Grüne Helfer für die Psyche
Die Heilkraft der Natur bei Angst- und Schlafstörungen, Nervosität und depressiven Verstimmungen nutzen
Unter Mitarbeit von Christine Fehr
Grüne Helfer
für die Psyche
Die Heilkraft der Natur bei Angst- und Schlafstörungen, Nervosität und depressiven Verstimmungen nutzen
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Originalausgabe
1. Auflage 2020
© 2020 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
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Redaktion: Petra Holzmann
Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer
Umschlagabbildung: shutterstock.com/mart
Layout: Michaela Röhler, feschart print- und webdesign, Leopoldshöhe
Satz: Michaela Röhler, feschart print- und webdesign, Leopoldshöhe
Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien
eBook: ePubMATIC.com
ISBN Print 978-3-7474-0166-8
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-532-4
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-533-1
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PHYTOTHERAPIE – DAS POTENZIAL DER NATUR
Gewachsene Heilkraft mit jahrtausendealter Tradition
Die berühmten Herbarien
Die Phytos
Die Konzentration macht´s
Phytopharmakon ist nicht gleich Phytopharmakon
Zahlreiche Anwendungsgebiete
Die Zeichen stehen auf Grün
Natürlich im Vorteil
Gleiche Rechte, gleiche Pflichten
Was alles in Heilpflanzen steckt
Das Portfolio der grünen Helfer
Brückenschlag zwischen altem Wissen und moderner Forschung
Die rationale Phytotherapie
Von der Pflanze zum Extrakt
DIE NATÜRLICHE ALTERNATIVE
Die Faszination hält bis heute an
Direkter Draht zum Nervensystem
Die Botschafter des Körpers
Einsatz am Ort des Geschehens
Pflanzliche Pannenhilfe
Die Einteilung der psychoaktiven Pflanzen
Wirksam und gut verträglich
Auf dem wissenschaftlichen Prüfstand
Kritisch auswählen
Wo kauft man Präparate mit psychoaktiven Pflanzen?
Wie man die grünen Helfer anwendet
Nachhilfe beim Beipackzettel-Lesen
ANGSTSTÖRUNGEN
Ängste sind bei jedem anders
Das Who is Who der Ängste
Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie
Generalisierte Angststörung
Soziale Angststörung
Spezifische Phobien
Spurensuche
Genetische Ursachen
Psychologische Ursachen
Neurobiologische Ursachen
Detektivarbeit
Körperliche Ursachen abklären
Fazit
Weitere Diagnosekriterien
Die grünen Medizinen
Die Anwendung von Baldrian
Der pflanzliche Angstlöser
Im Licht der Wissenschaft
Das hilft zusätzlich
Gesunde Zellen, gesunder Körper
Schüßler-Angstsalze
DEPRESSIVE VERSTIMMUNGEN
Oft gut getarnt
Typische depressive Symptome
Spurensuche
Störfall auf den Nervenautobahnen
Woher kommt das Softwareproblem im Gehirn?
Zeichen unserer Zeit
Detektivarbeit
Stimmungsskala
Die grünen Medizinen
Johanniskraut
Raus aus dem Tief: Hauruck für die Seele
Das hilft zusätzlich
Aktiv bleiben
Seelisch aufbauen
Dem Blues davonlaufen
Rückenwind für die Psyche mit Magnesium & Co.
Lichttherapie
Schüßler-Salze
HIRNLEISTUNGSSTÖRUNGEN
Nur vergesslich oder schon krank?
Ordnung ist alles ...
Gute Aussichten am geistigen Horizont
Verschiedene Arten von Demenz
Spurensuche
Mögliche Ursachen von Demenzerkrankungen
Ursachen von Hirnleistungsstörungen ohne Demenz
Detektivarbeit
Nicht kneifen, untersuchen lassen!
Schrittweise »auf Fahndung«
Es ist es tatsächlich ...
Die richtigen Schritte
Die grünen Medizinen
Ginkgo
Natürliche Hilfe für das Gehirn
Das hilft zusätzlich
Übung macht den Meister
Der Parcours für das Gehirn
Futter für die »Birne«
NERVOSITÄT UND UNRUHE
Nur kein Stress ...
Die beiden Gesichter von Stress
Lebenselixier oder schleichendes Gift?
Dauerstress – in jeder Hinsicht schädlich
Die grünen Medizinen
Lavendel
Melisse
Das hilft zusätzlich
Entspannungstechniken
Yoga
Immun gegen Stress werden
Auch Mineralstoffe bringen Ruhe
SCHLAFSTÖRUNGEN
Endlos Schafe zählen …
Die Schlafdauer ist individuell
Schlafstörung ist nicht gleich Schlafstörung
Phasenweise Erholung im Schlaf
Gravierende Folgen
Spurensuche
Moderner Lebensstil kann schlafraubend sein
Körperliche Auslöser
Schlaflos auf Rezept
Störenfriede in der Umgebung
Detektivarbeit
Definition krankhafter Schlafstörungen
Zweigleisig zu süßen Träumen
Die grünen Medizinen
Pflanzliche Schlaf- und Beruhigungsmittel
Hopfen
Passionsblume
Baldrian
Lavendel
Melisse
Das hilft zusätzlich
Gute Schlafhygiene
Weitere Strategien für ungestörte Träume
CANNABIS IN DER MEDIZIN
Eine Pflanze mit uralter Tradition
Einzug ins Mittelalter und in die Neuzeit
Das Blatt wendet sich …
Der Hanf als Nutzpflanze
Die Cannabinoide
Tetrahydrocannabinol: THC
Cannabidiol: CBD
Cannabinoide in der Medizin – die Reise geht weiter
Der Schlüssel zur Wirkung von Cannabis
Die Signalempfänger: Die »Schlösser« des ECS
Heilende Interaktionen
THC und CBD wirken unterschiedlich
Das enorme Einsatzspektrum der Cannabinoide
Diabetes
Durchblutungsstörungen
Epilepsie
Fibromyalgie
Hauterkrankungen
Krebserkrankungen
Migräne
Parkinson, Multiple Sklerose und Alzheimer
Schizophrenie
Schlafstörungen
Schmerzen
Die Anwendung von THC und CBD
THC als Arzneimittel
CBD als Arzneimittel
Dosierung
Darreichungsformen
Nebenwirkungen und Gegenanzeigen
OPIUM: WEGBEGLEITER DER KULTUREN
Das »Kraut des Vergessens« – eine Chronik
Wie Opium wirkt
Opiate und Opioide
Opioide zur Schmerzlinderung
Die andere Seite der Medaille
Wie Heroin wirkt
Extrem hohe Suchtgefahr
ANHANG
Über die Autorin
Bildnachweis
»Medicus curat, natura sanat« – »Der Arzt hilft, die Natur ist es, die heilt.« – Diese Worte gab Hippokrates, der berühmte Arzt der Antike und Begründer der empirischen Medizin, seinen Schülern mit auf ihren Weg. Das ist nun über 2000 Jahre her, seine Aussage ist jedoch keineswegs von gestern. Denn was Hippokrates einst erkannte, ist inzwischen vielfach vonseiten der modernen Wissenschaft belegt. – Und hochaktuell: Das Interesse an dem immensen Potenzial, das heilkräftige Pflanzen in sich bergen, boomt. Entsprechend läuft ihre Erforschung auf Hochtouren.
Die grünen Helfer haben allerdings keineswegs nur in wissenschaftlichen Kreisen ihre Fans. Auch medizinische Laien, sprich Patienten, sind begeistert. Die große Mehrheit von ihnen zieht pflanzliche Arzneimittel solchen mit synthetischen Wirkstoffen vor und wünscht sich, dass künftig noch mehr pflanzliche Mittel hergestellt und eingesetzt werden. Auch die Mediziner zeigen sich zu zwei Dritteln sehr aufgeschlossen, rund die Hälfte bezieht pflanzliche Arzneimittel mit in ihre Behandlung ein.
Was man wissen sollte: Die Anwendung pflanzlicher Arzneimittel schließt den Einsatz schulmedizinischer Therapien keinesfalls aus. Hier geht es nicht um »entweder oder«, sondern um ein »miteinander«. Denn schließlich ist die Pflanzenheilkunde der Wegbereiter der sogenannten Allopathie, der »naturwissenschaftlich begründeten Medizin«. Mit anderen Worten: Unsere moderne Medizin basiert historisch gesehen letztlich auf natürlichen Heilmitteln, wie zum Beispiel Pflanzen. So stammen viele der heutigen synthetischen Arzneimittel ursprünglich von pflanzlichen Wirkstoffen ab. Herzglykoside bzw. Digitoxine gegen Herzerkrankungen gehen beispielsweise auf die Wirkstoffe von Digitalis purpurea, dem Roten Fingerhut, zurück. Atropin stammt aus der Tollkirsche, Atropa belladonna. Morphin wird aus dem Schlafmohn, Papaver somniferum, gewonnen und der Aspirin-Wirkstoff Acetylsalicylsäure ist ein Abkömmling des in der Weide enthaltenen Alkohols Salicin.
Wenn sich die Vorzüge von Schuldmedizin und Pflanzenheilkunde Hand in Hand miteinander vereinen, profitieren Patienten, Ärzte und nicht zuletzt unser gesamtes Gesundheitssystem.
Die Phytotherapie, wie die Pflanzenheilkunde medizinisch heißt, kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Denn heilkräftige Pflanzen hatten seit den Anfängen unserer Kultur den größten Stellenwert im Bemühen um Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit inne.
So wussten die Menschen bereits in den vorchristlichen Hochkulturen in Mesopotamien um die heilkräftige Wirkung vieler Pflanzen und setzten sie zu therapeutischen Zwecken ein. Die ältesten uns erhaltenen Belege über den medizinischen Gebrauch von Pflanzen in Form von tönernen Keilschrifttafeln stammen von den Sumerern aus dem 5. Jahrtausend vor der Zeitenwende.
Insofern hat manche Arzneipflanze eine mehr als 1000-jährige Tradition ihrer Anwendung vorzuweisen: Von den Hohepriestern der alten Ägypter, den Heilkundigen der Antike über die Mönchsärzte bis hinein in unsere Tage. Davon, wie umfangreich die Kenntnisse der antiken Pflanzenheilkunde waren, zeugen unter anderem Werke wie der »Papyrus Ebers«, der um 1500 vor der Zeitenwende verfasst wurde. In dieser Rezeptsammlung haben die Pharaonenärzte die Zubereitung und Anwendung von über 700 pflanzlichen Arzneimitteln für die Nachwelt festgehalten.
Weitere Belege des enormen Kräuterwissens vergangener Jahrhunderte sind der »Herbarius Moguntinus«, das erste gedruckte Kräuterbuch aus dem Jahr 1484 sowie das »New Kreuterbuch« des deutschen Botanikers und Arztes Leonhart Fuchs, erschienen circa 1543.
Nach dem Zerfall des Römischen Reiches wurden die Klöster zu Hochburgen universaler Gelehrsamkeit. Ihre Bibliotheken und Schreibstuben gossen die antiken Überlieferungen in neue Formen – so entstand eine Brücke von der Antike in die Neuzeit.
Den Klöstern ist es auch zu verdanken, dass die Heilpflanzenkunde über die Jahrhunderte lebendig geblieben ist. Das Kräuterwissen, basierend auf den Kenntnissen der Antike und ergänzt von den in Klöstern gesammelten Erfahrungen, wurde in den sogenannten Herbarien niedergelegt. Diese sind umfangreiche Kompendien zu Anbau, Zubereitung und Anwendung von Arzneipflanzen. Die Schriften der mittelalterlichen Mönche offenbaren nicht nur ein profundes botanisches, sondern auch ein großes pharmazeutisches Interesse. Denn neben den zur Bestimmung der Pflanzen erforderlichen Angaben finden sich stets auch Kommentare zu ihren Heilwirkungen. Dabei schöpften die Autoren der Kräuteralmanache nicht nur aus antiken Quellen, sondern ergänzten ihre eigenen Erkenntnisse und die ihrer Zeitgenossen. Die Genauigkeit dieser Beschreibungen zeugt von einem hohen Niveau der klosterärztlichen Kenntnisse über Arzneipflanzen. Die Herbarien trugen ganz entscheidend zum wissenschaftlichen Fortschritt auf dem Gebiet der Botanik und der Pharmakologie bei. Ohne sie wäre nicht nur das Wissen um die Vielfalt der Flora, sondern auch die Pflanzenheilkunde heute eine andere.
Eine der Domänen pflanzlicher Heilmittel war und ist die Behandlung sogenannter psychovegetativer Beschwerden. Pflanzen mit psychoaktiver Wirkung werden seit Jahrhunderten erfolgreich gegen Störungen im psychischen Bereich angewendet.
Bevor es jedoch um die grüne Medizin für die Psyche gehen soll, sehen wir uns an, was Phytopharmaka eigentlich sind. Hier besteht nämlich einiger Klärungsbedarf. Denn trotz ihres wachsenden Stellenwerts kursieren in der breiten Öffentlichkeit höchst unterschiedliche Auffassungen über die Pflanzenheilkunde, die von deren tatsächlicher Bedeutung, ihren Möglichkeiten und Grenzen oft weit abweichen.
Die Definition von »Phytopharmakon« leitet sich am einfachsten und ganz banal aus ihrer schlichten Übersetzung her: Griechisch »phytos«, zu Deutsch »Pflanze«, und »pharmakon«, »Arzneimittel«, ergibt »pflanzliches Arzneimittel«.
Dieser Begriff umfasst jedoch viel und sehr Unterschiedliches. Etwa 400 Arzneipflanzen hat die Pflanzenapotheke derzeit im Angebot – zu Arzneidrogen verarbeitete Blüten, Blätter oder Wurzeln wie Rinden und Früchte, Samen oder ätherische Öle. Anwenden lassen sich die grünen Arzneien als Saft oder Tee, Pulver oder Tablette, Salbe oder Tinktur. Stets anders kombiniert, dosiert und aufbereitet. – Was allerdings einen entscheidenden Unterschied ausmacht. Denn zwischen einer Tasse Kamillentee und einem in Tabletten gepressten Extrakt aus Blättern des Ginkgo-Baumes liegen Welten. Warum das so ist?
Auch wenn gegen nahezu jede Krankheit »ein Kraut gewachsen ist«: Es kommt sehr darauf an, in welcher Form und Konzentration es angewendet wird. Ein Tee aus Johanniskrautblüten bringt Sie beispielsweise nicht aus einem seelischen Tief. Aber Sie haben doch gehört oder gelesen, dass Johanniskraut gut gegen depressive Verstimmungen hilft? Das stimmt auch. Doch Sie benötigen keinen Tee daraus. – Davon müssten Sie nämlich mehrere Liter am Tag trinken, um eine Wirkung zu erzielen. – Was Sie brauchen, ist ein Präparat, in dem genau jene Johanniskrautstoffe in hoher Konzentration stecken, die antidepressiv wirksam sind. Das bekommen Sie mit einem standardisierten Extrakt aus Johanniskrautblüten: einem »rationalen« Phytopharmakon, dessen therapeutische Wirksamkeit wissenschaftlich geprüft und nachgewiesen wurde.
Es gibt also Unterschiede bei Mitteln aus Heilpflanzen? Ganz genau.
Pflanzliche Arzneien im Allgemeinen enthalten per definitionem »als arzneilich wirksame Stoffe ausschließlich Pflanzen, Pflanzenteile oder Pflanzeninhaltsstoffe«. Damit ist alles gemeint, was die grüne Apotheke im Sortiment hat: die Teemischung, die Sie beim Kräuterstand auf dem Wochenmarkt kaufen, ebenso wie Ringelblumensalbe oder Melissengeist.
Die Wirksamkeit dieser Mittel ist jedoch nicht wissenschaftlich geprüft. Dass sie Beschwerden wirksam lindern können, ist einzig durch ihre langjährige Anwendung bekannt. Sie haben sich in der Volksmedizin über Generationen hinweg bewährt und wurden für gut befunden. Deshalb tragen solche Pflanzenheilmittel auch den Vermerk »traditionell angewendet bei«.
Daneben gibt es pflanzliche Arzneimittel, die »als arzneilich wirksame Stoffe Zubereitungen aus Pflanzenteilen in einer bestimmten galenischen Form enthalten und die im Sinn einer naturwissenschaftlich orientierten Medizin eingesetzt werden«. Das bedeutet auf gut Deutsch: Diese pflanzlichen Mittel wurden wissenschaftlich auf ihre Wirkung überprüft. Zudem haben sie ihre therapeutische Wirksamkeit in klinischen Studien und durch ärztliche Erfahrungen unter Beweis gestellt. Solche pflanzlichen Arzneien enthalten in der Regel Extrakte, die in Tabletten, Kapseln oder Dragees verpackt, manchmal auch als Tropfen oder Säfte angewendet werden. Diese pflanzlichen Mittel werden im Zuge der sogenannten »rationalen Pflanzenheilkunde« angewendet (siehe S. XX).
Die Anwendungsgebiete für pflanzliche Arzneimittel umfassen ein breites Spektrum.
Ein Paradebeispiel für die umfassenden und wertvollen Möglichkeiten, welche die Pflanzenheilkunde uns eröffnet, sind die sogenannten Phytohormone. Dabei handelt es sich um Wirkstoffe in Pflanzen, die im Reich der Flora vergleichbare Aufgaben übernehmen wie die menschlichen Hormone in unserem Körper.
Immer mehr Frauen greifen inzwischen lieber zu den Hormonen von der Plantage anstatt zu den Botenstoffen aus dem Labor. Das ist gut verständlich, denn die grünen Hormone lindern nicht nur die Symptome von hormonellen Beschwerden, sondern setzen auch an deren Ursachen an. Denn sie schalten sich harmonisierend in das Zusammenspiel der Hormone ein, anstatt es auszuschalten. So ermöglichen sie unserem Körper, über eine Selbstregulation das hormonelle Gleichgewicht wiederzuerlangen.
Die wichtigsten Anwendungsbereiche der pflanzlichen Botenstoffe sind das Prämenstruelle Syndrom (PMS) und die Wechseljahrsbeschwerden. Gegen die Beschwerden, die das hormonelle Wechselspiel mit sich bringen kann, ist im wahrsten Wortsinn ein Kraut gewachsen. Doch nicht nur eines, sondern gleich mehrere. So beispielsweise der Mönchspfeffer und die Traubensilberkerze, die Stoffe in sich tragen, die wirksam in einen gestörten Hormonhaushalt eingreifen und die Waagschalen des Hormonhaushalts austarieren können. Die Stoffe in Vitex agnus-castus, dem Mönchspfeffer, sind sogenannte Dopamin-Antagonisten: Sie blockieren den Neurotransmitter Dopamin und senken so die Ausschüttung des Hormons Prolaktin. Damit reduzieren sich prämenstruelle Beschwerden, denn ein erhöhter Prolaktinspiegel ist die Hauptursache für Probleme vor und während der Periode.
Die positiven Effekte der Traubensilberkerze bei Beschwerden in den Wechseljahren gehen auf die in ihren Wurzeln enthaltenen Phytoöstrogene zurück. Diese ähneln in ihrem chemischen Aufbau dem menschlichen Östrogen und entfalten entsprechend östrogenartige Wirkungen. Auf diese Weise lindern die Pflanzenhormone jene Beschwerden, die durch das altersbedingte Nachlassen der körpereigenen Östrogen-Produktion verursacht werden. Und bei Osteoporose, die durch das Östrogen-Defizit ausgelöste, erhöhte Knochenbrüchigkeit, sind Präparate mit Traubensilberkerze seit Jahrzehnten die Mittel der Wahl.
Pflanzliche Arzneimittel erfreuen sich stetig wachsender Beliebtheit und laufen zum Teil ihren synthetischen Kollegen den Rang ab. Beispielsweise stehen Johanniskraut-Extrakte heute auf Platz eins auf dem Markt der Antidepressiva. Dass die Phytos so beliebt sind, hat seine guten Gründe.
Pflanzliche Arzneimittel haben nämlich folgende Vorteile:
Ihre große therapeutische Wirksamkeit haben zahlreiche pflanzliche Arzneimittel bereits in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen sowie nicht zuletzt auch in der täglichen medizinischen Praxis unter Beweis gestellt. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Testläufe sprechen für sich: Phytopharmaka sind synthetischen Präparaten in der therapeutischen Wirksamkeit absolut ebenbürtig.
Ein wichtiger Aspekt bei der Bewertung von Medikamenten ist deren Verträglichkeit. Denn als Patient profitiert man nur eingeschränkt von Präparaten, die zwar hochwirksam sind, aber mit unangenehmen Nebenwirkungen einhergehen. Sie behandeln die ursprüngliche Erkrankung zwar wirksam, rufen in Folge jedoch andere Beschwerden hervor. Bei Antibiotika kann dies beispielsweise der Fall sein, da diese das Gleichgewicht der Darmflora oft empfindlich beeinträchtigen. Diese negativen Begleiterscheinungen führen vielfach dazu, dass Patienten die Präparate einfach absetzen oder erst gar nicht mit ihrer Einnahme beginnen.
In puncto Nebenwirkungen und Verträglichkeit sind pflanzliche Medikamente Präparaten mit synthetischen Wirkstoffen zweifelsfrei überlegen: Neben- und Wechselwirkungen sind bei der Anwendung von Phytopharmaka höchst selten. Ihre gute Verträglichkeit bringt pflanzlichen Arzneimitteln vor allem bei der Behandlung seelischer Beschwerden klare Bonuspunkte ein: Die vielen, zum Teil stark schädlichen Nebenwirkungen synthetischer Psychopharmaka fallen bei psychoaktiven Pflanzen weg. Dazu kommt, dass sie kein Abhängigkeitspotenzial haben; ein unschätzbarer Vorteil gegenüber den konventionellen synthetischen Präparaten.
Aufgrund ihrer guten Wirksamkeit und Verträglichkeit haben pflanzliche Arzneien ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis. Auf gut Deutsch: Der angestrebte Behandlungserfolg steht in einem günstigen Verhältnis zu möglichen unerwünschten Wirkungen.
Die Sicherheit von pflanzlichen Arzneimitteln garantiert unter anderem eine Reihe von Untersuchungen, die nach den gleichen Maßstäben wie für synthetische Arzneimittel durchgeführt werden. Geprüft werden dabei vor allem eventuelle giftige, gesundheitsschädigende Wirkungen, die sofort oder aber bei längerer Einnahme auftreten könnten. Weiterhin ausgeschlossen werden schädliche Auswirkungen auf das Erbgut, die Fruchtbarkeit und auf heranwachsendes Leben im Mutterleib sowie etwaige krebserregende Wirkungen.
Der Begriff »Compliance« bezeichnet die Bereitschaft des Patienten, bei seiner Behandlung mitzuarbeiten. Diese, möchte man meinen, müsse doch zweifelsohne groß sein. – Ein Irrtum, wie folgende Zahlen zeigen: Pro Jahr wandern Arzneimittel im Wert von schätzungsweise fünf Millionen Euro ungenutzt in den Mülleimer. Denn die Patienten nehmen viele der Medikamente, die ihnen vom Arzt verschrieben werden, gar nicht oder nur unzureichend ein – überwiegend aus Angst vor Nebenwirkungen, weniger, weil sie nicht daran denken. Durch diese mangelnde Compliance lässt nicht nur der Behandlungserfolg zu wünschen übrig, sie ist auch mit einer der Gründe für die Kostenexplosion im Gesundheitswesen.
Auch hier punkten die Phytopharmaka. Denn bei ihnen ist die Compliance, durch zahllose Studien eindeutig erwiesen, deutlich besser als bei synthetischen Arzneimitteln. Nicht überraschend, sind sie doch wesentlich besser verträglich und weitgehend frei von Nebenwirkungen – nebenbei bemerkt bei ebensolcher Wirksamkeit.
Ganz generell machen Arzneimittelgesetz und Sozialgesetzbuch hinsichtlich der Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln keine Unterschiede zwischen synthetischen und pflanzlichen Arzneimitteln. Im Sozialgesetzbuch ist der Versorgungsanspruch des Patienten festgelegt, der sich keineswegs auf synthetische Arzneimittel beschränkt. Die gesetzlich Versicherten haben grundsätzlich den gleichen Versorgungsanspruch, ob der nun Phytopharmaka oder alle anderen verordnungsfähigen Arzneimittel umfasst. Ebenso schließt der sogenannte Versorgungsauftrag des Vertragsarztes alle Arzneimittel ein, somit auch pflanzliche. Kurz gesagt sind vor dem Gesetz beide Arzneimittelarten gleich: Pflanzliche Arzneimittel und chemische sind in jeder Hinsicht gleichberechtigt.
Gleiche Rechte bedeuten aber auch gleiche Pflichten. Entsprechend gelten für Phytopharmaka grundsätzlich dieselben Anforderungen wie für synthetische Arzneimittel hinsichtlich ihrer pharmazeutischen Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. Um diese zu belegen, bedarf es der Ergebnisse analytischer, pharmakologischer, toxikologischer und klinischer Prüfungen.
In Heilpflanzen steckt enorm viel. Denn pflanzliche Arzneien sind komplexe Wirkstoffgemische. Auch wenn ein Hauptwirkstoff über die Wirkung und damit das Anwendungsgebiet bestimmt, sind in einer Pflanze fast immer mehrere verschiedene wirksame Inhaltsstoffe enthalten. Diese können als Begleitstoffe neben den pharmakologisch aktiven Stoffen die Wirksamkeit regulieren – das heißt, verstärken oder abschwächen. Dies macht die Suche nach den »hauptamtlich« für die Heilwirkung zuständigen, den sogenannten »wirkrelevanten« Inhaltsstoffen nicht eben einfach.
Von A bis Z sehen Sie hier, was die grünen Helfer so alles drin und damit draufhaben.
Nahezu alle Pflanzen enthalten ätherische Öle. Diese Öle, komplexe Mixturen zahlreicher Substanzen, sind leicht flüchtig – verdunsten also rasch. Ein weiteres typisches Charakteristikum ist, dass sie in Wasser schwer oder gar nicht löslich sind.
Ätherische Öle können ausgeprägte Heilwirkungen entfalten. Ihr hoher medizinischer Stellenwert ist vor allem darauf zurückzuführen, dass diese Öle entzündungshemmend und antibakteriell wirksam sind. Daneben können die flüchtigen Stoffe auch Schleim und Krämpfe lösen, desinfizieren, Magen und Darm stärken und die Nierentätigkeit anregen.
Alkaloide, aufgebaut aus stickstoffhaltigen Verbindungen, sind die mit am stärksten wirksamen Pflanzenstoffe – Substanzen, die nicht nur heilsam, sondern leider auch gefährlich sein können. Dennoch, viele von ihnen sind gute Bekannte, mit denen wir es tagtäglich zu tun haben, wie etwa das Koffein oder das Teein. Neben diesen Alkaloiden in Genussmitteln sind auch medizinische Alkaloide wie Kodein und Morphin nahezu jedem ein Begriff.
Falsch dosiert können alle Alkaloide lebensgefährlich werden. Richtig eingesetzt sind sie dagegen wirksame Heilmittel gegen viele Erkrankungen – eine Gratwanderung zwischen Gefahr und Gewinn, deren Beschreiten große Kenntnis und Erfahrung erfordert.
Wie der Name schon sagt: Diese Stoffe schmecken bitter. Was die Ausschüttung der Verdauungssäfte wie Speichel, Magensaft und Galle ankurbelt und damit einer schwachen Verdauung auf die Sprünge hilft. Ebenso wie dem Appetit. Von ihren Wirkorten her unterscheidet man drei Arten von Bitterstoffen: Amara tonica wirken stärkend und regen die Magensäfte und die Speichelbildung an. Amara aromatica regen die Verdauung an, wirken auf Leber und Galle und gegen Bakterien und Parasiten. Amara acria stärken den Kreislauf.
Flavonoide sind weiße oder gelbe Farbstoffe, die Früchte und Blüten entsprechend färben. Die Wirkstoffgruppe der Flavonoide zählt zu den sogenannten sekundären Pflanzenstoffen, die derzeit rege erforscht werden. Aus mehreren guten Gründen. Denn Flavonoide haben Eigenschaften, die sie zu sehr wirksamen Arzneien machen. Einige von ihnen wirken entzündungshemmend, andere helfen mit, das Herz zu schützen, wieder andere bieten freien Sauerstoffradikalen Paroli.