Die Autorin

Henrike Engel – Foto © Quirin Leppert

HENRIKE ENGEL pendelte in ihrem Leben ständig zwischen Berlin und München, mit beiden Städten verbindet sie eine komplizierte Liebesbeziehung. Eines aber ist konstant geblieben: ihre Liebe zu Hamburg! Manche Träume jedoch müssen unerfüllt bleiben, und so hat die ehemalige Drehbuchautorin nicht ihren Wohnort in die Hafenstadt verlegt, sondern träumt sich lieber schreibend dorthin.

Das Buch

Aufbruch und Elend, weite Welt und enge Gassen, der Reichtum der einen, die Armut der anderen – im Hamburger Hafen anno 1910 kämpfen sie gegen das Unrecht: Eine Ärztin mit dunkler Vergangenheit, eine junge Frau auf der Suche nach sich selbst und ein Polizeibeamter, dem eine Tragödie das Herz gebrochen hat.

Henrike Engel

Die Hafenärztin. Ein Leben für die Freiheit der Frauen

Ullstein

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www.ullstein.de

ISBN 978-3-8437-2573-6
Originalausgabe im Ullstein Paperback
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022
Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, München
Titelabbildung: © bürosüd° (Rahmen, Details), © akg Images, © Arcangel Images / Ildiko Neer Autorinnenfoto: © Quirin Leppert
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Neues Jahr, neues Glück

Am frühen Morgen des 2. Januar 1910 auf der Elbe

Ihre Finger umschlossen die Reling, krampften sich mehr und mehr um das Holz, je näher sie dem Hafen kamen. Anne kannte jede Biegung der Elbmündung, wie oft war sie hier mit ihrem Vater gesegelt, als sie noch ein Kind war. Glückstadt, die Elbinseln Schwarztonnensand, Pagensand und Bishorster Sand, schließlich Wedel und Neßsand. Erkennen konnte sie davon kaum etwas, der dichte Morgennebel offenbarte die Uferlandschaften nur schemenhaft. Gerade passierte der Großsegler die Insel Finkenwerder, Anne erkannte die Silhouette der Sommerhäuschen, die sich vage abzeichnete wie ein Schattenspiel hinter Gaze. Der Nebel nahm nicht nur die Sicht, er verschluckte auch alle Geräusche, lediglich die Wellen, die an den Bug des Schiffes rollten, das Knarren der Rahen und vereinzeltes leises Klirren frostgefrorener Taue gegen den Schiffsmast waren zu hören. Wie auf einem Geisterschiff glitten sie nahezu lautlos und unsichtbar durch den Nebel und näherten sich Hamburg.

Anne löste sich aus der Erstarrung, wollte die Hände von der Reling nehmen, doch ihre hauchdünnen Lederhandschuhe hingen am Eis, das das polierte Holz überzog, an der rechten Hand blieb ein Loch zurück. Auf ihren Lippen lag ein Fluch, aber sie kontrollierte sich und unterdrückte ihn, obwohl kein Mensch an Deck zu sehen war. Denn der Eindruck trog, die anderen waren ebenso unsichtbar wie sie, vom Morgennebel verschluckt. Gestern Abend war die Dreimastbark in London ausgelaufen, mit Fracht aus den Kolonien, nicht mit Reisenden, Annes Vater hatte jedoch dafür gesorgt, dass man ihr eine der wenigen Kabinen zur Verfügung, aber keine Fragen gestellt hatte.


Der Hamburger Hafen, das Tor zur Welt, empfing sie nicht mit offenen Armen; seit das Schiff von der offenen See in die Elbmündung gelaufen war, gab es die Welt außerhalb des Schiffes nicht mehr, das Dunkel der Nacht hatte sich verflüchtigt und dem Morgennebel der Marschlande Platz gemacht. Wie Diebe schlichen sie sich an, dachte Anne, wie Mörder. Ihr war es nur recht. Sie fühlte sich geborgen, vor neugierigen Blicken geschützt, ihr war, als packten die Schwaden sie in Watte und führten sie heimlich, leise und unerkannt in die Stadt. In ihre alte Heimat, von der sie nicht gedacht hatte, dass sie sie jemals wiedersehen würde.

Sie kam nicht aus freien Stücken. Vor allem aber hatte sie London nicht aus freien Stücken verlassen.


Steinwerder kam in Sicht, die schwimmenden Docks, und nun, als hätte jemand den Schleier fortgezogen, durchdrangen müde Sonnenstrahlen den eisigen Januarmorgen und gaben den Blick auf den Hafen frei. Auch zu dieser frühen Zeit herrschte im Hafenbecken rege Betriebsamkeit. Schiffe aller Art querten den Fluss, liefen die unzähligen Quais an, je nachdem, mit welcher Ladung sie kamen und zu welcher der großen Reedereien sie gehörten.

Zwölf Jahre war Anne fort gewesen, und in diesen Jahren hatte sich der Hafen so grundlegend verändert, dass sie ihn kaum wiedererkannte. Neugierig betrachtete sie die St. Pauli-
Landungsbrücken, wo die imponierenden Dampfer der
HAPAG vor Anker lagen. Diese Reisetempel atmeten den Duft der großen Welt, jeder, der sie ansah, wusste, dass die Schiffe von weit her kamen und dorthin auch wieder aufbrachen, nach Afrika oder Indien, Grönland oder Südamerika.

Direkt vor den Landungsbrücken wurde gebaut, das mussten die Arbeiten an dem neuen Tunnel sein, der das nördliche Elbufer mit dem südlichen verbinden würde. Die Arbeiten daran waren bereits weit vorangeschritten, man konnte darüber sogar in den Londoner Zeitungen lesen. Ein verrücktes Unterfangen, Anne war kaum imstande, sich vorzustellen, dass man die Elbe, den breiten Fluss, tatsächlich eines Tages unterqueren würde!

Und noch etwas war neu und nicht zu übersehen: Hinter den Landungsbrücken erhob sich groß und mächtig eine Statue. Bismarck, mit kahlem Haupt, aber in Uniform und auf ein Ehrfurcht gebietendes Schwert gestützt, wachte grimmig über die Hansestadt, es wirkte beinahe, als entschied er, wer die Stadt betreten durfte und wer nicht. Dem massiven Steinblock mangelte es vollkommen an Eleganz, fand Anne, nichts von der Erhabenheit der Freiheitsstatue, die sie beim Einlaufen in New York gesehen hatte. Der mächtige Reichskanzler in Stein war kein Gruß an die Ankömmlinge, sondern eine Warnung für alle, die auf dem Seeweg kamen. Leg dich bloß nicht mit uns an, drückte das Denkmal aus, es wird dir nicht bekommen. Wir wissen uns zu wehren.

Keine Sorge, entgegnete Anne im Geiste, ich will keineswegs Ärger haben, vielmehr habe ich vor, unterzutauchen, mich unsichtbar zu machen, du wirst mich nicht bemerken.

Der Segler hielt nun auf den Kaiserspeicher auf dem Großen Grasbrook zu, dem Wahrzeichen des Hamburger Hafens, der sich majestätisch wie eh und je über alle Lagerhäuser und Werften erhob, er teilte die Elbe wie ein spitzer Keil. Der dunkelrote Glockenturm mit dem Zeitball erinnerte Anne an das Royal Observatory in Greenwich, und schmerzlich wurde ihr bewusst, dass sie dieses Wahrzeichen Londons wohl nie wiedersehen würde. Ja, dass sie nie mehr in die Stadt, die ihr Heimat geworden war, zurückkehren konnte.

Ein neues Jahrzehnt war angebrochen, aber für sie war es viel mehr als das. Noch vor achtundvierzig Stunden hatte sie auf einer Party gelacht, getrunken und getanzt. Stets ein gefülltes Glas Champagner in der Hand, ausgelassen hatte sie mit ihren Freunden auf die neue Zeit angestoßen. Niemals hatte sie geahnt, was ihr der nächste Morgen bringen würde. In allerletzter Minute hatte man sie gewarnt, hastig hatte sie das Nötigste zusammengepackt und war geflüchtet.

»Ma’am?« Einer der Schiffsjungen stand neben ihr und riss sie aus ihren Gedanken. Er hatte ihre beiden Reisetaschen und den Koffer an Deck geschleppt und sah sie nun fragend an.

Anne zog ihre Börse aus ihrer Tasche, kramte einige Pfundnoten heraus und gab sie dem Jungen, zusammen mit der Anweisung, das Gepäck per Droschke ins »Hotel Atlantic« bringen zu lassen. Sie selbst wollte den Weg zu Fuß zurücklegen. Eine erste Annäherung an ihre Geburtsstadt.

Das Schiff war mittlerweile am Dalmannquai angelandet und wurde von Schleppern in die richtige Position manövriert. Gegenüber am Sandtorquai wurde die »PREUSSEN« gelöscht, ein riesiges Fünfmast-Vollschiff des Reeders Laeisz, einer der beiden größten Konkurrenten ihres Vaters. Ein wunderschönes, imposantes Schiff, nicht zu vergleichen mit dem Dreimaster, an dessen Deck sie stand. Die Faszination für Schiffe und die Seefahrt waren ihr in die Wiege gelegt worden, Anne liebte das Wasser, es wäre undenkbar für sie, in einer Stadt zu leben, in der es keinen Fluss, keine Kanäle, Brücken und eben keinen Hafen gab. Während sie nach einem kurzen Gruß zum Kapitän, der sichtlich erleichtert war, dass sie sein Schiff verließ, über die Gangway an Land ging, überkam sie schließlich doch ein Hochgefühl. Mochte es an den kreischenden Möwen liegen, die ihr einen vertrauten Willkommensgruß entboten, an der kühlen Hamburger Winterluft, die so ganz anders roch als die Luft an den Docks in London, wo sie bei Nacht und Nebel Abschied von der Insel genommen hatte, oder an dem Anblick der Stadt, die sich vor ihren Augen ausbreitete und ihr bei aller Veränderung doch immer noch vertraut erschien.


Kaum hatte sie einen Fuß auf den Quai gesetzt, liefen auch schon drei zerlumpte Jungen auf sie zu, hielten ihr die schmutzigen Hände vor die Nase und bettelten um Groschen. Aus dem Hafenbecken stieg der Gestank von brackigem Wasser, und Anne fragte sich, was schlimmer war, die Hafenbrühe oder die dreckstarren Kinder. Halb verhungert, ungewaschen, viel zu dünn gekleidet für die Jahreszeit. Sie gab jedem von ihnen eine Münze in die Hand, Pennys, und die drei guckten ratlos.

Anne zuckte mit den Achseln. »Etwas anderes habe ich nicht. Ihr könnt es sicher bei den Matrosen eintauschen.«

Die drei kleinen Kerle murrten und verloren an ihr das Interesse, als ihnen klar wurde, dass es bei der eleganten Frau nichts zu holen gab.

Anne setzte ihren Weg über den Quai fort, beobachtete die Schauerleute, wie sie Pferdekarren entluden, schwere Säcke aus den Schuten hoben oder flache Lastkähne mit Bergen von Kohle durch den Kanal stakten. Die meisten von ihnen sahen nicht anders aus als die drei kleinen Bettler. Schlecht ernährt und noch schlechter gekleidet. Es wurde Zeit, dass sich etwas änderte, dachte Anne und setzte ihren Weg mit entschlosseneren Schritten fort. In den nächsten Tagen würde sie den Verein aufsuchen, sie hatte keinesfalls vor, in Hamburg die Hände in den Schoß zu legen.

Sie überquerte die breite Brooktorbrücke und marschierte direkt auf die Backsteinfront der Speicherstadt zu. An dieser Stelle hatten noch vor wenigen Jahren die ärmlichen Häuser und Baracken der Arbeiterfamilien gestanden, das wusste sie von ihrem Vater, dem die Elendsquartiere stets ein Dorn im Auge gewesen waren. Sie stellten eine Beleidigung für den mächtigen Reeder dar, der gerne ausblenden wollte, dass die Menschen, die Tag und Nacht für ihn schufteten und ihr Leben ruinierten, das gleiche Recht zu existieren hatten wie er. In der gleichen Stadt, an den gleichen Plätzen. Schließlich hatte die Cholera den reichen Bürgern der Stadt geholfen, einen Teil dieser Menschen zu vertreiben, die nun außerhalb des Centrums lebten, dort, wo sie niemandes Auge mehr beleidigten.

Anne lief in die Catharinenstraße hinein, überquerte von dort die Reimersbrücke, blieb in ihrer Mitte stehen und blickte auf das Nicolaifleet. Auf die Speicherhäuser, dicht an dicht, die davor dümpelnden Schuten und Kähne, Ruderboote und die hoch aus dem Wasser ragenden Holzbohlen, an denen sie vertäut waren. Dichter Rauch stieg über manchen der Kontorhäuser empor, in Annes Rücken rumpelten die Pferdefuhrwerke über das Kopfsteinpflaster, zwei Arbeiterfrauen mit einfachen Baumwollkleidern und gewalkten Joppen liefen an ihr vorbei, auf dem Rücken große Säcke mit Wäsche. An einem Kolonialwarenladen wurden die Rollläden hochgezogen, ein Schupo ließ sein wachsames Auge über den Verkehr rund um Sankt Nicolai gleiten, und ein Zeitungsjunge verkündete laut rufend die Neuigkeiten des Tages.

Die Stadt erwachte, der Morgen klarte auf, auch der letzte Nebelschleier hatte sich verflüchtigt, hell stieg die Wintersonne in den Hamburger Himmel.

Anne umrundete die Nicolaikirche auf der westlichen Seite, bog aber erneut ab und überquerte die Trostbrücke. Sie schlug Haken wie ein Hase auf der Flucht, obwohl sie in Hamburg bestimmt sicher war; niemand hier wusste, was sie getan hatte. Der Grund für ihren Weg kreuz und quer durch die Altstadt war eher, dass sie die Stadt in sich aufnehmen wollte, sich vertraut machen, sehen, was sich verändert hatte und was geblieben war. Börse und Rathaus standen an sich unverändert, doch auch hier wurde kräftig gebaut, rund um das Kaiserdenkmal behinderten Absperrungen und tiefe Schächte den Verkehr, Straßenbahnen rauschten dicht an Passanten, Droschken und Fuhrwerken vorbei, ein lebhafter Verkehr, der Anne vom Piccadilly Circus sehr vertraut war. Sie schaffte es, den Rathausmarkt unfallfrei bis zum Jungfernstieg zu überqueren und erreichte die Binnenalster. Keine zwanzig Minuten war sie vom Hafen hierhergelaufen, und doch schien es ihr, als hätte sie eine andere Welt betreten. Das gesamte Ambiente rund um die Binnenalster war nichts anderes als: mondän. Dies hier war die Welt ihrer Familie, dachte Anne mit einer Mischung aus Wehmut und Wut. Hier waren sie sonntags flaniert, unter den Bäumen am Alsterdamm, hatten die Auslagen der eleganten Geschäfte bewundert, waren im Alsterpavillon zum Souper gewesen, oder der Vater hatte sie eingeladen, eine kleine Ruderpartie zu unternehmen – selbstverständlich hatte er sich dazu nicht selbst in die Riemen gehängt.

Hier ging es weniger geschäftig zu als noch wenige Meter entfernt in der Speicherstadt oder am Hafen. Zwar rauschte auch hier der Verkehr rasant um das idyllische Gewässer, und einige wenige Menschen waren bereits zu Fuß oder sogar auf dem Fahrrad unterwegs, auf dem Weg zur Arbeit, wie es schien, aber von Arbeitern, Wäscherinnen oder bettelnden Kindern fand sich keine Spur.

Dies war die Welt, in die sie hineingeboren worden war, dachte Anne und spürte einen Anflug von Scham. Ihr Leben hatte einen vollkommen anderen Verlauf genommen, von der Reederstochter, die sie einmal gewesen war, war sie denkbar weit entfernt.

Einmal noch würde sie in die Welt des Geldes und der Privilegien eintauchen, hatte sie beschlossen, einmal noch sich erinnern, wie sich ein sorgenfreies Leben anfühlte. Sie fand, dass sie es sich verdient hatte, sich von der nächtlichen Flucht über die Nordsee zu erholen, es war eine Entschädigung dafür, dass sie nun ganz und gar auf sich allein gestellt und inkognito in Hamburg zurechtkommen musste. Ein großes Luftholen, bevor sie auch hier wieder die Arbeit aufnehmen würde, die sie in England begonnen hatte.

Zwei Nächte im »Hotel Atlantic«, dem ersten Haus am Platz, gönnte sie sich, und dann würde sie erneut alles da­ransetzen, die Welt zu einer besseren zu machen.

Der weiße fünfgeschossige Bau nahm sich vergleichsweise bescheiden aus, fand Anne, als sie auf den an der Außenalster gelegenen Komplex zusteuerte. Typisch hanseatisches Understatement, lediglich die Weltkugel auf dem Dach zeugte vom imperialen Anspruch Alfred Ballins, auch er ein ehemaliger Freund und Konkurrent ihres Vaters. Dass sie hier abstieg, beim Rivalen, würde ihrem Vater, wenn er es denn je erfuhr, eine tiefe Verletzung zufügen, vielleicht war ihre Wahl gerade deshalb auf dieses Hotel gefallen.

Der Portier mit der goldbetressten Uniform hielt ihr die Tür schon auf, noch bevor sie die Treppe zum Eingang emporgestiegen war.

»Mein Gepäck wurde bereits geliefert«, gab Anne ihm auf seinen fragenden Blick zu verstehen. Während sie die Drehtür passierte, blickte sie für einen kurzen Moment in ihr Spiegelbild und erschrak. Diese elegante junge Frau mit weißem Teint, hochgesteckten dunklen Haaren unter dem Hut mit der grünen Feder, in langem Mantel mit üppigem Pelzkragen und passendem Muff – war das wirklich sie? Es schien, als beträte eine Fremde das Hotel.

Es gelang Anne, sich schnell wieder zu fassen, und mit strahlendem Lächeln ging sie auf den Mann am Empfang zu.

»Ich habe telegrafiert«, sagte sie, »ein Zimmer für zwei Nächte.«

Der Mann hinter dem dunkel getäfelten Empfangstresen deutete eine winzige Verbeugung an. »Herzlich willkommen bei uns im »Hotel Atlantic«, gab er zurück. »Darf ich fragen, auf welchen Namen Sie reserviert haben, gnädige Frau?«

Anne öffnete den Mund, um zu antworten, stockte dann aber. Wie war ihr neuer Name? Sie zögerte einen winzigen Moment mit der Antwort, doch dann fiel ihr der Name wieder ein.

»Fitzpatrick«, antwortete sie. »Miss Anne Fitzpatrick.«

Sie sollte sich besser daran gewöhnen, dass sie von nun an immer so heißen würde, denn ihr alter Name war ein für alle Mal verbrannt.