Das Buch
Ausgerechnet Zarah, die angehende Modedesignerin, strandet mit ihrer Mama bei Opa Heinz auf dem Bauernhof! Was für eine fremde Welt für sie! Als Jasper – das zu klein geborene Pony von Tigerscheck-Stute Zimtschnecke – in ihr Leben plumpst, ist Zarah plötzlich als Fläschchengeberin gefragt. Gut, dass ihre neue Klassenkameradin Jantje über Pferde besser Bescheid weiß als Google und Zarah mit Rat und Tat zur Seite steht. Gemeinsam zeigen sie allen, dass man auch rückwärts durchs Leben reiten kann, wenn es die Umstände erfordern.
Die Autorin
© Vanessa Rosenbrock
Mina Teichert wurde in dem schneereichen Jahr 1978 in Bremen geboren und lebt mit ihrer kleinen Familie im ländlichen Idyll Niedersachsens. Nachdem sie zunächst als Kind hartnäckig das Ziel verfolgte, Kunstreiterin im Zirkus und Wahrsagerin zu werden, sattelte sie mit vierzehn um und träumte von dort an von der Schriftstellerei. Heute schreibt sie mit Begeisterung Geschichten für Jung und Alt.
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Der Verlag
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Viel Spaß beim Lesen!
Ich schlüpfe in meine Designer-Gummistiefel mit Blumenprint. Die hat mein Papa, ein Modedesigner, selbst für mich entworfen, als er erfahren hat, dass ich ab jetzt auf dem Land leben muss. Im verregneten Norden Deutschlands, auf einem ehemaligen Bauernhof mit viel Schlamm und Pfützen. Wie gerne wäre ich jetzt bei ihm in New York. In Amerika, dem Land der begrenzten Unmöglichkeiten, oder so ähnlich, um Klamotten zu schneidern. Ganz sicher würde ich eines Tages auch Mode machen und berühmt werden. So ist zumindest mein ultimativer Plan. Dumm nur, dass Mama unbedingt zu Opa Heinz und nicht weiter die Welt bereisen will. Dabei hatten wir noch längst nicht alles gesehen, was der Planet so zu bieten hat.
Ich seufze, während ich mich erhebe und durch die Haustür auf den großen Hof trete. Sofort pfeift mir frischer Wind um die Ohren und ich schließe schnell den Reißverschluss meiner Jacke. Sie ist knallgelb mit schwarzen Knöpfen und ich weiß noch, dass ich sie in Neuseeland gekauft habe. Es war der Tag, an dem wir blaue Zwergpinguine an der Küste beobachtet haben. Das war lustig, denn diese Tiere sind ganz schöne Wichtigtuer, die an Land so unbeholfen sind wie ich im Sportunterricht.
»Süßfratz!«, begrüßt Mama mich fröhlich. »Na, ausgeschlafen?« Sie schiebt eine Schubkarre vor sich her und hat einen grünen Kittel an. In ihrem blonden Haar steckt eine Rosenblüte. Ich würde ihr eher eine Primel als Schmuck empfehlen, denn ich wette, sie geht hier demnächst vor Langeweile ein wie eine Primel. Das sagt man hier doch so, oder?
»Never. Ich habe meinen Schönheitsschlaf abgebrochen, als der komische Geruch kam«, sage ich zu ihr und rücke mir meine Brille auf der Nase zurecht.
Mama lacht. »Opa fährt Gülle aufs Feld«, traut sie sich doch tatsächlich zu sagen, und ich mache Würgegeräusche. Die Vorstellung von umherfliegender Kacke aus einem Güllefass am frühen Morgen gefällt mir nicht. Ebenso wenig wie der Plan, hier sesshaft zu werden, wie Mama immer sagt. Das bedeutet nämlich, sie will allen Ernstes hierbleiben. Hier in der Pampa. Für immer. No way!
»Das ist ja ungeheuerlich«, zische ich und streiche mir meine blonden Locken hinters Ohr. »Gibt es kein Gesetz, das besagt, dass man unschuldig Schlafende nicht mit Gestank belästigt?«, motze ich und stapfe ihr hinterher. »Da ist mir der Duft vom Fischmarkt in Sri Lanka ja sogar lieber«, behaupte ich einfach mal.
Mama hebt eine Augenbraue und schaut mich an. »Du warst vier Jahre alt, als wir dort waren, und hast dich in deinen Buggy erbrochen«, erinnert sie mich an den schlimmen Tag in der Hitze, und ich winke ab.
Zugegeben, es stank entsetzlich. Und da ich Fische nur mag, wenn sie fröhlich in einem Aquarium schwimmen, war allein der Anblick schrecklich. »Ach, das war halb so wild. Das können wir gerne jederzeit wiederholen. Hauptsache, ich kann hier wieder weg.« Ich verleihe meiner Stimme ganz viel Kraft. Irgendwann muss meine Mutter doch einsehen, dass ihr Plan nicht gut ist. Und wenn es so weit ist, sage ich nur allzu gerne Cheerio, Deutschland und Auf nimmer Wiedersehen!
Jetzt ist es Mama, die laut seufzt und mit den Augen rollt. Das kann sie echt gut, ich hab es ihr selbst beigebracht.
Ihre Schritte werden schneller, die Schubkarre poltert über Kopfsteinpflaster und ich stoße einen schrillen Schrei aus, als Fridel die Ziege um die Ecke schießt. Sie hat nur ein Horn und ist ganz weiß.
Als ich sie vor einigen Tagen das erste Mal gesehen hab, dachte ich zuerst, sie wäre vielleicht ein verwunschenes Einhorn. Ein zauberhaftes Wesen, das mir die Zeit hier versüßen könnte. Doch das dachte ich nur so lange, bis sie mich gebissen und über den ganzen Hof gejagt hat. Ich schwöre, dieses Vieh hat ’ne tolle Wut oder so ähnlich. Das ist eine Krankheit, bei der man mordsgefährlich wird.
Aber keiner glaubt mir. Nicht mal Opa, der sich sonst alles erzählen lässt. Sogar, dass Albatrosse rückwärts fliegen können, wenn sie was zu Hause vergessen haben.
»Hilfe, Mama! Tu was«, fordere ich von meinem Muttergedöns und flüchte vor Fridel. Doch die denkt nicht dran, mich zu retten. Ich bringe die Schubkarre zwischen mich und die Ziege.
Fridel meckert und kracht mit seinem Horn in die Karre. Krawumm!
»Zarah, ich hab dir schon hundert Mal erzählt, du darfst nicht vor der Ziege weglaufen. Du bringst sie damit dazu, Unsinn zu machen.« Mama lacht meckernd mit Fridel um die Wette, und ich fühle mich unglaublich allein auf der Welt.
In der Ferne brummt Opa Heinz’ großer Trecker und ich wünsche mich nach Thailand an einen weißen Strand. Oder nach Frankreich auf den Eiffelturm. Jedenfalls ganz weit weg von hier.
Schöner Mist! Jetzt sind meine Gummistiefel auch noch dreckig, denke ich, als ich in einen braunen Fladen trete, der einfach so im Weg herumliegt.
Am Nachmittag sitze ich gerade an meinem Zeichenblock und entwerfe eine neue Brillenkollektion, da klingelt es an der Tür. Ich beschließe, es zu überhören, denn ich zeichne das modische Gestell »Krokodils forever«, und da muss jeder Bleistiftstrich sitzen. Es werden die schönsten grünen Brillen der Welt, und ich kann es gar nicht erwarten, sie Guido Maria Kretschmer vorzustellen. Der ist nämlich auch Designer und wohnt in Deutschland. Das hat mir Google verraten.
Als das Klingeln immer ungeduldiger wird, gehe ich doch nach unten und öffne die Haustür.
Opa Heinz sieht ganz schön aufgeregt aus. Sein Gesicht ist ziemlich rot und seine letzten weißen Haare am Hinterkopf stehen ihm zu Berge. Hoffentlich hat er nicht in eine Steckdose gefasst und einen Stromschlag bekommen. So was ist einmal einer Klassenkameradin in China passiert. Die wollte beweisen, dass Elektrizität nicht gefährlich ist, weil wir schließlich selbst aus Energie bestehen. Ziemlich haltlose Behauptung, wenn man mich fragt. Wenn das wahr wäre, dann würde ich nicht immer so lange schlafen. Und ich wäre nicht so oft müde.
»Mädchen, komm mit in den Stall«, sagt er zu mir, und ich schüttle energisch mit dem Kopf.
Ich denke gar nicht daran. Meine Haare sind noch nass, weil ich mir gerade erst den Landgeruch mit ganz viel Maracuja-Shampoo ausgewaschen habe.
»Ein Mädchen von Welt gehört auf die Bühne, nicht in den Stall«, gebe ich Papas Worte zu Mamas Idee des Landlebens wieder.
»Komm schon, Kröte«, brummt er einmal mehr.
Ich schätze es nicht, dass er mich so nennt. Auch wenn er behauptet, dass ich auf dem ersten Ultraschallbild von Mamas Babybauch so aussah. Wie eine kleine Kröte.
Opa eilt an mir vorbei in die Küche, füllt einen Eimer mit heißem Wasser und drückt mir Handtücher in den Arm. »Ich brauche aber deine Hilfe, zieh dir was an«, fordert er und winkt mich hinter sich her. Einen Moment überlege ich, ihm die Nummer der Feuerwehr zu geben, beeile mich dann aber, in meine Jacke zu kommen.
»Okay. Was ist denn eigentlich los, Opa?«, frage ich, als er eilig das Haus verlassen will. Ich hüpfe, der Gummistiefel sitzt nicht richtig am Fuß und die Tür knallt hinter uns ins Schloss. Ich laufe durch den Regen, Opa immer hinterher. Meine Brillengläser bekommen Tropfen ab und beschlagen. Komischer Frühling hier, es ist irgendwie viel zu nass und kalt. Fast wie in Kanada. Ich schaue in den Himmel, graue Wolken türmen sich zu Monsterbergen auf.
»Zimtschnecke hat Probleme«, lässt Opa mich wissen und ein Donnergrollen ertönt.
Das ist nicht unbedingt eine neue Information. Dass offensichtlich etwas mit der dicken Ponystute nicht stimmt, war mir sofort klar, als ich sie kennenlernte. Denn Zimtschnecke ist fast immer schlecht gelaunt, es sei denn, sie kriegt Kekse.
»Hat sie Blähungen? Sie isst ja den ganzen Tag, vielleicht braucht sie nur einen Tee?«, vermute ich.
Ich hatte mir mal meinen Magen in der Türkei verdorben, weil ich den ganzen Tag Döner und Eis gegessen hatte. Und das Pony hat eigentlich auch immer was im Maul und kaut.
»Nein, das ist es nicht. Ich befürchte, wir bekommen Nachwuchs«, antwortet Opa und hetzt voran. Er drückt die Scheunentür auf.
»Nachwuchs?« Für einen Moment ist mir die Bedeutung dieses deutschen Wortes entfallen. Wuchs wie wachsen? Hat aber wohl nichts mit Waxing zu tun. Das macht Mama manchmal mit ihren Beinen, wenn sie sich die Haare mithilfe von Wachs ausreißt. Ausgesprochen schmerzhafte Angelegenheit, sie heult dabei fast immer.
»Ich hatte keine Ahnung, dass Zimtschnecke eine Affäre hatte«, brummt Opa. »Sie war letzten Sommer einmal ausgebüxt, musst du wissen. So, wie es aussieht, hatte sie eine Liebelei.« Heinz lacht, greift sich daraufhin an seinen kaputten Rücken und jammert leise, während er voran in den Stall geht.
»Du meinst, Zimtschnecke ist schwanger?«, frage ich ungläubig und meine Gedanken tollen wild in meinem Kopf umher. Tante Bärbel hatte mal eine Affäre und dann ein Wunschbaby, oder so ähnlich.
Ich muss zugeben, ich mag Pferde nicht sonderlich. Sie sind mir zu groß, auch wenn Zimtschnecke nur ein Shetlandpony ist. Aber wenn mich nicht alles täuscht, sind sie sogar mit den afrikanischen Flusspferden verwandt, und das sind die gefährlichsten Tiere der Welt. Die haben mehr Menschen auf dem Gewissen als Löwen. Die reißen sogar ganze Schiffe auf den Flüssen in die Tiefe. Wenn man mich fragt, die kommen direkt aus der Hölle. Da sag ich lieber Cheerio, allerseits!
»Ja, und sie liegt bereits in den Wehen«, holt mich Opa Heinz aus meinen Gedanken. Er öffnet die Tür zur Box, ich folge ihm.
Zimtschnecke liegt im Stroh und schwitzt ganz stark. Ihr weißes Fell, das von roten Sprenkeln, die an Zimt erinnern, übersät ist, wirkt ganz nass. Armes Pony.
Heinz geht zu ihr, kniet sich neben die Stute und streichelt sie. »Gute Zimty«, tröstet er sie. »Du schaffst das!«
Fridel, eine Box weiter, meckert blöde.
Ich komme vorsichtig näher. »Hat sie Schmerzen?«, will ich wissen. Vielleicht hilft ihr eine Kopfwehtablette?
»Frag mal deine Mutter, wie es ist, ein Kind zu gebären, Kröte«, antwortet mein gewitzter Opa mit einer Gegenfrage.
Mama hat meine Geburt verschlafen, so schlimm kann es nicht gewesen sein, überlege ich.
»Hast du vergessen, dass ich ein kaiserlicher Schnitt war?«, frage ich, während ich die frischen Handtücher auf einen Strohballen lege.
»Du meinst einen Kaiserschnitt. Ich hoffe, das wird bei Zimtschnecke nicht nötig«, brummt Opa und sieht sich die Kehrseite des Ponys an.
»Steckt das Baby etwa fest?«, vermute ich und schlage mir die Hände vors Gesicht, als mein Opa die Ponystute unsanft zum Aufstehen zwingt. »Sie liegt viel zu nahe an der Wand, so wird das nichts«, erklärt er mir und hilft dem kleinen Pferd, sich in die Mitte der Box zu stellen.
Dann geht plötzlich alles ganz schnell. Zuerst gucken nur winzige Pferdefüße aus Zimtschneckes Rückansicht. Dann ein kleiner Kopf, dann macht es Flatsch und ein winziges Fohlen fällt kopfüber ins Stroh.
»Hoppla«, sagt Heinz.
»Argh«, mache ich, weil noch ganz viel Blut und so hinterherkommt. Das Wunder der Geburt ist ziemlich eklig.
»Schau mal, Zarah. Es ist ein Junge«, freut sich Opa und ich muss aufpassen, dass ich mich nicht übergebe. Für einen Moment bin ich sogar froh, dass meine Brille immer noch beschlagen ist.
»Cheerio«, brumme ich mein Hurra und traue mich jetzt doch, in die Box zu linsen. Und neben der dicken Zimtschnecke liegt ein fuchsfarbenes kleines Wesen. Es ist ganz schön vollgeschleimt, aber trotzdem ziemlich niedlich, wie es jetzt versucht, auf die krummen Beine zu kommen, es jedoch nicht schafft. Opa macht es sauber und Zimtschnecke gleich mit. Und ich reiche ihm Handtücher, damit er das Baby trocken rubbeln kann.
Mein Herz schlägt immer schneller in meiner Brust, ich kann nichts dagegen machen. »Oh, ist das süß«, schnurre ich und traue mich neben Heinz.
Das Fohlen liegt erschöpft halb unter Zimtschneckes Bauch. Die Stute beginnt wieder Heu zu zupfen, als wäre nichts passiert. Die hat ja Nerven.
»Da hast du recht, Kleines. Es ist wirklich niedlich«, brummt Opa. Aber in seiner Stimme liegt eine gewisse Unsicherheit. Wie bei Mama, wenn sie dem Navigationssystem nicht traut. Es wollte uns schon mal mit dem Auto über einen Fluss in Belgien schicken. Ohne Brücke, ohne Schwimmflügel.
»Ja, oder?« Ich knie mich ins Stroh, strecke die Hände nach dem Baby aus. Zimtschnecke dreht sich mürrisch zu mir um.
»Pass auf, wenn die Stute die Ohren anlegt, dann ist das eine Drohung. Vielleicht möchte sie dich erst näher kennenlernen, bevor du ihr Kind anfassen darfst«, warnt Opa und tätschelt die Mutterstute. »Zarah ist eine liebe Kröte«, legt er ein gutes Wort für mich ein. »Du brauchst dich nicht zu sorgen«, meint er zu ihr.
»Ich werde ganz nice sein zu deinem Fohlen«, verspreche ich hoch und heilig. Und ich werde es mit aufs Sofa nehmen, so viel steht fest.