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© 2020 Carrie A. Cullen (Pseudonym)
Impressum: Nadine Fritz
Erich-Kanebley-Hoff 2b
21629 Neu Wulmstorf, D
Umschlag / Covergestaltung: Catrin Sommer
www.rausch-gold.com
Bildmaterial: Shutterstock 403650538, 1035354778
Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, Norder
stedt
ISBN 978-3-7519-6460-9
Für die zweite Chance.
»Wenn du nachher zurück bist, gehen wir in die Rooftop Bar an der Williamsburg Brücke. Da ist heute Happy Hour.«
»Ich muss erst mal schauen, wie der Tag verläuft. Soweit ich weiß, arbeitet mein Boss immer sehr lange.«
»Er wird dich wohl kaum gleich am ersten Tag Überstunden machen lassen.« Cheryl saß am offenen Fenster und lackierte sich die Fingernägel.
Die schwüle Hitze des New Yorker Sommers waberte in unser Apartment und es wurde immer stickiger. Ich steckte mein Handy in meine Tasche und checkte zum einhundertsten Mal, ob ich den Firmenausweis dabei hatte. Ohne diesen käme ich nicht einmal bis zu den Fahrstühlen, die mich in den sechzigsten Stock des ADA Towers bringen würden. »Das werde ich spätestens heute Abend wissen. Ich muss los. Wünsch mir Glück!«
Cheryl warf mir einen Luftkuss zu, bevor ich zur Tür hinaus verschwand. »Du wirst das rocken, Süße!«
Die Fahrt mit der Subway bis zur 57. Straße dauerte knapp eine halbe Stunde. Um diese Uhrzeit war es brechend voll und ich dankte dem Himmel, dass zumindest die Klimaanlage im Zug funktionierte. Von der Bahnstation bis zum ADA Tower waren es dann noch einmal knapp fünf Minuten Gehweg. Es war Punkt halb neun, als ich aus dem Fahrstuhl stieg und mit zittrigen Knien vor dem Eingang der Chefetage von ADA Inc. stehenblieb. Ich atmete tief durch und drückte auf den Klingelknopf.
»Guten Morgen, Miss Walsh«, begrüßte mich Alicia Wilder, Leiterin der Personalabteilung.
»Guten Morgen, Mrs Wilder. Ich bin etwas zu früh hier.«
»Das macht überhaupt nichts. Es ist sogar ganz gut. Der Boss ist noch nicht hier und somit können wir in Ruhe anfangen.«
Ich schluckte meine Nervosität herunter und strich eine nicht vorhandene Strähne zurück. Meine langen Haare hatte ich zu einem Knoten im Nacken zusammengebunden und mit ausreichend Haarspray befestigt. Ich folgte Alicia durch einen langen Flur, vorbei an unzähligen Büros und Besprechungsräumen. Am Ende machte der Gang einen Knick nach links und dann standen wir in einem großen Vorzimmer, in dem sich lediglich ein gläserner Tisch sowie ein weißer Schreibtischstuhl befanden. Es gab keine Schränke, keine Dekoration, nichts außer kahler Wände. Tageslicht fehlte ebenso. Einzig die Wand aus Milchglas, die das Vorzimmer vom Büro meines künftigen Chefs abtrennte, ließ etwas Licht in den Raum fallen. Leicht deprimiert schaute ich mich um und seufzte. Ob mein Chef etwas dagegen hätte, wenn ich mir ein paar Blumen auf den Schreibtisch stellen würde, um wenigstens ein bisschen Leben in diesen tristen Raum zu bringen?
Alicia ging auf die doppelfügelige Tür zu und als ich ihr folgte, klappte mir die Kinnlade auf die Brust. Das Büro war gigantisch groß. Auch hier gab es kaum Möbel, nur einen Schreibtisch aus Chrom und Glas, auf dem zwei Monitore standen, eine Sitzgruppe rechts von uns mit einem kleinen Tisch davor und ein Sideboard an der Wand. Doch das nahm ich nur am Rande wahr. Aus sicherem Abstand schaute ich zu den bodentiefen Fenstern, die einen erstklassigen Blick auf den Central Park boten. Man konnte sogar den Jacky O Lake von hier aus sehen.
»Also, das ist das Büro unseres Chefs«, fng Alicia an.
Meine Aufmerksamkeit wurde erneut abgelenkt, als ich eine Reihe Bilder auf dem Schreibtisch entdeckte, die mir vorher nicht aufgefallen waren. Sofort wollte ich wissen, wer darauf zu sehen war. Ob mein Boss verheiratet war? Hatte er Kinder? Ich wusste praktisch nichts über ihn. Bei meinem Einstellungsgespräch war er im Ausland unterwegs gewesen und deswegen wurde ich von Ava Prince interviewt, die mir auch ein paar Tage später telefonisch die Zusage erteilte.
»Gleich morgens schalten Sie die hier ein.« Alicia nahm eine Fernbedienung von dem Sideboard und etliche Bildschirme, die an der Wand gegenüber vom Schreibtisch hingen, leuchteten auf. Diverse Nachrichtenkanäle aus aller Welt wurden angezeigt. »Hier hinten befinden sich seine Privaträume. Egal, was passiert oder wer Ihnen etwas sagt, gehen Sie niemals dort hinein! Er mag es überhaupt nicht, wenn man ihn stört.«
»Privaträume?«, fragte ich überrascht. Wohnte mein Boss hier?
»Mr Westerfield arbeitet zwölf bis sechzehn Stunden am Tag. Es kommt hin und wieder vor, dass er die Nacht hier verbringt und nicht in seinem Apartment in der Fifth Avenue.« Alicia ging zurück in mein künftiges Büro. »Das hier ist ab heute Ihr neuer Arbeitsplatz. Wundern Sie sich nicht, dass es keine Ordner oder Hefter gibt. Wir bei ADA verzichten, soweit möglich, auf die Benutzung von Papier. Die Korrespondenz findet ausschließlich elektronisch statt.«
Es dauerte fast den ganzen Vormittag, mich in die Abläufe bei ADA einzuweisen und mir meine Aufgaben zu erläutern. Da es nichts zum Aufschreiben gab, tippte ich alles in das IPad ein, das ich hüten sollte, wie meinen Augapfel. Dazu gab man mir noch ein Notebook und ein Firmenhandy, das immer eingeschaltet zu sein hatte. Auch nach Feierabend und an den Wochenenden.
»So, ich denke, wir haben vorerst alle wichtigen Punkte abgehakt. Alles Weitere können Sie dann mit Mr Westerfield besprechen. Er erwartet Sie um ein Uhr. Seien Sie absolut pünktlich! Er kann es nicht ausstehen, wenn man zu spät kommt.«
Obwohl ich noch keinen Finger gekrümmt hatte, fühlte ich mich völlig ausgelaugt. Ich beschloss, meine halbstündige Mittagspause nach draußen zu verlegen, um im Central Park spazieren zu gehen. Ich wartete auf den Fahrstuhl und übertrug gerade meine neuen Kontaktdaten in mein privates Handy, als mich jemand ansprach.
»Neu hier?«
Ich sah auf. Neben mir stand ein Mann, der ungefähr in meinem Alter war. »Hi. Ja, seit heute«, antwortete ich hastig und steckte die Telefone in meine Tasche.
»Herzlich willkommen«, sagte er und lächelte mich freundlich an. Er trug einen beigefarbenen Anzug, hatte aschblondes Haar, das streng zur Seite gekämmt war und eine Sonnenbrille steckte in seiner Brusttasche. »Scott Myers«, sagte er und hielt mir die Hand hin.
»Rayanne Walsh.«
»Was genau machst du bei ADA? Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich dich duze? Das machen alle hier.«
»Nein, gar kein Problem. Du kannst gern Ray sagen«, antwortete ich.
»Hi, Ray. Ich bin Scott.«
Ich fand ihn auf Anhieb sympathisch. Scott schüttelte meine Hand und ließ mir den Vortritt, als sich die Fahrstuhltüren öffneten. Ich wurde fast über den Haufen gerannt. Ein großer und ziemlich finster dreinblickender Kerl schoss an mir vorbei und ich machte hastig einen Schritt zur Seite. Dabei prallte ich gegen Scott und trat ihm versehentlich auf den Fuß. Ich öffnete den Mund, um dem Kerl meine Meinung zu geigen, doch Scott zog mich zur Seite und schüttelte mit weit aufgerissenen Augen den Kopf.
»Nicht«, flüsterte er.
Ich verstand nicht, weshalb ich mir das gefallen lassen sollte. Scott schob mich in den Fahrstuhl und drückte auf den Knopf für das Erdgeschoss. »Als Erstes musst du lernen, immer auf der Hut zu sein.«
Fragend sah ich ihn an. »Warum?«
»Weil man niemals dem Boss im Weg stehen sollte.«
Ich schluckte. Das war mein Boss? »Netter Kerl«, sagte ich und strich mir über die Augenbraue.
Scott lachte. »Nett ist die Untertreibung des Jahrhunderts.«
Ich hatte versucht, irgendetwas über Daniel Westerfield herauszufinden. Doch die Familie hielt sich extrem privat. Es gab keine Social Media Accounts und auch keine Links auf der Homepage. Selbst bei Wikipedia war nicht viel über die Gründer von ADA zu finden. Dabei handelte es sich bei den Dreien um die erfolgreichsten Firmengründer der Vereinigten Staaten. ADA wuchs innerhalb der letzten neun Jahre zum weltgrößten Energiekonzern an. Außerdem investierten die Gründer in junge Start-up Unternehmen, bauten Krankenhäuser und Schulen und kümmerten sich um die Bildung von Kindern aus sozial benachteiligten Familien.
»Was machst du bei ADA?«, wiederholte Scott seine Frage, als wir aus dem Gebäude auf den überfüllten Bürgersteig traten.
»Ich bin die neue persönliche Assistentin vom netten Kerl«, antwortete ich kopfschüttelnd.
»Was? Das ist unmöglich!« Scott blieb stehen.
»Wieso?«, fragte ich verwundert.
»Weil er nur Männer für sich arbeiten lässt.«
Meine Augenbrauen schossen in die Höhe. »Wie bitte? Aber Alicia ist auch eine Frau.«
»Richtig. Allerdings arbeitet sie in der Personalabteilung. Für Mr Westerfield direkt arbeiten nur Männer.«
Ich schnaubte. »Na, prima. Mein Boss ist also ein Chauvinist?«
»Du musst mir jetzt unbedingt erzählen, wie du es geschafft hast, den Posten als PA zu bekommen.«
Scott führte mich in ein kleines Café gegenüber vom Central Park. Wir bestellten uns Salat und eisgekühltes Wasser. Mit unseren Snacks liefen wir über die Straße in den Park und machten es uns auf einer Bank im Schatten gemütlich. Ich erzählte Scott von meinem Vorstellungsgespräch vor zwei Wochen, das ich mit Alicia Wilder und Ava Prince geführt hatte. Scott war überrascht, dass ich mit Ava Prince zu tun gehabt hatte, weil diese sich eigentlich aus allen geschäftlichen Vorgängen heraushielt. Sie kam wohl nur äußerst selten nach New York. Hauptsächlich arbeitete sie in der Zentrale in Boston. Die Geschäfte führte Daniel Westerfield gemeinsam mit seinem Bruder Aiden Prince. Wobei auch dieser fast ausschließlich von Boston aus arbeitete, da er dort mit seiner Frau und ihren Kindern lebte.
»Du musst mächtig Eindruck hinterlassen haben, wenn der Big Boss deiner Einstellung zugestimmt hat. Was ist dein Geheimnis? Kannst du Wasser in Wein verwandeln, auf dem Wasser gehen oder Blinde wieder sehend machen?«
Ich lachte und hob meine Wasserflasche an den Mund, als Scotts Handy klingelte.
»Da solltest du rangehen«, sagte er und zeigte auf meine Tasche.
Ich folgte seinem Blick und bemerkte, dass es mein neues Firmenhandy war, das klingelte. »Mist«, fluchte ich und drückte Scott meine Flasche in die Hand. Ich verschüttete dabei etwas Wasser auf meine Bluse und nahm hastig den Anruf entgegen. »Ja? Ich meine … Rayanne Walsh hier«, stotterte ich aufgeregt.
»Rayanne, wo stecken Sie?« Alicia Wilder klang außer sich.
»Ich mache gerade Mittagspause«, antwortete ich und atmete erleichtert aus. »Ich bin im Central Park.« Ich sah auf die Uhr. Ich hatte noch eine viertel Stunde meiner Pause übrig.
»Sehen Sie zu, dass Sie so schnell wie möglich zurückkommen! Mr Westerfield ist gleich fertig mit seiner Besprechung.«
Sie sprach schnell und klang beinahe panisch, sodass ich selbst völlig nervös wurde. »Ich bin auf dem Weg«, sagte ich und stopfte das Telefon zurück in meine Tasche. »Sorry, aber der Boss ruft.«
Scott verzog das Gesicht. »Ich komme am besten gleich mit. Ich muss ihm zwei Berichte vorlegen und vielleicht erwische ich ihn noch vor dir.«
»Du machst mir ja Mut. Vielen Dank auch«, knurrte ich mürrisch.
Scott lachte und schmiss unsere Salatboxen in einen Mülleimer. »Ach, wenn man ihm erst einmal bewiesen hat, dass man genauso viele Haare auf den Zähnen hat wie er, kommt man ganz gut mit ihm klar. Du darfst ihm nur nicht zeigen, dass er dich kleinkriegen kann. Dann hast du sofort verloren.«
Mir gefiel mein neuer Chef immer weniger. Die Tatsache, dass er noch nie eine weibliche Assistentin eingestellt hatte und ausschließlich Männer für ihn arbeiteten, machte ihn schon unsympathisch. Doch dass seine Angestellten offensichtlich alle Angst vor ihm hatten, war eigentlich ein Kriterium, den Job gleich wieder zu schmeißen. Leider hatte ich keine Wahl. Ich brauchte diesen Job. Ich atmete tief durch, als sich die Fahrstuhltüren öffneten, und wappnete mich auf das, was noch kommen sollte.
»Na, endlich! Machen Sie nie länger als eine viertel Stunde Pause, Rayanne. Ich weiß, dass Ihnen eine Stunde zusteht, aber verlassen Sie das Gebäude nur, wenn es sich absolut nicht vermeiden lässt. Insbesondere, wenn Mr Westerfield im Haus ist, verstanden?« Alicia fng mich direkt vor meinem Büro ab und sah missbilligend an mir auf und ab. »Haben Sie noch eine andere Bluse dabei? Sie haben einen Fleck am Kragen.« Sie deutete auf meine linke Schulter und ich blickte an mir herunter.
»O nein!« Verzweifelt rubbelte ich an dem grünen Fleck.
»Und?«, fragte Alicia.
Sie machte mich ganz verrückt mit ihrer unruhigen Art. »Ja, habe ich«, antwortete ich und dankte Cheryl, weil sie mich für alle Eventualitäten gewappnet hatte. Ich kramte in meiner Tasche, zog die weiße Bluse hervor und lief damit ins Bad.
»So ein Kackmist!«, fluchte ich fünf Minuten später, als ich in die Ärmel schlüpfte. Ich hatte eine von Cheryls Blusen erwischt, die mir zwei Nummern zu klein war. Außerdem fehlten die drei obersten Knöpfe. Ich legte den Kopf in den Nacken und wollte einfach nur heulen. Ich hatte die Wahl zwischen der mit Salatsoße bekleckerten Bluse und der, die ich nur bis zum Ansatz meiner Brüste zuknöpfen konnte. Mir blieb keine Zeit, den Fleck vernünftig herauszuwaschen, weshalb ich mich für die gewagtere Alternative entschied. Inständig hoffte ich, dass mein Chef Frauen so wenig leiden konnte, dass er mich nicht genauer ansehen würde. Vielleicht fiel es ihm ja gar nicht auf.
Als ich die Tür der Toilette öffnete, griff Alicia sofort nach meinem Arm und zog mich hinter sich her. »Okay, hören Sie gut zu. Mr Westerfield hat zehn Minuten Zeit. Er wird mit Ihnen besprechen, was für den Rest der Woche anliegt und wie er sich die künftige Zusammenarbeit mit Ihnen vorstellt. Wenn alles gut geht, können Sie danach zu mir in den achtundfünfzigsten Stock kommen und wir machen die Vollmachten fertig, die Sie brauchen, um künftig im Namen von Mr Westerfield kleinere Geschäfte abzuwickeln.«
Alicia zupfte an meiner Bluse und als sie meinen viel zu tiefen Ausschnitt bemerkte, riss sie ihren Mund auf. Bevor sie jedoch etwas einwenden konnte, öffnete sich hinter uns die Tür zum Büro unseres Bosses und ein älterer Herr trat heraus. Er hatte ein hochrotes Gesicht und wischte sich mit einem Tuch über die Stirn.
Als er mich und Alicia entdeckte, schüttelte er den Kopf. »Kein guter Tag heute«, flüsterte er und ich konnte hören, wie Alicia nervös schluckte.
»Okay, nicht abschrecken lassen, Schätzchen«, sagte sie und schob die Tür auf.
Mein Herz fing an zu rasen, als wir das Büro betraten. Daniel Westerfield stand mit verschränkten Armen vor der Fensterfront und telefonierte. Er hatte sein Sakko ausgezogen und die Hemdsärmel bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt. Er war eine mehr als imposante Erscheinung. Allein seine Rückenansicht und die Art, wie er mit breit aufgestellten Beinen vor dem Fenster stand und auf New Yorks Herz hinunterblickte, ließ keinen Zweifel daran, dass er ein mächtiger Geschäftsmann war.
»Das interessiert mich herzlich wenig. Ich will bis morgen früh acht Uhr die Zahlen auf dem Tisch haben, ansonsten ist der Deal geplatzt!«
Seine tiefe Stimme hallte durch den Raum und ich bekam einen trockenen Hals. Er klang herrisch und mehr als unfreundlich. Ich schloss die Augen und schluckte. Konnte ich das schaffen?
»Wer ist das?«, blaffte er zornig.
Ich riss den Kopf hoch, als Alicia mir den Ellenbogen in die Seite drückte.
»Das, Mr Westerfield, ist Ihre neue Assistentin Rayanne Walsh. Sie wi…«
»Meine was?«, rief er und machte einen Schritt auf uns zu.
Ich schrumpfte zusammen, als ich ihn mir genauer ansah. Er war riesig, mindestens 1,95 Meter groß, und wog bestimmt das Doppelte von mir. Bei ihm bestand dabei allerdings kein einziges Gramm aus Fett. Er sah aus wie ein Footballspieler im Anzug. Die Ärmel seines Hemdes spannten sich gefährlich eng um seine dicken Oberarme und auch die schwarze Anzughose ließ erahnen, wie trainiert mein Boss war.
»Was soll der Scheiß, Alicia? Wo ist Jeremy?«, fragte er wütend und blickte abschätzig an mir herunter. Dabei blieb er für eine Sekunde an meinem Ausschnitt hängen und ich verfluchte mich dafür, dass ich mich nicht doch für den Dressingfleck entschieden hatte.
»Sie haben Jeremy vor drei Wochen gefeuert, Mr Westerfield.«
Sein Blick wanderte zurück zu Alicia und dabei zogen sich seine schwarzen Augenbrauen eng zusammen. Er hatte unglaublich schöne Gesichtszüge und fesselnde Augen. Sie waren stahlblau und wurden durch seine hohen Wangenknochen und die dichten Wimpern perfekt in Szene gesetzt.
»Und wer hat gedacht, dass ich dafür Miss Walsh einstellen will?«, fragte er wütend und sah wieder zu mir.
Seine vollen Lippen waren fest zusammengezogen und seine ganze Haltung strahlte pure Abneigung aus. Es war unangenehm und faszinierend zugleich, ihm ins Gesicht zu sehen. Ich hatte noch nie einen so schönen Mann gesehen und fand ihn gleichzeitig dermaßen abstoßend.
»Das war ich!«, ertönte eine zarte Stimme hinter uns.
Mr Westerfields angespannte Haltung ließ augenblicklich nach und ein weicher, fast schon liebevoller Ausdruck trat in sein Gesicht. »Ava«, sagte er und ließ uns einfach stehen.
Ich drehte mich um und sah, wie er Ava Prince in die Arme schloss und ihr einen Kuss auf die Stirn drückte.
»Zeigst du dich mal wieder von deiner besten Seite, Daniel?«, fragte sie und zwinkerte ihn an. »Hallo, Alicia«, begrüßte Ava Prince ihre Mitarbeiterin und schenkte ihr ebenfalls eine Umarmung, ehe sie zu mir kam. »Willkommen bei ADA, Miss Walsh. Ich freue mich, dass wir Sie heute bei uns begrüßen dürfen.«
Sie hielt mir ihre Hand hin, die ich ergriff und kurz schüttelte. »Hallo, Mrs Prince.« Meine Stimme wackelte und ich musste mich ein paarmal räuspern.
»Alicia, das wäre dann erst einmal alles. Ich übernehme ab hier«, sagte sie und ging zur weißen Ledercouch. »Warum setzen wir uns nicht?«, fragte sie und deutete auf den Platz neben sich.
Ich ging ihr mit zittrigen Knien nach und setzte mich dicht an ihre Seite. Daniel Westerfield folgte ebenfalls und nahm uns gegenüber auf dem Sessel Platz. Er lehnte sich zurück und überschlug die Beine. Sein Blick fixierte mich abermals und ich senkte schnell den Kopf und starrte auf die Spitzen meiner High Heels.
»Daniel, du wunderst dich bestimmt, weshalb du nichts von dem Assistentenwechsel mitbekommen hast.«
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass er den Kopf neigte und dabei nickte.
»Nun, das liegt daran, dass ich mich der Angelegenheit angenommen habe. Du und Aiden scheint mir in letzter Zeit kein glückliches Händchen gehabt zu haben, was die Auswahl des richtigen Mitarbeiters betrifft.«
Ava strahlte mich an und ich konnte nicht wegsehen. Sie war atemberaubend schön und von ganz allein breitete sich ein Lächeln auf meinen Lippen aus.
»Rayanne hat einen Abschluss der Oxford Universität in Wirtschaftswissenschaften. Mit Promovierung. Sie hat im elterlichen Betrieb gearbeitet und kennt sich mit der Struktur eines Familienunternehmens aus. Sie spricht außerdem fließend Französisch und Spanisch und lernt gerade Italienisch. Beste Voraussetzungen, um bei der Erschließung des europäischen Marktes behilflich zu sein. Findest du nicht?«, fragte Ava an ihren Schwager gerichtet.
Ich konnte förmlich sehen, wie der Widerstand aus ihm wich, als sie ihn mit einem Killerlächeln bedachte. Und dann geschah ein Wunder. Auf dem Gesicht meines Bosses erschien ebenfalls ein Schmunzeln, das seine Augen hell aufleuchten ließ und ihn wahnsinnig sexy machte. Mr Westerfield sah aus, wie ein wahr gewordener Frauentraum. Er war groß, bildschön, sexy, markant, düster und unnahbar. In meiner Fantasie riss ich ihm gerade das Hemd vom Leib und rieb mich an seinem stahlharten Body.
»War das Aidens Idee?«, fragte er und stand auf. Kopfschüttelnd fing er an zu lachen, als er zum Sideboard ging, das unter der TV Wand stand, um von dort etwas zu trinken zu holen.
»Hast du nicht zugehört? Es war meine Idee! Ihr beide hattet eure Chance. Weil ihr aber wieder und wieder bewiesen habt, dass ihr nicht in der Lage seid, adäquate Mitarbeiter zu finden, habe ich das übernommen. Rayanne wird die beste Mitarbeiterin werden, die du jemals gehabt hast. Glaub mir, in einem Monat wirst du gar nicht mehr wissen, was du ohne sie machen sollst.«
»Ist das so?«, fragte Mr Westerfield und brachte ein Glas Wasser zu uns.
Als er es seiner Schwägerin hinhielt, zog diese die Brauen hoch und sah ihn abwartend an.
Mein Boss schüttelte lächelnd den Kopf und fuhr sich mit der Zunge über die Schneidezähne. »Wasser, Miss Walsh?«, fragte er nun an mich gewandt.
Obwohl ich die Konversation mitbekommen hatte, reagierte ich nicht schnell genug. Ich starrte dämlich hoch in sein Gesicht und verlor mich in seinen stahlblauen Augen.
Erst als er spöttisch eine Braue hochzog, wachte ich aus meinem Tagtraum auf und griff nach dem Glas. Natürlich verschüttete ich sofort etwas auf meinen schwarzen Rock.
Mr Westerfield tat so, als hätte er das nicht mitbekommen und holte ein weiteres Glas, das ihm Ava Prince lächelnd abnahm.
»Danke, Daniel.«
»Sehr gern, Ava.«
»Okay, dann haben wir ja alles geklärt. Ich muss gleich weiter. Aiden ist mit den Kids unten bei Joshua und ich fürchte, sie werden ihm das ganze Büro auf den Kopf stellen. Denk daran, dass wir heute Abend ins Mariso gehen. Nicht vergessen!«
Ava Prince verabschiedete sich von uns und dann war ich plötzlich mit meinem Boss allein. Er sah mich eine Weile einfach nur an und ich spürte, wie mein Herz immer schneller schlug.
»Ich arbeite diese Woche hier in New York und erwarte, dass Sie vierundzwanzig Stunden am Tag für mich erreichbar sind. Ist das ein Problem für Sie, Miss Walsh?«, wollte er wissen und ging zu seinem Schreibtisch zurück.
»Nein, Sir, ist es nicht«, antwortete ich und stand ebenfalls auf.
»Buchen Sie mir einen Flug für Montag nach Vancouver. Dort bleibe ich bis Mittwoch. Normalerweise nehme ich meinen Assistenten mit, aber in unserem Fall halte ich es für un -angemessen, wenn Sie mich begleiten«, sagte er und verzog schon fast angewidert das Gesicht. »Ich fliege danach direkt nach Boston. Am Donnerstag muss ich nach Shanghai und brauche Samstag einen Rückfug nach New York, sodass ich Sonntag wieder hier bin. Die Woche darauf kommt ein potenzieller Geschäftspartner aus Moskau hierher, mit dem wir über das Offshore Projekt in der sibirischen See verhandeln. Lassen Sie sich von Billie Jenkins die Unterlagen schicken und arbeiten Sie die Pros und Contras einer Zusammenarbeit heraus. Ich erwarte Ihren Bericht bis nächste Woche Mittwoch, damit ich diesen im Flugzeug lesen kann.« Plötzlich drehte er sich um und sah mich wieder mit diesem abschätzigen Blick an. »Erstaunlich, Miss Walsh«, sagte er schon fast süffisant.
Ich runzelte die Stirn. »Was meinen Sie, Sir?«, fragte ich und versuchte weiterhin höflich zu bleiben.
»Sagen Sie mir nicht, dass Sie sich das alles so merken können, was ich Ihnen gerade gesagt habe.«
Ich widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen, und erinnerte mich daran, dass das hier mein neuer Boss war. Der Mann, der meine Miete zahlte und dafür sorgte, dass ich meinem eigentlichen Ziel immer näher kam. »Ich buche einen Flug nach Vancouver am Montag. Für Mittwoch brauchen Sie einen Flug zurück nach Boston und am Donnerstag fliegen Sie nach Shanghai, wo Sie bis Samstag bleiben. Für gewöhnlich nutzen Sie in Vancouver das Haus Ihres Bruders. Wenn Sie in Boston sind, brauchen Sie keine Unterkunft, da Sie dort ein Apartment haben und in Shanghai steigen Sie immer im Four Seasons Pudong ab. Die Unterlagen für Sibirien besorge ich mir bei Ihrer Rechtsanwältin Billie Jenkins und die Ergebnisse meiner Analyse werden Sie spätestens Mittwoch auf dem Tisch haben. Außerdem haben Sie in sechs Minuten eine Telefonkonferenz mit der Zentrale in Boston und um viertel vor vier wartet Charles mit der Limousine unten in der Tiefgarage, um Sie zu Ihrem Meeting in Greenwich zu bringen. Kommen Sie nach dem Essen im Mariso noch einmal ins Büro?«, fragte ich mit zuckersüßer Stimme und lächelte ihn an.
Kill him with kindness.
Mein arroganter Boss ließ den Blick erneut kurz über meinen Körper wandern, bevor er sich an seinen Schreibtisch setzte und mit der Hand wedelte, als wollte er eine lästige Fliege verscheuchen. »Das wäre es fürs Erste«, sagte er und griff nach dem Telefon.
Ich biss in die Innenseiten meiner Wangen, um nicht triumphierend zu grinsen, und verließ das Büro meines neuen Chefs. Als ich mich in meinen Stuhl fallen ließ, atmete ich tief durch und machte mich an die Arbeit.
Am Dienstag ging ich schon mit etwas mehr Selbstbewusstsein zur Arbeit. Bis auf das kurze Intermezzo gestern Mittag hatte ich nichts mehr mit meinem Boss zu tun gehabt. Wie es aussah, stellte die Zentrale Telefonate durch und auch E-Mails landeten direkt bei ihm. Ich fragte mich zwischendurch, wofür dieser Mann einen Assistenten brauchte, da er offensichtlich alles selbst regelte. Billie Jenkins schickte mir die Unterlagen für das Projekt in Sibirien und bat mich, sie mittags dazu anzurufen.
»Jenkins.«
»Hallo, hier ist Rayanne Walsh, Daniel Westerfields neue Assistentin.«
»Hey, Rayanne! Herzlich willkommen bei ADA. Ich weiß, dass es vielleicht noch etwas früh ist, dich gleich an diese Unterlagen zu setzen, aber Daniel testet gern seine neuen Mitarbeiter. Mach dir also keine Sorgen, ich habe alles im Griff. Du musst nur meine Anmerkungen durchlesen und deine objektive Meinung dazu äußern. Der neue Vertrag ist leider zum Teil in russisch verfasst und unser Übersetzer ist krank. Vielleicht kannst du einen anderen ausfindig machen. Bis nächsten Mittwoch ist ja zum Glück noch etwas Zeit.« Billie Jenkins war offensichtlich jemand, die nicht gern Zeit verlor. Sie redete schnell und kam direkt auf den Punkt.
»Ich habe die Verträge bereits durchgelesen und meine Anmerkungen dazu verfasst. Ich wollte nachfragen, ob ich Ihnen diese jetzt gleich schicken soll oder ob wir uns treffen wollen, um sie persönlich zu besprechen.«
Es war einen kurzen Moment still in der Leitung.
»Ähm … okay. Aber der Vertrag ist russisch abgefasst?!«
Ich schmunzelte. Bisher hatte ich niemandem erzählt, dass ich neben Italienisch auch gerade Russisch lernte. Ich hatte ein Faible für Fremdsprachen. »Ich kann ein paar Brocken, den Rest habe ich mir mit einem Wörterbuch zusammengesucht.«
»Okay. Wow! Na, dann schick mir deine Anmerkungen. Oh! Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich dich duze? Aber wir bei ADA duzen uns alle«, erklärte auch sie mir, wie schon Scott Myers zuvor.
»Kein Problem. Ich bin Rayanne. Aber die meisten nennen mich einfach nur Ray.«
»Ich mag deinen Namen. Der hat doch bestimmt eine Bedeutung, oder?«
Ich schluckte. »Bestimmt. Aber die kenne ich nicht«, log ich. Ich hasste die Bedeutung meines Namens mittlerweile. Früher, als ich noch ein Kind war, nannte mein Vater mich immer Banríon. Doch dieser Spitzname war zu einem unerträglichen Klang in meinen Ohren geworden.
»Oh, wie schade. Ich bin Billie. Und nein, das steht für nichts und ist auch keine Abkürzung von irgendetwas. Einfach nur Billie.«
»Alles klar, einfach nur Billie«, antwortete ich lächelnd. Sie war mir auf Anhieb sympathisch. »Ich habe meine Anmerkungen per E-Mail geschickt. Wenn ich dir noch bei irgendetwas behilflich sein kann, immer her damit. Wie es scheint, hat mein Boss im Moment nicht so viel zu tun für mich.«
»Das wird noch kommen, glaube mir. Daniel ist ein absoluter Workaholic. Aber bis dahin kannst du mir vielleicht tatsächlich helfen. Ich habe hier ein Portfolio unseres russischen Kunden. Könntest du das durchgehen und auf Unstimmigkeiten prüfen? Sofern dein Russisch dafür ausreicht. Wenn nicht, schau mal, ob du einen anderen Übersetzer bekommst. Ich schicke dir die Daten unseres Korrespondenten in Moskau. Mit dem trifft sich Daniel übernächste Woche hier in New York. Hast du meine Handynummer schon oder die von meinem Mann?«
»Ich habe gestern ein Telefon bekommen, in dem alle wichtigen Nummern gespeichert sind, denke ich.«
Gerade als ich auflegte, rauschte plötzlich mein Chef wortlos an mir vorbei. Unsicher, wie ich mich verhalten sollte, stand ich auf und klopfte an seine Bürotür. Es wurde Zeit, dass wir besprachen, was er noch alles von mir erwartete, außer seine Reisen zu planen und entsprechend zu buchen.
»Was ist?«, rief er und klang mächtig genervt.
Ich öffnete die Tür und bereitete mich auf die unsägliche Laune von ihm vor. »Guten Tag, Mr Westerfield«, begrüßte ich ihn und gab mir besondere Mühe, das Lächeln, das ich auf meine Lippen pflasterte, echt aussehen zu lassen.
Er zog sich gerade das Jackett aus und hielt in der Bewegung inne, als er sich zu mir umdrehte. Sein Blick bohrte sich in mich und mir wurde augenblicklich warm. Verdammt. Ich musste versuchen, ihn nicht attraktiv zu finden. Er war schließlich nicht nur mein Boss, sondern auch noch der unfreundlichste Mensch, den ich kannte.
»Ich wollte mit Ihnen besprechen, wie wir künftig zusammenarbeiten und was Ihre Anforderungen an mich sind. Möchten Sie morgens einen Kaffee oder Tee trinken? Soll ich Ihnen Frühstück besorgen oder kann ich irgendetwas anderes für Sie tun, damit ihr Tag noch besser startet?«
Cheryl riet mir, ihm am Anfang den Hintern so sehr zu pudern und so nett zu ihm zu sein, dass er nicht wusste, wie ihm geschah. Eigentlich ging mir das komplett gegen den Strich. Ich hasste es, für andere den Diener zu spielen.
»Was vermittelt Ihnen den Eindruck, dass mein Tag nicht gut gestartet ist?«, fragte er mit gefährlich ruhiger Stimme. Er richtete sich auf und ging um seinen Schreibtisch herum. Mit verschränkten Armen lehnte er sich dagegen und sah mich mit diesen stechend blauen Augen prüfend an.
Heute hatte ich mich für einen weißen, eng sitzenden Rock sowie einen taillierten Blazer entschieden. Der Rock reichte bis knapp über meine Knie und besaß einen Beinschlitz, der aber noch züchtig genug war, um im Büro getragen werden zu können. Dazu trug ich eine grüne, ärmellose Seidenbluse mit Schleife am Kragen und grüne High Heels mit Pfennigabsatz. Meine Haare hatte ich geflochten und am Hinterkopf mit einer Smaragdbrosche befestigt. Sie hatte die gleiche Farbe wie meine Augen und war ein Erbstück meiner Großmutter. Sein Blick wanderte wieder in mein Gesicht und ich atmete tief durch, bevor ich ihm antwortete.
»Das habe ich nicht gesagt, Mr Westerfield. Ich wollte nur wissen, wie ich Ihren Tag noch besser machen kann. Lassen Sie es mich wissen. Ich habe großes Interesse daran, dass Sie zufrieden mit mir und meiner Arbeit sind.« Ich lächelte ihn weiter freundlich an.
Sein Gesichtsausdruck blieb stoisch. Dann stieß er sich von seinem Schreibtisch ab und ging zurück zu seinem Jackett, aus dem er sein Handy holte. »Ich gehe nicht davon aus, dass Sie lange hier sein werden, Miss Walsh. Es mag sein, dass meine Schwägerin der Meinung ist, dass Sie die Richtige für den Job sind, aber es gibt einen guten Grund, weshalb ich nur Männer für diesen Posten vorgesehen habe. Sie werden schnell merken, warum das so ist. Bringen Sie mir einen Kaffee. Schwarz. Außerdem erwarte ich morgens als Erstes die aktuellen Zahlen aus Boston auf meinem Tisch. Zudem hat mein Assistent bereits die wichtigsten E-Mails sondiert und an mich weitergeleitet. Halten Sie mir Telefonate vom Hals. Ich muss mich um etwas Wichtiges kümmern.« Er setzte sich und schaltete seinen Computer ein. »Ist sonst noch etwas, Miss Walsh?«, fragte er und sah mich mit gelupfter Braue an.
Ich schüttelte den Kopf und bemühte mich, meine Hände nicht zu Fäusten zu ballen. »Nein, Sir. Ihr Kaffee kommt sofort«, sagte ich und verließ sein Büro.
»Ach, noch etwas, Miss Walsh!«, rief er mir hinterher.
Ich blieb in der Tür stehen und behielt mein Fake-Lächeln bei. »Ja?«
»Betreten Sie nie wieder unaufgefordert mein Büro. Haben Sie mich verstanden?«, sagte er und senkte den Blick wieder zu seinen Bildschirmen.
Ich war sprachlos wegen seiner schroffen Art. Was, zur Hölle, war sein Problem mit Frauen? Ich kochte innerlich, weil er mir nicht einmal die Chance geben wollte, ihm zu beweisen, dass ich mehr drauf hatte, als nur Kaffee zu servieren. Immerhin bekam ich noch mit, wie sich seine Stirn runzelte, als er auf den Bildschirm blickte. Vermutlich hatte er sein E-Mail Programm geöffnet und sah nun, dass ich bereits alle wichtigen E-Mails markiert und an ihn weitergeleitet hatte. Oder er checkte das Buchhaltungsprogramm und sah, dass die Zahlen aus Boston längst da waren. Außerdem würde er in seinen internen E-Mails eine Nachricht von mir finden, in der es darum ging, wie man die Absprachen zwischen New York und Boston optimieren konnte.
»Aber selbstverständlich, Mr Westerfield«, erwiderte ich zuckersüß und verließ, ohne seine Reaktion abzuwarten, das Büro.
Den Rest des Tages verbrachte ich damit, die Verträge, die mir Billie Jenkins geschickt hatte, zu übersetzen. Irgendwann fiel mir auf, dass mein Telefon kein einziges Mal geklingelt hatte. Hatte Mr Westerfield nicht verlangt, dass ich ihm alle Telefonate vom Hals hielt? Ich rief in der Zentrale an und hakte nach, ob es eventuell ein Problem mit meinem Telefon gab.
»Nein, Miss Walsh, mit der Leitung ist alles in Ordnung. Allerdings gibt es nach wie vor die Order, dass alle Telefonate über die Zentrale geleitet werden. Wünscht Mr Westerfield dahingehend eine Änderung?«
Ich war mir nicht sicher, ob ich das allein entscheiden konnte, aber andererseits war ich die neue Assistentin von ihm und in meiner Jobbeschreibung stand eindeutig, dass ich mich um die Telefonate zu kümmern hatte. Deswegen erklärte ich der Dame am Empfang, dass Sie ab sofort alle Gespräche zu mir durchstellen sollte.
»Kennen Sie die Prioritätenliste?«, wurde ich gefragt.
»Ja, die hat mir Mrs Wilder gestern überreicht.«
»Alles klar, Miss Walsh, dann schalte ich das Telefon jetzt um.«
Kaum legte ich den Hörer auf, klingelte es. Ich zuckte erschrocken zusammen und musste über mich selbst lachen. Ich sammelte mich, atmete tief durch und nahm den Anruf entgegen. »ADA Incorporation, Sie sprechen mit Rayanne Walsh. Was kann ich für Sie tun?«
»Sharon Haulder. Geben Sie mir Mr Westerfield.«
Ich ging die Anruferliste in Gedanken durch und erinnerte mich, dass Sharon Haulder immer durchgestellt werden sollte. »Einen Moment bitte«, bat ich und klingelte bei meinem Boss durch.
»Was ist?«, blaffte er in den Hörer.
»Mr Westerfield, ich habe Mrs Haulder für Sie.«
»Wieso gehen Sie ans Telefon?«, fragte er zornig.
Ich atmete tief durch. »Weil ich Ihre Assistentin bin, Sir, und es zu meinen Aufgaben gehört. Nehmen Sie Mrs Haulder oder soll ich ihr sagen, dass Sie beschäftigt sind?« Ich hörte, wie er ins Telefon schnaubte und stellte ihn mir vor, wie er gerade auf die Tür starrte und versuchte, mich mit seinem Blick zu erdolchen.
Gott, war ich froh, dass die Tür aus massivem Holz bestand. Denn sonst hätte er gesehen, dass ich genauso finster zurückstarrte.
»Ich nehme sie«, antwortete er nach einer weiteren Sekunde. Ich wollte gerade auflegen, als ihm noch etwas einfiel.
»Ich schicke Ihnen gleich drei E-Mails. Sehen Sie sich diese durch und schicken Sie sie ab, sofern Sie nichts mehr zu ergänzen haben. Danach verbinden Sie mich mit Timothy Steel.«
»Sehr gern, Mr Westerfield.« Ich stellte den Anruf durch und setzte mich an die E-Mails. Verwundert stellte ich fest, dass er an meinen Anmerkungen kaum etwas geändert hatte. Schmunzelnd versendete ich die Mails und suchte die Nummer von Mr Steel heraus.
Gegen fünf knurrte mein Magen und erinnerte mich daran, dass ich noch nichts gegessen hatte. Der Tag war um einiges stressiger gewesen als gestern, sodass ich nicht dazu gekommen war, Mittagspause zu machen. Weil ich Feierabend hatte, schaltete ich den Computer aus und wartete, bis mein Chef aufhörte zu telefonieren. Da er mir ausdrücklich aufgetragen hatte, nicht in sein Büro zu kommen, rief ich ihn an.
»Was gibt es denn jetzt schon wieder, Miss Walsh?«, fragte er mehr als genervt.
Blödes Sackgesicht! Das war lediglich mein zweiter Anruf an diesem Tag. »Sir, ich würde jetzt nach Hause gehen, sofern Sie nichts mehr für mich zu tun haben.«
»Und deswegen rufen Sie mich an?«, knurrte er wütend.
Ich rollte mit den Augen und biss die Zähne aufeinander. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Feierabend, Mr Westerfield. Bis morgen.« Ich legte auf und räumte meine Sachen zusammen.
Ich hatte gestern auf die Afterwork-Party mit Cheryl verzichtet und dafür versprochen, heute mit ihr in die Hensley Bar zu gehen, die sich im unteren Stockwerk unseres Apartmentgebäudes befand. Ich konnte den herben Geschmack des eiskalten Kilkennys bereits auf meiner ausgetrockneten Zunge schmecken. Bei den Fahrstühlen kramte ich mein privates Handy hervor und tippte eine Nachricht für Cheryl, als ich aus dem Augenwinkel meinen Chef auf mich zukommen sah.
»Wo wollen Sie hin, Miss Walsh?«, fuhr er mich harsch an.
Verdattert sah ich auf. »Nach Hause, Sir.«
Er blieb sehr dicht vor mir stehen und das erste Mal nahm ich seinen Geruch wahr. Er roch sauber. Anders konnte ich es gar nicht beschreiben. Er roch, als käme sein Anzug frisch aus der Reinigung und er geradewegs aus der Dusche.
»Haben Sie die Unterlagen des Capital Service an Mr Smith weitergeleitet?«
»Ja, Sir. Ich habe auch Senator Williams eine Kopie geschickt und Mr Jenkins in bcc gesetzt. Die Mitarbeiterin vom Senator hat mir versichert, dass die E-Mail angekommen ist und ich soll sie morgen früh noch einmal daran erinnern, dass der Senator Sie dazu anrufen soll.«
Mein Chef schien zu überlegen und mahlte dabei mit dem Kiefer.
Der Fahrstuhl kam an und als sich die Türen öffneten, machte ich einen Schritt nach vorn. »Wäre das dann alles, Sir?«, wollte ich wissen und blickte über meine Schulter zu ihm.
Leider entschied mein Magen in genau diesem Moment zu verkünden, wie hungrig er war, und knurrte ohrenbetäubend laut. Ich presste mir die Hand auf den Bauch und schloss die Augen. Gott, wie peinlich!
»Ich erwarte Sie um sechs am Four Seasons Hotel. Ziehen Sie sich ein Abendkleid an. Ich schicke Ihnen gleich Dokumente, die Sie bis dahin gründlich studiert haben«, befahl er und drehte sich auf dem Absatz um.
Sprachlos lehnte ich mich vor und sah, wie er zurück in sein Büro marschierte. Dann schaute ich auf meine Uhr. Ich hatte knapp fünfzig Minuten, um nach Hause zu fahren, mich zu duschen, umzuziehen und wer weiß wie viele Seiten zu lesen. Ich wusste, dass heute Abend eine Charity Gala im Four Seasons stattfand. Dort wollte sich mein Chef mit Geschäftspartnern treffen. Was sollte ich also dort? Ihm die Getränke servieren oder den Mund nach dem Essen abwischen? Frustriert haute ich auf die Taste für das Erdgeschoss und lehnte mich schnaubend gegen die Fahrstuhlwand. Ich erinnerte mich mal wieder daran, dass ich diesen Job brauchte.
Es war zeitlich unmöglich, nach Hause zu fahren, also rief ich Cheryl an, die zufällig in einem Hotel ganz in der Nähe arbeitete.
Um fünf vor sechs stand ich frisch geduscht in einem schulterfreien, emeraldgrünen Seidenkleid im Meerjungfrauen-Stil und langem Beinschlitz, geliehenen Smaragdohrringen sowie einer kleinen Clutch vor dem Four Seasons Hotel und wartete angespannt auf meinen Chef. Cheryl hatte mich zu diesem Kleid überredet. Ich fand den Beinschlitz eigentlich viel zu gewagt, doch sie meinte, dass es kein bisschen anzüglich, sondern elegant aussah, und ich meine langen Beine ruhig mal in Szene setzen sollte. Vielleicht würde sich mein Chef dann endlich mal etwas lockerer machen. Ich bedachte ihre Aussage mit einem Schnauben, weil ich mir nichts auf der Welt vorstellen konnte, was meinen Chef locker machen könnte. Der Mann rannte permanent mit einem Stock im Arsch herum.
Die Unterlagen, die Mr Westerfield mir geschickt hatte, waren brisant. Wie es aussah, wollte sein ehemaliger Geschäftspartner Paul Haulder ebenfalls mit den Russen Geschäfte abwickeln. Interessant war dabei, dass Paul Haulder das Angebot von A D A jedes Mal unterschritt. Entweder diskutierten die Russen offen die Absprachen mit ADA, was unwahrscheinlich war, oder bei ADA gab es jemanden, der die Informationen weitergab. Laut interner Bestimmungen wusste nur eine Handvoll Personen von den Absprachen mit den Russen. Darunter waren Billie und Steven Jenkins, Aiden Prince und drei weitere Leute aus der Rechtsabteilung. Wenn einer von denen ein Maulwurf war, wäre das ein handfester Skandal.
Ich war so in meine Gedanken versunken, dass ich meinen Chef erst bemerkte, als ich von meinem Handy aufschaute. Erschrocken zuckte ich zusammen und fasste an meinen Hals. »Oh, verzeihen Sie, Mr Westerfield, ich habe Sie nicht kommen sehen.«
Mein Boss sah mal wieder unverschämt gut aus. Er trug einen schwarzen maßgefertigten Anzug und dazu ein gestärktes weißes Hemd. Die Krawatte hatte fast den gleichen Farbton wie mein Kleid. Für eine winzige Sekunde wunderte ich mich, ob er diese bewusst ausgesucht hatte, verwarf diesen Gedanken aber gleich wieder. Denn dafür hätte er wissen müssen, was für ein Kleid ich tragen würde. Es war also reiner Zufall.
Seine Augen blitzten gefährlich auf, als er an mir herunterschaute und meinen langen Beinschlitz bemerkte. Ich schluckte, weil ich nicht wusste, ob das ein gutes Zeichen war. War das Kleid vielleicht doch zu anzüglich? Ich hätte besser nicht auf Cheryl hören sollen.
»Haben Sie die Unterlagen gelesen?«, wollte er wissen und starrte in mein Gesicht.
Ich räusperte mich und befeuchtete meine Lippen. »Ja, Sir.«
»Gut. Haben Sie auch verstanden, worum es geht?«
Fast hätte ich gelacht, konnte es aber mit einem Husten überdecken. »Jemand will Ihnen den Sibirien Deal madig machen.«
Er nickte kurz und sah über meine Schulter ins Hotel. »Sie halten mir Paul vom Leib, während ich mit den anderen spreche. Noch weiß niemand, dass Sie für mich arbeiten. Das Überraschungsmoment ist ein entscheidender Vorteil«, sprach er leise und sah wieder auf mich herab.
Er strahlte absolute Autorität und Macht aus und das turnte mich ungemein an. Dieser Mann war dermaßen sexy. Diese Tatsache irritierte mich aber auch gleichzeitig. An ihm war nichts Freundliches oder Liebenswürdiges. Er war völlig emotionslos. Ein knallharter Geschäftsmann durch und durch. Ich bezweifelte mittlerweile, dass er Frau und Kinder hatte. Denn niemand würde es lange in dieser arktischen Kälte aushalten, die dieser Mann ausstrahlte.
Wir gingen getrennt ins Hotel. Wer Paul Haulder war oder wie dieser aussah, erklärte mir mein Chef nicht. Ich musste es also auf eigene Faust herausfinden. Für eine Weile wanderte ich durch das Foyer und genehmigte mir ein Glas Champagner. Es war zwar nicht klug, auf nüchternen Magen zu trinken, aber ich brauchte etwas, um meine Nervosität loszuwerden. Auf der Gästetoilette googelte ich schließlich Paul Haulder und hatte endlich ein Bild von ihm. Laut Wikipediaeintrag war er Geschäftsführer des größten Konkurrenten von ADA und verheiratet mit Sharon Haulder. Überrascht hob ich die Brauen. Die hatte ich heute zu meinem Chef durchgestellt. Wieso telefonierte er mit der Frau seines Konkurrenten? Ich ging zurück in das Foyer, als eine dezente Klingel darauf hinwies, die Plätze einzunehmen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich hinsollte, und fragte einen Kellner, wie die Tische besetzt waren.
»Wie ist ihr Name, Miss?«
»Rayanne Walsh.«
»Hm, ich scheine Sie hier nicht auf meiner Liste zu haben.«
Sofort wurde mir heiß. »Ich bin in Begleitung von Daniel Westerfield hier«, erklärte ich und überlegte bereits, ihn anzurufen, weil es ein Problem gab.
»Ich verstehe.« Nach einer erneuten Suche fing er an zu nicken. »Ja, hier steht es. Sie sitzen an Tisch vierzehn. Der befindet sich dort rechts neben dem Rednerpult.«
Erleichtert atmete ich aus und machte mich auf den Weg zu meinem Platz. Zum Glück war ich das Laufen auf hohen Schuhen gewohnt, denn ich befand mich schon seit über zwölf Stunden auf den Beinen.
Viele Köpfe drehten sich herum und die Leute fingen leise an zu tuscheln, als ich durch den Saal auf meinen Tisch zulief. Ich hatte schon einiges von New Yorker Veranstaltungen gehört. Meistens kamen immer ein und dieselben Leute und man kannte sich untereinander. Der Charitygedanke war dabei absolute Nebensache. Hier wurde mehr übers Geschäft gesprochen, als in so machen Konferenzräumen der Stadt. An meinem Tisch saßen ausschließlich ältere Männer, die alle gleichzeitig aufstanden und sich ihre Jacketts zuknöpften, als ich an den Tisch trat.
»Guten Abend, Miss. Bitte, nehmen Sie Platz.« Ein ergrauter, aber noch ziemlich attraktiver Herr bot mir einen Stuhl und ich nahm dankend an.
»Vielen Dank, Sir.«
»Nicht so förmlich. Ich bin Paul Haulder«, sagte er mit einem Augenzwinkern. »Wir sind hier doch alle unter uns.«
Überrascht hob ich die Augenbrauen und ergriff dir mir angebotene Hand. »Vielen Dank, Mr Haulder. Ich bin Anne«, stellte ich mich vor.
In letzter Sekunde entschied ich mich dazu, nicht meinen wirklichen Namen zu verraten. Ich hatte zwar nicht den Paul Haulder vor mir, dafür aber offensichtlich seinen Vater.
»Anne«, sagte er und musterte mich neugierig. »Sie kommen nicht von hier. Irland?«, mutmaßte er.
Ich schmunzelte. »Richtig. Westirland. Ich bin vor zwei Monaten nach New York gezogen.«
»Mein Großvater ist damals aus Galway nach Amerika gekommen, um hier zu arbeiten. Dann hat er seine Frau Irina kennengelernt und ist geblieben.«
»Irina? Das klingt aber nicht irisch«, antwortete ich.
»Russisch. Meine Großmutter stammt ursprünglich aus Sankt Petersburg.«
Sofort wurde der Abend noch interessanter. Ich hatte bereits eine erste heiße Spur und musste noch nicht einmal etwas dafür tun.
»Dad. Meine Herren.« Paul Junior trat mit seiner Frau Sharon an den Tisch und ich erkannte sofort die Ähnlichkeit zwischen den Männern.
»Wie schön, dass ihr es doch geschafft habt. Darf ich euch Anne aus Irland vorstellen? Sie ist neu hier in New York.«
Ich schüttelte die Hand von Paul Haulder Junior, der mich neugierig musterte und einen Tick zu lange in meinem Ausschnitt hängenblieb. Seine Frau Sharon schien davon nichts mitzubekommen. Sie war zu sehr damit beschäftigt, jedem der Herren am Tisch ihre behandschuhte Hand für einen Kuss hinzuhalten. Herrje, wie im Mittelalter. Aber na gut, vielleicht machte man das hier so, wenn man zum New Yorker Adel gehörte.
Sobald alle saßen, begann die Veranstaltung. Es wurden etliche Reden gehalten und Gläser gehoben, angestoßen und noch mehr getrunken. Ich hielt mich zurück, weil ich immer noch nichts gegessen hatte. Das Gespräch am Tisch war laut und lustig. Die Gentlemen waren allesamt Witwer oder geschieden und genossen ihre Zeit als Junggesellen, die zu reich zum Sterben und zu alt für Tinder waren. Keiner von Ihnen nahm ein Blatt vor den Mund und nach zwei Stunden hatte ich bereits vier Heiratsanträge erhalten und vom vielen Lachen Bauchschmerzen.
»Zu schade, dass ich verheiratet bin«, seufzte Sharon Haulder leise und nippte an ihrem fünften Glas Rotwein.
Überrascht sah ich zu ihr, denn sie hatte den ganzen Abend kein einziges Wort mit mir gesprochen.
»Sind das echte Smaragde?«, wollte sie wissen und griff doch tatsächlich an meine Ohren.
Ich lehnte mich ein Stück von ihr weg und sah sie skeptisch an. Hatte ich sie richtig verstanden? Ihr Ehemann, der gar nicht so schlecht aussah und eigentlich auch recht nett zu sein schien, saß schließlich direkt neben ihr.
»Die sind nur geliehen«, antwortete ich und überlegte, ob es sich vielleicht lohnen würde, die gelangweilte Ehefrau auszuquetschen anstatt ihren Mann, der sich die ganze Zeit über mit seinem Handy beschäftigte. »Ihre Diamanten sehen auch sehr hübsch aus. Ein Geschenk von Ihrem Mann?«, fragte ich und nahm noch einen Schluck Champagner.
Sharon Haulder verdrehte schnaubend die Augen. »Eine Leihgabe von Tiffany. Er verspricht zwar immer wieder, das Collier zu kaufen, doch mein Mann ist ein Geizhals.«
Eine gelangweilte Trophäen-Gattin. Bingo.
»Meine Smaragde sind auch von Tiffany geliehen. Ich konnte mich einfach nicht entscheiden, die Auswahl dort ist gigantisch.«
»Wo ist dein Mann? So jemand wie du ist doch sicherlich verheiratet. Oder bist du auf Männerfang? Am richtigen Tisch sitzt du jedenfalls schon. Die alten Knacker sind alle Multimillionäre«, flüsterte sie mir leise ins Ohr. »Wenn du es allerdings etwas jünger haben möchtest, solltest du das nächste Mal bei den Unverheirateten sitzen.« Sie deutete mit dem Finger auf einen Tisch auf der anderen Seite des Saals.