© eBook: 2021 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München
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Redaktion und Projektmanagement: Silke Tauscher
Bildredaktion: Christian Eisert
Kartographie: © FAVORITBUERO, München
Schlusskorrektur: Christiane Schwabbaur, Ulla Thomsen
Covergestaltung: Favoritbüro Gbr, Elke Krauß
eBook-Herstellung: Viktoriia Kaznovetska
ISBN 978-3-8464-0881-0
1. Auflage 2021
Bildnachweis
Coverabbildung: Christian Eisert
Illustrationen: © FAVORITBUERO, München
Fotos: Christian Eisert, mauritius images: Alamy/The Natural History Museum
Syndication: www.seasons.agency
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Es empfiehlt sich für alle Touristen, stets mit der eigenen Bettdecke zu verreisen. Ebenso wenig verzichten sollten Reisende auf einen kleinen Heizlüfter im Gepäck. Und die Notwendigkeit, in Folie eingeschweißte Wurstwaren mitzuführen, liegt wohl auf der Hand.
So würde John Murray (1808–1892), der Erfinder des modernen Reiseführers, wohl heute seine britischen Landsleute auf den Besuch solch exotischer Reiseziele wie Bayern oder Baden-Württemberg vorbereiten. Ein kluger Mann.
Einen Nachdruck der Originalausgaben seiner »Reise-Handbücher« schenkte mir mein guter alter Freund Olaf zu Weihnachten mit der Frage: »’N Vorfahre von dir?« Wie er darauf kommt? Keine Ahnung.
Zugegeben, Nordkorea durchquerte ich vor einigen Jahren trotz ausschließlicher Übernachtung in Hotels mit eigenem Schlafsack. Bei Hunger im Ausland ziehe ich Filialen amerikanischer Fast-Food-Ketten einheimischen Garküchen vor. Was nebenbei dazu führte, dass ich nunmehr in der Lage bin, den Unterschied zwischen einem Pekinger und einem in Casablanca erworbenen Big Mac zu schmecken. Auch weiß ich inzwischen, spanische Sommer lassen eingeschweißte Minisalamis tranig werden, während Kanada die Einfuhr europäischen Schweinefleisches gar nicht erst zulässt.
Fernreisen sind etwas Feines. Ich wünschte nur, sie würden weniger Auslandsaufenthalte erfordern. Oder zumindest weniger Abweichung vom Gewohnten bei Ernährung, Raumtemperatur und Bettenausstattung. So gesehen war Olafs Idee, mir den ersten Deutschland-Reiseführer der Welt zu schenken, keine schlechte. Denn mit dem fremden Blick des Briten Murray auf mein Geburtsland konnte ich eine Auslandsreise im Inland unternehmen. Ich würde Altbekanntes neu betrachten und viel Neues kennenlernen – ich sage nur Bad Sülze, Schrobenhausen, Oberlungwitz! Ich würde Abenteuerchen erleben. Kleine Herausforderungen ohne Lebensgefahr. Lebensgefahr strengt ja nur an.
Beruhigend war es zu wissen, wie die Landesküche schmeckt. Laut Murray fürchterlich!
Und nicht zuletzt ermöglichten die bald 200 Jahre alten Werke eine Zeitreise. Ist das nicht wunderbar?
Ein Vorteil von Reisen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestand in der Unmöglichkeit, Anschlusszüge zu verpassen oder gar wegen Streik des Bodenpersonals nicht abheben zu können. Zug und Flug steckten noch in ihren Anfängen. Reisende waren auf Kutschen angewiesen, die zudem den Vorzug besaßen, weder zu explodieren noch abzustürzen. Sie wurden allenfalls von Räubern überfallen, was die Bekanntschaft mit Menschen ermöglichte, die außerhalb der eigenen Filterblase lebten.
Aus all diesen Gründen entschied ich, meine Inlandsauslandszeitreise ebenfalls per Kutsche zu unternehmen. Allerdings nicht von zwei oder vier, sondern von 140 Pferdestärken bewegt. Und doch der schaukligen Kastenförmigkeit der von Murray empfohlenen »Eilwagen« sehr nahekommend: Ich reiste mit einem Wohnmobil. Von Ost nach West, über Südost nach Südwest, in den Mittleren Osten und schließlich ans Kap. Und das alles in Deutschland!
Was klug klingt, erwies sich im Nachhinein als gar nicht so wohlüberlegt, denn es handelte sich um meine erste Reise mit einem Wohnmobil. Ich hätte das vorher üben sollen.
Droht ein Reiseplan zu scheitern, lässt sich das leicht erkennen. Beispielsweise daran, dass man seinen Namen nennt und das Gegenüber erwidert: »So, jetz is’ dit Problem da.«
Möglicherweise trug ich Mitschuld an dem unglücklichen Start meiner Deutschlandreise, denn mein Reiseplan beinhaltete zunächst 13 historische Routen. Zwölf oder 14 wären wohl weniger unheilprovozierend gewesen.
Das Ende einer jeden Reiseroute bildete den Anfang der folgenden. Was zusammenzustellen einige Tage in Anspruch genommen hatte. Alle gemeinsam formten sich zu einer krakeligen Acht. Die steht – krakelig oder nicht – in der christlichen und jüdischen Zahlensymbolik für Neuanfang oder Übergang. Mit jedem achten Tag beginnt eine neue Woche. Eine neue Reise. Und so sollte an diesem Montag meine Reise beginnen: Mit Route 77 aus John Murrays Handbuch für Norddeutschland.1
Murray zufolge verkehrte zwischen der preußischen Residenzstadt Berlin und der westpreußischen Küstenstadt Danzig zweimal die Woche eine Kutschenverbindung, die die Strecke in 65 Stunden bewältigte. Dabei wurden an festen Stationen regelmäßig Pferde und Kutscher ausgewechselt. Die Fahrzeit beträgt durchschnittlich 5 ½ Meilen die Stunde.2 Englische Meilen wohlgemerkt, ergibt knapp 9 km/h. Fanden die Briten nicht sehr flott, so dass Murray anmerkt3, die in Preußen Schnellpost genannten, nach Fahrplan verkehrenden Pferdewagen hießen zwar wortwörtlich übersetzt quick-posts, jedoch würden die Engländer die Schnellpost lautmalerisch zu snail-post verballhornen.
Mein Reisetempo übertraf an diesem Montagmorgen das einer Schnecke um ein Vielfaches. Dafür fuhr ich nicht ganz bis Danzig. Mein Ziel hieß Hoppegarten. Ein Ort vor der ersten Murray’schen Wegmarke Vogelsdorf, 1600 Meter hinter der Berliner Stadtgrenze. Dort wartete meine Kutsche auf mich.
Weil in den 1830er-Jahren keine S-Bahnen fuhren und heute keine Schnellpostwagen mehr, hatte ich mich für einen Kompromiss entschieden und mich in den Sattel eines kleinen grauen und bisweilen störrischen Transportmittels geschwungen. Mit fast einem Meter neunzig, davon mehr als die Hälfte Bein, sah ich auf meinem Eselchen recht albern aus. Aber ich liebte es, auch, weil sich mein Drahtesel zusammenklappen ließ. Dann passte er in jede Kutsche.
Meine Reise von Berlin-Mitte Richtung Osten folgte neben Murrays Empfehlungen einem 2000 Jahre alten Heer- und Handelsweg. In Gänze verlief er zwischen dem heutigen Belgien und Russland. Von Aachen über Düsseldorf, Dortmund, Magdeburg, Berlin bis Küstrin-Kietz quert er Deutschland noch immer. Als Bundesstraße 1.
Während ich durch die abgasgeschwängerten Straßenschluchten Berlins strampelte, malte ich mir mein Leben in den bevorstehenden Wochen aus. Ich würde schlafen, wo es schön war, kochen, wo es mir gefiel. Und sogar duschen, wann immer ich Lust danach verspürte.
Was ich nicht ahnte: Nur eine dieser Wunschvorstellungen würde wahr werden.
Dabei bestanden für alle drei beste Voraussetzungen: Bett, Küche und Bad hatte ich an Bord. Was fehlte, wartete in Taschen und Kisten darauf, verstaut zu werden. Das wollte ich am Nachmittag erledigen und morgen früh würde ich frisch, fröhlich und ausgeruht losfahren. Nicht der Sonne entgegen, sondern von ihr geschoben. Gen Westen.
Vorfreude auf Freiheit erfasste mich. Und beinahe ein abbiegender Transporter.
»Warte nur«, schimpfte ich in Gedanken, »bald bin ich so groß wie du!«
Berlin-Mitte hatte ich längst verlassen, Friedrichshain und Lichtenberg gleich darauf, nun war ich im Begriff, den Stadtteil Mahlsdorf und damit Berlin hinter mir zu lassen. Zu Murrays Zeiten wäre Berlin seit der Hälfte von Friedrichshain zu Ende gewesen.
Von der Gegend zwischen der preußischen Metropole – Murray gibt eine Einwohnerzahl von 256 000 an – und den Städten an der Oder hielt der Brite wenig, wäre es doch ein Landstrich, der bis Frankfurt sandig, öde und dünn bevölkert ist. Die Gasthäuser sind meistens schlecht.4
Daran hat sich wenig geändert. Kurz vor der Stadtgrenze reihen sich Filialen von Burger King, City Döner und McDonald’s aneinander. Jedoch sei die Straße gut in Schuss4. Was in diesem Abschnitt stimmt.
Da die B1 in den letzten fünf Jahrzehnten nach und nach verbreitert wurde, spendeten die ursprünglichen Alleebäume keinen Schatten mehr und ich war auf meinem Eselchen kilometerlang der gleißenden Sommersonne ausgesetzt.
Schweißgebadet erreichte ich den Hof des Reisewagen-Vermieters. Weiße Wohnmobile glänzten um die Wette. Keines entsprach den Internet-Abbildungen meines gebuchten Modells, das der sogenannten Activity-Klasse angehörte: »Kompakt und wendig – für Pärchen und junge Familien«.
In der schummrigen autohausähnlichen Anmeldungshalle entbot ich dem Mann hinter dem Empfangstresen einen »Guten Morgen« und sagte meinen Namen. Und er sagte: »So, jetz is’ dit Problem da«.
Das Problem ist schnell erklärt: Mein Reisewagen war nicht nur nicht reisebereit. Er war gar nicht vorhanden. Nur ich. Einen Tag zu früh. Dunkel erinnerte ich mich an Terminschwierigkeiten bei der Buchung.
Der Vermieter meinte, er hätte sich schon gewundert, warum ich Montag kommen wolle, als ich ihm einige Tage zuvor telefonisch mein Erscheinen ankündigte.
»Sie hätten ja was sagen können«, erlaubte ich mir anzumerken.
»Na, so hattense schon mal die Chance, den Weg zu üben.«
Positiv denken, so wichtig!
Mein Wohnmobil sollte morgen eintreffen und mir um 14 Uhr übergeben werden. Ungünstig.
»Wenn wir pünktlich um zwei mit der Übergabe beginnen …«
»Wenn!«, unterbrach mich eine Frau, die bisher im Hintergrund am Computer herumgetippt hatte. Sie hatte zwei dünne geflochtene Zöpfe, die sie etwa zehn Jahre jünger machten, so dass sie aussah wie Anfang dreißig.
»Naja, ich gehe mal vom Besten aus«, sagte ich, weil ich auch positiv denken wollte. »Also, wenn … wäre ich hier kurz vor drei weg, dann muss ich zu meiner Wohnung und das Gepäck einladen. Das heißt, vor halb fünf komme ich nicht los. Ich muss aber spätestens halb sieben in Magdeburg sein. Sonst lässt man mich nicht mehr auf meinen Übernachtungsplatz.«
»Und?«, fragte die Zopffrau, deren Chef dieselbe Frage mimisch darstellte, indem er die Augenbrauen hob.
»A10, A2, 2 Stunden«, sagte er.
»Höchstens!«, ergänzte sie.
»Ich darf keine Autobahn fahren!«
Sie wechselten einen Blick. Manche dürfen nur Automatik fahren, andere nicht ohne Sehhilfe, vielleicht gab es ja Menschen mit Autobahnbenutzungsverbot. Man verlangte nach meinem Führerschein.
Zu ihrer Überraschung fanden sie keine behördliche Einschränkung bezüglich deutscher Schnellverkehrsstraßen.
Ich erklärte, warum meine Fahrt nach Magdeburg mindestens vier Stunden dauern würde. »Ich reise nach Empfehlungen aus dem 19. Jahrhundert. Und da gab es noch keine Autobahnen.«
Sie bemühten sich, ihre Gesichter unter Kontrolle zu halten.
»Gibt’s denn gar keine Möglichkeit, früher zu starten?«
»Nee, wenn der morgen früh rinkommt, denn müssen wa’ den putzen und denn is’ eine Stunde Pause. Müssen wa’ einhalten vom Gesetzgeber her.« Sie warf einen ihrer Zöpfe über die Schulter und guckte mich an, als warte sie auf etwas.
Ich erinnerte mich eines Eintrags im Handbuch für Norddeutschland. Dort steht unter Schmiergeld (grease-money): Beim Halt an einer Poststation wird der Reisende oft gefragt: »Wollen Sie schmieren lassen?«5
Diese Frage steht auf Deutsch im englischen Text. Und in Englisch wird erklärt, es handele sich um das Nachfetten der Räder. Was ein wenig ungenau ist. Geschmiert wurden an jeder Poststation die Achsen, damit die Räder sich nicht festfraßen. Egal ob es gemacht wird oder nicht … die Gebühr wird erhoben.6 So hat diese Sitte angefangen.
Man kann Schmiergeld – inzwischen sorgt es für den leichteren Lauf von Geschäftsverbindungen – als Betriebsausgabe geltend machen, allerdings darf es keine rechtswidrigen Handlungen als Gegenleistung zur Folge habenI und muss vom Empfänger als sonstige Einkünfte versteuert werdenII.
Mein dickes Portemonnaie in der Hand, beugte ich mich leutselig über den Tresen: »Ich bin sicher, wir finden eine Möglichkeit, den Vorgang zu beschleunigen …«
Die Vorlaute blickte zum Vorgesetzten. Der nickte.
»Naja, ohne Pause könnten se den um elwe abholen.« Sie warf den anderen Zopf über die andere Schulter. »Krieg ick aber ’ne Tüte Gummibärchen für!«
Das ließ sich machen. Zumal es sich nicht um Schmiergeld handelte, sondern um ein Schmiergeschenk.III
Distanz: 33 km