Umschlag-Bilder:
links: Der Kirchhof um die ehemalige Merziger "St. Walburgis"-Pfarrkirche auf dem Stadtplan von 1617
rechts: Grabmal von 1924 auf dem heutigen Friedhof an der Propsteistraße in Merzig (Detail)
Copyright: © 2018 Arthur Fontaine, Fasanenweg 3, 66663 Merzig
Gesamtgestaltung: Arthur Fontaine
Verlag und Herstellung: BOD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
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ISBN 978-3-7460-7335-4
Die Geschichte der Stadt Merzig ist noch nicht verfasst. Vorhanden ist eine Vielzahl von Einzelschriften sowie von historischen Buchbeiträgen zu bestimmten Themen, Ereignissen und Zeitabschnitten der Stadthistorie. In diese Schar reiht sich auch das vorliegende Buch ein.
Die Auswertung der wesentlichen bekannten Quellen ergab ein fundiertes und recht detailliertes Bild der über tausendjährigen Entwicklungsgeschichte der beiden großen und allgemeinen christlichen Begräbnisstätten in der Kernstadt Merzig.
In Merzig und Umgebung wird die hier als „Friedhof an der Propsteistraße" bezeichnete Begräbnisstätte kurz „Propsteifriedhof" genannt. Außerhalb dieses Verstehensbereichs wird man beim Namen „Propsteifriedhof'' an den Friedhof einer Propstei denken. Um ein solches Missverständnis zu vermeiden, wird im Buch die umschreibende Form verwendet.
Die Bestandsaufnahme der erhaltenen historischen Grabmäler auf dem Friedhof an der Propsteistraße umfasst den Zeitraum von der Einweihung des Friedhofs bis zum Beginn der 1930er-Jahre, also etwa 90 Jahre. Der Blick auf diesen Fundus bedeutet einerseits Gedenken, andererseits lebendigen Kontakt mit lokaler Geschichte und Kultur. Zugleich soll die Kenntnisgrundlage über diese Kulturgüter gefestigt, erweitert und verbreitet werden, um die Stadt Merzig zu ermuntern, diese erhaltenen Kulturgüter weiterhin an ihrem ursprünglichen Standort zu erhalten und auf Dauer zu bewahren.
Ich danke allen, die zum Gelingen dieses Buches beigetragen haben, für besondere Hilfestellung bei der Beschaffung von Informationen, Materialien und Illustrationen vor allem Heinz Bauer, Merzig-Besseringen, Annemay Regler-Repplinger, Merzig, Agnes Müller, Archiv der Villeroy & Boch-AG Merzig, Doris Moll, Kreisheimatarchiv Schloss Fellenberg, Merzig, Prof. Wolfgang Adler, Landesdenkmalamt Saarbrücken, Stephan Dollwet, Stadt Merzig, Host Pinter, Merzig-Besseringen,Jörg Manderscheid, Merzig, Karl-Ulrich Weidig, Saarhölzbach
Merzig, im Dezember 2017
Arthur Fontaine
Dieser Kirchhof um die ehemalige Merziger Pfarrkirche „St. Walburgis" existierte noch im 19. Jahrhundert, wie zahlreiche schriftliche und bildliche Unterlagen sowie Berichte nach mündlichen Überlieferungen belegen.
Der älteste Lageplan von Merzig, er hat den Titel „Abriß des Fleckens Merzig" und stammt von 1617, zeigt im Umfeld eines mit „St. Walburg" bezeichneten Kirchenbaus in nordwestlicher Nachbarschaft eines weiteren, zu diesem Zeitpunkt ruinösen Gebäudes, der St. Peter-Kirche, einen umfriedeten, durch ein nordöstliches Tor zugänglichen Platz mit eingezeichneten Kreuzen als Symbol für christliche Grabstätten.
Die Anlage befand sich 1617 noch am Rand der Ortslage, auch wenn die Bebauung an drei Seiten bereits recht nahe herangerückt war. Von der Kirche „St. Walburg" glaubt man ein von Süd nach Nord ausgerichtetes Langschiff mit angefügten, quergestellten kleineren Vorbauten (Querschiffen?) sowie einen Vierungsturm zu erkennen.
Der Kirchhof ist mit einer Mauer begrenzt. Sie hatte im Mittelalter in umfangreicherer Hinsicht Bedeutung als heute: Abgrenzung eines Bezirks eigenen Rechts, z.B. einer Freistatt, auf der das kirchliche Asylrecht ebenso galt wie im Kirchenraum; Schutz des durch Segnung geheiligten Ortes vor Entweihung und Straftaten, wie Grab- und Leichenschändung; Fernhalten vor freilaufenden Haustieren und streunendem Wild.1
Die allgemeine Kulturgeschichte des Bestattungswesens in Mitteleuropa berichtet darüber, dass der abgegrenzte mittelalterliche Kirchhof auch Ort für gesellschaftliches Leben war.2 Dies mag für größere städtische Kirchhöfe eher gegolten haben als für kleinere ländliche. Für Merzig ist solches jedenfalls nicht bekannt.
Die älteste geschichtliche Nachricht zur Existenz des Kirchhofs um „St. Walburgis" stammt von 1559 in Aufzeichnungen der Merziger Propstei.3 1963, 2005 und zuletzt 2013 deckten archäologische Grabungen im Umfeld von „St. Walburgis" und „St. Peter" Reste der Begräbnisstätte auf. Die erst- und zweitgenannte führte u. a. zu der Erkenntnis, dass der Kirchhof weitläufiger gewesen sein muss als es der Lageplan von 1617 ausweist.
So ermittelten die Grabungen 1963 fünfzehn Bestattungen unter dem ehemaligen nördlichen Seitenschiff von St. Peter, das ursprünglich bis zur Westfront des Kirchturms vorgezogen war, sowie dicht am heutigen nördlichen Seitenschiff und westlich vor dem Kirchturm, in fast allen Fällen von Fundamenten des Kirchenbaus angeschnitten. (Abb. 2; Gräber 2-16).4 Der Bau von „St. Peter" ist demnach auf der ursprünglichen Begräbnisfläche erfolgt (zumindest teilweise) und hat diese in ihrer ursprünglichen Ausdehnung im Süden beschnitten.
Aufgrund der Befunde der archäologischen Grabungen 2005 lassen sich die historischen Grenzen des Kirchhofs scheinbar noch weiter im Süden vermuten, als sie 1963 ermittelt werden konnten: Zwischen Peterskirche und ehemaliger Propstei wurde ein Kindergrab (Abb. 3) aufgedeckt.5
In der Neuzeit lässt der Merziger Stadtplan von 1770 die Ausdehnung des Kirchhofs zu diesem Zeitpunkt erkennen. Er reichte südlich bis dicht an das nördliche Seitenschiff der „St. Peter"-Kirche heran und erstreckte sich südwestlich bis vor deren Fassadenseite (Abb. 4).
Eine ursprünglich größere Erstreckung des Kirchhofs nach Südosten ist ebenfalls denkbar. Für die mittelalterliche Zeit liefern die Geschichtsquellen ein eher umrisshaftes Bild von der Nutzung und Entwicklung unseres Kirchhofs.
Die erwähnte Nachricht zum Kirchhof um „St. Walburgis" aus den Unterlagen der ehemaligen Propstei um 1595, ebenso die Ergebnisse der archäologischen Grabungen, lassen die Erkenntnis zu, dass die Begräbnisstätte schon sehr früh entstanden sein muss. Dies führt zur Frage nach ihrem Ursprung. Die Antwort ist davon abhängig, ab welchem Zeitpunkt eine Pfarrkirche am Ort bestanden hat. Daten hierzu gibt es nicht.
Im Mittalter war es üblich, nach Errichtung eines Pfarrgotteshauses die Verstorbenen des Pfarrbezirks wenn nicht in der Kirche, dann in deren unmittelbarem Umfeld zu beerdigen. Denn nach christlichem Verständnis in dieser Epoche waren die Menschen bestrebt, im Tod die dem Seelenheil und der Auferstehung förderliche Nähe zum Allerheiligsten in der Kirche und den dort aufbewahrten Reliquien von Heiligen zu suchen.6 Ferner ist festzustellen:
„Vom 9. Jahrhundert an gab es im kanonischen Recht die Tendenz, den christlichen Begräbnisplatz mit dem Ort der Kirche zwingend zu verbinden."7
Dies im Unterschied zu vorchristlicher Zeit und anderen Kulturen mit Gräberfeldern außerhalb der Wohngebiete und meist abseits ihrer Kultstätten.
Der Flecken Merzig hatte sich in fränkischer Zeit unter dem Einfluss eines Königshofes am Ort zu gewisser Bedeutung entwickelt. Diese „villa Martia" schenkte der westfränkische König Karl der Kahle 870 dem Trierer Bischof Bertolf.8
Als Ende des 9. Jahrhunderts die Bistümer im Frankenreich in Archidiakonate und diese in die kleineren Verwaltungseinheiten der Dekanate gegliedert wurden, wird Merzig Dekanatssitz im Archidiakonat St. Mauritius Tholey. Zum Merziger Dekanat gehörten schließlich 45 Pfarreien bzw. Kirchen.9 Dieser Status setzte ohne Zweifel das Bestehen einer Pfarrkirche am Ort voraus.
Man kann also schlussfolgern, dass in Merzig spätestens im ersten Drittel des 10. Jahrhunderts eine Pfarrei mit Pfarrkirche bestanden hat10, in deren Inneren und Bering die Toten des Pfarrbezirks ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Zu dieser frühen Merziger Pfarrkirche gibt es keine weiteren sicheren Erkenntnisse.
Es liegt aber kein Grund vor, sie räumlich losgelöst von unserem Gräberbezirk zu vermuten. Denn wenn es zutrifft, dass im Mittelalter eine Pfarrkirchengründung einen Bestattungsplatz in ihrer direkten Umgebung nach sich gezogen hat, gilt auch umgekehrt, dass ein vorhandener mittelalterlicher Kirchhof auf eine Pfarrkirche in seinem unmittelbaren Bereich schließen lässt.
Die erwähnten archäologischen Grabungen erbrachten nicht nur Erkenntnisse zu Lage, Struktur und Ausdehnung des ehemaligen Merziger Kirchhofs, sondern auch zu dessen Alter.
Die 1963 im Turmbereich von „St. Peter" aufgedeckten Gräber, überwiegend mit Sandsteinplatten begrenzt und mit vollständigen oder restlichen Skeletten gefüllt, lagen auf einem Bodenniveau, das sich unter der um 1200 erbauten Kirche befinden, also älter sind als diese. Das manifestierte sich auch darin, dass die Gräber größtenteils von Fundamenten der ursprünglichen „St. Peter"-Kirche angeschnitten aufgefunden wurden. In einem Fall ist das hohe Alter der Gräber besonders deutlich geworden: Es wurde Fundamentmauerwerk freigelegt, das älter ist als das der Propsteikirche. Dieses Fundament (siehe Abb. 2; Nr. 53)
„[...] war auf einer Länge von 1,40 m ausgebrochen, wo sich eine in Mauerrichtung mit Kopf von West nach Ost liegende Bestattung (2) fand [siehe Abb. 2; eig. Anm.], die von 20 bis 30 cm hohen und verschieden dicken Sandsteinplatten eingefasst war."11
Das Grab war, wie die zugehörige Mauer, von einem Fundamentzug der Propsteikirche geschnitten. Daraus konnte folgender Schluss gezogen werden:
„Der [zur alten Fundamentmauer gehörige; eig. Anm.] Bau muss demnach schon längere Zeit vor dem Neubau der Prämonstratenserkirche eingeebnet gewesen sein und der Platz zu einem Friedhof gehört haben."12
Die Ausgrabungen 2013 fanden auf dem Kirchhofsgelände um die vormalige „Walburgis"-Pfarrkirche statt, wie es bereits der Merziger Lageplan von 1617 umreißt. Überraschend kam dabei der Fundamentgrundriss eines früh- bis hochmittelalterlichen Zentralkirchenbaus (Mitte 12. Jahrhundert) von fast 14 m Durchmesser zutage, eine Anlage mit vier Konchen (Apsiden) und einem vermuteten Vierungsturm.13
Weniger überraschend waren bei dieser Gelegenheit die Grabfunde auf dem als Begräbnisplatz bekannten Gelände an sich. Dagegen sind die Feststellungen zum Alter der Gräber für unsere Frage nach den Anfängen des Kirchhofs sehr aufschlussreich. Wolfgang Adler stellt dazu u. a. dar:
„Die Gräber, die beim Ausschachten des Fundaments gestört worden waren, konnten untersucht werden. [...] Von der dritten [Bestattung; eig. Anm.] wurden nur die Füße angetroffen, die eine Grube überlagerten. Diese enthielt aus alten Gräbern aufgesammelte Knochen von mindestens zwölf Individuen. Die Grube ist älter als das Grab, das wiederum älter ist als das Fundament. [...] Radiokarbondatierungen der Skelette aus den drei Gräbern [...] weisen alle ins späte Frühmittelalter."14
Unser Kirchhof wird somit erwartungsgemäß zusammen mit der frühen Merziger Pfarrkirche im 10. Jahrhundert entstanden sein. Es gibt aber auch mit dem fränkischen Königshof (7. Jahrhundert) zusammenhängende Überlegungen, ein noch höheres Alter einer Merziger Kirche und damit eines zugehörigen Kirchhofs anzusetzen.15
In einer Urkunde von 1153 bestätigt der Trierer Erzbischof Hillin, dass der Dienstmann der Trierer Kirche, Rudolf, sein Erbgut in Merzig dem Trierer Erzbischof Albero (1131-1152) zum Bau eines Klosters am Ort geschenkt und dass Albero das bereits errichtete Kloster den Augustiner-Chorherren von Springiersbach (Eifel) mit der Verpflichtung zur Seelsorge im Pfarrbezirk Merzig übertragen habe.16
Wegen dieser geschichtlichen Vorgabe und aufgrund der Zeitstellung nach den Ausgrabungen von 2013 ist es naheliegend, wenn auch nicht erwiesen, die festgestellte Zentralanlage inmitten des Kirchhofs als einen Kirchenbau der Augustiner zu betrachten. Dafür, dass er an der Stelle der ursprünglichen Merziger Pfarrkirche errichtet worden sein könnte, liefern die Grabungen keine Hinweise. Art und Größe des Zentralbaus lassen in ihm eher eine Klosterkirche denn eine neue Pfarrkirche vermuten.
Zudem ist in der Urkunde Hillins nur von einem Klosterbau, nicht auch von der Errichtung einer (Pfarr-)Kirche die Rede, vermutlich, weil eine solche (weiter) bestanden hat. So sieht es offenbar auch Ferdinand Pauly, wenn er schreibt:
„Die Augustiner ließen sich in dem neben der Kirche erbauten Kloster nieder."17
Dies widerspricht nicht der Überlegung, dass sich die Augustiner nach ihrer Ankunft in Merzig um 1150 und nach Besiedlung ihres Klosters zum Bau einer Klosterkirche entschlossen haben, wahrscheinlich zu dem in unseren Tagen ergrabenen romanischen Zentralbau.
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