Geschichten von Trollen, Fjorden und Polarlichtern
Herausgegeben und übersetzt
von Daniela Stilzebach
Vorwort
Wahrhaftes und Sagenhaftes
Eine Nacht in der Nordmarka
Eine Sommernacht im Krokskogen
Ein Abend im Nachbarhaus
Ein altmodischer Weihnachtsabend
Götter, Könige und Ritter
Thor und Loki & Thor und die Geröllhalde Urebø
Die Könige von Urnes und Solvorn
Olaf der Heilige tötet Trolle und baut Kirchen
Ritter Gisfur
Riesen und Trolle
Die kleinen Jungen, die im Wald von Hedal Trollen begegneten
Das Trinkhorn in Øyestad
Die ungebetenen Hochzeitsgäste
Trolle als Baumeister
Der Riese auf der Insel Hestmann
Der Vågakallen
Der Riese im Dunkerberg
Die Riesen Flein und Bekaar
Märchenhaftes
Östlich der Sonne, westlich des Mondes
Die drei Brüder
Land und Leute
Die Lure
Der Bergmann
Karen
Treue
Der Adlerhorst
Der Falbe
Das Nordfjordpferd
Svend Foyn und die Eismeerfahrt
Quellennachweis
Bildnachweis
Denkt man an Norwegen, denkt man unweigerlich an langgestreckte Fjorde, hoch aufragende, schneebedeckte Berge, tiefe Täler, eisige, blau glänzende Gletscher und wild tosende Wasserfälle – kurzum an atemberaubende Natur. Seit jeher hat diese atemberaubende Natur auch die Schriftsteller des Landes fasziniert, die sie wieder und wieder zum Schauplatz ihrer Werke machten oder ihr mitunter sogar die Hauptrolle darin zudachten. Dabei bot die norwegische Natur nicht nur Schönheit, sondern stellte die Bewohner des Landes auch vor so manche Herausforderung – vor allem zu Zeiten, als es noch keine modernen Transportmittel gab und man sich mühsam zu Fuß oder hoch zu Ross durch die Unwegsamkeiten der ländlichen Gegebenheiten von A nach B fortbewegen musste.
Dieser hier vorliegende Band liefert nicht nur Einblicke in dieses Zusammenleben zwischen Mensch und Natur sowie in den Lebensalltag der Norweger vergangener Zeiten, sondern nimmt den Leser auch mit in die Sagen- und Märchenwelt des Landes. Hauptquellen dieser Geschichten sind die Sammlungen des Pfarrers und Historikers Andreas Faye sowie jene des Schriftstellers, Försters und Wissenschaftlers Peter Christen Asbjørnsen. Ihnen zum Vorbild galten wiederum die Brüder Grimm.
Fayes 1833 erschienene Norske Sagn gelten nicht nur als die erste Sammlung norwegischer Sagen überhaupt, sondern auch als das erste folkloristische Buch Norwegens (1844 folgte mit Norske Folke-Sagn die zweite Ausgabe). Faye sammelte die Geschichten mit dem Ziel, den direkt vom Volk übermittelten kulturellen Stoff festzuhalten. In ihnen finden sich diverse Referenzen zur griechischen und nordischen Mythologie. Hier begegnet man unter anderem Thor, dem Gott des Donners, der mit seinem Hammer, Mjölner, zu Werke schreitet, wenn ihm etwas missfällt. Ebenso fehlt es nicht an Riesen, die im Zweikampf ihre Stärke beweisen und sich gegen Rivalen behaupten müssen.
Während man Könige, verwunschene Prinzen und Prinzessinnen oder Tiere wie den Fuchs und den Bär auch aus deutschen Märchen und Sagen kennt, ist in den nordischen nicht selten gewissen übernatürlichen Wesen eine besondere Rolle zugedacht. Sie verfügen über »unmenschliche« Fähigkeiten, können äußerlich eine andere Gestalt annehmen oder sich gar unsichtbar machen. Charakterlich sind sie weder immer gut noch immer böse, stets jedoch sind sie listig und dem unvorsichtigen Menschen überlegen. So braucht es nicht nur Wachsamkeit, List und Tücke, sondern auch eine gehörige Portion Mut, sich diesen übernatürlichen Wesen und ihren übernatürlichen Kräften entgegenzustellen.
Zwei der bekanntesten übernatürlichen Wesen sind die Trolle und die Huldra. Der nordischen Mythologie zufolge leben die Trolle meist in den Bergen vor den Menschen verborgen. Allerdings kommt es vor, dass sie sich nach draußen wagen, sei es, um sich auf ein Abenteuer zu begeben oder aber, um den Menschen einen Schabernack zu spielen. Doch wehe, wenn die Sonne aufgeht, bevor sie in die Dunkelheit des Berges zurückgekehrt sind, dann werden sie an Ort und Stelle zu Stein. Manch einem Aberglauben zufolge ist das die Erklärung dafür, warum es in Norwegen vielerorts so viele Steine gibt.
Asbjørnsen seinerseits führte in seinen Norske Huldreeventyr og Folkesagn die geheimnisvolle Figur der Huldra ein, ein weibliches Geschöpf, das die Menschen, vor allem die Männer, durch ihren Zauber zu sich lockt. Während Faye es dabei beließ, die einzelnen, von ihm gesammelten Geschichten, so wie gehört aufzuschreiben, bettete Asbjørnsen sie mitunter in eine große Rahmenerzählung ein. Dabei trifft der Leser auf einen Erzähler, der ihn mitnimmt, hinein in die norwegische Natur. Gemeinsam mit dem Erzähler erlebt der Leser die Faszination wie auch die Gefahren der Natur und trifft zusammen mit ihm auf diverse urige Bewohner des Landes, mit denen er wiederum am Lagerfeuer »sitzend« deren Geschichten lauscht. Neben diesen, von Fischern, Holzfällern und anderen in ihrer mitunter sehr eigenen Sprache und Ausdruckweise übermittelten Geschichten erfährt der Leser zugleich etwas über die traditionelle Form der Weitergabe – und die war mündlich. Man erzählte sich diese Geschichten, die man selbst einst von anderen gehört hatte, beim geselligen Beisammensein, sei es draußen am Lagerfeuer oder zu Hause vor dem knisternden Kachelofen. Das wiederum erklärt, warum ein und dieselbe Geschichte nicht selten in verschiedenem Gewand überliefert ist. Nicht zu vergessen, dass auch die Autoren selbst bei Neuausgaben Änderungen und sprachliche Anpassungen vorgenommen haben.
Heute gelten diese Sammlungen als unverzichtbarer Schatz der norwegischen Märchen- und Sagenwelt und bieten dem Leser die Möglichkeit, auf ganz besonders Weise in die Geschichte Norwegens einzutauchen.
Den Abschluss dieses Bandes bilden einige besondere Erzählungen norwegischer Autoren, die heute in Deutschland – leider und ungerechterweise – als nahezu vergessen gelten. Den Auftakt zu diesem kleinen Erzählreigen machen zwei Stücke aus der Feder von Maurits Christopher Hansen, dem bedeutendsten norwegischen Prosaautor zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Mit seinen Werken inspirierte er Schriftsteller seiner wie auch späterer Generationen, darunter Jonas Lie und Peter Christen Asbjørnsen. Lie zählte neben Bjørnstjerne Bjørnson, dem ersten Literaturnobelpreisträger Skandinaviens, Henrik Ibsen, der sich bekanntermaßen dem Drama verschrieb und daher in diesem Band nicht vertreten ist, und Alexander Kielland zu den »Vier Großen« der norwegischen Literatur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die ihre Heimat weit über die Landesgrenzen hinweg bekannt machten. Sie widmeten sich Land und Leuten in ihrer jeweils eigenen Weise und griffen dabei, wie Jonas Lie mit dem Eismeerfahrer Svend Foyn, auch reale Personen und Ereignisse auf. Damit schlagen sie in diesem Band den Bogen von der Sagenwelt zur realen Welt.
Daniela Stilzebach
Hinweis:
Ortsnamen sowie die Bezeichnung von Landschaften, Seen, Flüssen und Wegen wurden nur dann der modernen Schreibweise angepasst, wenn dies zur Orientierung des Lesers als sinnvoll erschien. Somit kann der interessierte Leser sich in weiterführenden Quellen näher informieren oder bei einem Besuch in Norwegen sogar den ein oder anderen Ort selbst aufsuchen.
Ein Julitag so durchsichtig klar wie ein Tag im September, ein Sonnenstreifen über den Hügeln von Bærum, ein seltener Duft von Fichten, weckte inmitten des heißen Sommers in dieser stickigen Stadt meine Wanderlust und all meine Sehnsucht nach Meer und Wald. Ich musste und ich wollte hinaus, die frische Luft vom Fluss und den Fichten einatmen. Jedoch standen mir nur ein paar Tage zur Verfügung. Für eine lange Wanderung bot sich somit keine Gelegenheit; das Ganze musste sich auf eine Angeltour in der Nordmarka beschränken. Die Vorbereitungen dafür waren schnell getroffen, denn Fliegen und Angelausrüstung waren vorhanden, und nach einigen Stunden des Wanderns hatte ich den Maridalshammer hinter mir gelassen und bewegte mich auf dem Hang des Höhenzuges Richtung Kamphaug und vorbei an diesem Hof hinunter zum Bjørnsjøelva. Weit unten funkelte zwischen den Baumstämmen und den Schneisen des Waldes ab und an der Skjærsjøen. Die Vögel sangen aus voller Brust, und es ließ sich so leicht und frei atmen und wandern in der süßlich duftenden Waldluft. Das Rauschen des Wasserfalls rief nach mir, und schon bald war ich an der Mündung des Flusses in den See.
Hier strömte er klar aber reißend über den Kieselboden, denn er kommt aus der wilden Schlucht, wo er direkt von seiner Mündung im Bjørnsjøen auf einer Strecke von etwa zweieinhalb Kilometern deren tiefes Flussbett bildet, und eilt nun, wie bezwungen, in die Arme des Skjærsjøen. Solange er eingezwängt wird, stürzt er sich ungestüm tief in die dunkle Kluft zwischen Felswänden und Geröll aus chaotisch aufgetürmten Felsblöcken hinab. Bald strömt er schäumend mit Rauschen und Getöse, bald stürzt er in Wildheit hoch hinauf über schwarze Felswände und löst sich in Dunst auf, bald bildet er – man könnte annehmen in Reue für seine Wildheit und Unbesonnenheit – tiefe, stille, dunkle, nachdenkliche Auskolkungen. Die Ruhe ist jedoch nur von kurzer Dauer, er sucht sie auf, um anschließend das wilde Spiel mit erneuerten Kräften wieder aufzunehmen. Und doch haben all sein Lärmen und seine Wildheit zu dieser Zeit des Jahres nichts zu bedeuten, im Vergleich zu dem, was zu Zeiten der Flößerei erweckt wird. Wenn der Staudamm geöffnet wird, wenn sich das weite Gewässer des Bjørnsjøen entlädt und die Baumstämme in den Fluss vorgelassen werden, übersteigen sein Getöse und sein Ungestüm jegliche Vorstellung: Das Dröhnen des Wasserfalls ähnelt Donnergrollen und herabstürzenden Lawinen. Er reißt Bäume und Felsblöcke mit sich, und Baumstämme zerbrechen wie Pfeifenstiele.
Die Berghänge an den Ufern des Flusses steigen steil nach oben auf mit ihrem Geröll, ihren schwarzen Wänden, unendlichen Ansammlungen von Bruchholz und ihren Fichten, die voller Ernst auf das wilde Spiel in der Tiefe hinabblicken und die unaufhörlichen Dunstwolken, die der Wasserfall fortwährend in ihre grauen, ehrwürdigen Flechtenbärte hinaufwirft, einatmen und sich erfrischen. Zwischen den Ebereschen und den Birken, die sich dort unten am Ufer über den Fluss beugen, sieht der Angler, der sich in diesen Gefilden bewegt, lediglich einen schmalen Streifen des blauen Himmels, meist verdunkelt durch den Dunst, der vom Wasserfall aufsteigt und die Berghänge entlangschwebt. Derjenige, der hier angeln und sich hier bewegen will, darf keine Angst vor Wasser, Gebirge oder Himmel kennen, denn häufig ist die Schlucht so eng, dass die Ufer verschwinden und man durch den Fluss waten muss, mitunter senkt sich der Boden, und dort bildet sich eine abgründige Tiefe, eine dunkle Auskolkung mit steilen Wänden, an deren oberem Ende der Fluss dem Angler in einem schäumenden Wasserfall entgegenstürzt. Dort muss er die steilen Hänge hinaufwandern und über Geröll und Gestein klettern, das sich häufig unter seinen Füßen in Bewegung setzt, sodass er, wenn er nicht hinunterstürzt, zwischen Himmel und Wasser schwebt und sich mit den Händen festklammert, was blutige Spuren am Gestein hinterlässt. Und kennt er hier nicht jeden Stein und jeden Stumpf, gerät er schnell in die verzweifelte Lage, dass er weder hinauf- noch hinuntergelangt, oder wie es im Jägerjargon heißt, »dass er in den Berg gegangen ist«.
Mit der Angel als Balancierstab und Stütze sprang ich von Stein zu Stein, ich watete und kletterte und hatte Glück. In den klaren Wirbeln und unter den glasig-grünen Kuppeln, die der Fluss dort bildet, wo er mit verringerter Geschwindigkeit fließt, schnellten lebhaft kleine Forellen empor. Unter den Wasserfällen in den tiefen Auskolkungen schossen größere Fische wie goldglänzende Blitze hervor, schnappten sich unter Wasser die Fliegen, rissen ungestüm die Schnur von der Rolle und eilten hinunter in die Tiefe, von wo aus sie innerhalb kürzester Zeit wieder hinauf und an Land gebracht wurden.
Als ich aus der Schlucht an die Quelle des Flusses im Bjørnsjøen kam, ruhte ich mich für einen Moment auf dem Damm aus, die Sonne befand sich im Untergehen und ihr Licht spielte zwischen den Baumwipfeln, während sich das tiefe Blau des Himmels, die Pracht der Abendwolken und die Silhouetten der dunklen Fichten, die den See überall umrahmten, in seiner glatten Oberfläche spiegelten. Die Insekten summten durch die Luft und führten ihre elfengleichen Tänze über dem Wasser auf, aus dem bisweilen prächtige Fische zu ihnen aufschnellten und mit einem Platschen wieder in die Tiefe abtauchten. Weit nach Norden hinein stand eine dunkle Wand über dem Wald, vor der sich einige bleifarbene Wolken mit gelbbraunem Rand zeigten. Schwüle Luftzüge lösten in dieser Einsamkeit des Waldes in meiner Brust nahezu ein Beklemmen aus: Weit entfernt erklang eine Lure, oder vielleicht war es nur der Widerhall ihrer Töne, der in der Stille des Abends mein Ohr erreichte, schwebend, verhallend, gleichzeitig lockend und klagend. Ich ging durch den Wald am Wasser entlang, um von einer der hervorstechenden Landzungen, falls dort noch jemand sein sollte, nach einem Boot hinüber nach Bonna zu fragen, dem einzigen Ort an diesem Binnensee, in dem Menschen wohnten.
Auf der Landzunge, wo man üblicherweise eine Transportgelegenheit ordern kann, kamen zwei alte Männer aus dem Wald. Der eine sah aus wie ein patriarchalischer Bettler und war eine durch und durch kolossale Gestalt mit einem markanten Gesicht, buschigen Brauen und einem langen ehrwürdigen grauen Bart. Auf dem Kopf trug er eine Zipfelmütze aus blauem Wollgarn, und über der alten Jacke hing an einem roten Wollband ein Beutel aus Lammleder. Der andere war ein Fischer, dem ich bei meinen Wanderungen in dieser Einöde schon häufiger begegnet war. Seine Familie wohnte und arbeitete hier, seit sich jemand erinnern konnte, und hatte in früheren Zeiten in ewigem Streit mit den »Waldfinnen« gelegen, die Sagen aus verschiedenen Siedlungen zufolge bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts sporadisch die Nordmarka und die großen Waldgebiete bewohnten, die sich in Verbindung mit ihr von Lier und dem Holtsfjord bis hinauf zum Mjøsa und nach Valdres erstrecken.
Der alte Elias ist jedoch nicht immer nur Fischer gewesen. In seiner Jugend war er ein kecker Seemann, der den Sturm ebenso wenig fürchtete wie das Dröhnen der Kartaunen. Er war beim Russisch-Schwedischen Krieg 1788 vor Göteborg dabei und bei der Seeschlacht von Kopenhagen am 2. April 1801 war er Matrose auf der Prøvesteen. Er hat den Duft der Apfelsinenhaine der Mittelmeerländer eingeatmet, und er hat die Palmen Indiens gesehen. In der Nordmarka heißt er Elias Fisker, Elias Fischer, oder Elias Svenske, Elias Schwede, nach seiner ersten Fahrt. Jetzt ist er ein Krüppel und erhält Unterstützung von der Armenkasse. Aber die breiten Schultern, die Gesten seiner kräftigen Arme, das Leben, das in diesen Augen und in dem schlaffen, bärtigen Gesicht erwacht, wenn sich die Worte von den Lippen lösen und er von Kapitän Lassen, vom Meer, vom 2. April und von seinen Angeltouren in die Nordmarka erzählt, bezeugen, was für ein Kerl er einst gewesen ist.
Alte und Junge lauschen gern seinen etwas ausgedehnten Erzählungen, und Elias ist überall ein willkommener Gast, selbst bei den kleinen Leuten, die seinem Angelglück mit Missgunst begegnen. Denn Fischer ist er mit Leib und Seele und seine Fertigkeiten und seine langjährige Erfahrung, was den Zug und die Lebensweise der Fische in diesen Flüssen und Gewässern betrifft, krönen seine Bestrebungen für gewöhnlich mit einem seltenen Glück. Selbst jetzt in seinem 84. Jahr sieht man Elias Fisker zur besten Angelzeit jede Woche mit einer kolossalen Weidenkiepe voller Fisch auf dem Rücken in die Stadt ziehen. Einen Fehler aber hat er. Er versucht zu sehr, die Kluft zwischen dem Damals und dem Heute des nordischen Lethe1 auszufüllen. Wenn er aus der Stadt heimkehrt, sind seine Schritte wacklig und sein Kopf schwer, und obwohl er es nicht weit hat bis nach Hause – der kleinen Hütte, die auf einem Hügel links des Weges steht, kurz bevor man zur Skjervenbro in Maridalen kommt –, soll er mitunter doch am Straßenrand übernachten.
»Ich grüße euch, Fischer«, sagte ich.
»Guten Abend«, sagten sie beide und hoben ihre Mützen zum Gruß.
»Guten Abend Elias, treffen wir uns nun erneut hier.« »Ja, ich bin wie der Wolkenschwarm«, sagte Elias, »er ist da, wenn man ihn am wenigsten erwartet.« »Beabsichtigt ihr heute Nacht hier zu angeln?«, fragte ich. »Wir dachten schon, heute Nacht einen kleinen Versuch zu unternehmen«, sagte Elias, »es ist noch zeitig im Jahr, kommen aber Wind und Regen, dann sollte er sich durchaus raus trauen.« »Das ist auch meine Meinung, Elias.« »Der Fluss hat dir wohl übel mitgespielt?«, fragte Elias mit einem neugierigen Blick auf meinen Angelkorb. »Ich habe durchaus etwas gefangen, aber die wenigsten sind wirklich groß«, sagte ich und öffnete den Korb. »Der ist über anderthalb Pfund, … sieh nur, das ist ein schöner Fisch, und da sind noch mehr, … aber, was für schöne Fische!«, sagte Elias. »Er angelt vermutlich mit Fliegen?«, fragte der andere. »Das kannst du wohl wissen«, sagte Elias, während er mit seiner Angel einige vergebliche Würfe Richtung Wasser unternahm, »das kannst du wissen. Vergangenes Jahr stand ich neben ihm im Hakklooset und angelte, und bei mir hat nicht ein einziger angebissen, während er den Halbpfünder bekam.«
Ich fragte, wo der andere her war und wurde darüber unterrichtet, dass er sich im Sommer auf den Hadelandsåserne aufhält. Jetzt wollte er in die Stadt, um Salz zu kaufen, und gleichzeitig auch etwas Branntwein und Tabak, zudem beabsichtigte er, einige Besorgungen in der Fischerei zu machen.
Mit Einbruch der Nacht brach auch das Unwetter los: In der Ferne donnerte und blitzte es, die dunklen Massen breiteten sich aus, die Konturen der Wolken wurden immer unklarer und verschwammen, und schließlich hingen Regen und Wolken wie ein grauer Teppich über den Bergen und zwischen den Wipfeln der dunklen Kolonnaden des Waldes. Dem Regen voraus fegte ein lebhafter Wind über das Wasser. Jetzt war die Zeit zum Angeln gekommen. Einzelne große Fische tauchten auf, und ab und an wurden sie gefangen, meist ging es jedoch schief. »Er ist noch nicht in der richtigen Stimmung anzubeißen, deshalb sind so viele Versuche vergebens«, sagte Elias, der im Begriff war, einen Fisch an Land zu bringen. Mit den ersten Regentropfen schnellten die Fische in die Höhe, einer nach dem anderen, auf der Jagd nach Regenwürmen und Fliegen. Als der Schauer jedoch richtig losbrach und es anfing zu hageln und in Strömen zu gießen, war es gänzlich vorbei. »Gegen Morgen sollte er besser gelaunt sein«, sagte der Hadeländer. »Was meinst du zu dem Wetter?«, fragte ich, nachdem eine Weile vergangen war. »Über den Bergen klart es doch auf?«
»Östlich Pfütze gibt nasse Mütze.
Es kommt mehr Regen, aber zwischendurch sollte es durchaus etwas trocken sein. Da hört ihr es, dieser Kerl prophezeit auch Regen«, fuhr er fort, als von weit draußen vom Lande her ein fürchterlicher, nicht enden wollender Schrei erklang, so als würde ein Mensch sich in Lebensgefahr befinden. »Ist das der Nöck2?«, fragte ich. »Im Namen des Herrn, sag das nicht. Das war der Seetaucher«, sagte Elias.
Wir gaben das Angeln bis auf Weiteres auf, und da wir durchnässt waren, beschlossen wir ein Lagerfeuer zu entzünden. Die beiden Alten trugen Stöcke und Zweige zusammen, ich brachte das Feuer auf den Weg und bald flammte auf der Spitze der Landzunge ein Lagerfeuer, das es in Kombination mit meiner Wegzehrung nicht unterließ, einen belebenden Einfluss auf meine Kumpanen auszuüben, was in ein lebhaftes Gespräch über das Angeln, den Zug und das Leben der Forelle in der Nordmarka sowie des Saiblings in den Gewässern des Hadelands mündete. Elias verweilte mit Vorliebe bei den Angeltouren, die er in jüngeren Jahren in der Nordmarka unternommen hatte, als er von einer Reise heimgekehrt war. »Da gab es hier Fisch«, sagte er, während er seine kurze Stummelpfeife anzündete, »aber es war auch nicht so eine Schufterei mit den Gewässern und auch nicht so eine Gefahr im Anzug, wenn in der Nacht ein paar Planken in den Damm gerieten, sodass der Fisch in den Fluss gelangte. Ja, ja, beim Sandung-Damm ließ es sich zu dieser Zeit gut angeln, denn da befand er sich noch vor den beiden Bergen und der tiefen Auskolkung, wo er sich heute befindet, wie ihr wisst. Eine Nacht fing ich dort acht Pfund, und es war noch ein kleiner dabei. Jetzt aber weiß der Fisch meist nicht, wie es um ihn bestellt ist, weil man ihm nirgends seine natürlichen Wege lässt.« »Es hat Spaß gemacht seiner Zeit hier zu angeln, Elias«, sagte ich, »aber es kam vermutlich auch zu dieser Zeit vor, dass dir das Angelglück nicht hold war?« »Es sollte schon seltsam zugehen, wenn es komplett erfolglos war. Irgendwas bekam ich immer«, antwortete er. »Doch einmal hätte ich fast nichts gefangen, bekam dann aber doch noch was. Das ging so sonderbar zu, dass ich es nicht begreifen konnte. So bin ich weder zuvor noch danach jemals wieder draußen gewesen.« »Was ist passiert?«, fragte ich. »Du musst es uns erzählen, Elias«, sagte der Hadeländer, »wir haben jetzt eine solche Schlacht auszukämpfen.« »Das gedachte ich zu tun«, sagte Elias. »Es war 1806. Wir lagen zu dieser Zeit vor der Stadt vor Anker, aber alles war so streng geregelt, dass kein Matrose sich länger als einen Tag und nicht weiter als fünf Kilometer von Christiania3 entfernen durfte, es sei denn, er meldete das Kapitän Lassen. Mir stand der Sinn danach, in die Nordmarka zu gehen und zu angeln, also gab ich Bescheid und zog mit etwas Proviant und einer Flasche Branntwein in jeder Tasche los. Das Angeln lief erbärmlich. Im Bjørnsjøelva biss nicht einer an. Als ich zum Damm kam, lag das Boot dort. Das nahm ich und ruderte hinüber zum Smalstrøm, aber es war kein Fisch aufzuspüren, weder im See noch dort. Also begab ich mich nordwärts Richtung Hakloa. Auf dem Weg dorthin begegnete ich Peer Piber, einem der besten Fischer, der zu dieser Zeit hier in der Gegend unterwegs war. ›Es hat keinen Sinn, dass du weitergehst, Elias‹, sagte er, ›ich bin nördlich am Katnosa gewesen, aber ich habe kaum eine Gräte erwischt. Sieh hier‹, sagte er und holte seinen Tornister hervor, und alles was er hatte, war ein Dutzend kleiner Stöckchen, so lang wie mein Finger. ›Wenn ich bis hierhergekommen bin, dann werde ich wohl auch das letzte Stückchen noch gehen, mein lieber Peer‹, sagte ich und schenkte ihm einen Schnaps ein, oder zwei. Ja, Gott bewahre, ich genehmigte mir auch einen. ›Vielleicht traut er sich, bei mir anzubeißen, wenn er bei dir nicht angebissen hat‹, sagte ich. ›Gewiss!‹, sagte der Piber. Damit trennten wir uns. Ich ging direkt zum Storløken des Katnosa, denn beißen sie dort nicht, dann beißen sie nirgendwo. Nein, auch dort war kein Biss zu holen. Also machte ich ein Lagerfeuer und gönnte mir noch einen Schnaps, wärmte mich ein wenig, und dann schlief ich bis weit in den Tag hinein. Ich versuchte erneut im Katnosa mein Glück, aber im Fluss war kein Fisch aufzuspüren, und so machte ich mich auf den Heimweg.
Als ich aber zu der Landzunge kam, von wo aus man eine Transportgelegenheit ordern kann, sah ich dort einen kleinen Teich. Ich hatte gehört, dass dort immer Fisch zu bekommen sei, man sagte sogar, dort gäbe es Makrelen so groß wie Baumstämme. Aber es war ein Huldrateich4, und niemand wagte sich zu dieser Zeit dort zu angeln. ›Du musst es versuchen, Elias‹, dachte ich, ›vielleicht beißt der Huldrafisch an, wenn der Geist nicht zu Hause ist‹, und somit begab ich mich hinaus auf den sumpfigen Boden und warf die Angel direkt bei der kleinen Bachmündung aus, denn dort ist ein kleiner Bach, der durch den Sumpf hinunter zum Sandungen sickert; ist der Damm aber verschlossen und das Gewässer voll, staut er sich im Teich zwischen den Sümpfen und unter dem sumpfigen Boden.
Sofort biss ein Fisch an und schoss unter den sumpfigen Boden. Er lag auf dem Boden, war aber so schwer wie ein Fuchsjunges. Ich merkte durchaus, dass es keine Forelle war. Als ich ihn hinaufbefördert hatte, war es ein Barsch von unglaublicher Länge. Ein Stück weiter draußen sah ich, wie sich das Wasser wölbte, sodass es Ringe schlug. Dort warf ich die Angel aus. Der Wurm war kaum im Wasser, als der Fisch zubiss, aber er schlug um sich und es platschte und ich kämpfte recht lange mit ihm, bevor ich ihn aus dem Wasser bekam, aber da war es eine Forelle, ein schönes, großes Exemplar, fett und breit, mit einem kleinen Kopf, so gelb wie Wachs, über dem Rücken jedoch dunkler als der übliche Fisch des Sandungen. Ja, ich blieb dort stehen und zog einen nach dem anderen heraus, alles große Exemplare.
Dann aber schaute ich hinter mir zu Boden. Dort lagen zwei schöne Fische und der dritte über Kreuz darüber. Ich wunderte mich nun, was das zu bedeuten hatte, ob irgendein Fischer sie dort hingelegt hatte oder woher sie gekommen waren, aber ich sah niemanden. Also ging ich ein Stück weiter weg, und dort, wo ich eine Wölbung sah, warf ich die Angel aus. Der Fisch biss an, und es dauerte nicht lange, bis ich eine gute Ausbeute zusammenhatte. Als ich dann hinter mich schaute, da lagen dort fünf große schöne Fische. Ja, ich wunderte mich, wer sie dort hingelegt hatte, aber ich hob sie auf und legte sie in den Angelkorb, sowohl diese als auch die drei, die ich zuerst entdeckt hatte. Da aber zog ein Unwetter auf und aus dem Wald waren ein ordentliches Getöse und Lärm zu vernehmen, dass ich glaubte, er würde umgehend auf mich einstürzen. ›Nein, das kann nicht richtig sein‹, dachte ich, ›das hier ist kein guter Ort‹, und damit nahm ich die acht Fische, die ich gefunden hatte und legte sie der Reihe nach auf einen Stock, sodass derjenige, dem sie gehörten, sie nehmen konnte, oder Vögel oder andere Tiere sie fressen konnten; ich wollte sie nicht haben. Damit machte ich mich auf den Weg hinunter zum Sandungen, und bis dahin ist es nicht so weit. Als ich aber dort ankam, war es ganz still, und das Wasser war so glatt, dass sowohl die Berge als auch die Wolken sich darin spiegelten. Da begriff ich, dass es die Huldra gewesen war, die draußen gewesen war.«
Der Hadeländer schloss daran verschiedene Betrachtungen und Berichte über Huldrateiche und Gewässer mit doppeltem Boden an, wo die Fische, die der Huldra gehören, nur an St. Hans heraufkommen dürfen, unterbrach sich jedoch selbst inmitten einer von diesen Erzählungen mit einem Aufschrei: »Beim Herrn, was ist das für ein Licht dort drüben? Es ist blau!« Elias meinte, das sei nicht weit vom Smalstrøm entfernt. Mir erschien es eher rot als blau, und ich vermutete, was sich später bestätigen sollte, dass dort ein paar Fischer ihr Lager aufgeschlagen und ein Feuer entzündet hatten. Bei dieser Gelegenheit ging das Gespräch auf Schatzgräber, Schätze und blaue Lichter, die ausbrannten, über. Elias erzählte dann, dass sein Großvater oder Urgroßvater – ich erinnere mich nicht mehr, welche dieser vertrauenswürdigen Personen es war, vermute aber erstgenannten – auf dem Grund des Blankvandet eine Silberader gesehen hätte, wie ein Baumstamm so dick, und daran schlossen sich mehrere Erzählungen an, die ich versuche hier, so gut ich sie erinnern kann, wiederzugeben. »Mein Großvater«, erzählte Elias, »fuhr Baumstämme aus der Nordmarka ins Sørkedal. Es war im Frühjahr, sodass Schnee und Glatteis verschwunden waren. Er hatte ein kleines Mädchen bei sich, und als sie zwischen Vindernseter und Blankvandsbraaten waren, da rutschte die Kleine aus. ›Nein Vater, ist denn noch immer Glatteis‹, sagte sie. Er sah nach, wo sie gelaufen war, sah jedoch sofort, dass es Silber war und kein Eis. Also schlug er die Axt hinein. ›Ja, du hast recht Kind, es ist seltsam, dass sich das Eis so lange hält‹, sagte er und ließ sich nichts anmerken. Von diesem Zeitpunkt an fuhr er sehr häufig in die Stadt und nahm dort viel Geld ein. Wenn er sich jedoch auf den Weg machte, dann nahm er nicht den offiziellen Weg, weder am Maridalshammeren entlang noch durch das Sørkedal, sondern hatte seinen eigenen Weg durch Wald und Flur, der über alle Berge ging und zwischen Frognersæteren und Riis herauskam.
Einmal war er in der Stadt und hatte ein wenig getrunken, und da saß er – es war im alten Ramstadgaarden in Grensen –, schimpfte und prahlte: ›Wenn ich wollte‹, sagte er, ›dann könnte ich die Hufe meiner Pferde mit Silber beschlagen‹. Er war dort nicht alleine und einige von denen, die dort waren, waren Zeugen dessen und schrieben es auf. Bevor Großvater jedoch nach Hause zurückgekehrt war, starb er, und seither hat niemand etwas von dem Silber gesehen, obwohl sie in dem Boden dort herumgekratzt und gegraben haben.« »Ich habe gehört, dass er sein Leben lang erbittert nach Schätzen gesucht hat, dieser Kerl«, merkte der Hadeländer an, während er eine trockene Kienwurzel auf das Feuer legte. »Du könntest bestimmt mehr über ihn erzählen, Elias, wenn du nur wolltest«, fügte er hinzu. »Heutzutage glaubt ja niemand so richtig mehr an sowas«, entgegnete Elias, »aber ich kann es wohl dennoch erzählen«. »Zu der Zeit, als mein Großvater väterlicherseits ein kleiner Junge war, waren er und ein anderer Bursche draußen, um einen Gang zu graben – sie hatten vermutlich blaue Lichter gesehen, könnte ich mir denken, oder vielleicht wussten sie, wo das Geld lag. – Sie gruben an zwei Donnerstagen des Nachts, und es kamen so viele Julböcke und wundersame Gestalten zu ihnen, so widerlich, dass sie sich nicht hatten vorstellen können, dass es so viel Widerliches gab. Es kamen sowohl Bären als auch Untiere und Ochsen mit großen Hörnern und all dem Hässlichen, was man sich nur vorstellen kann. Sie hatten Angst und dachten jeden Augenblick, die Beine in die Hand zu nehmen, aber sie hielten durch und schwiegen. Dann kam der dritte Donnerstag, da wurde es weitaus schlimmer als