James Clement mit Kristin Loberg
Wie Sie Ihren Stoffwechsel maximieren und Ihre Zellen durch Autophagie verjüngen
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Dieses Buch ist für Lernzwecke gedacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle medizinische Beratung dar und sollte auch nicht als solcher benutzt werden. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und der Autor haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.
1. Auflage 2020
© 2020 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
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Fax: 089 652096
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2019 bei Gallery Books, einem Imprint von Simon & Schuster, Inc. unter dem Titel The Switch. Ignite Your Metabolism with Intermittent Fasting, Protein Cycling, and Keto © 2019 by James W. Clement. All rights reserved.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Übersetzung: Ronit Jariv
Redaktion: Stephanie Kaiser-Dauer
Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer
Umschlagabbildung: Shutterstock/tovovan
Layout und Satz: Müjde Puzziferri, MP Medien, München
Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien
eBook: ePubMATIC.com
ISBN Print 978-3-7423-0945-7
ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0570-8
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0571-5
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
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Für Durk Pearson und Sandy Shaw, deren Newsletter und Life-Extension-Bücher aus den frühen 1980er-Jahren mich dazu inspirierten, mich mit diesem Themengebiet zu beschäftigen. Und für Professor George Church und Professor David Sinclair, die mich ermutigten, meine wissenschaftlichen Notizen über Autophagie in ein Buch für Laien zu verwandeln.
Vorwort
Einleitung Der Gesundschalter
Kapitel 1 Die Osterinsel und Transplantationspatienten
Kapitel 2 Müllautos und Recyclingstationen
Kapitel 3 Zwerge und Mutanten
Kapitel 4 Okiwaner, Mönche und Adventisten
Kapitel 5 Kinder mit Epilepsie und Weltklasseradfahrer
Kapitel 6 Höhlenbewohner und industrialisierte Menschen
Kapitel 7 Walnüsse und mit Mais gefütterte Kühe
Kapitel 8 Wale, Nager und leichte Raucher
Kapitel 9 Fingerpieksen und Einkaufslisten
Schlusswort Eine gesunde Liebe zum Leben
Dank
Quellenverzeichnis
Bildnachweis
Als Biologe habe ich mich auf das menschliche Genom spezialisiert – das ist die genetische Information oder DNA, die wir alle in unseren Zellen tragen, sozusagen die individuelle Bedienungsanleitung unseres Körpers. Meine Mission besteht nicht nur darin zu lernen, wie dieser wunderbare, einstmals geheimnisvolle Code funktioniert und mit unserer Umwelt interagiert, sondern auch darin, seine Kraft dafür zu nutzen, Menschen ein längeres und jugendliches Leben zu bescheren. Dieser Forschungsbereich hat sich im Laufe meines Lebens enorm ausgeweitet, vor allem in den letzten zehn Jahren mit dem Aufkommen von ökonomischen DNA-Sequenzierungstechniken und Genbearbeitungsmethoden, die in den menschlichen Körper eingreifen und die Art und Weise verändern, wie wir gesundheitliche Probleme behandeln und verhindern. Wir befinden uns an der Schwelle zu einer völlig neuen Ära in der Medizin; täglich, manchmal sogar stündlich erscheinen Studien, die uns neue Erkenntnisse über den menschlichen Körper liefern und uns Hinweise geben, wie wir den Alterungsprozess verlangsamen können.
Eine der interessantesten Entdeckungen in jüngerer Zeit war ein faszinierender Prozess namens Autophagie. Obwohl wir Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten diese biologische Aktivität erforschen, wurde der Vorgang erst 2016 vollständig entschlüsselt und brachte dem japanischen Zellbiologen Yoshinori Ohsumi den Nobelpreis ein. Der Begriff »Autophagie« bedeutet wörtlich »sich selbst verzehren«, aber Sie werden in diesem Buch erfahren, dass das nicht so schlimm ist, wie es sich anhört. Autophagie ist schlicht und einfach die natürliche Methode des Körpers, seine Bestandteile zu recyceln und zu erneuern, um Krankheiten und Fehlfunktionen zu vermeiden. Der Prozess ist seit Jahrmilliarden im genetischen Code verankert, existierte also bereits lange vor uns Menschen. Wir würden alle gut daran tun, darauf zu achten, dass unsere Autophagie gut funktioniert, und ich kenne niemanden, der qualifizierter wäre, Ihnen diese wichtige Botschaft zu übermitteln, als James Clement. Auf den folgenden Seiten werden Sie alles erfahren, was Sie über Autophagie wissen müssen und darüber, wie Sie die Fähigkeit Ihres Körpers, seine Zellen bis hinein in die DNA zu reparieren, maximieren können.
Ich lernte James im Juni 2009 kennen, als ich ihm im Harvard Club in Boston sein Genom erklärte, und zwar im Rahmen von Knome, der ersten, damals gerade von mir mitbegründeten Direct-to-Consumer-Firma, die das gesamte Genom eines Menschen sequenzierte. Später stiftete er sein Genom dem Harvard Personal Genome Project (PGP), wo ich als Hauptforschungsleiter tätig bin. Ich initiierte das PGP 2005 mit dem Ziel, einen Fundus an menschlichen Genomen aufzubauen, der die Erforschung von individueller Genomik und personalisierter Medizin erlaubt. Wir möchten es Wissenschaftlern ermöglichen, humangenetische Informationen mit Informationen über menschliche Eigenschaften und Umwelteinflüsse zu koppeln. James war ein Befürworter der ersten Stunde und erst der zwölfte Mensch weltweit, der sein komplettes Genom sequenzieren ließ. Mir gefiel sein Antrieb, so viel wie irgend möglich über die Biologie des Menschen zu lernen und die Grenzen einer gesunden Lebensdauer nach hinten zu verschieben. Ich wusste, dass er früher einmal als Steueranwalt gearbeitet hatte und dann Besitzer einer Mikrobrauerei sowie Braumeister gewesen war, aber ich spürte, dass er im Bereich der biomedizinischen Forschung seine wahre Berufung gefunden hatte. Und ich unterstütze gerne die wissenschaftlichen Bestrebungen innovativer, kluger Menschen mit unterschiedlichstem Background und unerwarteter Expertise.
Im Jahr 2010 stellte James mir eine provokante Frage: Können wir unsere eigenen Stammzellen bearbeiten, um sie schrittweise zu verbessern, damit wir länger leben? Ich antwortete ihm, dass ich das für eine großartige Idee hielte, wir aber einfach nicht wüssten, welche Gene Menschen ein längeres, gesünderes Leben ermöglichen. Ein paar Monate später kam er mit einer Idee zu einer anderen interessanten Frage – an der ich mich einfach beteiligten musste: Was können wir von den kompletten Genomen von Menschen lernen, die über 100 Jahre alt und dabei noch ungewöhnlich gesund sind? Wir konzentrierten uns schließlich auf Menschen, die 106 Jahre und älter waren. Ich wurde das erste Mitglied des wissenschaftlichen Beirats seiner Supercentenarian Research Study, half ihm später dabei, weitere Beiratsmitglieder zu rekrutieren, war sein Mentor und leitete die kostenfreie komplette Genomsequenzierung der letzten 35 Proben von Veritas Genetics ein, einer Firma, die ich mitbegründet hatte. Von seiner Suche nach Antworten angetrieben, überredete James mich und seine Investoren im Anschluss, diese Genome für Forscher weltweit frei zugänglich zu machen. Zum jetzigen Zeitpunkt arbeitet er mit über einem Dutzend renommierter Institutionen zusammen, die ihre Daten austauschen, um wertvolle Erkenntnisse über gesundes Altern zu gewinnen. Aus diesem Projekt haben sich weitere entwickelt, an denen auch ich beteiligt bin, darunter Studien, die darauf abzielen, die gesunde Lebensdauer radikal zu verlängern, Krankheiten zu eliminieren, die kognitiven Fähigkeiten des Menschen und sein Wohlbefinden zu steigern, und die uns diejenigen biologischen Eigenschaften verbessern lassen, die uns wichtig sind.
Ich finde es bemerkenswert, dass James’ Mission darin besteht, Menschen darüber aufzuklären, wie sie lange und gut leben können, auch wenn sie in der Genlotterie nicht das große Los gezogen haben. Seit Jahren ermutige ich James, ein Buch über Autophagie für Laien und ihre Ärzte zu schreiben, damit sie gemeinsam über dieses Wissen diskutieren können. In diesem praktischen Buch teilt er nun seine Erkenntnisse darüber, wie man das Altern verlangsamen oder sogar rückgängig machen kann, indem man zwischen einer Aktivierung von Autophagie und mTOR hin- und herschaltet, zwei sehr wichtigen Zellprozessen, über die Sie hier mehr erfahren werden. Dies ist zurzeit der beste Anti-Aging-Schalter, den wir kennen, und er steckt bereits in Ihrem Körper. Erfahren Sie nun, wie man diesen Schalter anstellt – und wann man ihn ausgeschaltet lassen sollte. Die Strategien dafür sind einfach, leicht zugänglich und erschwinglich.
James ist einer der wenigen Forscher, die wie ich von der Dringlichkeit überzeugt sind, die Forschung möglichst schnell voranzutreiben und dadurch menschliches Leid zu verringern und es Menschen zu ermöglichen, jenseits der 100 in jugendlicher Gesundheit zu leben. Zwei Jahre nach dem Start der Supercentenarian Research Study, als er kurz vor seinem 60. Geburtstag stand, fragte mich James, ob er eine Auszeit nehmen solle, um in einem PhD-Programm seine Kenntnisse zu erweitern und zu einem besseren Wissenschaftler zu werden. Ich antwortete ihm, dass er doch bereits in einem Programm arbeite, wofür die meisten Doktoranden ihn beneiden würden, dass er pro Tag so viele Fachartikel lese wie nur irgend möglich und dass vor allem ein Doktortitel noch keinen Wissenschaftler mache. Er folgte meinem Rat, blieb bei seinen Recherchen und hat seine Anti-Aging-Forschung seitdem auf weitere Bereiche ausgedehnt. Er ist zudem Co-Autor einer stetig wachsenden Zahl an wissenschaftlichen Abhandlungen und hat meine Vorhersage bestätigt, dass aus ihm ein guter Wissenschaftler wird.
Ich glaube, dass dieses Buch komplexe Biologie verständlich und interessant macht. Sie werden mehr über sich selbst erfahren und hoffentlich genauso viel Gefallen an der Biologie finden wie James und ich. Autophagie ist einer der Gesundheitscodes des Körpers – und je besser wir ihre Kraft nutzen können, desto besser geht es uns.
George M. Church
Professor für Genetik, Harvard Medical School
»Die Tragödie des Lebens besteht darin, dass wir zu früh alt und zu spät weise werden.«
Benjamin Franklin
Vor ein paar Jahren gelang in der Medizin ein Durchbruch, der zwar in wissenschaftlichen Kreisen Aufsehen erregte, von der Allgemeinheit aber kaum zur Kenntnis genommen wurde. Woran denken Sie, wenn es um die »Geheimnisse« eines guten, langen Lebens geht? Ich wette, bei dieser Frage gehen Ihnen Dinge wie ein ausgeglichener Blutzuckerspiegel, ein gesundes Gewicht und körperliche Fitness durch den Kopf. Das sind natürlich alles erstrebenswerte Ziele, aber sie gehen am Kern vorbei – sie sind lediglich ein Mittel, um einen wesentlichen Anti-Aging-Prozess auszulösen: Autophagie. Bei diesem Prozess entfernt und recycelt der Körper gefährliche beschädigte Organellen[1] und Partikel sowie Krankheitserreger aus den Zellen, stärkt damit das Immunsystem und senkt das Risiko, an Krebs, Herzerkrankungen, chronischen Entzündungen, Osteoarthritis sowie psychischen und neurologischen Erkrankungen – von Depression bis Demenz – zu erkranken. Autophagie kann ausgelöst werden, wenn ein bestimmter chemischer Vorgang namens mTOR innerhalb unserer Zellen eingeschränkt wird. Ich nenne den mTOR-Komplex den »Gesundschalter«.
Unser Körper besteht aus Billionen von Zellen,[2] von denen die meisten ähnlich strukturiert sind und ähnliche Aufgaben erfüllen. Und nicht nur, dass die Zellen innerhalb des menschlichen Körpers einander ähneln, sie entsprechen auch denen sämtlicher Tiere auf unserem Planeten und sind in weiten Teilen vergleichbar mit den Bakterien, aus denen wir uns entwickelt haben. In Zellen finden ständig zahlreiche chemische Reaktionen statt, die nötig sind, um die Zelle – und dadurch den ganzen Menschen – gesund und am Leben zu erhalten. Diese chemischen Reaktionen stehen in wichtigen Beziehungen zueinander und sind oft durch verschiedene Wege miteinander verbunden – die Gesamtheit der chemischen Reaktionen innerhalb einer Zelle wird als der »Stoffwechsel« der Zelle bezeichnet. Der mTOR-Komplex ist ein solcher Weg, ein Vorgang, der in fast jeder Zelle stattfindet. Praktisch alle gesundheitsfördernden und lebensverlängernden Eingriffe, die wir kennen, wirken, weil sie diesen Vorgang unterdrücken können, also sozusagen den Schalter umlegen. In einem Großteil dieses Buchs geht es darum, wie diverse Maßnahmen oder Vorgänge (einige, von denen Sie vielleicht schon gehört haben, und andere, die Ihnen noch unbekannt sind) diesen wichtigen Schalter regulieren und dabei in Intervallen Autophagie auslösen.
Stellen Sie sich den Schalter als eine Art Dimmer vor: Wenn Sie ihn in eine Richtung drehen, wird es heller, wenn Sie ihn in die andere Richtung drehen, dunkler. Obwohl dieser biologische Schalter sich ständig zwischen Wachstum (mTOR) und Reparatur (Autophagie und manchmal längere Reparaturphasen) hin- und herbewegen sollte, dreht unser moderner Lebensstil ihn meist voll auf Wachstum und selten oder nie auf Reparatur. Im Wachstumsmodus bleibt diese zellulare Müllabfuhr aber stehen, und unsere Fähigkeit, biologischen Abfall – falsch gefaltete Proteine, Krankheitserreger und dysfunktionale Organellen – zu entsorgen, versagt. »Autophagie« bedeutet auf Griechisch »sich selbst aufessen« und bezeichnet die wirkungsvolle Selbstreinigung innerhalb der meisten Zellen. Informationen über dieses lebensnotwendige innere Zersetzungssystem werden seit Jahrzehnten dokumentiert, doch erst in den letzten Jahren haben Wissenschaftler herausgefunden, wie und warum es funktioniert. Die Aufdeckung der Mechanismen der Autophagie im menschlichen Körper brachte dem japanischen Zellbiologen Dr. Yoshinori Ohsumi vom Tokyo Institute of Technology 2016 den Nobelpreis für Medizin ein. Seine Forschung, die zeigte, wie Autophagie abläuft, hat zu einem neuen Paradigma in der Medizin geführt. Sie wird als die Entdeckung des 21. Jahrhunderts gefeiert.
Wenn Sie über 25 sind, habe ich schlechte Nachrichten für Sie: Ab 25 »altern« Sie. Streng genommen tun Sie dies natürlich schon seit Ihrer Geburt, aber zweieinhalb Jahrzehnte nach Ihrer Geburt hat Ihre biologische Entwicklung bei bestimmten Vorgängen einen anderen Gang eingelegt und Sie auf den absteigenden Teil Ihrer Lebenskurve gebracht. Die zellularen Prozesse haben sich verändert, die Wachstumshormone haben die Ebene gewechselt – Sie schießen schließlich nicht mehr in die Höhe oder verändern die Schuhgröße –, Ihr Stoffwechsel hat sich etwas verlangsamt, Ihr Gehirn ist nun fast vollständig entwickelt und Ihre Muskel- und Knochenmasse ist beim Maximum angekommen. Wenn Sie die erste Falte bemerken, nicht mehr ohne Weiteres die Nächte durchmachen können, fünf Kilo schwerer sind als in der Schule oder unerklärte Symptome wie Müdigkeit und Schlafstörungen haben, sind das nur äußerliche Hinweise auf eine Entwicklung, die bereits seit Langem in Ihrem Körper stattfindet. Diese Phänomene tauchen nicht über Nacht auf, auch wenn es oft so scheint.
Aus medizinischer Sicht leben wir in aufregenden Zeiten, dank der Geschwindigkeit, mit der Analyse- und Diagnosetechnologien unser Wissen über den menschlichen Körper erweitern. Die kruden und oft teuren chemischen, molekularen und optischen Mittel, die im 20. Jahrhundert zum Einsatz kamen, wurden im 21. Jahrhundert durch hochpräzise, erschwingliche ersetzt. Ich habe ein Labor voll mit Material und Geräten, die noch vor wenigen Jahrzehnten für Privatlabore undenkbar waren. Fundierte Studien auf den Gebieten der Biologie und Medizin nehmen exponentiell zu. Und wir steuern mit Hochgeschwindigkeit auf ein neues Zeitalter zu, in dem wir unsere Krankheitsrisiken und unsere Lebenserwartung kontrollieren können. Wissenschaftler haben enorme Erkenntnisse darüber gewonnen, was in unseren Zellen vor sich geht. Diese wichtigen neuen Informationen, die unseren Lebensstil und unsere gesundheitlichen Entscheidungen maßgeblich beeinflussen sollten, sind den Menschen, die Gesundheitspolitik machen, und den Ärzten, die uns behandeln, jedoch größtenteils völlig unbekannt. Aber wir brauchen dieses Wissen, um die richtigen Entscheidungen für unsere Gesundheit zu treffen. Denn obwohl wir nicht mehr wie im Jahr 1900 Gefahr laufen, an ansteckenden Krankheiten zu sterben, leiden wir zunehmend an einem Überkonsum der falschen Lebensmittel und einem Rückgang an gesundheitsfördernden Aktivitäten. Doch diese altersbedingten Beschwerden lassen sich größtenteils durch eine Veränderung von Ernährung und Lebensstil und die Einnahme revolutionärer Medikamente und bestimmter Nahrungsergänzungsmittel verhindern.
2019 veröffentlichte eine der renommiertesten medizinischen Fachzeitschriften, The Lancet, eine alarmierende Studie, die aufzeigte, dass einer von fünf Todesfällen weltweit heute allein auf eine ungesunde Ernährung zurückzuführen ist1. Dies liegt nicht daran, dass wir keinen Zugang zu gutem, nahrhaftem Essen haben. Vielmehr essen wir zu viel Zucker, Salz und Fleisch, die alle zu Herzerkrankungen, Krebs, Diabetes und Demenz beitragen – den Hauptkrankheiten unserer Zivilisation im 21. Jahrhundert. Elf Millionen Menschen weltweit sterben also jedes Jahr vorzeitig, weil sie sich nicht richtig ernähren. Falsche Ernährung tötet mehr Menschen als Rauchen oder Bluthochdruck. Die Studie berücksichtigte Alter, Geschlecht, Land und sozioökonomischen Status und kam zu dem Schluss, dass Menschen trotz dieser Faktoren von schlechten Essgewohnheiten betroffen sind. Ernährung ist in der Welt von heute also die Hauptursache für chronische Krankheiten – eine Schande, wenn man bedenkt, dass wir nicht mehr mühsam auf Nahrungssuche gehen müssen.
Diese Studie erschien kurz nach einer anderen Studie, bei der die Gillings School of Global Public Health der University of North Carolina at Chapel Hill federführend war. Sie stellte fest, wie viel Prozent der Amerikaner metabolisch gesund sind.2 Um als metabolisch gesund zu gelten, muss man bei fünf Parametern ohne Medikation Idealwerte erreichen: Blutzucker, Triglyzeride (Blutfette), High-Density-Lipoprotein-Cholesterin (HDL oder »gutes« Cholesterin), Blutdruck und Bauchumfang. Die Studie verwertete Daten aus dem National Health and Nutrition Examination Survey, einer Studie, die in den USA zwischen 2009 und 2016 mit 8721 Teilnehmern durchgeführt wurde. Ziel war es zu bestimmen, wie viele Erwachsene ein niedriges bzw. hohes Risiko haben, eine chronische Krankheit zu erleiden. Das Ergebnis, basierend auf einer komplizierten Berechnungsmethode, lautete: Nur 12,2 Prozent aller US-Amerikaner (einer von acht) befinden sich in einem Zustand optimaler metabolischer Gesundheit – eine weitere Schande, wenn man bedenkt, dass diese Faktoren kontrollierbar sind.
Und es sind nicht nur die falschen Lebensmittel, die uns umbringen, sondern auch die Portionsgrößen. Moderne Nahrungsmittel sind darauf ausgerichtet, Überkonsum zu fördern. Wir sind überfressen und unterernährt. Das Paradoxon der heutigen Zeit: Wir haben leichten Zugang zu einer großen Auswahl an nahrhaften natürlichen Lebensmitteln, und fortschrittliche Anbau- und Vertriebsmethoden erlauben es uns, das ganze Jahr über frisches Obst und Gemüse zu kaufen. Doch gleichzeitig wird unsere Ernährung ungesünder und in gefährlichem Maße kalorienreicher. Es schmerzt mich, wenn ich sehe, wie jemand einen Pfannkuchen, getränkt in Maissirup und mit Frühstücksspeck als Beilage, verzehrt, gefolgt von einer Pizza. Alles, was ich dann sehe, ist Diabetes als Hauptgang und eine Herzerkrankung zum Nachtisch. Wir verdienen etwas Besseres.
Hinzu kommt erschwerend, dass im Hinblick auf Ernährung eine große Verwirrung herrscht, die Menschen, die abnehmen und gesünder leben wollen, enorm verunsichert. Man nehme nur die Trends Low-Carb und Low-Fat oder vegane Ernährung und Carnivore-Diät als Beispiele. Wir werden von den Medien mit widersprüchlichen Botschaften sowie dubiosen Behauptungen der Lebensmittelindustrie bombardiert. Ich finde es erschütternd, wie polarisierend und politisch das Thema Ernährung geworden ist. Essen sollte ein Quell der Freude und des Lebens sein, nicht Angst und Krankheiten verursachen. Viel zu selten denken wir über den Zusammenhang nach zwischen dem, was wir essen, und dem Risiko, bestimmte Krankheiten zu erleiden. Wir wissen, dass Rauchen zu Lungenkrebs führen kann, aber inwiefern erhöht der exzessive Konsum von Softdrinks, Cheeseburgern oder Pommes die Wahrscheinlichkeit, Alzheimer, eine Herzerkrankung oder Darmkrebs zu bekommen? Die Verbindung ist in diesem Fall weit weniger offensichtlich.
Die moderne Lebensmittelindustrie und irreführende Werbung haben dazu beigetragen, uns zunehmend kränker zu machen. Aber ich habe gute Nachrichten für Sie: Wir können uns ändern.
Ich wuchs in den 1960er- und 70er-Jahren im Mittleren Westen der USA auf, ein typischer Naturwissenschaftsnerd mit Interesse vor allem an Weltraum und Gehirnforschung. Im College waren Politikwissenschaften und Psychologie mit Schwerpunkt Neurophysiologie meine Hauptfächer. In meinem zweiten Studienjahr arbeitete ich mit einem Neurophysiologen zusammen an einem Projekt, wodurch ich Co-Autor einer wissenschaftlichen Abhandlung wurde, die in der Zeitschrift Science erschien. Nach meinem Collegeabschluss jobbte ich ein Jahr lang aushilfsweise für den Senatspräsidenten von Missouri und ging dann wieder an die Uni, um Jura zu studieren. In meinem letzten Jahr am Hastings College of the Law der University of California in San Francisco las ich Durk Pearsons und Sandy Shaws Life Extension: A Scientific Practical Approach, was einen tiefen Eindruck bei mir hinterließ. Meine Frau, die damals auch Jura studierte, redete es mir aus, das Fach zu wechseln und Molekularbiologe zu werden, aber dieser Traum lebte die nächsten zwei Jahrzehnte in mir weiter. Nachdem ich jahrelang als Jurist gearbeitet und danach diverse Unternehmen gegründet und geführt hatte (darunter einen legendären Brauerei-Pub in der Nähe des Campus der Cornell University in Ithaca/ New York), kehrte ich zu meinem Traum zurück.
In den frühen 2000ern engagierte ich mich in der aufkommenden Life-Extension-Bewegung. Ich arbeitete ehrenamtlich für einige auf Langlebigkeit ausgerichtete Organisationen und leitete später die World Transhumanist Association, eine Organisation, deren Anliegen es ist, unsere biologischen Grenzen mithilfe von Technologie zu überwinden. Mit meinem guten Freund Dan Stoicescu gründete ich die Zeitschrift h+ Magazine, die wir ein paar Jahre lang mit R. U. Sirius als Herausgeber führten. Dr. Stoicescu hat in medizinischer Chemie promoviert und war der zweite Mensch auf der Welt, der die vollständige DNA-Sequenz seines eigenen genetischen Codes kaufte – zum damaligen stolzen Preis von 350 000 Dollar. Mit Dans Unterstützung verbrachte ich die Jahre 2008 und 2009 größtenteils damit, an Biotech- und Medizinkonferenzen teilzunehmen, Labore von Wissenschaftlern zu besuchen, die über Stammzellen, Klonen und Gentherapie forschten, und wissenschaftliche Abhandlungen aus unterschiedlichen Gebieten zu lesen, die mit Gesundheit und Langlebigkeit zu tun haben. Ich hatte Blut geleckt.
Im November 2009 nahm ich an der Singularity University am allerersten Programm für Führungskräfte teil. Die Singularity University ist eine futuristisch orientierte Unternehmensschmiede, die von Peter Diamandis und Ray Kurzweil gegründet wurde, um die Probleme der Welt durch sogenannte exponentielle Technologien zu lösen. Das sind Technologien, die sich sehr schnell verbreiten und Hauptindustriezweige sowie alle Bereiche unseres Lebens beeinflussen, darunter künstliche Intelligenz (KI), erweiterte und virtuelle Realität, Big-Data-Naturwissenschaften und -Medizin, Robotik und autonome Fahrzeuge. Diamandis und Kurzweil ermutigten ihre Studenten, sich für ein Projekt ihrer Wahl zu engagieren, das potenziell 109 (eine Milliarde) Menschen hilft. Ich beschloss an Ort und Stelle, mich in Zukunft mit ganzer Kraft dafür einzusetzen, die Lebenserwartung aller Menschen zu erhöhen.
Anfang 2010 initiierte ich die Supercentenarian Research Study, um herauszufinden, wie Menschen, die über 106 Jahre alt waren, lebensbedrohliche Krankheiten wie Krebs, Herzerkrankungen und neurodegenerative Erkrankungen vermieden hatten. Dabei konnte ich die Unterstützung von Spitzenwissenschaftlern gewinnen, darunter George Church von der Harvard Medical School und João Pedro de Magalháes von der University of Liverpool, die heute noch als wissenschaftliche Berater für mein gemeinnütziges medizinisches Forschungsunternehmen tätig sind. Im Laufe der folgenden Jahre reisten ein Kollege und ich durch Nordamerika und Europa und sammelten über 60 Blutproben von Menschen, die 106 Jahre oder älter waren.
Ab Dezember 2009 fing ich an, täglich fünf bis zehn wissenschaftliche Abhandlungen zur Biologie des Alterns zu lesen. Im Juni 2019 hatte ich bereits über 18 000 solcher Beiträge gelesen. 2013 beschloss ich, mich intensiver mit der Wissenschaft der Nahrungseinschränkung (Kalorien und Eiweiß), des Fastens (mit Unterbrechungen und länger anhaltend) und der ketogenen Diät (sehr wenig Kohlenhydrate) zu beschäftigen, da ich angefangen hatte, selber damit zu experimentieren. Dabei wollte ich Folgendes wissen: Was verursacht die positiven Effekte dieser Diäten? Und verbessern die drei Praktiken Gesundheit und Lebensdauer mit ähnlichen oder unterschiedlichen Mechanismen?
Das vorliegende Buch versucht, diese Fragen zu beantworten, denn nach der Lektüre von 500 wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Themenbereich wurde mir klar, dass der intrazellulare Komplex namens mTOR und der Prozess, der in Gang gesetzt wird, wenn mTOR heruntergefahren wird (Autophagie), die Schlüssel zu einem längeren und gesünderen Leben sein könnten. Ich fand heraus, dass das Drehen an diesem Stoffwechselregulator der Hauptgrund ist, warum Kalorienrestriktion, Intervallfasten und extreme Low-Carb-Diäten sich so positiv auf die Lebensdauer auswirken. Ich las weitere 500 Artikel, um zu versuchen, diese Hypothese zu widerlegen. Im Dezember 2013 präsentierte ich meine Erkenntnisse meinem Mentor Dr. George Church, Professor für Genetik an der Harvard Medical School, und Dr. David Sinclair, einem Freund und ebenfalls berühmten Professor an derselben Universität. Beide bestätigten, dass ich etwas Interessantem auf der Spur war, und rieten mir, meine Recherchen so weit wie möglich fortzusetzen. David ermutigte mich, dieses Buch zu schreiben und mein Wissen mit anderen Wissenschaftlern, Menschen in medizinischen Berufen und der Allgemeinheit zu teilen. Inzwischen schoss die Anzahl der Publikationen über mTOR und Autophagie explosionsartig in die Höhe, und ich war bald bis über beide Ohren mit Artikeln und Abhandlungen eingedeckt. Übrigens: Ich bin Teilnehmer Nr. 145 des Harvard Personal Genome Project, und meine PGP ID ist hu82E689. Wenn es Sie interessiert, können Sie mein komplettes Genom, meine Mutationen und Gesundheitsdaten unter my.pgp-hms.org/profile/hu82E689 herunterladen. Dass ich der zwölfte Mensch weltweit war, der Anfang 2010 sein ganzes Genom sequenzieren ließ, macht mich ein bisschen stolz.
Zurzeit leite ich eine gemeinnützige 501(c)(3)-[3]Organisation für medizinische Forschung namens Betterhumans (betterhumans.org), deren Ziel es ist, die gesunde Lebensdauer des Menschen zu verlängern und das Erkrankungsrisiko zu verringern. Außerdem bin ich der Hauptuntersuchungsbeauftragte mehrerer von Ethikkommissionen abgesegneter klinischer Studien am Menschen und betreibe ein eigenes Labor, in dem ein breites Spektrum an Anti-Aging-Experimenten und grundlegende Forschung durchgeführt werden. Seit ich mich ausschließlich der Erforschung der Lebensverlängerung widme, hat sich die Anzahl meiner Projekte drastisch erhöht, viele davon sind Kollaborationen mit einigen der weltweit angesehensten Wissenschaftlern in renommierten Laboren in Harvard, Yale, dem Scripps Research Institute, der UCLA, der University of New South Wales, dem Mount Sinai Hospital, Princeton und dem University of Texas Southwestern Medical Center.
Ich glaube fest daran, dass die aktuellen Erkenntnisse in der Medizinwissenschaft eine revolutionäre Lebensverlängerung mit sich bringen werden – ein gesundes Leben bis weit über 100 –, und ich möchte dazu beitragen, dass es so schnell wie möglich so weit ist, damit meine Eltern, beide Ende 80, meine älteren Freunde und sogar die wunderbaren und lebenslustigen Supercentenarians, also Menschen über 110 Jahre, die ich kennengelernt habe, die Chance haben, viel länger und dabei wirklich gesund zu leben – so gesund wie in ihren 30ern. Ich habe keinen Zweifel, dass dies die Gesellschaft verändern wird, und bin keineswegs wie manch anderer davon überzeugt, dass die Zukunft unserer Gesellschaft dystopisch und malthusianisch[4] sein wird.
Ich möchte aber auch die jüngeren Generationen erreichen. Wir wissen inzwischen, dass bereits Menschen in ihren 30ern oder 40ern Demenz, Krebs und Herzerkrankungen in einem Frühstadium entwickeln, auch wenn es manchmal noch Jahrzehnte dauert, bis sie oder ihre Ärzte dies erkennen. Mit der richtigen Lebensführung können Menschen, die jetzt in ihren 50ern sind, sich noch mit 70 oder 80 so fühlen, als hätten sie gerade erst ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel. Früher dachte man, dass nur etwa 65 bis 75 Prozent der Lebensdauer etwas mit der Lebensweise zu tun habe und der Rest genetisch bedingt sei. Laut neuerer Forschung liegt dieser Prozentsatz jedoch bei über 90 Prozent.3 Für die meisten Menschen (die nicht das Glück haben, die Gene von Supercentenarians geerbt zu haben) ist das eine gute Nachricht, weil es bedeutet, dass wir gesund sehr alt werden können, wenn wir nur zielstrebig und diszipliniert genug sind.
Weniger als 50 Prozent der Menschen, die heute in den USA leben, werden das durchschnittliche Lebensalter von 82 erreichen, und zwei Drittel davon werden an Krebs oder einer Herzerkrankung sterben, während viele der »glücklichen Hälfte« an Sarkopenie (Abbau von Muskelgewebe), Osteoporose (Abbau der Knochendichte), Bluthochdruck, Demenz, Parkinson oder Alzheimer erkranken werden. Krebs, Herzerkrankungen und Alzheimer sind in vielen weniger weit entwickelten Regionen der Welt und selbst in manchen Landesteilen von Industrienationen immer noch selten. In diesen »Oasen der Langlebigkeit« werden bis zu dreimal so viele Menschen 100 und älter und behalten dabei ihr Gedächtnis und ihre Gesundheit viel länger als der Rest. Ich betrachte es als meine Mission, Schluss zu machen mit dieser Diskrepanz und den Menschen, die an Zivilisationskrankheiten leiden, wieder Gesundheit und ein langes Leben zu bringen.
Derzeit laufen weltweit zahlreiche klinische Studien zu dem Thema, dem ich dieses Buch gewidmet habe: dazu, wie wir auch ohne Langlebigkeitsgene durch die Kraft der Autophagie unser Leben verlängern können – ein Prozess, der in Ihrem Körper täglich ablaufen sollte, aber wahrscheinlich ausgeschaltet und seit Jahren nicht mehr aktiviert wurde. Ich werde Ihnen zeigen, wie Sie ihn wieder einschalten können.
In diesem Buch werde ich erklären, wie eine Forschungsreise von Wissenschaftlern der kanadischen McGill University auf die entlegenen Osterinseln in den 1970er-Jahren die ursprünglichen Hinweise auf diesen wichtigen zellularen Schalter lieferte. Ich werde zeigen, wie wissenschaftliche Experimente mit Hefe, Würmern und Fruchtfliegen bewiesen haben, dass Autophagie ein wesentlicher Faktor bei den positiven Auswirkungen im Bereich Gesundheit und Langlebigkeit ist, die sich aus Kalorienrestriktion, Intervallfasten und Sport ergeben. Sie werden erfahren, wie genetisch modifizierte Mäusestämme und Menschen mit seltenen mutierten Genen aufgrund ebendieses Selbstreinigungsschalters vor Krebs, Herzerkrankungen, Diabetes und neurologischen Erkrankungen geschützt sind. Ich werde auch erklären, warum die Ernährungswissenschaften diese wichtigen Daten bisher ignoriert haben und warum Kommerz und Politik weiterhin im Schulterschluss Ernährungsweisen empfehlen, die nicht unserer Gesundheit dienen. Sogar die beliebte Paleo-Diät[5] oder eine vegane Ernährungsweise sind aus Gründen, auf die ich noch näher eingehen werde, problematisch. Jedes Kapitel dieser hoffentlich spannenden Entdeckungsreise behandelt einen wichtigen Aspekt dieses biologischen Phänomens.
Am Ende des Buchs bündele ich alle zuvor dargelegten Ideen zu einem praktisch anwendbaren Aktionsplan. Es wird Phasen geben, in denen in Ihrem Körper keine auf Hochtouren laufende Autophagie stattfinden sollte, und ich werde erkläre, warum. Alle Strategien dienen lediglich dazu, den natürlichen Prozess nachzuahmen, den Lebewesen (darunter Menschen) durchlaufen, wenn sie in einer natürlichen Umgebung leben. Unsere modernen Anbaumethoden und Lebensmittelkonservierungstechnologien haben paradoxerweise zu einer beschleunigten Alterung geführt, was daran liegt, dass uns unbegrenzte Mengen an leicht verdaulicher Nahrung zur Verfügung stehen, vor allem Zucker, darunter Maissirup mit hohem Fruktosegehalt, einfache Kohlenhydrate, Fleisch von mit Getreide gefütterten Tieren (voller falscher Fette) und viele Milchprodukte (voller Proteine, die den Schalter in die falsche Richtung gedreht halten). Hinzu kommt der erhebliche Mangel an Ballaststoffen in unserer Ernährung, der die Gesundheit unseres Verdauungssystems und unserer mikrobiellen Freunde, kollektiv als Mikrobiom bezeichnet, beeinflusst. Unser Darm spielt beim Stoffwechsel und beim Erkrankungsrisiko eine enorme, lange unterbewertete Rolle. Die Informationen in diesem Buch sollen dazu beitragen, diesen beschleunigten Alterungsprozess rückgängig zu machen und uns wieder zurück auf einen natürlicheren Weg der Ernährung und Bewegung zu führen, der den Schalter zwischen mTOR und Autophagie im Gleichgewicht hält und die altersbedingten Krankheiten verhindert, die vor Jahrhunderten selten waren und heute weit verbreitet sind.
Obwohl es auf diesem neuen Gebiet noch viel zu erforschen gibt, vor allem im Bereich der Stimulierung und Optimierung dieser zellularen Aktivität, lautet die gute Nachricht, dass Sie ab sofort bereits von dem, was wir bisher entdeckt haben, profitieren können. In diesem Buch erhalten Sie Empfehlungen dazu, was Sie im Hinblick auf Ihre Ernährung, die Einnahme von Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln sowie Ihre allgemeine Lebensweise tun und nicht tun sollten. Einige der Empfehlungen werden Sie überraschen. Oder wussten Sie, dass winzige Mengen gewisser Giftstoffe gut für Sie sein können und dass eine bestimmte Nuss ein besonderes Lob verdient? Oder dass populäre Versionen der Paleo-Diät, die heutzutage im Trend liegen, zu einem hohen Blutzuckerspiegel, Gewichtszunahme, Knochenabbau, Nierenproblemen und Tumoren führen können?
Wie viele andere Forscher auf diesem Gebiet bin auch ich der Überzeugung, dass die Entdeckung der Mechanismen, die den Schalter kontrollieren, zu den wichtigsten Entdeckungen der modernen Medizin gehört. Die Anwendung dieser Erkenntnisse auf unsere täglichen Lebensgewohnheiten kann Menschen ohne die einschränkenden und kostspieligen Auswirkungen von lebensstilbedingten Krankheiten altern lassen. Ich hoffe, dass eine Beleuchtung dieses wenig bekannten Prozesses auch Ärzte dazu ermutigen wird, ihre Patienten entsprechend zu informieren und zu beraten. Und ich hoffe, dass sich in Zukunft noch mehr Wissenschaftler damit auseinandersetzen werden und dadurch mehr private und staatliche Gelder für weitere Forschung zur Verfügung gestellt werden.
Das Konzept des Schalters kam mir zum ersten Mal in den Sinn, als ich einen Aufsatz von Professor Stephen Spindler von der University of California, Riverside, darüber las, wie Kalorienrestriktion (KR) bei Mäusen Krebs verhinderte.1 Es war wahrscheinlich die 500. Abhandlung, die ich 2013 über KR, Fasten, Ketose und Langlebigkeit las, da mich die Frage nicht mehr losließ, wie ich meinen Eltern helfen konnte, über 100 Jahre alt zu werden, ohne an den Zivilisationsplagen Diabetes, Herzerkrankungen und Demenz zu leiden. Ich stieß auf die üblichen Ratschläge: industriell verarbeitete Nahrungsmittel meiden, besonders die mit viel Zucker, Fett und Salz, körperlich aktiv sein, gut schlafen, nicht rauchen und nicht zu viel Alkohol trinken. Aber in diesem ganzen wissenschaftlichen Material fand ich auch Informationen, die mir völlig neu und die sowohl unstrittig als auch überwältigend waren. Ob Sie es glauben oder nicht: Es gibt solide Beweise dafür, dass manche Nüsse gesünder sind als andere, dass zu viel Eiweiß schädlich sein kann und bestimmte tierische Proteine viel schlimmer sind als andere, dass es keineswegs ideal ist, im Laufe des Tages mehrere kleine Mahlzeiten zu sich zu nehmen, dass bestimmte Vitamine wie zum Beispiel Vitamin E das Krebsrisiko erhöhen können und dass das gelegentliche Rauchen einer Zigarre möglicherweise sogar dazu beiträgt, Ihr Leben zu verlängern!
Solche Daten regten mich dazu an, noch tiefer einzusteigen, um die Abläufe in unserem Körper – vor allem die Möglichkeiten, in zellularer Hinsicht jung zu bleiben – noch besser zu verstehen. Und eines Tages fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Alle Recherchen, die ich persönlich gemacht, und all die vielen Abhandlungen, die ich gelesen hatte, lieferten eindeutige Hinweise für den Schalter, einen einzelnen Mechanismus im Körper, der einen bestimmten Prozess ankurbelt, während er einen anderen herunterfährt – und umgekehrt. Technisch gesehen ist der Schalter ein Proteinkomplex namens mTOR. Die Abkürzung steht für mechanistic (ehemals mammalian) Target Of Rapamycin, auf Deutsch: mechanistisches Ziel von Rapamycin. Wie bereits erwähnt, ist mTOR ein Schalter, den mit Ausnahme von Blutzellen fast jede Zelle besitzt. Er aktiviert entweder den Selbstreinigungsmodus der Zelle (Autophagie), befreit den Körper von Giftstoffen, bekämpft Tumore und verbrennt Fett – oder er erlaubt es dem Körper, mehr Eiweiß zu produzieren, so viel Energie (Glukose und Fett) wie möglich einzulagern und mehr Zellen auszubilden. Manchmal möchte man zwar durchaus mehr Eiweiß produzieren, mehr Fett einlagern und mehr Zellen ausbilden – siehe Kapitel 9 –, aber nicht, indem man gleichzeitig die Zellreparatur und -selbstreinigung auf Dauer einstellt. Diese anabolen Prozesse können krank machen, wenn man sie auf ein extremes Maß hochschraubt, wie bei unserer modernen Lebensweise üblich.
Das R in mTOR steht für Rapamycin, eine Substanz, die von einem Bakterium produziert wird. Um mTOR besser zu verstehen und das Konzept eines zellularen Schalters in einen größeren Zusammenhang zu setzen, wollen wir nun eine kleine Reise in die Vergangenheit machen. Diese Geschichte beginnt mit einer wichtigen Erfindung: dem Elektronenmikroskop.
Die Entwicklung des Elektronenmikroskops Anfang des 20. Jahrhunderts führte zu zahlreichen Paradigmenwechseln in der Medizin. Die Grundvoraussetzung dafür war die Herstellung von elektromagnetischen Linsen, die Elektronenstrahlen bündeln und ausrichten, deren Wellenlänge nur ein Hunderttausendstel der Wellenlänge von Licht beträgt. Mit solchen Linsen können Elektronenmikroskope eine bis zu zehnmillionenfache Vergrößerung erreichen. Mit ihnen können wir Dinge sehen, die unter einem normalen Mikroskop unsichtbar bleiben, zum Beispiel Bakterien, Viren und winzige Zellteile. 1955 entdeckten Christian de Duve, Wissenschaftler an der Katholischen Universität Leuven in Belgien, und Alex Novikoff vom College of Medicine an der University of Vermont mithilfe eines Elektronenmikroskops zum ersten Mal membranartige Barrieren in Zellen, die Substanzen ablösen und verdauen. Duve nannte diese Organellen »Lysosome« (was so viel wie »Körper lösen« bedeutet), um ihre Verdauungseigenschaften zu beschreiben, und bekam dafür 1974 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.
1961 setzten Dr. Keith Porter, ein Pionier der Elektronenmikroskopie am Rockefeller Institute in New York, und sein Postdoktorand Thomas Ashford ein Elektronenmikroskop ein, um die Leberzellen von Ratten zu untersuchen, die von Glukagon überschwemmt waren. Glukagon ist ein von der Bauchspeicheldrüse produziertes Hormon, das unter anderem bewirkt, dass Glukose von der Leber produziert und in den Blutkreislauf entlassen wird. Porter und Ashford gelten als die ersten Wissenschaftler, die Autophagie entdeckten, obwohl es noch Jahrzehnte dauern würde, bis man diesen Vorgang verstand.
Sobald eine bestimmte Glukosekonzentration im Blut erreicht ist, alarmiert Insulin, das ja ebenfalls von der Bauchspeicheldrüse produziert wird, die Zellen, die von Insulin abhängig sind, sodass diese die Glukose aufnehmen und als Treibstoff verbrennen können. Dieser Vorgang findet in den Mitochondrien der Zellen statt. Wie ich später noch genauer erklären werde, sind Mitochondrien wichtige intrazellulare Organellen, die Energie produzieren. Insulin und Glukagon sind eng miteinander verbunden, operieren aber meist an den entgegengesetzten Enden eines Spektrums. Dabei entscheidet der Blutzuckerspiegel, welches Hormon ausgeschüttet wird: Ist er zu niedrig, wird Glukagon ausgeschüttet, um die Produktion von Glukose anzuregen; ist er hoch, wird Insulin ausgeschüttet.
Mithilfe eines Elektronenmikroskops konnten Ashford und Porter bestimmte Membrane in den Zellen beobachten, die sich in verschiedenen Stufen der Auflösung befanden. Sie stellten außerdem fest, dass in der medizinischen Fachliteratur jüngst dokumentiert worden war, dass Glukagon auf dieselbe Art und Weise Proteine zersetzt. Duve hatte gelesen, dass deutsche Wissenschaftler in den Zellen kleine, spezialisierte, Membran abbauende Strukturen namens Organellen beobachtet hatten, nachdem Zellen verletzt oder ausgehungert waren. Im folgenden Jahr prägte er den Begriff »Autophagie«, um den Prozess zu beschreiben, bei dem Membrane erzeugt, Stoffe abgespalten und verdaut werden.
Erst ein Jahrzehnt später rückte jedoch einer der zellularen Hauptmechanismen ins Blickfeld, der Autophagie abstellt – mTOR. Und zwar durch eine andere Entdeckung, die zufällig im Erdreich einer nur 22 Kilometer langen und 11 Kilometer breiten, weit entlegenen Insel gemacht wurde.
Die Osterinsel ist eine kleine Insel vulkanischen Ursprungs im südöstlichen Pazifik, die ursprünglich im ersten Jahrtausend nach Christus von Polynesiern besiedelt wurde und von den Einheimischen Rapa Nui (»Nabel der Welt«) genannt wird. Sie liegt über 3200 Kilometer von der Küste Südamerikas und über 1770 Kilometer vom nächsten polynesischen Nachbarn, der Insel Pitcairn, wo sich im 19. Jahrhundert Meuterer des berühmten britischen Segelschiffs Bounty versteckten, entfernt. Einst belief sich die Zahl der Ureinwohner auf 15 000, aber als der holländische Entdecker Jacob Rogeveen am Ostersonntag 1722 auf die Insel stieß, lebten dort nur noch ein paar Tausend Polynesier. Er nannte die Insel nach dem Datum Osterinsel. Heute ist sie ein Weltkulturerbe und gehört zu Chile. Berühmt ist sie für ihre archäologischen Stätten, darunter fast 900 monumentale Statuen namens moai, die zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert von den Einheimischen geschaffen wurden.
1972 entnahmen kanadische Wissenschaftler der McGill University auf der Osterinsel Bodenproben und entdeckten darin Streptomyces hygroscopicus2