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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74091-802-6
»Mister«, sagt Wesley mit seiner krächzenden Stimme scharf. »Mister, Sie haben gar nichts zu verlangen, verstehen wir uns? Wann und an wen man hier Geld auszahlt, das ist meine Sache, begriffen? Ich habe zu arbeiten, Mister. Das ist alles!« Er nimmt das Lineal wieder hoch. Dann legt er es auf eine der Seiten seines dicken Hauptbuches und zieht sorgsam einen Strich unter eine Kolonne Zahlen.
»Wesley, ich rede mit Ihnen«, murmelt Jim Kendall leise und doch so grimmig, dass die draußen versammelten Fahrer die Luft anhalten. »Sie haben doch wohl nicht richtig verstanden, wie? Ich sage, Sie zahlen den Lohn an Van Buren jetzt aus. Und wenn ich jetzt sag, dann meine ich jetzt, ist das klar?«
John Wesley zieht noch einen schönen Strich. Dann erst hebt er, als sei er mächtig erstaunt, den Kopf.
»Sie sind ja noch immer da, Mister«, stellt er verwundert fest. Er nennt Kendall nie beim Namen. Für ihn ist jeder ein einfacher »Mister«, und damit hat es sich. »War ich nicht deutlich genug?«
Er will die Seite umblättern, legt das Lineal beiseite und zuckt jäh zusammen. Kendall schnappt sich das Lineal, holt aus und schlägt es mit voller Wucht auf das Buch. Es klatscht so laut, als hätte Wesley eine Backpfeife bekommen.
»Zum letzten Male, Wesley«, grollt Kendall. »Wollen Sie nun auszahlen, oder haben Sie Lust, Ärger zu bekommen?«
Wesley lehnt sich zurück. Sein rotes Gesicht ist bleich geworden, aber sicher nicht vor Furcht, eher vor Wut.
»Kendall«, sagt er nun, und jetzt nennt er Kendall doch beim Namen, »wenn Sie nicht augenblicklich verschwinden, erleben Sie einige Dinge. Sie können zu sonst wem unverschämt sein, aber nicht zu mir, verstanden? Scheren Sie sich zu Ihresgleichen. Das ist ein Befehl, Mister!«
»Was ist das?«, erkundigt sich Kendall leise. »Wesley, Sie haben vor, mir einen Befehl zu geben? Mann, jetzt reicht es, Ihr Größenwahnsinn ist nicht mehr zu ertragen. Ich zähle bis drei. Ist dann die Geldkassette nicht auf dem Tisch, haben Sie Ärger. Ich habe Sie höflich gebeten, der Anweisung Mr Spaldings nachzukommen. Sie aber reden mich mit Mister an, tun so, als sei ich nicht vorhanden und malen in Ihrem verdammten Buch seelenruhig weiter. Sie sind wie ich an Mr Spaldings Weisungen gebunden. Eins, zwei …« Er macht eine kleine Pause und sieht, wie Wesley die Zähne zusammenbeißt.
»Drei.«
John Wesley stößt einen leisen zerbissenen Fluch durch die Zähne. Dann beugt er sich nach rechts und greift in den Schreibtisch. Dort steht die Kassette.
Aber als Wesley die Hand hochbringt, hat er nicht etwa die Kassette in ihr.
Stattdessen erscheint über der Tischkante der sechskantige Lauf von Wesleys Trubia-Revolver.
Die Mündung zuckt hoch und richtet sich blitzschnell auf Kendall. In Wesleys Augen glitzert Wut.
»Raus!«, sagt er wild. »Hinaus, Sie Strolch. Scheren Sie sich zu den anderen Vagabunden, die dort draußen neugierig die Löffel aufhalten, sonst mache ich Ihnen Beine. Hinaus, Sie verdammter Herumtreiber!«
Und dann knackt der Hammer.
Wesley hat den Hahn gespannt.
*
Joe Moore hat sich auf zwei Kisten gestellt. Der untersetzte Mann kann in den Raum blicken und stößt entsetzt den Atem aus. Neben den Kisten steht Tom Blyton, ein anderer Fahrer. Auch er hört das Klicken. Ehe er aber raten kann, was es zu bedeuten hat, sagt Kendall im Office spröde:
»Wesley, nehmen Sie den Revolver weg. Sind Sie verrückt, Mann? Sie zielen mit einem gespannten Revolver auf meine Brust.«
»Wenn du verdammter Herumtreiber willst, auch auf deinen Schädel«, erwidert Wesley mit fauchender Stimme. »Hinaus, sagte ich. Scher dich zum Teufel, Kendall. Noch bin ich hier der Boss, begriffen?«
Jim Kendall rührt sich nicht. Er blickt auf den hochwandernden Revolverlauf und mitten in die Mündung.
»So ist das?«, fragt er leise. »Wesley, ich bin also ein Strolch, ein Herumtreiber und Vagabund. Nun gut, Wesley, die Sache wird Sie einiges kosten. Wir werden sehen, was passiert, wenn Mr Spalding zurückkehrt. Wie Sie wollen, Mister.«
Er wendet sich langsam um, zuckt die Achseln und geht zur Tür. Dort steht auf einem Blumenständer eine Topfpflanze. Sie gehört Spalding. Seitdem Spalding fort ist, hat Wesley die Pflanze nicht mehr gegossen. Er findet jede Art Pflanzen in einem Office als blödsinnigen Raum und Zeit wegnehmenden Quatsch.
»Raus! Und mach die Tür gefälligst leise zu!«, giftet Wesley in seinem Rücken. »Leise, verstanden?«
»Sicher«, antwortet Kendall kurz. Er greift nach dem Türdrücker, öffnet die Tür, streckt dann aber blitzschnell die Hand nach der vertrockneten Topfpflanze aus.
Moore draußen hat es kommen sehen. Kendall stammt aus Texas. Dort bringt man manchmal einen Mann wegen weniger als einer Beleidigung um. Zielt jemand jedoch auf einen anderen mit einem Colt, kann das tödlich sein.
Was immer Wesley gedacht haben mag, an den Blumentopf ganz sicher nicht. Zudem hat Kendall sich friedlich und nachgebend verhalten.
Als Kendall jetzt halb in der Tür ist und seine rechte Hand zuschnappt, reagiert Wesley viel zu spät.
Ohne sich umzusehen, schleudert Kendall den Blumentopf nach hinten. Im gleichen Moment wirft er sich auch schon geduckt herum. Er ist blitzartig zusammengesunken, um Wesley kein Ziel zu bieten. Vielleicht würde Wesley seine Drohung, ihm mit dem Colt Beine zu machen, auch nie in die Tat umgesetzt haben.
Im Herumschwingen hört Kendall Wesleys heiseren schrillen Aufschrei. Dann sieht er den Mann nach hinten kippen.
Im nächsten Augenblick brüllt der Trubia-Revolver in Wesleys Hand los. Die Kugel fährt ausgerechnet in das Bild von Isaak Wade, dem Gründer der Overland. Glas regnet herunter. Das schwere Dröhnen hallt durch das ganze Haus und über den Hof. Dort fahren sämtliche Zuhörer zusammen.
Moore springt mit einem Satz von den Kisten herab, um sich durch das offenstehende Fenster in das Office zu stürzen. Doch er bleibt einen Augenblick später stehen. Jetzt sieht Moore, wie Kendall mit einem Riesensatz auf den Schreibtisch Wesleys zufliegt. Dort brüllt Wesley nun wie ein Jungstier, dem man das Brandzeichen aufdrückt. Zwar versucht Wesley noch den Colt zu schwenken und auf Kendall zu richten, aber es ist zu spät.
Kendalls linke Hand fängt Wesleys Unterarm ab. Gleichzeitig prallt Kendall so wuchtig gegen den Schreibtisch, dass der über den Boden saust. In der nächsten Sekunde hockt Wesley eingeklemmt zwischen Tür und Zimmerwand auf seinem Bürostuhl.
»Du verdammter lausiger Maultiertreiber!«, brüllt Wesley giftig. »Ich werde dich zum Sieb machen.«
Jim Kendall reißt Wesleys Arm nach unten. Wesleys Ellbogen knallt auf die Tischplatte. Augenblicklich öffnet er die Finger, und dann poltert der Colt zu Boden.
»Was bin ich, du hinterlistiger Halunke?«, fragt Kendall mit einem grimmigen Fauchen. »Du nennst mich einen Strolch, Mensch, du bedrohst mich mit deinem Revolver? Warte, dir bringe ich bei, mich wie einen Narren zu behandeln. Raus da hinten!«
Er packt Wesley am Kragen. Während er sich über die Tischplatte beugt und Wesley hochreißen will, schlägt der mit der linken Faust zu. Der Hieb des stämmigen Mannes trifft Kendalls rechtes Auge. Es ist ein Schmerz, der Kendall rasend vor Zorn werden lässt. Ohne noch ein Wort zu sagen, schleudert Kendall nun den Tisch zur Seite. Im nächsten Augenblick schon ist Wesley frei und nutzt die Gelegenheit, sich abzustoßen und auf Kendall zu werfen.
»Er bringt ihn um«, keucht Moore draußen entsetzt. »Der Narr Wesley, warum hat er nur geschossen?«
Im Office erschallt Wesleys schrilles, wütendes Geschrei. Wesley keilt wie wild aus. Seine Arme sausen wie Windmühlenflügel durch die Luft. Dann sieht er die Faust durch das Umherzucken seiner Arme heranschießen und schreit nicht mehr. Der Haken Kendalls erwischt Wesley am Kinn und hebt ihn hoch. Er saust rücklings auf das Fenster zu. Das Fensterbrett stoppt seinen Flug einen winzigen Augenblick, bis Wesley das Übergewicht verliert. Er stürzt rücklings über das Brett und landet draußen vor dem Haus.
Halb benommen will Wesley sich aufstemmen, als er über sich Kendalls Schatten auftauchen sieht. Augenblicklich zieht Wesley die Beine an. Er tritt aus, und es gelingt ihm, Kendalls rechtes Bein zu treffen. Kendall stürzt schwer hin. Ehe er auf die Beine kommen kann, hat Wesley neben sich gegriffen. An der Hauswand lehnen einige Kistenbretter. Wesley packt eins, holt aus und schlägt zu.
Im gleichen Moment wirft Kendall sich zur Seite. Das dicke Kistenbrett trifft den Sand neben Kendall und jagt eine Staubwolke hoch. Kendalls Zurückrollen kommt schnell genug, um das Brett gegen den Boden zu pressen. Wesley kann es nicht mehr hochschwingen und noch einmal zuschlagen. Stattdessen tritt Wesley noch einmal zu. Diesmal aber hat er kein Glück. Kendall weicht aus, packt Wesleys linkes Bein und dreht.
Über den Hof gellt Wesleys kreischender Schmerzschrei. Um nicht den Fuß ausgedreht zu bekommen, muss Wesley sich herumwerfen. Er fliegt auf den Bauch. Zwar reißt er noch seinen rechten Hacken hoch, doch Kendall landet trotzdem auf seinem Rücken und packt ihn nun richtig.
»Du hinterhältiger Bursche«, knirscht Kendall voller Zorn. »Treten kannst du. Das ist deine Art zu kämpfen, was? Jetzt pass auf, so kämpfe ich.«
Er reißt Wesley hoch und beginnt sich zu drehen. Vergeblich bemüht sich der kreischende Wesley, mit nach hinten greifenden Händen irgendwo an Kendalls Rockärmeln einen Halt zu finden. Es ist umsonst. Um Wesley dreht sich der Hof immer schneller, bis Kendall ihn jäh loslässt. Brüllend fliegt Wesley mehrere Schritte weit. Er landet im hochpuffenden Staub an der Rampe des Verladeschuppens neben dem Haus.
Keuchend und fluchend zieht Wesley sich an der Rampenkante hoch.
»Du wirst das büßen!«, schreit Wesley gehässig. »Deine Station kannst du dir in den Mond schreiben, Kendall, das verspreche ich dir. Achttausend Dollar hast du haben wollen, aber du bekommst sie nie, sage ich. Du willst selbstständiger Handelsagent mit einem Vertrag der Overland werden? Niemals, solange ich etwas zu sagen habe. Du fliegst so schnell hier heraus, dass dir …«
Kendall nimmt die Arme herunter und macht zwei Schritte auf den Trog zu. Augenblicklich stellte Wesley sein gehässiges Geheul ein und krümmt sich angstvoll.
»Dir reicht es noch nicht, was?«, erkundigt Kendall sich finster. »Nun, die achttausend Dollar bekomme ich schon, du kannst Gift darauf nehmen, Mister. Irgendwoher treibe ich das Geld auf. Einer von uns beiden ist auf die Dauer hier zu viel, denke ich. Je eher ich das Geld habe, umso schneller kann ich mich auf eigene Füße stellen. Warte, dir zeige ich …«
»Kendall!«
Der scharfe, grollende Ruf lässt Kendall stehen bleiben. Langsam wendet Jim sich um.
Er sieht Roy Spalding auf seinem großen knochigen Wallach am Tor halten.
Spalding hat die Hand am Revolver. Er ist bereit, jeden weiteren Streit zu verhüten.
Mit einem Hackenschlag treibt Spalding sein Pferd an.
»Kendall, Wesley, was ist los?«
»Er hat mich angegriffen«, geifert Wesley und krabbelt fluchend aus dem Trog. »Er hat …«
»Er lügt«, meldet Moore sich scharfzüngig. »Mr Spalding, ich habe alles gesehen. Er hat Jim mit dem Colt bedroht und geschossen.«
Spalding runzelt finster die Brauen. Dann steigt er ab, wirft einem der Männer die Zügel zu und deutet auf das Office.
»Beide hinein und absoluter Friede«, sagt er scharf. »Wir werden sehen, was hier passiert ist. Geht an die Arbeit, Leute. Die Sache ist vorbei.«
»Für mich nicht«, giftet Wesley. »Wenn Sie mir keine Genugtuung verschaffen, Mr Spalding, beschwere ich mich in Salt Lake City bei …«
»Wesley, seien Sie ruhig«, knurrt Spalding gereizt. »Gehen Sie beide ins Haus, vorwärts.«
Er wird keinem etwas tun, denkt Moore bitter. Spalding ist ein gutmütiger Mann, der immer den Ausgleich sucht. Er braucht Wesley, aber mehr noch hat er Jims unersetzbare Erfahrungen nötig. Es wird mit einer Menge Worten ausgehen. Recht bekommt Jim nicht.
Genauso kommt es!
*
Wesleys Gesicht sieht nun aus, als hätte er die Beulenpest. Schwellungen zeichnen sich rot an Kinnwinkel, Mund und Wangenbögen ab. Der stechende, scharfe Blick John Wesleys wandert zu Roy Spalding hinüber.
»Mr Spalding, ich – ich hatte es vergessen«, sagt er, und niemand ist sicherer als Kendall, dass Wesley glattzüngig lügt. »Zuerst nahm ich an, dass Sie, als Sie Van Buren besuchten, Geld dagelassen hätten. Und dann vergaß ich die Sache. Meine Arbeit, die neuen Listen und Kundenbücher.«
»Schon gut«, erwidert Spalding finster. »Haben Sie Kendall von diesem Vergessen berichtet, Mr Wesley?«
»Ich – ich sah keinen Grund. Er ist nicht mein Vorgesetzter«, murrt Wesley. »Zudem war es mir peinlich, mein Vergessen einzugestehen. Wo kommen wir hin, wenn jeder Mann ankommen und mir Vorschriften machen kann.«
Spaldings hageres, von Falten durchzogenes Gesicht zuckt einmal. Kendall weiß genau, dass Spalding einige Dinge an Wesley nicht gefallen. Jedoch ist Wesley mit einem der Bosse der Overland aus Saint Louis verwandt. Der Mann lässt nie eine Gelegenheit aus, um mit seiner Verwandtschaft zu protzen. Wesleys Verbindungen reichen auch nach Salt Lake City zum Hauptquartier der Overland. Er ist von dort aus hergeschickt worden, um alle Geldangelegenheiten der Overland zu regeln. Diese Vormachtstellung nutzt Wesley bei jeder Gelegenheit aus. Er macht in Gelddingen auch Spalding etwas vor. Spalding hat sich vom einfachen Kolonnenboss zum Leiter der Overland in Nevada hochgearbeitet. Aber er kennt sich mit den Geldangelegenheiten nicht gut genug aus.
»Kendall ist nicht irgendwer, nicht irgendein Mann«, brummt Spalding, der selbst jedem Streit aus dem Weg geht. Spalding versucht immer erst zu vermitteln, ehe er sich zu einem harten Entschluss durchringt. »Wesley, Sie wissen verdammt genau, dass Kendall unser bester Mann von Salt Lake City bis nach San Franzisko ist. Niemand kennt dieses Land wie er. Sie hätten Ihren Colt nicht auf ihn richten sollen.«
»Ich hätte nicht geschossen, aber seine Unverschämtheiten …«
»Hören wir davon auf«, schneidet Spalding ihm das Wort ab. »Die zwei wichtigsten Leute der Nevada Overland prügeln sich vor allen Leuten, der Teufel soll das holen. Kendall, ich hätte Sie für klüger und besonnener gehalten, verstanden? Ich liebe solche Sachen nicht, ist das klar, in Zukunft kommen Sie zu mir, ehe Sie jemand angreifen. Schon gut, ich will nichts mehr hören. Zuerst kommt hier die Arbeit, und damit Sie sich beide beruhigen können, werde ich Sie einige Zeit trennen. Kendall, Sie leiten den morgigen Transport nach Salt Lake City. Die Listen werden heute noch zusammengestellt. Dann fahren Sie los.«
Er tritt mit einem immer noch finsteren Gesicht ans Fenster.
Dann schließt er es und dreht sich um.
»Was ich Ihnen jetzt sage«, beginnt er danach, »haben Sie beide unter allen Umständen für sich zu behalten. Sie dürfen mit niemandem darüber reden, verstanden?«
Wesley grinst mit offenem Hohn Kendall an. Kendalls Auftrag erscheint Wesley wie eine Strafversetzung. Sein überlegenes Lächeln erlischt aber, als Spalding fortfährt:
»Kendall, Salt Lake City hat Sie vorgeschlagen. Man hat keinen besseren Mann für die Sache. Die California Statebank hat in der US Münzanstalt Silberdollars im Wert von etwa achtzigtausend Dollar prägen lassen. Es sind Jubiläumsdollar zum Tag der zwanzigsten Wiederkehr der Zugehörigkeit Kaliforniens zu den USA. Das Geld liegt ab nächste Woche in Salt Lake bereit. Es wird mit einem normalen Transport hergebracht. Das heißt, Sie werden wie bei einigen wertvollen Transporten lediglich zwei zusätzliche Wachreiter erhalten. Dazu vier Fahrer für die beiden Wagen. Das Geld wird in Kisten verpackt, die den Aufdruck ›Maschinenteile‹ tragen – Pumpen und so weiter, verstanden?«
»Und die Schwere der Kisten?«, fragt Kendall sofort. »Mr Spalding, wenn die Kisten verladen werden, muss man sie notgedrungen anheben. Man wird merken, dass sie voll Metall sind.«
»Pumpenteile, Ventile und das Zeug für Minenmaschinen sind aus Rotguss und fast so schwer«, antwortet Spalding trocken. »Damit kein Verdacht aufkommt, machen Sie beim Verladen selbst mit, Kendall. Sie lassen eine Kiste auf die Laderampe fallen. Sie wird aufplatzen und eine Menge Gussteile ausspucken. Es ist alles verabredet, Kendall. Niemand wird erfahren, was in Wahrheit in den Kisten ist. Außerdem wird eine ganze Anzahl wirklicher Maschinenteile mitgeführt. Es sind die gleichen Kisten, sie tragen nur eine andere Bezeichnung auf dem Deckel. Die Silberdollarladung wäre zu klein für zwei Wagen. Wir haben, wie Sie sehen, an alles gedacht.«
»Achtzigtausend Dollar«, murmelt Kendall nachdenklich. »Und wie unterscheide ich die Kisten?«
»Sie haben gerade und ungerade Nummern, Kendall. In den Ungeraden ist das Geld. Sie werden den größten Teil der Geldkisten auf einen Wagen laden, da es mehr ungerade Nummern gibt als gerade. Die Fahrer suchen Sie selbst aus, aber so, dass es keinem auffällt. Teilen Sie nachher die Leute so ein, dass die besten Fahrer in die Salt-Lake-Gruppe kommen. In jedem Fall nehmen Sie Moore mit. Er hat Augen und Ohren wie ein Luchs. Der Mann riecht Verdruss auf zehn Meilen.«
»Ich hätte ihn ohnehin mitgenommen, Mr Spalding. Noch etwas: Ich habe neulich Mr Wesley den Vorschlag gemacht, eine Zweigstelle in Idaho einzurichten. Twin Falls wäre der beste Ort dafür. Es gibt immer mehr Transporte ins Idaho-Territorium, Mr Spalding. Ich könnte den Handel dort intensivieren und eine Hauptstation aufbauen, die ich selbst leite. Die Station kann ich nicht selbst aufbauen, mein Geld reicht nicht dazu. Mein Vorschlag war …«
»Sein Vorschlag war«, unterbricht ihn Wesley kühl, »dass ihm die Overland achttausend Dollar für diese närrische Idee vorschießen solle. Kendall sagte mir, er würde die Leitung der Overland im westlichen Idaho übernehmen und zehn Jahre lang für uns arbeiten. Aber nur, wenn er das Geld bekäme. Erhielt er es nicht, würde er sehen, einen Partner zu bekommen und dort oben eine eigene Transportlinie aufzumachen. Diese unverschämte Drohung …«
»Wesley!«, knurrt Spalding scharf. »Die Idee ist nicht mal schlecht. Kendall, sollte der Vorschlag so lauten, dass Sie sich nach zehn Jahren eine eigene Linie aufbauen würden?«
»Ja«, antwortet Kendall knapp. »Das meine ich. Wenn die Overland in zehn Jahren die Hauptstrecken besitzt, bleiben mir genug Nebenstrecken. Ich sehe eine riesengroße Chance für die Overland.«
»Und für sich selbst, was?«, fragt Wesley nicht ohne Hohn. »Kendall, Ihr Plan ist zu leicht zu durchschauen. Wir geben Ihnen kein Geld für eine Hauptstation. Zehn Jahre lang können wir sie nur nutzen, dann gehört sie Ihnen – und damit die meisten Kunden dort. Und das sollen wir auch noch finanzieren? Keinen Cent, ich wiederhole es nochmals.«
»Hören Sie zu«, knurrt Kendall und geht zur Tür, »ehe ich Sie noch mal aus dem Fenster werfe, Sie Giftnatter, gehe ich besser. Aber eins sage ich Ihnen, Wesley, den Plan führe ich durch. Mr Spalding, wenn Sie mich noch brauchen, ich bin im Hof.«
Er schmettert die Tür hinter sich ins Schloss und geht hinaus.
»Dieser Halbwilde«, stößt Wesley hinter ihm heraus. »Er bekommt es fertig und geht in Ihrer Gegenwart auf mich los, Mr Spalding. Ich sage Ihnen, einer von uns beiden ist zu viel hier. Entweder geht Kendall, oder ich gehe eines Tages.«
*
Kendall muss sich mit aller Gewalt zwingen, weiter gegen den von Westen kommenden Sturm anzurennen. Das Pferd will ihm kaum gehorchen. Aus dem Basin der Vierzig-Meilen-Wüste peitscht der Weststurm ungeheure Mengen Sand vor sich her auf die Humboldt-Berge zu.
Seit sechzehn Tagen rollen die beiden Transportwagen unter Kendalls Führung von Utah aus durch Nevada. Bis auf einen Radbruch ist nichts passiert, was Kendall Anlass zu irgendwelchen Sorgen geben könnte. Beim Verladen hat Kendall eine Kiste mit gerader Nummer auf die Kante der Verladerampe in Salt Lake krachen lassen. Die Kiste brach entzwei, ihr Inhalt kollerte in den Hof. Die Männer hatten sich schon über das Gewicht der Kisten gewundert. Als sie jedoch sahen, was an Einzelteilen in der zerbrochenen Kiste war, verstummte das Gerede. Außer Kendall hat niemand eine Ahnung, was wirklich in den Kisten mit den ungeraden Nummern steckt.
Im Brausen und Heulen des Sturms hört Kendall hinter sich den Hufschlag. Ed Yatskell, einer der beiden Wachreiter, kommt zu ihm. Yatskell hat wie alle das Halstuch vor den Mund gebunden, um nicht dauernd Sand zu schlucken. Die Sicht reicht kaum fünfzig Schritt weit, und der Sturm nimmt an Heftigkeit zu.
»Kendall!«
»Was ist?«, fragt Kendall, als Yatskell neben ihn kommt. »Noch zehn Meilen, dann ist es für heute vorbei. Wir brauchen Wasser, Ed.«
»Das wollte ich gerade fragen«, schreit Yatskell ihm heiser zu. »In der Tonne unter Moores Wagen ist noch etwas. Sollen wir halten und die Tiere tränken? Kendall, vielleicht hätten wir doch besser auf dem normalen Weg bleiben sollen?«
»Mein lieber Mann, dort hätte der Sturm uns weggeblasen«, antwortet Kendall. »Sieht man in der Halbwüste einen Sturm aufkommen, dann muss man Schutz suchen und in die Berge. Keine Rast jetzt, Mann. Wir müssen erst am nächsten Berg vorbei, dann durch ein Tal und wieder um einen Berg. Der Weg vor uns wird schmal. Reite zurück und sage Bescheid, dass die Wagen dicht hintereinander fahren sollen. Dort vorn packt uns der Wind besonders stark.«
»Gut, Jim. Wie weit noch, bis wir auf dem schmalen Weg sind?«
»Eine halbe Meile. Moore kennt die Stelle, dem brauchst du nichts zu sagen. Erkläre aber Thomas, dass er auf meine Rufe achten und dann scharf rechts fahren soll. Es geht linker Hand an der schmalsten Stelle verdammt steil hinunter. Diese Stelle ist kaum mit einem Pferd zu schaffen, geschweige denn mit einem Wagen. Eine halbe Meile noch, Yatskell. Danach durch das Tal und um den nächsten Berg. Dort gibt es steiniges Gelände und bald Wasser. Zurück mit dir, Mann.«
Obgleich die Sicht immer schlechter wird, kennt Kendall sich auf diesem Abkürzungsweg durch die Berge genau aus. Der Weg führt schließlich durch die Vierzig-Meilen-Wüste. Aber er ist wesentlich kürzer als der Hastings Cutoff. Dieser letztere Wagenpfad schneidet das Wüstenbecken des ehemaligen Lahontan-Sees in seiner ganzen Länge.
Hinter Kendall wird nun das Rasseln und Knarren der Wagen lauter. Kendall hält sein Pferd etwas zurück und legt weniger Abstand zwischen sich und die Wagen.
Es ist keine halbe Meile mehr bis zum Berghang. Dort zieht sich der Weg auf halber Höhe an einem gigantischen stufenförmigen Hangabschnitt entlang.
*
Klick. Der eine Mann fährt hinter dem Busch herum. Er sieht seinen Partner undeutlich hinter einigen Felsbrocken kauern und sagt wütend:
»Was fingerst du denn dauernd mit deinem Schießprügel herum. Wozu lädst du dauernd durch?«
»Wozu – wozu?«, knurrt der andere mürrisch und gereizt. »Du hockst da gut im Windschatten der Felsen, Mann. Aber ich bekomme den dreimal verfluchten Sand dauernd ab. Ich halte es vor Jucken bald nicht mehr aus. Verfluchter Alkalistaub, mistiger. Das kratzt wie Läuse.«
»Na, das könnte dir doch kein unbekanntes Jucken sein«, sagt der Mann hinter dem Busch hämisch. »Im Jail hatten wir doch Läuse genug. Deck deinen Schießprügel zu, dann dringt kein Sand in den Verschluss, verstanden?«
Jemand taucht aus den wie Nebelschleier wirkenden Wogen des Sandsturmes auf und wirft sich neben dem Busch hin.
»Was ist los? Wie lange sollen wir hier noch hocken? Das hält ja kein Mensch aus, Mann. Ausgerechnet bei dem verdammten Wetter müssen wir hier warten?«
»Yeah, ausgerechnet bei dem Wetter«, entgegnet der Ankömmling finster. »Er weht alle Spuren wieder zu. Darum sitzen wir ja hier. Niemand wird die Huftritte entdecken, wenn wir mit der Sache fertig sind. Ob der Kerl wirklich hier herauffährt?«
»Muss er, er kann nicht über den Berg fliegen«, gibt der Hagere kurz zurück. »Es kann nicht mehr lange dauern, dann sind sie hier. Ich wünschte, die Sicht wäre etwas besser. Verdammt schlecht zu zielen bei dem Sandsturm.«
»Ja, und wenn du das Gewehr hebst, wackelt das Ding auch noch, sobald der Sturm es packt.«
»Ihr werdet treffen. Wir müssen sie schlagartig erwischen, vergesst das nicht. Finden sie in den Wagen Deckung, sieht die Sache nicht ganz so leicht aus.«
»Dazu kommen die doch nicht mehr«, mischt sich der dritte Mann ein. Er ist hinter den Felsen herausgekommen und breitet seine Decke aus. »Haltet sie mal hoch, ich will mir eine anstecken.«
Er brennt sich seine Pfeife an und starrt aus schmalen Augen zu dem unter ihnen liegenden Weg hinab. Die Sandwogen peitschen über den Hang und lassen bereits die Büsche am linken Wegrand verschwimmen.
Der Mann mit der Pfeife vergisst im nächsten Augenblick zu rauchen.
Aus dem nebelartigen Dunst schält sich langsam ein Reiter. Dann taucht auch der zweite Reiter auf. Eine wie eine Nebelwand über den Weg streichende Sandwolke verschluckt den Mann gleich darauf und macht auch den zweiten Reiter unsichtbar.
Verdammt, denkt der Bandit hinter seinen Steinen erschrocken, da sind sie ja schon. Man hat sie nicht mal gehört. Der verfluchte Sturm. Dann sind die Wagen zu erkennen. Der Geldtransport ist da.
*
Kendall sieht sich um, als sie die schmalste Wegstelle erreicht haben.
Der erste Wagen mit Thomas und March auf dem Bock ist etwas zu weit nach links gekommen und hält an der Hangkante.
»Thomas, rechts halten! Mehr rechts.«
Sein Schrei erreicht Thomas, einen mittelgroßen rothaarigen und immer zu Streichen aufgelegten Fahrer. Thomas zerrt sofort an den Leinen. Die beiden Pferde an der Deichsel ziehen augenblicklich herum. Der Wagen nähert sich jetzt der Wand des Hangabsatzes.
»Gut so! Pass auf, wohin du fährst!«, brüllt Kendall durch das Heulen und Fauchen des Windes. »Wenn wir im Tal sind, lässt der Wind nach, dann haben wir …«
Und weiter kommt Kendall nicht. Er wirft gerade noch einen Blick auf die Ersatzpferde hinter Thomas’ Wagen. Dort sind sie angebunden. Hinter ihnen aber erscheint auch schon Joe Moores schwerer Transporter. Auf ihm liegen die meisten der ungerade nummerierten Kisten.
In diesem Augenblick streift Kendalls Seitenblick auch Yatskell. Und dann ist plötzlich die Hölle los.
In Kendalls Ohren dröhnt der Abschuss eines Gewehres. In derselben Sekunde sieht Kendall Yatskells Pferd jäh steigen und Yatskells weit aufgerissene Augen über dem Halstuch. Es kommt Kendall vor, als passierten die folgenden Dinge nur in seiner Phantasie.
Yatskell scheint von irgendeiner Gewalt aus dem Sattel geschleudert zu werden. Der Mann breitet die Arme aus, als wolle er sich irgendwo festhalten. Dann ist er auch schon verschwunden, während sein Pferd auf der Stelle zusammenbricht. Zur gleichen Zeit spürt Kendall das Zucken seines großen, breitbrüstigen und ausdauernden Pferdes, Kendall hat nun nicht nur einen donnernden Abschuss in den Ohren. Er glaubt sieben oder acht Schüsse zu hören und wirft sich augenblicklich nach links vom Pferd. In seinem Unterbewusstsein handelt er, wie er oft genug während des Krieges und der Indianerüberfälle reagiert hat.
Er streckt im Weghechten die Hand nach dem Gewehr aus. Er bekommt die Waffe zu fassen und weiß, dass sein Pferd getroffen worden ist. Mit diesem Bewusstsein saust er aus dem Sattel. Irgendetwas pfeift grell singend über ihn hinweg. Dann kommt er hoch. Er sieht hinter Moores Wagen das Pferd von Luke Bates, des zweiten Wachreiters, durchgehen. Der Gaul macht jedoch nur vier Sätze zurück, dann scheint er vor eine Mauer zu rasen. Das Pferd stellt sich jäh hoch und kracht zusammen. Bates saust aus dem Sattel. Er wirft sich hinter sein Pferd und beginnt zu schießen.
All das registriert Kendall während des Losrennens. Er sieht irgendwo rechts am Hang einen Feuerblitz und dann Thomas langsam nach vorn kippen. Thomas fällt vom Bock herunter, während March hinter dem Kastenbrett untergetaucht ist und zu schießen beginnt.
Wohin March feuert, ob er etwas trifft, Kendall weiß es nicht. Er läuft nur in wilden Sätzen wie ein Wahnsinniger an dem ersten Wagen vorbei. Kugeln scheinen nach ihm greifen zu wollen und fauchen mit bösartigem Heulen an ihm vorbei. Irgendwann erreicht er Moores Wagen. Er sieht von Moore nicht mehr als nur die Hutspitze und einen Colt. Der Colt spuckt Feuer, während Kendall zum Ende des Wagens rennt. Weiter zurück, etwa acht Schritt entfernt, liegt Bates hinter dem toten Pferd und schießt zur Hanghöhe hinauf.
»Die Pferde! Schneide die Pferde los!«, hört Kendall Moore brüllen. »Rauf danach, Jim, schnell herauf.«
In der nächsten Sekunde hat Kendall auch schon das Messer herausgerissen. Zu seinem Schreck sieht er, dass das eine Ersatzpferd von Moores Wagen tobt. Das andere liegt am Boden. Warum die Kugeln nicht auch die beiden Wagenpferde Moores niedermähen, wird Kendall nun klar. Moores Wagen steckt ja hinter dem ersten Fahrzeug. Der Weg ist zu schmal, um wenden zu können. Und selbst wenn das ginge, lägen immer noch die Pferde hinter Moores Wagen tot auf dem Weg. Moore steckt in einer Falle, aus der es keinen Weg mehr zu geben scheint.
Mit einem Hochreißen des Messers schneidet Kendall die beiden Stricke durch. Das angeschossene Tier bäumt sich auf und rast davon.
»Rauf, Jim! Rauf!«
Moores Stimme ist so drängend, dass Kendall seinen Versuch, unter den Wagen zu kriechen, aufgibt. Er wirft sich hoch, fliegt über das hintere Abschlussbrett des Wagenkastens und landet neben Tom Blyton. Blyton ist der einzig verheiratete Fahrer des Transportes. Er hat eine junge Frau und ein sechs Monate altes Baby. Jetzt kauert er an der rechten Kastenwand und hat die Plane hochgeschoben. Da die Kisten ausreichend Deckung geben, hockt er einigermaßen sicher.
Zu Kendalls Schreck hat Moore die Peitsche genommen und den Colt hingeworfen.
»Joe, bist du wahnsinnig?«, kann Kendall noch schreien, ehe er sich neben Joe niederduckt und auf einen Feuerblitz am unteren Hangende schießt. »Das schaffst du nie.«
»Dann brechen wir uns den Hals«, erwidert Moore mit der ihm eigenen Sturheit und Entschlossenheit. »Ich habe schon ganz andere Sachen versucht. Yüüaaahh – lauft!«
Er hat die linke Leine ganz angerissen und schlägt jetzt aus der Deckung des Kastenbrettes mit der Peitsche über die Pferde.
Und dann ruckt der Wagen an.
Es kommt Kendall vor, als gäbe es ein Wunder. Zwar knallt ein halbes Dutzend Kugeln in den Wagen, aber keine scheint die beiden Wagenpferde zu treffen. Kendall feuert nun auf einige blendend rote Flammenzungen am Hang. Er schätzt, dass sie von mindestens sechs Männern beschossen werden. Wo die Kerle überall stecken, kann er nicht feststellen. Er hört vom ersten Wagen ein Gewehr krachen und auch noch, dass Bates schießt. Dann kommt es ihm vor, als wolle Moore den ersten Wagen rammen. Nur um Handbreite schieben sich die Vorderräder des zweiten Wagens am ersten vorbei.
»Joe, du schaffst es nicht, wir stürzen um«, keucht Kendall, indem er sich neben Moore wirft. »Mann, am Hang sind auch ein paar Kerle hinter Büschen. Die sehen uns und schießen die Pferde ab. Du kommst nie herunter.«
Moore antwortet mit einem Fluch. Im nächsten Moment sind sie neben dem ersten Wagen. Was jetzt von der Hanghöhe auf sie gefeuert hat, muss warten, bis sie wieder zum Vorschein kommen. Doch dazu reicht es nicht mehr. Schrill wiehernd gehen die Pferde an.
Allmächtiger, denkt Kendall noch verstört. Wenn der Wagen umkippt, schlagen uns die Kisten tot.
Eine Sekunde später sieht er den Busch am Hang und den Feuerblitz. Er macht den dunklen Schatten des Banditen dort aus. So gut er kann, lehnt er sich gegen die Kastenseite und nimmt die Waffe hoch. Gleichzeitig kommt der schwere dröhnende Schlag, mit dem das Mittelstück des Wagens einen winzigen Augenblick die Hangkante streift. Aus dem Gewehr des Burschen hinter dem Busch bricht die nächste Feuerlanze. Kendall spürt, wie sich der Wagen neigt. Er sieht verschwommen, wie tief es hier ins Tal hinabgeht. Dann sind sie auf dem Hang. Moore, der wie ein Teufel fahren kann, lässt die Leinen locker.
Du großer Gott, schießt es Kendall durch den Kopf, das wird eine Fahrt in die Hölle. Verdammt, der Kerl da hinter dem Busch …
Der Bandit sieht nun den Wagen kommen. Er steht auf, reißt das Gewehr hoch und legt auf die Pferde an. Im selben Moment aber hat auch Kendall die Waffe an der Schulter.
Es reicht bei den fürchterlichen schaukelnden und schwankenden Bewegungen des Wagens nur zu einem Schnappschuss Kendalls. Der Schuss fährt heraus. Kendall blickt auf den Feuerblitz des Banditengewehres. Er spürt einen heftigen Schlag an die Rippen. Seine linke Seite wird von irgendetwas getroffen, und er kann nicht sagen, ob das Geschoß von hinten oder unten gekommen ist. Dafür sieht er, wie seine Kugel den Banditen trifft. Der Mann verliert sein Gewehr im Hinstürzen. Er kracht auf die kleinen Steine des Hangs. Der Busch bietet ihm nun keine Deckung mehr.
Augenscheinlich hat Kendalls Kugel den Banditen in der Hüfte oder dem rechten Oberschenkel erwischt. Der Bursche fasst im Wegkollern nach einer Seite. Dann rollt er bis an den nächsten Busch, bleibt liegen und stiert dem herabrasenden Wagen entgegen.
Noch ist der schwere Wagen nicht allzu schnell. Aber seine Geschwindigkeit vergrößert sich von Sekunde zu Sekunde. Die Hölle wird kommen, sobald sie weiter unten sind. Dort liegen bereits größere Steine.
Kendall hört, wie Blyton am Endbrett flucht und feuert. Seine ganze Aufmerksamkeit aber konzentriert sich nun auf den Banditen. Er sieht von diesem Gesicht nur ein Drittel, weil der Bandit Hut und Halstuch trägt. Es kommt Kendall vor, als schrie der Mann unter seinem Tuch. Der Bandit beginnt jetzt zu kriechen. Der Wagen aber rast auf ihn zu. Moore kann nicht lenken, er muss die Pferde laufen Lassen.
Mit unwillkürlichem Frösteln sieht Kendall, wie der Bandit verzweifelt versucht, aus der Bahn des Wagens zu kommen. Wie ein Irrer stemmt sich der Rustler ab, aber das Geröll gibt nun nach. Der Mann beginnt zu rutschen, und der Wagen rast heran. Kendall hört durch die wilde Schießerei, wie der Bandit gellend schreit, je näher ihm der Wagen kommt. Das schwere Gefährt ist nun so schnell geworden, dass nichts und niemand es noch aufhalten könnte. Es ist auch nicht aus der Bahn zu bringen. Die fürchterlichen und durchdringenden Schreie des Banditen gehen im Knattern und Tosen der Wagenräder unter. Die Pferde wiehern, dann sind sie über dem Mann. Und danach kommt es Kendall vor, als ging ein leichtes Rucken durch den Wagen.
Der Bandit schreit nicht mehr.
»Joe, schräg lenken. Schräg!«, brüllt Kendall. »Joe, die Leinen rechts anziehen, wir rasen mitten in die Steine.«
Erst in diesem Augenblick erkennt Kendall, dass Joe Moore sich tiefer hingekauert hat. Moore sieht gar nicht mehr über den Kastenrand hinweg.
Als sich Kendall nach links wirft und Moores Kopf sieht, weiß er genug. Moores Kopf ist an der linken Seite voller Blut.
Mein Gott, er ist tot, denkt Kendall entsetzt.
Er wirft sich vor Moore gegen das Kastenbrett und reißt die Leinen an sich. Dann zieht er sie sofort rechts an. Hinter ihm feuert Blyton noch zweimal, das nimmt Kendall im Unterbewusstsein wahr. Er muss nun versuchen, den Wagen mehr nach rechts zu bekommen. Es gelingt ihm auch kurz vor den ersten Felsblöcken in der Taltiefe. Wie ein Spuk ziehen die Felsen hart am linken Vorderrad vorbei. Einen schrecklichen Augenblick stellt sich der Wagen in irgendeiner Rinne auf zwei Räder. Er droht nach links umzustürzen. Kendall wirft sich gegen die rechte Wagenkastenwand. Vielleicht ist es sein Gewicht, das den Wagen auf alle vier Räder zurückkrachen lässt.
Im nächsten Moment tauchen vor Kendall größere Brocken auf. Hier liegen Hunderte von Felsstücken. Stechend und kaum auf den Schmerz an den Rippen achtend, bringt Kendall den Wagen schleudernd um die ersten Brocken. Er muss nach der Peitsche greifen. Die Pferde gehen durch. Soll der Wagen nicht an einem der Felsbrocken zerschellen, muss Kendall die Tiere mit Hilfe der Peitsche lenken.
Die Höllenfahrt des Transporters über schroffes Gestein beginnt. Der Wagen wird durchgerüttelt, während von der Hanghöhe der Sand im dichten Schwall herabgeblasen wird.
Plötzlich hört Kendall ein Stöhnen links neben sich. Er wagt es, blitzschnell nach Moore zu sehen. Joe rührt sich zu seinem Erstaunen. Der untersetzte stämmige Joe Moore sagt irgendetwas. Dann zieht er sich hoch und kniet.
»Mein Kopf – kann nicht sehen blind – blind …«
»Joe! Joe, ich bin hier!«, schreit Kendall ihm zu. »Joe, wir sind ihnen entwischt, hörst du? Nicht aufstehen. Bleib unten, Alter.«
Moore fährt sich jetzt mit dem Rockärmel über das von Blut übergossene Gesicht. Augenblicke später rast der Wagen über den Hang und mitten in das weite, sanft gewellte Tal hinein. Hier tobt der Sturm so hart, dass die Pferde kaum den Wagen ziehen können. Schwer stemmen sie sich in den Sielen und fallen in Schritt.
Kendall begreift kaum, dass sie aus dem klippenreichen Grund der Schlucht herausgekommen sind. Er hört Moore fluchen und sieht ihn hochkommen.
»Ich sehe etwas«, keucht Joe Moore. Er hat sein Halstuch um den Kopf gewunden und den Hut fest darüber gepresst. »Jim – wo – wo sind wir?«
»Im offenen Tal«, erwidert Kendall. Er muss brüllen, um sich verständigen zu können. »Joe, sieh nach Blyton, wenn du kannst. Es muss ihn erwischt haben. Er meldet sich nicht mehr. Was macht dein Kopf?«
»Schmerzen – verrückte Schmerzen«, lallt Moore. Seine Zähigkeit ist so groß, dass er nach hinten kriechen kann. Dort beugt er sich über Blyton. Als er zurückkehrt, klingt seine Stimme wie geborsten: »Er ist tot, Jim.«
»Großer Gott«, stößt Kendall durch die Zähne. »Geh wieder nach hinten, sieh dich um. Ich muss versuchen, auf das Humboldt Plateau zu kommen. Wenn ich es schaffe, könnten wir den Burschen entwischen, Joe.«
Joe Moore ist eisenhart, aber er kann die rasenden Schmerzen kaum ertragen. Sie gehen von seinem Kopf aus und pflanzen sich über den Nacken fort. In seinem Rückgrat enden sie schließlich. Dem alten Joe ist so schlecht wie nie zuvor in seinem Leben. Er sieht ab und zu auf nächste Entfernung das Endbrett verschwimmen. Manchmal scheint sich alles um ihn zu drehen. Keuchend sucht er nach seiner Brandyflasche. Nach einigen Schlucken wird ihm etwas besser. Er hört Jim schreien und kriecht zum Bock zurück. Über ihm knattert und peitscht die Plane gegen die Rundbögen, als wolle sie der Sturm zerfetzen.
»Was ist, Jim?«
»Joe, kannst du gut sehen?«
»Ja, besser jetzt. Wenn nur die verfluchten Schmerzen nicht wären. Mir platzt der Schädel, Jim. Hinter uns ist nichts.«
»Noch nicht«, antwortet Kendall düster, »es wird aber nicht lange dauern, dann kommen sie uns nach. Auf den Steinen im Tal haben sie unsere Wagenspur nicht sehen können. Sie werden eine Weile suchen müssen, vielleicht zehn Minuten, bis sie wissen, wohin wir gefahren sind. Die Wagenfährte weht auch bei diesem Sturm erst nach drei Stunden vollständig zu. Joe, unsere einzige Chance ist das Plateau, dort ist nichts als nackter Fels. Schaffst du es, ein paar Kisten über Bord zu werfen? Der Wagen muss leichter werden. Die Pferde haben zu schwer zu ziehen. Außerdem scheint der linke Gaul etwas abbekommen zu haben.«
»Kisten, runterwerfen? Kann ich sicher.«
»Gut, aber nur die mit den geraden Nummern, Joe, nur die. Keine mit einer ungeraden Nummer, verstanden?«
»Warum, Jim?«
»Weil in denen wirklich nur Maschinenteile sind. Also los, fang an.«
Obwohl er einen Streifschuss am Kopf erwischt und rasende Schmerzen hat, kann Moore immer noch gut genug denken. »Und was ist in den anderen Kisten? Verdammt, die haben uns doch nie nur wegen der Maschinenteile überfallen?«, keucht der Alte heiser. »Damit können die Halunken doch nichts anfangen, Jim, was ist in den Kisten mit den ungeraden Nummern?«
»Silberdollars, reines Silber im Wert von sechzigtausend Dollar, Alter!«
»Allmächtiger«, hört Kendall seinen alten Partner und Freund stöhnen. »Darum also. Und du hast mir nichts gesagt.«
Er versuchte den Kopf zu schütteln, gibt es aber sofort wieder auf. Stöhnend kriecht er nach hinten.
»Silberdollars, sechzigtausend Dollar«, ächzt der Alte über den Kisten. »Oh, verdammt, dafür kommen die Halunken uns auch in die Hölle nach und bringen uns um.«
Erst in diesen Minuten wird ihm klar, dass kein Bandit der Welt auf so viel Geld verzichten wird. Wenn die Burschen auch die Silberdollars wegen ihrer Prägung nicht in den Handel bringen können, sie brauchen sie nur einzuschmelzen und das Silber in Barren zu verkaufen.