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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

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Epilog

Danksagung

Die Autorinnen

Die Romane von Vi Keeland und Penelope Ward bei LYX

Impressum

VI KEELAND
PENELOPE WARD

One More Time

Roman

Ins Deutsche übertragen
von Antje Görnig

Zu diesem Buch

Auf dem Weg zu einem Interview mit dem erfolgreichen Geschäftsmann Dexter Truitt bleibt die Journalistin Bianca George zusammen mit einem heißen Typen im Aufzug stecken. Um sich von ihrer Panik abzulenken, erzählt sie dem Unbekannten, wie sehr sie Männer wie Dex hasst: attraktiv, erfolgreich und davon überzeugt, dass ihnen die Welt gehört. Sie ahnt nicht, dass es ausgerechnet der einflussreiche CEO ist, mit dem sie festsitzt … Dieser ist fasziniert von Bianca und will sie unbedingt näher kennenlernen. Daher spielt er das Spiel mit und gibt sich als Fahrradkurier Jay Reed aus. Um seine wahre Identität vor der Journalistin weiter geheim zu halten, führt Dex das zugesagte Interview online. Und während er sich mit Bianca als Jay trifft, steht er ihr nachts als Dexter Truitt in einem immer vertraulicher werdenden Chat Rede und Antwort. Nicht nur entwickelt Bianca Gefühle für den lässigen und charmanten Jay, nein sie entdeckt auch während ihrer virtuellen Verabredungen, dass Dex ein Mann mit viel mehr Tiefen als vermutet ist. Und schon bald findet sich Bianca zwischen zwei Männern wieder und verliebt sich jeden Tag ein bisschen mehr in sie – ohne zu ahnen, dass es ein- und derselbe ist …

Die Wahrheit ist selten rein und niemals einfach.

Oscar Wilde

1

BIANCA

»Das war ja klar«, dachte ich. Die Firma dieses Arschlochs nahm natürlich die gesamte obere Etage ein.

Ich drückte den entsprechenden Knopf auf dem Bedienfeld des Aufzugs, nachdem ich meine Interviewfragen hastig in mein Handy getippt hatte. Ich hatte sie erst auf den letzten Drücker zusammengestellt. Meine Redakteurin Sylvia würde nicht begeistert sein, zumal ich die Liste schon vor zwei Tagen hätte liefern sollen, und nun blieb ihr keine Zeit mehr, noch Änderungen vorzuschlagen – und sie lebte dafür, Änderungen vorzuschlagen.

Fünf Minuten Verspätung hatte ich bereits, und der verdammte Aufzug kroch nur so dahin. Während ich mehrmals auf den vierunddreißigsten Stock drückte, brummelte ich vor mich hin, dass ich nächstes Mal die Treppe nehmen würde. Aber was redete ich da? Mit diesen Schuhen? Mit diesem engen Rock? Es war ein Wunder, dass ich es überhaupt geschafft hatte, den Bordstein zu überwinden, als ich vor dem Gebäude aus dem Taxi gestiegen war.

Genervt seufzte ich. Bewegte sich der Kasten überhaupt? Das war der langsamste Aufzug, den ich jemals benutzt hatte. Frustriert und vielleicht auch etwas ungeduldig, das Interview hinter mich zu bringen, hämmerte ich abermals auf die Tasten ein. »Na los, ich bin eh schon spät dran!«

Als der Aufzug endlich Fahrt aufnahm, atmete ich erleichtert auf. Doch dann blieb er ruckartig stehen und das Licht ging aus.

»Tja, jetzt haben Sie das verdammte Ding kaputt gemacht«, sagte eine tiefe Stimme hinter mir. Ich zuckte erschrocken zusammen und ließ mein Handy fallen. Als ich hörte, wie es scheppernd auf dem Boden landete, befürchtete ich, es geschrottet zu haben.

»Mist! Sehen Sie, was Sie angerichtet haben!« Ich bückte mich und tastete suchend umher. »Könnten Sie mir wenigstens ein bisschen Licht machen, damit ich mein Telefon finden kann?«

»Es wäre mir ein Vergnügen.«

»Danke«, entgegnete ich verärgert.

»Wenn ich ein Handy dabei hätte.«

»Soll das ein Scherz sein? Sie haben kein Handy dabei? Wer geht heute noch ohne Handy vor die Tür?«

»Vielleicht sollten Sie es mal probieren. Wären Sie nicht so besessen von Ihrem Telefon, säßen wir jetzt nicht in der Klemme.«

Ich stand auf und stemmte die Hände in die Hüften. »Wieso?«

»Na ja, Sie waren beim Einsteigen so beschäftigt mit Ihrem Handy, dass Sie mich gar nicht gesehen haben.«

»Und?«

»Hätten Sie gewusst, dass ich im Aufzug bin, hätten Sie nicht vor Schreck Ihr Handy fallen lassen, als Sie meine Stimme gehört haben. Dann hätten wir Licht gehabt und Sie hätten die Tasten gut genug gesehen, um noch zwanzig- oder dreißigmal auf den Knopf zu drücken. Das hätte bestimmt geholfen.«

Ich merkte, dass sich der Mann hinter mir bewegte.

»Was tun Sie da?«

Als er antwortete, kam seine Stimme aus einer anderen Richtung als zuvor. »Ich hocke auf dem Boden und suche Ihr Handy.«

Es war wirklich stockdunkel. Ich konnte nichts sehen, spürte aber eine Luftbewegung und nahm an, dass er sich wieder aufgerichtet hatte.

»Strecken Sie die Hand aus.«

»Sie wollen mir doch mein Telefon geben, oder?«

»Nein, ich habe die Hose runtergelassen und drücke Ihnen gleich meinen Schwanz in die Hand. Mein Gott, Sie sind vielleicht drauf!«

In der Annahme, dass er mich nicht sehen konnte, grinste ich über seinen Sarkasmus und streckte die Hand aus. »Geben Sie mir einfach mein Handy.«

Er tastete nach meiner Hand, legte das Telefon hinein und schloss meine Finger darum. »Sie haben ein schönes Lächeln. Davon sollten Sie häufiger Gebrauch machen.«

»Hier ist es stockfinster. Woher wollen Sie wissen, ob ich ein schönes Lächeln habe?«

»Ich kann Ihre Zähne sehen.«

Er ließ meine Hand los, und im selben Augenblick spürte ich eine Panikattacke anrollen. Mist! Nicht hier! Nicht jetzt!

Ich angelte hektisch nach seiner Hand. »Entschuldigen Sie … ich … äh … Könnten Sie meine Hand noch ein bisschen festhalten?«

Er folgte meiner Bitte, ohne Fragen zu stellen. Er stand einfach vor mir, hielt meine Hand und drückte sie ein paarmal, als ahnte er, dass er mich beruhigen musste. Nach einer Weile merkte ich, dass ich langsam wieder herunterkam. »Jetzt können Sie loslassen. Tut mir leid, ich hatte eine kleine Panikattacke.«

»Und jetzt ist es besser?«

»Das passiert mir ab und zu. Ich schätze, je länger wir hier drin sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass ich noch eine Panikattacke bekomme. Am besten reden Sie mit mir. Das lenkt mich ab.«

»Okay, wie heißen Sie?«

Ich verspürte den überwältigenden Drang, laut zu schreien. »Aaaaaaaaaaah!!!«

»Was zum Teufel war das denn?«, knurrte er.

Ich schrie noch einmal – und jetzt noch viel lauter.

»Warum machen Sie das?«

»Ah, das hat gutgetan«, sagte ich, ohne auf seine Frage einzugehen.

»Sie haben mich zu Tode erschreckt!«

»Tut mir leid. Laut schreien ist eine Methode, die ich nutze, um panische Gefühle zu vertreiben.«

»Eine bessere kennen Sie nicht?«

»Ich habe verschiedene Methoden. Ich könnte auch mit meinen Kugeln spielen.«

»Wie bitte?«

»Ich habe Kugeln. Und es hilft wirklich, mit ihnen zu spielen.«

»Mit Ihren … Kugeln? Ich fand, Sie sahen eher wie eine Frau aus – und ziemlich wohlproportioniert dazu, zumindest von hinten.«

»Ich spreche von Qigong-Kugeln! Das sind Meditationskugeln aus Metall. Ich lasse sie in der Hand kreisen und reibe sie aneinander. Das beruhigt mich.« Ich kramte in meiner Tasche.

»Was ist das für ein Geraschel?«, fragte er.

»Ich versuche, sie zu finden. Sie sind irgendwo hier in meiner Tasche.« Ohne Licht gestaltete sich die Suche ziemlich schwierig. »Mist, wo sind sie bloß?«

Er gluckste. »Ich habe ein Paar Kugeln, mit denen Sie spielen können, wenn es Ihnen hilft.«

»Sie sind abscheulich! Behalten Sie Ihre Kugeln bitte bei sich!«

»Herrje, entspannen Sie sich! Das war doch nicht ernst gemeint. Außerdem haben Sie von den Kugeln angefangen. Wir sitzen in einem dunklen Aufzug fest, verdammt. Ich wollte nur einen Witz machen.«

Als ich die Qigong-Kugeln endlich gefunden hatte, sagte ich: »Okay, da sind sie.« Ich atmete tief durch, ließ sie in meiner Hand rotieren und konzentrierte mich auf die beruhigenden metallischen Klänge, die sie dabei erzeugten.

»Sie klingeln. Wie hübsch«, kommentierte er scheinbar sarkastisch. »Was genau machen Sie jetzt?«

»Wie gesagt, ich lasse sie kreisen.«

»Und das hilft Ihnen?«

»Ja.« Nach einer Weile wandte ich mich ihm zu. »Geben Sie mir Ihre Hand.« Ich legte die Kugeln hinein. »Halten Sie sie mit dem Zeigefinger getrennt.« Als ich merkte, dass er den falschen Finger benutzte, sagte ich: »Nein, mit dem Zeigefinger, nicht mit dem Mittelfinger!«

»Ah, gut. Meinen Mittelfinger sollte ich sowieso schonen. Ich werde ihn noch genug strapazieren, wenn sich dieser Aufzug nicht bald in Bewegung setzt.«

»Sie nehmen das nicht ernst. Geben Sie mir die Kugeln zurück.« Ich nahm sie ihm aus der Hand.

»Ich war mal mit einer Frau aus, die sich beim Essen über den Tisch beugte, um mir zu sagen, dass sie sich Metallkugeln in die Möse gesteckt hat.«

»Ben-Wa-Liebeskugeln.«

»Ah, die kennen Sie also?«

»Ja.«

»Na, Sie sind ja eine wahre Kugelexpertin. Haben Sie diese Ben-Wa-Kugeln schon mal ausprobiert?«

»Nein. Ich brauche keine Kugeln, um zum Orgasmus zu kommen.«

»Wirklich nicht?«

Ich konnte es nicht sehen, aber ich spürte, dass er mich anlächelte.

»Okay, dieses Gespräch wird allmählich ziemlich schräg«, sagte ich kopfschüttelnd.

»Allmählich? Es wurde schon in dem Moment schräg, als mir Ihretwegen das Trommelfell geplatzt ist.«

Die Situation war völlig absurd. Plötzlich musste ich lachen. Die Qigong-Kugeln rutschten mir aus der Hand und rollten über den Boden.

»Jetzt haben Sie Ihre Kugeln fallen lassen«, stellte er trocken fest, und ich musste noch mehr lachen. Er stimmte mit ein, und wir wieherten hysterisch los, bis wir nicht mehr konnten. Die missliche Lage trieb uns beide in den Wahnsinn.

Irgendwann saßen wir schließlich an die Wand gelehnt auf dem Boden. Keiner sagte etwas. Mir fiel auf, dass er unheimlich gut roch. Nach einer Mischung aus Eau de Cologne und seinem ureigenen männlichen Duft. Ich fragte mich, ob er auch gut aussah. Zugegebenermaßen fand ich schon seine Stimme verdammt sexy.

»Wie sehen Sie aus?«, fragte ich schließlich.

»Das werden Sie noch früh genug herausfinden.«

»Ich versuche nur, Konversation zu machen.«

Ich spürte seinen Atem, als er sich zu mir vorbeugte. »Was glauben Sie denn, wie ich aussehe?« Seine Stimme war wirklich äußerst erregend.

Ich räusperte mich. »Sie haben eine schöne Stimme, ausgesprochen reif und sonor. Ich stelle Sie mir als einen älteren, distinguierten Herrn vor. Möglicherweise sehen Sie wie James Brolin aus.«

»Da wäre ich einverstanden.«

»Und ich?«, fragte ich.

»Na ja, ich konnte Sie ja kurz sehen – von hinten. Also weiß ich nur, dass Sie einen tollen Hintern haben. Und hübsche Zähne, denn sie leuchten praktisch im Dunkeln.«

Ich bekam Schwierigkeiten mit dem Atmen.

Er merkte anscheinend, dass meine Nerven wieder verrücktspielten. »Wenn Sie jetzt noch mal wie eine Hyäne herumschreien wollen, dann tun Sie wenigstens etwas Nützliches und rufen Sie um Hilfe!«

Ich stand abrupt auf und trommelte gegen die Aufzugtür. »Hilfe! Hilfe!«, schrie ich, doch meine Bemühungen waren vergeblich.

»Okay, Sie können wieder aufhören.«

Als ich mich hinsetzte, merkte ich, dass ich erneut in Panik geriet. Ohne visuelle Ablenkung war es wirklich schwer, gegen dieses unangenehme Gefühl anzukämpfen, und im Dunkeln hatte ich bisher noch nie damit zu tun gehabt.

»Könnten Sie mir noch mal die Hand halten?«

»Sicher«, sagte er nur und umschloss meine Hand ganz fest. Weil optische Reize fehlten, konzentrierte ich mich auf die anderen Sinne, vor allem auf das Riechen und Tasten. Während ich die Berührung seiner großen, warmen Hand genoss und seinen Duft inhalierte, schloss ich die Augen und versuchte, mich zu beruhigen.

Auf einmal zuckte er zusammen und ließ meine Hand los. »Licht!«

Ich öffnete die Augen und stellte erleichtert fest, dass die Aufzugbeleuchtung wieder funktionierte.

»Licht!«, schrie ich. Als ich mich umdrehte, um ihn spontan zu umarmen, hielt ich verblüfft inne und mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich musterte ihn mehrere Sekunden lang. Der Kerl sah besser aus, als ich mir hätte träumen lassen – so gut, dass mir alles, was sich im Dunkeln abgespielt hatte, extrem peinlich war.

Er sah James Brolin kein bisschen ähnlich. Er war jünger, heißer und kerniger. Ich schätzte ihn auf Anfang dreißig.

Meine Aufzugbekanntschaft hatte tiefschwarze Haare, die unter seiner verkehrt herum aufgesetzten Baseballkappe hervorschauten. Seine Augen waren stahlblau und sein markantes Kinn zierte ein Dreitagebart, der genau richtig war: nicht zu kurz und nicht zu lang.

Sein Anblick verschlug mir die Sprache. »Hallo«, sagte ich lediglich, als wären wir uns gerade erst begegnet.

Er warf mir augenzwinkernd ein sexy Lächeln zu. »Hallo.«

2

DEX

Wow. Meine kleine Kugelexpertin war eine verdammt heiße Braut.

Bevor das Licht ausgegangen war, hatte ich sie nur von hinten gesehen. Nun starrte ich in ihre wunderschönen großen braunen Augen und stellte fest, dass diese Aufzugpanne gar keine schlechte Sache war.

Sie räusperte sich. »Das Licht ist wieder an, aber wir sitzen immer noch fest.«

Wahllos drückte ich ein paar Knöpfe. »Sieht so aus. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Das Ding setzt sich bestimmt gleich in Bewegung.«

Und mit dem »Ding« war nicht mein Schwanz gemeint, obwohl ich hätte schwören können, dass er Regung zeigte, als sie sich ihre vollen Lippen leckte.

Mach das noch mal!, dachte ich.

Verdammt, sie war wirklich eine Schönheit.

Mein Blick wanderte an ihrem Körper herunter und wieder herauf. Mir gefiel außerordentlich gut, wie die kleinen Knöpfe an ihrer biederen Bluse den Weg zu ihrem zarten Hals wiesen. Ich hätte nichts dagegen gehabt, ihn mit Küssen zu pflastern.

Vielleicht konnte ich sie dazu verleiten, mit mir blauzumachen.

»Wo wollen Sie eigentlich hin, wenn der Aufzug wieder funktioniert?«, fragte ich.

»In den vierunddreißigsten Stock«, sagte sie.

Was?

Was hatte sie auf meiner Etage zu tun? Ich wusste, dass sie nicht für mich arbeitete. Dieses Gesicht und diese Augen hätte ich sicher nicht vergessen.

»Was wollen Sie denn da oben?«

»Ich habe das Vergnügen, den großen Geschäftsmann höchstpersönlich zu interviewen.«

Ich stutzte.

Oh je, ihr Ton verhieß nichts Gutes.

Ich schluckte, dann sah ich sie fragend an und stellte mich dumm. »Wen?«

»Den mysteriösen Dexter Truitt. Er ist der Chef von Montague Enterprises. Die haben das gesamte obere Stockwerk.«

Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich kurz davor war, die Fassung zu verlieren. »Sie scheinen keine gute Meinung von ihm zu haben.«

»Ich stelle ihn mir halt als ein gieriges, geldgeiles Arschloch vor. Aber persönlich kenne ich ihn natürlich nicht.«

»Warum denken Sie dann so schlecht über ihn?«

»Ich habe meine Gründe.«

»Vielleicht sollten Sie sich kein Urteil über jemanden erlauben, den Sie gar nicht kennen.« Obwohl ich die Antwort ahnte, fragte ich: »Warum machen Sie überhaupt ein Interview mit ihm?«

»Ich arbeite für das Wirtschaftsmagazin Finance Times und soll einen Exklusivbericht schreiben. Es ist sozusagen Truitts Coming-out. Seit er die Firma von seinem Vater übernommen hat, macht er sich rar und lässt sich weder fotografieren noch interviewen. Er ist allen ein großes Rätsel. Als ich hörte, dass wir das erste Interview mit ihm bekommen, habe ich mich sofort dafür gemeldet.«

»Und warum? Ich meine, wenn Sie den Kerl doch nicht mögen …«

»Ich glaube, es wird Spaß machen, ihn in die Zange zu nehmen.«

»Sie kommen mir aber nicht vor wie jemand, dem es Spaß macht, andere zum Schwitzen zu bringen, vor allem angesichts Ihres Panikproblems.«

»Na ja, in diesem Fall werde ich mich zusammenreißen, das können Sie mir glauben. So eine Gelegenheit lasse ich mir nicht entgehen.«

»Hören Sie, Sie sollten wirklich keine voreiligen Schlüsse ziehen. Sie haben beschlossen, diesen Kerl für ein Arschloch zu halten, obwohl Sie ihn gar nicht kennen. Nur weil jemand wohlhabend und einflussreich ist, muss er nicht unbedingt ein schlechter Mensch sein.«

»Es ist nicht nur das.«

»Was ist es dann?«

»Sagen wir mal, ich habe meine Hausaufgaben gemacht, was dieses Interview angeht, und ich weiß aus erster Hand, dass er ein Arschloch ist. Es ausführlicher zu erklären, würde jetzt zu weit führen.«

Verflucht! Mein Puls raste. Ich musste herausfinden, warum sie solche Vorurteile gegen mich hatte. Sie konnte unmöglich ahnen, dass ich Dexter Truitt war, denn mit den sportlichen Klamotten, die ich nach dem Training trug, sah ich vielleicht wie ein Fahrradkurier aus, aber nicht wie der Chef eines millionenschweren Imperiums.

Ich hatte ein eigenes Badezimmer mit Dusche und Toilette, das an mein Büro angrenzte, und ich hatte vorgehabt, mich oben sofort umzuziehen. Natürlich wusste ich, dass ich zu spät für das Interview war.

»Wie heißen Sie?«, fragte ich.

»Bianca.«

»Bianca wie?«

»Bianca George.«

Das war in der Tat der Name der Reporterin, mit der ich verabredet war.

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Bianca.«

»Und Sie heißen?«

Äh … ja … wie war eigentlich mein Name?

Sollte ich ihr sagen, dass das Interview mit dem Arschloch schon in dem Augenblick begonnen hatte, als sie in den Aufzug eingestiegen war, oder sollte ich weiter so tun, als wäre ich der unkomplizierte Typ, dem sie sich allmählich öffnete? Letzteres klang wesentlich amüsanter.

Mein Name …

Mein Name …

Ich starrte das dicke braune Kuvert an, das ich nach dem Training abgeholt hatte. Es lag neben ihren Metallkugeln auf dem Boden.

Umschlag …

Umschlagmarke …

Mead.

Reed.

Ich schaute zur Tür.

The Doors …

Jim Morrison …

Jim.

James.

Jay.

Reed. Jay Reed.

»Jay Reed.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Jay.«

»Ebenfalls, Bianca.«

Ganz plötzlich ertönte eine Stimme aus der Sprechanlage. »Hier ist Chuck Sansone von der Gebäudeverwaltung. Ist da jemand?«

»Ja!«, rief Bianca. »Wir sind hier drin! Wir sitzen fest!«

»Wir wollten Ihnen nur Bescheid geben, dass wir Sie schnellstens da herausholen. Die Techniker arbeiten schon daran, und Sie sind nicht in Gefahr.«

»Danke!« Sie wirkte extrem erleichtert. »Vielen, vielen Dank! Bitte halten Sie uns auf dem Laufenden.«

»Wird gemacht.«

Ich wiederum wollte nichts lieber, als mit ihr in diesem Aufzug eingesperrt zu bleiben. Ich musste doch ergründen, warum sie mich hasste, und ein Teil von mir hatte auch Spaß daran, Jay zu spielen, diesen gewöhnlichen, durchschnittlichen Typen, gegen den sie wahrscheinlich keine beschissenen Vorurteile hatte.

»Was machen Sie beruflich, Jay?«

»Ich habe meinen eigenen Fahrradbotendienst«, sagte ich. In Anbetracht meines Outfits fiel mir nichts anderes ein. »Ich muss in den sechsundzwanzigsten Stock.«

»Oh, das erklärt das Paket.«

»Sie meinen, dass ich so gut ausgestattet bin?«

Sie errötete und lächelte. »Nein, ich meine den Umschlag da.« Endlich hatte sie sich auf meinen Humor eingeschwungen. Das gefiel mir.

»Ich weiß. Ich wollte Sie nur ein bisschen aufziehen.«

Bianca hatte immer noch rote Wangen. Wie es aussah, hatte das Licht das Spiel gewendet. Sie fühlte sich eindeutig zu mir hingezogen. Manchmal weiß man so etwas einfach. Als sie merkte, wie ich sie anstarrte, schlug sie die Augen nieder und schaute zu Boden.

Oh ja. Ich hatte definitiv eine Wirkung auf sie.

»Wie sind Sie zu diesem Job gekommen? Dazu, Männer zu interviewen, die Sie nicht ausstehen können?«

»Vorher war ich Börsenhändlerin an der Wall Street.«

»Und das hat Sie zum Journalismus geführt?«

»Nein, das hat fast zu einem Nervenzusammenbruch geführt, und dann bin ich zum Journalismus gekommen. Ich denke mal, ich ziehe immer noch einen gewissen Nutzen aus meinem Studium, indem ich für ein Wirtschaftsmagazin arbeite.«

»Was meinen Sie, wie lange das Interview dauert?«

»Tja, ich bin jetzt schon spät dran. Wer weiß, ob es überhaupt noch stattfindet.«

»Unter den gegebenen Umständen wird er sicher Verständnis zeigen.«

»Er wusste doch bestimmt, dass ich auf dem Weg nach oben bin. Am Ende hat er diese technische Panne hier inszeniert. Vielleicht hat er kalte Füße bekommen, was sein erstes Interview angeht.«

»Ich finde, das ist ziemlich weit hergeholt. In dem Fall hätte er einfach angerufen und abgesagt, statt sich an der Aufzugselektrik zu schaffen zu machen. Ich glaube, Sie sind ein bisschen paranoid. Aber dagegen habe ich zum Glück ein Mittel.«

»Hat es mit Ihrem Paket zu tun?«

Ich musste herzlich lachen. »Weder mit meinem Paket noch mit Ihren Kugeln.«

»Nun sagen Sie schon, was ist das Mittel gegen meine Paranoia?«

»Cronuts.«

»Wie bitte?«

»Cronuts.« Ich grinste. »Diese Mischung aus Donuts und Croissants.«

»Oh, ich glaube, die habe ich in den Nachrichten gesehen. Da gibt es so eine Bäckerei in der Spring Street, oder?«

»Jepp. Die sind verdammt lecker. Möchten Sie sie nach Ihrem Interview probieren?«

Bianca nickte. »Gern.«

Ja, verdammt!

»Falls wir jemals hier rauskommen«, schob sie nach.

Kaum hatte sie es ausgesprochen, da schwankte der Boden ein wenig, bevor uns über die Sprechanlage mitgeteilt wurde, dass der Aufzug repariert worden war.

Ich drückte die Knöpfe für unsere jeweilige Zieletage, und siehe da, wir setzten uns in Bewegung. Es war ein bittersüßer Moment.

Als der Aufzug in der sechsundzwanzigsten Etage anhielt, blieb ich in der Tür stehen, um zu verhindern, dass sie sich schloss. »Wo kann ich Sie finden, wenn Sie fertig sind?«

Bianca sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Warum haben Sie eigentlich kein Handy dabei?«

»Lange Geschichte. Vielleicht erzähle ich Sie Ihnen ein andermal, wenn Sie mir von Ihren schmutzigen Geschichten über den Geschäftemacher da oben berichten.«

In Wahrheit hatte ich mein Telefon dummerweise letzte Nacht bei Caroline liegen lassen. Ich wollte Bianca nicht auf die Nase binden, dass sich mein Handy in der Wohnung meiner langjährigen Affäre befand.

»Am besten treffen wir uns draußen vor dem Eingang«, schlug ich vor.

»Und woher wollen Sie wissen, wann ich fertig bin?«

»Ich werde einfach auf Sie warten.«

»Sind Sie sicher?«

»Ja. Ich blättere am Zeitungsstand ein bisschen in den Magazinen. Vielleicht sehe ich ja, was Bianca George in der aktuellen Ausgabe der Finance Times zu sagen hat.« Ich zwinkerte ihr zu.

»Okay.« Sie lächelte. »Bis später dann.«

Als sich die Aufzugtür schloss, hämmerte mein Herz geradezu. Ich lief sofort zum Empfang der in dieser Etage ansässigen Firma und flirtete mit der Sekretärin, um ihr Telefon benutzen zu können.

Ich rief meine persönliche Assistentin an.

»Hallo Josephine. Wie Sie wissen, kommt gleich eine Bianca George von der Finance Times, um mich zu interviewen. Sie müssen sie zunächst eine Dreiviertelstunde warten lassen. Erst wenn die Zeit um ist, informieren Sie sie bitte, dass ich das Interview heute nicht mehr schaffe. Sagen Sie ihr, ich kontaktiere sie per E-Mail, um einen neuen Termin mit ihr zu vereinbaren.«

»Warum soll ich sie dann überhaupt warten lassen? Das verstehe ich nicht.«

»Das müssen Sie auch nicht verstehen, okay? Sie müssen es nur machen.«

»Ja, Sir.«

Mein privates Handy hatte ich zwar bei Caroline liegen lassen, aber in meinem Büro hatte ich noch eins für geschäftliche Zwecke.

»Und bitte schicken Sie auch jemanden los, der mir mein Telefon in den sechsundzwanzigsten Stock bringt. Ich warte vor dem Aufzug. Es liegt in der Ladestation auf meinem Schreibtisch.«

»Ich kümmere mich darum.«

Die Dreiviertelstunde brauchte ich schon allein deshalb, weil ich mir ein Fahrrad besorgen musste. Ein Fahrradkurier ohne Fahrrad war schließlich nicht besonders glaubwürdig.

»Eine Sache noch, Josephine. Könnten Sie bitte den nächstgelegenen Fahrradladen in Manhattan googeln?«

Sie nannte mir ein Geschäft, das etwa zehn Minuten entfernt war. Weil mein Fahrer nicht in Reichweite war, fuhr ich mit dem Taxi hin, nachdem ich mein Telefon bekommen hatte, und kaufte mir ein Fahrrad, das hervorragend für einen Fahrradboten geeignet war, wie mir der Verkäufer versicherte. Ich bezweifelte allerdings, dass ein Bote die Tandemausführung benötigte, die ich erworben hatte. Wie ich Bianca erklären wollte, dass ich mit einem Tandem unterwegs war, würde ich mir überlegen, wenn es so weit war.

Mit meinem nagelneuen Helm auf dem Kopf wartete ich nervös vor dem Gebäude. Als Bianca herauskam, sah sie ziemlich sauer aus.

»Was ist passiert?«

»Das Arschloch hat mich versetzt.«

»Ohne einen Grund?«

»Einfach so. Man hat mich lange warten lassen, nur um mir dann mitzuteilen, dass er verhindert ist. Angeblich will er einen neuen Termin mit mir ausmachen, aber das glaube ich nicht.«

Ich gab ihr den zweiten Helm, den ich gekauft hatte. »Weißt du was? Vergiss ihn.«

Was für einen Unsinn faselte ich da? Ich wollte natürlich nicht, dass sie mich vergaß.

»Du hast recht. Zur Hölle mit ihm.«

»Musst du wieder zurück in dein Büro?«

»Nein, nach diesem Scheiß lasse ich den Rest des Tages sausen«, sagte sie.

Ich wies mit dem Kopf auf das Fahrrad. »Steig hinten auf.«

Sie nahm es kritisch in Augenschein. »Warum fährst du ein Tandem?«

»Ich habe mehrere Fahrräder. Dieses hier benutze ich sonst nur, wenn ich einen Helfer brauche. Wie es das Glück wollte, hat mein normales Rad einen Platten, darum musste ich das Tandem nehmen. Scheint mir Vorsehung zu sein, denn heute bist Du meine Helferin, Bianca George. Und jetzt setz den schicken Helm auf.«

Sie stieg auf, und wir traten gemeinsam in die Pedale.

»Erster Halt: Cronuts!«, rief ich über die Schulter.

»Und danach?«

»Mal sehen, was der Tag so bringt, Georgy Girl.«

3

DEX

»Hast du das gesehen?«

»Was?« Ehrlich gesagt fiel es mir schwer, meine Aufmerksamkeit auf irgendetwas anderes zu richten als ihre strammen Nippel, die sich unter ihrer dünnen Bluse abzeichneten.

»Die beiden Typen da.« Bianca zeigte auf zwei Anzugträger auf einer Parkbank an dem Gehweg, von dem wir etwa zehn Meter entfernt im Gras saßen. Zum ersten Mal seit meiner Kindheit hatte ich wieder einen Fuß auf die große Wiese im Central Park gesetzt. Ich hatte zwar von meiner Wohnung aus einen grandiosen Ausblick auf den Park, aber an den meisten Tagen kam ich nicht dazu, die Aussicht zu genießen.

»Was ist mit ihnen?«

Sie wies mit dem Kinn auf eine alte Dame, die gerade an den Männern vorübergegangen war. »Die Frau ist fast gestolpert und auf die Nase gefallen.«

»Und daran sind die zwei schuld?«

»Der auf der linken Seite hat die Beine so weit ausgestreckt, dass man kaum an ihm vorbeikommt. Der Weg ist nicht viel breiter als einen Meter, und seine Beine beanspruchen mehr als die Hälfte davon.«

»Er ist groß. Es war sicher nicht seine Absicht, der alten Dame ein Bein zu stellen.«

»Vielleicht nicht. Aber das ist das Problem mit solchen Männern. Sie haben einfach keinen Anstand. Sie nehmen nur Dinge wahr, die Eindruck auf sie machen. Wäre eine Frau mit enger Yogahose und stattlichem Vorbau an ihnen vorbeigegangen, hätte er seine Stelzen garantiert bewegt, weil sie ihn interessiert hätte.«

»Meinst du nicht, du bist etwas zu negativ gegenüber der Anzug tragenden Bevölkerung eingestellt?«

»Nein.« Bianca packte ihren Lunch aus. Wir hatten uns Burger und Pommes von einem Deli mitgenommen, den ich schon eine Million Mal gesehen, aber vor dem heutigen Tag nie betreten hatte. »Zwischen dem Einkommen eines Mannes und seinen Manieren besteht ein enger Zusammenhang. Je höher die Steuerklasse, desto schlechter das Benehmen.«

»Ich glaube, du übertreibst. Kannst du deine gewagte Theorie vielleicht irgendwie beweisen, Ms Finance Times

Sie nahm eine Fritte aus ihrer Pommesschachtel und zeigte damit auf mich. »Beweisen? Ich werde es dir beweisen! Hast du Lust auf eine Wette?«

»Kommt darauf an, was ich dabei verlieren kann.«

Sie biss grinsend in ihre Fritte. »Du weißt jetzt schon, dass du verlierst, hm?«

»Das habe ich nicht gesagt. Aber ich informiere mich gern über die Faktenlage, bevor ich mich auf irgendetwas einlasse.«

»Natürlich. Feigling!«

Ich lachte. »Wie lautet also die Wette, Klugscheißerin?«

»Ich wette, dass ich den Anzugträger dazu bringe, seine Beine einzuziehen, ohne ihn darum zu bitten.«

»Und wie willst du das anstellen?«

»Gilt die Wette?«

Ich war neugierig geworden. »Was ist der Einsatz?«

Sie überlegte einen Augenblick. »Wenn ich die Wette gewinne, musst du mich mit deinem Tandem nach Hause fahren und ich lege dabei gemütlich die Füße hoch.«

»Und wenn du verlierst?«

»Dann muss ich strampeln, und du kannst hinten sitzen und dich entspannen.«

Ich war einen Meter sechsundachtzig groß und wog siebenundneunzig Kilo – da würde sie ziemlich ins Schwitzen geraten. Ich würde mich auf keinen Fall von dieser Frau durch die Stadt kutschieren lassen. »Ich mache dir einen Vorschlag. Wenn du gewinnst, fahre ich dich wohin du willst und du kannst die Füße hochlegen. Aber wenn du verlierst, musst du mit mir zu Abend essen. Ich führe dich in ein hübsches Restaurant voller Männer in teuren Anzügen aus.«

Das schien ihr zu gefallen. Sie gab mir die Hand. »Die Wette gilt. Mach dich schon mal auf ein schönes Workout gefasst.«

Ich hatte größte Lust auf ein schönes Workout mit ihr, aber an Fahrradfahren dachte ich dabei nicht.

Sie stand auf und wischte sich das Gras von den Händen. »Würdest du mir dein Sweatshirt leihen?«

Ich hatte ein Kapuzenshirt mitgenommen, als ich zum Training gegangen war. Weil es draußen warm war, hatte ich es in einer der beiden Sattelboxen meines neuen Botenfahrrads verstaut. Ihre Handtasche und ihre High Heels befanden sich in der anderen. Bevor wir losgefahren waren, hatte sie ihre sexy Sandalen gegen ein Paar Flip-Flops getauscht, das sie in ihrer Tasche gehabt hatte.

Bianca holte ein Haargummi hervor und band ihre langen Haare zu einem Knoten zusammen. Dann zog sie mein Sweatshirt an und stülpte sich die Kapuze über den Kopf.

»Was hast du vor?«

»Ich gehe jetzt an den beiden vorbei und beweise dir, dass sie nicht mal merken, wenn ich beinahe stolpere.«

»Und dazu musst du dich verkleiden?«

Sie dehnte das Sweatshirt und zog es in die Länge, sodass es ihr über den Hintern reichte, fast bis zu den Knien. »Ich verberge meine Vorzüge.«

»Du hast ziemlich aufregende Vorzüge.«

Den Körper mit einem dunklen, viel zu großen Sweatshirt verhüllt und mit der Kapuze auf dem Kopf, damit man ihr schönes Gesicht nicht sah, machte sie sich auf. Sie joggte zunächst ein Stück über die Wiese zurück, bevor sie auf den Gehweg lief. Als sie an den zwei Anzugträgern vorbeikam, tat sie, als stolpere sie. Einer der beiden sah flüchtig auf, redete aber ungerührt weiter. Verdammt, die Kerle rückten den Rest von uns tatsächlich in ein schlechtes Licht.

Mit einem siegessicheren Lächeln im Gesicht kam Bianca zu mir zurück. »Siehst du? Absolut unhöflich. Keine Manieren. Der eine, der nicht mal aufgesehen hat, hat wahrscheinlich von seinem Wohnzimmer aus eine direkte Aussicht auf den Park«, sagte sie und zog das Sweatshirt wieder aus.

Vermutlich war es nicht der richtige Zeitpunkt, zu erwähnen, dass ich auf der Westseite des Parks wohnte und ihn von meinem Wohn- und Schlafzimmer aus sehen konnte. Was für mich die Frage aufwarf, wohin zum Teufel ich sie bringen sollte, falls sie später mit zu mir nach Hause kommen wollte. Jay, der Fahrradbote, konnte sich nicht mal den Wandschrank in meiner Wohnung leisten.

Als Nächstes knöpfte Bianca ihre Bluse noch etwas weiter auf. Während ich mir vorher hatte ausmalen müssen, was unter dem Seidenstoff war, stellte sie ihre perfekt gebräunte Haut und einen beträchtlichen Teil ihres Dekolletés nun offen zur Schau. Ich fragte mich, ob sie einen Push-up-BH trug oder ob ihre Brüste von Natur aus so schön rund waren.

»Jetzt greifst du aber tief in die Trickkiste, was?«

Sie machte ihre Haare auf und schüttelte sie, dann kramte sie in ihrer Tasche und holte einen knallroten Lippenstift heraus. »Es sollte keine Rolle spielen, wer vorübergeht.«

Als sie fertig war, streifte sie ihre Flip-Flops ab und zog sich ihre hochhackigen Sandalen an. Dann sah sie mich an. »Bereit?«

Ich stützte mich auf die Ellbogen, um die Show zu genießen. Mir war piepegal, was die beiden Kerle machten, aber ich freute mich gewaltig darauf, Bianca dabei zuzusehen, wie sie zeigte, was sie hatte. »Leg los!«

Wie zuvor ging sie erst ein Stück die Wiese hinunter, bevor sie den Gehweg betrat. Mit wiegenden Hüften setzte sie einen Fuß vor den anderen. Kurz bevor sie die Anzugträger erreichte, ließ sie ihr Haargummi fallen. Sie drehte sich um, bückte sich auf übertriebene Weise und präsentierte den beiden Männern ihren Prachthintern. Der mit den ausgestreckten Beinen wurde auf jeden Fall auf sie aufmerksam. Bianca richtete sich auf, schaute mit einem frechen Grinsen im Gesicht zu mir herüber und ging langsam weiter. Als sie sich etwa einen Meter vor der Bank befand, zog der Kerl die Beine ein, damit sie ungehindert vorbeigehen konnte.

Und er ließ ihren Hintern nicht aus den Augen, als sie zu unserem Platz zurückkehrte.

»Nicht schlecht. Wirklich nicht schlecht.«

»Ich glaube, du musst auf dem Heimweg mit zusätzlichem Gewicht rechnen. Ich habe noch das eine oder andere zu besorgen«, sagte sie voller Schadenfreude.

»Lass mich raten. Eine Ladung Ziegel?«

Sie lachte. Ich fand es klasse, dass sie einfach ihre Sandalen auszog und sich ins Gras plumpsen ließ, ohne sich darum zu scheren, ob sie sich schmutzig machte. Das letzte Mal, dass Carolines Füße eine Wiese berührt hatten, war garantiert bei einem Fotoshooting gewesen – und wahrscheinlich hatte sie sich von einem Assistenten hintragen lassen.

Mein Handy vibrierte in meiner Tasche. Das hatte es immer wieder getan, während wir durch die Stadt gefahren und uns etwas zu essen besorgt hatten. Aber bei dem Lärm ringsum hatte Bianca es hinten auf dem Tandem nicht gemerkt.

»Ist das dein Telefon?«

»Ja, offensichtlich.«

»Ich dachte, du hättest kein Handy dabei? Deshalb konntest du mir im Aufzug kein Licht machen, als ich meins gesucht habe.«

Scheiße.

»Ich hatte es nicht bei mir, weil ich es in der Sattelbox vergessen hatte, als ich ins Gebäude gegangen bin.«

»Oh.«

Mein Handy surrte wieder.

»Willst du nicht rangehen?«

»Das kann warten.«

»Bist du der einzige Bote? Oder ist es eine große Firma?«

»Wir sind zu mehreren.« Sehr clever, Jay, dachte ich. Reit dich nur immer tiefer rein!

Sie sah mich schräg an. »Warum bist du so zurückhaltend? Die meisten Männer nutzen jede Gelegenheit, um über ihren Erfolg zu reden.«

»Vielleicht ist meine Firma ja extrem erfolgreich, und ich will dich nur nicht vergraulen, wo du doch so eine tiefe Abneigung gegen reiche Männer hast.«

»Der Punkt ist nicht, dass sie Geld haben. Es geht vielmehr darum, was ihr Vermögen aus ihnen macht. Es verändert offensichtlich ihre Prioritäten und gibt ihnen das Gefühl, die ganze Welt würde sich um sie drehen.«

»Dann würdest du also einen Mann nicht unbedingt von deiner Liste potenzieller Verehrer streichen, nur weil er schwerreich ist?«

»Potenzielle Verehrer?« Sie kicherte. »Jetzt klingst du wie die Arschlöcher, mit denen ich zusammen in Wharton studiert habe.«

»Du warst in Wharton?«

»Ja. Warum bist du so schockiert! Frauen mit Köpfchen benutzen auch mal Kraftausdrücke und ihre Körper, um Wetten zu gewinnen, weißt du. Was ist mit dir? Warst du auch an der Uni?«

Weil ich ihr schlecht sagen konnte, dass ich in Harvard gewesen war, tischte ich ihr eine weitere Lüge auf. »Ich bin an einer öffentlichen Uni gewesen, die sich meine Eltern leisten konnten.« Das war immerhin nicht komplett gelogen. Meine Eltern konnten sich eine öffentliche Uni leisten – sie konnten es sich sogar leisten, eine zu kaufen … den Campus, die Professoren, die ganze Universität.

Wir saßen noch eine Stunde auf der Wiese, aßen unser Mittagessen und quatschten miteinander. Bianca faszinierte mich in vielerlei Hinsicht, und ich wollte mehr darüber erfahren, wie sie tickte. »Was machst du eigentlich in deiner Freizeit, wenn du nicht gerade im Central Park Wetten mit Männern abschließt?«

»Also, ich arbeite viel. Du weißt ja schon, dass ich für die Finance Times schreibe, aber ich bin auch als freie Mitarbeiterin für andere Wirtschaftsmagazine tätig. Wegen dieser Aufträge bin ich manchmal an den Wochenenden unterwegs. Wenn ich zu Hause bin, gehe ich meistens aus. Ich bin eine echte Feinschmeckerin. Deshalb gehe ich gern mit meiner Freundin Phoebe essen und probiere die Küchen anderer Länder aus. In letzter Zeit hatten wir eine vietnamesische Phase. Ich habe keine Ahnung, was ich in dem Lokal gegessen habe, das wir zuletzt besucht haben, weil wir die einzigen Nicht-Asiaten waren und so gut wie niemand unsere Sprache konnte. Ansonsten bin ich sonntagmorgens meistens ehrenamtlich bei der Greyhound-Hilfe aktiv. Das ist ein gemeinnütziger Verein, der sich um Greyhounds kümmert, die von ihren Besitzern ausgemustert werden, wenn sie bei Rennen nicht mehr schnell genug sind. Die Hunde sind wunderschön und klug und brauchen viel Bewegung. Deshalb gehe ich mit zweien von ihnen laufen, wann immer ich kann.«

»Das ist sehr nett von dir.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Es ist eine gute Therapie für die Hunde und für mich.«

»Hast du auch einen eigenen Hund?«

»Ich hätte gern einen, aber in dem Haus, in dem ich wohne, sind keine Hunde über fünf Kilo erlaubt. Und kleine Hunde sind nicht so mein Fall. Außerdem bin ich viel unterwegs, und es wäre nicht fair, ein Tier die ganze Zeit in meiner Mini-Wohnung einzusperren. Seit ich an der Börse aufgehört habe, hat sich mein Lebensstil verändert – angefangen mit einer Verringerung meiner Wohnfläche. Die Besenkammer in meiner alten Wohnung war größer als mein jetziges Apartment. Und du? Was machst du in deiner Freizeit?«

In den vergangenen sechs Monaten hatte mein Leben so ausgesehen, dass ich achtzig Stunden pro Woche gearbeitet hatte, öden gesellschaftlichen Verpflichtungen nachgekommen war, wenn das Geschäft es verlangte, und Caroline ab und zu gevögelt hatte, wenn sie in der Stadt war. Aber das alles durfte Jay, Fahrradkurier der Extraklasse, Bianca nicht verraten. Und so ritt ich mich noch etwas tiefer rein.

»Meine Arbeit hält mich ordentlich auf Trab. Ich habe einige Angestellte, aber die Firma ist erst ein paar Jahre alt, und wir sind noch in der Aufbauphase. Ich versuche, fünfmal pro Woche ins Studio zu gehen, und …« Ich musste mir etwas einfallen lassen, damit es wenigstens so klang, als hätte ich irgendwelche Interessen. Doch als ich in meinen Lügenbeutel griff, um eine weitere herauszufischen, brachte ich leider nur eine Handvoll Flusen zutage. Also sagte ich das Erste, was mir in den Sinn kam. »Ich schnitze auch.«

»Du schnitzt?«

»Ja, ich schnitze. Ich mache Holzschnitzereien. Mit dem Messer, so wie früher.«

Was zur Hölle …? Warum war mir nicht als Erstes Wandern oder Bierbrauen oder so was eingefallen? Von Holz hatte ich nicht die geringste Ahnung. Jedenfalls nicht von dieser Art Holz.

Bianca sah mich belustigt an. »Schnitzen – das hört man wirklich nicht oft. Was für Sachen machst du so?«

»Ah, das kann ich dir beim ersten Date nicht verraten«, entgegnete ich mit einem Augenzwinkern. »Merk dir einfach, dass ich gut mit den Händen bin, und freu dich darauf, bei unserem nächsten Treffen Beeindruckendes zu sehen zu bekommen.«

»Du gehst davon aus, dass es ein nächstes Treffen gibt?« Sie zog eine Augenbraue hoch. »Du bist ganz schön von dir überzeugt, was?«

»Ich betrachte mich eher als hartnäckig. Ich bin zwar nur ein einfacher Bote, aber wenn ich weiß, was ich will, lasse ich mich von nichts und niemandem aufhalten.«

Der Nachmittag verging im Nu, und ich beendete unseren Ausflug nur ungern, aber mein Sechzehn-Uhr-Termin war am Vorabend aus London eingeflogen. Meine restlichen Verpflichtungen hatte ich schon abgesagt, aber ihn konnte ich wirklich nicht versetzen.

Also fuhr ich Bianca schweren Herzens nach Hause. Sie stand zu ihrem Wort und leistete mir keine Hilfe, während ich sie durch die halbe Stadt transportierte. Obwohl ich tipptopp in Form war, war ich nassgeschwitzt und erschöpft, als wir bei ihr zu Hause ankamen.

Ich wischte mir die Stirn mit meinem Sweatshirt ab, nachdem ich das Fahrrad abgestellt hatte. »Du hast auf der gesamten Fahrt wirklich keinen Zeh gerührt.«

Sie lächelte. »Nein. Eine Wette ist eine Wette, und du hast sie verloren.«

Allmählich befürchtete ich, dass ich meinen verdammten Verstand verloren hatte. »Wann kann ich dich wiedersehen?«

»Willst du mich mit dem Rad abholen?«

»Spielt das eine Rolle?«

»Nein. Ich wollte nur wissen, wie ich mich anziehen muss.«

»Zieh dich sexy an.« Ich machte einen Schritt auf sie zu und betrat ihre persönliche Distanzzone, um zu testen, wie meine Aktien bei ihr standen. Sie wich nicht zurück.

»Wohin gehen wir denn?«

»Wohin du willst.« Ich hatte mich schon den ganzen Tag danach gesehnt, sie zu berühren, aber es wäre wohl unangebracht gewesen, im Park über sie herzufallen oder mitten auf der Straße anzuhalten, um sie zu küssen. Doch als wir nun allein vor ihrem Haus standen, war es mit meiner Zurückhaltung vorbei. Unwillkürlich streckte ich die Hand aus, um ihre vom Wind zerzausten Haare glatt zu streichen. Dann ließ ich die Handfläche an ihrem Kinn ruhen und strich ihr mit dem Daumen über die Wange. »Such dir irgendetwas aus. Ich bin für alles zu haben.«

»Wie wäre es mit äthiopischem Essen?«

»Einverstanden.« Ich kam ihr noch etwas näher. »Hast du sonst noch einen Wunsch?«

Ihr Blick fiel auf meine Lippen.

Richtige Antwort!

Als ich mich vorbeugte, um sie endlich zu küssen, erregte irgendetwas hinter mir ihre Aufmerksamkeit. Ich drehte mich um und sah, wie eine ältere Frau versuchte, aus einem Taxi zu steigen.

»Das ist Mrs Axinger«, sagte Bianca. »Sie wohnt mir gegenüber.«

Ich hätte die Frau am liebsten vergessen und da weitergemacht, wo wir stehen geblieben waren, aber ich konnte es nicht. Sie war ziemlich wacklig auf den Beinen, und der verdammte Fahrer wollte ihr offenbar nicht helfen. Ich stöhnte, lief aber rasch zu dem Taxi, um ihr meine Hilfe anzubieten. Bianca kam hinter mir her.

»Hallo Mrs Axinger!«, rief sie. »Das ist mein Freund Jay!«

Ich fasste die Frau am Arm und half ihr aus dem Wagen und über die hohe Bordsteinkante. Als sie sicher stand, nahm ich ihre Einkaufstüte vom Sitz und trug sie hinter ihr her, während sie von Bianca zur Tür gebracht wurde.

»Bianca, Liebes, könnten Sie mir vielleicht dabei helfen, einen Karton von meinem Schrank herunterzuholen? Ich habe Angst, auf einen Stuhl zu steigen, und ich möchte meinem Sohn gern ein paar Fotos nach Kalifornien schicken.«

»Sicher, selbstverständlich. Ich habe Ihnen ja gesagt, Sie können jederzeit klopfen, wenn Sie etwas brauchen. Ich helfe Ihnen, Ihre Einkäufe wegzuräumen, und erledige alles, was Sie sonst noch zu tun haben.«

Ich hielt ihnen die Tür auf, und als wir alle im Eingangsflur standen, sah mich Bianca entschuldigend an. »Rufst du mich an?«, fragte sie.

Widerwillig zog ich mein Telefon aus der Tasche und reichte es ihr, damit sie ihre Nummer eingeben konnte. Als sie fertig war, gab sie mir das Telefon zurück und ich ihr die Einkaufstasche, die ich noch in der Hand hatte.

Weil ich sie natürlich nicht in Anwesenheit von Mrs Axinger abknutschen konnte, gab ich ihr einen Kuss auf die Wange, als sich die Aufzugtür öffnete. »Es war sehr schön, dich kennenzulernen, Bianca. Ich rufe dich an.«

»Ich freue mich schon drauf!«

Ich wartete, bis die Tür geschlossen war, dann ging ich zu meinem Fahrrad zurück. Im Gehen warf ich einen Blick auf die Telefonnummer, die sie eingegeben hatte. Sie hatte noch eine Nachricht hinzugefügt:

Wenn du mir eine Kleinigkeit schnitzt, bekommst du nächstes Mal den Kuss, der dir heute versagt geblieben ist.

Großartig. Wirklich großartig. Wenn ich mit dem Fahrrad wieder in mein millionenschweres Unternehmen zurückgekehrt war, musste ich Schnitzen lernen.