cover

Leo Wolff

VON WARMDUSCHERN, KETTENRETOURNIERERN UND GIFTZWERGEN

Typisch deutsche Wörter im Schnellcheck

images

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

info@rivaverlag.de

Originalausgabe

1. Auflage 2020

© 2020 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Susann Harring

Umschlaggestaltung: Karina Braun

Umschlagabbildung: Picsfive/Shutterstock.com

Satz: Helmut Schaffer, Hofheim a. Ts.

Druck: CPI books GmbH, Leck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-7423-1355-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-1049-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-1050-4

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter:

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

INHALT

Vorwort

Kapitel 1: 12 Wörter, die es nur im Deutschen gibt

Kapitel 2: Am besten kein Blatt vor den Mund nehmen

Kapitel 3: Was wir so täglich daherreden

Kapitel 4: Wörter von gestern

Kapitel 5: Alleinstellungsmerkmal: Nur im Deutschen

Kapitel 6: Deutsche Typen

Kapitel 7: Typisch deutsch

Kapitel 8: Wortexport

Kapitel 9: Die schönsten deutschen Wörter in anderen Sprachen

Kapitel 10: Schimpfwörter vom Feinsten

Kapitel 11: Wörter wie Bilder

Kapitel 12: Appetitwörter

Über den Autor

Leo Wolff arbeitet als Autor und Übersetzer in München. Er hat verschiedene Artikel und Bücher zu Sprachthemen veröffentlicht. Als er wieder einmal über einem Text saß und sich den Kopf darüber zerbrach, wie sich das Wort Kettenretournierer am elegantesten ins Englische übersetzen ließe, war die Idee zu diesem Buch geboren.

VORWORT

Das Deutsche ist voll von Wörtern, die uns Muttersprachlern in der Regel nicht weiter auffallen, die aber einen besonderen Reiz und Reichtum des Deutschen ausmachen.

Da ist vor allem die Fülle von besonders bildhaften Wörtern wie Kopfkino, Schlappschwanz, ätzend, durchhecheln, abspecken, Querdenker, Warmduscher, bei denen wir sofort ein ganz anschauliches, ganz konkretes Bild vor Augen haben. Oftmals sind diese Wortbilder schon in sich ganz witzig, wenn man nur mal eine Sekunde darüber nachdenkt (Schlappschwanz). Manchmal sind sie ein bisschen schräg und ironisch (Warmduscher, Querdenker). Überraschend oft stammen sie aus Zusammenhängen, die man auf den ersten Blick gar nicht vermutet (abspecken). Das zu erklären und solche Wortgeschichten zu erzählen war einer der Hauptgründe für die Entstehung dieses Buchs.

Außerdem enthält diese Sammlung eine ganze Reihe von Wörtern, die ebenfalls sehr bildhaft sind, vor allem aber charakteristisch für das Deutsche. Sie sind sozusagen einmalig, will heißen, sie kommen auch im Kontext der indoeuropäischen Sprachfamilie so nur im Deutschen vor. Sie lassen sich also nicht eins zu eins in eine andere europäische Sprache übersetzen. Die Übersetzung von »Tisch« ins Englische bereitet wenig Probleme: table. Ist ein Schreibtisch gemeint, würde man desk wählen. Handelt es sich ausnahmsweise um einen Arbeitstisch, eine Werkbank, käme vielleicht noch bench infrage. Aber das war’s mit den Varianten. Ende der Durchsage aus dem Wörterbuch. Aber ein für uns unauffälliges und gleichzeitig wunderbar bildhaftes Wort wie »anecken« stellt für Übersetzer eine echte Herausforderung dar. Dafür gibt es nichts halbwegs Adäquates im Englischen und Französischen, das auf Anhieb passen würde. In dem Fall muss man entlang von Synonymen übersetzen und das Passendste herausfinden. Solche schwer übersetzbaren Wörter erkennt man leicht, wenn man im Wörterbuch statt ein oder zwei Varianten ganze Listen von Vorschlägen findet.

Ähnlich »Erklärungsnot«: Das ist ein schön kompakter, für uns Muttersprachler ebenfalls sehr anschaulicher Begriff, auch wenn es kein Gegenstand in der Dingwelt ist. In anderen Sprachen gibt es natürlich auch Erklärungsnöte, aber sie haben kein solches Wort und behelfen sich mit Umschreibungen. Dann gibt es noch eine Reihe recht urwüchsiger Wörter, die für das Deutsche sehr charakteristisch sind und auch kein echtes Pendant in anderen Sprachen haben.

Sie alle sind das Salz in der deutschen Sprachsuppe.

Hinzu kommt noch eine stattliche Anzahl von Wörtern, die in ihrer deutschen Originalform Eingang in andere Weltsprachen gefunden haben. Ein berühmtes Beispiel ist »Kindergarten«. Der Grund für eine solche Übernahme liegt meist darin, dass eine Sache in einem Land erfunden wird und dann mitsamt dem Begriff in die anderen Länder und andere Sprachen übernommen wird. So war es mit der Oper (italienisch: opera), mit der Artillerie (französisch: artillerie), mit Schokolade (Nahuatl: chokolatl); so war es mit Computer und Marketing. Wer eine Sache erfindet, gibt ihr den Namen, der oft über Sprachgrenzen hinweg beibehalten wird. »Kindergarten« evoziert ein ganz bestimmtes, ganz konkretes Bild, auch wenn heutzutage nicht alle Kindergärten einen Garten haben. Der Kindergarten ist eine deutsche Erfindung (um 1840). So etwas gab es woanders nicht. Dementsprechend gab es in anderen Sprachen auch kein Wort dafür. Mittlerweile ist »Kindergarten« ein Weltbegriff. Das Wort ist eben klar und griffig. Hätte Fröbel seine Einrichtung »Minderjährigenaufbewahrungsanstalt« genannt, wäre es mit dem Weltwort vermutlich nichts geworden. (Solche Wortungetüme kommen in der Amtssprache, der hässlichsten Variante des Deutschen, leider häufig vor.)

Es geht mir mitnichten darum, im Sinne eines »Deutschsprach, Deutschsprach über alles« unsere Sprache zu bejubeln, ihr irgendeinen Vorrang vor anderen zuzusprechen oder sprachreinigenden Tendenzen Vorschub zu leisten. Dazu kenne ich als Übersetzer die anderen Sprachen und deren Vorzüge zur Genüge und weiß sie sehr zu schätzen. Ich singe auch nicht im Chor der selbst ernannten Sprachreiniger mit, die sich gegen die angebliche »Überfremdung« des Deutschen durch das moderne Angloamerikanisch meinen wehren zu müssen. Wer sich ernsthaft mit der Sprachgeschichte des Deutschen beschäftigt, weiß, dass das Deutsche beispielsweise zur Goethezeit noch viel stärker »überfremdet« war als heute. Allerdings nicht vom Englischen, das damals als »Weltsprache« noch gar keine Rolle spielte, sondern vom Französischen und vom Gelehrten- und Juristenlatein.

Auch das Englische und das Französische haben eine ganze Reihe unübersetzbarer Begriffe wie sophisticated, serendipity oder élégance. Oder so etwas Treffendes und Kompaktes wie downtown oder cliffhanger oder mondain.

Oder ganz moderne Begriffe. Wohin kämen wir heutzutage schon ohne eine Computer-mouse. Von einer switcherbox sind wir aber zum Glück verschont geblieben.

Unsere Wörter sagen auch viel über die Deutschen selbst aus, also über das, was man als »typisch deutsch« bezeichnen könnte. Hier gibt es eine große Palette, die vom Dünnbrettbohrer über die Ewiggestrigen, den Saubermann und den Witzbold bis hin zu anbiedern, bierernst, bodenständig, tüchtig, piesacken und meckern reicht. Diese und viele andere sind durchaus einer eingehenden Betrachtung wert.

Mein ganz herzlicher Dank geht an Justin Firrell für seine große Hilfe bei der Durchsicht der im Text vorkommenden englischsprachigen Wörter.

Leo Wolff

KAPITEL 1

12 WÖRTER, DIE ES NUR IM DEUTSCHEN GIBT

In keiner anderen Sprache kann man sich etwas unter »Eiertanz« vorstellen, nirgendwo sonst ist von »anbiedern« die Rede, und weder in England noch in Frankreich oder Spanien wäre man je auf die Idee gekommen, unser allerwertestes Körperteil als »Sitzfleisch« zu bezeichnen. Solche Wörter finden sich nur im Deutschen. Auch wenn die Bezeichnung »originell« nicht mehr besonders originell ist: Diese Wörter sind echte Originale.

ABENDBROT

images

Alle auswärtigen Muttersprachler versichern, dass es in ihrem Land ein Wort wie »Abendbrot« nicht gibt. Allerdings kennen diese Kulturen ein Abendessen. Es wäre vielleicht einmal eine soziologische Untersuchung wert, inwieweit der deutsche Abendessensklassiker der Zeit vor 1968 – das einfache Wurst-/Schinken-/Käsebrot mit Radieschen oder Gürkchen – heute noch zum gelebten Alltag in Deutschland zählt. Vermutlich wäre Abendbrot heute nicht mehr begriffsprägend.

Noch im Mittelalter gab es zum »Abendbrot« das Pendant »Morgenbrot«. Dazu mehr unter dem Stichwort → Frühstück (S. 226).

ANBIEDERN

images

Als Goethe noch ein jüngerer Mann war, in der Aufklärungszeit, war die Bedeutung von »bieder« noch ganz positiv gemeint: Der »biedere Mann« war damals der »brave, arbeitsame Bürger«, im Gegensatz zum verlotterten, müßiggängerischen Adel. »Bieder« ist wortverwandt mit »dürfen«, und die ursprüngliche Bedeutung ist wohl »bedürfnislos, anspruchslos, auch: unbescholten«. Bei den damaligen Literaten wie Lessing, Klopstock, Bürger kommt das Wort in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stärker in Gebrauch, wird fast eine Art Modewort. Von diesem Verständnis ausgehend dauerte es nicht lange, bis noch vor 1800 aus diesem braven, unbescholtenen, eben dem biederen Mann der »Biedermann« als Synonym für den kleinbürgerlichen Spießer wird.

Ebenfalls um 1800 kommt anbiedern im Sinne vom »plumpe Anmache« auf.

Nach dem Biedermann ist eine ganze Kulturepoche benannt, die Biedermeierzeit als Inbegriff einer sehr bürgerlich-häuslichen Epoche mit Biedermeiermöbeln, Biedermeiermode und viel Hausmusik. Carl Spitzweg hat uns mit seinen Bildern ein überpointiert-ironisches Bild dieser Zeit in Deutschland, der Schweiz und dem Metternich-Österreich vermittelt. In allen anderen Ländern Europas gab es keine »Biedermeierzeit«.

Allein deswegen gibt es keine analoge Begriffsbildung in anderen Sprachen. Im Englischen umschreibt man den Vorgang des Anbiederns mit to make advances (»einen Vorstoß machen«) oder umgangssprachlich to get buddy-buddy. Franzosen kennen so etwas wie anbiedern natürlich gar nicht. Sie formulieren allenfalls reichlich umständlich essayer de se faire bien voir de qn (»versuchen, bei jemandem in gutem Licht dazustehen«), oder sie sagen: »Flatteur!« (Schmeichler)

EIERTANZ

images

»Künstlich abgemessen schritt sie nunmehr auf dem Teppich hin und her und legte in gewissen Maßen die Eier auseinander, [...] sie verband sich die Augen, gab das Zeichen und fing zugleich mit der Musik, wie ein aufgezogenes Räderwerk, ihre Bewegungen an, indem sie Takt und Melodie mit dem Schlag der Kastagnetten begleitete.

Behende, leicht, rasch, genau führte sie den Tanz. Sie trat so scharf und so sicher zwischen die Eier hinein, bei den Eiern nieder, daß man jeden Augenblick dachte, sie müsse eins zertreten oder bei schnellen Wendungen das andre fortschleudern. Mitnichten! Sie berührte keines, ob sie gleich mit allen Arten von Schritten, engen und weiten, ja sogar mit Sprüngen und zuletzt halb knieend sich durch die Reihen durchwand.«

Mit diesen Worten beschreibt Goethe in seinem Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre den von Mignon aufgeführten, offenbar sehr akrobatischen Eiertanz. Dies ist die erste und einzige Erwähnung einer derartigen Darbietung in der Literatur. Das akrobatische Kunststückchen scheint sich seit der Spätrenaissance vor allem in den damaligen Niederlanden einer gewissen Beliebtheit erfreut zu haben. Jedenfalls gibt es davon bildliche Darstellungen aus jener Zeit. Aber davon abgesehen existiert die Erinnerung daran nur noch in der Redewendung »einen Eiertanz aufführen« oder »herumeiern«.

GUMMIBÄR

images

Die 1922 von Hans Riegel in Bonn (= Haribo) erfundenen Glukosesirup-Gelatine-Farb-und-Geschmacksstoff-Mischungen in Bärchenform werden seit 1960 Goldbären genannt. Wie alles, was verbal vergoldet ist (Goldmedaille, Goldene Schallplatte, goldrichtig, Morgenstund’, Schweigen), klingt das natürlich besser als Gummibär. (Ursprünglich war Gummi arabicum tatsächlich einer der Bestandteile der Bären.) Im Englischen würde man hauptsächlich jelly bears oder in direkter Anlehnung an das deutsche Produktvorbild gummi bears sagen. Das französische ourson en gomme gelifiée klingt dagegen wie ein Produkt von Michelin.

Da Haribo inzwischen weltweit agiert, dürfte Gummibär(chen) demnächst in die Liga der Weltwörter aus dem Deutschen aufrücken.

HIMMELFAHRTSKOMMANDO

images

Der entsprechende Ausdruck im Englischen lautet schlicht suicide mission (Selbstmordkommando), aus dem Japanischen ist noch Kamikaze bekannt (wörtlich: göttlicher Wind – dieser Wind bezieht sich allerdings auf zwei Taifune, welche in der Tat zwei Versuche der Mongolen, Japan im 13. Jahrhundert zu erobern, scheitern ließen, indem sie die mongolische Armada vernichteten). Der Begriff bezeichnet eine Spezialtruppe der japanischen Marine während des Zweiten Weltkriegs, deren junge Piloten wie bei Selbstmordanschlägen bewusst in den Tod flogen, um den amerikanischen Schlachtschiffen größtmöglichen Schaden zuzufügen und damit, wie einst die Taifune, eine Invasion zu verhindern.

Ein Himmelfahrtskommando muss für die freiwillig Teilnehmenden aber nicht notgedrungen tödlich enden, auch wenn das Risiko sehr hoch ist, denn sie sind meist die ersten Angreifer an der vordersten Front. Nur im Deutschen wird der Begriff mit »Himmelfahrt« gebildet.

(KOMISCHER) KAUZ

images

Das Wort »Kauz« (für Eulenvögel – Strigidae) ist eine Besonderheit des Deutschen und kommt in keiner anderen Sprache vor. Dort gibt es nur die Eulenwörter owl (engl.), chivette (franz.), civetta (ital.) etc. Die nächtlichen Jäger leben tagsüber zurückgezogen, weil ihre Augen sehr lichtempfindlich sind, und sie bewegen sich tagsüber auch eher unsicher. So wie die »komischen Käuze«, die etwas sonderbaren, in sich gekehrten Menschen, die in Gesellschaft leicht unbeholfen wirken. »Kauz« ist im Spätmittelalter aus dem mittlerweile untergegangenen Wort kuze (Schreihals) entstanden und wird schon seit der Lutherzeit auf die belächelten Sonderlinge übertragen. Jahrhundertelang, bis in die Goethezeit, war der damals keineswegs seltene Typus des weltabgewandten Stubengelehrten, der vor allem in seiner Bücherwelt lebte, der Leittypus für den komischen Kauz. Der Computernerd ist sozusagen der Nachfolger.

KOPFKINO

images

… ist ein Musterbeispiel für ein besonders anschauliches modernes Wort.

Unsere Übersetzungsvorschläge fürs Englische wären: mind game, crazy, to picture something, allerdings nicht mental cinema. Darunter könnten sich Angelsachsen nur mit Mühe etwas vorstellen. Im Französischen wäre an imagination zu denken, und in den romanischen Sprachen generell an irgendwas mit »Projektion«.

LECKERBISSEN

images

Dieses Wort kann man sich nicht in direkter Übersetzung in eine andere Sprache vorstellen. Dazu ist es in seiner Bildlichkeit einfach zu konkret. So begnügt sich das Französische mit délice, was wir als »delikat« ebenfalls kennen. Im Französischen gibt es übrigens nur délices, aber keine »Delikatessen« – das ist so wenig ein französisches Wort wie Petitessen oder Friseur. Auch die Engländer, die größten Erben des Französischen, sprechen von delicacy, ferner von goody oder treat. Verglichen mit »Leckerbissen« erscheint uns goody ziemlich simpel (vielleicht etwas für den Hund?), und ein treat hat etwas von einer (guten) Behandlung oder einer netten Belohnung. Die Amerikaner wiederum haben über das Jiddische das Wort »Delicatessen« (kurz Deli) als Bezeichnung für Feinkostläden übernommen, die im Französischen wiederum traiteur genannt werden. Französische délicatesse ist ausschließlich das Feingefühl im Umgang mit Menschen oder die zarte Beschaffenheit eines Stoffes o. Ä. Es ist jedenfalls nichts zum Essen. Bei der Vorstellung von »Delikatessgurken« und »Delikatesshering« würde sich den Franzosen der Magen umdrehen.

Das deutsche Wort »lecker« ist wortverwandt mit »lecken, schlecken«, engl. to lick, und in der weiteren Wortverwandtschaft auch mit »lechzen« und »Leck«, also mit allem, was tropft – wobei einem bei einem Leckerbissen das Wasser im Munde zusammenlaufen sollte. Als zusammengesetztes Wort haben wir ferner noch das Leckermaul.

MUMPITZ

images

Das Englische hat auch kuriose Wörter für »Unsinn, Schwindel, Quatsch« wie etwa shenanigans oder balderdash, aber die Wortbildung ist ganz verschieden, und »Mumpitz« gibt es natürlich nur im Deutschen. In Dialekten in Mitteldeutschland gab es das Wort »Mombotz« als Bezeichnung für eine Schreckgestalt oder ein Schreckgespenst. Gemeint war der vemummte (mom) Kobold (botz). Botz kommt wohl von dem mittelhochdeutschen Wort bôzen für »schlagen, klopfen, poltern«, also ein Poltergeist. Wer jemals mit offenen Augen durch Asien gereist ist, weiß, wie gegenwärtig der Geisterund Dämonenglaube und andere Formen von Aberglauben dort heute noch sind. Analoge Kobolde gab es auch in Europa massenweise, und sie wurden im deutschen Sprachraum unter anderem Butzenmummel oder Mummelputz genannt. Auch der aus dem Kinderlied bekannte Butzemann ist eine ganz ähnliche Gestalt wie der »Mombotz«.

SCHLAPPSCHWANZ

images

Ein ausgesprochen selbsterklärender und bildhafter Begriff. Die romanischen Sprachen haben dafür gar kein entsprechendes Wort. Diese Völker kennen das Phänomen wohl weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinn. Im Englischen hingegen gibt es dafür eine Fülle von sinngemäßen Entsprechungen, aber keine ist so direkt in der Anschaulichkeit.

Einige Beispiele aus der englischsprachigen Auswahl: wimp (umgangssprachlich für Feigling), coward (hochsprachlich für Feigling), pussy (sehr umgangssprachliches Wort für das weibliche Geschlechtsteil), pansy (eigentlich Stiefmütterchen; im Englischen ein Hehlwort für »Schwule, Tunten«), weiner oder weenie (weinerlicher Typ).

SITZFLEISCH

images

Die anatomische Bezeichnung des größten Muskels lautet Gluteus maximus, der ganze Gesäßbereich Regio glutea. Er ist nur bei Menschen und einigen Primaten in dieser Form ausgeprägt, unterstützt ganz wesentlich die aufrechte Haltung und erlaubt dank seiner Fettpolster auch längeres Sitzen. Keine andere Sprache verwendet dieses Wort im übertragenen Sinn als überaus treffende Ein-Wort-Metapher für Hartnäckigkeit und Geduld. In Wörterbüchern wird dementsprechend kein analoges Wort angeboten, nur eine Worterklärung: to use up time until the opponent weakens or loses patience (dict.cc) – so lange Zeit verstreichen lassen, bis der Gegner einknickt und die Geduld verliert. Dafür ist Sitzfleisch gut. Steadiness (Ausdauer, Stetigkeit) ist dafür zu allgemein. Nur Sitzfleisch macht den Gegner kaputt.

SPIELRAUM (HABEN)

images

Spielraum haben, jemandem Spielraum lassen, bei der Deutung von Kunstwerken Interpretationsspielräume haben, den Wirtschaftsunternehmen Handlungsspielräume geben … im Deutschen sind sie allgegenwärtig. Freiraum ist in dem Zusammenhang durchaus ein Synonym, aber halt eine Spur »langweiliger«.

»Spielraum« zählt in seiner schlichten, kaum zu übertreffenden Anschaulichkeit nach meiner Ansicht zu den schönsten Beispielen für den bildhaften Wortreichtum des Deutschen. Das wird umso deutlicher, wenn man die Varianten in anderen Sprachen betrachtet. Im Englischen reicht der diesbezügliche Spielraum je nach Zusammenhang von range (dt. Bandbreite, auch recht bildhaft) und scope (Umfang) über leeway (Abdrift) und margin (Spanne) bis zu maneuvering room und vielen anderen. Im Spanischen ebenfalls in erster Linie margen. Im Italienischen am ehesten noch »Handlungsfreiheit« (libertá d’azione) oder als Aktionsradius (engl. Lehnwort range).

»Spielraum« hat viel mehr Anklang an Kreativität und Aktivität. Dabei stammt »Spielraum« ursprünglich keineswegs aus dem Kindergarten, sondern es handelt sich um einen militärtechnischen Begriff aus der Geschütztechnik: Wie viel »Spiel« ein Geschoss braucht, um optimal durch ein Geschützrohr gleiten zu können.

KAPITEL 2

AM BESTEN KEIN BLATT VOR DEN MUND NEHMEN

FRUST- UND LÄSTERWÖRTER

Lästern und vor allem Ablästern gehört zweifellos zu den Lieblingsbeschäftigungen der Deutschen. Abfällige Bemerkungen und Lästereien gehen uns glatt von der Zunge. Sie sind meistens kurz, kompakt und nicht nur im übertragenen Sinn »spitze« Bemerkungen, sondern auch klanglich spitz. Sie sollen treffen.

Wir sehen uns hier vor allem solche an, die fürs Deutsche besonders charakteristisch sind. Sie haben durchaus sinngemäße Entsprechungen in anderen Sprachen, aber keine direkten Übersetzungen. So würde man beispielsweise im Englischen für »gelackmeiert« sagen: He was duped (was wiederum ziemlich nahe an »Er hat sich zum Deppen gemacht« ist, dupe = Depp). Aber gelackmeiert ist schon ein besonders dem Deutschen eigenes Wort.

ABLÄSTERN

images

Früher begnügte man sich mit dem Lästern; in der modernen Alltagssprache muss es schon ablästern sein, im Sinne von »mal richtig runtermachen«, überwiegend im personenbezogenen Sinn (bspw. »über Angela Merkel ablästern«); aber man kann natürlich mit gutem Grund auch über das Design von Mercedes-Automobilen ablästern.

Lästern und Laster gehen auf ein ähnliches, nur in germanischen und keltischen Sprachen nachweisbares, aber längst untergegangenes Verb zurück, das ungefähr lächan oder lächstra gelautet haben mag und das »tadeln/schmähen« bedeutete.

Ein Laster bzw. ein lasterhaftes Verhalten hätte man früher ohne Weiteres als »Sünde« definiert … als man noch klare Vorstellungen von Sünden hatte. Heute begnügt man sich damit, es als von der Allgemeinheit missbilligtes Verhalten zu bezeichnen. Lasterhaftigkeit ist das eine. Lästerungen sind etwas anderes.

Echte Lästerungen im alten Sinne kommen heute fast nur noch in religiösen Kontexten vor (Gotteslästerung). Eher schon in Richtung ablästern gehen die herrlich bildhaften Begriffe Lästermaul und Lästerzunge.

ÄTZEND

images

Nur im Deutschen verwendet man diesen (Fach-)Begriff aus der Chemie in der Alltagssprache. Das alte Wort azen für Essen hat sich als »Atzung« (= Nahrung) noch in der Jägersprache erhalten. Die Vorstellung, wie etwas von einer scharfen Säure zerfressen wird, ist besonders unangenehm.

BOCKMIST

images

… ist eine Verstärkung von »Mist«, weil Ziegenbockausscheidungen besonders scharf riechen. Die Verstärkung soll besagen: völlig wertlos.

DOOF

images

… ist ein niederdeutsches Wort für »taub«, womit nicht nur gehörlos, sondern allgemein empfindungslos, stumpfsinnig sowie dumm gemeint ist, aber auch »wertlos«: In diesem Sinne spricht man in der Bergmannssprache von »taubem Gestein«, das keine wertvollen Mineralien oder Erze enthält.

DURCHHECHELN

images

… gehört ähnlich wie das → Ablästern (S. 17) zu den Plaudereibegriffen des Tratschens, Klatschens und Schwatzens. Das Hecheln ist ein Begriff der Textilherstellung: Vor dem Siegeszug der Baumwolle ab dem 19. Jahrhundert wurden in Europa die meisten Textilien aus Leinen gewebt. Dazu mussten die holzigen Stengel der Flachspflanze (Leinpflanze) aufgebrochen und durch eine kammartige Metallhechel gezogen werden. Diese langwierige und langweilige Tätigkeit war ein typisches Frauenhandwerk. Die Frauen kamen, ähnlich wie in der berühmten Spinnstubenszene in Wagners Der fliegende Holländer, in Gruppen zusammen, und sie tauschten Klatsch und Tratsch aus. Vermutlich über nicht anwesende Frauen und dann wohl sämtliche Männer. Sie alle werden durchgehechelt.

Aus dem gleichen Zusammenhang stammt übrigens das Wort flachsen.

FLÖTEN GEHEN

images

… ist kein Ausdruck musikalischer Herkunft. Das Wort kommt von niederdeutsch fleeten für »fließen«, und was da wegfließt, ist in erster Linie der Harn. Was in dem Sinn flöten geht, ist tatsächlich ein für alle Mal verloren.

FRESSE

images

Noch im Mittelalter war das Wort »fressen« keineswegs abwertend. Der »Ver-Esser« war vielmehr derjenige, der seine Mahlzeit vollständig aufaß. Erst mit der Unterscheidung von fressen und essen und mit der damit einhergehenden Abwertung wurde auch »Fresse« ein abwertendes Wort für Mund.

FURZTROCKEN

images

»Parce qu’il n’a plû depuis longtemps, la terre est super seche.« (Weil es lange nicht geregnet hat, ist die Erde furztrocken.) Das Beispiel zeigt, wie sich das Französische oder das Englische oftmals mit Allgemeinbegriffen begnügt, wo man im Deutschen mit einer Fülle von bildhaften Wortkombinationen variieren kann. Neben furztrocken hier beispielsweise noch mit strohtrocken oder staubtrocken. Ähnliche Kombinationen kennen wir beispielsweise mit »Blitz«: blitzsauber und blitzschnell.

Für solche anschaulichen Verstärkungswörter gibt es im Deutschen eine Vielzahl von Beispielen.

Die Vorliebe der Deutschen für Schimpf- und dergleichen Verstärkungswörter aus dem Analbereich ist unter Sprachforschern längst keine Neuigkeit mehr. Fast alle anderen Sprachen, vor allem die romanischen und das weltweit verbreitete Englisch, schöpfen derartige sprachliche Grobheiten überwiegend aus dem Genitalbereich. Fuck you, fuck off (Verpiss dich!), Che cazzo! (Scheiß drauf!; ital. cazzo = Schwanz). Eine schlüssige Erklärung dafür gibt es nicht.

GELACKMEIERT

images

… besteht aus zwei Wortteilen, die praktisch dasselbe bedeuten: Der Gelackte zu sein heißt, betrogen worden zu sein. »Meiern«, auch »abmeiern«, bedeutet ebenfalls betrügen. Die Kombination ist also einfach eine Verdoppelung.

GELEIMT

images

In früheren Zeiten und auch heute noch in den Mittelmeerländern Europas und Nordafrikas ist der Vogelfang sehr beliebt und weit verbreitet. Die Tiere werden dabei nicht nur in Netzen gefangen, sondern auch auf dünne, mit Leim oder Pech bestrichene Stangen gelockt, die sie für Baumzweige halten – zu ihrem Unglück. Dies ist der konkrete historische Hintergrund für »geleimt« sowie für sämtliche Redewendungen mit Leim wie »auf den Leim locken«, »auf den Leim gegangen«, »Pech haben« und »Pechvogel«.

GLIMMSTÄNGEL

images

Das Wort wurde 1802 von Johann Heinrich Campe (1746–1828), dem Hamburger Pädagogen und Verleger, als Eindeutschung für das Wort »Zigarre« vorgeschlagen. (Zigaretten gab es damals noch nicht.) Von diesem unfreiwilligen Scherz hat sich das Wort nie erholt.

KAFF

images

… kommt aus der Zigeunersprache. Dort bedeutet gaw = Dorf.

(→ Kaffer. S. 182)

OLLE KAMELLEN

images

Kamillenblüten mit ihrem angenehmen Duft gelten seit langer Zeit als Heilmittel und werden daher in (Haus-)Apotheken stets vorrätig gehalten. Bei längerer Lagerung büßen sie allerdings ihren würzigen Duft ein. Andere Sprachen kennen keinen vergleichbaren Ausdruck.

KÄSEBLATT

images

Käse und Quark waren auf dem Lande billige Nahrungsmittel. Daraus ergibt sich der Nebensinn »wertlos, unwichtig«.

ALTE LEIER

images

Die Leier oder auch Lyra ist ein Saiteninstrument mit geringem Tonumfang und daher sehr wenigen Variationsmöglichkeiten. Wie in langweiligen Gesprächen mit Leuten, die immer dasselbe erzählen oder die ewig gleichen Argumente vorbringen, werden die Konversations- wie die musikalischen Themen ständig wiederholt. Der Ausdruck ist also ein schönes, knappes und anschauliches Sprachbild für … was sollte man sonst sagen: Konversationswiederholungsstress?

Dann doch besser: Nicht schon wieder die alte Leier!

LORE-ROMAN

images

Tatsächlich gibt es eine Heftchenroman-Reihe mit dem Obertitel »Lore-Roman«, erfunden von dem Schriftsteller Fritz Mardicke (1895–1966), der sie unter dem Pseudonym Wolfgang Marken verfasste. Er begann damit 1938 mit großem Erfolg, wurde später von den Nazis verhaftet und wagte gleich nach dem Krieg einen Neuanfang – wieder mit Erfolg. Ebenso beliebt sind Arztromane, Tierarztromane und Fürstenhäuser. 1955 startete Gustav Lübbe mit Jerry Cotton einen Lore-Roman für Männer mit entsprechenden Männerklischees, die auch von Wildwest-, Abenteuer- und Science-Fiction-Serien bedient werden. Die heimliche literarische Liebe der Deutschen gilt nach wie vor den Heftchenromanen. Die Leserschaft der wenigen einschlägigen Verlage übersteigt die sämtlicher Hunderter Buchverlage bei Weitem.

MECKERN (»DIESE STÄNDIGE MECKEREI«)

images

… ist eine Lieblingsbeschäftigung der Deutschen. Im Sommer: »Es ist zu heiß.« In der Innenstadt: »So viele Leute.« Im Baumarkt: »Hier ist keiner (keine Bedienung).« Der Rentner: »Die Ampel ist rot.«

Im Mentalitätscheck darf man bei der Gelegenheit auch ganz pauschal sagen, dass die im ständigen Meckern zum Ausdruck kommende permanente Unzufriedenheit mit sich selbst und die daraus resultierende dauerhaft schlechte Laune bei kaum einem Volk so alltäglich und alltagsbestimmend ist wie bei den Deutschen. Am anderen Ende der Skala stehen die meist etwas überdosiert gut gelaunten Amerikaner. Man muss sich dieses Kontrastbild vor Augen halten, um zu sehen, wie miesepeterig die Deutschen im Allgemeinen sind und wie sie dadurch auf andere wirken.

Es gibt durchaus Völker, in denen die Menschen durchweg freundlich und sogar fröhlich sind und nicht so permanent »schlecht drauf« wie die Deutschen und manchmal auch unsere österreichischen Nachbarn. Die Schweizer, das darf man sagen, haben einen wahrnehmbar höheren Gute-Laune-Pegel.

Dieses ständige Hervorkehren des Negativen, das Destruktive, das im Meckern steckt, die Unzufriedenheit sollte man vielleicht mal als Symptom einer kollektiven Dauerpsychose untersuchen, von der die Deutschen befallen sind. In der Einzelanalyse würde man jedenfalls bei einem Menschen, der ständig »alles scheiße« findet, wohl ziemlich schnell eine depressive Störung diagnostizieren.

Natürlich beklagen sich die Menschen in anderen Ländern auch, und es gibt genügend Grund zur Unzufriedenheit: to complain, to lament, râler (Erstbedeutung: röcheln), se plaindre, criticare, aber das Meckern wie die Ziege, also ein Tierlaut, ist eine deutsche Spezialität.

Dazu kommen etliche Synonyme wie nörgeln, jammern, schimpfen, mosern, motzen, maulen, mäkeln, herumkritteln, sich beklagen, sich beschweren, etwas auszusetzen haben, tadeln, kritisieren, monieren, lamentieren.

Das Destruktive am Meckern ist, dass Dinge (auch Menschen) kritisiert und sogar richtig schlechtgemacht werden, ohne Lösungsansätze oder positive Alternativen aufzuzeigen. Meckern und über andere herzuziehen ist – psychologisch gesehen – auch ein Versuch, von sich selbst abzulenken.

MICKRIG

images

Der Ursprung dieses etwas rätselhaften Wortes in der norddeutschen Umgangssprache ist bisher nur bis ins 19. Jahrhundert zurückzuverfolgen, von mickern = schwächlich, kränklich, zurückgeblieben sein. Die weitere Herkunft des Wortes ist nicht bekannt.

Es könnte vielleicht mit mager, engl. meager, verwandt sein. Das englische Wort stammt allerdings über das Französische (maigre) und wie alle romanischen Formen (magro) aus dem Lateinischen. Unser deutsches »mager« hat diesen Umweg nicht genommen, sondern geht auf altnordisch magr und althochdeutsch magar (= dünn) zurück.

Aber vielleicht haben die sehr alten Römer das Wort noch an der Elbe aufgeschnappt. Es ist viel zu wenig bekannt, dass die Latiner (= Römer) in Italien keineswegs autochthon waren; vielmehr wanderten sie erst ab 1200 v. Chr. mehr oder weniger gleichzeitig mit den Umbrern, Samniten, Faliskern – deren Sprachen ebenfalls zu den indogermanischen Sprachen zählen – auf die Apenninhalbinsel ein. Diese kleinen indogermanischen Stämme siedelten ursprünglich am Unterlauf der Elbe. Bevor die Indogermanen am Ende der Bronzezeit in einer frühen Völkerwanderung aus dem Norden kamen, lebten auf der Mittelmeerhalbinsel nur wenige bekannte altmediterrane Völker wie die Ligurer oder die Sikaner.

MOTZEN

images

… ist wie »maulen«, »(auf)mucken«, »mucksen«, »muhen« und »(sch)matzen« einfach ein schallnachahmendes Wort aus dem Umkreis von »Maul«.

MURKS

images

Murks ist sprachverwandt mit »morsch« und »mürbe«. Sehr schön ist auch das davon abgeleitete Verb »vermurksen«: etwas gründlich falsch machen oder verpfuschen. Ferner denkt man sogleich an »abmurksen«, und in der Tat gehört auch »Mord« zu dieser Wortfamilie: Die Grundvorstellung beim »murksen« ist immer das Zermürben, Zerreiben, Zerquetschen; daher ist die aus der Wortentstehung abgeleitete Grundvorstellung des Mordens das Erdrosseln. Jemanden zu erdrosseln, »abzumurksen«, ist sozusagen die sprachliche Urform des Mordes.

In anderen Sprachen hat man für »Murks« Wörter wie crap oder botch. Das ähnlich kurze englische Wort crap wird in der Umgangssprache aber eher mit der Bedeutung Quatsch, Unsinn, Mist, Müll oder ganz drastisch Scheiß (denn das war die ursprüngliche Bedeutung von crap) verwendet.

Im Französischen gibt es schlicht ein problème oder bricolage. Bricolage ist eine Bastelei, ein amateurhaftes Zusammenschustern wie im Deutschen Pfusch oder – wenn es völlig danebenging – Murks.

NESTBESCHMUTZER

images

Die Redensart, das eigene Nest zu beschmutzen, kam schon im Spätmittel-alter auf und bezog sich nach damaliger Überzeugung auf den Wiedehopf. In dieser Form als Substantiv wird das Wort spätestens seit der Zeit um 1900 verwendet. Als ein politischer Beleidigungs- und Kampfbegriff war das Wort vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbreitet, als die ideologischen Gegensätze sehr ausgeprägt waren. Heutzutage stößt man bei Referenzbegriffen in anderen Sprachen rasch auf den Whistleblower. Aber es besteht ein Unterschied, ob man über die eigene Verwandtschaft, die Firma, in der man arbeitet, oder eine sonstige Gemeinschaft, der man angehört, in übler Weise herzieht oder ob man auf den Schmutz, den andere angerichtet haben, hinweist.

NÖRGELN

images

Goethe schrieb noch »nirgeln«, Lessing »nergeln«. Möglicherweise war nörgeln mal eine hessische Spezialität, denn das Wort stammt offenbar aus der mitteldeutschen Gegend, heute unter anderem die Bundesländer Hessen und Thüringen. Es handelt sich wie bei »motzen« und »meckern« ebenfalls um ein Wort lautmalerischen Ursprungs. Dabei muss man hier an murren und knurren denken. Aus der gleichen Wortwurzel stammen schnurren, schnarren und übrigens auch schnarchen. Wortgeschichtlich gesehen wäre der Schnarcher also der Nörgler der Nacht.

PANTOFFELHELD

images

Der Pantoffel ist eines der großen Herrschaftssymbole der abendländischen Welt. Das ist keineswegs ironisch gemeint, denn es gibt bereits aus der Antike Beispiele für die Verwendung der weiblichen Sandale als Herrschaftsmotiv. Zahlreiche Redensarten beziehen sich in vollkommen eindeutiger Weise darauf (»unter den Pantoffel kommen«, »unter dem Pantoffel stehen«) und kennzeichnen ganz klar ein vertikales Herrschaftsverhältnis, das keineswegs gewaltfrei ist (»den Pantoffel schwingen«). Es geht also um das weibliche Regiment, vor allem im häuslichen Bereich, dem sich der Pantoffelheld unterordnet. Nur der Wortteil »Held« trägt einen leicht ironischen Unterton. Darin kommt die abschätzige Einstellung der übrigen Helden im Umfeld des Pantoffelhelden zum Ausdruck.

Ganz ähnlich auch die Wortwahl bei unseren Nachbarn: im Französischen pantouflard und im Englischen hen-pecked husband, also der Ehemann, der in der familiären → Hackordnung (S. 49) unterhalb seiner Henne steht.

PFUI!

images

»Fi!« war ein in westgermanischen Sprachen vorkommender Ausruf bei ekelerregenden Zuständen und Anblicken – offensichtlich lautmalerischen Ursprungs. Eine Variante davon ist das vom rheinischen Sprachgebiet ausgehende »fies«.

PIEFIG

images

… ist eine niederdeutsche Wortvariante von »pfeifen«. Fast alle Redewendungen mit »pfeifen« und »Pfeife« sind negativ und bringen ein Versagen zum Ausdruck. (Die einzige Ausnahme ist »pfiffig«.)

PIESACKEN

images

… stammt von dem norddeutschen Wort »Pesel« = Ochsenziemer. Dieser ähnelt einem Schlagstock. Ochenziemer waren ursprünglich aus einem gedörrten, in sich verdrehten Ochsenpenis gefertigt. Wie das daraus gebildete Wort in seiner heutigen Bedeutung »piesacken« suggeriert, waren die damit verabreichten Schläge sehr unangenehm; es handelt sich schon fast um ein Folterinstrument.

PLAUDERTASCHE

images

Hinter diesem Wort eine geschwätzige Frau zu vermuten ist vollkommen richtig – auch wenn das Wort inzwischen geschlechtsneutral auf Frauen wie Männer bezogen wird. Der Ursprung ist aber in der Tat weiblich, denn in der Jägersprache ist »Tasche« eine Bezeichnung für die weibliche Scham und als Pars-pro-Toto-Wort für »Frau« insgesamt. Auch die »alte Schachtel« stammt aus der Jägersprache. Wer meint, das sei ein unübersetzbares Wort, irrt ausnahmsweise. Die genaue Entsprechung im Englischen ist die chatterbox - die Plauderschachtel mit ebender genannten Etymologie.

PROTZIG

images

Im sogenannten Oberdeutschen, also den Dialekten Süddeutschlands (Schwaben, Bayern) und Österreichs, war »Protze« ein geläufiger Begriff für Kröte. Und weil Kröten ihren Kehlsack aufblasen, lag es nahe, aufgeblasene Wichtigtuer »protzig« zu nennen, was seit dem Spätmittelalter umgangssprachlich belegt ist und sich schon in der Zeit des jungen Goethe in der Literatursprache findet.

QUASSELSTRIPPE

images

… war eigentlich mal eine saloppe Bezeichnung für die Telefonleitung; da hört man förmlich den Berliner Wortwitz heraus. Der »technische Fachbegriff« ging dann auf den Vieltelefonierer über, beziehungsweise generell auf jemanden, der viel redet.

QUATSCH

images

Quatern bedeutet im Niederdeutschen »unverständlich reden«. Zugrunde liegt das Wort quat