Cover

Hinweise zur E-Book-Ausgabe

Die E-Books des Reclam Verlags verwenden entsprechend der jeweiligen Buchausgabe Sperrungen zur Hervorhebung von Textpassagen. Diese Textauszeichnung wird nicht von allen Readern unterstützt.

Enthält das E-Book in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählungen, so verweisen diese auf die Printausgabe des Werkes.

Fußnoten

Theodor Fontane, Brief vom 9. Mai 1888 an seinen Sohn Theodor, in: Theodor Fontane: Werke, Schriften und Briefe, Bd. 3: Briefe, hrsg. von Otto Drude [u. a.], München 1980, S. 601.

Renate Böschenstein, »Das Rätsel der Corinna: Beobachtungen zur Physiognomie einer ›realistischen‹ Figur aus komparatistischer Perspektive«, in: Theodor Fontane, The London Symposium, hrsg. von Alan Bance, Helen Chambers und Charlotte Jolles, Stuttgart 1995, S. 277.

Peter Wruck, »Frau Jenny Treibel«, in: Interpretationen. Fontanes Novellen und Romane, hrsg. von Christian Grawe, Stuttgart 1991, S. 189.

Hugo Aust, »Anstößige Versöhnung? Zum Begriff der Versöhnung in Fontanes Frau Jenny Treibel«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 92 (1973) Sonderheft, S. 117.

Helmuth Nürnberger, Fontanes Welt, Berlin 1997, S. 370.

Fontane, Brief vom 9. Mai 1888 (s. Anm. 1), S. 524.

Theodor Fontane, »Von Zwanzig bis Dreißig«, in: Theodor Fontane. Werke und Schriften, Bd. 35, hrsg. von Walter Keitel und Helmuth Nürnberger, Frankfurt a. M. / Berlin / Wien 1980, S. 16.

Walter Müller-Seidel, Theodor Fontane. Soziale Romankunst in Deutschland, Stuttgart 1975, S. 316.

Jürgen Kocka, »Bildungsbürgertum – Gesellschaftliche Formation oder Historikerkonstrukt?«, in: Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Tl. 4: Politischer Einfluss und gesellschaftliche Formation, hrsg. von J. K., Stuttgart 1989, S. 9.

Wilhelm von Humboldt, »Theorie der Bildung des Menschen« (1793), in: Werke I. Schriften zur Anthropologie und Geschichte des Menschen, hrsg. von Andreas Flitner und Klaus Giel, Darmstadt 1960, S. 234240.

Ulrich Engelhardt, »Bildungsbürgertum«. Begriffs- und Dogmengeschichte eines Etiketts, Stuttgart 1986, S. 148.

Theodor W. Adorno, »Theorie der Halbbildung« (1952), in: Gesammelte Schriften in 20 Bänden, Bd. 8: Soziologische Schriften 1, Frankfurt a. M. 2003, S. 93121.

Georg Büchmann, Geflügelte Worte. Der Citatenschatz des deutschen Volkes, Berlin 1864.

Pierre Bourdieu, Die verborgenen Mechanismen der Macht, Hamburg 1982, S. 52 ff.

Wruck (s. Anm. 3), S. 207.

Wolfgang Frühwald, »Büchmann und die Folgen. Zur sozialen Funktion des Bildungszitates in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts«, in: Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Tl. 2: Bildungsgüter und Bildungswissen, hrsg. von Reinhart Koselleck, Stuttgart 1990, S. 211.

Dieter Kafitz, »Die Kritik am Bildungsbürgertum in Fontanes Roman Frau Jenny Treibel«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 92 (1973) S. 77.

Fontane, Brief vom 9. Mai 1888 (s. Anm. 1), S. 601.

Frederick Betz, »›Wo sich Herz zum Herzen find’t‹: The Question of Authorship and Source of the Sound and Sub-title in Fontanes Frau Jenny Treibel«, in: The German Quarterly 49 (1976) S. 314.

Aust (s. Anm. 4), S. 117.

Sylvain Guarda, »Fontanes Frau Jenny Treibel: Ein stummer Sirenengesang als Raubspiel«, in: German Studies Review 27 (2004) S. 536.

Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. M. 1982 (frz. 1979), S. 52 ff.

Kafitz (s. Anm. 17), S. 94.

Aust (s. Anm. 4), S. 123.

Theodor Fontane, Literarische Essays und Studien, hrsg. von Kurt Schreinert, Tl. 1, München 1963, S. 12.

Hugo Aust, »Fontane. Poetik«, in: Fontane-Handbuch, hrsg. von Christian Grawe und Helmuth Nürnberger, Stuttgart 2000, S. 429.

Georg Lukács, »Der alte Fontane«, in: G. L., Deutsche Realisten des 19. Jahrhunderts, Bern 1951, S. 262307.

Müller-Seidel (s. Anm. 8), S. 300 ff.

Ingrid Mittenzwei, Die Sprache als Thema. Untersuchungen zu Fontanes Gesellschaftsromanen, Bad Homburg / Berlin / Zürich 1970.

Bettina Plett, Die Kunst der Allusion. Formen literarischer Anspielungen in den Romanen Theodor Fontanes, Köln 1986; Frühwald (s. Anm. 16); Wruck (s. Anm. 3), S. 185216.

Kafitz (s. Anm. 17), S. 79.

Norbert Mecklenburg, Theodor Fontane. Romankunst der Vielstimmigkeit, Frankfurt a. M. 1998.

Anke-Marie Lohmeier, »›…es ist ein wirkliches Lied‹. Theodor Fontanes Roman Frau Jenny Treibel als Selbstreflexion von Kunst und Kunstrezeption in der Gesellschaft der Gründerjahre«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 92 (1973) S. 238250; Rolf Selbmann, »Das Poetische hat immer recht. Zur Bedeutung der Poesie in Fontanes Roman Frau Jenny Treibel«, in: Fontane-Blätter (1992) H. 54, S. 101109.

Aust (s. Anm. 4), S. 412465.

Torsten W. Leine, »›Unsere Jenny hat doch Recht‹ – Zur Poetologie des Spätrealismus in Fontanes Frau Jenny Treibel‹, in: Entsagung und Routines. Aporien des Spätrealismus und Verfahren der frühen Moderne, hrsg. von Moritz Baßler, Berlin/Boston 2013, S. 4869.

Gerhart von Graevenitz, Theodor Fontane: ängstliche Moderne. Über das Imaginäre, Konstanz 2014, S. 19.

Fontane (s. Anm. 7), S. 16.

TheodorAutor Fontane war bereits 59 Jahre alt, als sein erster Roman Vor dem Sturm 1878 erschien. Mit 69 begann er an seinem ersten Entwurf zu Frau Jenny Treibel zu arbeiten (1887/88). Zuvor war er viele Jahre als Lyriker, Journalist, Kriegsberichterstatter, Reiseschriftsteller und Theaterkritiker tätig. Den ungeliebten Beruf des Apothekers hatte er bereits 1849 aufgegeben.

Fontane Fontanes Absichtwollte mit seinem Roman Frau Jenny Treibel »das Hohle, Phrasenhafte, Lügnerische, Hochmütige, Hartherzige des Bourgeoisstandpunkts« zeigen, »der von Schiller spricht und Gerson meint«1. Mit dem Verweis auf den idealistischen Klassiker Schiller und das Modekaufhaus Gerson ist ein Gegensatz markiert, der Aufbau und Inhalt des Romans bestimmt.

Der Der Schauplatz des RomansRoman spielt im Berlin des Jahres 1886, verweist aber auch auf Ereignisse der 1888er Jahre und entwirft ein gesellschaftskritisches Bild des industriellen Großbürgertums der Gründerjahre. Dem wird das gebildete akademische Bürgertum gegenübergestellt, das ebenfalls in eine kritische Perspektive gerückt wird.

Der Gegensatz zwischenBesitz- und Bildungsbürgertum Besitz- und Bildungsbürgertum, ihren unterschiedlichen Weltanschauungen, Wertorientierungen und Lebensstilen bestimmt formal und inhaltlich die Struktur des Romans.

Im Mittelpunkt steht die TitelheldinTitelheldin Jenny Treibel, die aus kleinen Verhältnissen stammt und durch ihre Ehe mit dem Fabrikanten Treibel sozial aufgestiegen ist. Den einstigen Freund und Philologiestudenten W. Schmidt hat sie verschmäht. Jenny Treibel wird zum Inbegriff einer Bourgeoise, die sich nach außen als poesieliebend, gefühlvoll und besitzverachtend präsentiert, jedoch in ihren eigentlichen Lebensantrieben materiell orientiert ist. Das von Jenny regelmäßig vorgetragene Lied, dessen letzter Vers Wo sich Herz zum Herzen find’t den Untertitel des Romans bildet, wird zum Medium, die Titelheldin in ihrer Doppelbödigkeit zu entlarven.

Es geht in dem Die GeschichteRoman um eine nicht-standesgemäße Verlobung des jüngsten Sohnes von Jenny Treibel mit Corinna, der Tochter des jetzigen Oberlehrers W. Schmidt. Die Kommerzienrätin Jenny Treibel sorgt für die Auflösung dieser Verlobung. Nach der Entlobung kehrt Corinna zu ihrem Jugendfreund Marcell zurück und beide heiraten am Ende. Diese Ereignisse sind eingebettet in zwei Gesellschaftsabende und eine Landpartie.

Die knappe Handlung bildet lediglich einen erzählerischen Rahmen für die im GesprächeVordergrund stehenden Gespräche der Figuren. Sie tragen das eigentliche Geschehen, veranlassen Geschehnisse, reflektieren Ereignisse im Nachhinein, charakterisieren die Figuren aus verschiedenen Perspektiven, verändern die Beziehungen zwischen den Figuren und entwickeln die eigentlichen Themen und Inhalte des Romans. Der sich

Der Roman war zu seiner RezeptionZeit sehr erfolgreich und wird bis heute geschätzt. Allein die Buchausgabe erreichte bis zur Jahrhundertwende 1900 fünf Auflagen. Eine Abwertung der Gespräche als unterhaltsame, unverbindliche Plauderei von Seiten der Literaturkritik hat die Fontane-Forschung inzwischen revidiert und die Bedeutung der Dialoge für den Aufbau der erzählten Welt und der Figuren hervorgehoben. Im Literaturkanon des Deutschunterrichts hat der Roman seinen festen Platz.

Der Roman spielt von Zeit und Ort der HandlungEnde Mai bis zum letzten Samstag im Juli des Jahres 1886 oder 1888 im bürgerlichen Milieu der Großstadt Berlin. Der zeit- und kulturgeschichtliche Hintergrund wird durch Hinweise auf Persönlichkeiten wie den Pathologen Rudolf Virchow und den Archäologen Heinrich Schliemann und Ereignisse umrissen, wie die Eröffnung der Zentralmarkthalle am Alexanderplatz (1886) und den Sturz des englischen Premierministers Gladstone (1886). Jedoch deuten auch mehrere Zeitsignale auf das Jahr 1888 als Zeit der Handlung hin: Die neue Dampfbahn nach Halensee wurde erst 1888 eröffnet. Der 27. Juli, an dem der kleine Polterabend stattfindet (S. 200), fällt 1888 auf einen Freitag.

Kapitel 1: Der Roman setzt mit einem Besuch der Titelheldin, Jenny Treibel, im Haus von Professor Wilibald Schmidt ein. EinladungAnlass ist ein abendliches Diner zu Ehren eines englischen Geschäftsfreundes ihres Sohnes Otto, Mr. Nelson, zu dem sie Corinna, die Tochter von W. Schmidt einladen möchte. Da Corinna als gebildet, geistreich und in englischer Geschichte beschlagen gilt, ist sie für Jenny eine geeignete Gesprächspartnerin für den ausländischen Gast.

In einer Erinnerung Rückblende erfährt der Leser, dass Jenny Treibel die hübsche Tochter des Kramladenbesitzers Bürstenbinder ist und genau gegenüber dem Haus der Schmidts in der Adlerstraße gelebt hat. Ihre Mutter hat sie zu einem »Püppchen« erzogen (S. 16). Sie war

Wilibald Schmidt, der inzwischen gymnasialer Oberlehrer geworden ist, blieb Jenny jedoch freundschaftlich verbunden. Seine PoesieGedichte hat Jenny aufbewahrt. In ihrem Gespräch mit Corinna betont sie ihren Sinn fürs Poetische und lobt die kleinen Verhältnisse, weil diese allein glücklich machen würden (S. 13). Corinna hält lachend dagegen, dass Wohlstand und eine Kommerzienrätin mit Landauer zu sein auch nicht schlecht seien (S. 11).

Kapitel 25: Das abendliche Diner bei den TreibelsDiner bei den Treibels folgt einem festgelegten Ablauf mit Essen, Herrengesprächen im Arbeitszimmer des Hausherrn, einem musikalischen Teil mit Arien des Opernsängers Adolar Krola und Jenny Treibels Gesang eines Liebesliedes, das W. Schmidt einst für Jenny gedichtet hat und das für ihn ein stilles Verlöbnis war. Der letzte Vers des Liedes »Wo sich Herz zum Herzen find’t« ist der Untertitel des Romans. Er zieht sich leitmotivisch durch den Roman und gibt das zentrale Thema an.

Zu den GästeGästen an diesem Abend gehören Corinna, ihr Vetter Marcell Wedderkopp, die Söhne Leopold und Otto Treibel sowie Ottos Ehefrau Helene, die aus einer wohlhabenden Hamburger Konsularsfamilie stammt, und Mr. Nelson aus Liverpool. Eingeladen sind noch der ehemalige Leutnant Vogelsang, die beiden adligen Damen von Ziegenhals und von

Die Gespräche kreisen um Treibels politischer EhrgeizPolitik, Treibels Sympathie für die dem Adel nahestehenden Konservativen und seine Kandidatur für den Reichstag. Treibel strebt mit seiner Kandidatur eine öffentlich-politische Rolle und einen höheren Titel (Generalkonsul) an und erhofft sich wirtschaftliche Vorteile davon. Die Verwirklichung dieser ehrgeizigen Ziele verspricht er sich von den Nationalkonservativen, obwohl eigentlich die Fortschrittspartei die Partei des unternehmerischen Großbürgertums ist, wie ihm Frau von Ziegenhals entgegenhält (S. 34). Vogelsang bereitet Treibels Wahlkampf in Teupitz-Zossen, einem brandenburgischen Wahlbezirk, vor.

Corinna setzt sich im Gespräch mit Mr. Nelson fortlaufend in Szene. Im leichten Ton wechselt sie die Themen vom Feldzug Napoleons an den Nil und der Schlacht bei Abukir, deren Beschreibung sie beim schottischen Schriftsteller Walter Scott gelesen hat, der Seeschlacht des britischen Admirals Lord Nelson bei Trafalgar bis hin zur Berliner Frau und der Kunststopferei (S. 38). Über Mr. Nelsons Verwechslung der berühmten Schlachten geht sie souverän und schlagfertig hinweg.Corinnas Plan Corinnas kokette Bemühungen um Aufmerksamkeit gelten in Wirklichkeit dem ledigen Sohn des Hauses, Leopold, doch will sie auch »von ihrem Vetter Marcell gehört« werden (S. 36). Auf dem Rückweg nach Hause wirft der eifersüchtige Marcell

Kapitel 67: Abend bei Professor SchmidtParallel zu dem Abenddiner in der Villa des Kommerzienrats Treibel findet im Hause von Professor Schmidt das wöchentliche Treffen mit seinen Lehrerkollegen statt, dem Kreis der »sieben Waisen Griechenlands«. In Anlehnung an die sieben Weisen Griechenlands aus dem 6./7. Jahrhundert vor Christi, einer Gruppe von Staatsmännern, die Ratgeber in Fragen der Staatslenkung waren, hat Professor Schmidt seinen Kreis von sieben Kollegen genannt und dabei auf ironische Weise den Buchstaben »e« in »a« verwandelt, um die grundlegenden Unterschiede zu markieren (S. 62). Trotz ihres Gelehrtenstandes und ihrer Ämter haben sie gesellschaftlich und politisch keinen Einfluss und verfügen nur über begrenzte Erkenntnisse.

Das Interesse der Gymnasiallehrer an den gemeinsamen Treffen ist gemischt. An diesem Abend erscheinen nur der ehemalige Gymnasialdirektor Professor Distelkamp, der Zeichenlehrer Friedeberg, der von den Professoren aufgrund seiner »wissenschaftlichen Nichtzugehörigkeit« (S. 61) nicht ganz ernst genommen wird, und Dr. Charles Etienne, ein Lehrer für Französisch an einer Mädchenschule.

Während des Essens findet zwischen Schmidt und Distelkamp ein StreitgesprächDisput über Autoritäten in der