Wolfgang Equiluz

Ein Schuss am
Wörthersee

Absurde Kriminalsatire mit Musik

Inkl. dreizehn Illustrationen und fünf mp3-download-Links zu Liedern der ErVolksRocker „Die Originellen Fernseer“

Inhaltsverzeichnis

1. Der Auftrag

2. Die Flucht

3. Der Segen

4. Die Agentur

5. Die Abreise

6. Der Trick

7. Die Überraschung

8. Die Ankunft

9. Der Irrtum

10. Die Vorbereitung

11. Der Test, Teil 1

12. Das Attentat

13. Der Bericht

14. Der Test, Teil 2

15. Der Kuss

16. Der Test, Teil 3

17. Die Privatvorstellung

18. Die Todesangst

19. Der Knall

20. Die Taxifahrt

21. Das Vorsprechen

22. Das Wunder

23. Die Auferstehung

24. Der Test, Teil 4

25. Das Verhör

26. Die Suche

27. Der Vertrag

28. Der Gendertest

29. Die Fusion

30. Die Hochzeit

31. Der Ehrenbürger

32. Die TV-Serie

Die Musik zum Buch

Der Autor

1. DER AUFTRAG
Dienstag, 10:30 Uhr
In der Trattoria Vesuvio in Fusilo bei Neapel

Die halb geschlossenen hölzernen Fensterläden ließen nur wenig Licht in den niedrigen Raum, weswegen man zum Glück dessen schäbige Einrichtung nur schwer im Halbdunkel erkennen konnte. Er war groß genug um zu diversen Veranstaltungen Platz für bis zu fünfzig Personen zu bieten. Also eigentlich für alle erwachsenen Einwohner des Ortes. Sozusagen die Mehrzweckhalle von Fusilo. Mehr Mehrzweck als Halle. Und ja, Halle war wahrscheinlich auch nicht das richtige Wort. Mit hundert Quadratmetern war es mehr ein großes Zimmer, also das Mehrzweckzimmer von Fusilo. Der kulturelle und kommunikative Treffpunkt der Gegend hinter dem Vesuv, der drohend mächtig im Südwesten von Fusilo alles überragte.

Normalerweise öffnete die dazugehörende Trattoria, die den echt originellen Namen Vesuvio trug, diesen Extraraum nur, wenn ein Reisebus mit Touristen Rast machte, was allerdings seit dem Bau der Umfahrungsstraße nicht mehr passierte, außer wenn zufälligerweise durch einen technischen Defekt das Navigationssystem eines Busses ausgefallen war. Aber auch dann fuhr er lieber gleich ohne anzuhalten weiter. So wurde dieses Zimmer also hauptsächlich an Sonn- und Feiertagen nach der Messe benutzt. Nur ein Mal im Jahr war es wirklich voll: Am zweiten Mittwoch im Juli, wenn sich das Wunder von Fusilo alljährlich wiederholte. Und morgen war es wieder einmal soweit. Aber dazu später.

Jetzt, am Dienstag Vormittag, war natürlich noch nichts los. Die Stühle lagen umgedreht auf den nackten Tischen und der alte Röhrenfernseher auf dem erhöhten Eckregal, dem ehemaligen Herrgottswinkel, wie man das in alpinen Gegenden nennen würde, war mit einer weißen Spitzendecke, auf die sehr geschmackvoll die Rialtobrücke von Venedig gestickt war, zugehängt, um ihn vor Staub zu schützen. Das war auch notwendig, denn seit in jedem Haus von Fusilo mindestens ein bis zwei Flachbildfernseher standen, hatte die sozial verbindende Funktion dieser vorsintflutlichen Flimmerkiste ausgedient. Damals, bei der Einweihung des ersten Farbfernsehers in Fusilo war echte Volksfeststimmung aufgekommen und alle Einwohner waren ins Vesuvio gekommen, sogar mit ihren Kleinkindern, um ihnen zu zeigen, wie bunt das wirkliche Leben doch sein konnte. Auf dem Fernseher stand links die Zimmerantenne und rechts das Kruzifix, das ursprünglich allein dort gestanden war. Sozusagen eine doppelte Verbindung nach oben, wobei der Kontakt zum öffentlich-rechtlichen TV-Sender oft schwieriger herzustellen war als zur römisch-katholischen Kirche.

So wie jeden Vormittag war die alte Theresa damit beschäftigt, den Boden zu schrubben. Vor mehr als sechzig Jahren hatte sie hier in der Trattoria als Putzfrau begonnen, hatte sich im Laufe der Jahrzehnte zur Putzfrau hinaufgearbeitet und durfte nun ihren Lebensabend gnadenhalber als Putzfrau im Vesuvio verbringen. Sie hatte schon vier Quadratmeter geschafft und stand nun mit gekrümmten Rücken an den Besenstiel gelehnt. Was ursprünglich von ihr als Saubermachen geplant war, wirkte nun auf einen außenstehenden Beobachter so, als wäre sie im Stehen eingeschlafen, was aber wahrscheinlich daran lag, dass sie im Stehen eingeschlafen war.

Giovanni beachtete sie nicht. Er litt stumm auf einem der harten Sessel vor sich hin und schwitzte. Weniger wegen der Hitze als wegen seiner Nervosität. Denn unter dem Herrgottswinkel thronte hinter einem der Tische der Bürgermeister von Fusilo, Luigi Fernando, von seinen Freunden auch liebevoll Luigi Fernando genannt. Er sah aus wie Marlon Brando in dem Film Der Pate und irgendwie war er darauf ein wenig stolz. In geselligen Runden betonte er immer wieder gern, dass Hollywood ihn als Vorbild für die Figur des Paten genommen hatte, was natürlich Blödsinn war, weil er damals erst zehn Jahre alt gewesen war. Aber weil er eben jetzt der Bürgermeister war, taten dann alle immer so, als wären sie sehr beeindruckt. Das freute ihn und dann war er guter Laune. Die fehlte ihm heute allerdings völlig, stellte Giovanni bekümmert fest.

Sogar Rexona knurrte gefährlich unter dem Tisch hervor. Sie war der ganze Stolz des Bürgermeisters. Eine reinrassige deutsche Schäferhündin.

Nebenbei bemerkt:

Zumindest behauptete Luigi Fernando das. In Wahrheit konnte jeder sehen, dass es sich dabei um eine typisch neapolitanische Promenadenmischung handelte, halb Dackel, halb Wollknäuel. Nur wollte der Bürgermeister nicht zugeben, dass man ihm in der Zoohandlung in Neapel diesen Bastard für teures Geld als Schäferhundwelpen angedreht hatte. Noch dazu als reinrassigen Zuchtrüden, was den Preis natürlich noch höher werden ließ.

Also taufte er das putzige Hundebaby nach dem berühmten Hund aus der Fernsehserie „Kommissar Rex“ auf den Namen Kommissar Rex. Aber normalerweise rief er den Hund nur mit seinem Kosenamen. Nein, nicht Kommissar, sondern Rex. War ja auch kürzer. Nur wenn er ganz strenge erzieherische Dinge zu sagen hatte, verwendete er auch den Titel Kommissar.

Als Luigi dann einige Wochen nach dem Kauf feststellte, dass für einen perfekten Rüden ein wichtiger anatomischer Teil fehlte, war es schon zu spät. Er konnte dem treuherzigen Blick der entzückenden Hundedame nicht widerstehen, brachte es natürlich nicht übers Herz, sie wieder in die Zoohandlung zurück zu bringen, und änderte ihren Namen von Kommissar Rex auf die, wie er meinte, weibliche Form Kommissarin Rexona um. Da Kommissarin Rexona doch um einiges zu lang war und sich auch viel zu bürokratisch angehört hätte, wurde auf ihren Titel schließlich ganz verzichtet.

Grimmig blickte nun ihr Herrchen auf einen imaginären Punkt an der Decke über Giovanni und begann mit gefährlich leiser Stimme zu sprechen: „Giovanni. Giovanni Mortadella. Zu allererst sollst du wissen - ich spreche zu dir als Freund…” Das war kein wirklich gutes Zeichen. Das sagte er nämlich immer, wenn er besonders schlecht aufgelegt war, „…als Freund deiner Familie, die schon seit Generationen zum festen Bestandteil Fusilos zählt. Man kann fast sagen, den guten Ruf, den unser Dorf in der ganzen Welt…”, er stockte kurz, „nun ja, in ganz Europa…, hmmm, genauer gesagt in ganz Italien…, um ehrlich zu sein in ganz Fusilo hatte, verdanken wir deiner Familie.” Langsam und eindringlich steigerte Luigi Fernando die Intensität seiner Stimme „Dein Urgroßvater war Profikiller! Dein Großvater war Profikiller! Dein Vater war Profikiller! Nur du bist das schwarze Schaf der Familie! Eine Schande für ganz Fusilo. Ein Vertreter für…”, er hielt kurz inne, um die Dramatik gekonnt ins Unendliche zu steigern, „für…, für Skiunterwäsche! - In Süditalien!”

Giovanni schluckte schwer. Der Schweiß rann ihm in Strömen unter das kleinkarierte Hemd, wo er zum Glück von der Skiunterwäsche aufgesogen wurde, die er immer zu Demonstrationszwecken für Hausbesuche vorsorglich unter seinem grau gestreiften Anzug trug. Aber auch die beste Saugfähigkeit hatte wahrscheinlich Grenzen, dachte er frustriert und versuchte erfolglos sich abzulenken, indem er Theresa beim Saubermachen zusah, was in ihm die berechtigte Frage aufkommen ließ, ob sie überhaupt noch am Leben war.

Natürlich litt er unter der Erwartungshaltung seiner Freunde, Nachbarn und nicht zuletzt seiner Familie, die ihm seine Vorfahren immer als erstrebenswerte Vorbilder hinstellten. Sein Großvater war in die Annalen des Ortes als der Schlächter von Fusilo eingegangen, und als Giovannis Vater diese Erfolge noch überbieten konnte, wurde er sogar ehrfürchtig mit einer Steigerungsstufe bedacht: Der Schlächterste von Fusilo. Giovanni hatte das immer übertrieben gefunden. Deswegen waren die Opfer von Papa ja auch nicht toter als die vom Opa. Oder hieß das etwa töter? Da das aber momentan nicht sein größtes Problem war, verschob er die Frage der korrekten Rechtschreibung auf einen späteren Zeitpunkt.

Sein Vater soll so erfolgreich in seinem makaberen Metier gewesen sein, dass er sich sogar einen eigenen Leichenwagen kaufte, quasi als Dienstwagen, um seine Opfer rascher im nahen Golf von Neapel entsorgen zu können. Aber auch das hatte Giovanni nie richtig glauben wollen, vielmehr vermutete er, dass der Wagen nicht gekauft, sondern nur Steuer schonend geleast worden war. Aber so ganz genau wusste er das natürlich nicht. Er war ja noch im Kindergarten, als sein Vater und Großvater vor dreißig Jahren am gleichen Tag gemeinsam eines natürlichen Todes starben: bei einem Schusswechsel mit der Polizei.

Seit damals hoffte das ganze Dorf, dass er die Familientradition erfolgreich weiterführen würde. Dabei hatte er so gar nicht das Aussehen eines Killers. Im Gegenteil. Seine kleine, eher ins Rundliche gehende Figur erinnerte mehr an einen gemütlichen Pizzakoch als an einen gefährlichen Auftragsmörder. Einerseits wäre das natürlich eine wunderbare Tarnung gewesen, weil man einem Pizzakoch normalerweise nichts Böses zutraut, andererseits versprühte seine äußere Erscheinung dadurch auch weder Angst noch Schrecken. Sein treuherziger Blick und seine sanfte Stimme taten ein Übriges dazu, eher die berufliche Laufbahn eines Vertreters für Skiunterwäsche als die Karriere eines Profikillers einzuschlagen. Nicht, dass er damit erfolgreicher gewesen wäre, aber es wurde seinem gutmütigen Wesen bei weitem gerechter.

„Dreißig Jahre lang hat deine Familie keinen mehr umgebracht”, fuhr der Bürgermeister vorwurfsvoll fort, „diese Schande ist ganz allein dir zuzuschreiben. Dabei hättest du schon mehrmals die Möglichkeit dazu gehabt.

Stimmt, erinnerte sich Giovanni. Luigi Fernando hatte ihm einige Aufträge zukommen lassen und er hatte sich auch wirklich Mühe gegeben, hatte alles versucht, aber das unbarmherzige Schicksal war gegen ihn gewesen.

„Und was ist daraus geworden?”, kam die rhetorische Frage, „Nichts. Immer hast du nur fadenscheinige Ausreden für dein Versagen gehabt.”

Fadenscheinig kann man das nicht nennen, dachte Giovanni. Was konnte er denn zum Beispiel dafür, dass eines seiner Opfer nicht die Tür aufmachte, obwohl er listigerweise vorgegeben hatte, ein Vertreter für Skiunterwäsche zu sein, was im Nachhinein betrachtet gar nicht so listig war, weil er ja tatsächlich einer war. Oder wie er ein anderes Mal versehentlich die Wasserpistole seines Sohnes mitgenommen hatte. Zum Glück war genug Skiunterwäsche in seinem Musterkoffer vorhanden, um das durchnässte Opfer mit den äußerst saugfähigen Stoffen wieder trocken zu legen.

Auch der Zoohändler aus Neapel, der dem Bürgermeister die Rexona angedreht hatte, sollte auf dessen Wunsch hin von Giovanni exekutiert werden, mit dem Erfolg, dass er mit drei weiteren reinrassigen deutschen Schäferhundwelpen nach Hause kam, wobei sich zwei von ihnen schon bald als fidele Fischottern herausstellten, die irgendwann durch das enge Kanalnetz das Weite suchten und es hoffentlich auch fanden. Das dritte Welpen wollte nicht und nicht wachsen, was aber auch kein Wunder war, weil es immer schon ein ausgewachsenes Meerschweinchen gewesen war. Immerhin war es für einige Jahre lang ein geliebter Spielgefährte seiner damals noch kleinen Kindern.

Ja, musste Giovanni Mortadella insgeheim zugeben: Als Profikiller hatte er bis jetzt keine glückliche Hand bewiesen und so ein tolles Verkaufstalent wie der Zoohändler aus Neapel hatte er leider auch nicht.

„Ich gebe dir noch eine letzte Chance”, gab ihm Luigi Fernando noch eine letzte Chance und hielt ein Zugticket in die Höhe. „Hier ist eine Fahrkarte für den Nachtzug von Neapel nach Wien.”

„Danke”, freute sich Giovanni, „in Wien habe ich sicher mehr Erfolg als hier im Süden.”

„Tatsächlich? Wieso denn das?”

„In Österreich besteht eindeutig viel mehr Bedarf an Skiunterwäsche als in Süditalien”, erklärte der noch immer Schwitzende.

Der Bürgermeister war sprachlos und starrte ihn fassungslos an. Aber nicht lange. „Skiunterwäsche! Glaubst du wirklich ich schicke dich wegen deiner blöden Skiunterwäsche nach Wien? Du lächerlicher Schwitzbold!”

Wäre die Situation nicht so dramatisch gewesen, Giovanni hätte über das echt gelungene Wortspiel gelacht. Statt dessen hörte er ein Ha-das-war-gut-Gekicher aus Theresas Richtung. Sie war also noch nicht völlig tot. Das beruhigte ihn. Weniger beruhigend fand er allerdings den beunruhigenden Gemütszustand von Luigi Fernando, der sich dermaßen aufregte, dass Rexona über den Umweg eines Stuhles auf den Tisch hüpfte und ihm frische Luft zuhechelte, obwohl man schon ein großer Hundefreund sein musste, um ihre Atemluft als frisch zu bezeichnen.

„Bitte reg’ dich nicht auf, ich fahre ja auch ohne Skiunterwäsche nach Wien. Großes Ehrenwort!”, beeilte sich Giovanni seinen Bürgermeister vor einem drohenden Kollaps zu bewahren.

Rexonas Erste-Hilfe-Maßnahme hatte tatsächlich geholfen, denn schon nach kurzer Zeit atmete ihr Herrchen einige Male schwer durch, um dann mit hörbar beherrschter Stimme fortzufahren. „Du kennst doch meinen eher einfältigen Neffen Nino, der in Wien eine Vinothek eröffnet hat, in der er angeblich echten italienischen Prosecco zu überhöhten Preisen verkauft. Damit sein Geschäft profitabel bilanzieren kann, ist es natürlich kein echter teurer Prosecco aus Italien, sondern billiger Schaumwein aus Grönland, den er im Diskontladen einkauft und dann die Etiketten austauscht.”

„Das Einzige, was daran noch original italienisch ist, sind also die Etiketten”, stellte Giovanni fachmännisch fest, doch selbst da wurde er eines Besseren belehrt.

„Nicht einmal das. Du kennst ja Nino noch aus eurer gemeinsamen Schulzeit”, seufzte Luigi Fernando, „In Italienisch war er immer eine Null, hatte keine Ahnung von Rechtschreibung.”

Stimmt, erinnerte sich Giovanni an seinen ehemaligen Klassenkameraden. Nino war nie eine große Leuchte im Schreiben gewesen, wie denn aber auch: Er besuchte die Volksschule nur bis zur zweiten Klasse, dann musste er seiner Familie bei der schweren Feldarbeit helfen. Ja, das waren harte Zeiten damals. Allerdings war Nino mit seinen siebzehn Jahren wirklich schon kräftig genug, um mit anzupacken und zehn Jahre in der zweiten Klasse sollten doch wohl wirklich reichen.

Toll, dass er es unter diesen widrigen Umständen zu einer eigenen Vinothek gebracht hatte. Aber Onkel Luigi und dessen Familie hatten sicher mit allen Mitteln dafür gesorgt, dass der schwierige Einstieg ins Geschäftsleben problemlos verlaufen würde, auch ohne notwendige Rechtschreibkenntnisse. Warum aber musste sich Giovanni das alles anhören? Gab es womöglich Probleme für den Neffen des Bürgermeisters in Wien? Es gab welche, wie er gleich hören sollte.

„Nino wollte die selbst entworfenen Etiketten für seinen Frizzante einer Druckerei in Auftrag geben. Natürlich wusste der arme Kerl nicht, wie man Frizzante richtig buchstabiert. Woher denn auch, in der zweiten Klasse der Grundschule wird das ja nicht unterrichtet. - Warum eigentlich nicht?”, ärgerte sich der Bürgermeister. Er nahm sich vor, gleich morgen mit dem Dorfschullehrer dieses Thema am Stammtisch bei einer Flasche Frizzante zu besprechen. Es sollten nicht noch mehr unschuldige Kinder aus Fusilo mit diesem belastenden Handikap in die große weite Welt hinaus geschickt werden.

„Also hat Nino den Nachbarn über ihm, einen Privatdetektiv namens Felder, gefragt, wie man Frizzante richtig schreibt. Wie konnte er nur den Worten eines Detektivs trauen? Außerdem hätte er sofort misstrauisch werden müssen, als dieser Sohn einer Hündin…”, er musste unterbrechen, weil ihn Rexona, die vor ihm am Tisch lag, vorwurfsvoll anknurrte, da sie sich in ihrer Hündinnenehre angegriffen fühlte. Mit neuer Wortwahl schimpfte er weiter „Als dieses miese Schwein”, und Rexona schlief wieder besänftigt weiter, „danach schallend zu grinsen begann. Als dann von der Druckerei die fünfzigtausend Etiketten geliefert wurden, und Nino mir stolz ein Exemplar schickte, wusste ich warum.”

„Warum?”, wollte natürlich auch der neugierig gewordene Giovanni wissen. Luigi reichte ihm eines der Flaschenetiketten, die ihm sein Neffe aus Wien geschickt hatte. Fritz Ante – Ein echter Italiener, war darauf zu lesen. Peinlich, peinlich, dachte der Vertreter für Skiunterwäsche und hoffte immer noch, dass die ganze Geschichte hoffentlich mit ihm persönlich nichts zu tun haben würde. Doch diese Hoffnung wurde schnell begraben.

„Für diese Blamage muss er sterben! Morgen schon! Durch deine Hand!”, befahl der Bürgermeister und es war klar, dass er keinen Widerspruch duldete, den Giovanni aber dennoch vorsichtig entgegen brachte.

„Du willst tatsächlich, dass dein eigener Neffe sterben soll? Reicht es nicht, wenn er sich statt dessen in einen Italienisch Sprachkurs einschreiben lässt?”

„Doch nicht mein Neffe, du Idiot!”, brüllte Luigi ihn aufbrausend an, „Sondern klarerweise dieser Agent namens Felder, dieser verdammte Sohn einer Hü…!” Rexona öffnete bedrohlich ein Auge und begann wieder unbehaglich zu knurren. „Sohn einer Hü…, Hü…, Hü…, Hühnerfarm”, fiel ihm statt dessen ein anderes, wenn auch völlig unpassendes Wort dazu ein, welches aber den Vorteil hatte, Rexona augenblicklich zufrieden weiter schlafen zu lassen.

„Gute Idee, dann können die beiden ja gemeinsam den Sprachkurs besuchen”, schlug Giovanni vor und hätte eigentlich schon gern die unangenehm schweißtreibende Unterredung mit dem Bürgermeister beendet, um seine inzwischen klatschnasse Skiunterwäsche gegen eine trockene saugfähige Garnitur zu wechseln.

Luigi hatte zum Glück den letzten Satz überhört, weil er in seinem Sakko den Zettel mit der Adresse der Detektivagentur suchte. Schließlich überreichte er sie der Profikillerhoffnung von Fusilo mit den pathetischen Worten „Steh auf, nimm den Nachtzug nach Wien, geh zu dieser Adresse und morgen um diese Uhrzeit ist Agent Felder ein Privatdetektiv gewesen. Möge er qualvoll in der Hölle schmoren bis zum jüngsten Tag. Übrigens weiß er schon, dass er sterben muss. Ich habe ihm gestern eine E-Mail mit einer sarkastischen Warnung im Namen der Mafia geschickt. Ich habe sogar persönlich einen Totenkopf darauf gemalt, um ihm zu zeigen, wie ernst wir es meinen. Die letzten angstvollen Stunden seines Lebens wird er so schnell nicht vergessen!”

Na toll, dachte Giovanni. Das wird das nächste Opfer sein, das die Tür nicht aufmacht. Warum musste Luigi auch immer alles so theatralisch inszenieren? Ohne diese dramatische Warnung wäre ein Überraschungseffekt wesentlich besser zu seinem Vorteil gewesen.

„Mach’ uns keine Schande, mein Junge”, beschwor ihn der Bürgermeister mit eindringlicher Stimme, „mach’ es genauso gut, wie es dein Vater auch immer getan hat!”

Die alte Theresa war beim letzten Satz des Bürgermeisters wieder aufgewacht und beteiligte sich am Gespräch „Ja, ja, dein seliger Vater. Ich kann mich noch gut an ihn erinnern”, erinnerte sie sich, „er hat seine Sache immer gut gemacht, wirklich gut. Ausgesprochen gut. Sehr gut sogar.” Und mit einem verklärten Lächeln fügte sie hinzu „Und so oft hintereinander.”

In seligen Erinnerungen schwelgend umklammerte sie träumend den Besenstiel, was Sigmund Freud sicher als Sublimierung des Penisneides interpretiert hätte. Und wahrscheinlich hätte er diesmal sogar recht damit gehabt.

2. DIE FLUCHT
Dienstag, 11:00 Uhr
In der Detektivagentur Felder in Wien

Privatdetektiv Rudolf Felder war nicht so leicht in Panik zu versetzen, außer vielleicht durch eine fette Spinne, die an der Wand über seinem Bett krabbelte, aber Arachnophobie war ja nichts Außergewöhnliches, nichts, wofür man sich schämen musste, selbst wenn man dafür die Feuerwehr anrücken ließ. Wie gesagt, eine durchaus weit verbreitete Phobie, welche nicht nur ihn, sondern viele Menschen der Bevölkerung betraf.

Schon ein wenig weniger verbreitet war es, kein Blut sehen zu können, aber auch das war kein wirklicher Grund zum Schämen, weil er auch damit nicht ganz allein in der Welt war.

Ganz allein stand er aber mit einem einzigartigen Problem da: Er konnte Blut nicht nur nicht sehen, sondern auch nicht hören, ohne sich sofort übergeben zu müssen. Und, als wäre das nicht schon schlimm genug, durfte in seiner Gegenwart auch niemand etwas sagen, was ihn an Blut erinnern konnte, wie zum Beispiel das Wort Rot oder Ketchup. Allein die Assoziation an Blut reichte aus, um seinen Mageninhalt binnen Sekunden wieder ans Tageslicht zu befördern.

Nur zu verständlich, dass er es vermied Rotkraut oder rote Rüben zu essen. Sogar Brot hatte zu viel Rot nach dem „B“. So wie das Rot zwischen dem „Ka“ und dem „te“ einer, unter normalen Umständen durchaus gesunden vitaminreichen Karotte. Leider lebte er nicht in Deutschland, denn dort hätte er sie ohne Probleme essen können. Dort hatte sie ja auch den, für ihn ganz unverfänglichen Namen Möhre. Auch das Trinken von Rotwein oder Red Bull hätte unübersehbare Folgen gehabt. Schon als Kind wurde ihm immer übel, wenn ihm seine Mutter das Märchen von Rotkäppchen vorlas oder ihn im Wiener Wurstelprater mit der Grottenbahn mitfahren ließ. Das Rot zwischen „G“ und „tenbahn“ war einfach unerträglich für ihn.

Damals wusste er allerdings noch nicht warum. Inzwischen hatte er sein ganzes Leben darauf eingestellt: Zum Beispiel hatte er noch nie sozialistische oder kommunistische Parteien gewählt, deren Farbe fand er zum Kotzen. Aus dem selben Grund würde er auch nie Urlaub am Roten Meer oder in Rotchina machen, um sich dort natürlich nicht den roten Pandabären anzusehen. Denn obwohl er ein großer Tierfreund war, kamen für ihn Rotfuchs, Rotwild, Rotkehlchen, Rotbarsch und Rottweiler nicht in Frage, die waren ein rotes Tuch für ihn. Ein rotes Tuch war übrigens auch ein rotes Tuch für ihn. Das müsste man ja gar nicht erst erwähnen.

Nach dem Duschen verwendete er konsequenterweise auch nie ein Frottiertuch, welches das Rot heimtückisch zwischen „F“ und „tiertuch“ versteckt hatte, sondern trocknete seinen ganzen Körper lieber mit dem Haarföhn. Das dauerte zwar länger, schonte aber seinen Magen wesentlich besser. Er stand normalerweise erst nach der Morgenröte auf und ging schon vor dem Abendrot zu Bett, was seine Tagesaktivität ein wenig einschränkte. Aber da er selbstverständlich nichts mit dem Rotlichtmilieu zu tun hatte, störte ihn das wenig. Aber natürlich war es ein wenig lästig, dass sich diese Abneigung gegen Rot wie ein roter Faden durch sein Leben zog. Wobei ihn der Faden an sich weniger störte, als dessen Farbe. Warum konnte es denn kein blauer Faden sein, der sich durch sein Leben zog?

Gestern war allerdings etwas geschehen, das all seine Phobien in den Schatten stellte. Eine ernst zu nehmende Morddrohung der Mafia. Per E-mail. Als Briefkopf lachte höhnisch ein handgemalter Totenkopf, darunter war zu lesen:

Der lange Arm der Mafia wird dich erreichen!

Morgen Mittag bist du tot!

LG (Letzte Grüße) aus Neapel, Fritz Ante.

Nicht, dass er einen Fritz Ante gekannt hätte, bestenfalls den österreichischen Filmregisseur Franz Antel, der aber seines Wissens nach schon lange nicht mehr am Leben war. Wer also konnte das wohl sein? Da fiel ihm ein Vorfall ein, der sich vor einigen Wochen ereignet hatte: Der italienische Besitzer der Vinothek unter seinem Büro, ein Mann namens Nino aus der Nähe von Neapel, hatte ihn gefragt, wie man Frizzante buchstabiert und er hatte aus Übermut grinsend auf einen Zettel geschrieben: Fritz Ante. Dieser kleine Scherz musste irgendwie den Zorn der Mafia geweckt haben.

Er konnte sich zwar keinen wirklich guten Grund dafür vorstellen, aber beim Vinothekbesitzer wollte er vorsichtshalber lieber nicht nachfragen. Fragen hatte die Mafia gar nicht gern. Das wusste er aus eigener langjähriger Erfahrung. Er hatte genug Kriminalfilme über die Mafia gesehen. Zugegeben, nur die alten, in schwarzweiß, ohne dem üblen Rot, aber so viel konnte sich ja in den letzten siebzig Jahren an den Methoden der Mafia nicht geändert haben, außer, dass sie heutzutage ihre Morddrohungen per E-mail verschickten und keine abgesägten Pferdeköpfe mehr in die Betten legten.

Rudolf Felder hatte nach Erhalt der Warnung blitzschnell und eiskalt reagiert. Er hatte im Internet ein neues Büro am anderen Ende der Stadt gemietet, mit Kreditkarte bezahlt und war jetzt dabei all seine Ordner mit den Buchhaltungs- und Geschäftsunterlagen einzupacken. Das ging recht zügig voran, denn die Plastiktüte, die er noch vom letzten Supermarkt-Einkauf hatte, war schnell mit den vier dünnen Ringbuchmappen gefüllt.

Lieber ein ganzes Leben lang feige als einen ganzen Tod lang mutig, rechtfertigte er sein Handeln vor sich selbst. Die überstürzte Flucht wollte Rudolf allerdings nicht als Ergebnis seiner sehr großen Angst vor der Mafia verstanden wissen, sondern als Ergebnis seiner sehr, sehr, sehr, sehr, sehr großen Angst.

An einer anderen Adresse würde ihn der italienische Auftragskiller sicher nicht finden, redete er sich die unangenehme Sache schön. Denn an eine Namensänderung oder Gesichtsoperation dachte er keinen Augenblick lang. Sein attraktives Äußeres und sein cooles Outfit mit beigem Trenchcoat, Schlapphut und Sonnenbrille wollte er auf keinen Fall deswegen aufgeben. Er glaubte fest daran, dass er mehr lukrative Aufträge erhalten würde, wenn er wie ein Detektiv aus den Hollywoodfilmen aussähe. Aus den alten, in schwarzweiß. Konnte sich ja nicht so viel verändert haben in den letzten siebzig Jahren, außer dass die Detektive heutzutage ihre Drohungen von der Mafia per E-mail erhielten.

Dabei hätte er diese Accessoires gar nicht notwendig gehabt, denn fast jedes Frauenherz schlug bei seinem Anblick sofort höher. Beinahe einsneunzig groß, breite Schultern, durchtrainierte Muskeln, blonde Haare und stahlblaue Augen machten ihn in den meisten Fällen unwiderstehlich beim anderen Geschlecht. Das wusste er auch und nützte diesen Vorteil immer wieder zu seinen Gunsten aus, allerdings nur bei Frauen, die weder Haare noch Fingernägel rot gefärbt hatten und unrote Kleidung trugen. Blöd wurde es nur dann, wenn sich erst im Schlafzimmer herausstellte, dass die auserwählte Bettgenossin rote Unterwäsche trug. Denn manche Damen empfanden es durchaus nicht als Kompliment, wenn er bei ihrem Anblick sofort zu kotzen begann.

Er nahm die Plastiktüte mit den vier Ringmappen unter den Arm, ging zur Tür und warf einen letzten Blick zurück. Wirklich leid tat ihm der Abschied nicht. Obwohl er sein neues Büro noch nicht gesehen hatte, konnte es nur schöner als dieses hier sein. Das karge, alte Mobiliar vom Flohmarkt und die nackten Wände, von denen der Verputz abbröckelte, versprühten den Charme einer Bahnhofshalle in Wladiwostok.

Na ja, das war vielleicht etwas übertrieben. Eine Bahnhofshalle in Wladiwostok war sicher um einiges hübscher als das hier.

3. DER SEGEN
Dienstag, 11:30 Uhr
In der Dorfkirche von Fusilo

Giovanni Mortadella war nach dem Treffen mit dem Bürgermeister nicht sofort nach Hause zu seiner Mama gegangen. Er musste erst in Ruhe über alles nachdenken. Dazu kam ihm die Kirche am Hauptplatz von Fusilo gerade recht.

Alle wichtigen Gebäude des Dorfes waren hier: die Metzgerei und der kleine Supermarkt gegenüber, wobei das Wort Super eindeutig falsche Erwartungen weckte, denn super war hier gar nichts. Wer eine wirklich große Auswahl im Sortiment wollte, musste gezwungenermaßen nach Neapel fahren. In Fusilo gab es nur das Allernotwendigste zum Überleben. Und außerdem noch den Friseur, einen Tabakladen und die Volksschule, in der nur ein Klassenzimmer für alle Jahrgänge vorhanden war. Mehr war ja auch nicht notwendig, in einem Ort mit nur fünfzig Einwohnern. Auch die kleine Trattoria Vesuvio, die der Bürgermeister zuweilen als sein Büro verwendete, befand sich am Platz, sodass es Giovanni nicht weit zur Kirche hatte.

Da saß er nun in der Kirchenbank, mit dem Bahnticket in der einen und dem Zettel mit der Adresse seines Opfers in der anderen Hand und wusste nicht recht, was er tun sollte. Also beschloss er zu beten. Das hatte er seit seiner Kindheit nicht mehr getan. Aber jetzt war wohl der geeignete Zeitpunkt, wieder damit anzufangen. Schaden konnte es ja nicht. Er wandte sich an das Kruzifix über dem Altar „Herr!”, sprach er laut und eindringlich, „Wenn du willst, dass ich nach Wien fahren und dort einen Mann töten soll, dann gib mir ein Zeichen.” Er wartete einige Sekunden lang, aber wie von ihm erwartet, passierte natürlich nichts. Insgeheim war er stolz auf seine listige Fangfrage. Nun konnte er guten Gewissens behaupten, Gott selbst habe ihm die Reise nach Wien nicht erlaubt.

Doch gerade, als er aufstehen und gehen wollte, um dem Bürgermeister von der göttlichen Weisung zu berichten, legte sich eine schwere Hand auf seine Schulter. Es war Pater Pius, der alte Pfarrer von Fusilo, der unbemerkt hinter Giovanni die Kirche betreten und dessen Gebet mit angehört hatte. „Nun, mein Sohn, kann ich dir vielleicht weiter helfen?”

Das geistliche Oberhirte von Fusilo war vor rund vierzig Jahren hierher strafversetzt worden, weil er in seiner vormaligen Pfarre in Neapel durch seine kreative Buchführung dem Bischof unangenehm aufgefallen war. Nicht, dass sich seine finanziellen Gewohnheiten seit damals geändert hätten, aber hier störte es niemand mehr.

Nebenbei bemerkt:

Außerdem hatte Pater Pius immer wieder glaubhaft versichert seine Tätigkeit als Orzist nicht mehr auszuüben. Er war also sozusagen ein Orzist im Ruhestand. Oder wie er es treffend nannte: ein Exorzist.

Giovanni fielen die Gerüchte über Pater Pius ein, die im Dorf kursierten und die auf eine hohe Wahrscheinlichkeit hinwiesen, dass die Anrede Mein Sohn für viele im Ort durchaus wörtlich zu verstehen sein konnte. Aber schnell verscheuchte er diesen unappetitlichen Gedanken wieder aus seinen Kopf. Immerhin sah er überhaupt keine Ähnlichkeit zwischen ihm und dem Pfarrer. Während jener im örtlichen Schützenverein tätig war und regelmäßig an den Fuchsjagden teilnahm, hatte Giovanni noch nie in seinem Leben auch nur einen Schuss abgegeben. Sehr zum Leidwesen seiner Familie und des Bürgermeisters.

„Ja, Vater”, antwortete Giovanni und hoffte, dass die Anrede Vater nur von platonischer Bedeutung war, „Ich habe ein Problem mit den zehn Geboten, speziell mit dem vierten und fünften. Einerseits soll ich meine Eltern ehren, also meine Mutter stolz auf mich machen, indem ich ein guter Profikiller bin und auf der anderen Seite soll ich nicht töten. Wie soll denn das zusammen funktionieren? Das ist doch nahezu unmöglich.”

„Eine gute Frage, mein Sohn. Die Sache mit dem Töten ist folgende: Wenn es der Kirche hilft, ihre Glaubenslehren zu verteidigen, ist es erlaubt. Denn wie heißt es schon in der Genesis: Seid furchtbar und wehret euch! Und was auch nicht alle wissen - der ursprüngliche Text des fünften Gebotes lautete eigentlich so: Du sollst nicht töten, außer du hast einen wirklich guten Grund dafür. Und gute Gründe finden sich schnell und oft. Schlag nach in der heiligen Bibel. Dort findest du viele Exempel dafür. So hat der allmächtige Gott zum Beispiel die triebhaften Sünder von Sodom und Gomorra vernichtet.”

„Er hat die Sünder der Camorra vernichtet?”, war Giovanni echt überrascht.

„Gomorra, nicht Camorra. Die vernichtet Gott natürlich nicht. Die sind ja römisch-katholisch”, belehrte ihn Pater Pius, um sogleich seine Aufzählung fortzusetzen, „Und er hat das Ägyptische Heer im Roten Meer ertränkt, weil er für all das einen wirklich guten Grund hatte. Oder schau auf die katholische Kirche: Sie verbrannte alle Ketzer, Hexen, Zauberer, Astronomen und Atheisten auf den Scheiterhaufen, weil sie immer einen guten Grund dazu erfünden hatte.”

„Ist das falsche Buchstabieren von Frizzante ein guter Tötungsgrund?”, fragte Giovanni schüchtern.

Pater Pius dachte ein paar Sekunden lang nach „Es kommt darauf an. Wenn es ein Atheist buchstabiert hat, ist es mit Sicherheit erlaubt.”

„Selbst wenn es erlaubt ist, macht es mir keinen Spaß! Töten ist doch kein Vergnügen”, womit er indirekt ausdrücken wollte, dass Profikiller nicht sein eigentlicher Traumberuf war.

Pater Pius lächelte allwissend „Da fällt mir noch etwas ein. Die Originalversion des fünften Gebots lautete ursprünglich: Du sollst nicht zum Vergnügen töten. Folglich heißt der logische Umkehrschluss: Du darfst töten, wenn es dir absolut keinen Spaß macht.”

Giovanni runzelte erstaunt die Augenbrauen „Das steht in den Zehn Geboten, die Moses am heiligen Berg Sinai von Gott erhalten hat?”

„Nicht Moses”, suchte der Pfarrer nach einer guten Ausrede, „sondern Abraham. Und zwar als er die Vorversion des fünften Gebotes vom Herrn bekam, damit er seinen Sohn Isaak ohne Probleme opfern konnte.”

Vielleicht habe ich ja in der Schule gefehlt, als Abraham im Religionsunterricht durchgenommen wurde, überlegte Giovanni. Also musste er wohl oder übel dem geistlichen Oberhaupt des Ortes dessen Erklärungen glauben.

„Aber gerade morgen findet doch wieder das Wunder von Fusilo statt”, suchte er doch noch ein überzeugendes Argument zum Hierbleiben zu finden, „Darauf habe ich mich wirklich schon gefreut”, heuchelte er wenig glaubhaft, denn das letzte Mal war er zu seiner Hochzeit in der Kirche gewesen und den nächsten Kirchenbesuch hatte er eigentlich erst zu seiner Beerdigung geplant.

„Keine Angst, mein lieber Sohn”, beruhigte ihn der Pfarrer mit weihevollen Worten, „Das wundersame Wunder wird auch ohne dich stattfinden, so wie jedes Jahr. Steh’ auf, nimm deine Fahrkarte, fahre nach Wien und tue, was dein Vater auch getan hätte.”

„Na gut, ich werde versuchen meinen seligen Vater zu ehren, indem ich sein unseliges Werk weiterführe. Aber ich weiß nicht, ob ich an seine Fähigkeiten heranreichen kann. Man sagt ja, er hätte seine Sache ausgesprochen gut gemacht.”

„Ja, ausgesprochen gut”, bestätigte Pater Pius, während er sein gottesfürchtiges Schäfchen mit einem Kreuzzeichen segnete. Und in Erinnerung an die unzählig abgenommenen Beichten seiner Schäfchen der letzten vierzig Jahre in Bezug auf das sechste Gebot fügte er noch ein wenig neidisch hinzu, „Und so oft hintereinander.”