© 2017 Volker Griese
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Satz: Volker Griese aus Raleigh Md BT
Titelbild: Holsteinischer Buchenwald, Charles Ross
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-743-13557-4
Holstein, wie es sich wirklich gezeigt
(Charles Ross 1844)
Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag: sie wohnen in schönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider, sie haben feiste Gesichter und reden eine eigne Sprache; das Volk aber liegt vor ihnen wie Dünger auf dem Acker. Der Bauer geht hinter dem Pflug, der Vornehme aber geht hinter ihm und dem Pflug und treibt ihn mit den Ochsen am Pflug, er nimmt das Korn und lässt ihm die Stoppeln. Das Leben des Bauern ist ein langer Werktag; Fremde verzehren seine Äcker vor seinen Augen, sein Leib ist eine Schwiele, sein Schweiß ist das Salz auf dem Tische des Vornehmen.
Georg Büchner1
Wir wollen diese Missgeburten der Zeit nehmen, wie sie damals nach den Meinungen und der Denkungsart der Menschen darin geformt werden konnten. Wir würden in derselben Lage dasselbe Gepräge angenommen haben. Lasst uns aber auch mit derselben Billigkeit das gute, durch Religion nicht belehrte, sondern unterjochte Volk behandeln. Es war von Natur nicht unfähig zum Guten; denn es war schon auf dem letzten Grade der Kultur der bürgerlichen Gesellschaft; es trieb Ackerbau, es lebte in Dörfern. Als es aber durch seinen Unglauben Freiheit und Eigentum verwirkt haben sollte, als Dörfer zu Hoffeldern gemacht wurden und der Sauerteig der Sklaverei jahrhundertelang in seinem Eingeweide gewütet hatte, da – verlangte es selbst nichts mehr als – Brot und Ruten von seiner Herrschaft. Es verlangte nicht Freiheit.
Johann Gottfried Herder2
Lieber, wahrlich, unter Einsiedlern und Ziegenhirten als mit unserm vergoldeten falschen überschminkten Pöbel leben – ob er sich schon ›gute Gesellschaft‹ heißt, – ob er sich schon ›Adel‹ heißt. Aber da ist alles falsch und faul, voran das Blut, dank alten schlechten Krankheiten und schlechteren Heil-Künstlern. Das Beste und Liebste ist mir heute noch ein gesunder Bauer, grob, listig, hartnäckig, langhaltig: das ist heute die vornehmste Art.
Friedrich Nietzsche3
Es ist keine schlimmere Leibeigenschaft als sein eigener Sklave zu sein.
Sprichwort4
»… an der einen Seite des Weges erhoben sich mit Gebüsch bewachsene Hügel, auf deren Gipfeln hohe Buchen bis in die Wolken zu ragen scheinen; auf der anderen senken sich Täler, auch sie mit Bäumen geschmückt, zwischen denen man hinunter in stille Bäche schaut. Mitten in dieser himmlischen Gegend erblickt man dann links von der Landstraße einen auffallend hohen Waldhügel. Wir stiegen durch labyrintische Hecken, die schneckenförmig seinen Hang umwinden, bis zum Gipfel. Von dort schweiften unsere Augen über die wogenden Baumgruppen, über den ganzen Wald und die Heine auf den Inseln der verstreuten Seen, es war mit jedem Blick eine neue Landschaft und in einer Überschau die Natur in ihrer ganzen Herrlichkeit. Nicht einmal auf dem Gipfel der Hügel von Blankenese fühlte ich Gott in der Natur so mächtig wie hier.« Hier wie dort wird überschwänglich das »Elysium« lieblicher Wälder und Seen besungen, und wenn doch einmal Einkehr gehalten wird in einem Bauernhaus, so wird das »Muster an vollkommener Ordnung und Reinlichkeit« bewundert; zu einer ausführlicheren Beschreibung der Lebensumstände ist nicht Zeit, und so müssen wir denn mit einem »flüchtigen Überblick« leben, den Jens Baggesen, der große dänische Reisende, 1789 in Holstein empfand.5 Und »flüchtig« ist dann vieles, das die Reisenden, die Dichter und Schwärmer über die zimbrischen Halbinsel zu melden vermögen. Nicht nur bei den Lyrikern der Zeit kleistert der ideale Blick immer wieder die Realität zu.
Und Wunder nimmt dies nicht –: Nicht in den Städten, nicht in Lübeck, der ehrwürdigen, alten Hansestadt, nicht in Kiel findet Kunst und Literatur ein Zuhaus, vielmehr fördern alte Rittergeschlechter, Adlige die darbenden Literaten. Besonders eine Familie hat hier unzweifelhafte Verdienste. Und so reisen sie immer wieder von nah und fern, dem Ruf der Julia Gräfin von Reventlow und ihrem Gatten Fritz nach Gut Emkendorf folgend, um sich, dies darf nicht verkannt werden, aus ihren dürftig besoldeten Stellungen auch ein wenig im Glanze dieser bedeutenden Familie und dem höfischen Leben dortselbst auf dem Land zu sonnen. Aus Meldorf macht sich Heinrich Christian Boie auf den Weg, herauf aus Eutin kommt Johann Heinrich Voß, der Meister der deutschen Idylle; der unvermeidliche Friedrich Gottlieb Kloppstock gehört zu den gern gesehenen Gästen wie auch die Brüder Christian und Friedrich Leopold zu Stolberg. Aus Wandsbek reist Matthias Claudius herbei, gleich wochenlang auf dem Hofe logierend. Doch das Leben auf dem Lande ist ihren Blicken entrückt, ja, scheint für sie schlichtweg inexistent zu sein. Sie schwärmen für griechische Ideale, für Homer und für die – ihnen märchenhaft erscheinende – holsteinische Landschaft und essen vom Tisch der Adligen. Das harte, oft entbehrungsreiche Leben, das hinter der malerischen Natur steht, das in den Güterbezirken abseits der großen Straßen und passierbaren Wege erfahren, erleidet, erduldet wird, es hat wahrlich mit Idylle und Romantik so viel gemein, wie ein steifleinernes Tuch mit einem Seidenschal.
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»Ist das Feld mein oder euer, ich vermeine, dass das Feld sei mein! Nichts gehört euch zu, die Seele gehöret Gott, eure Leiber, Güter und alles was ihr habt ist mein, wollt ihr mir das wehren, dass ich meine Schweine auf euer Feld soll hüten lassen, davon sollt ihr das Unglück bekommen, gehet man, dass ihr vor meinen Augen wegkommt.«6 Das ganze Ausmaß der Verachtung, mit der ein adliger Gutsherr 1740 im tiefen Brustton der Überzeugung seine Untergebenen anherrschte, als sie zaghaft darauf hinwiesen, die von ihm in ihr Korn getriebenen Schweine fressen doch ihre Nahrungsgrundlage auf, ist bei den Lesern bis heute eine Quelle der Verwunderung oder Entrüstung – und mehr noch. Wer in Deutschland bis dato keinen Begriff von der »guten, alten Zeit« erfahren hat, dieser wie immer und ehedem weder nur guten, noch alt und verblassenen – vielmehr noch und noch stark und trüb ins Grau verblichenen und ins Hier und Heute reichenden –, wer sein ethisches und ästhetisches Urteil