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IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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© 2015 by Janice Maynard
Originaltitel: „Second Chance with the Billionaire“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1978 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Ute Augstein

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733723743

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Conor Kavanagh war unruhig und auch ein bisschen nervös, seit er wusste, dass Ellie Porter zurück in der Stadt war. Obwohl sich Filmstars und andere Berühmtheiten sozusagen die Klinke in die Hand gaben, wenn sie ihre Ferien in Silver Glen verbrachten, war es ein verhältnismäßig kleiner Ort. Daher konnte Conor davon ausgehen, Ellie früher oder später über den Weg zu laufen.

Bei dem Gedanken daran bekam er eine Gänsehaut – allerdings nicht aus Vorfreude. Ellie Porter war Teil seiner Vergangenheit. Wie ein Traum, den er nach Möglichkeit verdrängte, der ihn aber nie ganz losgelassen hatte. Conor brauchte die Erinnerungen an Ellie allerdings nicht, um zu wissen, dass er in seinem Liebesleben nie sehr glücklich gewesen war.

Verdammt, er hatte mit seinen nahezu dreißig Jahren – nicht nur in Sachen Beziehungen – schon mehr Fehler gemacht als manche Menschen in ihrem ganzen Leben. Doch er tröstete sich mit dem Gedanken, dass er aus den meisten etwas gelernt hatte. Außerdem waren Ellie und er damals streng genommen gar kein Paar gewesen, zumindest nicht im wirklichen Leben. Er hatte sie einmal geküsst, und mehr war zwischen ihnen nicht geschehen.

In seinen Träumen allerdings waren sie wesentlich weiter gegangen. Nachts, allein in seinem Bett, hatten seine Gedanken nur um ihre verführerischen Kurven gekreist. Seine jugendlichen Hormone hatten erbarmungslos in seinem Körper getobt, und Conor wäre beinahe verrückt geworden vor Verlangen nach Ellie.

Alles an ihr war ihm wie pure Sinnlichkeit vorgekommen. Der Duft ihres Haares. Die kleinen Grübchen in ihren Wangen, die man nur sehen konnte, wenn sie lächelte. Selbst die winzige Lücke zwischen ihren Schneidezähnen hatte ihn verzaubert. Er hätte das ganze Familienvermögen der Kavanaghs dafür gegeben, eine Nacht mit ihr zu verbringen und sich in den Reizen ihres wunderbaren Körpers zu verlieren, um Ellie zu zeigen, wie kostbar sie für ihn war.

Aber Ellie Porter und ihr Zwillingsbruder Kirby waren nun einmal die beiden besten Freunde, die Conor jemals gehabt hatte. Daher behielt er seine Träumereien wohlweislich für sich und ließ sich Kirby gegenüber nicht anmerken, wie sehr er seine Schwester begehrte. Auch dann nicht, nachdem er sie einmal geküsst hatte.

An der Highschool war sie überaus beliebt gewesen und hatte sich vor Verehrern kaum retten können. Jedes Mal, wenn Ellie mit einem Jungen ausging, hatte Conor Höllenqualen ausgestanden, denn nichts hatte er sich mehr gewünscht, als Ellie die Türen aufzuhalten, im Kino den Arm um ihre Schultern zu legen und sie in den lauen Sommernächten nach Hause zu begleiten.

Doch obwohl Ellie sicher nicht entgangen war, dass es da eine besondere Verbindung zwischen ihr und Conor gab, die mehr war als nur Freundschaft, hatte sie ihn abgewiesen. Er hatte nie ganz verwinden können, derart abgeblitzt zu sein, und seitdem hatte er sein Herz sorgfältig abgeschirmt.

Oft hatte sich Conor gefragt, was wohl geschehen wäre, wenn die Porters in Silver Glen geblieben wären. Wäre es ihm möglicherweise doch noch gelungen, dass Ellie ihm eine zweite Chance gab? Auf diese Frage gab es keine Antwort, und außerdem war es auch nicht mehr von Bedeutung. Sie beide führten ihr eigenes Leben. Ellie war mittlerweile verheiratet, und Conor suchte wie eh und je die Gefahr, um sich zu beweisen, dass er noch am Leben war.

Lautes Lachen vom Tisch hinter ihm riss ihn aus seinen Träumereien. Im Silver Dollar Saloon war an Wochenenden ziemlich viel los. Die angesagte Bar gehörte Conors Bruder Dylan, der häufig persönlich hinter der Theke anzutreffen war, um Drinks zu mixen und mit den Gästen zu scherzen.

Dylan war ein extrovertierter Mensch, dem es leichtfiel, mit anderen ins Gespräch zu kommen. Seitdem er Mia geheiratet und die kleine Cora adoptiert hatte, war er jedoch endlich zur Ruhe gekommen und ein richtiger Familienmensch geworden, wie Conor fand. Doch nach wie vor spielte der Silver Dollar Saloon eine wichtige Rolle in Dylans Leben.

Der Saloon war ein anheimelnder Ort, wo jeder jeden kannte und der Einheimische und Touristen gleichermaßen anzog. Die Musik war gut, der Service Spitzenklasse und die Burger einfach legendär lecker.

Dylan kam vom anderen Ende der Bar zu seinem Bruder und sah fragend auf die halb geleerte Bierflasche, die bereits eine ganze Stunde vor Conor stand.

„Mit dir ist ja wirklich kein Geschäft zu machen“, bemerkte Dylan. „Du isst nichts und trinkst nichts. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, dass du verliebt bist.“

Conor leerte die Flasche in einem Zug und schnitt eine Grimasse. „Lieber Himmel, nein. Nur weil du im siebten Himmel der Ehe schwebst, heißt das noch lange nicht, dass dir jetzt alle deine Brüder folgen müssen. Ich bin völlig zufrieden mit meinem Dasein als Single und liebe meine Freiheit.“

„Du weißt ja nicht, was du verpasst“, versuchte Dylan ihn aus der Reserve zu locken.

Tief in seinem Herzen wusste Conor, dass Dylan recht hatte, schließlich hatte er zugesehen, wie seine älteren Brüder einer nach dem anderen von Amors Pfeilen getroffen worden waren. Das Traurige daran war, dass sie wirklich glücklicher zu sein schienen als je zuvor.

Liam und Zoe, Dylan und Mia, Aidan und Emma. Selbst Gavin, der so zurückgezogen gelebt hatte wie ein Eremit, war dem lebhaften Charme der zauberhaften Cass rettungslos erlegen.

Ja, dachte Conor missmutig, es war wirklich schwer zu ignorieren, dass seine Brüder verdammt glücklich waren. Jede Nacht schliefen sie mit der Liebe ihres Lebens in den Armen ein, strotzten förmlich vor Testosteron und liefen mit stolzgeschwellter Brust herum, weil es ihnen gelungen war, ihre Traumfrau in ihre Höhle zu locken.

Doch was Conor wirklich berührte, war der liebevolle Ausdruck in den Augen seiner Brüder, wenn sie sich unbeobachtet glaubten. In diesen Momenten konnte man sehr gut sehen, dass sie ihren Frauen hoffnungslos verfallen und ihnen auf geheimnisvolle Weise zutiefst verbunden waren. Conor konnte nicht leugnen, eifersüchtig auf so viel Glück zu sein.

Allerdings schien das Schicksal mit ihm andere Pläne zu haben. Die einzige Frau, die ihm wirklich jemals etwas bedeutet hatte, hatte ihm mit ihrer Zurückweisung eine tiefe Wunde zugefügt. Ellie hatte seine Leidenschaft für den aus ihrer Sicht gefährlichen Skisport nie verstehen können. Trotz aller Versuche, ihr zu erklären, weswegen Skifahren so wichtig für ihn war, hatte Conor sie schließlich verloren.

Ellie hatte gewollt, dass Conor sich änderte. Sie hatte ihn angefleht, vorsichtiger zu sein. Letzten Endes hatte sie an seinem Krankenhausbett gestanden und ihm mit Tränen in den Augen gestanden, dass sie keine gemeinsame Zukunft für sie beide sah, weil Conor das Adrenalin mehr liebte als sie.

Natürlich hatte er gewusst, dass an ihren Worten etwas Wahres dran war. Als Kind hatte ihn eine Atemwegserkrankung dazu gezwungen, viel Zeit im Haus zu verbringen. Nach seiner Genesung hatte es nichts Wichtigeres für ihn gegeben, als sich immer wieder aufs Neue zu beweisen, was für ein harter Kerl er war. In allem, was er tat, war er stets an sein Limit gegangen, um zu siegen. Das war früher so gewesen und hatte sich bis heute nicht geändert.

Für diese wilde Entschlossenheit hatte er allerdings einen hohen Preis zahlen müssen.

Mittlerweile hatte er begriffen, dass ein Mann immer nach vorne sehen musste und sich niemals in der Vergangenheit verlieren durfte. Sowohl privat als auch beruflich hatte er diese Lektion mehrere Male auf die harte Tour lernen müssen.

Dylan reichte ihm eine Speisekarte. „Bestell was. Flirte mit irgendwem. Aber hör endlich auf, Trübsal zu blasen.“

Lächelnd schüttelte Conor den Kopf. „Es wäre vermutlich zu viel verlangt, dass du deinen Bruder einfach mal in Ruhe lässt, oder? Verdammt, dann bring mir eine Coke und einen Cheeseburger, wenn es dich glücklich macht.“

Geistesabwesend nickte Dylan ihm zu, weil seine Aufmerksamkeit bereits auf zwei streitende Männer an Tisch sechs gerichtet war. „Das hört sich schon viel besser an“, erwiderte er, bevor er zu den beiden Streithähnen ging, um die Situation zu entschärfen.

Bewundernd sah Conor seinem Bruder dabei zu, wie er die Männer zur Tür und schließlich auf die Straße hinaus bugsierte, ohne dass auch nur einer der beiden sich darüber beschwerte. Im Silver Dollar wurden Schlägereien nicht geduldet.

Während Conor auf sein Essen wartete, checkte er beiläufig die Nachrichten auf seinem Smartphone. Könnte er nicht einfach bei Ellie vorbeischauen und Hallo sagen? Ob sie immer noch so aussah wie früher? Und würde sie ihm immer noch so gut gefallen?

Immerhin hatten sie sich dreizehn Jahre lang nicht gesehen – oder waren es mittlerweile sogar schon vierzehn? Sie war also längst eine erwachsene Frau. Doch weswegen dachte er immer noch über sie wie über die Sechzehnjährige, die er gekannt hatte? Das alles ergab doch keinen Sinn. Indem er in den guten alten Zeiten schwelgte, in denen nun wirklich nicht alles so gut gewesen war, quälte er sich nur selbst. Natürlich waren Erinnerungen an sich nichts Schlechtes, solange man sich immer darüber im Klaren war, dass allein die Gegenwart zählte.

Sein Unfall vor dreizehn Jahren hatte ihn seine Karriere als professioneller Skifahrer gekostet – und jede Möglichkeit zunichtegemacht, jemals Ellie Porters Herz für sich zu gewinnen.

Nachdem er seinen Burger gegessen hatte, unterdrückte er ein Gähnen, obwohl es noch nicht einmal zweiundzwanzig Uhr war. Seit dem frühen Morgen war er auf den Beinen und hatte gearbeitet. Ihm gehörte das Silver Mountain Ski Resort, doch Conor hatte sich nie etwas daraus gemacht, sich auf seinem Reichtum auszuruhen. Maeve Kavanagh hatte ihre sieben Söhne dazu erzogen, Arbeit nie aus dem Weg zu gehen, gleichgültig, wie vermögend die Familie auch war.

Conors Mutter vertrat die Ansicht, dass ein Mann sich nun einmal nicht auf einem gut gepolsterten Bankkonto ausruhte. Alle ihre Söhne hatten diesen Kodex verinnerlicht und hielten sich daran. Liam führte gemeinsam mit seiner Mutter die Silver Beeches Lodge. Dylan leitete den Silver Dollar Saloon, Aidan war ein Finanzgenie in New York, und Gavin hatte eine Computersicherheitsfirma mit dem Namen Silver Eye gegründet.

An Conors dreiundzwanzigstem Geburtstag hatte er offiziell das Silver Mountain Ski Resort übernommen – eine vernünftige Entscheidung, wenn man bedachte, wie viel Zeit er seit seiner Kindheit auf Schneepisten aller Art verbracht hatte. Damals hatte er davon geträumt, Medaillen zu gewinnen und auf dem Siegertreppchen ganz oben zu stehen, während ein Orchester die Nationalhymne spielte, doch das Leben hatte das Drehbuch für seine Pläne erbarmungslos umgeschrieben.

Dabei konnte er sich eigentlich nicht beklagen. Es ging ihm gut, und er hatte eine tolle Familie.

Warum musste er nur ständig an Ellie Porter denken?

Zwei hübsche, sportlich wirkende Blondinen vom Nachbartisch warfen ihm einladende Blicke zu. Zufällig waren sie genau sein Typ. Doch heute Abend konnte er nicht genügend Interesse aufbringen, um sich auf einen Flirt mit ihnen einzulassen. Was zur Hölle stimmte bloß nicht mit ihm?

„Conor?“, erklang plötzlich eine Frauenstimme hinter ihm, und er spürte, wie ihn jemand an der Schulter berührte.

Instinktiv setzte er ein entschuldigendes Lächeln auf, während er sich umdrehte, um der Fremden mitzuteilen, dass er gerade gehen wollte. Doch dann ließen ihn die dunkelblauen Augen, in die er blickte, für einen Moment verstummen.

„Ellie?“

Ernst nickte sie. „Ich muss unbedingt mit dir sprechen.“

Als Conor aufstand, wurde Ellie wieder einmal bewusst, wie groß er war. Der schlanke Conor überragte ihre zierlichen ein Meter sechzig um mindestens zwanzig Zentimeter. Die hellen Strähnen in seinem dunkelblonden Haar waren das Resultat von zahllosen im Freien verbrachten Stunden. Frauen ließen viel Geld beim Friseur, um diesen Effekt zu erzielen.

Er trug das Haar kürzer als damals, als sie beide noch Teenager gewesen waren. Es war dicht und glänzte seidig, und Ellie hatte ihn schon immer darum beneidet. Ohne Frage war Conor ein schöner Mann. Der einzige Makel war die feine, silbrig schimmernde Narbe, die sich über sein Kinn zog. Mit zwölf Jahren war er vom Skilift gestürzt und hatte sich das Gesicht an einem Felsen aufgeschlagen.

Sie und Kirby hatten im Sitz hinter ihm gesessen und entsetzt beobachtet, wie sich der Schnee unter Conor rot färbte. Doch dann war er aufgestanden und hatte ihnen – wie es schon immer seine Art gewesen war – unbekümmert zugewunken. Selbst heute wurde ihr noch flau im Magen, als sie daran zurückdachte.

Definitiv war aus dem Jungen in der Zwischenzeit ein überaus attraktiver Mann geworden. Muskulös und sportlich und mit einer Ausstrahlung, die keinen Zweifel daran ließ, dass er sich wohl in seiner Haut fühlte. Mittlerweile war er etwas kräftiger geworden, was ihm gut stand, denn auf der Highschool war er für Ellies Geschmack stets ein bisschen zu hager gewesen. Seine Leidenschaft für Sport hatte dafür gesorgt, dass er nie genug Kalorien bekommen hatte, um zuzunehmen – eine traumhafte Vorstellung für jemanden wie Ellie, die immer sorgfältig auf ihr Gewicht achtete.

Er starrte sie an, ohne zu lächeln, und aus dem Ausdruck in seinen grauen Augen wurde sie nicht schlau.

„Ich habe gehört, dass du und Kirby zurück seid“, sagte er ernst.

Als sie nickte, fühlte sie sich ein bisschen schuldig. Hätte sie vielleicht anrufen und ihn vorwarnen sollen? „Grandpa geht es nicht besonders gut. Kirby und ich kümmern uns um ihn, bis meine Eltern in neun Monaten in Ruhestand gehen. Wenn ihre Klinik in Bolivien richtig läuft, wollen sie endgültig nach Silver Glen zurückkehren.“

„Ich verstehe.“

Seine Zurückhaltung bereitete ihr Kopfzerbrechen. Früher waren sie, Kirby und Conor beste Freunde gewesen, niemand hätte sie auseinandergebracht. Doch dann hatten ihre Eltern beschlossen, mit der Familie in den Dschungel von Südamerika zu ziehen, um die hilfsbedürftigen Menschen dort medizinisch zu versorgen.

„Du hast uns gefehlt“, sagte sie leise. Noch vor ihrem Wegzug aus Silver Glen waren Conor und sie getrennte Wege gegangen.

Conor zuckte mit den Achseln. „Ja. Aber es ist wirklich ein verdammt langer Weg von Silver Glen nach Bolivien. Es wundert mich nicht, dass wir nicht in Kontakt geblieben sind.“

Sie nickte. Einige Monate lang hatten Conor und Kirby sich noch E-Mails geschrieben, doch letzten Endes hatten die Zwillinge sich so sehr von ihrem gewohnten Leben in Silver Glen entfernt, dass die Verbindung schließlich abbrach.

„Wir sind damals wirklich wütend gewesen, weißt du“, erklärte sie. „Wir haben unsere Eltern angefleht, uns bei Grandpa zu lassen, damit wir hier weiterhin auf die Highschool gehen konnten.“

„Das weiß ich noch.“

„Aber sie haben darauf bestanden, dass wir vier eine Familie seien und deswegen zusammenbleiben müssten.“

„Lass uns einen Tisch suchen“, meinte Conor und sah sich im Saloon um. „Hast du schon zu Abend gegessen?“

„Ja.“ Sie folgte ihm und nahm auf dem Stuhl Platz, den er ihr anbot.

„Wie wäre es dann mit einem Stück Zitronenbaisertorte? Dylan behauptet, es wäre die beste im ganzen Staat.“

„Klingt fantastisch.“ Zwar gönnte sie sich nur selten ein Dessert, aber heute Abend brauchte sie etwas, woran sie sich festhalten konnte, um die Momente peinlichen Schweigens zu überbrücken. Irgendwie hatte sie sich dieses Wiedersehen völlig anders vorgestellt. Es machte sie betroffen, dass Conor sich anscheinend überhaupt nicht darüber freute, sie wiederzusehen.

Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, lehnte er sich zurück und sah sie ernst an. „Du bist eine schöne Frau geworden, Ellie. Und das will was heißen, denn schon auf der Highschool warst du die Hübscheste von allen.“

Völlig perplex starrte sie ihn an und spürte, wie sich ihre Wangen vor Verlegenheit röteten. „Das ist sehr nett von dir.“

„Nicht nett, es ist die Wahrheit“, erwiderte er distanziert. „Nur dein bester Freund zu sein, war nicht immer leicht.“

„Bist du mir wegen irgendetwas böse?“, fragte sie unsicher.

„Nein. Jetzt nicht mehr.“

„Und früher?“

„Ich schätze, ich habe damals gehofft, dass du und Kirby härter dafür kämpft, in Silver Glen bleiben zu dürfen.“

„Das haben wir“, erwiderte sie und biss sich auf die Lippen. „Das kannst du mir wirklich glauben. Wir haben geschmollt, geschrien und geweint, aber Mom und Dad haben sich nicht davon abbringen lassen, dass wir als Familie zusammenbleiben müssen. Am Ende hatten sie tatsächlich recht. Kirby und ich haben dort das erstaunlichste Jahr unseres Lebens verbracht.“

„Und wie habt ihr das mit der Schule gemacht?“

„Wir hatten Privatunterricht und haben in der Klinik mitgearbeitet. Ich wünschte, du wärst dabei gewesen, Conor. Der Dschungel ist ein wundervoller Ort – gefährlich, aber so faszinierend.“

„Wie schön für dich“, entgegnete er und sah auf seine Armbanduhr.

Ellie bemerkte seine Ungeduld. Früher einmal hatte sie all ihre Geheimnisse mit Conor geteilt. „Wie wäre es mit einem Tanz?“, fragte sie aus einer Laune heraus. „Um der alten Zeiten willen?“

Angespannt nickte er. „Wenn du willst.“

Zahlreiche Paare bevölkerten die kleine Tanzfläche, auf der Conor sich mit derselben Eleganz bewegte wie auf Skiern. Aus dem eher schüchternen Jungen war ein selbstbewusster Mann geworden.

Überrascht bemerkte sie, wie heftig ihr Körper auf Conors Nähe reagierte. Vielleicht lag es an ihrer gemeinsamen Vergangenheit, aber sicher auch daran, dass Conors männliche Ausstrahlung wohl jedes Frauenherz höher schlagen ließ. Eigentlich war sie heute Abend um ihres Bruders willen hergekommen. Es erschreckte sie ein wenig, dass sie sich schon so bald in Conors Armen wiederfand, wenn auch nur auf der Tanzfläche. Sie hatte kein Recht, diese Umarmung so sehr zu genießen.

Er sah nicht nur aus wie ein Model aus einer Werbung für teures Aftershave, er roch auch so verlockend. Irgendwie kam er Ellie einerseits vertraut, aber zur gleichen Zeit auch völlig fremd vor.

Eine Hand hatte er an ihre Taille gelegt, und mit der anderen hielt er ihre Hand umfasst. Ellie fragte sich, ob er spürte, was für eine erregende Wirkung seine Nähe auf sie ausübte.

Natürlich hatte sie in den vergangenen Jahren häufig an ihn gedacht und sich gefragt, was er wohl tat. Aber sie hatte keine Erinnerung daran, sich jemals derart aufgewühlt in seiner Gegenwart gefühlt zu haben, wie es heute Abend der Fall war.

Als das Lied geendet hatte, kehrten sie an den Tisch zurück.

„Es ist toll, dich wiederzusehen, Ellie“, sagte Conor und seufzte. „Aber du hast gesagt, dass du mit mir sprechen musst. Bisher haben wir aber nur Höflichkeiten ausgetauscht. Wollen wir nicht irgendwohin fahren, wo man nicht brüllen muss, um sein eigenes Wort zu verstehen?“

Mit fortgeschrittener Stunde war der Geräuschpegel im Silver Dollar Saloon empfindlich angestiegen, weswegen Conors Angebot sinnvoll klang. Doch Ellie hatte keine Zeit.

„Das klingt toll, aber ich kann nicht mehr lange bleiben, Conor. Ich habe ein Baby, einen Sohn. Ich habe ihn vorhin ins Bett gebracht, und Kirby passt auf ihn auf. Trotzdem kann es sein, dass er noch mal aufwacht.“

Obwohl er offensichtlich geschockt war, lächelte Conor schließlich. „Wer? Dein Sohn oder Kirby?“

„Sehr witzig.“ Sie wusste nicht, weswegen sie sich so davor scheute, das auszusprechen, was ihr auf dem Herzen lag. „Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht ein bisschen Zeit mit Kirby verbringen könntest.“

„Natürlich“, erwiderte er ruhig, obwohl er etwas überrascht zu sein schien. „Es macht bestimmt Spaß, über die guten alten Zeiten zu reden.“

„Das habe ich eigentlich nicht gemeint“, antwortete sie und spürte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. „Kirby braucht dich“, erklärte sie. „Er hat einen schlimmen Schicksalschlag erlitten, und ich glaube, es hilft ihm, wenn er mit dir darüber reden kann.“

„Warum mit mir?“, erkundigte sich Conor misstrauisch.

Dafür konnte sie ihm keinen Vorwurf machen, immerhin lagen fast vierzehn Jahre zwischen ihnen, in denen sie sich nicht gesehen hatten. Zwar hatte ihr Bruder Conor zu ihrer Hochzeit eingeladen, doch Conor hatte damals höflich abgesagt.

Sie rieb sich die Schläfen. „Du hattest eine großartige Skisportkarriere vor dir. Schon mit sechzehn bist du ins amerikanische Team gekommen. Du bist kurz davor gewesen, dir deinen größten Traum zu erfüllen.“

„Ja – und dann hatte ich den Unfall mit meinem Knie.“

„Genau. Du hast deinen Traum aufgegeben und lernen müssen, ohne ihn zu leben.“

„Sei mir nicht böse, aber über dieses Jahr in meinem Leben möchte ich eigentlich nicht sprechen.“

„Tut mir leid.“ Sie wusste, wie schwer es ihm damals gefallen sein musste, sein Leben völlig umzukrempeln. Zwar durfte er nach wie vor Ski fahren, jedoch nie wieder auf Profiniveau. Ansonsten hätte die Gefahr bestanden, dass sein rechtes Bein dauerhaft in Mitleidenschaft gezogen wurde. Trotz dieser schrecklichen Enttäuschung hatte Conor die Zähne zusammengebissen und mit seinem Leben weitergemacht.

„Was stimmt denn nicht mit Kirby?“

Rasch wischte sie die Tränen fort. „Er hat einen Fuß verloren. Man hat ihn oberhalb des Knöchels amputieren müssen.“

2. KAPITEL

„Du liebe Güte, Ellie!“, rief Conor entsetzt. „Das ist ja furchtbar.“ Schon immer war Kirby ein sportlicher Typ gewesen und hatte leidenschaftlich gern Football und Basketball gespielt. „Was ist denn passiert?“ Er schluckte und wusste nicht, ob er das wirklich so genau wissen wollte.

Ellie war inzwischen ganz blass geworden. „Weißt du, er hat vor anderthalb Jahren sein Medizinstudium abgeschlossen – als einer der besten. Aber das war er ja schon immer.“

„Ich erinnere mich. Er hat den Klassendurchschnitt mit seinen guten Noten immer völlig ruiniert.“

„Er ist jedenfalls Kinderarzt geworden, und um sein Examen zu feiern, hat er eine Tour gebucht, um mit anderen den Aconcagua in Argentinien zu besteigen. Dabei sind sie in einen furchtbaren Sturm geraten. Der Felsvorsprung, auf dem sie Schutz gesucht hatten, ist abgebrochen, und Kirby ist mehrere Hundert Fuß in die Tiefe gestürzt. Anschließend war sein Unterschenkel zwischen den Gesteinsmassen eingeklemmt. Fast achtundvierzig Stunden hat er so da gelegen, bis der Rettungstrupp ihn endlich gefunden hat.“

„Er kann von Glück reden, dass er überlebt hat“, bemerkte Conor erschüttert.

„Ja.“ Ellie nickte traurig. „Er hatte drei Operationen und endlos viele Therapiestunden. Mittlerweile kommt er mit der Fußprothese gut zurecht. Aber, Conor …“

„Was?“ Sanft berührte er ihre Hand.

„Jetzt glaubt er, dass er kein guter Arzt mehr sein kann“, sagte sie unglücklich.

Sofort verspürte Conor den unbändigen Drang, sie zu beschützen, das war schon immer so gewesen. Er wollte ihr Retter sein, offenbar änderten sich einige Dinge nie. Doch eine überfüllte Bar an einem Freitagabend war kein geeigneter Platz für diese Art von Gespräch. „Komm“, sagte er. „Ich bringe dich zum Auto.“

Draußen vor der Tür holte er tief Luft. Obwohl die Nacht ziemlich schwül war, fröstelte Conor ein wenig. Betroffen dachte er daran, wie viel Glück er im Gegensatz zu seinem Freund gehabt hatte.

Im Schein der Straßenbeleuchtung betrachtete er Ellies Profil, das ihm noch aus ihrer Jugend so vertraut war. Kupferblondes Haar umspielte schimmernd ihre Schultern. Er erinnerte sich daran, dass sie als Teenager häufiger darüber geklagt hatte, keine Locken zu haben. Doch seiner Meinung nach gab es an dieser seidigen Flut nichts auszusetzen.