1. Auflage

Deutsche Erstausgabe Oktober 2021

ISBN: 978-3-7557-1865-9

Herstellung und Verlag: BoD, Books on Demand GmbH, Norderstedt

Illustrationen: Julia Spindler

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Impressum

Julia Spindler

Clessgasse 65

1210 Wien

julia-spindler@gmx.at

Für alle kleinen und
großen Kängurus da draußen

Inhaltsverzeichnis

Worum geht‘s in diesem Buch?

Sicher hast du dich schon einmal richtig groß und gut gefühlt, oder? In manchen Momenten in unserem Leben fühlen wir uns riesig und sind unendlich stolz auf uns selbst. Fast so, als könnten wir alles schaffen. Zum Beispiel wenn wir etwas besonders gut können. Oder wenn wir etwas geschafft haben, von dem wir nie gedacht hätten, dass wir es wirklich schaffen würden. Oder wenn einfach etwas Wunderschönes passiert. Dann fühlen wir uns glücklich, frei und groß.

Dann gibt es aber auch noch Momente, in denen wir uns klein fühlen. Klein und schwach, oft viel kleiner, als wir eigentlich sind. Wenn wir etwas nicht gut können oder etwas, das wir uns vorgenommen haben, nicht schaffen. Wenn schlimme Dinge passieren oder einfach alle anderen besser sind als wir. Niemand ist gern der Schlechteste oder der, der am wenigsten geschafft hat. Deshalb fühlen wir uns in solchen Momenten klein und fast so, als könnten wir gar nichts. In diesen Momenten brauchen wir deshalb jemanden, der uns hilft, uns tröstet oder an der Hand nimmt. Jemanden, der uns zeigt, wie man die schwierige Sache richtig macht. Jemanden, der uns verteidigt oder einen schwierigen Weg mit uns geht.

Eigentlich ist es wie mit den Kängurus. Es gibt die kleinen und die großen Kängurus und die kleinen werden von den großen in ihren Beuteln getragen. Die großen Kängurus beschützen und begleiten die kleinen Kängurus, bis sie selbst groß sind und wieder auf neue kleine Kängurus aufpassen können. So ähnlich ist es auch mit uns Menschen. Wenn wir etwas nicht gut können oder wir traurig sind, fühlen wir uns wie das kleine Känguru. Alleine kommen wir dann nicht weiter, wir brauchen jemanden, der wie ein großes Känguru für uns ist und uns hilft. Oft sind wir aber auch selbst das große Känguru. Dann fühlen wir uns stark und groß. Und genau dann können wir auch anderen helfen, die sich gerade wie die kleinen Kängurus fühlen. Damit auch sie sich wieder groß und gut fühlen können.

Hast du ungefähr verstanden, was ich meine? Sicher kommt dir die Sache mit den Kängurus ein bisschen komisch vor. Es ist ja auch eine seltsame Sache, Menschen mit Kängurus zu vergleichen.

Aber damit du es besser verstehen kannst, habe ich für dich in diesem Buch Geschichten aufgeschrieben. Jede Geschichte handelt von anderen Menschen und manche von ihnen sind in den Geschichten wie die kleinen und manche wie die großen Kängurus. Manche Geschichten habe ich mir ausgedacht, andere habe ich auf eine ähnliche Weise in meinem eigenen Leben gehört oder erlebt. Aber es gibt so viele Menschen auf der Welt, dass ich mir sicher bin, dass jede einzelne der Geschichten schon hunderte Male passiert ist. Nur immer ein wenig anders. Und vielleicht erkennst du in einer der Geschichten sogar jemanden, den du kennst oder dich selbst wieder…

Maxi und ihr Fußballteam

„Ein Fußballteam zu haben, ist fast als hätte man eine zweite Familie!“, dachte die zehnjährige Maxi immer über ihr Team. Weil sie so klein, frech und flink war, nannten sie alle „die freche Maxi“.

Seit über vier Jahren spielte sie jetzt schon in ihrem Fußballteam und war eine von den Besten. Sie war zwar fast das einzige Mädchen, aber das machte ihr nichts aus.

„Wer darf schon bestimmen, dass Buben besser im Fußball sind?“, rief Maxi immer, „ich beweise euch das Gegenteil!“ Und schon rannte sie los, lief fast schneller, als der Ball rollen konnte und schoss ein Tor nach dem anderen. Maxis Team gewann immer das Fußballspiel. „Eines Tages wirst du bei der Fußballweltmeisterschaft mitspielen“, sagte Maxis Freund Paul zu ihr.

„Ja, sicher werde ich das!“, stimmte Maxi ihm zu.

Maxi war nicht nur gut im Fußballspielen, sie war auch viel mit dem Fahrrad oder auf Rollschuhen unterwegs. Deshalb war Maxi zu Beginn ihrer Geschichte auch meistens wie das große Känguru. Es gab vieles, das sie richtig gut konnte und sie half anderen, die das Fußballspielen, Fahrrad- oder Rollschuhfahren noch lernen mussten. Darauf war Maxi sehr stolz. Sie war gern wie das große Känguru und fühlte sich dabei stark und gut.

Doch dann passierte etwas, das Maxis Leben für immer veränderte. Niemand hatte zuvor gedacht, dass der starken Maxi so etwas passieren könnte und doch passierte es. Maxi hatte einen sehr schlimmen Unfall mit ihrem Fahrrad. Ein zu schnelles Auto fuhr sie an und verletzte sie stark am linken Fuß.

Als Maxi im Krankenhaus aufwachte, erinnerte sie sich nicht mehr an den Unfall und doch spürte sie, dass mit ihrem Körper irgendetwas anders war als sonst.

„Was ist denn passiert?“, fragte Maxi sofort die erste Krankenschwester, die sie entdecken konnte, „ich kann mich gar nicht richtig bewegen!“ Maxi versuchte sich aufzusetzen, aber ihr Kopf tat weh und ihr Bein war in einen so dicken Verband gepackt, dass sie es nicht einmal anheben konnte.

Die Krankenschwester lief sofort aus Maxis Zimmer und kam mit ihren Eltern und einer Ärztin zurück.

„Es tut uns sehr leid, kleine Maxi“, erklärte die Ärztin, „aber dein linker Fuß ist bei deinem Unfall so oft gebrochen und zerstört worden, dass wir ihn nicht mehr retten konnten. Wir mussten den Fuß amputieren.“

„Amputieren?“, fragte Maxi, „und was soll das heißen?“

Warum konnte die Ärztin denn nicht so sprechen, dass auch Kinder sie verstehen konnten? „Wahrscheinlich hat sie Angst mir die Wahrheit zu sagen“, dachte Maxi.

„Amputieren heißt so etwas wie abnehmen oder abschneiden“, erklärte die Ärztin, „dein Bein ist jetzt kürzer und der Fuß ist nicht mehr da.“

„Und wie soll ich jetzt laufen?!“, fragte Maxi entsetzt.

Sie warf die Bettdecke zurück, um sich ihr Bein anzusehen und tatsächlich: es war kürzer als das rechte und dick mit Verband umwickelt. Viel früher als das gesunde Bein hörte es einfach auf.

Plötzlich bekam Maxi große Angst. Sie wollte doch weiterhin die starke, tapfere Maxi sein! Aber konnte sie das jetzt überhaupt noch?

„So kann ich doch nie wieder Fußballspielen!“, weinte sie, „was haben Sie nur mit meinem Fuß gemacht?!“

Maxi sah die Ärztin böse an, obwohl sie wusste, dass es eigentlich nicht ihre Schuld war. Aber Maxi wollte gerade einfach auf irgendjemanden wütend sein. Zum Glück war die Ärztin nicht böse deswegen. Sie verstand, dass Maxi Angst hatte.

Und dann versprach sie: „Doch, du kannst das Fußballspielen wieder lernen. Es wird noch einige Zeit dauern, bis die große Wunde an deinem Bein verheilt ist. Aber dann bekommst du eine Prothese und wirst wieder laufen lernen. Und irgendwann wirst du mit dieser Prothese so gut laufen können, dass du auch wieder Fußballspielen kannst, versprochen!“

Maxi wusste nicht, ob sie der Ärztin glauben sollte. Sie fühlte sich schwach und ängstlich. Denn plötzlich war sie zu einem kleinen Känguru geworden, das sehr viel Hilfe brauchte. Wie ein Baby kam Maxi sich vor, wenn sie nicht einmal alleine die Stufen in ihr Kinderzimmer nach oben gehen konnte und ihre Eltern sie tragen mussten.

Erst nach ein paar Wochen bekam Maxi ihre Prothese, so wie die Ärztin es versprochen hatte. Diese Prothese sah aus wie ein Plastikfuß, den Maxi auf das Ende ihres Beins stecken konnte. Wenn sie darüber eine Hose anhatte , sah Maxis Bein mit der Prothese fast wieder so aus wie vorher.

Aber so fühlte es sich natürlich nicht an. Maxi konnte in dem Plastikfuß schließlich überhaupt nichts fühlen! Deshalb stolperte sie am Anfang andauernd, alles war wackelig und als Maxi zum ersten Mal versuchte, wieder Fußball zu spielen, war sie die Langsamste von allen und fiel ständig in den grünen Rasen.

„Ich werde nie wieder richtig laufen lernen!“, rief Maxi wütend und wollte am liebsten nur noch weinen und ihre Prothese einfach von ihrem Bein schleudern, „ich wackle doch nur herum, wie ein dummes Huhn auf einem Bein!“

„Natürlich wirst du es wieder lernen“, widersprachen Paul und die anderen Kinder in Maxis Fußballteam, „wir werden dir dabei helfen, Maxi!“

Das Fußballteam war jetzt wie eine ganze Herde von starken, großes Kängurus für Maxi. Alle halfen ihr. Alle wollten, dass Maxi irgendwann wieder so gut Fußballspielen konnte wie früher.

Es wurde schwierig für Maxi, denn gerade am Anfang fiel sie noch sehr oft hin und hielt die anderen vom Spielen ab. Vor und nach dem Fußball übte sie immer das Laufen und jedes Mal wurde sie von mindestens zwei anderen Kindern begleitet. Wenn sie hinfiel, halfen die anderen ihr auf, bis Maxi gelernt hatte, alleine wieder aufzustehen.

Anfangs gefiel es Maxi nicht, dass sie nun wie das kleine Känguru war. Sie wollte wieder stark, mutig und die Beste sein. Aber mit der Zeit bemerkte sie, dass sie nur besser werden konnte, wenn die anderen ihr halfen. Und so übten sie weiterhin jeden Tag.

Ungefähr ein Jahr nach Maxis Unfall, bemerkte niemand mehr, dass Maxi einen Fuß weniger hatte als die anderen Fußballkinder und eine Prothese trug. Sie konnte wieder genauso gut und schnell laufen wie früher. Das Team, in dem sie mitspielte gewann wieder jedes Spiel. Maxi war wieder zu einem großen, starken Känguru geworden, aber nur, weil ihr so viele andere Kinder geholfen hatten, als es ihr schlecht ging. Von nun an konnte Maxi wieder selbst anderen helfen, die noch nicht so gut Fußball spielten wie sie.