens statistisch eine Art Struktur in die Heimsuchung zu bringen. Aber die Fakten machen die Dinge noch unerträglicher: »Fliegeralarm: 21.55 Uhr, Vorentwarnung: 22.40 Uhr, Entwarnung 23.27 Uhr, Bombenabwurf: 22.09 Uhr bis 22.35 Uhr.« Fast 12000 Gebäude total zerstört, darunter Semperoper, Zentraltheater, Zirkus Sarrasani, Taschenbergpalais, Coselpalais, Altes Rathaus. »Schwer beschädigt«: Ehemaliges Residenzschloss, Grünes Gewölbe völlig ausgebrannt, Hauptwache von Schinkel undundund.
Es war der Faschingsdienstag. Der Himmel über Sachsen leuchtet im Zeichen des Mars. Beherrscht von den Kriegsfarben blutrot und schwefelgelb, mit Wolken, zerfetzt und selbst wie zerschossen. Vergleichbar Caspar David Friedrichs Gemälde »Abend« von 1824. Wechselweise von violett, lachsrosa oder zinnober beherrscht. Diese Farben des Todes sind die Farben, die man auch auf späteren Bildern Richters sieht. Über allem lastet ein blendender Schein, ein Stieben und Funkeln im Wechsel mit schwarz und schwärzer werdender Finsternis durch Qualm.
In Waltersdorf war der Schüler Gerd Richter mit dem ganzen Dorf auf der Gasse. Etwas Schnee lag. Ein Auflauf erregter Menschen, hochgeschreckt von der Rundfunkmeldung aus dem »Gefechtsstand Berlin«. Zuerst monotones Ticken, Knistern, gefolgt von der Ansage: »Achtung, Achtung, hier Dresden. Mehrere feindliche Bombengeschwader im Anflug … Entfernung 20 Kilometer.« Schon heulen die Sirenen. 2402 Einwohnern, darunter 617 Flüchtlingen, ist es, als würde trotz Verdunkelung der Horizont entzündet. Eine wie aus der Winternacht heraus geschweißte, berstend-giftige Helligkeit. War ein Komet niedergegangen? War ein Vulkan ausgebrochen? Warum spie Dresden so viel Feuer aus? Ein Auflodern, das vom Ende der Zeit kündet in einem unendlichen Lichtbogen.
Richters Schulkameradin Georgine Haeder, sie wohnte »im Ober-, Richter im Mitteldorf«, erlebte die Katastrophe als ein eiskaltes Brennen, das nie mehr wich. Es habe bestimmte Wetterlagen, die ihr die Bilder von damals vor die Augen zwingen in geradezu entgegenflammenden Tönen. Sie sei auf den Dachboden gerannt, habe durch die Luke über das Niederdorf hinweg gen Nordwesten »den grausigen Widerschein gesehen. Mir stehen heute noch die Haare zu Berge.« Auch einen »entsetzlichen Lärm« habe sie vernommen, an- und abschwellend, sie konnte ihn für das Brüllen eines Ungeheuers halten. Ihr Onkel kannte den Krieg, habe sofort gesagt, »das sind die Bomber«.
Der 73-jährige Richter nimmt in der Rückschau auf die Wahnsinnsnacht allerdings an, wegen der Entfernung habe man optisch von der Dresdner Heimsuchung nichts wahrnehmen können. Aber dass »etwas Schreckliches geschah, das wussten wir ganz genau«. Die Leute hätten gefragt: »Hörst du nicht, wie es wummert?« Auf sein Waltersdorf regnete es Stanniolstreifen, von den Alliierten in Millionen Stücken abgeworfen, um deutsches Radar und Funk zu stören. Am anderen Tag mussten die Schulbuben das Silberpapier und von weit her gewehte, verkohlte Papierschnipsel einsammeln. Mürbe Fetzen, die kreiselnd niedersinken, bei der geringsten Berührung zerfallen.
Endzeit. Die Waltersdorfer Jungs zogen hinaus auf die Felder ihrer kindlichen Manöver, ihr Revier im Steinbruch, in dem der Uhu brütete – »da war ich oft«. Sie gruben Höhlen, zimmerten Hütten, fanden Munition. Am Butterberg habe man mit dem viel zu schweren Karabiner 98 und einer Pistole 08 herumgeballert. Nur die Buben kannten die Verstecke für Kriegsspiele. Richter schwärmt vom Herumstromern auf sanften Kuppen, dem Butter- oder Sonneberg. Gemeinsam baldowerten sie Beobachtungspunkte aus, verfolgten ankommende oder fliehende Trupps aus gebührendem Abstand. Ein Spektakel. »Ich fand das alles ganz toll. Ich habe die Soldaten beneidet, die in der Scheune lagerten.« Unweit Richters Zuhause in der Ostsiedlung steht die rot geklinkerte Aussegnungshalle. Einer stachelte den anderen zu Mutproben auf, die Jungen stahlen sich ans Fenster, sahen verbotenerweise Leichenwaschungen und Aufbahrungen zu. An der nahen »Kämmel’schen Familiengruft« überragt ein weinender Engel mit Totenschädel die niedrige Friedhofsmauer. Vor dem Postament ein geflügelter Satyrkopf, bestückt mit Stundenglas und Sense. Zum Fürchten, wie es Kinder aus Angstlust brauchen.
Schon 1938 kam Hitlers Tross an ihrem Nest vorbeigezogen, unterwegs zu der mit Bunkern, Schussschneisen und Sperren gespickten »Schöberlinie«. Auf der Route banden Sudetendeutsche dem Führer aus roten Gladiolen ein Hakenkreuz, überhäuften ihn mit Blumen. Am 5. Mai 1945 rückt General Schörner zur Verteidigung der strategisch wichtigen Ostgrenze in Waltersdorf ein, lagert mit dem letzten Aufgebot von 100 Mann bei der Oberen Schule: die Verlierer von morgen, bald östlich von Prag eingekesselt. Schörner, »so’n kleener Mann«, soll zu den Verehrern von Richters Mutter Hildegard gehört haben. Die letzte deutsche Batterie steht unweit in Herrnhut. Direkt bei Richters Wohnung in der Ostsiedlung 345 b, in der DDR »Bebel-Straße«, häufen sich am Rummelplatz nach der Kapitulation Waffen bis hin zu Flaklafetten und Haubitzen. Über Knarren wusste Richter Bescheid.
Kinder können sich außerhalb der Dinge stellen, sehen im Krieg ein zünftiges Abenteuer, nicht das Ende von etwas. Das wahre Unglück überliefert die Dorfchronik akribisch: 63 mit ihrem Todestag aufgelistete Männer, die »im 2. Weltkrieg 1939–45 gefallen oder durch Kriegseinwirkungen verstorben« sind. Das Fazit des endlosen Krieges aus der lokalen Sicht: »Wir sind alle arm geworden, ärmer geht es nicht. Alles ging drüber und drunter. Alles lief davon, es wurde geplündert.« Der Krieg kam zu Fuß ins Dorf, Georgine Haeder hat es mit eigenen Augen gesehen, wie der Iwan einmarschierte, an der Spitze Mongolen aus irgendwelchen Steppen, »mit schwarzen, bodenlangen Mänteln und Kosakenmützen, Furcht erregende Kohorten, denen hat man die Grausamkeit im Gesicht abgelesen«. Das waren die Sieger. Andere Russen hätten die wilden Kerle entwaffnen und in Schach halten müssen. Die Panje-Pferdchen schafften kaum, die Munitionskarren hochzuziehen.
Gerüchte kursierten. Vor lauter Angst habe man drei Wochen nicht geschlafen, sei nicht aus den Kleidern gekommen. Nur wenige Familien wagten es, daheim zu bleiben. Die meisten suchten Schutz im Wald. Richters Mutter harrte mit wenigen Frauen aus. Die Flurnachbarin, die dabei war, erzählt: »Wir haben abgeschlossen und uns auf dem Boden versteckt.« Frau Richter habe den Einmarschierenden vom Fenster zugewinkt und sei von einem Rotarmisten in Gegenwart seines Offiziers vergewaltigt worden. Der habe mit gezückter Pistole zugesehen. Angebotenes Geld oder Preziosen ließen ihn kalt. Das schilderte Hildegard Richter später immer wieder. Drei Tote und mindestens fünf Notzuchtverbrechen sind verbürgt. Am 18. Mai lag der SS-Hauptscharführer Arthur Jochen Schmidt mit Ehefrau und drei Kindern tot im Forst. Einer aus ihrer Mitte. Unweit der Richters, gegenüber der Kirche, zog die russische Kommandantur in die Gewerbebank ein. Dort konnten missbrauchte Frauen wegen Abtreibungen vorstellig werden.
Waltersdorf, dieses in seinen Prospekten »lauschige Plätzchen« war für Gerhard Richter nie ein glücklicher Anfang. Zwar genießt er das Ländliche, die Bewegungsfreiheit, so dass er später sagt, diese Jahre »die waren unglaublich schön«. Aber schwerer wiegt: Es war ein Leben, das mit dem Sterben beginnt, das Schicksal der in die Katastrophe hineingeborenen Generation. Der Krieg ist Richters Schule des Sehens. Wenn man schon nicht sagen will, dass in der Nacht der Nächte ein Maler geboren wird, veränderten die Dresdner Brandbomben den Lauf der Dinge doch radikal: Ein »Lebenszeitaugenblick« (der Philosoph Hans Blumenberg), der das sensible Kind versengt, dem sich Trauer, Elend und Leidenschaft in tiefere Schichten eingraben. Die Urszene wird abgespeichert als Material künftiger Werke. Bei dem Knaben, der ein Maler werden wird, sollte die elementare Erfahrung eines Tages hochsteigen und wirksam werden. Aus diesem Stoff schöpft Richter bis in die Gegenwart seine Themen. Vergangenes wird Bleibendes.
Mochte sich der junge Richter das Bomben-Gewitter als etwas Fernes und damit weniger Bedrohliches gedacht haben. Nur so ließ sich die in ihrem Kern unbegriffene Zeit als eine besonders »spannende« verbuchen, während der Krieg unweit die weltbekannte Silhouette seiner Vaterstadt pulverisierte, die Dresdner zu Höhlenbewohnern machte. Vom Februar 1945 in ihm vorbereitet, musste das Erfahrene lange darauf warten, gemalt zu werden. Denn insbesondere das Kriegsende, von Richter gnädiger erinnert, als es in Wirklichkeit war, bedrängt ihn in kaum erträglicher Intensität. In einer abseitigen Kammer des Gedächtnisses aufgestaut, macht es später seine Kunst groß. Erzeugt eine unendliche Folge von Assoziationen und Zeichen für Zerstörung, Verlust, Vergänglichkeit, Schuld, Hoffnung, Verantwortung, Geburt, Tod, Terror, Kinder, Familie, Ende, Neuanfang.
Der Tod kehrt bei Richter in mannigfachen Motiven wieder. In den Tuschzeichnungen »Totenkopf« oder dem Bild »Schädel«. Er malt einen unter einem Eisblock begrabenen Mann und den vermeintlichen Kennedy-Attentäter Oswald. »Acht Lernschwestern« ist der unverfängliche Titel für Bilder acht ermordeter Krankenschwestern. »Sargträger« eine Arbeit von 1962, »Erschießung« ein andere. Frühe Werke nennt er »Schlachtschiff«, »Narbe«, »Klage«, »Verletzung«, »Wunde«, »Resektion«, »Düsenjäger«, »Phantom Abfangjäger«. Anspielungen auf das ins Gedächtnis Eingeätzte. Er gestaltet christliche Kreuze, Objekte in Gold. Was ihm zu schaffen macht, steigert sich Aufsehen erregend bis hin zu den Bildern des »Stammheim-Zyklus« von 1988. Des Künstlers traumatische Kindheitserfahrung, aufgesogen wie mit Löschpapier, lässt ihn das Gesehene, Erahnte, Erlittene aufrufen, abarbeiten – und malen. Dann ist da noch der mit dem Datum »14. Febr. 45« bezeichnete Offsetdruck »Bridge«, Tag des Angriffs auf seine erste Heimat Dresden, unterlegt mit einem Luftbild seiner zweiten Heimat Köln. Das Blatt hängt in Richters Atelier. Erst beim näheren Hinsehen sind die Bombeneinschläge in der mit Kratern punktierten Weite erkennbar, der Stadtausschnitt reicht an seinen jetzigen Wohnsitz.
Sein Œuvre lässt einen von Besorgnis und Furcht besetzten, früh um Sicherheit betrogenen Skeptiker erahnen. Eine Künstlernatur wie er musste den Mangel an Geborgenheit tief verspüren. Die Härte des Lebens war ihm nur zu früh vertraut. Richter startet in Waltersdorf mit einem Gefühl der Niederlage. Vielleicht gehört das zu den Voraussetzungen eines von Mitleid, ja Erbarmen geleiteten Malers. Später setzt er sich mit alltäglicher Gewalt in einem Ausmaß auseinander, das bei ihm nicht unbedingt zu vermuten wäre, der sich gern als unpolitisch definiert und in abstrakte Darstellungen flüchtet. Richter sucht, gewissermaßen hinter der Leinwand, eine Neutralität, ausgedrückt in dem von ihm bevorzugten Grau. Grau, aus gleichen Anteilen von Schwarz und Weiß gemischt, schreibt er »Meinungslosigkeit, Aussageverweigerung, Schweigen« zu. Niemand hätte je geahnt, wie viele Graus es auf seiner offenen Richterskala zu sehen gibt. So viele, wie er will: Grau auf grauem Grund auf grauem Grund auf grauem Grund, gedämpft, metallisch, mineralisch, rauchig, effektvoll, pulsierend. Unvorstellbar. Grau zieht die Betrachter in die Projektionsflächen hinein. Seine Klangfarbe.
Es ist noch der Februar 1945. Dresden eingeäschert. Agenturfotos tragen die Unterschrift: »das brennende Dresden, aufgenommen am 16. Februar ’45, 13.30 Uhr«. Die NSDAP-Postille »Freiheitskampf« prahlt: »Trotz Terror, wir bleiben hart.« Die Deportation der letzten einsatzfähigen Dresdner Juden steht für diesen Freitag bevor. Genau an diesem Tag stirbt Richters Tante Marianne Schönfelder elendiglich in der Psychiatrischen Landesanstalt Großschweidnitz, laut Totenschein auf Station 11. Keine 20 Kilometer nördlich von Waltersdorf erlischt die 27-Jährige, die jüngere Schwester von Richters Mutter. Die schizophrene Marianne, eines der etwa 250000 Opfer von Hitlers Euthanasie-Verbrechen, 1938 in Dresden zur »Ballastexistenz« verdammt, seitdem lebendig begraben in diversen sächsischen Irrenhäusern.
An ihrem 60. Todestag sitze ich in einer Berliner Wohnung unweit des »Führerbunkers« über diesem Kapitel, und ich schreibe den Satz: Es ist auch der Februar 1945, in dem die Dresdner Villa von Professor Dr. Heinrich Eufinger vom alles verschlingenden Feuer verschont bleibt. Richters späterer Schwiegervater residiert in der Wiener Straße 91. Der Gynäkologe war Nazi der ersten Stunde. Dem Chefarzt der Frauenklinik Friedrichstadt zerrinnt in seiner Eigenschaft als SS-Obersturmbannführer die Existenz unter den Fingern. Eufinger erfüllte nicht nur anscheinend klaglos die nationalsozialistische Rassenpolitik, sondern sah sie als seine wirkliche Mission. Er verantwortete fast tausend Zwangssterilisierungen von geisteskranken Patientinnen nach dem Gesetz zur »Verhütung erbkranken Nachwuchses«. Das »GzVeN« wurde ausdrücklich als »Beginn ausmerzender Maßnahmen des Staates« verkündet.
Gerhard Richter konnte nicht wissen, bei wem er 1953 in der Wiener 91 unterschlüpfte, nachdem er sich in Eufingers höchst anziehende Tochter Ema verliebt hatte. Ihr richtiger Vorname seltsamerweise ebenfalls Marianne. Er war selig mit ihr, war selig, Waltersdorf entronnen zu sein, war noch mal selig, weil ihn die legendäre Akademie zum Wintersemester 1951/52 aufgenommen hatte. Im Jahr zuvor scheiterte der erste Versuch des Anwärters, dem die Schulzeit missraten war, der die Lehren zum Schriften- und Bühnenmaler abbrach. Richter wartete mit dem Reifezeugnis erster Bilder aus seiner rasch dicker werdenden Mappe auf, hatte aber sonst im Lebenslauf nichts vorzuweisen.
Nach den Fliegerangriffen steht Eufingers Krankenhaus in der amtlichen Liste »schwer beschädigter Objekte«. Am 16. Februar 1945 ergeht der Befehl zur Räumung seiner Klinik und zur Verlagerung in die nahe Landesirrenanstalt Arnsdorf, einer der unheimlichsten Adressen weit und breit. Mit der niederschmetternden Diagnose ihrer Geisteskrankheit hatte dort die Auslöschung von Richters Tante Marianne begonnen, die sich an diesem Wintertag vollendet. Ihr Schicksal überschneidet sich ein letztes Mal mit Eufingers steiler SS-Karriere. In Raum und Zeit wird das Muster eines Dramas sichtbar, das Drama von Richters Familie. Ein noch nie entdecktes Geheimnis des Malers. Es geht um Schuld und Leid, Liebe, Hass und Tod.
Da ist Gerhard Richter. Da sind zwei Menschen, Heinrich Eufinger und Marianne Schönfelder, beide ihm eng verbunden, der eine angeheiratet, die andere blutsverwandt. Sie leben in scheinbar unendlich voneinander entfernten Parallelwelten. Hier die unheilbar Kranke, von den Nazis zur Tötung bestimmt. Dort der Frauenarzt, unheilbar gesund in seiner Nazi-Gesinnung, dem Großdeutschtum verfallen, Handlanger bei Hitlers »Reinigung des Volkskörpers«. Der eine Gegenpart des anderen. Sie stehen in gespenstischer Verbindung. Man könnte an Vorsehung glauben. Eufingers Wiener Straße 91 ist das geheime Zentrum einer Tragödie, die dem Künstler bis heute selbst nie bewusst war. In den 60er Jahren malt Gerhard Richter seine »Tante Marianne«, setzt ihr in einem schmerzhaft schönen Porträt ein Denkmal, einmalig für die Opfer des Hitler-Regimes. Einzig dieses Werk sorgt dafür, dass ihre so verhuschte Existenz doch nicht gänzlich ausgelöscht werden konnte. Gerhard Richter gibt der Erinnerung ein Gesicht. Durch seine Kunst ist es möglich, sich aus den Fragmenten ihres trostlosen Daseins ein Bild zu machen. Eines Daseins, in dem sie nachweislich der Krankenakte einem 1947 im Dresdner Euthanasie-Prozess zum Tode verurteilten Massenmörder in die Hände fiel.
Schließlich malt Gerhard Richter mehrfach den Frauenarzt und Schwiegervater Eufinger als treu sorgenden Patriarchen. Eine Reihe nicht ganz geheurer Ansichten von einem Mediziner, der Hitlers Allmachtsfantasien teilte, die auch Tante Marianne umbringen. Der Künstler wandte sich damals instinktiv Verborgenem zu. In seinem Werkverzeichnis finden sich also die Bilder eines Täters neben dem Bild eines Opfers. Ebenfalls in Farbe festgehalten ist die Wiener 91, Kristallisationspunkt einer unglaublichen Verstrickung, die so nur in Deutschland denkbar ist. Kein Regisseur könnte den Fall makaberer inszenieren. Jede Erzählung mit diesem Stoff würde als Übertreibung abgetan. In seinen unendlich fein verzweigten Strängen wirkt das Geschehen romanhaft, in den Fakten ist es nur zu wahr. Die Distanz zwischen der Tante und dem Professor könnte größer nicht sein, doch sie treiben, jeder in seiner Rolle, aufeinander zu. Marianne in ihrem Unglück, Eufinger in seinem Glück. Vor dem Hintergrund des glutroten Scheins über dem brennenden Dresden ist es jetzt an der Zeit, die realen Personen aus ihren Gemälden treten zu lassen, ehe sich ihre Spur vollends verliert. Der Chronist heißt Gerhard Richter. Der große Schweiger lässt Bilder sprechen, Richter hat sie hervorgebracht, bevor er sie erinnerte, getreu dem Faulkner-Satz »Memory believes before knowing remembers«.
Der Knabe wird ein Maler werden. Am Ende dieser Geschichte ist Gerhard Richter weltberühmt.
In Gerhard Richters Kölner Atelier ist es ganz still. Nur gelegentlich fegt Hund Leica (»wie der Fotoapparat«) durch die Räume, die Familiäres mit der angenehmen Kühle der Modernität mischen. Man muss lange suchen, um einen solch idealen Arbeitsplatz zu finden. Räume aus Licht für einen Zen-Meister in Gesundheitslatschen, der Überflüssiges abgestreift hat und in wunderbarer Ruhe Bilder zelebriert. Weiße Vorhänge trennen die Zimmer, als hätte ihm ein Theatermacher die Bühne bereitet, auf die er zur Begrüßung heraustritt, kleiner und schmächtiger als erwartet, aber vergrübelt, wie man ihn sich denkt. Ringe zum Turnen hängen von der Decke, darunter abstrakte Gemälde in typisch-waghalsigen Farbkaskaden: schwebend, tropfend, leckend, funkelnd, reflektierend, betörend, irisierend, fließend, subtil, kunterbunt, aufregend. Wie glasiert und mit einem nur ihm bekannten Lack imprägniert, süchtig machend nach mehr. Ein Malstrom, man möchte sich wegschwemmen lassen. Am Schreibtisch CDs von Cage, Glass, Monk und Steve Reich. Minimalisten.
Reporterkollegen hatten mich vor seiner einschüchternden Ausstrahlung gewarnt. Zunächst am Telefon hatte Richter beim Stichwort Dresden noch abgewehrt. Seinem Ruf als unnahbarer Autorität entsprechend, klang er kühl und undurchdringlich. Beim Kennenlernen taxiert er den Besucher sichernd und abschätzend – Freund? Feind? Was will er? –, hält mit höflich-einsilbigen Sätzen auf Distanz. Ihm Themen aufzudrängen, gar quälende, scheint anfangs unmöglich. Trotzdem entschloss sich der Vielbeschäftigte schließlich, das eigene Herkommen zu befragen, zögerlich, mit deutlichen Vorbehalten, aber immerhin. Das sei über 50 Jahre her, nach dieser langen Zeit, was solle er da noch wissen? Zuletzt gab er doch nach, alt genug sei er, »das muss ich annehmen«.
Beim ersten Kölner Treffen 2004 streift Richter seltsam fremd und steif im eigenen Leben herum, mit der für ihn charakteristischen priesterlichen Förmlichkeit. Vielleicht war er mit den Gedanken auch nur woanders. Beschäftigt mit Farbkompositionen, waghalsigen Ideen, Projekten der Zukunft, sei es für Atlanta, Edinburgh, Dresden, San Francisco oder was sonst noch an Merkzetteln zum Abarbeiten an die Wand gepinnt ist. Der ständige Vorwurf, die Malerei komme zu kurz. Richter ist inzwischen ein weltweit operierender Ein-Mann-Konzern, für seinen Geschmack zu viel von Versicherungs-, Transport- und Organisationsfragen abgelenkt. Das möchte er am liebsten hinter sich lassen.
Anfangs sitzt Gerhard Richter weit zurückgelehnt auf dem Stuhl, in größtmöglichem Abstand. Dann rückt er näher. Er gräbt nicht mehr bedächtig jedes Wort einzeln aus bei der sentimentalen Reise. Fern jeden Persönlichkeitskults ist er in der Öffentlichkeit grundsätzlich scheu. Ein Gesprächspartner von starkem Willen und der Ausstrahlung, die seine Kunst reflektiert. Zuerst beschäftigt es mich, ob seine sachdienlichen Hinweise mich bestätigen oder mich verunsichern, während er sich mit zusammengekniffenen Augen auf Einzelheiten besinnt, als lausche er einem Echo. Endlich knöpft Richter das weich fallende Jackett auf. Die Anspannung löst sich. Er öffnet sich, macht mit. Nicht hoch genug einzuschätzen bei einem, der sich sonst nur malend rückhaltlos mitteilt. Welcher andere Große würde sich einer solch unerbittlichen Befragung des Persönlichen aussetzen wie dieser Gerhard Richter.
Dann kam Bewegung in die Sache. Zwischen unseren Terminen wurden aus halbfertigen Bildern fertige für seine grandiose Düsseldorfer Werkschau. Bei einem weiteren Besuch trägt der Professor eine randlose Brille statt der streng dunklen Fassung, sieht froher aus und wie runderneuert. Der Bart bleibt stehen. Ein Modell des Dresdner Museums Albertinum in Puppenstubenformat kommt auf die Arbeitsplatte. Richter nimmt es pedantisch, bestimmt auf den Zentimeter genau die Hängung seiner Bilder in briefmarkengroßen Kopien. Beim nächsten Mal sind zehn blanke, mannshohe Leinwände schon auf Holz gespannt, Farbtöpfe, Pinsel griffbereit, zum Schutz gegen Kleckse sind FAZ-Seiten auf dem Boden verklebt. Terpentingeruch macht sich breit. Sobald der Vorhang sich bauscht, sehe ich ihn vom Eingang aus am anderen Ende bei den Tiegeln mit der Spachtel hantieren, überflüssige Farbe streift er im aufgeschlitzten Tetra-Pack von »Eifel-Milch« ab. Es läuft gut. Richter fühlt sich nach eigenen Worten wie ein Rennpferd, das im Stall kurz gehalten wurde, damit es wieder Lust auf die Bahn gewinne: »Ich möchte malen.« Bald sind acht abstrakte Bilder angefangen. Sie wirken sofort, als gehörten sie nach New York.
Nach und nach lässt er sich in unseren Gesprächen vom Sog der Vergangenheit erfassen. Für ihn hat sich vieles verändert. Geschehnisse aus dem Dritten Reich nehmen allmählich Gestalt an, die Gestalt von Tante Marianne und Schwiegervater Eufinger. Ein eigener Kosmos jenseits des Sichtbaren, mit jeder Begegnung deutlicher erkennbar auf der Rückseite ihrer berühmten Porträts. Ein Gespinst unfasslicher Beziehungen, ohne dass das Zusammentreffen entlegener Sprengsel rational zu erklären wäre. Es geht bis in den tiefsten Grund, die abgesunkenen Sedimente von Richters Familiengeschichte treten zutage. Verblüffend passt ein Puzzleteil zum anderen. Offenbarungen im Hinblick auf ihn selbst, die in der Rückschau eine verdeckte Form persönlicher Geschichtsschreibung ergeben.
Wie beim Restaurator kommt unter dem Firnis allmählich das Ursprüngliche hervor: Leid, Verhängnis und Verzweiflung, die alles übertrafen, was er darüber wusste. Familiäre Details stellen sich in beängstigender Fülle ein. Er hätte es selbst nicht geglaubt, nun gilt es, sich den Dingen zu stellen. Es waren eindringliche Gespräche über gestern und heute, über das Einst im Jetzt mit Abschweifungen in die Berliner Politik. Leichteres mischt sich mit unerträglich Schwerem bei der Erforschung der Nacht. Richter ist Künstler, kein Verwalter, ab und zu muss er seinen schmalen Kalender befragen, schlägt ein Datum nach, trägt ein neues ein, präzisiert eine Angabe, fügt den Skizzen feinere Striche hinzu. Sofort verschwindet das Büchlein wieder in der Schublade. Richter hält sehr auf Ordnung, der Schreibtisch ist stets aufgeräumt. Es gibt Kaffee, Kekse, Pralinen aus Ostende, immer steht ein Obstteller da. Manchmal kommt seine Frau Sabine dazu. Töchterchen Ella Maria lugt im Funkenmariechen-Kostüm ums Eck. In Richters Idiom kann sich Sächsisches einschleichen.
Der Maler lebt von Mitte 1943 bis 1948 in Waltersdorf. Die Eltern, Ur-Dresdner nach Aussage seiner Schwester Gisela, bleiben dort bis zu ihrem Tod in den späten Sechzigern. Mamas Liebling genoss die Abwesenheit des in den Krieg geschickten Vaters. In der Mutterfixierung ließ er nicht gelten, dass ihm eine wichtige Bezugsperson fehlte. Aber nach und nach bedrängten und bedrohten Hiobsbotschaften die Verwandtschaft existenziell. Onkel Rudi, der Liebling der Familie, starb im Krieg. Onkel Alfred, Rudis älterer Bruder, wurde auf dem Schlachtfeld vermisst. Noch jetzt hat Richter das Jammern von Oma Dora und Mutter Hildegard im Ohr. Der Bote kam mit dem obligatorischen Telegramm »Für Volk und Vaterland gefallen« zu den Großeltern in den Dresdner Vorort Langebrück. Gerd war zu Besuch. Der schöne Rudi sei mehr beweint worden als der Alfred. Den Unterschied hat er sich gemerkt.
Doch ihre Trauer war nicht zu vergleichen mit dem Wehklagen von Frau Israel, die in der Ostsiedlung unter den Richters wohnte. Sie stieß ein in Gerd nachhallendes, gellendes Schreien aus bei der Nachricht, sie habe ihren Mann verloren. »Unvergesslich!« schraubte sich der Ton in Richters Ohr, ein geradezu animalisches Brüllen, das für ihn den Wahnsinn des Dritten Reiches umfasst. Sortierten die Richters daheim die zunehmend schlechter werdenden Nachrichten vom mörderischen Krieg, dann wurde es höchste Zeit, das obligatorische Hitlerbild, ein Relief auf Holz, in der Wohnstube beim Kamin abzuhängen. Trügt ihn sein Gedächtnis nicht, bekam der gefallene Onkel Rudi an Stelle des Führers einen Ehrenplatz an der Wand, zum Gedenken mit einem Heide-Sträußchen geschmückt.
Waltersdorf liegt gemäß dem Messtischblatt Nummer L 5152 exakt 370 Meter über dem Meeresspiegel. Richters Siedlung war eine von ihm in ihrer Eintönigkeit »trostlos« befundene Blockbebauung am Fuß der Lausche, einem 793 Meter hohen Kegel, deutlich abgehoben und einprägsam, höchster Gipfel des Zittauer Gebirges. Ein beliebtes Ausflugsziel, schneesichere Lage auf der Nordseite, mit Gasthaus und damals hölzernem Turm mit Rundsicht auf Schneekoppe, doppelgipfeligen Bösig und weit ins Fichtelgebirge. Richters Schwester Gisela schwärmt von den sonntäglichen Aufstiegen, 45 Minuten, es sei mit den naturverbundenen Eltern in die Pilze und Heidelbeeren gegangen. Gerd pflückte Himmelsschlüssel für die Mutter. Die grüne Wanderkarte verzeichnet Orientierungspunkte wie »Lazarus«, »Sorgeteich« über die »Seilerstiege« zum Gipfel. Die Pfade führen nach Süden durch einen kräuterreichen Buchenwald. In der Artenvielfalt des Schutzgebiets herrscht die Weiße Pestwurz vor, Fundorte von Mondraute, Feldenzian oder Zartem Straußgras sind kartiert und in der »Heimatkundlichen Bestandsaufnahme« der DDR nebst Leuchtmoos und Wolligem Reitgras aufgeführt. Auf den steilen Hängen wuchs Männlicher und Dorniger Wurmfarn, Buchenfarn, Eichenfarn, ebenso der seltene Dornige Schildfarn und was Botanisierer sonst noch verlockt. Hirsche und Mufflons lassen sich beobachten, vereinzelt Gämsen. Dafür wimmelt es von Kreuzottern. Die Leute im Ort sagen »unser Gebirg«. Oben, wo die Wege zusammenliefen, seien die Rotbuchen-Wipfel arg zerzaust, im Winter unter dickem Reif zu eigenartigen Skulpturen erstarrt.
Das Haus 345 b gehörte der Landessiedlungsgesellschaft Sachsen, geplant für Mitarbeiter des Reichsluftfahrtministeriums, das weit vom Schuss Fallschirme produzieren ließ. Für die Dörflerinnen fiel reißfeste Ballonseide ab. Gerd sah sie an der Mutter, es reichte auch zu Kleidchen für Schwester Gisi. Die Blöcke waren eine eigene Welt, ausschließlich bewohnt von Frauen und Kindern, die Männer waren im Krieg. Die Fenster hatten viele Augen, keiner von außerhalb ging dort gern durch. Die mehrgeschossigen Gebäude mit 100 Wohnungen wirken wie Fremdkörper in der Umgebung. Die Richters hatten sogar ein Badezimmer. Bad bedeutete Luxus, obwohl der Maler einschränkt, das Wasser habe im Ofen erwärmt werden müssen. Das Klo lag im Stiegenhaus, dennoch war die Siedlung vom Standard her das Beste ihres Weilers, mit Häusern, heute noch ohne Kanalanschluss. Die Miete kostete zwischen 20 und 40 Mark. Richters sahen aus der Küche auf eine Reihe Kastanien.
Verblüffend die unterschiedliche Wahrnehmung ein und derselben Sache. Gerd spürt einen Mangel, während die Nachbarschaft die Richters beneidet und privilegiert wähnt. Sie seien doch die »Erstbezieher der Vier-Raum-Wohnung« gewesen, zudem mit Kammer unterm Dach, für damalige Verhältnisse eine ausgesprochen großzügige Behausung, »ein Prunkstück«. Auf dem Jungen lastete im Arbeiter- und Bauernmilieu trotzdem Beengung und Beklemmung. Die macht ihm in dem Maße zu schaffen, wie er sich die Dresdner Großbürgerlichkeit verklärt.
Gerhard Richter versetzt sich im Kölner Atelier in das Waltersdorf seiner Jugend, hat die Ostsiedlung parat, strichelt beim Stichwort sofort den Grundriss hin. Sie bewohnten Stube, Schlafraum, Küche, Bad, er malt Wanne und Ofen in die Skizze. Sein Kinderzimmer markiert er gelb, mit zwei Betten darin. Unter dem einen versteckte er seine erste Aktzeichnung, prompt von den Eltern entdeckt, die über seine präzisen anatomischen Kenntnisse staunten. 14 könnte er da gewesen sein. Im Flur hing ein »Holländer, ein Original mit Kühen und Weiden, das hat mir sehr imponiert«. Richter rettete bei der Flucht in den Westen eine Schwarz-Weiß-Aufnahme vom Wohnzimmer. Schade, die Wände sind nämlich mit einem »hellen, giftigen Grün gestrichen«, darüber rollte er eigenhändig ein »knallrotes Blümchenmuster«. Richter hatte sich mit Van Gogh beschäftigt, »ich wollte Feuer in der Wohnung haben«. Die Eltern ertragen es tapfer. Auch das Aquarell »Feldweg in Ramenau« über der Kommode ist von ihm. Horror vacui, das Zimmer überladen mit Krimskrams. Unter plissierten Lampenschirmen Blumensträuße, Kerzenleuchter, Flaschen, Grünpflanzen im Übertopf, Springform, Teeservice mit chinesischem Muster, Jenaer Glastopf, Tischwäsche. Die Geschenke zur Silberhochzeit der Eltern 1956, auf dem Altar der Gemütlichkeit. Jetzt begreift man, warum Richter sein Kölner Atelier bis ins Kleinste zum Gegenentwurf des biederen Waltersdorf machte.
»Moment«, er kramt noch ein Foto der Ostsiedlung hervor, Richter deutet auf die mit dunklem Holz verkleidete Fassade mit der Fahnenhalterung; von den Nazis an Führers Geburtstag, bei den Kommunisten am 1. Mai bestückt. Die Eingangstür mit unterteilter Mattglasscheibe. Links oben im ersten Stock sei ihr Domizil gewesen. Ansässige haben es anders im Gedächtnis und behaupten beim Lokaltermin, es müsse aber rechts oben gewesen sein.
Rechts oder links, das Waldhufendorf lag ganz da hinten. Das Geschichtsbeladene einer Region in ihrer Nähe zum Böhmischen interessierte ihn wenig. Ein Ort wie ein Freiluftmuseum, mit längst erloschener Tradition der Hausweberei. Die eingemeißelten Zunftzeichen an reich verzierten Türstöcken aus heimischem Sandstein sind was für Touristen. Die Leute sind ein besonderer Schlag, mit dem harten Dialekt der Südlausitzer, eigentümlich kehlig, wie mit Kieseln beschwert, in Lautstand und Wortwahl gewöhnungsbedürftig. Der Weiler, die Hauptstraße, der stille Winkel sind die Kulissen seiner Lehrjahre. In der Abgelegenheit von Gemeinden, die merkwürdige Namen wie Kunnersdorf tragen (das nicht mit Obercunnersdorf verwechselt werden darf), kam Richter sich vor wie verirrt, konnte sich unweit des auf 571 Meter kletternden Passes nach Horni Svetla (Oberlichtenwalde) verstoßen fühlen. Für ihn war es nicht nur der Wechsel von Stadt zu Land, sondern von Räumen mit hohen zu Räumen mit niedrigen Decken, von Wohlstand in Ärmlichkeit. Er kapierte die Verbannung nicht.
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Gerd Richter wähnt sich auf einer Stufenleiter, ahnt, es gehe jedenfalls nicht aufwärts mit der Familie. In der Not redet er sich die Dresdner Jahre gut, obwohl die erste Wohnung der Familie in der Eisenbahnersiedlung Großenhainer Straße 18b, IV. Etage, ein ziemlich durchschnittlicher Block mit 14 Parteien war. Wohlwollend untere Mittelklasse, ohne jeden romantischen Anstrich jedenfalls, so viel steht fest. Im Erdgeschoss des Eckhauses residiert heute eine Versicherungsagentur, die Trambahnlinie 3, Richtung »Wilder Mann« rumpelt vorbei. Von der »Großenhainer« wechselten die Richters in die Gemeinde Reichenau, im heute polnischen Bogatynia fand sein Vater Horst nach Jahren ohne Job 1936 endlich Anstellung als Lehrer. Es reichte für eine Etage im Altbau der Adolf-Hitler-Straße 259 mit heimelig-hölzerner Veranda. Sie ist auf von den Jahren sepiafarben getönten Fotos erhalten, mit Mutter Hilde (mit Innenrolle), Schwester Gisi (mit zwei Püppchen) und ihm, Gerdi, (mit Hosenträgern). Ein verschmitzter Kerl, der zu Streichen aufgelegt scheint. Richter rupft die ganze Seite aus dem Album und gibt sie mir mit. Der »in SA-Uniform verkleidete Schuldirektor« legte den Knaben zur Züchtigung übers Knie. Der Maler berichtet genüsslich, den Pauker bei dieser Gelegenheit voll gepinkelt zu haben.
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Reichenau. Waltersdorf. Das sind die Namen seiner Entwurzelung, Mal um Mal trennte es ihn weiter vom Landhaus seiner verehrten Großtante Margarethe, kurz Tante Gretl, die vor den Toren Dresdens in Langebrück wohnte. Gleichgesetzt mit besserem Leben, und von Richter als einzige eigene Heimat anerkannt. Ihre Moritzstraße mündet nach Süden in die Heide, mit weitem Auslauf ins Gewann »Saugarten« oder »Ochsenkopf«. Diese »Frau Professor Heger« hat er als prächtige Person im Gedächtnis, »die habe ich geliebt!« »Tante Gretl« war seine großzügige Gönnerin, eine Identifikationsfigur, die ihn umsorgte, zu der guten Fee fühlte er sich hingezogen. Hat die Gretl nicht auch schon Hänsel gerettet? Richter nennt sie »gelassen, erhaben, nicht verwickelt in den ganzen Kram« der Familie. In sich ruhend, zudem attraktiv, mit auffallend hohen Wangenknochen. Sie leistete sich kirschgroße Perlen. Rommé spielte sie auch. Er blieb ihr noch als junger Mann zugetan. Die schönen Tage von Langebrück hatten etwas Befreiendes. Sein Sehnen nach diesem Ruhepunkt wuchs im Quadrat zur Entfernung.
Es muss toll gewesen sein in Richters Garten der Kindheit. Er lässt ihn in unseren Gesprächen immer wieder aufblühen, jung und hurtig unter den Apfelzweigen wie er damals war. Auch Tante Marianne verzehrte sich nach diesem verklärten Hort von Geborgenheit und Wohlbefinden. 1942 gibt die Schizophrene in der Arnsdorfer Psychiatrie dem Arzt flehend ihr Innerstes preis: »Ich gehöre nach Langebrück an einen Ort, wo es Frieden ist. Hier ist Krieg!« Verglichen mit Professor Hegers neo-klassizistischem Landhaus musste Gerd Richter Waltersdorf jedes Mal ärmlicher vorkommen, ein schwer zu ertragender Niedergang, eine Kränkung, die an ihm nagt. Die Ostsiedlung war das Unbehütete, ja Unbehauste, lässt Richter von »abgestürztem Bürgertum« reden. Das Urteil mag auch damit zusammenhängen, dass es in der Verwandtschaft angeblich einen »reichen Brauereizweig« gegeben haben soll. All das verstärkte die Überlebensreflexe des Knaben, der ein Maler werden wird.
Richter wollte raus. Raus aus diesem Leben auf Abbruch, das er stets mit der klimatisch rauen Lausitz verband. Dort machen die Fallwinde vom Böhmischen herunter das Atmen schwer, »zerschneiden einem das Gesicht«. Die Häuser eng und wie geduckt unter den Böen. Der Sturm braust beharrlich durch die Gassen, als wohne er dort. Kein Klima für Kreislaufschwache. Die Richters sagen »Winddorf«, meinten Waltersdorf. Erst die Besuche der vom Sozialismus ziemlich zerschlissenen Adresse lassen mich die gewaltige Anstrengung Gerhard Richters erahnen, mit der er zum überragenden Künstler reift und wächst. Stets beherrschte ihn ein Außenseitergefühl, »ich gehörte da nicht dazu. Meine einzige Existenzmöglichkeit war, etwas anderes sein zu wollen!« Auf langer Flucht vor der Dürftigkeit nimmt er sein Leben in die Hand, weniger aus jugendlichem Optimismus denn aus Verzweiflung. Auf verschlungenen Wegen legt Richter eine sagenhafte Distanz zurück, bis er endlich um 1982 den künstlerischen Durchbruch schafft. Es wurde ihm nicht an der Wiege gesungen, hieße es in einem Bildungsroman. Heute in sämtlichen Kunsttempeln begehrt, deren Exklusivität schwerlich mit seinem Waltersdorf in Übereinstimmung zu bringen ist. Mit siebzig steht Gerhard Richter im Zenit, hofiert und bestrahlt von einem Erfolg, wie er nur wenigen vergönnt ist. Am Ende reich wie ein Zauberer. Jetzt erst kann er davon reden.
Kein Mensch weiß mehr, warum es die Familie ausgerechnet nach Waltersdorf verschlug, Richter schon gar nicht. Der Vater ist seit 1939 bei den Soldaten. Als Treibgut des Krieges angeschwemmt, landet oder strandet die Mutter mit den zwei Kindern in der Ostsiedlung. Vorher muss sie aus Geld- und Platzgründen ihr Klavier verkaufen, eine kleine Katastrophe. Auf dem Instrument klimperte die Mama ihrem Sohn gern Schlagerfetzen vor, trällerte: »Komm in meine Liebeslaube, in mein Paradies / Denn im meiner Liebeslaube träumt es sich so süß«, ein Gassenhauer aus Hoschnas Operette »Madame Sherry«. Auch mit Paul Linkes einschmeichelndem Ohrwurm »Heimlich still und leise kommt die Liebe, wie ein kecker Dieb in dunkler Nacht …«, entzückte sie ihn. Gerhard Richter holt jetzt den fernen Klang ins Atelier, zitiert Liedertexte aus dem Kopf, singt die Melodie mit rührend kleiner Stimme. Der zehnjährige Sohn Moritz schaut zwischenzeitlich wegen eines unaufschiebbaren Baumhütten-Problems herein. Ihm vererbte der Vater seinen glühenden Blick. Richter kann die Umgebung unglaublich kritisch mustern.
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Mutter Hildegard Richter war nicht zu übersehen, mit ihrer Vorliebe für bizarre Hüte. Ihre zum Turban geschlungenen Tücher wirkten in Dresden aufregend genug. In Waltersdorf waren sie sensationell. Die gelernte Buchhändlerin legte eine Eleganz an den Tag, die nicht ortsüblich war, behielt das Städtisch-Mondäne bei, fein zurechtgemacht, solange es ging. Gerd fotografiert die im knielangen Kleidchen steckende Mama mit seiner ersten »Box«. Gesmoktes Oberteil, bloße Arme, Rüschchen und weiße Söckchen betonen, was ihre Bemühung verstecken wollte: Sie ist für diese Mädchenmode zu alt. Obwohl die Richters selbst auf keinen grünen Zweig kamen, gab sie sich generös, beschenkte andere Kinder mit Gerds abgelegten Kleidern, eine Form von Kontaktsuche der schönen Fremden.
Die Großstädterin suchte die Nähe der Dörfler, die dachten, sie sei etwas Besseres und etwas mysteriös. Doch was suchte die Dresdnerin hier, welcher Sturm hatte sie bis an den Rand verweht? Der Sohn erfuhr es nie von ihr. Der Reichenauer Souvenirhändler, Herr M., kam wie so manche Bekanntschaft öfter vorbei, dick und gemütlich sei der gewesen, machte ihr Geschenke. Dass Frau Richter die Teile »verkloppte« oder gegen Esswaren tauschte, wissen alle. Sie waren oft klamm. Direkt wird ihnen kein böses Wort nachgesagt. »Sie hatten mit niemand Krach.« Gerd Richter schnitt nach dem Krieg in der Schreinerei Mitschke Birkenholzscheiben zurecht, bemalte sie mit dem Lausche-Gipfel, im Vordergrund eine Tanne, »Gruß aus Waltersdorf« stand darunter, vom Andenkenladen Guhlich in größeren Stückzahlen verkauft. Preis je nach Größe 2 bis 4 Mark. Sein erstes Geld als Maler, dringend nötige Beiträge zum Unterhalt der Familie. Irgendwo verstauben in Nippesvitrinen diese unverbrüchlichen Richters, die Jagd nach den Souvenirs kann beginnen.