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eISBN 978-3-939586-31-9

© 2019 Starks-Sture Verlag

Anna Starks-Sture

Sonnenstraße 12, D-80331 München

www.starks-sture-verlag.de

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Mit zerbrochenen Flügeln…

Kinder in Borderline-Beziehungen

Manuela Rösel

In liebevoller Erinnerung an meine Freundin

Sigrid Obert

(1960 – 1979)

Kinder

Sind so kleine Hände, winz‘ge Finger dran.
Darf man nie drauf schlagen, die zerbrechen dann.

Sind so kleine Füße mit so kleinen Zeh‘n.
Darf man nie drauf treten, könn‘ sie sonst nicht geh‘n.

Sind so kleine Ohren, scharf-und ihr erlaubt:
darf man nie zerbrüllen, werden davon taub.

Sind so schöne Münder, sprechen alles aus.
Darf man nie verbieten, kommt sonst nichts mehr raus.

Sind so klare Augen, die noch alles seh‘n.
Darf man nie verbinden, kön‘n sie nichts versteh‘n.

Sind so kleine Seelen, offen und ganz frei.
Darf man niemals quälen, geh‘n kaputt dabei.

Ist so‘n kleines Rückgrat, sieht man fast noch nicht.
Darf man niemals beugen, weil es sonst zerbricht.

Grade, klare Menschen wär‘n ein schönes Ziel.
Leute ohne Rückgrat hab‘n wir schon zuviel.

Bettina Wegner

Inhalt

Vorwort

1. Kinder in Borderline-Beziehungen

Das Kind und seine Bedürfnisse

Was macht emotionale Misshandlung aus?

Wo beginnt emotionale Misshandlung?

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung – Klassifizierung nach dem DSM-IV

Warum misshandeln Borderline-Eltern ihre Kinder?

Typische Borderline-Verhaltensweisen und ihre Auswirkungen auf ein Kind

Funktionelle Gegenüberstellung typischer Verhaltensweisen von gesunden und Borderline-Eltern

Der Ablösungsprozess

Wenn Eigenständigkeit zur Bedrohung wird

Die Gefahr der emotionalen Verschmelzung von Eltern für das Kind

Familiäre Geheimnisse

Familiäre Regeln

Passive Kindesmisshandlung durch den co-abhängigen Partner

Misshandlungsmuster co-abhängiger Partner und deren Konsequenzen

Partnerkonstellationen

Das Kind und seine „Schuldigkeit“

Die Rolle des Kindes in der Borderline-Beziehung

Rollentausch

Konkurrenten

Faszinierende Mütter oder Väter

Unsichtbare Kinder

Typische Verhaltensweisen emotional misshandelter Kinder in Borderline-Familien

2. Reale Geschichten unsichtbarer Kinder …

Christina, 45 Jahre; Vater, Borderline-Syndrom; Mutter, histrionisch-dependente Borderline-Struktur

Karina, 44 Jahre, Mutter mit Borderline-Syndrom, Vater co-abhängig

Judith, 33 Jahre, Vaters Borderline-Syndrom, Mutter co-abhängig

3. Konsequenzen

Die Konsequenzen emotionaler Misshandlung

Resilienz – Überlebensstrategien betroffener Kinder

Erwachsen – mit den Konsequenzen leben

4. Das Borderline-Syndrom in der Öffentlichkeit

Erschütternde Pressemitteilungen

Verhaltensempfehlungen für Partner

Wer ist verantwortlich?

5. Zahlen, Fakten und gesetzliche Regelungen

Zahlen und Fakten

Gesetzliche Regelungen

Schluss …

Bedürfnisse

Hier wird geholfen …

Quellenverzeichnis

Literaturempfehlungen

Vorwort

Ein sehr zutreffendes Sprichwort besagt, dass kleine Kinder Wurzeln und große Kinder Flügel brauchen. Wurzeln symbolisieren den stabilen, beständigen und nährenden Ursprung und Flügel, die Freiheit die daraus erwächst, die es erst ermöglicht, loszulassen und aus eigener Kraft die Welt zu erobern.

Borderline betroffene Eltern sind auf Grund ihrer Problematik nicht in der Lage, ihren Kindern Stabilität und Beständigkeit zu vermitteln oder sie im Prozess des Loslassens in ihrer Autonomie zu stärken. Sie sind selbst auf der Suche nach Halt und dem ICH, das sie in sich nicht finden können. Sie erleben sich abhängig, unwert, abgespalten, chaotisch und verlassen, ohne Wurzeln und ohne Flügel und können nur aus der Welt ihres Erlebens heraus agierend das weitergeben, was sie in sich tragen.

Kinder von Borderline-Persönlichkeiten oder auch von Menschen, die Borderline-Strukturen in sich tragen, erleben die symptomatischen Verhaltensweisen ihres Elternteils als richtungsweisend und wahr. Sie wachsen in einer chaotischen Welt auf, die sie immer wieder in unlösbare Konflikte drängt, denen sie nicht gewachsen sein können. Sie erfahren sich so permanent als mangelhaft und entwickeln in der Konsequenz Schuld- und Schamgefühle, sowie die beständige Angst, auf Grund ihrer Unzulänglichkeit, verlassen zu werden. Ihr Drang, die Welt zu erobern, zu wachsen und sich zu lösen, wird im Keim erstickt, denn dieser Prozess ist ein Spiegel dessen, was der Borderline-Persönlichkeit nicht möglich ist. Die zerbrochenen Flügel ihres Kindes bewahren das Borderline-Elternteil vor dem Schmerz, selbst nicht „fliegen“ zu können.

In meiner Arbeit als psychologische Beraterin, konzentriere ich mich darauf, Partner von Borderline-Persönlichkeiten in und nach Beziehungen zu Betroffenen zu begleiten und versuche dabei, ihnen und letztendlich so auch ihren Kindern, zu helfen. Kindern, die gesehen werden müssen und doch oft übersehen werden, weil sie auf dem Schlachtfeld zwischen Hass und „Liebe“ untergehen. Weil sie nicht die geringste Chance haben, den symptomatischen Verhaltensweisen der Betroffenen zu entgehen und oft auch nur wenig oder keinen Schutz von deren Partnern erhalten. Oft können diese sich ja selbst nicht ausreichend schützen und verleugnen das eigene Leid und auch das des Kindes.

Noch immer wird die körperliche Misshandlung von Kindern, wohl auch weil sie sichtbar ist, als massiver und grausamer wahrgenommen. Die oftmals leise und für Außenstehende kaum wahrnehmbare emotionale Misshandlung, wird dagegen kaum gesehen und in ihrer unglaublich tiefgehenden Zerstörungskraft erkannt.

In diesem Buch möchte ich vor allem auf die zerstörerische, giftige, leise emotionale Misshandlung eingehen, denen Kinder in Borderline-Beziehungen ausgesetzt sind. Die zwar Seelen zerbricht, aber dabei keine sichtbaren Brüche und blaue Flecken hinterlässt. Wie erfolgt sie und welche Spuren hinterlässt sie dabei? Was genau macht die emotionale Misshandlung von Kindern in Borderline-Familien aus und warum wird ihnen das, was sie ertragen müssen, angetan?

Noch etwas. Nicht jede Borderline-Persönlichkeit misshandelt ihre Kinder in dem massiven Ausmaß, wie ich es im Folgenden beschreibe. Nicht jeder Partner in einer derartigen Beziehung involviert die Kinder oder gewährt ihnen keinen Schutz. Dieses Buch möchte NICHT verallgemeinern. Es gibt immer wieder Betroffene und Partner, die an und mit ihren Kindern wachsen und sich ihrer Verantwortung stellen. Diesen Paaren gebührt meine Hochachtung. Mit diesem Buch möchte ich in erster Linie auf die Missstände in ignorierenden und ausagierenden Beziehungen hinweisen, die nicht wahrgenommen werden, aus Unwissenheit oder drohender Unbequemlichkeit. Die Konsequenzen für die betroffenen Kinder sind die gleichen.

Manuela Rösel im Juli 2008

1. Kinder in Borderline-Beziehungen

Das Kind und seine Bedürfnisse

Das erste und wichtigste Bedürfnis eines Kindes nach seiner Geburt, ist die Sicherstellung einer kontinuierlichen, zuverlässigen, fürsorgenden und liebevollen Zuwendung der Eltern bzw. Bezugspersonen. Diese Zuwendung sichert zunächst einmal das Überleben des Kindes, welches sich ja in einem Abhängigkeitsverhältnis zu seinen Bezugspersonen befindet. Um diese zu motivieren, dem Kind die erforderliche Zuwendung zu gewähren, unterstützt die Natur das Kind durch die Fähigkeit, sich vom ersten Moment seines Lebens an in seinen Bedürfnissen mitzuteilen.

Zwischen einer aufmerksamen Mutter und ihrem Kind entsteht schnell ein Verstehen darüber, wann das Kind Nahrung, Nähe oder Sauberkeit braucht. Die Art und Weise der kindlichen Intonation (Schreie, weinen, quengeln, brabbeln, glucksen …), geben der Bezugsperson klare Signale über das dahinterstehende Bedürfnis. Neben dieser lautbezogenen Signalgebung, verfügt das Kind auch über das sogenannte Kindchenschema. Große Kulleraugen, typische körperliche Proportionen, kleine, stupsförmige Nasen, einen herzförmigen Mund und eine weiche, zarte Haut motivieren geradezu, sich dem Kind fürsorglich und zärtlich zuzuwenden.

Parallel dazu entsteht auch eine Art Belohnungsmotivation für die Eltern. Stillende Mütter wissen um das innige und zutiefst verbindende Empfinden, das sich nach der Versorgung eines hungrigen oder verschmutzten Säuglings einstellt. Wenn das Schreien des Kindes in ein wohliges Glucksen übergeht, der Duft eines sauberen Babys geradezu wonnige Befriedigung auslöst und den unbezähmbaren Wunsch, die rosige, pralle, zarte Haut zu streicheln. Das Kind einfach nur zu genießen. Auch dies sind von der Natur bewährte lebenserhaltende Impulse. Ein zärtliches Berühren und ein warmer Körperkontakt, sind für das Kind genauso lebensnotwendig wie Nahrung und Sauberkeit. Es sind instinktive Handlungen der Eltern, welche die Existenz des Kindes und somit auch die Erhaltung der Art sichern.

Wenn dieser Komplex aus Bedürfnis, Vermittlung und Befriedigung sich beständig und verlässlich zeigt, wird dem Kind ein Urvertrauen vermittelt, welches sich auf drei wesentliche Ebenen bezieht.

1.Das Selbstvertrauen:

Ich bin es wert, geliebt zu werden

Ich habe ein Recht auf meine Gefühle und Bedürfnisse

Ich bin in Sicherheit …

2.Das Vertrauen in andere:

Ich werde angenommen, mit dem was mich ausmacht

Ich kann anderen vertrauen

Ich werde verstanden und akzeptiert

3.Das Vertrauen in das Ganze und die Welt

Mein Leben ist sinnvoll und lebenswert

Die Welt ist ein guter, sicherer Ort.

Jede vermittelte und erfahrene Erkenntnis, die sich aus diesen Bereichen ergibt, wird das Kind und den späteren Erwachsenen durch sein gesamtes Leben begleiten und einen großen Einfluss auf seine Lebensqualität nehmen. Die Art und Weise, wie Eltern und Bezugspersonen mit den Gefühlen und Bedürfnissen eines Kindes umgehen, vermittelt diesem zahlreiche Informationen darüber, ob es sich oder anderen vertrauen kann. Im Anhang finden Sie zu diesem Komplex eine kleine Sammlung von Bedürfnisbegriffen, die auf keinen Fall Anspruch auf Vollständigkeit hat, aber einen Überblick über die Vielfalt menschlicher Bedürfnisse gewährt. Jedes einzelne dieser Bedürfnisse sichert dabei das existentielle (Nahrung, Schlaf, Schutz …), soziale (Nähe, Zärtlichkeit, Zugehörigkeit) oder arterhaltende (Sexualität) Überleben.

Eine hilfreiche Begleitung des Kindes, auf dem Weg ins Erwachsenendasein, erkennt und akzeptiert diese Bedürfnisse. Da sich diese Bedürfnisse über die Gefühle des Kindes zeigen und ausdrücken, ist eben das empathische Verstehen und Anerkennen des Kindes, mit all seinen emotionalen Facetten, die Basis für sein gesundes Wachstum. Aus diesem Konzept heraus lässt sich auch leichter nachvollziehen, was emotionale Misshandlung ausmacht.

Was macht emotionale Misshandlung aus?

Um sich dieser Frage anzunähern, sollten wir uns zunächst einmal mit dem Begriff der Emotion auseinandersetzen. Eine Emotion (abgeleitet vom lat. movere = Bewegung), beinhaltet eine direkte körperliche, gedankliche und verhaltensorientierte Reaktion auf ein äußeres Ereignis. Dabei kennzeichnet sie sich durch eine plötzliche Veränderung dieser Merkmale, d. h. es ergibt sich eine Reaktion, die sich von einem vorherigen Zustand deutlich unterscheidet. Ein Beispiel:

Marion ist ganz vertieft damit beschäftigt, ein Bild zu malen. Sie arbeitet ruhig und konzentriert. Plötzlich hört sie vor der Tür ihre Mutter ganz fürchterlich schimpfen. Augenblicklich schlägt ihr Herz viel schneller (körperliche Reaktion), ihre Gedanken sind völlig von der Malarbeit abgelenkt, sie denkt darüber nach, ob sie etwas falsch gemacht hat (gedankliche Reaktion) und springt auf, um sich auf die Konfrontation mit der Mutter vorzubereiten (verhaltensorientierte Reaktion).

Emotionen helfen uns also, uns in der Summe unserer Möglichkeiten (körperlich, gedanklich und verhaltensorientiert), auf ein äußeres Ereignis so einzustellen, dass wir in der Lage sind uns zu schützen, bzw. unser Leben zu bereichern.

Emotionale Misshandlung gilt, in der bisherigen, für mich unzureichenden Definition, als ein Bestandteil der psychischen Misshandlung, welche ein beständiges Muster an „erzieherischen“ Verhaltensweisen der Bezugspersonen beinhaltet, die ein Kind ängstigen, einschüchtern, bedrohen und demütigen. Hauptmerkmal dieser destruktiven Interaktionen zwischen dem Kind und seiner Bezugsperson, ist eine negative Grundeinstellung dem Kind gegenüber, welche bei diesem den Eindruck hinterlässt, wertlos, fehlerhaft, lästig, schuldig, ungeliebt oder ungewollt zu sein. Sobald sich derartige Verhaltensweisen im ständigen Umgang mit dem Kind etabliert haben, gilt der Tatbestand der emotionalen Misshandlung als erfüllt.

Meines Erachtens, beginnt emotionale Misshandlung bereits da, wo ein Kind in seinen Gefühlen ignoriert oder abgewertet wird. Es ist darauf angewiesen, durch seine Bezugspersonen zu lernen, wie es sich in seinem Leben erhalten kann. Es braucht hilfreiche Reaktionen auf sein emotionales Erleben, um sich in seinem eigenen Sein orientieren zu können. Als hilfreiche Reaktion bezeichne ich dabei nicht das bedingungslose Anerkennen des kindlichen Verhaltens (schreien, brüllen, toben …), aber das Erkennen der zugrundeliegenden Emotion (Angst, Wut, Trauer …) und der Vermittlung eines adäquaten Verhaltens (emotionales Coaching).

Ein Kind wird auch dann emotional misshandelt, wenn seinen Grundbedürfnissen (Zuwendung, Nähe, Fürsorge …) nur unzureichend oder gar nicht entsprochen wird und man ihm vermittelt, dass es kein Recht auf deren Erfüllung hat, bzw. in seinen Ansprüchen fehlerhaft ist. Dabei werden die natürlichen emotionalen Reaktionen des Kindes ignoriert, abgewertet oder bestraft, so dass das Kind in seiner Orientierung auf seinen Selbsthilfemechanismus gestört und andauernd eingeschränkt wird. In der Konsequenz, wird das Kind aus einem natürlichen Selbsterhalt heraus bemüht sein, seine Reaktionen die zur Bestrafung führen, zu unterdrücken (Selbstverleugnung), bzw. diese aus unerträglichem Schmerz heraus auszuschalten (Dissoziation). Es kann ebenso, wenn es eine sofortige Druckabgabe nach außen als hilfreich erlebt hat, aggressiv und ausagierend reagieren. Zwischen diesen Möglichkeiten liegen viele Facetten an selbstschützenden Verhaltensweisen, die oft aus tief erlebter, verinnerlichter Hilflosigkeit resultieren. Den späteren Erwachsenen aber erschweren jene erlernten Mechanismen, die ihm als Kind geholfen haben zu überleben, den Umgang mit sich selbst und anderen. Wenn es gezwungen war, sich in einer „schwarzen“ Welt zu orientieren, wird es sich in einer „weißen“ Welt nur schwer zurechtfinden. Es wird bemüht sein, die Welt seiner vertrauten dunklen Orientierung anzupassen (Inszenierungen), sich aus den als verunsichernd wahrgenommenen positiven Erfahrungen zurückzuziehen oder diese gar nicht erst zuzulassen. Es kann durch seine spezifischen Verhaltensweisen abgelehnt oder zurückgewiesen werden und erfährt so, durch die Reaktion anderer, eine Bestätigung seiner Sichtweise von einer bedrohlichen Welt und der eigenen Unfähigkeit, in dieser zu überleben. Ein Kreislauf an selbsterfüllenden Prophezeiungen, der zur zerstörerischen Spirale werden kann.

Kennzeichnend für eine langanhaltende emotionale Misshandlung sind dann auch beständige emotionale Reaktionen, die das Kind in sein Erwachsenendasein begleiten. Hier trägt die emotionale Misshandlung bereits traumatische Komponenten in sich, die durch assoziative Auslöser (Trigger) die gleichen emotionalen Reaktionen (Panik, Starre …) erzeugen, wie in dem als Kind erlebten Misshandlungsmoment.

Emotionale Misshandlung erfolgt lautlos oder ganz leise. Sie hinterlässt keine offensichtlichen Spuren und ermöglicht ein ungehemmtes Ausagieren der misshandelnden Person, die kaum befürchten muss, dass sie sich der Verantwortung für ihr Handeln stellen muss. Verängstigte Kinder mit fehlendem Vertrauen in die Umwelt, öffnen sich äußerst selten und eventuell, auffällige Verhaltensweisen des Kindes, können bequem dem „schlechten“ Kind zugeschoben werden.

Emotionale Misshandlung wird vorwiegend nur dem Bereich der Vernachlässigung zugeordnet, wobei die weitreichenden und persönlichkeitsschädigenden Konsequenzen kaum Berücksichtigung finden. Als psychische Gewalt umfasst sie eine inadäquate oder fehlende emotionale Fürsorge und Zuwendung sowie ein instabiles emotionales Beziehungsangebot.

Typische Merkmale instabil-emotionaler Beziehungsangebote:

imageFehlende oder mangelnde Zuwendung, Liebe, Respekt, Geborgenheit

imageMangelnde Anregung und Förderung („stimulative Vernachlässigung“)

imageMangelndes Wahrnehmen und Unterstützung des Schulunterrichtes

imagePermissives Verhalten der Eltern bei Schulschwänzern (gleichgültige Einstellung zum Schulbesuch des Kindes)

imageKeine Förderung der Ausbildung und Erwerb sozialer Kompetenz

imageKeine Hilfe zur „Lebenstüchtigkeit“, Selbstständigkeit und zur Bewältigung von Alltagsanforderungen

imageKein angemessenes Grenzen setzen, keine Belehrung über Gefahren

imageZeuge chronischer Partnergewalt der Eltern

imagePermissive Eltern bei Substanzabusus des Kindes (Nachgiebigkeit bei Substanzmissbrauch wie Drogen, Alkohol …)

imagePermissives Verhalten der Eltern bei Delinquenz (Nachgiebigkeit bei Straffälligkeiten)

imageVerweigerung oder Verzögerung psychologischer oder psychiatrischer Hilfe.

Emotionale Gewalt oder auch psychische Misshandlung drückt sich u. a. durch Nichtbeachtung, Ignorieren, Demütigung und Verspottung, Überforderung, Bestrafung durch Liebesentzug, Einschüchterung, bewusstes Ängstigen, Alleinlassen, Drohungen, Beschimpfungen, Emotionale Erpressung und Nötigung aus. Da sich Emotionen auch dadurch kennzeichnen, dass sie „anstecken“, also anderen Menschen ein Mitfühlen ermöglichen, kann auch eine ausbleibende Reflektion mit der Botschaft „du fühlst, denkst und verhältst dich falsch“, misshandelnde Tendenzen in sich tragen.

Wo beginnt emotionale Misshandlung?

Tatsächlich geht emotionale Misshandlung weit über das bloße Vernachlässigen hinaus, verbindet sich direkt mit der psychischen Gewalt und hat einen weitreichenden, destruktiven Einfluss auf die persönliche Entwicklung des Kindes.

Nach meiner Wahrnehmung sollte sich die emotionale Misshandlung an der Basis einer gesunden Existenzfähigkeit – einem stabilen Urvertrauen – orientieren. Selbstvertrauen, Vertrauen in andere und die Welt, dies sind die Maßstäbe, die unser Leben entscheidend beeinflussen. Es gibt keine wahre Realität, sie entsteht einzig und allein durch unsere Wahrnehmung und unser Empfinden. Ein kleines Beispiel:

In der Bahn sitzen sich ein Mann und eine Frau gegenüber. Der Mann sieht die Frau an und diese hat die Möglichkeit, sich für eine entsprechende Bewertung der Situation zu entscheiden. Abhängig von den Aspekten ihres Urvertrauens, wird sie ihre Realität prägen. Mit Vertrauen in sich selbst, in andere und die Welt, wird sie den Blick wahrscheinlich als freundlich und interessiert wahrnehmen, ihn nicht als bedrohlich erleben und eventuell erwidern. In der Konsequenz kann sie so auch soziale, lebendige Kontakte zulassen. Ganz anders erlebt sie diesen Moment, wenn sie sich selbst und anderen kein Vertrauen entgegenbringt. Ihr Denken passt sich ihrer Grundeinstellung über das Leben an, „der findet mich bestimmt hässlich“ (fehlendes Selbstvertrauen), „er will mich belästigen“ (fehlendes Vertrauen in andere). In der Konsequenz wird sie, um sich vor den aufkommenden unangenehmen Gefühlen zu schützen (Angst, Scham ..), dem Kontakt ausweichen. In der Potenz solcher Sicht- und Verhaltensweisen können dann soziale Phobien, Isolation und Depressionen entstehen.

Emotionale Misshandlung beginnt demzufolge für mich da, wo ein Kind, mit all seinen Gefühlen darauf orientiert wird, sich von diesen und damit von sich selbst zu distanzieren. Wo es lernt, dass es in seinem Empfinden falsch ist und sogar ängstigende oder schmerzhafte Konsequenzen befürchten muss, wenn es sich in seinen natürlichen Reaktionen nicht verleugnet.

Vor einiger Zeit ging eine Diskussion zur Thematik körperliche Misshandlung durch ganz Deutschland. Wo beginnt sie? Ist ein Klaps oder eine Ohrfeige bereits körperliche Misshandlung? Laut Wikipedia ist eine Miss-Handlung eine üble und unangemessene Behandlung eines anderen Menschen, die dessen körperliche Unversehrtheit oder das körperliche Wohlbefinden beeinträchtigt. Insofern sind ganz klar JEDER körperliche Übergriff, auch der Klaps (nicht der freundschaftliche, liebevolle) oder die Ohrfeige hier einzuordnen.

Ähnlich klar lässt sich auch die emotionale Misshandlung identifizieren. JEDES Leugnen der emotionalen Realität eines Kindes, das heißt jeder Zwang, jede Nötigung, Druck oder Motivation der Distanzierung vom eigenen Gefühl, ist emotionale Misshandlung. Dazu zählt jede Äußerung von Bezugspersonen, die das Kind dahin nötigen, eigene Empfindungen in Frage zu stellen, sich von ihnen zu distanzieren oder sie sogar als Belastung für andere wahrzunehmen. In diesem Zusammenhang müssen auch einige typische emotional misshandelnde Äußerungen, die sich ähnlich wie der Klaps oder die Ohrfeige, als „normal“ und sogar „hilfreich“ in der Erziehung etabliert haben, kritisch hinterfragt werden.

Aussage

Botschaft an das Kind

Du brauchst doch keine Angst zu haben.

Du fühlst falsch, deinem Gefühl kannst du nicht trauen, du brauchst andere, die dir sagen, was du fühlen sollst.

Ein richtiger Junge weint nicht.

Trauer zu zeigen ist falsch, du bist dann „nicht richtig“ und wirst von anderen zurückgewiesen. Es ist besser, dieses Gefühl zu verleugnen. Trauer ist ein Gefühl für das „Mann“ sich schämen muss.

Mami hat dich wieder lieb, wenn du auch wieder lieb bist

Dein Gefühl (Wut) ist schlecht, andere ziehen sich dann von dir zurück. Du wirst nur geliebt, wenn du dich ignorierst und im Sinne anderer richtig funktionierst.

Wenn wir uns diese umgangsüblichen Formulierungen genau betrachten, wird uns auch bewusst, dass eine ungewöhnlich hohe Präsenz bei den Eltern selbst und den Belangen des Kindes sein sollte. Um Aussagen, die dem Kind emotional schaden zu vermeiden, sollten Bezugspersonen idealerweise folgende Kriterien erfüllen.

Hilfreiche Persönlichkeitsmerkmale der Bezugspersonen:

imageSie verfügen über eine stabile Identität (Selbst-Bewusst-Sein) und benötigen keine autoritären Hierarchiestrukturen, um sich mittels Machtanmaßungen durchzusetzen.

imageSie sind auf Grund eines eigenen gesunden Urvertrauens in der Lage, das Verhalten ihres Kindes interpretations- und wertungsfrei wahrzunehmen. (Das Kind fühlt, denkt und handelt nicht, um mir damit zu schaden.)

imageSie haben Zugang zur eigenen Emotionalität, spalten sich nicht von ihr ab und können die Verantwortung dafür übernehmen. (ICH bin jetzt abgespannt und müde, deshalb fällt es mir schwer, das laute Spiel der Kinder zu tolerieren.)

imageSie sind in der Lage, Gefühlen nicht mit Wertungen, sondern mit Empathie zu begegnen. (Nicht: „der ist aber ungezogen und egoistisch …“, sondern: „da bist du jetzt bestimmt enttäuscht und traurig …“.)

imageSie verfügen über emotionale Intelligenz, also der Fähigkeit des Selbstmanagements (kontrollierter Umgang mit dem eigenen Empfinden) und der Fähigkeit, sozialkompetent mit anderen Menschen umzugehen.

Hilfreiche Bezugspersonen unterstützen ihr Kind dabei, ein stabiles Urvertrauen zu entwickeln. Die Annahme, dass sie selbst, andere und die Welt gut sind, ermöglicht ihnen ein positives Grundkonzept, an dem sie sich in all ihren Handlungen und ihrem Erleben orientieren und dies auch vermitteln können. Dabei geht es nicht darum, jedem Bedürfnis eines Kindes zu entsprechen. Auch der hilfreiche Umgang mit Frustrationen muss einem Kind vermittelt werden. Aber es geht darum, das Bedürfnis des Kindes zu sehen und sein dazugehöriges Gefühl anzuerkennen.

Ein Mensch, der ein negatives Selbstbild verinnerlicht hat, der seine Mitmenschen und seine Umwelt als bedrohlich wahrnimmt, wird sich auch dementsprechend in dieser Welt bewegen und nach Bestätigungen seines Grundkonzeptes suchen. Selbsterfüllende Prophezeiungen bestätigen ihm dann genauso sein negatives Welt- und Lebensbild wie es im positivem Sinn bei den Menschen geschieht, die ein stabiles Urvertrauen entwickeln konnten.

Borderline-Persönlichkeiten gehören zu den Menschen, denen es u. a. nicht möglich war, ein gesundes Urvertrauen zu entwickeln. Ihr Vertrauen in sich und andere, ihr Erleben der Welt, ist für sie und in den Konsequenzen auch für andere, demoralisierend. Die Ursachen der Borderline-Störung sind nur wenig erforscht. Früher ging man allein von Misshandlungen in der Kindheit aus, heute rückt auch immer mehr die Vererbung in den Mittelpunkt der Forschung. Sicher scheint nur, dass allein ein Faktor nicht ausschlaggebend ist, sondern mehrere, destruktive Einflüsse ineinander greifen.

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung – Klassifizierung nach dem DSM-IV

Im DSM-IV, dem Klassifikationssystem der American Psychiatric Association, wird die Borderline-Persönlichkeitsstörung laut Wikipedia wie folgt definiert:

Ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in den zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie deutliche Impulsivität. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter bzw. in der Pubertät und manifestiert sich in verschiedenen Lebensbereichen. Dabei müssen mindestens fünf der folgenden Kriterien erfüllt sein:

1.Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden. Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.

2.Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.

3.Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung.

4.Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgaben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, „Essstörungen“). Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.

5.Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder –drohungen, selbstverletzendes Verhalten.

6.Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung (z. B. hochgradige episodische Dysphorie ((banale Alltagsverstimmung)), Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern).

7.Chronische Gefühle von Leere.

8.Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren (z. B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen).

9.Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome.

Diese Symptome bedingen typische Denk- und Verhaltensweisen, die sich in ihrer Konsequenz auf die sozialen Beziehungen der Betroffenen massiv auswirken. Erwachsene Bezugspersonen (Partner, Eltern, Freunde …) sind dabei noch in der Lage, sich aus einer eigenen Identität heraus hilfreich zu distanzieren. Kinder, die in der Entwicklung eines Selbst- und Weltbildes (Identität) jedoch auf ihre Bezugspersonen angewiesen sind, können in der Konfrontation, mit den für sie völlig unverständlichen symptomatischen Verhaltensweisen, selbst schwerwiegende Störungen und Belastungen erfahren.

Warum misshandeln Borderline-Eltern ihre Kinder?

Menschen, die von der Borderline-Störung betroffen sind, leiden. Sie leiden daran, zuviel oder zuwenig zu fühlen, ihrer Leere ausgeliefert zu sein, unter ihrer ständigen Angst etwas falsch oder nicht gut genug zu machen, oder in ihrer von ihnen angenommenen Erbärmlichkeit entdeckt zu werden. Sie glauben nur in dem Augenblick daran, dass sie etwas gut gemacht haben, in dem sie Bestätigung erfahren, ohne diese Augenblicke mit den dazugehörigen, wohltuenden Gefühlen festhalten zu können und daraus lebensbereichernde Ressourcen zu bilden. Sie sehen sich selbst so verzerrt, wie andere sich in einem der Zerrbildspiegel auf Jahrmärkten. Das was sie glauben, in sich zu sehen, lässt sie verzweifeln. Sie sind von sich angeekelt und abgestoßen, ohne Hoffnung darauf, dass jemand sie wirklich lieben könnte. Sie hassen und verachten sich und versuchen auf ihre Art, mit ihrer Abneigung gegen sich selbst fertig zu werden und ihre innere Leere zu füllen, indem sie verzweifelt jemanden suchen, der sie liebt und nie verlässt. In ihrem Bemühen, ihr „Zerrbild“ nach außen hin zu kaschieren, entwickeln sie Kreativität, Charme und Empathie, um andere dazu zu bewegen, sie nicht fortzustoßen. Sie entwickeln ein seelisches Kindchenschema, mit dem sie gleichermaßen faszinieren und betören aber auch manipulieren und abstoßen.

Borderline-Betroffene sind in ihrem tiefsten Sein wie hilflose Kleinstkinder. Der Spaltungsmechanismus (Schwarz-Weiß-Denken) entstammt jener frühkindlichen Phase, in der ein Kind die Mutter in ihrer Zuwendung als nur gut (sie ist da und versorgt) oder als nur schlecht (sie ist nicht da und versorgt nicht) wahrnimmt. Im gleichen Zeitraum ist das Kind von seiner Mutter zutiefst abhängig und symbiotisch mit ihr verschmolzen. Es hat ein existentielles RECHT, ihre bedingungslose Zuwendung einzufordern. Kein Mensch würde das Verhalten eines 10 Monate alten Kindes in Frage stellen, welches durch schreien darauf aufmerksam macht, dass es versorgt werden will. Das hemmungslos weint, wenn die Mutter das Zimmer verlässt, aus der Angst heraus, dass sie nicht wieder kommt (fehlende Objektkonstanz).

Kleinstkinder können nicht anerkennen, dass ihre Mütter oder Bezugspersonen Bedürfnisse haben, sie sind in ihrem Sein darauf zentriert, einzufordern. Sie sind Egozentriker, die zu Recht beständig Aufmerksamkeit und vor allem Bedingungslosigkeit verlangen. Das Leben erlaubt es ihnen, sie dürfen fordern. Dabei erfahren sie sich aber als abhängig, ohne ihre Mutter sind sie nicht lebensfähig. Ihren Wert erfahren sie in dem Maße, in dem diese sich ihnen zuwendet. Sie selbst sind, genau wie die Mutter, dann gut, wenn sie sich zuwendet und sie sind dann schlecht, wenn sie sich abwendet. Sie definieren sich in ihrem Sein über die Resonanz ihrer Bezugsperson. Erst im Prozess der Ablösung von der Mutter, dem Herantasten an das Leben in kleinen Schritten, um immer wieder zur sicheren Geborgenheit der Mutter zurückzukehren und wieder einen neuen Anlauf zu wagen, in der Welt zu bestehen, erfahren sie Selbst-Bewusst-Sein. Sie entdecken dabei, dass sie allein überleben können und unabhängig sind. Mit der Chance einer erfüllten Kindheit, machen sie mit der Zeit die Erfahrung, dass sie in ihrer Existenz nicht von ihrer Mutter abhängig sind. Sie lösen sich von ihr und aus der bedingungslosen Verschmelzung. Sie werden erwachsen.

Borderline-Persönlichkeiten sind nie erwachsen geworden. Ihren Symptomen nach verharren sie genau an jenem Punkt, an dem sie mit der Mutter noch bedingungslos verschmolzen sind. Und so verhalten sie sich auch.

Wenn Borderline-Eltern ihre Kinder systematisch vernachlässigen, misshandeln oder sogar missbrauchen, steht dahinter genau die zutiefst infantile Persönlichkeitsstruktur, des noch verschmolzenen, abhängigen und einfordernden Kleinstkindes. Die egozentrische, bedingungslose Befriedigung der eigenen Bedürfnisse zählt mehr als die Versorgung des Kindes. Dabei stehen sie in Konkurrenz zu ihrem Kind nach dem Motto „ich oder du“.

Stress, Druck und die Ansprüche, die Kinder naturgemäß stellen, überfordern sie oft maßlos. In ihrer eigenen, grenzenlosen Bedürftigkeit, sehen sie sich von den Ansprüchen ihres Kindes überrollt. Sie geraten ständig in Konflikte mit dem Wunsch gut zu funktionieren und dem realen Erleben, den entsprechenden Anforderungen aber nicht gewachsen zu sein. Sie fühlen sich überfordert, unter maßlosem Druck und sind von sich und dem Kind enttäuscht. Borderline-Eltern erhoffen sich, aus ihrer Infantilität heraus, von der Geburt eines Kindes oft positive Veränderungen in ihrem Leben. Die Rolle eines Vaters oder einer Mutter ist mit Respekt verbunden. Sie werden gebraucht und geachtet, erfahren Aufmerksamkeit und bedingungslose Einheit mit ihrem Kind, das ganz ihnen gehört und sich nicht entziehen kann. (Siehe „Das Kind und seine Schuldigkeit“, S. 38.) Und so schaffen sie sich vor der Geburt ihres Kindes eine trügerische Struktur, einen illusorischen Halt, der ihnen die Sicherheit und Geborgenheit in der Welt geben soll, die sie so schmerzlich vermissen. Um dann zu erfahren, dass die Realität mit ihren Erwartungen nicht übereinstimmt. In ihrer Unfähigkeit, Verantwortung zu tragen, wird das Kind verantwortlich gemacht. Wut, Enttäuschung, Angst, Druck und Verzweiflung, werden an den vermeintlich „Schuldigen“ delegiert. „Weil du da bist, geht es mir jetzt schlecht, du bist schuld, an dem was ich fühle.“ Nicht nur in der Partnerkonstellation wird Verantwortung an die Bezugsperson abgegeben, ein Kind ist ebenso betroffen. Darüber sollten sich auch jene Partner klar sein, die annehmen, dass ihr Kind nicht von den Symptomen der Borderline-Störung des betroffenen Partners berührt wird. Ein betroffener Vater oder eine betroffene Mutter, sind nicht abhängig von ihren Kontakten geheilt, sie passen sich diesen nur an.