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2. Auflage 2022
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© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
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ISBN 978-3-17-041344-3
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pdf: ISBN 978-3-17-041345-0
epub: ISBN 978-3-17-041346-7
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Sie können skizzieren, wie sich die Personalarbeit in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat und einige aktuelle Herausforderungen schildern.
Abb. 1: Lisa
Lisa ist 23 Jahre alt und Hochschulabsolventin der Betriebswirtschaftslehre (Bachelor). An BWL findet Lisa besonders interessant, dass dieses Studium interdisziplinär ausgerichtet ist und etwa Disziplinen wie Mathematik, Recht oder Psychologie berücksichtigt. Insbesondere im Personalmanagement kommt es dabei auf soziale Fähigkeiten an. Lisa erinnert sich hierbei an das sogenannte Eisbergmodell, das sie in einer der Vorlesungen kennengelernt hat. Demnach sind für Erfolg nicht nur Fakten entscheidend, sondern auch die sogenannten »Soft Facts«.
Während im beruflichen Alltag an der Oberfläche meist nur die verwendeten Instrumente, Methoden und Prozesse im Personalmanagement sichtbar sind, kümmert sich das Personalwesen in Unternehmen ebenso um die unter der Oberfläche liegenden Gefühle und Werthaltungen. Die Arbeit unter der sichtbaren Ebene des Eisbergs erfordert Geschick und setzt sowohl psychologische als auch soziologische Kenntnisse voraus ( Abb. 2). Das Eisbergmodell geht zurück auf die Theorie von Sigmund Freud, der die Bedeutung des Unbewussten (Soft Facts) gegenüber den bewussten Inhalten (Hard Facts) betont hat.
Abb. 2: Das Eisbergmodell des Personalmanagements
Studierende der Betriebswirtschaften, insbesondere mit Schwerpunkt Personalwesen, sollten sich also nicht scheuen, auch über ihren Tellerrand hinauszublicken und beispielsweise angrenzende geisteswissenschaftliche Disziplinen zu berücksichtigen. Schon Thorstein Veblen ( Abb. 3), einer der Gründerväter der Wirtschaftswissenschaften, forderte, dass diese Anthropologie und Soziologie einbeziehen müssten und man kann sagen, dass die heutige BWL auch und gerade durch ihre interdisziplinären Inhalte theoretisch anspruchsvoll und praktisch aktuell bleibt.
Abb. 3: Thorstein Veblen
Abb. 1: Lisa
In ihrem Praktikum hat Lisa sowohl administrative als auch konzeptionelle Tätigkeiten kennengelernt. Ehrlich gesagt hat ihr die administrative Seite weniger Spaß gemacht. Sie hofft, dass die Prognose, die Personalarbeit werde in Zukunft im Wesentlichen strategisch sein, möglichst bald Wirklichkeit wird. In der Tat haben sich die Verantwortlichkeiten von Personalmitarbeitern ebenso wie von Führungskräften und Mitarbeitern in den letzten Jahren grundlegend verändert.
Nicht nur die Erkenntnis, dass die »weichen« Faktoren im Human Resources Management entscheidend sind, hat die Arbeit im Personalwesen verändert. So sind Aufgaben, aber auch Verantwortlichkeiten von der Personalabteilung auf die Führungskraft und im Weiteren auch auf die Mitarbeiter übergegangen. Moderne Personalmanager beraten Führungskräfte, diese coachen und beraten ihre Mitarbeiter, und die Mitarbeiter selbst haben viel an Handlungsspielräumen gewonnen ( Abb. 4). Die Verantwortlichkeit für die eigene berufliche Entwicklung hat sich damit aber auch immer mehr auf den Mitarbeiter selbst verlagert. Modernes Personalmanagement versucht heute mehr und mehr, als strategischer Partner des Business wahrgenommen zu werden und sich von der Zuschreibung auf administrative Rollen zu lösen.
Abb. 4: Alte/moderne Ausrichtung von HR-Management
Insbesondere leistungsfähige IT-Verfahren erleichtern dies zunehmend. Wenngleich es keinen Königsweg für die organisatorische Allokation des Personalwesens in Unternehmen gibt, ist eine Trennung von operativer und strategischer Personalarbeit in jedem Fall sinnvoll. So findet man heutzutage die Personal- und Organisationsentwicklung oft als Stabsfunktion direkt an die Geschäftsführung angebunden. Den Stellenwert, den das Personalwesens im Unternehmen genießt, kann man auch anhand der organisatorischen Einbindung bei der Bedarfsbestimmung ersehen. In einem »sukzessiven« Verständnis reagiert die Strategie der Personalbedarfsbestimmung nur auf die Produkt- bzw. Marktstrategie, bei einem »integrierten« Verständnis wird die Personalstrategie als Teil der Unternehmensstrategie verstanden.
Bei der Prognose der Leistungsfähigkeit von zukünftigen Mitarbeitern sind ungeachtet des demografischen Wandels für die meisten Tätigkeiten schon heute keine physischen Kriterien mehr entscheidend. Dagegen werden sozio-emotionale Belastungsfaktoren aufgrund von psychischem Druck und Stress weiter in den Vordergrund rücken. Bezogen auf Auswahlverfahren heißt das etwa, dass die Lern- und Veränderungsfähigkeit als Schlüsselqualifikation an Bedeutung zunehmen wird. Aber auch die Motivation für lebenslanges Lernen wird in den Vordergrund treten.
Eine Sonderrolle bei den Fähigkeiten spielt der sogenannte »Habitus«. Schon Aristoteles bezeichnet das Auftreten oder die Umgangsformen einer Person, ihre Vorlieben, Gewohnheiten und das Sozialverhalten als »Hexis«, lateinisch Habitus (habere »haben«). Der Begriff Habitus wurde von dem Soziologen Pierre Bourdieu (1930-2002) dann in die Soziologie eingeführt (1987). Als Habitus ist demnach das gesamte Auftreten einer Person, vom Lebensstil über Sprache, Kleidung bis hin zum Geschmack zu bezeichnen. In der soziologischen Ungleichheitsforschung ist damit auch die klassenspezifisch erworbene, unbewusste Angepasstheit der Dispositionen, Verhaltensmuster und Einstellungen einer Person an das jeweilige soziale Umfeld gemeint. Am Habitus einer Person lässt sich der Status einer Person in der Gesellschaft ablesen. Grob unterscheidet Bourdieu vier Kapitalsorten: Ökonomisches Kapital (Vermögen, Unternehmen, Grund, Aktien, Geld, Schmuck, Kunstwerke), Kulturelles Kapital (Bildung, Wissen, Titel), Soziales Kapital (Familie, Freunde, Bekannte, Kontakte) und Symbolisches Kapital (Prestige, Reputation, Auszeichnung). In seiner gesellschaftlichen Kritik zeigt Bourdieu, dass ökonomisches Kapital sich in alle anderen Kapitalsorten relativ einfach verwandeln lässt, während das umgekehrt nicht gilt. Distinguierte soziale Gesellschaftsschichten erkennen sich schon aufgrund des Habitus‹, ohne den richtigen »Stallgeruch« ist ein Aufstieg in die gesellschaftliche Elite selten möglich.
Das Personalmanagement steht vor einem Umbruch, was den demografischen Wandel der deutschen Bevölkerung angeht. So werden für die kommenden Jahre wahrscheinlich nicht mehr genügend hochqualifizierte Arbeitskräfte in Deutschland zur Verfügung stehen. Daran ändern auch kurz- oder mittelfristige konjunkturelle Schwankungen und Krisen nichts Grundlegendes. Dabei steigt nicht nur die Nachfrage nach hochqualifizierten Arbeitskräften weiter, auch werden viele Hochqualifizierte aus den geburtenstarken Jahrgängen den Arbeitsmarkt verlassen. Frührente bzw. Berufsaustritt unter dem 60. Lebensjahr sind volkswirtschaftlich schwer zu finanzieren und stehen zudem einer steigenden Lebenserwartung gegenüber. Die Schlussfolgerungen daraus reichen von politischen Entscheidungen im Bildungswesen über die vermehrte Einbeziehung von Teilzeitarbeit, insbesondere der Möglichkeit für hochqualifizierte Frauen, Beruf und Familie verbinden zu können, bis hin zur Konzeption von Personalentwicklungsmodellen, welche einen längeren Lebensarbeitszyklus berücksichtigen.
Für manche deutet deshalb alles darauf hin, dass den Unternehmen ein »War for Talents« bevorstehen könnte, auch wenn Variablen wie Konjunktur, Einwanderung oder Rationalisierung, resp. zunehmende Digitalisierung keine präzisen Prognosen zulassen. Durch die starke Nachfrage seitens der Unternehmer und das geringe Angebot auf der Arbeitnehmerseite werden die Unternehmen schon heute mehr und mehr gezwungen, Arbeitnehmer mit attraktiven Konditionen zu werben. Hierbei werden ältere Mitarbeiter nicht benachteiligt sein, in mancher Hinsicht lassen sich durch den reichhaltigen Erfahrungsschatz beruflicher und persönlicher Kompetenzen u. U. sogar Vorteile ableiten. In Zukunft wird das Recruiting deshalb vermehrt Ältere als Zielgruppe zu berücksichtigen haben.
Auch wenn man vermuten könnte, dass die Personalauswahl mit der demografischen Entwicklung an Bedeutung verliert, weil sich die Unternehmen nicht mehr leisten können, allzu wählerisch zu sein, wird wohl genau das Gegenteil der Fall sein. Gerade weil die Fluktuationsrate von Mitarbeitern auch davon abhängen wird, wie zufrieden Mitarbeiter in Unternehmen sind, ergibt sich das Erfordernis, die Passung bereits möglichst schon bei der Auswahl zu prognostizieren.
Abb. 1: Lisa
Lisa fragt sich schon heute, wie sie Beruf und Familie in Einklang bringen wird, denn ihr ist klar, dass sie später eine Familie gründen will. Zugleich hat sie an ihrer eigenen Mutter gesehen, dass es sehr schwierig sein kann, Familienleben und Beruf oder sogar Karriere in Einklang zu bringen. Auf der anderen Seite weiß Lisa, dass die Arbeitswelt heute, anders als zu den Zeiten ihrer Mutter, eine Flexibilisierung erfahren hat und sie hofft, dass diese noch weitergehen wird.
Es hat bereits heute eine zunehmende Flexibilisierung (quantitativ, qualitativ, zeitlich, örtlich) in der Personaleinsatzplanung stattgefunden mit Vor- und Nachteilen sowohl für Mitarbeiter als auch für Unternehmen: Für Unternehmen ist die höhere Motivation der Mitarbeiter und die dadurch erwartungsgemäß höhere Produktivität ein Vorteil. Man kann die Beschäftigungsreserven auf dem Markt besser nutzen, und nicht zuletzt sorgt eine flexible Personaleinsatzplanung für eine höhere Kundenorientierung. Mitarbeiter genießen eine bessere Work-Life-Balance und können ihre Arbeit gemäß ihren individuellen Aktivitätszyklen und Biorhythmen gestalten. Dies kann zu höherer Motivation und höherer Produktivität führen
Doch es gibt auch Nachteile. Auf Unternehmensseite heißt höhere Flexibilisierung zunächst auch geringere Kontrolle. Das kann aber durch adäquate Administration und dementsprechende Steuerungsinstrumente im Performance- und Wissensmanagement ausgeglichen werden. Für die Mitarbeiter kann eine hohe Personaleinsatzflexibilisierung bedeuten, dass die Arbeit »gefühlt« nie aufhört. Dies zieht Überforderung durch Leistungsdruck nach sich, und Mitarbeiter müssen deshalb heute anders als früher selbst ein gutes Zeitmanagement mitbringen, um nicht in die Burnout-Falle zu laufen.
Moderne Flexibilisierungsinstrumente ermöglichen sowohl eine strukturell als auch eine konjunkturell höhere Anpassungsfähigkeit. Hierbei können Unternehmen aus einer Vielfalt von personalpolitischen Methoden auswählen, um sowohl unternehmensinterne (strukturelle) als auch marktbezogene (konjunkturelle) Krisen zu bewältigen. Während konjunkturelle Krisen eher temporär sind, erfordern strukturelle Krisen oft einen erheblichen Umbau des Unternehmens. Dementsprechend kann auf konjunkturelle Krisen mit personalpolitischen Maßnahmen wie Kündigung von 40-Stunden-Verträgen, Teilzeitoffensiven, Sabbaticals, einem Abbau von Resturlaub oder auch Kurzarbeit reagiert werden. Auch der Abbau von Gleitzeitguthaben oder ein Inhouse-Placement kann die Zeit überbrücken, bis die Konjunktur wieder anzieht. Konjunkturelle Krisen haben externe Gründe, die sich normalerweise wieder legen. Deshalb wollen Unternehmen in solchen Zeiten meist nicht Personal abbauen, das nach Beendigung der Krise wieder teuer eingekauft werden muss.
Anders verhält es sich bei strukturellen Krisen. Hier reicht das personalpolitische Repertoire vom Nichtersatz von Fluktuationen, Altersteilzeitmodellen, vorzeitiger Beendigung über Outsourcing bis hin zu Standortschließungen und betriebsbedingten Kündigungen. Diese Maßnahmen machen Sinn, wenn die Zukunft veränderte strukturelle Anforderungen an Unternehmen stellt und bestimmte Kompetenzen oder Funktionen nicht mehr oder zukünftig in anderer Weise oder Anzahl benötigt werden. Die genannten Instrumente zur Bewältigung von Krisen sind vornehmlich quantitativ ausgerichtet. Qualitative Flexibilität bieten personalwirtschaftliche Instrumente wie Job Rotation, Job Enlargement, Job Enrichment, Projekteinsätze oder Inhouse-Placement. Wie Inhouse-Placement funktionieren kann, soll anhand des Beispiels der Recruiting-Abteilung eines großen Konzerns verdeutlicht werden.
Als in einer konjunkturellen Krise nur noch wenige Mitarbeiter eingestellt werden sollten, und zugleich der Ruf nach sozialverträglichen Outplacement-Maßnahmen laut wurde, entschloss sich das Unternehmen, eine eigene Outplacement-Abteilung aufzubauen. Dabei erfolgte kein Personalaufbau, sondern die vorhandenen Recruiter wurden von externen Dienstleistungsfirmen, die aktuell im Unternehmen mit Outplacement beauftragt waren, zu Outplacement-Beratern ausgebildet (eine Vertragsklausel, die das Unternehmen vorausschauend zur Bedingung der Beauftragung gemacht hatte). Dies ermöglichte es dem Konzern, bei konjunkturellen Schwankungen Personalmitarbeiter vom Recruiting ins Outplacement (bei abnehmendem Personalbedarf) zu verlagern und umgekehrt (bei zunehmendem Mitarbeiterbedarf). Diese Strategie war nicht nur als Job Enrichment im Sinne einer Personalentwicklung zu sehen, sondern steigerte zugleich auch die individuelle Employability der Recruiter.
Unsere Arbeitswelt verändert sich rasant und wenn man einmal einen mittel- und langfristigen Blick in die Zukunft wagt, könnten die Veränderungen drastisch sein, wenn man den Prognosen von Trend- und Zukunftsforschern glauben kann. Schon die letzten Jahre haben viele Änderungen für unsere Arbeitswelt gebracht. Wir haben eine Flexibilisierung nicht nur der Organisationsstrukturen, sondern auch der individuellen Arbeitswelten erlebt, mit einer Entflechtung von Arbeitszeit und Arbeitsort, auch bereits vor der Corona-Pandemie. Freiheit und Selbstverantwortung sind insbesondere bei Akademikern in der Arbeitswelt gestiegen ebenso die Anforderungen und zugleich scheinen sich sowohl das Arbeits- als auch das Lebenstempo ständig zu beschleunigen.
Eigentlich sollte die Technisierung des Industriezeitalters bewirken, dass Produkte günstiger, schneller und effizienter gestaltet werden können, aber auch dass Tätigkeiten, die der Mensch sonst selbst machen müsste, von Maschinen übernommen werden können. Das hat nicht nur zur Entlastung des Menschen geführt. Vielmehr sehen wir uns heute in vielen Bereichen gerade durch die Technisierung gezwungen, mit der Leistung und der Geschwindigkeit beispielsweise von Computern mitzuhalten. Inzwischen zwingen uns die maschinellen Produktionsbedingungen ihr Tempo auf.
Eine weitere Veränderung betrifft unsere Lebenserwartung. Schon bis zum Jahr 2050 könnte mithilfe von Stammzellentherapie und Genreparaturen die Verlangsamung des Altersprozesses gelungen sein. Für die Kohorte der jetzt Studierenden hieße das eine Verlängerung des Lebens bis zu 150 Lebensjahren, so die Prognosen mancher Forscher. Man muss nicht darauf hinweisen, was das für das Renteneintrittsalter bedeuten würde. Wie werden sich die Jobs dadurch verändern? Wenn das Lebenserwerbsalter zunimmt, wird es wahrscheinlich, dass wir nicht nur eine Ausbildung und eine Berufsrichtung einschlagen können – Polyerwerbsbiographien mit zwei oder sogar drei ganz unterschiedlichen Karrieren könnten der Normalfall werden. Wahrscheinlich werden diejenigen Arbeitnehmer Gewinner sein, die nichtrepetitive und kreative Aufgaben erfüllen, weil Computer diese Dinge nur schlecht können. Also beispielsweise Künstler, Softwareingenieure, Führungskräfte oder auch Wissenschaftler. Dagegen wird es zunehmend einfacher werden, einfache Tätigkeiten durch elektronische Algorithmen zu ersetzen.
Zunehmende Globalisierung, erhöhte Geschwindigkeit auf den Märkten und das Erfordernis ständiger Erreichbarkeit sind nur einige Faktoren, welche in den virtuellen Arbeitsmärkten der Zukunft die Anforderung nach Mobilität vergangener Tage ersetzen. Das 21. Jahrhundert wird möglicherweise maßgeblich durch die Ausbildung virtueller Strukturen gekennzeichnet sein und auch die Arbeit im Personalmanagement revolutionieren. Digitalisierung bis hin zu künstlicher Intelligenz wird uns Menschen aber selbst in hochqualifizierten Tätigkeiten keine Konkurrenz machen. Maschinen und Roboter bleiben von uns programmiert, und selbst wenn sie höhere Kognitionsniveaus erreichen, bleiben sie Mittel zu dem Zweck, den der Mensch ihnen gibt. Die Zwecksetzung selbst bleibt das Vorrecht von uns Menschen, denn nur wir können definieren, wie wir leben wollen. Im Personalbereich kommt hinzu, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen, unsere Gefühle und Motivation wesentlicher Bestandteil auch unserer beruflichen Tätigkeiten sind. Für Human Resources Management bedeutet dies, dass Kompetenzen, die sich auf das Wissen vom Menschen, der professionellen Kommunikation und des produktiven Umgangs miteinander beziehen, nicht veralten werden. Die Arbeit im Personalmanagement hat Zukunft! Eine gute Nachricht für Lisa.
• Der BWL- Student Tim interessiert sich für die Arbeit im Personalwesen und kann sich vorstellen, später dort zu arbeiten. Allerdings fragt er sich, was die Arbeit einer modernen HRM-Abteilung heute im Gegensatz zu früher ausmacht, und wie diese sich in der Zukunft aufgrund der schon heute absehbaren gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen verändert. Bitte geben Sie ihm auf seine Fragen eine Antwort.
• Nennen Sie mindestens drei Variablen, welche einen »War for Talents« aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland abschwächen könnten.
• Erläutern Sie das »Eisbergmodell«, insbesondere in seiner Relevanz für das Personalmanagement.
• Nennen Sie fünf personalpolitische Instrumente zur Beantwortung konjunkturbedingter Krisen. Welche personalpolitischen Instrumente können Sie zur Bewältigung struktureller Krisen einsetzen?
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• Sie wissen, was Kompetenzen sind und wie sie in der Personalauswahl berücksichtigt werden.
• Sie können Arbeitsfelder und Instrumente der Personalbeschaffung benennen und verstehen, wie und wann sie eingesetzt werden.
• Sie wissen, was Sie hinsichtlich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im Recruiting zu beachten haben und können die rechtlichen Kriterien auf Praxisbeispiele anwenden.
Abb. 1: Lisa
Für Lisa ist klar: Sie möchte als Personalmanagerin in einem internationalen Unternehmen arbeiten. Deswegen hat sie bereits ein Praktikum im Personalwesen absolviert, und auch ihre Vertiefungsrichtung im Studium war thematisch auf Human Resources ausgerichtet. Da Lisa ahnt, dass ein Direkteinstieg in das Personalmanagement eines internationalen Unternehmens direkt nach der Hochschule schwer zu realisieren ist, hat sie vor, sich zunächst bei einer renommierten Personalberatung zu bewerben. So kann sie Erfahrung sammeln und möglicherweise später zu einem Unternehmen ihrer Wahl wechseln. Lisas Plan geht auf. Eine ihrer Bewerbungen ist erfolgreich. Die Personalberatung ist spezialisiert auf Personalauswahlverfahren. Sie berät kleinere und mittlere Unternehmen, indem sie an den Kunden angepasste Auswahlmethoden konzipiert oder gleich den gesamten Bewerbungsprozess begleitet. Dies bietet Lisa die praktische Möglichkeit, Expertin für Auswahlinstrumente und deren Anwendung zu werden.
Wir finden heute kein Auswahlinstrument, das nicht die Leistungsbereitschaft eines potenziellen Mitarbeiters ebenso bewertet wie vorhandene Kenntnisse und Erfahrungen. Für die Weiterbildung der Mitarbeiter sowie für Auswahlverfahren bedeutet dies langfristig insbesondere im Dienstleistungssektor eine Verschiebung hin zu höherwertigen Tätigkeiten. Für das Personalmanagement selbst heißt das, Mitarbeiter können ihre »Employability« umso stärker gewährleisten, je weniger sie durch elektronische Verfahren ersetzt werden können. Letzteres betrifft im qualifizierten Bereich algorithmische Tätigkeiten, Berechnungsverfahren im Allgemeinen sowie administrative Arbeiten. Zukunftsweisend werden dagegen mehr und mehr qualitativ anspruchsvolle Tätigkeiten wie Beratung, Coaching, Strategie und kreatives Denken. Im Sinne einer sich immer schneller verändernden Wissensgesellschaft werden immer weniger bereits erworbene Kenntnisse eine Rolle spielen, vielmehr die Fähigkeit eines potenziellen Mitarbeiters, sich neue Kenntnisse anzueignen, also im Sinne der Selbstorganisation zu lernen, wie man ein Leben lang lernfähig bleibt.
Im Recruiting bedeutet das, dass sich die Auswahlkriterien weg von reinen Kenntnissen und Erfahrungen hin zu vorhandenen Fähigkeiten entwickeln. Unter »Kenntnissen« sind dabei reine Fachkenntnisse wie IT-, Englisch- oder auch Berufs-Know-how zu verstehen. Der Begriff »Erfahrungen« bezieht sich auf die Berufserfahrung, also Projekterfahrung, Führungserfahrung etc. »Fähigkeiten« schließlich bezeichnen die »weichen« Faktoren, wie beispielsweise Kommunikations-, Team- oder auch Konfliktfähigkeit.
Diese Nomenklatur von Kompetenz hat zum einen den Vorteil, dass sie international anschlussfähig ist (Kenntnisse = Skills/Hard Facts, Erfahrungen = Experiences, Fähigkeiten = Capabilities/Soft Skills/Facts). Zum anderen wird die ältere Nomenklatur von Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz abgelöst, die beispielsweise den beruflichen Erfahrungswert (der international und insbesondere in der amerikanischen Kultur bei Bewerbungen stark gewichtet wird) nicht isoliert abbildet. Die hohe Bewertung der Berufserfahrung zeigt sich beispielsweise in der Anordnung des »amerikanischen Lebenslaufes« mit seinem antichronologischen Aufbau, um den Blick zuerst auf die letzte, meist hochwertigste Tätigkeit zu richten. Fertigkeiten werden in unserem Zusammenhang (wir betrachten im Wesentlichen (hoch-)qualifizierte Arbeitsfelder in der Wirtschaft) weniger eine Rolle spielen, da sie motorische Komponenten betreffen. Während Kenntnisse am schnellsten zu erlernen sind, dauert es oft Jahre, bis man relevante Berufserfahrung vorweisen kann, wie Hochschulabsolventen bei ihren ersten Bewerbungen oft leidvoll erfahren. Die eigenen Fähigkeiten zu verändern, zu erweitern oder sich neue anzueignen, stellt hinsichtlich Dauer und Intensität die größte Herausforderung dar ( Abb. 5).
Abb. 5: Kompetenzpyramide
Kompetenzen können also unterteilt werden in Kenntnisse, Erfahrungen und Fähigkeiten einer Person. Der Charakter zählt nicht dazu, denn er ist am wenigsten veränderbar. Unternehmen fokussieren sich vor allem auf veränderbare Kompetenzen bei Mitarbeitern, da diese im Rahmen von vertretbaren Zeiträumen entwicklungsfähig sind. Die geringe Veränderungsdynamik von Charaktereigenschaften vermittelt die Geschichte von Schildkröte und Skorpion ( Abb. 6).
Fähigkeiten gewinnen für das Arbeitsleben zunehmend an Bedeutung. Man bezeichnet sie deshalb inzwischen auch häufig als sogenannte Schlüsselqualifikationen und Unternehmen legen zunehmend mehr Wert auf diese positions- und tätigkeitsübergreifenden Merkmale im Arbeitsprozess, gerade in Hinsicht auf die Qualifizierung für zukünftige Aufgaben. Hierbei sollte man aber unter Schlüsselqualifikationen keine grundlegenden Persönlichkeitsmerkmale oder grundlegende Werthaltungen wie ethisch-religiöse Überzeugungen erwarten, die für den Arbeitsprozess keine unmittelbare Relevanz besitzen und zudem in die Privatsphäre der Person eingreifen.
Auch eine Überbewertung von Schlüsselqualifikationen als universelle eignungsdiagnostische Merkmale für sozusagen jede beliebige Anforderung würde verkennen, dass Kenntnisse, Berufserfahrung oder kognitive Fähigkeiten immer ebenso wesentlich für beruflichen Erfolg bleiben werden. Dennoch sind in der
Abb. 6: Schildkröte und Skorpion
Personalauswahl Fähigkeiten wie Initiative, Verantwortungsbereitschaft, Motivation, Teamfähigkeit etc. für den beruflichen Erfolg als gleichwertig mit den fachlichen Kompetenzen zu werten. Nicht nur hinsichtlich der zu besetzenden Tätigkeit, auch hinsichtlich der vorherrschenden Firmenkultur ist es notwendig, die Personalauswahl auf die bestehenden Verhältnisse in der Unternehmenskultur abzugleichen. So hat jedes Unternehmen unterschiedliche Leitsätze, die sich in der Definition gewünschter Fähigkeiten niederschlagen.
Dabei ist erfolgskritisch, welche Fähigkeiten durch Weiterbildung in adäquatem Zeit- und Geldaufwand verbesserbar sind. Während Kenntnisse und Fertigkeiten sich durch Training relativ schnell verbessern lassen, ist bei Fähigkeiten, aufgrund ihrer Nähe zu allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen, mit höherer Stabilität zu rechnen. Auch dies ist ein Grund, warum sich Auswahlverfahren zunehmend bemühen, Fähigkeiten zu diagnostizieren. Denn was in der Personalauswahl versäumt wird, lässt sich mit erfahrungsgemäß mit Personalentwicklungsmaßnahmen nur unzureichend korrigieren.
In der Vergangenheit wurden größtenteils in der Organisation eines Unternehmens operative und strategische Bereiche getrennt. Demnach fand sich etwa klassisches Recruiting im operativen Personalwesen, Personal- und Organisationsentwicklung jedoch meist im Stabsbereich wieder. Diese Trennung beruhte nicht nur auf praktischen Erwägungen, sie ging bis auf humanistische Grundüberzeugungen zurück. Heute ist man bezogen auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Mitarbeiter nicht mehr so euphorisch, was auch an einem Wechsel vom milieutheoretischen Paradigma, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1990er Jahre verbreitet war, hin zu einer mehr evolutionsbiologisch geprägten, hereditären Sichtweise liegt. Die heute verbreitete Annahme, Versäumnisse in der Personalauswahl ließen sich durch Personalentwicklungsmaßnahmen nur schwer korrigieren, hat dabei mehrere Facetten.
Zum einen spielt die Berücksichtigung von Folgekosten eine Rolle. So werden beispielsweise bei einem höheren Verantwortungsbereich einer Führungskraft auch Fehlentscheidungen von größerer Tragweite sein. Das kann sich auf die Geschäftsstrategie eines Unternehmens ebenso beziehen wie auf die Motivation der geführten Mitarbeiter. Falsche Personalentscheidungen beinhalten nicht nur verschwendete Werbungs-, Auswahl- oder Fluktuationskosten. Im Falle von Führungskräften betrifft das u. U. auch demotivierte Mitarbeiter und damit Produktivitätsverluste ganzer Abteilungen. Zum anderen bleibt strittig, ob Versäumnisse in der Personalauswahl durch entsprechende Entwicklungsmaßnahmen, sei es durch Training oder Coaching, überhaupt aufgefangen oder sogar korrigiert werden können.
Kenntnisse, also etwa Sprach- oder EDV-Kenntnisse sowie die erforderliche Berufserfahrung für eine Position lassen sich ohne Schwierigkeiten aus dem Lebenslauf eines Bewerbers ersehen. Sollten hier Kenntnisse fehlen oder sich mit der Zeit als unzureichend erweisen, lassen sie sich sehr gut mit klassischem Training oder Weiterbildung auffrischen bzw. erwerben. Was sich aus dem Lebenslauf nicht ergibt, sind die Fähigkeiten, die ein Mensch mitbringt. Die geforderten Fähigkeiten können für verschiedene Tätigkeiten sehr unterschiedlich sein. So braucht ein Vertriebsmitarbeiter u. U. ein gewisses Maß an Extrovertiertheit, Freude am Kontaktknüpfen mit Menschen, sowie eine gewisse Eloquenz. Das Anlegen dieser Kriterien bei der Auswahl eines Softwareprogrammierers würde hingegen nicht sinnvoll sein, da sie keine Relevanz für seine berufliche Tätigkeit haben. Es mag möglich sein, beispielsweise einen introvertierten Programmierer zu einem erfolgreichen Verkäufer zu trainieren. Die vorhandene Anzahl an angebotenen Verkaufstrainings spricht Bände und es spielt dabei sicher eine Rolle, dass ein großer Teil der Weiterbildungslandschaft von Pädagogen besetzt ist, und historisch damit ein Fokus auf milieutheoretische Ansätze nicht überraschen muss. Unabhängig davon, ob jemand, der introvertiert ist, an einer Verkaufstätigkeit oder an einer öffentlichkeitswirksamen Position überhaupt Freude hätte, werden die angeborenen Dispositionen nicht nur viel Training benötigen, sondern sie stecken auch den Rahmen der beruflich erreichbaren Exzellenz. Insofern gilt der Erfahrungswert im Personalwesen: Was in der Personalauswahl versäumt wird, lässt sich mit Personalentwicklungsmaßnahmen nur schwer korrigieren. Unternehmen sind deshalb zunehmend daran interessiert gerade den Kompetenzbereich der vorhandenen Fähigkeiten zu evaluieren.
Recruiting kann grob in drei Aufgabenteile gegliedert werden: »Attract« (Personalmarketing), »Select« (Personalauswahl) und »Integrate« (Personalintegration). Die Integrationsphase geht nach überstandener Probezeit unmittelbar in die Bindungsphase (Retention) über und ab diesem Zeitpunkt ist nicht mehr das Recruiting, sondern die interne Personalentwicklung für die weitere Karriere der Mitarbeiter zuständig.
Auf der Ebene von Attract müssen sich Unternehmen in der Zukunft mehr und mehr bemühen, »Employer of Choice« zu werden, eine Aufgabe insbesondere für das Personalmarketing. Stipendien und duale Ausbildungswege machen Unternehmen zu attraktiven Arbeitgebern. Es ist immer wichtiger geworden, schon potenziell qualifizierte Arbeitnehmer für Unternehmen zu interessieren und früh eine Bindung zu schaffen. Ein Beispiel hierfür sind Girls‹ und Boys‹ Days gegen Rollenklichees bei der Berufswahl. Aber auch die Rekrutierung neuer Mitarbeiter durch eigene Mitarbeiter ist ein gutes Beispiel für Personalmarketing. Unabhängig von der nachweislichen Qualität solcher Empfehlungen (weil unwahre Aussagen auf die empfehlenden Mitarbeiter zurückfielen) und ihren Nutzen für Select, stärken solche Aktionen auch die Firmenverbundenheit der rekrutierenden Mitarbeiter. Schließlich möchte jeder Mitarbeiter auf sein eigenes Unternehmen stolz sein. Aber auch Work-Life-Balance-Programme sowie generell die Möglichkeit, in Zukunft durch »Empowerment« der Mitarbeiter mehr Firmenverbundenheit und Sinnerfüllung in der Arbeit zu ermöglichen, werden wesentliche Komponenten sein, um sich im »War for Talents« als Unternehmen behaupten zu können.
Dabei bleiben die wesentlichen Differenzierungsstrategien im Personalmarketing erhalten. Wie sich wahlweise etwa mit »Idealpunkt«- oder »Präferenzmodellen« darstellen lässt, ziehen Unternehmen gezielt durchaus verschiedene potenzielle Bewerbergruppen mit ihren Personalimage-Portfolios an. Das Personalmarketing eines Unternehmens arbeitet mit seinen Methoden sehr gezielt daran, das gewünschte Arbeitgeberbild (z. B. Sicherheit des Arbeitsplatzes, Internationalität, moderne Organisationsstrukturen) zur Zielgruppe zu transportieren ( Abb. 7).
Abb. 7: Personalimage-Portfolio (modifiziert nach Scholz 2000)
Die Aufgaben des Personalmarketings enden nicht mit dem Bewerbungsprozess. Über die Integration neuer Mitarbeiter bis hin zur Personalfreisetzung achtet das Personalmarketing auf ein vorteilhaftes Unternehmensimage intern und extern und sorgt für positive Kommunikationsprozesse. Dazu wird es in der Zukunft für die Unternehmen immer wichtiger werden zu definieren, was sie unter »Talenten« überhaupt verstehen. Wenn man nicht weiß, wen man sucht, kann man die Person auch mit den besten Auswahlinstrumenten nicht finden. Die Auswahlinstrumente müssen den bestmöglichen professionellen Ansprüchen genügen, und die bei der Auswahl beteiligten Führungskräfte müssen sorgfältig geschult werden.
Für Bewerber ist ein Interviewpartner eines Unternehmens immer auch Unternehmensrepräsentant und als solcher Imageträger. Personalauswahlsituationen sind deshalb auch Marketing-Events. Unternehmen müssen sich verdeutlichen, dass verprellte Bewerber immer auch verprellte »Kunden« sein können und zudem hervorragende, aber eben auch katastrophale Multiplikatoren im Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis. Ist das Image einmal ruiniert, dauert es oft Jahre, bis ein Unternehmen im Employer-Ranking wieder nach oben klettert.
Sind genügend qualifizierte Bewerber vom Unternehmen angezogen und auch ausgewählt worden, geht es darum, diese möglichst schnell produktiv einsetzen zu können, zu integrieren und Fluktuation, insbesondere in den ersten Monaten und Jahren, zu verhindern. Schließlich wurde bereits in jeden neuen Mitarbeiter investiert. Dazu können beispielsweise Mentoren-Programme initiiert werden. Integrationsveranstaltungen sorgen darüber hinaus für die Bildung von Netzwerken unter den neuen Mitarbeitern. Mittel- und langfristig wird so Integration zu Retention. Hier beginnt die Arbeit der internen Personalentwicklung.
Eine der aktuellen Erfordernisse im Recruiting ist es, sowohl ältere Bewerber zu berücksichtigen als auch die Gruppe der hochqualifizierten Frauen zu gewinnen. Um sie zu gewinnen und zu halten, werden die Unternehmen flexible Arbeitszeiten, Work-Life-Balance-Programme, Kinderbetreuungsmöglichkeiten etc. noch stärker ausbauen müssen. Unternehmen müssen sich in einem arbeitnehmerorientierten Arbeitsmarkt, wie er zunehmend durch die Demografie entsteht, verstärkt um die Bedürfnisse der Arbeitnehmer kümmern. War es früher vor allem geboten, dass sich Mitarbeiter an eine bestehende Unternehmenskultur anpassten, passen sich Unternehmen zunehmend an die pluralen Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter-»Welten« an, um nicht die besten Bewerber an die Wettbewerber zu verlieren. Sehen wir uns im Folgenden einmal ausgewählte Methoden im »Recruitingzyklus« näher an ( Abb. 8).
Nachdem der Personalbedarf quantitativ und qualitativ bestimmt ist, helfen Personalreferenten den Fach-Führungskräften in der Regel, ein Anforderungsprofil zu definieren, das im Einklang mit den Erfordernissen des Kompetenzmanagements eines Unternehmens steht. Danach wird die Vakanz zusätzlich zur internen Pflichtausschreibung in Zeitungen, Internet und zielgruppenrelevanten Zeitschriften veröffentlicht. Alternativ gibt ein Unternehmen den Auftrag an externe Headhunter, etwa aufgrund mangelnder interner Ressourcen oder aufgrund mangeln-
Abb. 8: Recruiting-Cycle: Attract – Select – Integrate
der Resonanz einer Ausschreibung. Der erste relevante Auswahlschritt ist die Selektion der eingehenden Bewerbungsunterlagen. Gegebenenfalls kann man Online-Auswahlverfahren oder digitale Kommunikationsformen wie Recruiting-Chatbots zur Vorselektion nutzen. Danach schließen sich persönliche Auswahlverfahren wie Interview oder Assessment-Center an. Die Verwendung eines Video-/Telefoninterviews ist beispielsweise sinnvoll, wenn es offene Fragen zu Bewerbungsunterlagen gibt oder hohe Anreisekosten des Bewerbers anfallen würden. Kommt es danach nicht zur Besetzung, wiederholen sich die Schritte ganz oder teilweise.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) trat als Durchsetzung von EU-Recht im August 2006 auch in Deutschland in Kraft und hat den Bewerbungsprozess verändert. Das AGG versucht, Diskriminierung anhand von acht Merkmalen zu verhindern ( Abb. 9). Die Kriterien sind ethnische Herkunft und Rasse, Weltanschauung und Religion, Geschlecht, sexuelle Identität, Behinderung und Alter. Dabei ist zu beachten, dass Diskriminierung nicht nur unmittelbar, sondern auch mittelbar erfolgen kann. Werden beispielsweise Teilzeitkräfte diskriminiert, so lässt sich damit aufgrund des hohen Prozentsatzes teilzeitbeschäftigter Frauen auch mittelbar eine Diskriminierung nach Geschlecht unterstellen. Es gibt drei Ausnahmen, bei denen die acht Merkmale nicht gelten, nämlich
1. wenn bestimmte berufliche Anforderungen vorliegen,
2. wenn Maßnahmen, die gerade zur Verhinderung von Benachteiligung ins Leben gerufen wurden, dagegensprechen, sowie
3. wenn spezielle Rechtfertigungsgründe vorliegen.
Abb. 9: Diskriminierungsmerkmale nach dem AGG
Das AGG hat insbesondere auf die Personalbeschaffung große Auswirkungen. Es beginnt mit der Forderung, diskriminierungsfrei auszuschreiben sowie der Empfehlung, mindestens zwei Interviewer zu beteiligen und ein strukturiertes Interview durchzuführen. Die Interviewer können im Klagefall jedoch nur dann als Zeugen auftreten, wenn sie selbst nicht zugleich Unternehmer sind. Ein »strukturiertes Interview« mit vorgegebenem Inhalt, das für alle Bewerber gleich verwendet wird, bietet den Vorteil, dass fachliche Absagegründe belegt werden können und so Diskriminierungsvorwürfen vorgebeugt werden kann.
In der Ausschreibung der Stelle muss darauf geachtet werden, dass sowohl direkte als auch indirekte Diskriminierungsformulierungen vermieden werden. Selbst wenn man gern junge Mitarbeiter einstellen würde, weil diese am besten in das vorhandene Team passen, ist diese Formulierung verfänglich. Es wird zwar kein junger Mitarbeiter gesucht, aber indirekt lässt sich darauf schließen. Auch wenn hier ein Grenzfall vorliegt, lautet ein Richtwert, bei Ausschreibungen mehr die Anforderungen der Stelle zu beschreiben (Funktion) als die gewünschte Qualifikation des Bewerbers (Person).
Das bedeutet beispielsweise keinen »mobilen Mitarbeiter« (personenbezogen) zu suchen, sondern darauf hinzuweisen, dass mit der Stelle Reisetätigkeiten verbunden sind (funktionsbezogen). Ausnahmen können zugelassen werden, wenn sie einen der drei oben erwähnten Ausnahmegründe betreffen. Etwa eine Schauspielrolle als »Jugendlicher Liebhaber für Theateraufführung gesucht« auszuschreiben, wäre unverfänglich, weil die Kriterien Alter und Geschlecht für die speziellen beruflichen Anforderungen unabdinglich sind.
Es ist für Unternehmen notwendig, alle den Bewerber betreffenden Unterlagen so lange nach erfolgtem Absageschreiben aufzubewahren, wie eine mögliche Klagefrist läuft. Eine grundsätzliche Empfehlung für Unternehmen seit Eintreten des AGG lautet, den Bewerbern keine Absagegründe mehr zu nennen. Hintergrund ist die Angst, von Bewerbern beklagt zu werden, sollte eine unmittelbare bzw. mittelbare Diskriminierung nach den Kriterien des AGGs vorliegen. Dies betrifft nicht nur externe Bewerber, sondern oft auch Bewerber, die sich innerhalb des Unternehmens bewerben. So empfehlenswert dies arbeitsrechtlich sein mag, so wenig kundenfreundlich gestaltet sich dieses Vorgehen, weil Bewerber kein Stärken- bzw. Schwächen-Feedback mehr erhalten. Um dieses Feedback zu ermöglichen, ist es sinnvoll, Absagen von Mitarbeitern durchführen zu lassen, die im AGG bewandert sind, wie z. B. Personalmitarbeiter. Auch nach den Richtlinien des AGG ist es weiterhin möglich, detaillierte Absagegründe zu nennen, solange man dies professionell tut, also die Absage streng an Merkmalen der fehlenden Qualifikation ausrichtet.
Zum einen ist es kundenfreundlich, dem Bewerber ein detailliertes Stärken- und Schwächen-Feedback zu geben. Es zeigt, dass sich ein Unternehmen mit dem Bewerber auseinandergesetzt hat, und die Absage aufgrund von präzisen, wohlüberlegten und fachlichen Gründen erfolgt. Ein solches qualifiziertes Feedback, das sich an der beobachteten Leistung orientiert, läuft nicht Gefahr, in Hinsicht auf das AGG kritisiert zu werden. Zum anderen bleiben auch mit dem AGG immer noch Differenzierungsgründe gegeben, z. B. hinsichtlich Kriterien beruflicher Anforderung.
Auch Feedback innerhalb bzw. im Nachgang eines Auswahlverfahrens kann so weiterhin gegeben werden und ist aufgrund der starken Strukturierung beispielsweise eines Assessment-Centers noch unverfänglicher als nach einem Interview. Denn das Feedback richtet sich in der Begründung der beobachteten Stärken und Schwächen streng nach den wahrgenommenen und dokumentierten Kompetenzen, die mehrere Beobachter im Konsens festgestellt haben. Das AGG ist ein Gesetz zur Verhinderung von Diskriminierung. Hierbei sollte nicht vergessen werden, dass eine Gleichstellung im Sinne eines Benachteilungsverbots gemeint ist. Es ist kein Anspruch auf Besserstellung damit verbunden ( Abb. 10).