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Der neue Sonnenwinkel
– 30 –

Rückkehr eines Weltenbummlers

Hannes ist endlich wieder daheim!

Michaela Dornberg

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-146-9

Inge Auerbach stand neben der geöffneten Tür und schaute den Besucher an wie einen Geist. Sie war so überrascht, dass es ihr im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlagen hatte. Vielleicht lag es daran, dass sie und die ganze Familie so sehr auf den Besuch von Jörg und seiner Charlotte fixiert gewesen waren und dass Inge in dem Glauben gewesen war, für diese beiden die Tür zu öffnen.

Jetzt wusste sie, dass sie es nicht waren. Und wen sie da erblickte, die Überraschung hätte nicht größer sein können.

»Hallo, Mama«, ergriff der Besucher das Wort. »Erkennst du mich nicht mehr? Ich habe mir doch nur die Haare abschneiden lassen, und ja, ein wenig älter bin ich seit unserem letzten Treffen natürlich auch geworden.«

Jetzt war bei Inge der Knoten geplatzt. Sie begann zu lachen und zu weinen, dann umarmte sie ihren Sohn Hannes, der vor der Tür stand und schluchzte: »Hannes, mein Junge, was für eine wundervolle Überraschung.«

Inge konnte nicht aufhören, ihn zu umarmen.

Hannes …

Welche Gedanken sie sich seinetwegen gemacht hatte, und nun stand er einfach vor der Tür, und wie es schien, ging es ihm gut. Er sah nicht mehr so verwegen aus, doch das konnte an dem ordentlichen Haarschnitt liegen.

Den in der Küche Wartenden schien es wohl zu lange zu dauern, Pamela kam in die Diele, um nachzusehen, als sie­ ihren Bruder entdeckte, quietschte sie: »Ich glaube es nicht, Hannes.«

Ob es sich nun gehörte oder nicht, sie schob ihre Mutter einfach beiseite, und dann herzte sie ihren Bruder, an dem sie so sehr hing.

Nach der lebhaften und zugleich innigen Begrüßung schob Hannes seine Schwester ein wenig von sich weg, betrachtete sie und sagte mit einer sehr wohlwollend klingenden Stimme: »Pam, du bist ja richtig erwachsen geworden, und hübsch siehst du aus.«

Pamela wurde rot wie eine überreife Tomate, und sie wusste überhaupt nicht, wohin sie vor lauter Verlegenheit blicken sollte.

Sie hakte sich bei Hannes ein und zog ihn mit sich in die Küche.

»Seht mal, wen ich euch da mitgebracht hatte«, rief sie freudestrahlend, und nachdem sich die erste Überraschung gelegt hatte, begrüßte Hannes seinen Vater, seine Großmutter, den Großvater, und er vergaß auch nicht Luna, die noch nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte, dass da jemand gekommen war, der ihr die Aufmerksamkeit stahl.

»Du siehst ja richtig ordentlich aus, mein Sohn«, bemerkte der Professor, »so gefällst du mir sehr.«

»Mir hast du mit den langen Haaren besser gefallen«, sagte seine Oma. »Da warst du etwas Besonderes, jetzt siehst du aus wie ein hübscher junger Mann.«

»Teresa«, stöhnte Magnus von Roth. Seine Frau war für seine Begriffe manchmal unmöglich, aber so war sie nun mal, sie sagte immer das, was sie dachte.

Hannes drückte seiner Oma einen Kuss auf die Stirn. »Omi, ich habe mir mit den langen Haaren ebenfalls besser gefallen, doch manchmal …«

Er sprach seinen Satz nicht aus, weil es schon wieder klingelte.

»Hier geht es ja zu wie in einem Taubenschlag, außerdem, warum seid ihr alle hier versammelt, habe ich da vielleicht etwas verpasst? Ihr konntet doch nicht ahnen, dass ich kommen würde?«

Inge war sofort wieder hinausgelaufen, und Pamela sagte: »Hannes, wir warten auf Jörg und seine neue Flamme. Das werden sie wohl jetzt sein.«

Sie waren es jetzt wirklich, Inge kam mit Jörg und Charlotte herein, und ehe Jörg seine Familie begrüßte und ihr Charlotte vorstellte, rief er: »Hannes, wie schön, dich auch mal wieder zu sehen, kleiner Bruder.« Er wandte sich an Charlotte, die sich sehr gelassen alles ansah, »ehe du den Rest der Familie kennenlernst, mache ich dich mit Hannes bekannt, meinem unglaublichen kleinen Bruder, den es bis ins ferne Australien verschlagen hat und der dort den Kontinent so richtig aufmischt.«

Normalerweise hätte Hannes jetzt anders auf solche Worte reagiert, doch das bekam außer Inge wohl niemand mit. Da war etwas mit Hannes, sie hatte es gespürt, und hatten seine abgeschnittenen Haare damit etwas zu tun? Bei Frauen sagte man zumindest, dass sie sich eine neue Frisur zulegten, wenn es eine Veränderung in ihrem Leben gab.

Es war gut, dass sie solchen Gedanken nicht lange nachhängen konnte, Hannes war schließlich nicht der einzige Neuankömmling, und ehrlich gesagt, interessierte sie Charlotte ebenfalls sehr. Sie war überaus sympathisch, natürlich, wollte direkt, dass man Charlotte zu ihr sagte, sie duzte. Sie war beinahe so groß wie Jörg, schlank, hatte kurze braune Haare, kluge graue Augen und ein schmales Gesicht. Sie war ein ganz anderer Typ Frau als Stella, ihre ehemalige Schwiegertochter. Und sie und Jörg schienen sich sehr gut zu verstehen, und sie schienen auch sehr verliebt ineinander zu sein. Das beruhigte Inge ein wenig. Vielleicht war sie ja zu altmodisch, doch sie hatte sich schon ihre Gedanken darüber gemacht, dass Jörg und Charlotte sich im Internet kennengelernt hatten. Doch jetzt war sie beruhigt, sie musste wohl umdenken. Doch für sie kam zum Glück eine Partnersuche nicht mehr infrage. Sie hatte ihren Herzensmenschen auf Anhieb gefunden, und mit dem war sie die meiste Zeit ihres Lebens durch dick und dünn gegangen. Und sie waren noch immer glücklich, und Inge war davon überzeugt, dass es auch so bleiben würde mit ihrem Werner und ihr, und ein leuchtendes Beispiel für eine glückliche Beziehung waren auch ihre Eltern. Es war rührend mit anzusehen, wie nett und behutsam sie miteinander umgingen.

Jetzt war Inge so richtig froh, sich durchgesetzt und den Kuchen gebacken zu haben, denn auf den stürzten sich alle drauf, ganz besonders Jörg und Hannes. Nun, das waren auch diejenigen, die die vortrefflichen Backkünste ihrer Mutter am meisten vermisst hatten.

Auch Charlotte genoss den Kuchen, und sie gab ganz offen zu, nicht besonders gut backen und kochen zu können.

Sie lachte.

»Zumindest nimmt Jörg das nicht so wichtig, doch wenn wir mal Zeit haben, dann kochen wir gemeinsam, und das macht sehr viel Spaß. Ich gebe allerdings ehrlich zu, dass Jörg es auf jeden Fall sehr viel besser kann als ich.«

»Ich hatte in meiner Mama auch eine sehr gute Lehrmeisterin«, sagte er und lächelte seine Mutter an. »Außerdem sehe ich alles heute sehr viel gelassener und bin der Meinung, dass man nicht auf jeder Hochzeit tanzen und nicht alles können muss.«

»Recht hast du, mein Junge«, sagte Teresa. Ihr war anzusehen, wie glücklich sie war, hier am Tisch mit den meisten Familienmitgliedern sitzen zu dürfen. Nun fehlte nur noch Ricky mit ihrer Familie. Doch mit ihren so zahlreichen Kindern schaute man nicht einfach mal irgendwo vorbei. Sie hatte Jörg und Charlotte aber schon gesehen, und Teresa war sich sicher, dass auch Hannes bei seiner großen Schwester vorbeischauen würde, ehe er zurück ins ferne Australien fuhr, ans andere Ende der Welt.

Es war eine gesellige Runde, sie unterhielten sich, lachten miteinander, irgendwann sagte Jörg: »Jetzt haben Charlotte und ich genug über unser Leben in Stockholm erzählt, jetzt bist du dran, Hannes. Wird es bald ein Surfbrett ›Sundance III‹ geben? Derzeit sieht man in Schweden auf jeden Fall überall die Version Nummer zwei, an der du tatkräftig mitgearbeitet hast, und dich sieht man auch in jedem Surfladen und in jeder Zeitschrift. Du hast es ganz schön weit gebracht, Hannes. Und dafür bewundere ich dich. Charlotte und ich haben uns ganz fest vorgenommen, mal zu dir nach Australien zu kommen. Charlotte ist eine begeisterte Taucherin, und surfen, das möchte sie auf jeden Fall ebenfalls lernen, und warum nicht in deiner Surf- und Tauchschule? Wir haben uns Fotos im Internet angesehen, dort ist es ja traumhaft. Ich kann so gut verstehen, dass du diesen paradiesischen Fleck nicht mehr verlassen möchtest. Du bist nicht nur zu beneiden, weil du an diesem herrlichen Fleckchen Erde leben darfst, sondern mehr noch, dass du angekommen bist. Das bin ich auch, aber nur privat. Ich bin sehr dankbar, dass Charlotte und ich uns gefunden haben, da wird sich auch nichts mehr ändern. Wir passen zusammen wie Pott und Deckel, wie man so schön sagt. Doch beruflich bin ich noch nicht am Ende angelangt, so wie du, du weißt, was du willst.«

Hannes reagierte auf diese wohlwollenden Worte so heftig, dass alle zusammenzuckten.

»Ich habe jetzt keine Lust, über mich zu reden. Da gibt es auch überhaupt nichts Interessantes. Mich interessiert viel mehr, was hier so los war. Für dich Jörg, freue ich mich, dass es wieder eine Frau an deiner Seite gibt, herzlich willkommen bei den Auerbachs, liebe Charlotte.« Dann wandte er sich an seine kleine Schwester, zu der er ein ganz besonderes Verhältnis hatte, so war es immer schon gewesen. Und seit Pamela bei ihm in Australien gewesen war nach der Schocknachricht, dass sie keine echte Auerbach war, sondern dass man sie adoptiert hatte, war ihr Verhältnis zueinander noch viel inniger geworden. »Wie sieht es bei dir in der Schule aus, Pam? Bist du immer noch auf dem Weg, die beste Schülerin aller Zeiten zu werden?«

Pamela kicherte.

»Dich kann ich nicht überrunden, Hannes. Das beste Abitur hast du gemacht, ich kann allenfalls mit dir gleichziehen, mehr als Eins-Komma-Null geht nicht. Über dich redet man heute noch und stellt dich als leuchtendes Beispiel hin. Und ich bin verdammt stolz, deine Schwester zu sein. Aber ehrlich mal, ich glaube, sie finden dich nicht wegen deiner schulischen Leistungen gut, nicht wegen deines phänomenalen Abis, sondern weil du ein so verwegener Surfer bist, dass du wie ein Fisch tauchst und weil man dich mit dem Surfbrett ›Sundance II‹ identifiziert. Wer bei uns an der Schule surft, der hat das Brett.«

Hannes ging darauf nicht ein, er wandte sich an seinen Vater.

»Machst du noch so viele Auslandsreisen, und schreibst du an deinem nächsten Buch, Papa?«

Professor Werner Auerbach war ein ausgesprochen netter Mensch, doch ein wenig eitel war er auch. Und das wurde man wohl, wenn man von allen Seiten bewundert wurde.

»Hannes, diese Fragen kann Papa dir beantworten, wenn ihr allein seid«, bemerkte Inge rasch. »Wir müssen uns allmählich auf den Weg in den ›Seeblick‹ machen, und ich finde, Jörg und Charlotte sollten ein wenig mehr über sich und ihr Leben in Stockholm berichten. Das zu erfahren, dazu bleibt nicht viel Zeit. Es ist so schade, dass ihr schon wieder abfahren müsst.«

»Mama, du weißt doch, dass wir gern geblieben wären, aber unser Flieger geht wirklich morgen ganz früh, und da müssen wir im Flughafenhotel übernachten. Was hindert euch denn daran, zu uns nach Schweden zu kommen? Ihr seid jederzeit herzlich willkommen, und Charlotte und ich werden uns auch Zeit für euch nehmen.« Er wandte sich an seinen Großvater. »Das gilt auch für euch, Opa, du kannst für das Seniorensportabzeichen auch in Schweden trainieren, und Oma, ob du nun einen Monat früher oder später Präsidentin des Tierschutzvereins wirst, das macht doch nichts.«

Teresa von Roth lachte, und sie fühlte sich einigermaßen geschmeichelt, was ihr Enkel ihr da zutraute. Natürlich war sie nicht auf dem Weg, Präsidentin zu werden. Auch wenn sie jünger wäre, würde sie das nicht wollen. Alles hatte seine Zeit, und in ihrem Alter wollte man in erster Linie die Annehmlichkeiten des Lebens genießen und hatte keine ehrgeizigen Pläne. Magnus, der hatte sie allerdings, doch das betraf nur das Sportabzeichen, für das er immer wieder trainierte und dass er immer wieder machte. In Gold, wohlgemerkt!

Teresa dankte für die Einladung und versprach, auf jeden Fall zu kommen, und Inge erinnerte sich daran, dass Werner für die Familie eine Reise nach Stockholm gebucht hatte, um sie zu überraschen, und dann hatte Jörg sie einfach ausgeladen mit einer sehr fadenscheinigen Begründung. Damals hatten sie nicht ahnen können, dass Jörgs Ehe mit Stella zerbrochen war und dass ihr armer Sohn sich in einer seiner größten Krisen in seinem Leben befunden hatte. Es war sehr schlimm gewesen, nicht nur für Jörg. Inge wollte so etwas ganz bestimmt nicht noch einmal erleben.

Warum blickte sie während dieser Gedanken sorgenvoll auf ihren Sohn Hannes?

Sie hatte keine Erklärung dafür, doch der Gedanke, dass mit Hannes etwas nicht stimmte, ließ sie einfach nicht los. Am liebsten hätte sie ihn jetzt zur Seite genommen, um mit ihm zu reden, allein, von Mutter zu Sohn.

Was war bloß mit ihm los?

Ärger mit seiner Freundin Joy konnte es nicht sein, wenn es den überhaupt gab. Die Australierin war eine ausgesprochen nette Person, die nicht herumzickte. Und etwas Berufliches konnte es ja auch nicht sein, denn da lief es bei Hannes, wie es besser nicht laufen könnte …

Sie war so sehr in ihre Gedanken versunken, dass Inge überhaupt nicht mitbekam, dass sie sich so sehr aus dem allgemeinen Gespräch ausgeklinkt hatte, dass es schon auffiel.

»Mama, was ist los mit dir?«, erkundigte Jörg sich, »Charlotte hat dich jetzt bereits dreimal gefragt, ob sie von dir das Rezept für diesen wunderbaren Kuchen haben kann. Sie will versuchen, ihn zu backen.«

Inge wurde rot.

Wie peinlich!

Was sollte Charlotte denn von ihr denken?

Inge entschuldigte sich, dann versprach sie Charlotte, ihr das Rezept aufzuschreiben, und dann mussten sie auch schon aufbrechen, um zum ›Seeblick‹ zu fahren. Ja, um mehr Zeit miteinander verbringen zu können, hatten sie sich entschlossen, mit ihren Autos zum Restaurant zu fahren, da kamen sie gleichzeitig an, und niemand musste auf das Schritttempo des anderen Rücksicht nehmen.

Inge hätte sehr gern gehabt, dass Hannes mit in ihrem Auto mitfahren würde, doch scheinbar wich er ihr aus, er stieg zu Jörg und Charlotte in den Mietwagen. Und natürlich war Pamela an seiner Seite.

Inge, Werner und Magnus und Teresa von Roth saßen in einem Wagen, und Werner war kaum losgefahren, als Teresa sich bei ihrer Tochter erkundigte: »Sag mal, Inge, was ist eigentlich mit dir los? Du hast dich kaum an unserem Gespräch beteiligt und hast nur sorgenvoll dreingeblickt. Fehlt dir etwas?«

Inge winkte ab.

»Mit mir ist alles in Ordnung, aber findet ihr nicht auch, dass Hannes bedrückt aussieht?«, erkundigte sie sich.

»Er sieht endlich wieder vernünftig aus, mein Schatz«, sagte Werner, »das mit diesen langen Haaren, manchmal mit einem Pferdeschwanz, manchmal verknotet. Das war doch grenzwertig. So laufen Mädchen herum.«

»Oder aber Individualisten«, konnte Teresa sich nicht verkneifen zu sagen. »Ich fand das toll, wie Hannes vorher herumlief. Sich die Haare abgeschnitten zu haben, dafür wird er seine Gründe haben. Im Übrigen finde ich, geht es uns überhaupt nichts an. Hannes ist volljährig, er kann tun und lassen, was er will. Unser Hannes macht sein Ding, und dass er alles richtig macht, das hat er uns bewiesen. Er ist ein ausgesprochen cleverer junger Mann. Ich bin sehr stolz darauf, ihn als Enkel zu haben. Nicht nur Hannes«, berichtigte Teresa sich sofort, »ich bin sehr stolz auf alle meine Enkel, und auch meine Urenkelchen, die entwickeln sich prächtig. Es ist wundervoll, eine solche Familie zu haben, dafür kann ich dem Himmel nicht genug danken, und was dich betrifft, meine liebe Tochter, dann höre bitte endlich damit auf, dir um alles Gedanken zu machen. Ich weiß überhaupt nicht, von wem du es hast, zuerst immer das Negative zu sehen.«