Über dieses Buch

Lea ist überglücklich: Endlich hat sie ihr Traumpferd Joker. Aber leider verläuft nicht alles reibungslos. Vor allem Leas Mutter scheint so gar nicht mit Joker zurechtzukommen, und auch im Pensionsstall gibt es immer wieder Ärger. Während Mom merkwürdige Kurse besucht und plötzlich an sprechende Pferde glaubt, hat Lea andere Sorgen: Westernreitchampion Lily — ebenso hübsch wie heimtückisch — ist hinter Leas Schwarm her!

Über die Autorin

Sarah Lark, geboren 1958, wurde mit ihren fesselnden Neuseeland- und Karibikromanen zur Bestsellerautorin, die auch ein großes internationales Lesepublikum erreicht. Nach ihren fulminanten Auswanderersagas überzeugt sie inzwischen auch mit mitreißenden Romanen über Liebe, Lebensträume und Familiengeheimnisse im Neuseeland der Gegenwart. Sarah Lark ist das Pseudonym einer erfolgreichen deutschen Schriftstellerin, die in Spanien lebt.

LEA UND DIE PFERDE 4

SARAH
LARK

Herzklopfen und Reiterglück

BASTEI ENTERTAINMENT

Inhalt

  1. Cover
  2. Über dieses Buch
  3. Über die Autorin
  4. Titel
  5. Impressum
  6. Fit wie ein Turnschuh
  7. Noble Gesten im Wilden Westen
  8. Premieren, Pech und Pleiten
  9. Die Kunst der schönen Rede
  10. Geheimnisträger
  11. Reitstunden und andere Katastrophen
  12. Jokers Meinung
  13. Ratschläge aus dem Diesseits
  14. Mehr als eine Überraschung
  15. Showdown im Wäldchen
  16. Und doch ein neues Pferd?

Fit wie ein Turnschuh

Lark_Schnoerkel

Er beißt!«
Anne beschwerte sich sofort, als ich in den Stall kam. Nicht, dass mich das wunderte. Joker, unser riesiges Pferd, benahm sich fast jeden Tag irgendwie daneben. Zumindest gegenüber unserer Stallvermieterin. Ich selbst konnte mich nicht beklagen. Joker liebte mich.

Auch jetzt begrüßte mich seine Trompetenstimme schon aus der hintersten Box, als er nur meinen Schritt hörte. Am liebsten wäre ich schnurstracks zu ihm gegangen. Aber ich musste erst mal Anne beschwichtigen. Im Umgang mit Stallvermietern, das lernte ich langsam, war Diplomatie mindestens so wichtig wie im Umgang mit Pferden.

»Im Ernst, Lea, er hat nach mir geschnappt, als ich ihm das Heu reingeworfen habe!« Annes Stimme klang so vorwurfsvoll, als hätte ich ihr persönlich die Zähne in die Hand geschlagen.

Anne war eine kleine, stämmige Frau mit kurzem braunem Haar und einem Gesicht, das immer ein bisschen an einen Teddybären erinnerte. Sie war eigentlich ganz nett, vermutete allerdings bei jedem Ausrutscher im Benehmen eines Pferdes terroristische Hintergründe.

»Und Peter meinte, er hätte ihm neulich gedroht. Jedenfalls hat er ihm das Hinterteil zugedreht …«

Peter war Annes Mann und nahm schon mörderische Absichten an, wenn ein Pferd nur mit einem Ohr zuckte. Erst recht natürlich bei Joker, einem gewaltigen Warmblutwallach von fast einem Meter achtzig Stockmaß.

»Das meint er doch sicher nicht so! Aber über drei Monate in der Box eingesperrt – das Pferd muss das Bedürfnis haben, seine Aura auszudehnen!«

Das war Frau Engel, deren Stute Aimée hier ebenfalls in Pension stand. Zurzeit war die rundliche Rotschimmelstute im Stallgang angebunden, und Frau Engel schien gerade zu überlegen, ob sie das Pferd einfach putzte oder ihm doch lieber Reiki gab. Frau Engel besuchte mindestens einmal im Monat Lehrgänge zu Themen wie »Feng Shui im Pferdestall«, »Tiertelepathie« oder »Meditative Hufpflege«. Dazwischen bemühte sie sich, ihrem Namen alle Ehre zu machen. Frau Engel war ein derart guter Mensch, dass es einem schon Angst machte. Diesmal dankte ich jedoch dem Himmel für ihr Eingreifen.

Ich weiß nicht, wie Jokers Aura aussah, aber man brauchte kein Hellseher zu sein, um zu wissen, wie sehr ihm sein Stall auf die Nerven ging. Vor mittlerweile fast vier Monaten hatte Joker sich eine Sehnenverletzung zugezogen. Nicht ganz ohne eigene Schuld: Schließlich hätte er sich nicht mit Ronja Tünnermanns Stute prügeln und dann fast vor ein Auto laufen müssen. Erst recht nicht während der Siegerehrung auf einem Turnier – da lächelte man schließlich und heuchelte Harmonie! Aber andererseits war Jokers Aura an diesem Tag garantiert gallig grün und blutrot kariert gewesen, so sehr hatte seine Reiterin ihn in Rage gebracht. Irgendwann musste er explodieren. Für mich ganz verständlich, für Joker beinahe tödlich: Die Tierärzte erklärten seine Turnierkarriere für beendet, und seine Besitzerin beschloss, ihn schlachten zu lassen. Erst im allerletzten Moment hatte sie es sich dann anders überlegt und ihn mir geschenkt. Meine Eltern hatten nicht schlecht gestaunt, als ich plötzlich mit Joker Riesenross vor der Tür stand, und mein Daddy hätte ihn wohl umgehend zurückgeschickt. Aber meine Mom war zum Glück verrückt nach Pferden und …

Halt mal, sagte ich »zum Glück«? Die Krankheit musste auf mich übergegriffen haben! Dabei war ich bis vor Kurzem noch so stolz darauf, trotz mütterlichen Pferdewahns vollkommen normal geblieben zu sein. Von selbst wäre ich auch nie darauf gekommen, meine Freizeit in Pferdeställen zu verbringen. Allerdings hatte sich meine Mutter nicht allein in den Anfängerreitkurs getraut und sie hatte ihre Druckmittel! Geködert mit einem Konzert meiner Lieblingsboygroup »Tierpension«, verschlug es mich schließlich in den »Mutter-Tochter-Reitkurs« im Reiterverein Wienberg. Dort lernte ich meinen Freund Thorsten kennen – unter zunächst ziemlich peinlichen Umständen, zumal der einzige Junge im Mutter-Tochter-Kurs auf den ersten Blick nicht unbedingt dem Typ Märchenprinz zu entsprechen schien. Immerhin kaufte ihm sein Vater gleich nach den ersten paar Reitstunden einen Schimmel – und letztendlich entdeckte ich dann auch Thorstens Ritterqualitäten.

Die besaß er reichlich: Tatsächlich verdankten Joker und ich ihm auch den Pensionsplatz bei Anne und Peter Hill. Thorsten und sein Schimmel Mano betrieben seit einiger Zeit Westernreiten und fühlten sich im Reiterverein Wienberg alles andere als wohl. Entsprechend glücklich war Thorsten, als er den Stallplatz bei Anne und Peter ergatterte – und ehrlich gesagt stiegen mir nach wie vor Tränchen der Rührung in die Augen, wenn ich daran dachte, wie selbstlos er uns die Box dann abgetreten hatte. Wobei er auch noch all seine diplomatischen Fähigkeiten einsetzen musste, um Anne und Peter davon zu überzeugen, dass unser humpelndes Monster genauso ein guter Mieter sein würde wie sein wohlerzogenes Westernpferd.

»Hast du Joker mal die Bachblüten gegeben, die ich dir aufgeschrieben hatte?«, fragte Frau Engel. »Die würden ihn bestimmt beruhigen …«

Ich versuchte, ihr telepathisch ein Ja zu übermitteln, da ich sie auf der sprachlichen Ebene nicht beschwindeln wollte. Natürlich hatte ich Joker keine Bachblüten gegeben. Wenn ich in den letzten Wochen jedes Mittelchen gekauft hätte, mit dem Frau Engel Jokers Heilungsprozess zu beschleunigen hoffte, wäre unsere Familie längst verarmt und Joker Alkoholiker. So witzelte zumindest Thorsten, der das ganze Zeug stets im Internet nachschlug. Er kam dabei in der Regel zu dem Ergebnis, dass in den Mischungen keinerlei Inhaltsstoffe nachweisbar waren – außer Alkohol.

»Morgen kommt auch Aimées Reiki-Therapeutin. Vielleicht sollte sie …«

»Aber Aimée ist doch kerngesund. Oder hab ich da was verpasst?«

Lily, die dritte Einstellerin bei Anne und Peter. Ich hatte sie vorhin schon gesehen. Als ich ankam, bewegte sie ihr Pferd gerade auf Annes und Peters neuem Reitplatz. Dabei bot sie einen Anblick, der nicht nur pferdeverrückte Mädchen neidisch machte. Lily war Westernreiterin – aber nicht irgendeine. Mit ihrem Palomino Shorty, natürlich einem reinrassigen Quarterhorse, hielt sie etliche Jugendmeistertitel in allen möglichen Turnierdisziplinen. Und obendrein sah sie aus wie die leibhaftige Pocahontas: ein schmales, gebräuntes Gesicht, lange schwarze Zöpfe – dazu schaffte sie es, dass ihr Westernoutfit ständig wie aus dem Ei gepellt wirkte. Ich brauchte sie nur zu sehen, um Komplexe zu entwickeln. Schließlich waren meine eigenen Jeans und Pullover meistens mit Sabber von Joker beschmiert. Ich roch nach den Salben, mit denen ich sein Bein einrieb, und meine halblangen Haare kringelten sich in alle Richtungen, weil die seltsamen Wirbel auf meinem Kopf jeden schicken Kurzhaarschnitt entgleisen ließen. Mein Gesicht war eher rund, meine Figur dafür spargelartig – und statt des athletischen kleinen Quarterhorses tappte mir Joker Riesenross hinterher, an dem eigentlich nur eins wirklich geschmeidig war: seine lange, tapirähnliche Nase, mit der er mich auch jetzt wieder einer Leibesvisitation unterzog. Irgendwo mussten noch Leckerli sein, die er dann im Maul in eine schaumige Masse verwandeln und zwischen seinem Magen und meinem Pullover aufteilen konnte.

»Aimée ist leicht verspannt«, verkündete Frau Engel. »Das hat sie mir zumindest vermittelt. Ihre Aura …«

Ich hörte nicht weiter zu. Aimée war chronisch verstimmt, sie wirkte oft genauso gefrustet und unterbeschäftigt wie Joker. Frau Engel besuchte sie zwar täglich und wuselte besorgt um sie herum, aber sie ritt sehr selten.

»Lily, Liebes, nimm doch den Sicherheitsanbinder!« Anne war endlich damit fertig, ihr Stalloutfit anzulegen. Es bestand aus einer Sicherheitsweste und Schuhen mit Stahlkappe. Wie gesagt, Anne vermutete ständig irgendeinen Angriff. Nun wies sie auf schwarze Teile am Anbindeplatz hin, die ein wenig wie Gummiknüppel wirkten und den Anbindestrick ersetzten. Wenn das Pferd in Panik geriet und zurückzerrte, gaben sie angeblich nach und zogen sich wie Kaugummi auseinander.

Shorty war allerdings weit von Panik entfernt. Lily hatte ihn gar nicht angebunden, sondern seine Zügel nur lässig über einen Balken geworfen. Der Westernchampion stand wie ein Denkmal.

Ich beschloss, mich bei Lily beliebt zu machen, indem ich Anne ablenkte. »Heute soll es ja sowieso vorbei sein mit Jokers Boxruhe«, bemerkte ich. »Hat Mom das gestern erzählt? Wir haben einen Termin in der Tierklinik. Und wenn alles gut geht, kann Joker ab morgen mit den anderen raus.«

Anne bemühte sich um ein Lächeln, wirkte aber eher nervös. »Also, mit den anderen … ich weiß nicht … Peter und ich hatten erst mal an einen Einzel-Offenstall gedacht … Wir könnten ein Teil der Scheune abtrennen.«

Ich hatte mir so etwas fast gedacht, war aber trotzdem enttäuscht. Wann immer ich in den endlos langen vier Monaten von Jokers Gefangenschaft an den Tag danach gedacht hatte, hatte mir ein Ausgang zur Weide vorgeschwebt, durch den Joker in die Freiheit galoppierte. Aber das war natürlich Quatsch. Es war gerade erst Ende Februar und in Teilen des Auslaufs lag noch Schnee. Bis das Gras auf den Weiden wuchs, würden noch Monate vergehen. Bislang lebten Annes und Peters drei Pferde sowie Aimée, Shorty und Lilys zweites Pferd Dancing Queen in einem großen Offenstall mit Sandauslauf. Im Grunde war da auch noch Platz für Joker. Aber vielleicht hatte Anne ja recht. Joker hatte bislang nur in Einzelboxen gewohnt. Dressurcracks wie ihm wurde kein großes Sozialleben zugestanden, und vielleicht wusste er gar nicht, wie man sich im Umgang mit anderen Pferden benahm.

Ich putzte Joker in der Box, da die Stallgasse mit Aimée, Shorty und jetzt auch Annes Fuchsstute Honey ziemlich voll war. So entging mir Thorstens Ankunft – ich sah lediglich an Lilys Gesicht, dass etwas im Busch war. Lily pflegte gewöhnlich absolut gleichmütig zu gucken. Sie war cool und das zeigte sie auch, ihr strahlendes Lächeln bewahrte sie sich für Turniere auf. Jedenfalls grinste sie auf den ungefähr zweitausend Fotos von Siegerehrungen, die sie an ihren Sattelschrank geklebt hatte, wie eine leibhaftige Zahnpastareklame. Aber als jetzt die Tür knarrte, entgleisten ihre Gesichtszüge doch etwas in Richtung freundlich und sie hörte auch gleich auf, an Shortys Hufen herumzuputzen. Stattdessen richtete sie sich zu voller Schönheit auf.

»Hallo, allerseits!« Thorsten grüßte vergnügt in die Runde. »Ist Lea schon da?«

Mein Herz machte sofort einen kleinen Hupfer. Fast automatisch begann ich, mein Haar wenigstens ein bisschen in Form zu zupfen, und hoffte, dass Jokers feuchte Küsse meinen aufwendig gezogenen Lidstrich nicht total verschmiert hatten. Stalltaugliches Make-up war schwierig – aber ich versuchte es immer wieder.

»Ich bin hier«, meldete ich mich, aber Thorsten hatte mich schon entdeckt und kam in die Box. Er tauchte unter Jokers Hals durch, um mir ein Begrüßungsküsschen zu geben. Joker stellte er derweil mit einem Leckerbissen ruhig – ein Fehler, wie sich herausstellte. Joker bedachte uns beide gleichmäßig mit rötlichem Sabber.

»Wir werden wieder aussehen wie die Monster aus dem Sumpf …«, seufzte ich und bürstete Joker, bis sein Fell seidig glänzte. Er war zwar riesig, aber ein schönes Pferd. Seine früheren Besitzer hatten ein Vermögen für ihn bezahlt – und bis zu diesem Unfall hätte ich nie darauf hoffen können, dass wir eine gemeinsame Zukunft hatten.

Aber jetzt …

»Lea schon da?« Ein weiteres Mal öffnete sich die Stalltür und meine Mom kam herein. Langsam wurde es voll hier. Anne guckte schon ganz nervös, Frau Engel sowieso. Wahrscheinlich verfärbte sich gerade Aimées Aura.

»Ich glaube, ich reite heute lieber nicht«, meinte Frau Engel. »Wenn der Große gleich rauskommt …« Sie beeilte sich, Aimée in ihre Box zu schaffen.

Neben dem Gemeinschaftsoffenstall hatten alle Pferde bei Anne und Peter eigene Innenboxen. Gebraucht wurden die aber selten. Eigentlich brachte nur Lily ihre Cracks vor Turnieren darin unter, damit sie sich nicht schmutzig machten. Auch heute – es war Freitag – richtete sie eine Box für Shorty her. Also standen am Wochenende Wettbewerbe an.

»Na, schon aufgeregt?«, wandte sie sich gönnerhaft an Thorsten.

Meine Mutter strahlte sie an. »Sicher!«, erklärte sie. »Das ist schließlich der entscheidende Termin. Wenn die Tierärzte es erlauben, können wir Joker jetzt endlich reiten!«

Lily verdrehte die Augen. Wie konnte meine Mom glauben, dass eine Lichtgestalt wie Lily das Wort an sie richtete? Natürlich hatte Mom vor Jokers Box und damit eigentlich zwischen Lily und Thorsten gestanden, was diese Möglichkeit nahelegte. Aber Lily hatte selbstverständlich durch sie hindurchgeblickt.

»Ich meinte … wie heißt du noch, Torben?«, stellte sie richtig, ohne auf Moms Bemerkung einzugehen. »Du startest doch morgen zum ersten Mal, oder? Auf dem Hausturnier bei Bloms.«

Seltsam. Eben hatte sie für Thorsten ihr Pocahontas-Lächeln aufgesetzt und jetzt konnte sie sich nicht mal an seinen Namen erinnern? Sollte das ein neuer Trend sein? Hatte ich eine Folge Bravo-Flirtkurs verpasst?

»Oh ja, und wir auch!«, meldete sich Anne. Sie zumindest wirkte völlig aus dem Häuschen. »Ich will die Pattern auch gleich noch mal reiten. Könntest du … äh … würdest du … vielleicht zugucken, Lily?«

Lily machte keinen begeisterten Eindruck. Ich empfand leichte Schadenfreude. Da setzte sie zu einem kleinen Flirt mit Thorsten an und stattdessen hatte sie jetzt Anne am Hals. Thorsten selbst zuckte die Schultern. Ihn machte das Turnier keine drei Minuten nervös. Früher, als er mit Mano auf Springwettbewerben startete, war das anders gewesen, aber da hatte er auch schon Tage vorher an möglichen Änderungen in seinem Testament getüftelt. Sein Schimmel Mariano pflegte im Springparcours völlig abzudrehen, und Thorsten befürchtete jedes Mal, sich dabei das Genick zu brechen. Nicht gänzlich grundlos, denn mein Märchenprinz war nicht gerade der sportlichste Typ unter der Sonne. Thorsten war nicht dick, aber kompakt. Der barocke Typ, wie man im Pferdebereich sagen würde. Früher hatten wohl Knappen oder Pagen so ausgesehen und Barockmalern und -bildhauern für ihre pausbäckigen, lockenhaarigen Engelchen Modell gestanden. Thorsten hatte ruhige blaugraue Augen und ein ausgeglichenes Wesen – sein Daddy hielt ihn für träge. Das stimmte aber nicht, tatsächlich wusste Thorsten genau, was er wollte. Er ging nur nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern hatte eine diplomatische Ader.

Jetzt lächelte er Lily freundlich an. »Für Mano und mich ist es nicht das erste Turnier, wir sind früher Springen geritten. Es ist nur die erste Reining. Und wir gewinnen sowieso nicht. Das mit Joker ist viel aufregender.«

Ich hatte Joker inzwischen sein bestes Halfter übergezogen und wir waren fertig zum Aufbruch. Nun warteten wir nur noch auf unser Taxi. Herr Baumann, der Vater meiner Freundin Svenja, wollte uns freundlicherweise zur Klinik fahren.

Lily begann eben, Shortys Mähne zu flechten. Das tat sie immer vor Turnieren, damit sein Haar beim Auftritt lockig fiel.

»Willst du etwa auch bei Bloms starten?«, fragte ich sie.

An sich interessierte es mich nicht sehr, aber Anne und Peter sprachen seit Wochen von nichts anderem als diesem Turnier – anscheinend hatte Tim Blom all den Anfängern Hoffnung gemacht, die bei ihm Unterricht in der Westernreitweise nahmen. Sein Hausturnier gab ihnen die Möglichkeit, sich ohne große Konkurrenz und auf vertrautem Geläuf an die Wettkampfatmosphäre zu gewöhnen. Gegen Lily und ihre Cracks hatte allerdings keiner von ihnen auch nur den Hauch einer Chance.

Lily zuckte die Schultern. »Die Prüfungen stehen allen offen«, sagte sie. »Es sind auch Leute von auswärts da. Wenn sich Tims sämtliche Schüler blamieren, kommt das nicht gut …«

»Du willst Herrn Blom also einen Gefallen tun?«, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen. »Das ist natürlich nobel von dir …«

Thorsten unterdrückte ein Kichern.

»Ich glaube, ich höre ein Auto«, meinte Mom.

Tatsächlich lugte gleich darauf Svenja in den Stall. »Wir sind daha«, jodelte sie. »Und ich bin schon total aufgeregt! Auch wegen morgen!«

Letzteres war an Anne und Thorsten gerichtet. Auch Svenja plante, bei Herrn Bloms Hausturnier zu starten. Dabei ritt sie eigentlich nicht Western, aber ihre Islandstute Hrifla war brav und unerschrocken. Sie hatte gute Chancen, die Trailprüfung, bei der ein Geschicklichkeitsparcours durchritten wurde, zu gewinnen. Natürlich nicht gegen Lily.

Thorsten und ich brachten ihr die Neuigkeit von Lilys geplantem Start vorsichtig bei, während wir Joker verluden.

Svenja verdrehte die Augen. »Sie ist schleifengeil«, stellte sie fest. »Und eine arrogante Ziege. Gestern Nachmittag waren wir zusammen auf dem Platz. Aber meint ihr, sie hätte auch nur ein Wort mit mir geredet?«

Svenja durfte Annes und Peters Reitplatz mitbenutzen. Früher war sie im Reiterverein Wienberg geritten, aber da hatte man »das Mädchen mit dem Pony« nur auf einem Schlammplatz geduldet. Niemand im Reiterverein verstand, warum Svenja ein Islandpferd einem Warmblut vorzog. Wenn sie noch besonders klein gewesen wäre oder besonders ängstlich – aber Svenja war nichts dergleichen. Sie war mittelgroß, sehr schlank und genauso blond wie die helle Mähne ihrer Fuchsstute. Außerdem ritt sie so gut, dass sie manchmal sogar auf normalen Turnieren platziert wurde. Auf Spezialturnieren für Islandpferde allerdings nie. Hrifla war ein ruhiges Pferd. Die dort erwarteten, sehr schnell und spektakulär ausgeführten Spezialgangarten Tölt und Pass lagen ihr nicht. Insofern saß Svenja ständig zwischen allen Stühlen – aber das machte ihr nichts aus. Sie war nicht arrogant, aber sicher genauso selbstbewusst wie Lily – und komplett verliebt in ihr Pferd.

»Mit mir redet sie auch nicht«, erklärte ich und quetschte mich mit Svenja und Thorsten auf den Rücksitz von Herrn Baumanns Wagen. »Und mit Anne nur das Nötigste.« Ich verdrehte die Augen. »Wir sind alle nur Staub unter ihren Stiefeln …«

Thorsten lachte. »Zu mir ist sie ganz normal«, bemerkte er.

Svenja sah ihn misstrauisch an. »Müssen wir uns da Sorgen machen?«, fragte sie halb zu mir und halb zu ihm.

Thorsten schaute verwirrt. Anscheinend kapierte er nicht, worum es ging. Umso besser. Ich machte mir vorerst keine Sorgen.

pferd

Es war nicht sehr weit bis zur Tierklinik, aber je näher wir ihr kamen, desto nervöser wurden Mom und ich. Wir taten immer optimistisch, aber tatsächlich war es alles andere als sicher, dass Joker wieder halbwegs einsatzfähig wurde. Am besten hätte man ihn gleich nach dem Unfall operiert, aber seine Vorbesitzer wollten das nicht bezahlen und uns fehlte das Geld erst recht. Es war schon teuer genug gewesen, all die Einreibemittel, Bandagen und Entzündungshemmer zu bezahlen, die der Tierarzt Joker verschrieb. Und zwischendurch waren wir zweimal in der Klinik gewesen, um die Heilung kontrollieren zu lassen. Seit einem Monat lahmte Joker nun gar nicht mehr, wenn ich ihn im Schritt herumführte, und auch als er mir einmal entwischte und über den Hof tobte – Frau Engel war dabei vor Schreck fast gestorben! –, war keine Lahmheit mehr erkennbar. Dr. Hoffmann, der Tierarzt in der Klinik, hatte uns daraufhin geraten, wieder mit vorsichtigem Training anzufangen. Aber nun wollte Mom es genau wissen und hatte noch mal einen Termin zum Röntgen und zum Ultraschall gemacht. Wir beide würden uns sicherer fühlen, wenn Dr. Hoffmann uns das endgültige Okay gab, Joker aus der Box zu entlassen.

In der Klinik wurden wir freundlich begrüßt. Vom Cheftierarzt bis zur Tierarzthelferin mochten uns hier alle. Schließlich kannte das Team Jokers Geschichte, und es war keineswegs selbstverständlich, dass ein Pferd wie er mit dem Leben davonkam. Sie hatten auch Joker schon abgeschrieben, als seine Vorbesitzer die Operation ablehnten. Umso mehr freuten sich alle, als meine Mom anrief und einen neuen Untersuchungstermin für Joker ausmachte.

Jetzt half uns Jana, eine Tierarzthelferin-Azubi, Joker auszuladen. Sie verdrückte gleich ein paar Freudentränchen, als er munter und ohne zu lahmen aus dem Hänger kam. Jana war sehr nah am Wasser gebaut.

»Die Tussi von damals ist übrigens auch gerade da«, erklärte sie respektlos. »Der er vorher gehört hat, diese Müller-Sowieso.«

Tatsächlich stand Gloriana, Frau Müller-Westhoffs neue Grauschimmelstute, angebunden vor dem Röntgenraum und Frau Müller-Westhoff unterhielt sich eben mit Dr. Hoffmann.