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Entdeckung am Strand der Liebe erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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© 2011 by Lucy Gordon
Originaltitel: „Rescued By The Brooding Tycoon“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA
Band 1935 - 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Maria Fuks

Umschlagsmotive: GettyImages/ MariaTkach

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733756345

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Nie hätte Darius damit gerechnet, jemals etwas so Schönes zu sehen. Tatsächlich hatte er bisher geglaubt, für Schönheit nicht besonders empfänglich zu sein. Er hielt mehr von Ausdauer, Durchsetzungsvermögen und klugem Taktieren.

Als umsichtiger Geschäftsmann hatte er in einem Ort an der englischen Südküste einen Hubschrauber gemietet, um sich zu der nicht weit entfernten Insel Herringdean bringen zu lassen, die ihm seit Kurzem gehörte. Es erschien ihm vernünftig, sie zu begutachten, ehe er sich wieder wichtigeren geschäftlichen Dingen widmete.

Vernunft zählte jetzt, nachdem es so heftige wirtschaftliche Turbulenzen gegeben hatte, mehr als alles andere.

Dann hatte er die kleine Insel inmitten des in der Sonne glitzernden Meeres entdeckt. Mit ihren weiten Stränden und steilen Klippen sowie dem grünen Hinterland bot sie ein so verwirrend schönes Bild, dass Darius das Gesicht gegen die Scheibe presste und fasziniert nach unten starrte. „Gehen Sie tiefer“, wies er den Piloten an.

Vom Hubschrauber aus, hatte er gedacht, würde er seinen neuen Besitz mit kritischen Augen betrachten können. Allerdings fand er nichts zu kritisieren an der grün und golden schimmernden Küstenlinie. Im Gegenteil: Er war hingerissen.

Der Hubschrauber flog jetzt parallel zu den Klippen. Nach und nach wurden sie niedriger, gingen in einen weiten Sandstrand über, hinter dem sich landeinwärts eine große Wiese erstreckte. Inmitten eines daran anschließenden Gartens entdeckte Darius ein großes, einst zweifellos elegantes Haus, das nun leider einen vernachlässigten Eindruck machte.

In der Ferne konnte man eine Ansammlung von Gebäuden erkennen, Ellarick vermutlich, die mit 10.000 Einwohnern größte Ortschaft von Herringdean.

„Landen Sie auf der Wiese“, befahl er.

„Wollten Sie nicht die Stadt überfliegen?“

„Ich habe meine Pläne geändert.“ Darius verspürte den unerwarteten Wunsch, sich von Städten, Autos und Menschen fernzuhalten. Die einsame Küste schien ihn zu rufen. Das war ungewöhnlich, denn im Allgemeinen neigte er nicht zu impulsiven Entschlüssen. In der Finanzwelt konnte Impulsivität einem Mann sehr gefährlich werden.

„Landen Sie!“, wiederholte er.

Wenig später setzte der Hubschrauber auf der Wiese auf. Ohne zu zögern, sprang Darius hinaus und lief mit weit ausholenden Schritten zum Strand hinunter. Er war bedeutend sportlicher als die meisten anderen Wirtschaftsbosse, obwohl auch er viel Zeit am Schreibtisch verbrachte.

Der Sand war feucht, glatt und fest, sodass man gut darauf gehen konnte und keine Angst haben musste, sich schmutzig zu machen. Das war wichtig, denn jedes seiner Kleidungsstücke hatte Darius ausgewählt, um der Welt zu zeigen, dass er ein erfolgreicher Mann war, der es sich leisten konnte, viel Geld für seine Erscheinung auszugeben. Ein paar Sandkörner würden vielleicht an seinen handgefertigten Schuhen zurückbleiben, doch das war ein geringer Preis für das, was der Strand zu bieten hatte.

Frieden.

Nach den geschäftlichen Einbrüchen, die er in letzter Zeit hatte hinnehmen müssen, gab es nichts Besseres, als hier in der Sonne zu stehen, den Kopf in den Nacken zu legen, die Augen zu schließen, den sanften Wind zu spüren und die Stille zu genießen.

Viele Jahre hatte er damit zugebracht, Intrigen zu schmieden, zu kämpfen und raffinierte geschäftliche Manöver auszuführen. Während all dieser Zeit hatte er nicht geahnt, dass etwas so Wunderbares wie dieser Strand auf ihn wartete. Es war unglaublich!

Äußerlich wirkte er zu jung für solche Gedanken: Mitte dreißig, groß, stark, attraktiv, bereit, die Welt zu erobern. In seinem Inneren sah es anders aus. In letzter Zeit hatte er trotz größter Anstrengungen einige Schlachten verloren. Nun war er zutiefst erschöpft. Hier endlich bot sich ihm die Möglichkeit, Kraft zu tanken für die Kämpfe, die noch vor ihm lagen. Er atmete ein, langsam und tief, überließ sich der Ruhe, wünschte, sie würde ewig anhalten.

Dann war sie vorbei.

Ein Lachen zerriss die Stille, vertrieb den Frieden. Darius stöhnte auf und öffnete die Augen. Im Wasser entdeckte er zwei Gestalten, die sich dem Ufer näherten. Gleich darauf erkannte er, dass es sich um einen großen Hund und eine junge Frau handelte. Sie musste Ende zwanzig sein, sportlich, mit langen schönen Beinen und einem beinahe knabenhaft schlanken Körper. Sie trug einen schwarzen Badeanzug, der eher praktisch als sexy wirkte. Das braune Haar hatte sie streng nach hinten gekämmt.

Darius, daran gewöhnt, von Frauen umschwärmt zu werden, hatte die Erfahrung gemacht, dass viele hofften, ihn beim Schwimmen mit ihrer Schönheit beeindrucken zu können. Diese gehörte nicht dazu. Wenn ihr Äußeres eine Botschaft aussandte, so lautete sie: Ich trage praktische Sachen, weil mir nichts daran liegt, meinen Körper einzusetzen, um auf mich aufmerksam zu machen.

„Kann ich Ihnen helfen?“, rief sie gut gelaunt, während sie über den Strand auf ihn zukam.

„Ich schaue mich nur um und genieße die Stimmung.“

„Es ist wundervoll hier, nicht wahr? Manchmal denke ich, dass es im Himmel genauso sein muss wie hier. Obwohl ich nicht damit rechne, dorthin zu kommen. Menschen wie mir schlägt man das Himmelstor vor der Nase zu.“

„Warum?“, fragte er. Schon hatte er ihr die Störung vergeben. Trotzdem wäre er lieber gestorben, als ihr zu gestehen, dass das, was sie über dieses himmlische Fleckchen sagte, genau dem entsprach, was er selbst dachte.

„Ich bin zu geradeheraus. Manche werfen mir sogar Taktlosigkeit vor. Natürlich nicht meine Freunde …“

„Jene Freunde, die Sie noch nicht infolge Ihrer sträflichen Offenheit verloren haben?“

„Genau!“

Er beschloss, das Thema zu wechseln, und wies auf das große Haus. „Morgan Rancings Anwesen?“

„Ja. Wenn Sie seinetwegen hergekommen sind, haben Sie die Reise vergeblich unternommen. Er ist verschwunden. Und niemand weiß, wo er sich aufhält.“

Das wusste Darius, fand es aber unnötig, das zu erwähnen. Rancing war vor seinen Gläubigern ans Ende der Welt geflohen.

Sie trat einen Schritt zurück, um ihn genauer zu mustern. Kurz blitzten ihre Augen auf, so als erinnere er sie an jemanden. Doch schon sah sie wieder unbeteiligt drein. „Sie können von Glück sagen, dass Rancing nicht da ist“, stellte sie fest. „Er hätte Ihnen die Hölle heißgemacht, weil der Hubschrauber auf seiner Wiese gelandet ist. Er hasst es, wenn man sein Land betritt.“

„Gehört der Strand auch dazu?“ Erst jetzt fielen ihm die Zäune auf, die bis zum Wasser reichten.

„O ja!“ Sie lachte leise. „Seien Sie nett: Verraten Sie ihm nicht, dass Sie mich hier angetroffen haben. Er will nicht, dass ich zum Schwimmen herkomme.“

„Sie widersetzen sich seinen Anweisungen?“

„Es ist so schön hier, dass ich der Versuchung einfach nicht widerstehen kann. Die anderen Strände sind voller Urlauber, hier jedoch ist man ganz für sich allein. Meistens jedenfalls … Allein mit dem Meer, der Sonne und dem Himmel.“ Mit einer dramatischen Geste warf sie die Arme nach oben. „Hier gehört mir die Welt.“

Darius lachte. Es war seltsam, welche Freude er darüber empfand, dass ihre Gedanken die seinen so genau widerspiegelten. Obwohl sie etwas Jungenhaftes an sich hatte, fehlte es ihr doch nicht an weiblichem Charme. Wie schön ihre Augen waren! Groß, dunkelblau und sehr, sehr lebendig.

„Ich beneide Sie ein bisschen“, sagte er. „Wer wünscht sich nicht, die Welt zu besitzen …“

„Sie werden Rancing also nicht verraten, dass ich an seinem Privatstrand gebadet habe?“

„Es ist mein Privatstrand.“

Ihr Lächeln erlosch. „Wie bitte?“

„Die Insel gehört jetzt mir.“

„Sie haben Herringdean von Rancing gekauft?“

Sie ahnte nicht, wie falsch diese Vermutung war. Er hatte Herringdean keineswegs gekauft, sondern Rancing hatte ihn mit einem üblen Trick zum neuen Besitzer gemacht. Beim Gedanken daran verflog seine gute Stimmung, und seine Miene veränderte sich. „Wie gesagt: Die Insel gehört jetzt mir. Mein Name ist Darius Falcon.“

Sie atmete hörbar ein. „Jetzt erinnere ich mich! Ich habe Ihr Gesicht wirklich schon einmal gesehen, und zwar in der Zeitung. Sie sind der am meisten gefürch…“

„Vergessen Sie es!“, unterbrach er sie. Natürlich war ihm klar, dass alle möglichen Zeitungen sowohl über seine Situation als Geschäftsmann als auch über sein Privatleben berichtet hatten. An beides wollte er jetzt nicht denken. „Verraten Sie mir lieber, wer Sie sind!“

„Harriet Connor. Ich betreibe einen Antiquitätenladen in Ellarick.“

„Man sollte annehmen, dass Sie auf einer Insel wie dieser nicht sehr viel Kundschaft haben“, meinte er und ließ den Blick über das weite unbewohnte Land gleiten.

„Im Gegenteil. Während der Saison gibt es eine Menge Touristen in Ellarick. Das wissen Sie doch bestimmt?“

In Wirklichkeit lautete die Frage: Wie konnten Sie die Insel kaufen, ohne vorher Informationen zu sammeln?

Da Darius nicht beabsichtigte, Harriet zu erzählen, wie übel Rancing ihn hereingelegt hatte, zuckte er nur die Schultern.

Der Hund, der im flachen Wasser zurückgeblieben war, begann plötzlich zu kläffen und rannte über den Strand auf Harriet und Darius zu. Aus seinem Fell spritzten Tropfen in alle Richtungen.

„Stopp, Phantom!“, rief sie und wollte sich ihm in den Weg stellen.

Doch zu spät! Voller Freude darüber, einen neuen Freund begrüßen zu können, machte das riesige Tier noch ein paar Sätze nach vorn, stellte sich dann auf die Hinterläufe und legte Darius die nassen sandigen Pfoten auf die Schultern.

„Verschwinde, du Ekel!“

Begeistert leckte der Hund ihm übers Gesicht.

„Phantom, runter!“, schrie Harriet.

Er gehorchte. Allerdings nur kurz. Dann warf er sich wieder auf Darius, und zwar mit solcher Wucht, dass beide im Sand landeten. Hilflos lag Darius auf dem Rücken, während Phantom ihm erneut mit der nassen Zunge durchs Gesicht fuhr. Zweifellos ein Zeichen seiner aufrichtigen Zuneigung. Jedenfalls sah er sehr enttäuscht aus, als es Harriet endlich gelang, ihn fortzuzerren.

„Du unartiger Hund! Ich bin sehr böse auf dich.“

Darius erhob sich und musterte seinen ruinierten Anzug.

„Er hat Sie nicht angegriffen“, versuchte Harriet das Verhalten des Hundes zu rechtfertigen. „Er mag Sie.“

„Was auch immer er zu tun beabsichtigte, er hat meinen Anzug ruiniert“, gab Darius wütend zurück.

„Lassen Sie ihn auf meine Kosten reinigen.“

„Reinigen?“, fuhr er auf. „Ich lasse Ihnen die Rechnung für einen neuen Anzug zuschicken. So ein verrückter Köter!“ Abwehrend hielt er die Hände vor sich, bereit, das Tier fortzustoßen, wenn es sich noch einmal auf ihn stürzen sollte.

Doch Harriet hatte die Arme um Phantom geschlungen und hielt ihn fest. „Gehen Sie, ehe er sich losreißt!“ Ihr Ton war eisig.

„Sie sollten wissen, dass man ein Ungeheuer von dieser Größe nicht frei herumlaufen lassen darf.“

„Und Sie sollten wissen, dass es dumm ist, einen solchen Anzug am Strand zu tragen.“

Damit hatte sie zweifellos recht, was ihn noch zorniger machte. Ebenso wie die Tatsache, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als in Richtung des Hubschraubers davonzueilen.

Gleich darauf erhob der Helikopter sich in die Luft. Darius warf einen Blick nach unten und sah Harriet, die ihre Augen mit einer Hand gegen das helle Sonnenlicht abschirmte und ihm nachschaute. Phantom rannte um sie herum, sprang dann auf sie zu und legte ihr die Pfoten auf die Schultern. Man hätte meinen können, er wolle sie umarmen. Sogleich begann sie, mit dem Hund zu spielen.

So also sieht es aus, dachte Darius zornig, wenn sie böse auf das Biest ist. Offensichtlich war alles außer Phantom ihr gleichgültig.

Er rief sich in Erinnerung, wie wunderbar friedlich es gewesen war, ehe sie aufgetaucht war, und wie rücksichtslos sie diesen glücklichen Moment zerstört hatte. Das würde er ihr nie vergeben.

Von der Terrasse seines Hauses hoch über Monte Carlo konnte Amos Falcon das Meer sehen. Doch im Gegensatz zu seinem Sohn fehlte ihm jeglicher Sinn für die Schönheit der See. Seine Aufmerksamkeit galt den Gebäuden, die sich an den Hang schmiegten. Große, imposante Bauwerke, die verrieten, wie wohlhabend ihre Besitzer waren. Und keines war beeindruckender als sein eigenes Haus. Aus ebendiesem Grund hatte er sich für das dreistöckige Gebäude oben am Berg entschieden.

Sein Geld und das Bedürfnis, es zu schützen, hatten ihn schon vor Jahren hierher geführt, denn Monaco war eine Steueroase. Als Kind hatte er ein ärmliches Leben in einer heruntergekommenen Stadt in Englands nördlicher Bergbauregion geführt und sich nichts mehr gewünscht, als dieses Elend hinter sich zu lassen. Sobald er dazu in der Lage war, hatte er Tag und Nacht gearbeitet, um reich zu werden. Eine wohlhabende Frau zu heiraten, war hilfreich gewesen. Dann hatte er die erste Gelegenheit genutzt, um England zu verlassen. Der Gedanke, der Staat könne sich einen Anteil von seinem hart verdienten Geld holen, war ihm unerträglich.

„Wo, zum Teufel, steckt er?“, murmelte er ärgerlich. „Er weiß, dass ich ihn sprechen will, ehe die anderen eintreffen. Und trotzdem kommt er einen Tag später!“

Janine, seine dritte Ehefrau, legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. Sie hatte ein freundliches Gesicht sowie ein sanftes Wesen und sah trotz ihrer mehr als fünfzig Jahre noch immer sehr gut aus.

„Darius ist ein viel beschäftigter Mann“, sagte sie. „Und sein Unternehmen steckt in Schwierigkeiten.“

„Alle Unternehmen stecken zurzeit in Schwierigkeiten. Er sollte damit fertig werden. Schließlich ist er bei mir in die Lehre gegangen.“

„Vielleicht hast du zu viel Zeit darauf verwandt, ihn zu bevormunden. Er ist dein Sohn und nicht einer deiner Angestellten, dem du Anweisungen geben musst.“

„Natürlich ist er keiner meiner Angestellten! Ich sagte: Er ist bei mir in die Lehre gegangen. Nur hat er leider nie gelernt, den letzten notwendigen Schritt zu machen.“

„Vielleicht weil er ein Gewissen hat“, meinte Janine. „Er kann durchaus hart sein, allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt.“

„Ja, mir ist es nie gelungen, ihm beizubringen, dass …“ Er zuckte die Schultern. „Hoffentlich lernt er etwas aus der jetzigen Situation.“

„Redest du davon, dass Mary ihn verlassen hat?“

„Nicht direkt. Ich rede von diesen dummen finanziellen Zugeständnissen, die er ihr bei der Scheidung gemacht hat. Er hat Mary einfach alles gegeben, was sie wollte.“

Janine seufzte. Sie war des Themas überdrüssig, weil Amos sich schon oft darüber aufgeregt hatte. Dennoch wies sie erneut darauf hin, dass Darius es wegen der Kinder getan habe.

„Er hätte das Sorgerecht für die Kinder bekommen können, wenn er es nur richtig angestellt hätte. Aber er wollte ja nicht kämpfen.“

„Worüber ich im Interesse der Kinder sehr froh bin“, murmelte sie.

Amos runzelte die Stirn. Meistens konnte er ihr diese sentimentale Sicht auf das Leben vergeben, denn schließlich war sie eine Frau. Manchmal allerdings erbitterte ihn ihre Sentimentalität. „Du magst das so sehen“, erklärte er, „doch vergiss nicht: Kürzlich ist die Welt zusammengebrochen.“

„Nur die Welt der Finanzmärkte“, stellte sie fest.

Woraufhin er ihr einen Blick zuwarf, der ganz deutlich sagte: Es gibt keine andere.

Janine war klug genug, schweigend darüber hinwegzugehen.

„Jetzt besitzt er nur noch einen kümmerlichen Rest seines einstigen Vermögens“, fuhr Amos fort. „Deshalb musste er sich so weit erniedrigen, Mary zu bitten, sich mit weniger zufriedenzugeben. Natürlich hat sie Nein gesagt. Und da das Geld bereits überwiesen war, konnte er sich nichts zurückholen.“

„Ein solcher Fehler wäre dir niemals unterlaufen“, bemerkte Janine, die sich gut an den Inhalt des Ehevertrags erinnerte, den sie vor der Trauung hatte unterschreiben müssen. „Gib niemals etwas her, das du dir nicht zurückholen kannst, aber nimm dir stets, was du brauchst. Das ist dein Motto.“

„Das habe ich nie gesagt.“

„Ausgesprochen hast du es vielleicht nicht. Trotzdem …“

„Wo, zum Teufel, steckt er?“

„Reg dich nicht auf“, bat sie. „Es schadet deiner Gesundheit. Nach dem Infarkt …“

„Ich fühle mich wieder ganz gesund.“

„Bis zum nächsten Mal. Und sag jetzt bitte nicht, es würde kein nächstes Mal geben. Der Doktor hat mehrfach darauf hingewiesen, dass ein Herzinfarkt als Warnsignal betrachtet werden muss.“

„Ich bin nicht krank“, erklärte er mit fester Stimme. „Schau mich an! Sehe ich etwa wie ein Invalide aus?“ Er erhob sich und stellte sich so hin, dass seine eindrucksvolle Gestalt sich dunkel gegen den blauen Himmel abhob. Tatsächlich war er noch immer ein beeindruckender Mann. Groß, kräftig gebaut, mit auffallend breiten Schultern. Attraktiv. Während seines gesamten Lebens hatte er eine starke Anziehungskraft auf das andere Geschlecht ausgeübt. Er hatte jede Frau bekommen, die er haben wollte. Das bewiesen seine zahlreichen Affären und auch die Tatsache, dass er mehrmals geheiratet und in unterschiedlichen Ländern insgesamt fünf Söhne mit vier verschiedenen Frauen gezeugt hatte. Auch auf diese Weise hatte er seine Macht ausgeweitet.

Kürzlich hatte es ein ungeplantes Familientreffen gegeben. Nach dem Herzanfall, der ihn beinahe das Leben gekostet hatte, waren seine Söhne zu ihm geeilt. Entgegen allen Erwartungen hatte er überlebt. So waren schließlich alle in ihre Heimatländer zurückgekehrt.

Jetzt hatte er sie noch einmal zu sich gerufen, diesmal, um Zukunftspläne zu schmieden. Er hatte einen großen Teil seiner Kraft zurückgewonnen. Doch er fühlte sich nicht so stark, wie er andere glauben machen wollte. Wer ihn nicht gut kannte, sah nur den kräftigen Mann, der auch jetzt, da sein Haar weiß geworden war, noch beinahe unbesiegbar wirkte. Außer ihm selbst wussten nur zwei Personen, wie es wirklich um ihn stand. Eine davon war Janine, die ihn nun mit einer Mischung aus Liebe und Zorn anschaute.

Die andere war Freya, Janines Tochter aus erster Ehe, eine ausgebildete Krankenschwester. Auf Bitten ihrer Mutter war sie vor Kurzem zu ihnen gezogen.

„Er will keine Pflegerin engagieren, weil er ein Zeichen von Schwäche darin sieht. Deshalb bitte ich dich herzukommen“, hatte Janine ihr erklärt. „Er kann nicht Nein sagen, wenn ich meine Tochter einlade.“

Da Freya sich an ihrem derzeitigen Arbeitsplatz langweilte, kündigte sie kurzerhand, kam nach Monte Carlo und kümmerte sich mit diplomatischem Geschick und erstaunlichem Durchsetzungsvermögen um Amos. Dass sie nicht aussah wie eine Krankenschwester, war in diesem Fall ein großer Vorteil. Sie war schlank und hübsch, bewegte sich anmutig und erinnerte dadurch eher an eine Tänzerin.

Amos mochte sie. Deshalb widersprach er ihr nicht, als sie jetzt zu ihm und Janine auf die Terrasse trat und ihn daran erinnerte, dass es Zeit für seinen Mittagsschlaf sei. „Schon gut, ich lege mich ihn“, brummelte er und ließ die beiden Frauen allein.

„Müsste Darius nicht längst hier sein?“, fragte Freya ihre Mutter.

„Er hat telefonisch Bescheid gegeben, dass er sich verspätet.“

„Weißt du, warum Amos nicht nur ihn, sondern auch seine anderen Söhne herbestellt hat?“

„Es ist nur eine Vermutung. Der Infarkt hat ihm gezeigt, dass er nicht unsterblich ist. Wahrscheinlich möchte er bestimmte Dinge regeln. Mit Darius, aber auch mit Leo, Marcel, Travis und Jackson. Ich glaube, er will gewisse Änderungen in seinem Testament vornehmen.“

„Du meinst, er will herausfinden, welcher seiner Söhne ihm am meisten ähnelt, um dieses Scheusal dann zum Universalerben einzusetzen?“

„Du sprichst nicht gerade nett über ihn.“

„Er hat es nicht anders verdient.“

„Nun, er mag dich. Deshalb möchte er, dass du ein richtiges Familienmitglied wirst.“

Sie begriff sofort. „Du meinst, er will mich mit einem seiner Söhne verheiraten?“, fragte sie schockiert.

„Verrate ihm bloß nicht, dass ich dich eingeweiht habe!“

„Natürlich nicht!“ Freya schüttelte den Kopf. „Nicht für alles Geld der Welt würde ich in diese Familie einheiraten. Aber es wird mir Spaß machen, ihn ein wenig an der Nase herumzuführen.“

Am nächsten Tag traf Darius ein und entschuldigte seine Verspätung mit einem unerwarteten geschäftlichen Treffen. Niemals hätte er zugegeben, dass er von Herringdean nach London hatte zurückkehren müssen, um sich neu einzukleiden.

Er war deshalb noch immer wütend auf Harriet Connor. Besonders ärgerlich fand er, dass er an sie wie an zwei verschiedene Personen dachte. Da war einerseits die Badenixe, die seine Gefühle so überraschend gut verstanden hatte und die er in Gedanken als „die gute Fee“, bezeichnete. Auf der anderen Seite stand die Hundebesitzerin, „die böse Fee“, die sich ihm gegenüber kalt und abweisend gezeigt hatte.

Er hatte beschlossen, sie aus seinem Gedächtnis zu streichen. Doch aus irgendeinem Grund wollte ihm das nicht gelingen.

Bis er Amos gegenüberstand. Dieser begrüßte ihn, wie nicht anders zu erwarten, mit Vorwürfen. Woraufhin er sagte: „Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht, Vater.“

„Hat Freya etwa behauptet, ich sei immer noch krank?“

„Ich bin sicher, dass sie sich gut um dich kümmert“, meinte er ausweichend. Freya hatte ihn vom Flughafen abgeholt und ehrlich auf all seine Fragen geantwortet.

„Sie ist als meine Stieftochter hier und nicht als meine Krankenschwester“, brauste Amos auf, setzte jedoch sogleich hinzu: „Was hältst du von ihr?“

„Sie scheint ein nettes Mädchen zu sein.“

„Sie ist fröhlich, ausgeglichen, hübsch und zudem eine gute Köchin. Du wirst ihre Gesellschaft genießen.“

Das tat er tatsächlich. Es war sehr viel angenehmer, sie um sich zu haben, als diese scharfzüngige Harriet Connor mit ihrem schlecht erzogenen Hund.

Doch Darius’ gute Laune verflog, als Amos ihn zu einem Gespräch unter vier Augen ins Arbeitszimmer bat. Natürlich ging es um seine finanzielle Situation. Und selbstverständlich hatte sein Vater an allem, was er unternommen hatte, etwas auszusetzen.

Darius biss die Zähne zusammen. Er stand im Ruf, ein harter Geschäftsmann zu sein. Allerdings war er nie bereit gewesen, sich auf Kosten derer zu bereichern, die er für hilflos hielt. Doch genau das verlangte sein Vater von ihm.

„Du bist zu weich“, schimpfte Amos. „Nur deshalb hast du diese schlimmen Verluste hinnehmen müssen. Aber es ist noch nicht zu spät. Ich bin bereit, dir zu helfen.“

„Darauf habe ich gehofft.“

„Schade, dass du nicht früher auf mich gehört hast. Ich erwarte, dass sich das ändert. Als Erstes möchte ich mit dir über Rancing sprechen. Es heißt, er wolle diese kleine zu England gehörende Insel verkaufen, um seine Schulden zu begleichen. Lass dich auf keinen Fall darauf ein, denn …“

„Ich bin bereits der neue Besitzer von Herringdean“, fiel Darius seinem Vater ins Wort.

„Du hast die Insel gekauft? Dummkopf!“

„Nun, ganz so war es nicht. Als ich die Verträge bezüglich der Insel erhielt, war Rancing schon seit einiger Zeit wie vom Erdboden verschwunden. Da ich keine Chance hatte, ihn zu erreichen, musste ich Herringdean nehmen, wenn ich nicht gänzlich leer ausgehen wollte.“

Amos stieß einen Fluch aus.

„Ich bin ziemlich sicher, dass ich die Insel gewinnbringend nutzen kann“, bemerkte Darius. „Im Moment allerdings würde mir eine kleine Finanzspritze sehr helfen.“

„Du denkst dabei an mich?“

„Ja. Schließlich hast du selbst gesagt, du hättest die Krise besser überstanden als die meisten anderen.“

„Weil ich weiß, wie man mit Geld umgeht.“

„Wie mit einem Gefangenen, den man an der Flucht hindern muss“, stellte Darius fest.

„Genau. Das ist einer der Gründe, warum ich hier lebe. Einmal“, ein schmales Lächeln huschte über Amosʼ Gesicht, „kam eine Journalistin hierher, um mich zu interviewen. Natürlich fragte sie, ob ich wegen der Steuererleichterungen nach Monaco gezogen sei. Ich führte sie auf die Terrasse und erzählte ihr allen möglichen Quatsch über die Schönheit der Gegend und den Frieden, den ich hier fände. Das dumme Ding hat alles geglaubt.“

„Schönheit und Frieden haben ihren Wert.“

„Unsinn! Wenn du so denkst, wundert es mich nicht, dass du vor dem Bankrott stehst.“

„Meine Probleme rühren hauptsächlich daher, dass zwei meiner Geschäftspartner Konkurs anmelden mussten und ihre Schulden bei mir nicht zurückzahlen konnten. Das kannst du mir wohl kaum zum Vorwurf machen.“

„Es ginge dir besser, wenn du dich Mary gegenüber nicht so verdammt großzügig gezeigt hättest.“

„Die Vereinbarung wurde vor der Krise geschlossen. Damals konnte ich es mir leisten, großzügig zu sein.“

„Du hättest dir eine Hintertür offen halten müssen.“

Er zuckte die Schultern. „Heißt das, du verweigerst mir deine Hilfe?“

„Lass uns später darüber reden.“

„Ich möchte es aber jetzt wissen!“

„Also gut. Ich finde, du solltest eine reiche Frau heiraten.“

Darius wurde sogleich misstrauisch. „Denkst du an jemand Bestimmtes?“

„Ja. Ich möchte, dass Freya nicht nur meine Stieftochter ist, sondern auch meine Schwiegertochter.“

Einen Moment lang war Darius sprachlos. Dann sagte er: „Du glaubst doch nicht wirklich, ich würde mir von dir vorschreiben lassen, wen ich zu heiraten habe! Meine Unabhängigkeit ist so ziemlich das Einzige, was mir geblieben ist. Ich werde sie auf keinen Fall aufgeben.“

„Dann wirst du einen hohen Preis für deine Dickköpfigkeit zahlen.“

„Ich verstehe.“ Er wandte sich um, verließ den Raum, schlug die Tür laut ins Schloss. Kaum eine Stunde später verließ er das Haus seines Vaters.

2. KAPITEL

Ein heftiger Sturm tobte über dem Meer, und niemand auf Herringdean wunderte sich, dass die Besatzung des Seenotkreuzers zu einem Einsatz gerufen wurde. Ein paar Bewohner der Insel hatten sich zusammengefunden, um zu beobachten, wie das Rettungsschiff ablegte. Später, als es in den Hafen zurückkehrte, wartete dort eine deutlich größere Menge.

Die Schiffbrüchigen wurden rasch an Land gebracht, wo bereits mehrere Krankenwagen warteten, um sie ins Hospital zu fahren. Die Retter konnten aufatmen, ihre Schwimmwesten ausziehen und sich erschöpft nach Hause begeben.

Harriet holte, ehe sie aufbrach, ihr Handy heraus. „Geht es ihm gut?“, fragte sie, lauschte einen Moment lang und meinte dann: „Okay, ich mache mich jetzt auf den Heimweg.“

Vorher allerdings musste sie in der Seenotrettungsstation noch kurz ihren Einsatzbericht verfassen. Gemeinsam mit ihren Kollegen Walter und Simon trat sie schließlich auf die Straße hinaus.

„Du hast dich am Telefon besorgt angehört, Harry“, sagte Walter. „Ist jemand krank?“

„Nein, nein, es ging um Phantom. Ich bin in letzter Zeit seinetwegen etwas beunruhigt und habe daher meine Nachbarin gebeten, auf ihn achtzugeben.“

Walter runzelte die Stirn. „Was ist mit ihm? Früher hast du ihn doch immer allein gelassen, wenn du nicht allzu lange fort warst.“

„Früher hatte ich auch keinen Grund, mir Sorgen um seine Sicherheit ihn zu machen. Aber dieser Mann hat zu viel Macht.“

„He, du sprichst in Rätseln!“

Sie holte einen Zeitungsausschnitt aus der Tasche und hielt ihn Walter hin.

Der betrachtete das Foto und las dann die Bildunterschrift. „Darius Falcon, der einflussreiche, von seinen Konkurrenten gefürchtete Geschäftsmann – wird es ihm gelingen, sein Finanzimperium zu retten?“ Er gab ihr den Artikel zurück. „Du meinst, dieses Finanzgenie kennt deinen Phantom?“

„Falcon ist seit Kurzem der Besitzer von Herringdean. Rancing hat die Insel verkauft, weil er in Geldproblemen steckte.“

Simon begann zu fluchen. „Und wir, die wir hier leben, erfahren natürlich nichts davon.“

„Wir einfachen Leute bedeuten den Reichen und Mächtigen eben nichts. Ihr macht euch ja keine Vorstellung davon, wie arrogant dieser Falcon ist.“

„Du hast ihn kennengelernt?“

„Hm … Vor ein paar Tagen habe ich ihn am Strand bei Giant’s Beacon getroffen. Phantom hat sich voller Begeisterung auf ihn gestürzt und seinen Anzug ruiniert. Woraufhin er sagte, solche Hunde dürften nicht frei herumlaufen.“

„Scheint ein unsympathischer Kerl zu sein! Aber vielleicht hat er seinen Ärger längst überwunden.“

„Bestimmt nicht. Wenn ihr sein Gesicht gesehen hättet, wüsstet ihr, dass er außer sich vor Wut war. Sonst würde ich mir bestimmt keine Sorgen um Phantom machen. Doch genug davon. Ich will nach Hause.“

Die beiden Männer schauten ihr nach, und Simon sagte: „Mir scheint es ein bisschen übertrieben, einen Leibwächter für einen Hund zu engagieren.“

„Du weißt doch, wie sie an Phantom hängt.“ Walter seufzte. „Der Hund ist alles, was ihr von Brad geblieben ist. Erinnerst du dich noch daran, wie glücklich die beiden waren? Er hätte nicht so früh sterben dürfen.“

„Ich habe ihn nie besonders gemocht.“

„Vielleicht warst du eifersüchtig.“

„Unsinn. Gib ruhig zu, dass Brad niemand hier so recht sympathisch war.“

„Schon möglich … Lass uns im Pub ein Bier trinken, ehe wir nach Hause gehen.“

Vom Hafen aus brauchte Harriet nicht lange, um die Straße zu erreichen, in der sich ihr Antiquitätenladen und auch ihre kleine Wohnung befanden. Als sie das Auto parkte, öffnete sich oben im Haus ein Fenster, und Phantoms großer Kopf erschien.

Harriet eilte die Treppe hinauf und schloss den Hund in die Arme. Nachdem er sie ausgiebig begrüßt hatte, wandte sie sich an Mrs Bates, die Nachbarin, die auf den Hund aufgepasst hatte. „Keine Zwischenfälle?“

„Nein, alles war ruhig.“

„Gut. Und vielen Dank für Ihre Hilfe, Jenny. Trinken Sie noch eine Tasse Tee mit mir?“

„Ach nein, ich bin müde.“

Gemeinsam gingen die beiden Frauen, gefolgt von Phantom, die Treppe hinunter, denn Harriet wollte noch einen Abendspaziergang mit dem Hund machen. Einige Zeit später erreichte sie den Strand von Ellarick. „Hier kannst du dich austoben“, sagte sie und drückte Phantom noch einmal an sich, ehe er davonrannte. „Aber um den Privatstrand des Ungeheuers machen wir von nun an einen großen Bogen.“

Es war eine helle Nacht, und im Mondlicht spielte Harriet ausgelassen mit ihrem Hund. Irgendwann war sie so erschöpft, dass sie sich in den Sand fallen ließ. Sogleich war Phantom bei ihr und legte ihr eine seiner großen Pfoten beschützend auf die Brust. Sie lächelte gerührt. „Ich verstehe nicht, wie jemand es unangenehm finden kann, wenn du ihm deine Liebe zeigst“, murmelte sie.

Der Hund antwortete mit einem kurzen „Wuff“.

„Ich hoffe nur“, fuhr sie fort, „dass er mir nicht wirklich die Rechnung für einen neuen Anzug schickt. Dann müsste ich nämlich sparen und könnte dir keine Leckerlis mehr kaufen. Weißt du, es ist merkwürdig. Als ich ihn sah, hatte ich zunächst den Eindruck, dass er ganz entspannt die Sonne, den Sand und das Meer genießen wollte. Doch als ich erfuhr, wer er war, schien er sich zu verändern. Wie konnte er nur so gemein zu dir sein?“

Abrupt setzte sie sich auf und zog den großen Hund fest an sich. „Wir müssen vorsichtig sein. Mach nur nichts falsch, sondern zeig dich von deiner besten Seite! Ich könnte es nicht ertragen, wenn dir etwas zustieße.“ Sie barg das Gesicht in seinem Fell.

Phantom gab einen seltsamen Laut von sich, rührte sich jedoch nicht. Harriet benahm sich oft so komisch. Aber er wusste zum Glück, wie er darauf reagieren musste. Er verhielt sich einfach ganz still, spürte ihre Liebe und gab sie, so gut er es vermochte, zurück.

„Ich fürchte, die Leute halten mich für verrückt. Sie verstehen nicht, warum ich mir solche Sorgen um deine Sicherheit mache. Aber ich habe doch niemanden außer dir.“ Sie lachte leise auf. „Du denkst wahrscheinlich auch, dass ich den Verstand verloren habe. Mein armer alter Junge! Komm, wir gehen jetzt heim. Und dann bekommst du etwas Leckeres zu fressen.“

Gemächlich machten sie sich auf den Rückweg. Ehe sie die ersten Häuser der Stadt erreichten, schaute Harriet sich noch einmal um. In der Ferne konnte sie die Silhouette von Giant’s Beacon sehen. Ob Falcon bald dort einziehen würde? Wohl kaum, denn es mussten umfangreiche Reparaturarbeiten durchgeführt werden, weil Rancing das einst wunderschöne Gebäude sehr vernachlässigt hatte.

In diesem Moment flackerten dort Lichter auf.

„O Gott, er ist da“, flüsterte Harriet ängstlich. „Komm, Phantom, wir wollen so schnell wie möglich heim.“

Nur wenige Stunden nachdem Darius das Haus bezogen hatte, wusste jeder auf der Insel darüber Bescheid.

Er hatte Rancings ehemalige Haushälterin Kate übernommen. Und die hatte das im Pub natürlich erwähnt. Wie zu erwarten hatte sie ein dankbares Publikum für ihre Geschichten über den neuen Besitzer von Giant’s Beacon gefunden.

„Ihr solltet die Computer sehen, die er mitgebracht hat“, sagte sie. „Und dann gibt es noch etwas, das er Videokonferenz nennt. Damit kann er sich mit allen möglichen Leuten überall in der Welt gleichzeitig unterhalten und sie dabei sogar sehen.“

Die Zuhörer grinsten. Kate konnte sich mit der Computertechnik nicht anfreunden. Alles, was moderner als ein Telefon oder ein Fernsehgerät war, erschien ihr wie Zauberei. Vermutlich ahnte sie nicht einmal, dass auch Herringdean, obwohl die Insel noch immer idyllisch wirkte, längst von der modernen Technik überrollt worden war.

Darius wiederum hatte mit Erleichterung festgestellt, dass Herringdean nicht so rückständig war, wie er befürchtet hatte. Eine Zeit lang würde er die Vorgänge in der Finanzwelt von hier aus beobachten und seine Geschäfte von Giant’s Beacon aus führen können. Sobald sich ihm allerdings eine Möglichkeit bot, die Insel gewinnbringend zu verkaufen, würde er zugreifen.

Zunächst einmal wollte er sich mit allem, was Herringdean betraf, vertraut machen. Zufrieden stellte er fest, dass die Menschen hier nicht nur von Milchwirtschaft, Schafzucht und Fischerei lebten, sondern dass es auch verschiedene recht erfolgreiche Firmen gab, darunter eine bekannte Brauerei.

Die wichtigste Einnahmequelle war der Tourismus. Jetzt, da der Sommer vor der Tür stand, würden Hotels und Pensionen sich bald mit Feriengästen füllen. Einige würden nur anreisen, um an der jährlichen Regatta teilzunehmen, doch die meisten verbrachten hier ihren Jahresurlaub.

Mit James Henley, der sich um alles gekümmert hatte, was mit Rancings Geschäften auf der Insel zu tun hatte, traf sich Falcon schon kurz nach seiner Ankunft. Von ihm erfuhr er, dass er als Besitzer von Herringdean Einkünfte aus verschiedenen Pachteinnahmen hatte. Eine gute Nachricht, wenn auch nicht so gut, wie er im ersten Moment dachte.

„Mr Rancing hat vor einiger Zeit die meisten seiner Pächter davon überzeugen können, die Pacht für mehrere Monate im Voraus zu zahlen. Er muss ihnen wohl gesagt haben, dadurch hätten sie steuerliche Vorteile. Was leider nicht stimmt. Wenn ich davon gewusst hätte … Aber zu dem Zeitpunkt hielt ich mich nicht auf der Insel auf. Und als ich zurückkehrte und herausfand, was er getan hatte, war er längst verschwunden.“

„Ich werde mich also gedulden müssen, ehe ich zum ersten Mal die Pacht eintreiben kann“, meinte Darius scheinbar gelassen. Es wäre unklug gewesen, irgendwen merken zu lassen, dass die Nachricht ihn getroffen hatte.

„Leider … Das war Betrug von Rancings Seite aus, nicht wahr? Vielleicht sollten Sie ihn verklagen.“ Henleys Ton bewies, dass er sich nicht viel von einem solchen Schritt versprach.

„Um welche Summe handelt es sich?“

Henley holte einen Ordner aus dem Schreibtisch und reichte ihn seinem Arbeitgeber. Als erfahrener Geschäftsmann ließ Darius sich seine Überraschung nicht anmerken. Die Summe war viel größer als erwartet. Sie zu besitzen, hätte seine geschäftliche Situation deutlich verbessert. „Rancing ist ein Schurke“, sagte er, „doch ein kleiner Rückschlag sollte mich nicht aus der Fassung bringen.“

Eine solche Summe sollte ein kleiner Rückschlag sein? Henley riss die Augen auf. Mr Falcons Imperium musste noch bedeutender sein, als er bisher angenommen hatte.

Darius, dessen Absicht es gewesen war, genau diesen Eindruck zu vermitteln, fragte: „Schuldet Rancing Ihnen noch Geld?“

„Ja.“

„Listen Sie die einzelnen Posten auf, und schicken Sie mir eine Rechnung. Das dürfte im Moment alles sein.“

Nach diesem Gespräch verließ er Giant’s Beacon ein paar Tage lang nicht. Er stand früh auf, um mithilfe der modernen Technik seiner Arbeit nachzugehen. Er aß, was immer Kate ihm servierte. Selbst die Nachtstunden verbrachte er vor den Computern, denn er pflegte auch geschäftliche Kontakte auf der anderen Seite der Welt.

Irgendwann kam er auf die Idee, im örtlichen Telefonbuch nach Harriet Connor zu suchen und die dort verzeichnete Adresse im Stadtplan von Ellarick nachzuschlagen.

Da er in den letzten Tagen einiges erreicht hatte, um den drohenden Ruin abzuwenden, beschloss er, sich eine Pause zu gönnen. Er nahm einen Mietwagen und fuhr in die Stadt. Nachdem er einen Parkplatz im Zentrum gefunden hatte, schlenderte er eine Zeit lang durch die Straßen. Irgendwann fand er sich in der Bayton Street wieder. Hier gab es teure Boutiquen und ein Hotel, das einen gediegenen Eindruck machte.

Dann entdeckte er auch Harriets Antiquitätenladen – und Harriet selbst. Sie sprach mit einem Jungen, der ein großes Modellschiff in den Händen hielt. Gerade wandte der Kleine sich zu einer Frau um, die wohl seine Mutter war. „Bitte, Mum, ach, bitte!“

„Nein, mein Schatz“, hörte Darius sie antworten. „Es ist zu teuer.“

Einen Moment lang sah der Junge trotzig drein, so als wolle er aufbegehren. Doch dann reichte er Harriet das Schiff.

Diese ließ den Blick von einem zum andern wandern. „Ich könnte mit dem Preis noch etwas heruntergehen. Mir liegt nämlich viel daran, dass das Schiff an jemanden verkauft wird, der es wirklich zu schätzen weiß.“

Die Mutter staunte, als sie erfuhr, welch großzügigen Rabatt Harriet ihr einräumen wollte, und die Augen des Jungen leuchteten auf.

Darius ging rasch weiter bis zum nächsten Geschäft, wo er sich in die Auslage vertiefte, während die Kundin zahlte und dann mit Sohn und Schiff den Antiquitätenladen verließ. Harriet sollte ihn nicht sehen. Instinktiv wusste er, wie unangenehm es ihr gewesen wäre, wenn irgendwer erfahren hätte, dass sie nicht nur eine kluge Geschäftsfrau, sondern vor allem ein großzügiger, mitfühlender Mensch war.

Er beobachtete sie noch eine Weile, ehe er zu seinem Mietwagen ging und nach Hause fuhr.

Am nächsten Abend kam er wieder nach Ellarick. Er wollte sich den Hafen ansehen, und auf dem Weg dorthin machte er Pause in einem Pub. Da der Schankraum überfüllt war, schlug der Wirt ihm vor, sich in den beleuchteten Garten zu setzen, wo sich bereits ein paar Gäste aufhielten.

„Von hier ist es nicht weit bis zur Seenotrettungsstation“, erzählte der Wirt. „Die Besatzung des Seenotkreuzers kommt deshalb oft her.“ Er nickte in Richtung eines Tisches, an dem zwei Frauen und vier Männer saßen, die sich lebhaft unterhielten.

Darius setzte sich so, dass er die Gruppe beobachten konnte. Diese Menschen erfüllten eine zugleich wichtige und gefährliche Aufgabe, und es interessiert ihn, wer zu ihnen gehörte. Gerade brachen alle in lautes Lachen aus. Sie schienen sich köstlich zu amüsieren.

Und dann sah er sie: die gute Fee vom Strand bei Giant’s Beacon. Oder war es die böse Fee? Warum, zum Teufel, hatte sie sich nur so widersprüchlich benommen?

Miss Connor, dachte er bitter, umgeben von ihren Bewunderern!

Einer der Männer legte ihr die Hand auf die Schulter und meinte: „Harry, du bist eine Schwindlerin.“

„Natürlich, Walter“, gab sie gut gelaunt zurück, „sonst würde das Leben keinen Spaß machen.“

Harry? Ach ja, eine Abkürzung von Harriet. Plötzlich war er sich sicher: Sie musste eine böse Fee sein. Verflucht, konnte er ihr denn nirgends entkommen? Musste sie immer auftauchen, wenn er Frieden suchte? Sie war eine Unruhestifterin und, wie sie gerade selbst zugegeben hatte, eine Schwindlerin.

Jetzt bemerkte Darius den großen Hund, der neben ihr auf der Erde lag. Phantom! Er musterte das Tier eingehend. Am Strand war er nur von dessen Größe beeindruckt und über dessen Temperament verärgert gewesen. Jetzt erkannte er, dass es sich um einen gutmütig wirkenden Mischling handelte. Nur, dass dieser gutmütige Hund ihn umgeworfen und seinen Anzug ruiniert hatte!

„Was wollen wir mit dem Kerl tun, der glaubt, ihm gehöre hier alles?“, hörte er in diesem Moment Walter sagen.

„Er ist tatsächlich der neue Besitzer der Insel“, meinte Harriet und stieß einen tiefen Seufzer aus. „Und wir können nichts dagegen tun.“

„Ich habe gehört, dass er sich Henley gegenüber sehr fair benommen hat. Außerdem scheint er eine Menge Geld für die Renovierung von Giant’s Beacon auszugeben. Dabei stand doch in der Zeitung, dass er große finanzielle Verluste erlitten hat und jetzt arm ist.“

„Arm!“, spottete Harriet. „Im Vergleich zu uns ist er immer noch so reich wie Krösus. Zumindest will er das alle glauben machen, dieser arrogante Kerl.“

„Du magst ihn wirklich nicht“, sagte einer der Männer. „Und nur, weil er etwas an Phantoms Benehmen auszusetzen hatte.“

„Nein, nicht nur deshalb. Als ich ihn bemerkte, wirkte er so … entspannt. Das gefiel mir, denn ich glaubte, er sei von der Landschaft begeistert. Doch inzwischen bin ich sicher, dass er nur davon begeistert war, jetzt der Eigentümer von Herringdean zu sein. Er stand da wie ein König, der stolz auf seinen Besitz ist. Ich glaube, er genießt es, dass wir von ihm abhängig sind und er uns herumkommandieren kann.“

Walter begann zu lachen. „Ich würde zu gern erleben, wie jemand versucht, dich herumzukommandieren! Der Letzte, der das versucht hat, war ich – und ich habe es bereut.“

Das Gelächter wurde lauter. Einer der Männer machte einen Witz auf Darius’ Kosten. Ein anderer spottete über den „neuen König von Herringdean“.

Darius kochte vor Wut. Er war daran gewöhnt, dass man ihn mit Respekt behandelte oder gar Angst vor ihm hatte. Auf die Erfahrung, beleidigt zu werden, hätte er gern verzichtet.

„He, Harry“, sagte Walter, „tu der Welt einen Gefallen und rette ihn nicht, wenn er jemals in Seenot geraten sollte.“

Sie hob ihr Glas und prostete ihm zu. „Ich werde daran denken.“

Genug, dachte Darius, ich werde ihr eine Lektion erteilen!

Er trat an ihren Tisch und starrte sie an, bis die anderen auf ihn aufmerksam wurden und schließlich auch Harriet zu ihm hinsah. Ihr entsetzter Blick erfüllte ihn mit Genugtuung. „Prägen Sie sich mein Gesicht ein“, forderte er sie auf, „damit Sie Ihren Vorsatz auch in die Tat umsetzen können!“ Dann wollte er fortgehen, ohne ihr die Chance zu einer Erwiderung zu geben.

Doch Phantom machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Als er seinen Freund erkannte, sprang er auf und lief bellend zu Darius hin.

„Phantom, nein!“, schrie Harriet.

„Lassen Sie ihn!“ Er beugte sich zu Phantom hinab und streichelte ihn. „Komm nur her, mein Großer! Heute brauchen wir keine Rücksicht auf meine Kleidung zu nehmen.“

Alle starrten ihn verwirrt an. Nach Harriets Beschreibung hatten sie ihn sich ganz anders vorgestellt.

Er nickte erst ihr und dann den anderen zu, wandte sich ab und ging. Dabei dachte er: Wenn sie Krieg will, soll sie ihn bekommen!

Auf der Straße hörte er Schritte hinter sich. Harriet war ihm gefolgt. „Dass ich Sie nicht retten würde, war natürlich nur ein dummer Scherz“, sagte sie ein wenig atemlos. „Ich könnte niemand ertrinken lassen.“

„Nicht einmal ein Ungeheuer wie mich?“

„Hören Sie …“

„Reden wir nicht mehr darüber. Ich werde Ihre Hilfe nie brauchen.“

Sie zog ihn zu einer Straßenlaterne und musterte sein Gesicht. „Nur für den Fall, dass Sie doch einmal in Seenot geraten.“ Sie runzelte die Stirn. „Irgendetwas an Ihnen ist anders. Ich … He, was tun Sie da?“

„Das Gleiche wie Sie.“ Er hatte ihr die Hand unters Kinn gelegt und musterte nun ihr Gesicht.

Sie widerstand der Versuchung, ihn fortzustoßen. Er war stärker als sie, so viel stand fest. Wenn er doch wenigstens nicht so gelächelt hätte. So als gefiele ihm, was er sah. Beinahe hätte sie sein Lächeln erwidert.

„Wenn ich mir große Mühe gebe, werde ich Sie wohl wiedererkennen“, stellte er fest.

„Frechheit!“

Er ließ sie los und ging fort, ohne sich auch nur ein einziges Mal nach ihr umzuschauen.

Was hatte sie über ihn gesagt? „Er stand da wie ein König, der stolz auf seinen Besitz ist.“ Aber sie hatte auch zugegeben, dass sie ihn zunächst anders eingeschätzt hatte. Sie hatte sich ihm nahe gefühlt – bis er sich von seiner arroganten Seite gezeigt hatte.

Ich bin selbst schuld daran, dachte er, weil ich mich den Menschen seit Jahren in verschiedenen Masken präsentiere.

Nur eine Person kannte den echten Darius. Mary, seine Exfrau. Vor ihr hatte er seine liebevolle, leidenschaftliche und verletzliche Seite nicht verborgen. Aber sie hatte ihn wegen eines anderen verlassen.

Er holte sein Handy aus der Tasche und wählte ihre Nummer.

„Darius? Musst du so spät noch anrufen?“

„Sind Mark und Frankie da?“

„Sie schlafen. Und ich werde sie nicht wecken. Ruf sie tagsüber an, falls du die Zeit dazu findest. Immer müssen sie warten, bis du alles andere erledigt hast!“

„Ich melde mich morgen.“

„Du wirst sie nicht erreichen, denn wir wollen einen Familienausflug unternehmen.“

„Mit Ken?“ Seine Stimme klang bitter.

„Ja, wir werden schließlich bald heiraten.“

„Aber er wird nie ihr Vater sein! Also, ich rufe dann gegen Abend an.“

Darius wusste, dass ihm schon der nächste Kampf bevorstand. Mary war stets eine gute Ehefrau und Mutter gewesen. Doch wenn er jetzt nicht aufpasste, würde sie ihm die Kinder entfremden.

Wie seine Feinde sich darüber freuen würden, ihn in neue Schwierigkeiten verwickelt zu sehen! Seine Feinde … gehörte Harriet auch zu ihnen? Nun, immerhin brauchte er sich ihr gegenüber nicht zu verstellen. Er konnte ihr seine Abneigung genauso deutlich zeigen wie sie ihm die ihre. Einen Moment lang sah er sie ganz deutlich vor sich, frech, herausfordernd, faszinierend, aber keine Schönheit. Nur ihre Augen waren schön. Und ihre Haut fühlte sich so samtig an wie Rosenblätter. Das hatte er bemerkt, als er die Finger unter ihr Kinn legte.

Harriet … Als er schließlich zu Bett ging, war es ihm noch immer nicht gelungen, sie aus seinen Gedanken zu vertreiben.

3. KAPITEL