Die Stilentwicklung in der Dekoration Thebanischer Gräber des Neuen Reiches

 

Einleitung

Die vorliegende Arbeit basiert auf einer Arbeit im Rahmen eines Seminars in der Ägyptologie zum Thema „Thebanische Nekropole“ (2001).  Es ging dabei um die Frage, mit welchen Kriterien und Methoden die Wanddekorationen in Privatgräbern datiert werden können. In manchen Fällen wurden in der Vergangenheit auch Wandbilder abgenommen und ihr Fundkontext ist leider nicht immer dokumentiert. Dann kann eine stilistische Analyse wichtige Hinweise zur Datierung erbringen. Die grosse Bedeutung sorgfältiger Untersuchung von ägyptischen Wandmalereien und die Beobachtung von kleinsten Details hat 2015 auch eine der spektakulärsten Theorien der Ägyptologie hervorgebracht (Reeves 2015).

Auch wenn bei den meisten thebanischen Privatgräbern keine geheimen Kammern hinter den Wandmalereien vermutet werden können, sind dennoch auch in Zukunft weitere Entdeckungen nicht ganz auszuschließen. Die Gräber in Deir el-Medina haben den spezialisierten Handwerkern gehört, welche die Königsgräber geschaffen haben. Sie haben durch ihre Arbeit all diese Tricks zur Tarnung gekannt, da sie diese ja selber geschaffen haben. In einem Fall wurde dieses Wissen auch angewendet. Der königliche Architekt Kha trennte den sichtbaren Oberbau seines Grabes vollkommen von seinem Grabeingang. Für Jahrtausende ruhten er und seine Frau Merit vollkommen ungestört in ihrem Grab TT 8, ehe sie 1906 von Ernesto Schiaparelli entdeckt wurden (Fletcher 2014a; Fletcher 2014b; Moiso 2008; Bianucci et al. 2015). Bis heute ist diese Grabausstattung die einzige komplett intakte Bestattung, die nie gestört wurde und daher von besonderer Bedeutung für die Ägyptologie (Vassilika 2010).

Es geht mir in dieser kurzen Schrift darum, die Dekorationen der Gräber und Möglichkeiten ihrer Datierung kurz zu erörtern. Vieles lässt sich hier nur oberflächlich darstellen, das Thema würde genügend Material für ein sehr großes Buch bieten.


In diesem Sinne habe ich die Arbeit nun 2020 neugestaltet und ergänzt. Die vorliegende Ausgabe als E-Buch basiert auf der gedruckten Ausgabe (ISBN: 9783753100739).


Grab des Ramose (TT 55) Erhabenes Relief in allerfeinster Qualität. Außer den Augen und Augenbrauen wurde die Bemalung nicht mehr ausgeführt. Copyright: M. Habicht 2003.



Relief und Wandmalerei

Möglichkeiten und Grenzen der stilistischen Datierung


Die thebanischen Gräber lassen sich oft schon durch die Architektur des Grabes, und die topographische Lage datieren. Diese Datierungsmöglichkeiten liegen aber außerhalb von meiner vorliegenden Arbeit. Bei Fragmenten mit unbekannter Herkunft, die irgendwo auftauchen, bleibt meist nur die rein stilistische Datierung. Wie zum Beispiel bei einem Wandmalereifragment im Ägyptischen Museum in Berlin, oder die Malereien aus dem Grab des Nebamun. Hier fehlen genaue Fundumstände.

Die Gräber lassen sich über verschiedene Wege und Methoden datieren. Einerseits durch die stilistische Entwicklung der Mode und Frisuren, andererseits auch durch den dargestellten Bildinhalt, wie Alltagsszenen und Totenbuchvignetten.

Dann gibt es auch eine Entwicklung des Bildkanons, der sich in Verlaufe der 18. Dynastie zu verändern beginnt. Dies steht im Kontrast zur populären Ansicht, dass die ägyptische Kunst sich im Laufe der Jahrtausende kaum sichtbar entwickelt habe. Auch ist das Phänomen zu beobachten, dass ein anderes Grab als Vorbild kopiert wird. Dies liefert nicht nur Hinweise zur Datierung, sondern ist auch in Bezug auf das Soziomilieu der Besitzer interessant. Es werden nämlich gerne Gräber von Personen kopiert, welche mit dem den Grabinhabern verwandt oder im gleichen Beruf tätig waren.

Mit diesen Methoden lassen sich die Gräber in eine relative Chronologie stellen. Bei manchen Gräbern ist der Grabinhaber von bedeutender sozialer Stellung und wir wissen, unter welchen Pharaonen er sein Amt innehatte, da er sich selber in einer Audienz vor dem König darstellen ließ. Diese Gräber dienen dann dazu, die Gräber in der absoluten Chronologie zu verankern. Ist der Grabinhaber aber von geringer Bedeutung oder gibt das Grab kaum biographische Hinweise, bleibt nur die stilistische Datierung. Hier zeigen sich auch die Grenzen dieser Datierungsmethode.

Schon die topographische Lage gibt Hinweise auf eine mögliche Datierung:

All diese einzelnen Merkmale kombiniert, ergeben dann eine recht sichere Datierungsgrundlage. Zunächst möchte ich die handwerkliche Technik zur Herstellung von Wandbildern und Reliefs kurz skizzieren.



Das Relief

Das Relief ist die Bezeichnung für eine plastisch herausgearbeitete Darstellung auf einer Fläche. Die Ägypter fertigten diese Reliefs, wie meistens auch die Malerei, in einer Teamarbeit an. Eine Künstlerpersönlichkeit, die alles im Alleingang, als unabhängiger Genius, neu erschuf, gab es eigentlich nicht. Daher ist eher von Handwerkern, als von Künstlern zu sprechen. Bei einem Relief arbeiteten drei Teams: Vorzeichner, Bildhauer und Maler. Zunächst fertigten die Vorzeichner mit einfachen Skizzierungen und Proportionsrastern den Entwurf an. Die Vorzeichnung wurde meist rot aufgemalt. Der Untergrund war zu diesem Zeitpunkt bereits glatt abgearbeitet worden. Danach machte der oberste Vorzeichner die Korrekturen. Diese endgültige Vorzeichnung wurde in schwarzer Farbe aufgemalt und verdeckte das Rot der Vorzeichnung. Dann kamen die Bildhauer, während die Vorzeichner weiter ins Grab vorrückten. Bis zu diesem Punkt gab es noch kaum einen Unterschied zwischen Malerei und Relief. Bei einem Relief kamen jetzt die Bildhauer und meißelten die Fläche um die Figuren ab, wenn sie ein erhabenes Relief machen wollten. Sollte aber ein versenktes Relief gefertigt werden, wurde die Zeichnung selbst eingetieft. Die fertigen Reliefs wurden praktisch immer anschließend bemalt.


Grab KV 57 von König Haremhab: Die unvollendete Szene aus dem Pfortenbuch zeigt anschaulich, wie das Relief herausgearbeitet wurde.

Jean-Pierre Dalbéra (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:La_tombe_de_Horemheb_(KV.57)_(Vallée_des_Rois_Thèbes_ouest).jpg), „La tombe de Horemheb (KV.57) (Vallée des Rois Thèbes ouest)“, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/legalcode



Die Wandmalerei

Das Farbenspektrum kannte sechs Grundfarben: Weiß und Schwarz, Rot, Gelb, Grün und Blau. Diese wurden auch gemischt oder übereinander gemalt, um damit Farbnuancen zu erzielen. Auf Schattierungen, die eine plastische Wirkung erzielen sollte legte der Ägypter wenig wert. Bei der Hautfarbe wurde in den allermeisten Fällen nicht der reale Hautteint nachgeahmt, sondern auf ein definiertes Inkarnat zurückgegriffen:

In der Amarnazeit begann man, davon abzuweichen und auch die weiblichen Mitglieder der Königsfamilie wurden mit braun-rotem Inkarnat dargestellt.

Zur Malweise ist folgendes zu bemerken: Nach der Vorzeichnung wurde zunächst der Hintergrund in Weiß oder Goldocker und die großen Flächen der Figuren bemalt. Dann wurden die Umrisslinien und die Detailzeichnungen in den Figuren darüber gemalt. Dies ist daran zu erkennen, dass der Rand der Farbfläche und der Umrisskontur sich nicht immer genau decken.

Genau diese Herstellung hat bei der Nordwand von Tutanchamun zur sensationellen Theorie von C. Nicholas Reeves geführt (Wong et al. 2012; Reeves 2015; Reeves and Ballard 2019; “The Facsimile of Tutankhamun’s Tomb” 2015): Zunächst waren die Personen auf der Nordwand auf weißem Hintergrund dargestellt. In einer Umarbeitungsphase einige Jahre später wurden nicht nur die Figuren verändert, sondern auch der Hintergrund mit gelbem Ocker bemalt, um diese Wand den übrigen Wänden der neuen Sargkammer für Tutanchamun anzupassen. Die Handwerker gingen dabei recht eilig vor, so dass an einigen Stellen kleine Reste der ursprünglich weißen Wand sichtbar blieben.

Die Nordwand von Tutanchamuns Grab KV 62, rechte Partie: Gemäß offizieller Deutung vollzieht der Nachfolger Aja als Sempriester gekleidet die Mundöffnungszeremonie an der Mumie von Tutanchamun. Reeves deutet sie mit guten Argumenten anders: Tutanchamun als Sempriester führt das Ritual an der Mumie seiner weiblichen Vorgängerin durch. Die Darstellung wurde nachweislich sekundär mit gelbem Ocker nachträglich neu grundiert.

Ancient egyptian artist (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Opening_of_the_Mouth_-_Tutankhamun_and_Aja.jpg), „Opening of the Mouth - Tutankhamun and Aja“, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons: https://commons.wikimedia.org/wiki/Template:PD-old


Das Grab QV 66 von Königin Nefertari (19. Dynastie) zeigt die Königin mit hellem Teint und rosa aufgehellten Wangen und schafft mit helleren Stellen ansatzweise eine Dreidimensionalität.

Maler der Grabkammer der Nefertari (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Maler_der_Grabkammer_der_Nefertari_004.jpg), „Maler der Grabkammer der Nefertari 004“, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons: https://commons.wikimedia.org/wiki/Template:PD-Art-YorckProject





Die Entwicklung des Proportionskanons

Es ist sinnvoll, zunächst den Proportionskanon anzusprechen. Dieser verändert sich im Neuen Reich. Zum Verständnis dieses Vorgangs ist es nötig, in der Zeit zurückzugehen. Im Alten Reich entwickelte sich ein Darstellungskanon, der als „klassisch“ gilt. Er wurde im Mittleren Reich, dem Neuen Reich, der Dritten Zwischenzeit und auch in der Spätzeit immer wieder aufgegriffen. Daher gilt er als Klassisch, so wie das Mittelägyptisch in der Sprache.

Zum Aufbau dieses Proportionsschemas dient ein Rasternetz in das die Figuren eingepasst werden. Solche Raster wurden systematisch ab der 12. Dynastie verwendet, um gute Proportionen zu erzielen.