Gay Drama
© Urheberrecht 2017 Jona Dreyer
Impressum:
Tschök & Tschök GbR
Alexander-Lincke-Straße 2c
08412 Werdau
Text: Jona Dreyer
Coverdesign: Jona Dreyer
Coverbilder: Depositphotos
Lektorat/Korrektorat: Kelly Krause, Kristina Arnold, Johanna Temme, Sandra Schmitt & Doris Lösel
Kurzbeschreibung:
Ein Blick in die Mündung einer Waffe. Ein Blick in den Abgrund einer Seele.
Um seine Haushaltskasse aufzubessern, trägt der junge Buchhändler David Rowbotham in seinem beschaulichen, englischen Heimatdörfchen die Zeitungen aus. Sein täglicher Weg führt ihn auch zu dem einsamen Haus am Ortsrand, das im Dorf nur als »das Geisterhaus« bekannt ist.
Dessen Bewohner ist seltsam. Verrückt. Anziehend. Gefährlich.
Fasziniert von dem geheimnisvollen Mann, kehrt David wieder und wieder zu dem Haus zurück. Ein Spiel zwischen Licht und Dunkelheit beginnt …
Über die Autorin
»Fantasie ist wie ein Buffet. Man muss sich nicht entscheiden – man kann von allem nehmen, was einem schmeckt.«
Getreu diesem Motto ist Jona Dreyer in vielen Bereichen von Drama über Fantasy bis Humor zu Hause. Alle ihre Geschichten haben jedoch eine Gemeinsamkeit: Die Hauptfiguren sind schwul, bi, pan oder trans. Das macht sie zu einer der vielseitigsten Autorinnen des queeren Genres.
Er wurde bäuchlings gegen eine Wand gestoßen. Heißer, abgehackter Atem traf auf sein Ohr, während sämtliche Luft aus seiner Lunge gepresst wurde. Ein fester Körper drängte sich an ihn, ein nicht minder fester Griff in seinen Nacken.
»Ich hatte dich gewarnt«, zischte eine Männerstimme in sein Ohr. Dunkel, brodelnd, immer ein wenig heiser. »Oder etwa nicht?«
»Das hattest du«, bestätigte er. Ein Zittern erfasste seinen Körper. Eine Mischung aus Angst, Erregung und Adrenalin.
»Und du hältst es für eine kluge Idee, meine Warnungen zu ignorieren?«
Der Körper drängte sich noch fester gegen ihn. Der schwache Geruch von Patchouli stieg ihm in die Nase und vertrieb für einen Moment den der alten, muffigen Tapete an der Wand. Er spürte, wie die Situation ihn erregte, obwohl er, wie er es schon so oft gedacht hatte, lieber davonlaufen sollte. Aber etwas hielt ihn hier. Eine dunkle Macht. Eine Macht, die dem Mann innewohnte, der ihn gerade gegen die Wand drückte. »Manchmal will ich es«, flüsterte er mehr zu sich selbst. »Die Fackel an den Eisblock halten und sehen, ob er schmilzt.«
Der Mann hinter ihm lachte leise, sodass erneut kurze Atemstöße auf seine Wange trafen. Und ein Hauch von Absinth. »Du beschwörst Geister, die du nicht kontrollieren kannst, Junge.«
»Dich?«
Er hörte den anderen schlucken. »Mich.«
»Ich habe keine Angst vor dir.«
Der Druck des Körpers veränderte sich. Er war weniger fest, eher Nähe suchend als fixierend. »Das ist dein Fehler. Er wird dich eines Tages umbringen, wenn du nicht aufpasst.«
»Wird es nicht.« Er tanzte am Abgrund. Das spürte er deutlich an dem Kribbeln in seinen Fußsohlen. Aber die Versuchung, nachzusehen, was sich hinter dem Rand dieses Abgrunds verbarg, war einfach zu groß.
»Du hast ja keine Ahnung«, raunte der andere. Es klang wie ein tiefes Knurren.
»Keine Ahnung wovon?« Er befeuchtete seine Lippen und schmeckte einen flüchtigen Nachklang des Absinths, den er getrunken hatte. Bitter. Berauschend.
»Davon, wer ich wirklich bin.«
Ein Schauer durchfuhr seinen Körper. »Warum zeigst du es mir dann nicht endlich? Worauf wartest du?«
Der feste Griff löste sich aus seinem Nacken, und zwei Hände strichen an den Seiten hinab, über die Rippen, die nackte Haut der Taille und die Hüften.
Dann trat der Mann einen Schritt zurück. Ließ ihm mehr Raum zum Atmen. »Es wird nie wieder so sein wie vorher, wenn du es gesehen hast«, warnte er ihn.
»Gut.« Er konnte schließlich nicht ewig am Abgrund stehen und schwanken. Irgendwann musste er sich entscheiden, ob er einen Schritt zurücktrat oder sich in die Tiefe fallen ließ. Warum nicht jetzt?
»Gut?« Wieder dieses heisere Lachen. »Du weißt wirklich gar nichts.«
Er hörte das leise Rascheln von Stoff, der zu Boden fiel. Der seidene, dunkle Mantel, den der andere stets trug, als sei er mit ihm verwachsen. Nur Bruchteile von dem, was sich darunter verbarg, hatte er bislang zu sehen und zu fühlen bekommen. Haut, so blass wie der Januarschnee, die sich über Muskeln spannte. Jedoch nie weiter als bis kurz unter die Brust. Wie konnte das, was er war, davon abhängen, was von einem seidenen Mantel versteckt wurde?
»Wenn du es nach wie vor für eine gute Idee hältst, dann dreh dich jetzt um. Langsam. So, wie ich es dich gelehrt habe.«
Er gehorchte. Er gehorchte am Ende immer, weil dieser Mann etwas an sich hatte, was ihm keine andere Wahl ließ. Nicht in Situationen wie dieser. Bedächtig drehte er sich um, stützte sich mit einer Hand an der Wand ab, um nicht zu taumeln.
Kein Stoff bedeckte mehr die helle Haut. Keiner, vom Scheitel bis zu den Sohlen. Er schluckte schwer, als er seinen Blick daran auf- und abgleiten ließ. Er sah Schönheit. Und er sah Hässlichkeit. Ein Kunstwerk, in das jemand seine spitzen Krallen geschlagen und es in der Mitte zerrissen hatte. Widerlichkeit, die Herrlichkeit verunstaltete. Dinge, die auf keinen Körper gehörten. Egal, wer derjenige war.
»Wer bist du?«, flüsterte er, denn diese Frage war das Einzige, was ihm noch zu sagen blieb.
»Ich bin der Geist, der stets verneint«, erwiderte der andere und ein kaltes Lächeln zeigte sich auf seiner immer düster wirkenden Miene. »Und das mit Recht. Denn alles, was entsteht, ist es wert, dass es zugrunde geht.« Sein dunkles Haar fiel wie ein Vorhang vor sein Gesicht, als er das Haupt senkte.
Der Geist, der stets verneint. Er hatte diese Worte schon einmal irgendwo gehört, aber ihm fiel nicht ein, wo. Seine Sinne waren zu vernebelt. Zu verlangsamt. Die Augen flogen unstet über den blassen, festen Körper seines Gegenübers, der sich von der dunklen Möblierung im Hintergrund abhob. Immer wieder blieb sein Blick an den Schandmalen hängen, die dort nicht sein sollten. Alles, was entsteht, ist es wert, dass es zugrunde geht …
»Sieh mich an, Junge«, forderte der Mann. »Sieh mir ins Gesicht.«
Langsam hob er den Blick. Mit Bedacht, so wie man es ihn gelehrt hatte. Keine plötzlichen Bewegungen. Der grüne Anteil der haselnussfarbenen Augen, die zwischen den Strähnen hervorschimmerten, erschien ihm intensiver als sonst. So grün wie die Fee, die ihren Bogen gespannt und ihn durch ein Absinthglas getroffen hatte. Unnatürlich. Er sollte das Zeug nicht mehr trinken. Es tat ihm nicht gut. So, wie auch dieser Mann hier ihm nicht guttat, und er trotzdem wieder und wieder zu ihm zurückkehrte, wann immer er ihm ein Zuckerstück auf den Löffel legte.
»Sag mir, wer ich bin.«
»Mein Freund«, brachte er atemlos hervor. »Mein Liebhaber.«
Zwischen den Strähnen des dunklen Haars war ein Lächeln zu erkennen. »Ich fragte nicht danach, was ich bin. Sondern wer ich bin.«
»Ich weiß es nicht.« Ein unkontrolliertes Zittern erfasste seinen Körper. »Ich dachte bis eben, dass ich es weiß. Aber ich weiß es nicht.«
»Ich werde es dir sagen«, verkündete der andere. »Und danach will ich, dass du nach Hause gehst.« Er hob seinen Blick. Ließ den Kopf im Nacken kreisen, als versuche er, eine Verspannung zu lösen, bevor er einen tiefen Atemzug nahm. »Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.« Die Muskeln unter der blassen Haut spannten sich an. Die Sehnen an seinem Hals traten hervor. »Ich bin … der Teufel.«
David Rowbotham verlor bereits die Lust an seinem neuen Nebenjob, als er einen Blick aus dem Fenster warf. Nicht nur, dass es noch entsetzlich dunkel war – viel zu dunkel, um aufzustehen, – es fiel auch noch ein widerwärtiges Gemisch aus Schnee und Regen. Allein der Gedanke daran, gleich dort hinauszumüssen, ließ ihn frösteln und sehnsüchtige Blicke auf sein gerade erst verlassenes, noch schlafwarmes Bett werfen.
Soll ich wirklich?, fragte er sich, rief sich dann aber selbst zur Ordnung. Nein, er würde das jetzt durchziehen. Und wenn er wieder zu Hause war, konnte er ein warmes Bad nehmen und sich danach noch ein Stündchen hinlegen, denn sein Geschäft öffnete erst ab zehn. Etwas motivierter durch die Vorfreude ging er ins Badezimmer, um sich zu waschen und anzuziehen. Dick anzuziehen, mit gefütterter Jacke, Schal und Mütze, damit er nicht schon durchgefroren war, wenn er gerade mal zwei Briefkästen mit der Tageszeitung bestückt hatte.
Für einen Moment erwog er, das Auto zu nehmen, aber als er darüber nachdachte, wie oft er anhalten, aussteigen und wieder einsteigen müsste und wie viel Zeit dadurch verlorenginge, nahm er von dem Gedanken Abstand. Er kam sich wie ein Weichei vor. Aber er brauchte das bisschen Geld, das das Austragen der Zeitung einbrachte. Sein eigenes Geschäft, ein kleiner Buchladen mit Schreibwarenabteilung, brachte kaum noch etwas ein. Die Leute fuhren lieber in die Stadt zu den Filialen großer Ketten, mit denen er nicht konkurrieren konnte – weder, was die Preise anging, noch die Auswahl. Er verstand es durchaus. Gewiss verlangte er von niemandem, dass er mehr von seinem sauer verdienten Geld ausgab, nur damit er seinen kleinen Laden weiter unterhalten konnte. Aber traurig machte es ihn trotzdem, daran zu denken, dass er früher oder später schließen und sich wahrscheinlich in einem der großen Konkurrenzgeschäfte würde bewerben müssen. Noch war es jedoch nicht so weit. Noch reichte es vielleicht, die Haushaltskasse nebenher durch Arbeit für die Gemeinde ein wenig aufzubessern, um am Monatsende nicht ganz in den Miesen zu stecken. Er sollte dabei helfen, im Sommer die Grünanlagen instand zu halten. Oder Gräber auszuheben, was in einem Ort, in dem mehr Menschen starben, als geboren wurden, durchaus eine Beschäftigung war. In der Kirche helfen, wenn es etwas vorzubereiten gab. Und jeden Morgen die Tageszeitung austragen.
Als er aus der Tür trat, knirschte der Boden unter seinen Füßen und der Atem gefror zu kleinen, weißen Wölkchen. Es war ein kalter Januarmorgen mit scharfem Wind, kein Wetter, bei dem man gern vor die Tür ging, aber immerhin hatte der Schneeregen aufgehört. David schnallte die Tasche mit den Zeitungen auf den Gepäckträger seines Fahrrads und machte sich auf den Weg durch das Dorf. King’s Gowt war ein verschlafenes Dreihundert-Seelen-Nest an der Küste Dorsets im Süden Englands, und die Bewohner warteten nun auf ihre Tageszeitung.
»Ich hätte Handschuhe anziehen sollen«, murmelte er, als eine Windböe anhob und ein nadelndes Gefühl auf seiner Haut hinterließ. Er zog sich den Schal bis zur Nase hoch und beeilte sich, seine Aufgabe zu erledigen. In manchen Häusern brannte Licht, warm und einladend, weil einige vermutlich schon am Frühstückstisch saßen. Aber morgens um halb sieben zogen es die meisten vor, noch ein wenig länger im Bett liegen zu bleiben, wenn sie nicht bald zur Arbeit mussten. Besonders im Winter. David ärgerte sich, dass er nichts gegessen hatte, bevor er losgeradelt war, aber er hatte seine Tour einfach so schnell wie möglich hinter sich bringen wollen. Als er sich auf den Weg zum letzten Haus machte, das ein wenig abgelegen und weiter oben auf dem Hügel lag, der King’s Gowt vom Nachbardorf abgrenzte, brach hinter den dicken Wolken die Dämmerung an.
Im Dorf nannte man dieses Haus das Geisterhaus, obwohl es eigentlich ein hübsches Häuschen mit gelbbraunem Klinker und einem großen Garten war. Eigentlich. Tatsächlich vermittelte es jedoch den Eindruck einer gefledderten Leiche. Die Rollläden der Fenster des unteren Stockwerks waren stets heruntergezogen, die Fenster im Dachgeschoss klafften hingegen wie leere Höhlen. Man sah nie Licht. Der Garten schien vollkommen verwahrlost von wild wucherndem Unkraut, über das sich jetzt im Januar eine hauchdünne Schneedecke zog. Jemand, der es nicht besser wusste, würde zu dem Schluss kommen, dass dieses Haus unbewohnt und verlassen war. Das stimmte aber nicht. Es war schwer vorstellbar, aber tatsächlich wohnte dort jemand, wie auch immer derjenige hauste. Sein Name war David entfallen und er musste noch einmal auf die Adressliste schauen, um sich daran zu erinnern: Mr J.A. Fjallgren. Kein Wunder, dass er sich den nicht merken konnte. Er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wie man diesen Namen überhaupt aussprechen sollte, geschweige denn, dass er wusste, wie sein Träger aussah. Der Mann ließ sich niemals im Dorf blicken, zumindest nicht, dass David es je mitbekommen hätte. Dass er überhaupt existierte, erkannte man nur daran, dass er die Tageszeitung erhielt.
Fjallgren. Er versuchte noch einmal, den Namen auszusprechen, während er die schmale, links und rechts von nackten Ginsterbüschen gesäumte Bergstraße hinauffuhr. Er klang skandinavisch, und David wusste auch, dass dieser Fjallgren kein Engländer war. Ein Schwede? Was auch immer. Vielleicht war es ihm hier ja zu hell und er stellte in seinem finsteren Haus die Polarnacht nach. Der alberne Gedanke brachte David zum Kichern und er wäre beinahe an der morsch wirkenden Zauntür vorbeigefahren. Abrupt bremste er ab, stieg vom Fahrrad und sah sich nach einem Briefkasten um, in den er die Zeitung stecken konnte. Nichts. Ein wenig irritiert fuhr er sich mit den Fingern unter die Mütze und kratzte sich am Kopf. Vielleicht direkt an der Haustür? Warum hatte er nur eine solche Angst, dieses Grundstück zu betreten? Guter Gott, dachte er, ich sollte weniger Horrorfilme anschauen. Er nahm die Zeitung aus der Tasche, gab sich einen Ruck und öffnete das Gatter, dessen quietschende Angeln ihn spätestens jetzt als Eindringling verrieten.
»Sofort stehenbleiben!«, fuhr ihn praktisch aus dem Nichts heraus eine Männerstimme an, so rau, als habe er eine Verletzung an den Stimmbändern. Und reichlich unfreundlich.
David erstarrte wie zu Eis gefroren.
»Sie kommen ziemlich spät«, fuhr der Mann fort. Er sprach nicht laut, aber mit einer Schärfe, die einem in den Ohren klingelte.
Erschrocken blickte David auf. »Ich … es ist halb acht«, stammelte er.
Ein Schatten löste sich aus dem Zwielicht des Vordachs und trat auf die erste Stufe. Ein kleines Laternenlicht neben ihm schien auf einen Bewegungsmelder zu reagieren und ging an. »Reichlich spät, sagte ich ja. Ich warte seit zwanzig Minuten darauf, endlich meine Zeitung lesen zu können.« Sein Akzent verriet ihn eindeutig als Skandinavier. David hatte mit der Annahme zu seinem Namen also richtig gelegen.
»Tja, ich … wissen Sie, die Neuigkeiten sind ohnehin schon veraltet, sobald die Zeitungen die Druckerei verlassen haben«, faselte er und starrte entgeistert auf den Mann, der im fahlen Schein der Laterne stand und nichts als einen halboffenen Morgenmantel und merkwürdigerweise einen Schal trug. Seine Füße, die auf der mit einer dünnen Schneeschicht bedeckten Stufe standen, waren nackt.
»Wo ist Mrs Margery?«, fragte der Mann, ohne auf den Kommentar einzugehen. »Sie bringt sonst immer die Zeitung.«
»Sie hat diesen Job aus gesundheitlichen Gründen dankend an mich übergeben«, erklärte David. »Ich bringe jetzt die Zeitung. Sie sind Mr Fa… Fall...«
»Fjallgren.«
Aha, dachte David, als er den Namen ausgesprochen hörte. Er klang wie etwas, das seine Zunge nicht zu formen imstande war, aber er versuchte es trotzdem. »Also gut, Mr ... Fjallgren. Das ist mein erster Tag als Zeitungsausträger. Ich bin davon ausgegangen, dass zwischen sieben und halb acht ausreicht. Wenn das bei Ihnen nicht so ist, dann tut es mir leid. Kein Mensch ist perfekt.«
Die Miene des Mannes, dessen dunkles Haar in feuchten Strähnen bis auf seine Schultern hing, verdunkelte sich, was durch die Schatten verstärkt wurde, die der kümmerliche Laternenschein auf sein Gesicht warf. »Halten Sie die Klappe«, knurrte er. »Mrs Margery hat die Zeitung immer pünktlich um sieben an mein Haus gebracht und ich wurde nicht darüber informiert, dass das ab jetzt jemand anderes macht.«
»Oh.« David zog seinen Schal höher, als eine kalte Böe ihn erwischte. »Das wusste ich nicht. Das hat mir keiner gesagt, wissen Sie, sonst wäre ich die Runde andersherum gefahren.«
»Na schön.« Fjallgren trat auf die zweite Treppenstufe und David sog unwillkürlich die Luft ein, als die bloßen Füße erneut den Schnee berührten. Dem Mann schien das allerdings überhaupt nichts auszumachen, kein Zucken seiner Miene verriet, dass die Kälte irgendeine Reaktion in ihm auslöste. »Sie können das Blatt jetzt auf den Stein rechts von Ihnen legen. Ich hole es mir von dort.«
Ohne Schuhe?, durchfuhr es David und er schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich bringe Ihnen das gern an die Tür –«
»Stopp!«, fuhr Fjallgren ihn an.
»Aber Mister, ich bitte Sie«, widersprach David und machte unbewusst noch einen Schritt vorwärts, »ich –«
»Ich sagte Stopp!«, schrie Fjallgren und seine Stimme erstarb vor Heiserkeit.
Ein Klicken, das er nur aus Actionfilmen kannte, ließ David augenblicklich innehalten. Er wagte es nicht einmal mehr, zu blinzeln.
»Sie bewegen sich keinen Zentimeter weiter«, gebot Fjallgren unter abgehackten Atemzügen und hielt die Mündung einer Pistole auf ihn gerichtet. »Wenn doch, dann schieße ich.«
»Scheiße«, fluchte David leise und hob ergeben die Hände, mit der Zeitung in der einen. Der Kerl war eindeutig geisteskrank. Er meinte es offensichtlich todernst mit seiner Drohung, denn er hielt die Waffe weiterhin auf ihn gerichtet, der Blick stet, die Arme ohne jegliches Zittern. Davids Körper war so angespannt, dass es schmerzte. Er getraute sich kaum, zu atmen, aus Angst, dass dieser Irre das als falsche Bewegung missdeuten und auf ihn schießen könnte. Was für eine Schlagzeile in der Zeitung wäre das, dachte er. Junger Mann beim Zeitungsaustragen von wütendem Gemeindemitglied erschossen. Würde er nicht gerade ernsthaft mit einer Pistole bedroht, würde er darüber lachen.
»Sie werden die Zeitung jetzt auf diesen Stein legen und sich dann rückwärts von meinem Grundstück entfernen. Auch in Zukunft werden sie genau das tun – sie an diese Stelle legen und dann verschwinden. Der Stein markiert die Grenze. Gehen Sie weiter, knalle ich Sie ab. Verstanden?«
»Warum darf ich nicht weiter als bis zu dem Stein gehen?«, wollte David wissen. »Ist das eine Art Bannkreis oder was?« Er fragte sich im selben Moment, ob er noch ganz bei Trost war, Scherze mit einem Mann zu treiben, der ihn mit vorgehaltener Knarre bedrohte.
»Ich nenne es lieber meine Komfortzone«, gab Fjallgren ungerührt zur Auskunft. »Ich lege keinen Wert darauf, dass fremde Leute auf meinem Grundstück herumschleichen, und zur Ablieferung einer Tageszeitung ist das auch nicht notwendig.«
»Es ist auch nicht notwendig, jemanden mit einer Waffe zu bedrohen, nur weil er Ihnen freundlicherweise die Zeitung an die Tür bringen wollte!«, gab David hitzig zurück.
»Doch«, widersprach Fjallgren, als sei das etwas ganz Normales. »Anders begreift sonst kaum jemand, wie ernst es mir damit ist. Na los, jetzt legen Sie endlich das verdammte Tratschblatt auf den Stein, ich will zurück ins Haus.«
Mit sehr langsamen, äußerst bedächtigen Bewegungen ging David in die Hocke, um die Zeitung auf den Stein zu legen, ohne den Blick von Fjallgren abzuwenden. »Warum tragen Sie keine Schuhe?«, entfuhr es ihm, während er sich langsam wieder erhob.
»Warum sind Sie so neugierig?«, versetzte der andere.
»Weil es mich schon vom Hinsehen friert.«
»Armes Kerlchen. Na dann, husch, husch, ab ins Warme.« Fjallgren vollführte eine scheuchende Bewegung mit der Hand, in der er die Waffe hielt.
»Sie sind verrückt!«, rief David mit unterdrückter Heftigkeit. »Wirklich und wahrhaftig verrückt in der Birne.«
»Hm. Sonst noch irgendeine weltbewegende Erkenntnis? Vielleicht, dass Wasser nass ist?«
Der Kerl hält sich also selbst für irre?, dachte David. Na, immerhin. Eigentlich habe ich immer geglaubt, ein Verrückter merkt nicht, dass er verrückt ist. »Ich werde Ihnen keine Zeitung mehr bringen, Mr Fjallgren«, verkündete er und reckte trotzig das Kinn. »Wenn Sie sie trotzdem haben wollen, dann werden Sie sie selbst aus dem Gemeindezentrum holen müssen.«
»Wie ist Ihr Name?«
»Warum?«
Fjallgren stieß ein leises, dunkles Lachen aus. Sein stechender Blick bohrte sich in David, dass es regelrecht wehtat. Aber immerhin ließ er endlich den Arm mit der Pistole sinken und steckte sie in die Tasche seines Morgenmantels. »Na schön, Mr Warum. Ich denke, wir sind hier unterschiedlicher Meinung, also sage ich einfach mal: Bis morgen. Denken Sie daran: Bis zum Stein. Und niemals weiter.«
»Sie können sich Ihren Stein sonstwohin schieben«, gab David zurück. »Wer eine Knarre auf mich richtet, nur weil ich freundlich sein wollte, bekommt von mir keine Zeitung.«
»Verstehe.« Fjallgren zuckte mit den Schultern und wirkte beinahe unbekümmert. »Na los, verschwinden Sie endlich. Ich will meine Zeitung holen, damit ich in Ruhe frühstücken kann.«
Das ließ sich David nicht zweimal sagen. Rückwärts versuchte er, den Weg aus dem Gartentor hinaus zu finden, stolperte über einen Stein, fiel beinahe, konnte sich jedoch gerade noch so an einer Zaunlatte festhalten. Schmerzhaft schob sich ein kleiner Holzsplitter in die Kuppe seines Mittelfingers, den er diesem Fjallgren am liebsten entgegenstrecken würde. Bedächtig schloss er das Gartentor hinter sich. Dann schwang er sich auf sein Fahrrad und trat in die Pedale, als würde er vom Teufel gejagt, während die Zweige der Hecken in der Morgendämmerung wie hunderte Skelettfinger wirkten, die sich nach ihm ausstreckten.
Das King’s Head war ein kleines, gemütliches Pub mit nur fünf Tischen, die sich an den Abenden regelmäßig mit Bewohnern des Dorfes füllten. An jedem Freitagabend war auch David hier. Es hatte sich zu einer Gewohnheit entwickelt, einem Ritual, denn die Inhaber, Maria und Ron Symes, waren so etwas wie Ersatzeltern für ihn, auch wenn er sich deswegen manchmal schäbig vorkam, weil zumindest seine Mutter noch lebte.
David war ein Nachzügler. Dich hätte es eigentlich gar nicht geben sollen, hatte seine Mutter manchmal augenzwinkernd gesagt und ihm einen Kuss auf die Stirn gegeben, aber du bist uns eben passiert. Sie war bei seiner Geburt hoch in ihren Vierzigern gewesen, sein Vater sogar über fünfzig. Letzterer war gestorben, als David gerade siebzehn gewesen war, und seine Mutter hatte danach stark abgebaut. War vergesslich geworden, verwirrt. Inzwischen lebte sie in einem Heim für Demenzkranke, denn David hatte sich mit ihrer Pflege irgendwann überfordert gefühlt. Oft marterten ihn deshalb schwere Gewissensbisse, aber was hätte er denn tun sollen? Im Heim war seine Mutter gut aufgehoben, er kannte das Personal, eine der Schwestern war sogar seine Nachbarin. Sein über zwanzig Jahre älterer Bruder lebte weit entfernt mit seiner Familie in Glasgow und kam nur selten zu Besuch.
Maria und Ron, einem Ehepaar Ende sechzig, waren eigene Kinder versagt geblieben, und so hatten sie es zu ihrer Lebensaufgabe gemacht, sich ein wenig um David zu kümmern. Kümmern hieß bei ihnen vor allem, ihn mit deftigem Essen vollzustopfen, weil sie ihn viel zu mager fanden, und sich sein gelegentliches Gejammer anzuhören, um ihm dann tröstende Worte zuzusprechen. Er ließ es sich gern gefallen, denn Marias Pies und Currys waren göttlich, und sich ab und an bei jemandem auszuweinen, tat gut. David war grundsätzlich kein schwermütiger Mensch. Wenn er fiel, versuchte er, beizeiten wieder aufzustehen und allem etwas Gutes abzugewinnen. Aber manchmal war das eben nicht so leicht.
»Wie war dein erster Arbeitstag gestern, Davie?«, erkundigte sich Maria und stellte eine dampfende Steak and Ale Pie mit Kartoffelbrei und Erbsen vor ihn auf den Tisch, genau wie er sie mochte. Der Duft war verführerischer als alles, was David kannte, und sein Magen meldete sich mit einem lauten Knurren.
»Frag nicht«, murrte er und brach mit der Gabel etwas von der goldbraunen Kruste der Pie, um sie in die dunkelbraune Soße der Füllung zu dippen. »Wie im Horrorfilm.«
»Was?« Irritiert rückte sich Maria die Brille zurecht. »Wie kann denn so etwas wie Zeitungsaustragen zu einem Horrorfilm verkommen?«
David sah sich verstohlen um. Noch war bis auf Ron und Maria niemand im Pub anwesend, also musste er keine Hemmungen haben, zu erzählen, was passiert war. Der Schrecken saß ihm noch immer in den Knochen und er hatte in der Nacht kaum schlafen können. »Wenn man von dem Irren aus dem Geisterhaus mit einer Knarre bedroht wird, dann wird aus einem simplen Nebenjob plötzlich eine neue Folge von Criminal Minds.«
»Was, mit einer Knarre?« Maria, deren Blick eine Mischung aus Schrecken und Sensationsgier verriet, zog sich einen Stuhl heran und nahm Platz. Auch Ron, der bei dem Wort aufgehorcht hatte, erhob sich von seinem Hocker am Tresen und setzte sich zu David und Maria an den Tisch.
»Geht es um diesen Mr Fallgreen?«, wollte Ron wissen, verschränkte die Hände über dem rundlichen Bauch und spielte aufgeregt mit seinen Daumen. »Hat der dich mit einer Waffe bedroht?«
»Fjallgren.« David nickte düster. »Ja, hat er. Könnt ihr euch das vorstellen? Erst schnauzt er mich an, dass ich zu spät komme und er angeblich seit zwanzig Minuten wartet. Und dann, als ich ihm die Zeitung freundlicherweise bis an die Tür bringen will, weil er da nur im Morgenmantel steht, zieht er auf einmal eine Pistole und befiehlt mir, nicht weiter als bis zu so einem Stein direkt hinter dem Zaun zu gehen. Das glaubt einem ja gar keiner!«
»Aber warum hast du denn nicht die Polizei gerufen, Davie?«, hakte Maria kopfschüttelnd nach. »Der ist ja gemeingefährlich!«
»Hätte ich vielleicht machen sollen«, sinnierte David. »Ich fürchte, ich war zu sehr von der Rolle, um noch einen klaren Gedanken zu fassen. Vielleicht erstatte ich ja noch Anzeige. Auf jeden Fall werde ich ihm keine Zeitung mehr bringen, ich bin ja nicht lebensmüde. Heute Morgen habe ich ihn schon ausgelassen.«
Ron stahl sich eine Erbse von Davids Teller und naschte sie wie eine Süßigkeit. »Du solltest dich zumindest bei der Gemeindeleitung über ihn beschweren. Vielleicht war es ja nur eine Schreckschusspistole. Was schlimm genug wäre. Pah, Skandinavier auf englischem Boden haben noch nie Gutes gebracht!«
David stöhnte auf, weil er genau wusste, dass gleich wieder eine von Rons ermüdenden Geschichtslektionen folgen würde. Er steckte sich lieber noch eine Gabel Essen in den Mund, um sich selbst davon abzuhalten, einen bissigen Kommentar abzugehen.
»Als damals die Wikinger in East Anglia den Ouse hinaufsegelten –«
»Das will keiner hören, Ronnie!«, unterbrach ihn Maria und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Außerdem war Knut ein guter König für England. Und jetzt hör endlich damit auf, Davie die Erbsen vom Teller zu stehlen, du bist auf Diät!«
Ron gab ein missmutiges Brummen von sich, und Maria, die selbst eher von der beleibten Sorte war, schüttelte tadelnd den Kopf. David hingegen war gedanklich erschreckend wenig bei seinem köstlichen Essen, sondern dachte immer noch über seine seltsame Begegnung am gestrigen Tag nach.
»Er hatte keine Schuhe an«, bemerkte er nachdenklich. »Nur einen Schal und einen Morgenmantel und darunter war er, fürchte ich, nackt. Er hat aber überhaupt nicht den Eindruck gemacht, als würde er frieren. Hat nicht mal gezittert.«
»Ich habe mal gelesen, dass Geisteskranke ein anderes Temperaturempfinden haben können«, erklärte Ron. »Die sind sozusagen so sehr mit ihrem Verrücktsein beschäftigt, dass der Körper bestimmte Reize anders oder gar nicht wahrnimmt.«
»Was du alles gelesen haben willst«, schnarrte Maria. »Vielleicht hat er auch gar kein Geld für vernünftige Kleidung. Ich frage mich sowieso, wovon er lebt, denn zur Arbeit fahren sieht man ihn ja nie.«
»Hieß es nicht mal, er sei Schriftsteller?«, warf David ein.
»Ja, hieß es«, räumte Maria ein, »aber kennst du ihn denn? Du hast einen Buchladen, sind da Bücher von ihm?«
»Ich glaube nicht.«
Die Tür wurde geöffnet und ein Pulk von Gästen betrat das Pub. Stammgäste. Männer aus dem Dorf, so wie David. Und doch anders.
»Uh, es ist schon wieder ganz schön lauwarm hier drin«, johlte einer der Männer und sandte David einen höhnischen Blick.
»Ach, halt’ doch die Fresse, Nick«, giftete er zurück. »Deine Sprüche werden auch langsam alt.«
»Alt und doch immer wieder aktuell«, versetzte der ochsenhafte Mann und seine Begleiter lachten.
»Hüte deine Zunge, Nicholas Perkins, sonst setze ich dich an die frische Luft und du kannst dein Bierchen in Zukunft zu Hause trinken!«, mahnte Maria streng und erhob sich mit einem entschuldigenden Blick vom Tisch, um in die Küche zu gehen.
»Lass sie reden«, sprach Ron David beruhigend zu und stahl ihm noch eine Erbse vom Teller. »Sie zeigen damit ja nur ihre Dummheit.«
David war der Appetit vergangen und er schob sein Essen von sich. »Du kannst den Rest haben, Ron. Ich verrate Maria nichts.«
Seine Homosexualität war kein Geheimnis im Dorf. Nicht mehr, seit er vor zwei Jahren zur späten Nacht an der Bushaltestelle beobachtet worden war, wie er einen den Bewohnern unbekannten Mann zum Abschied auf den Mund geküsst hatte. Das, zusammen mit der Tatsache, dass er nie eine Freundin vorweisen konnte, hatte ein wahres Buschfeuer in Gang gesetzt und ihn geoutet, ehe er sich selbst dazu entscheiden konnte. Er hatte es nicht geleugnet, es wäre zwecklos gewesen, aber er nahm es einigen Leuten nach wie vor sehr übel, dass sie so unsensibel mit seinen persönlichen Angelegenheiten umgegangen waren. Und manche, wie Nick Perkins, nahmen es immer wieder zum Anlass, um gegen ihn zu stänkern. »Vielleicht sollte ich doch einfach den Laden schließen und wegziehen«, sinnierte er. »Am besten nach Brighton. Oder wenigstens nach Weymouth.«
»Um dir dort irgendwelche Schwulenkrankheiten einzufangen? Nein, nein, Dave, du bleibst schön hier in King’s Gowt, wo du hingehörst.« Ron schüttelte nachdrücklich den Kopf und machte sich über die restliche Pie her.
David stöhnte auf und fasste sich an die Stirn. »Ron, ich weiß, du meinst es nicht so, aber du redest gerade genauso einen Blödsinn wie Nick und seine Idiotentruppe.«
»Ach was.« Ron zuckte mit den Schultern und nahm noch einen Bissen von der Pie, bevor er weitersprach: »Triffst du dich denn bald wieder mit deinem Brieffreund?«
»Ja, nächstes Wochenende.« Der sogenannte Brieffreund, Sam, war ein Mann aus Weymouth, den David in einem Datingportal kennengelernt hatte. Sie hatten sich ein paar Mal getroffen, waren essen gegangen oder hatten sich ein Musical angesehen. Mehr als ein schüchterner Kuss auf den Mund zum Abschied war bislang nicht gelaufen, sie ließen es langsam angehen. Sam war eben keiner, der sein Date gleich ins Bett zerren wollte. Das war doch ein gutes Zeichen, fand David. Das hieß, dass Sam es ernst meinte und nicht nur auf Sex aus war, oder nicht? Vielleicht war er ja der Richtige für ihn. Gut Ding wollte Weile haben. Dennoch fühlte sich David mit seinen sechsundzwanzig Jahren manchmal schon in einer Sackgasse angekommen. Das lag auch am Dorfleben, aber nicht nur. Es passierte einfach kaum etwas Spannendes. Grundsätzlich war das ja nichts Schlechtes, denn Normalität war etwas, nach dem alle strebten, aber konnte das mit Mitte zwanzig schon alles gewesen sein? Die einzige aufregende Sache seit langem war die, dass der Verrückte aus dem Geisterhaus ihn mit einer Waffe bedroht hatte. Nein, dann doch lieber die schnöde Normalität. »Ich werde mich jetzt aufmachen«, verkündete er. »Noch duschen und dann bald ins Bett. Ich bin müde und muss morgen wieder zeitig aufstehen.«
»Na klar, Davie«, erwiderte Ron und aß den letzten Rest Pie. »Schönes Wochenende. Und wenn etwas ist, du weißt ja, ruf einfach an oder komm vorbei.«
»Ich weiß«, antwortete David und setzte gedanklich hinzu: Aber was soll schon sein?
David gab einen jammernden Laut von sich, als das Weckerklingeln ihn um fünf Uhr morgens aus dem Schlaf riss. Er verfluchte den Tag, an dem er auf die Idee gekommen war, sich durch Zeitungsaustragen sein Einkommen aufzubessern. Er, als Morgenmuffel, sollte sieben Tage die Woche um diese gotterbärmliche Zeit aufstehen, damit die Bewohner des Dorfes rechtzeitig ihre Zeitung im Briefkasten liegen hatten. Alle Dorfbewohner. Auch ein gewisser Mr Fjallgren.
Als David gestern Abend das Pub verlassen und sich auf den Heimweg gemacht hatte, war er wie immer auch am Gemeindezentrum vorbeigelaufen, dessen Tür gerade von Margery Collicott, der guten Seele des Dorfes, abgeschlossen wurde.
»Hey, Marge!«, hatte er gerufen und ihr zugewinkt.
»Dave! Gut, dass du hier bist. Wir müssen uns über etwas unterhalten.«
»Ja?«, fragte er verunsichert. »Ich hätte da übrigens auch ein Anliegen.« Er schlurfte zu ihr hinüber. »Aber du zuerst.«
»Also, mein Lieber.« Sie tätschelte seinen Arm und warf ihm über den Rand ihrer altmodischen Brille einen aufmunternden Blick zu. »Ich wollte mich zwar gerade auf den Heimweg machen, aber ich schlage vor, dass wir uns kurz ins Gemeindehaus setzen und einen Tee trinken, während wir uns unterhalten.« Sie schloss die Tür wieder auf und gab David mit einem Handwink zu verstehen, einzutreten.
»Ich weiß, dass alles gerade nicht so einfach für dich ist und du dir sicher sehr viel Mühe gibst. Aber es gab leider ein, zwei kleine Beschwerden«, verkündete sie, während sie in der Küche neben dem Gemeindesaal verschwand, um Tee zu bereiten.
»Oh.« David schluckte hart. »Worüber?«
»Warte kurz, ich höre dich schlecht, weil der Wasserkocher so rauscht.«
Wenige Minuten danach kehrte sie mit zwei dampfenden Teetassen zurück, stellte sie auf den Tisch und setzte sich David gegenüber. Sie nahm seine Hand. »Nun ja. Die Penhales haben sich beschwert, dass die Zeitung zu spät bei ihnen ankam. Mr Penhale muss bereits um kurz nach halb sieben das Haus verlassen und würde seine Zeitung gern schon vorher lesen. Und dann ist da noch Mr Fjallgren. Er hat mich heute Nachmittag angerufen und war äußerst verstimmt, weil die Zeitung ihm gestern verspätet und heute gar nicht zugestellt wurde. Hast du dafür eine Erklärung?«
Davids Herzschlag wurde schneller. »Das mit den Penhales wusste ich nicht, tut mir leid. Ich muss wohl doch eine Stunde früher aufstehen. Aber was Mr Fjallgren angeht: Deshalb wollte ich mit dir reden. Ich werde ihm keine Zeitung mehr ausliefern.«
»Aber Dave, wieso denn nicht?«, fragte Margery erschrocken. »Er hat genauso einen Anspruch darauf, wie alle anderen. Er bezahlt dafür. Wir liefern hier doch nicht nach Sympathie aus!«
»Darum geht es nicht«, widersprach David. »Der Kerl hat mich gestern mit einer Waffe bedroht.«
»Wie bitte?« Sie riss die Augen auf und nahm die Brille ab. »Er hat was?«
»Mhm.« David nickte düster. »Ich wollte ihm die Zeitung an die Tür bringen, weil er da nur barfuß und im Morgenmantel stand, da ist er ausgetickt.«
»Um Himmels willen!« Sie schlug sich die Hände vor den Mund. »So kenne ich ihn gar nicht. Bist du sicher, dass das eine echte Waffe war?«
»Er hat damit zumindest so herumhantiert.«
»Das ist ja schrecklich, Dave.« Sie zog nervös am Faden ihres Teebeutels und schwenkte ihn in der Tasse. »Wirst du die Polizei verständigen?«
David seufzte. »Sollte ich, oder?«
Margery schien sehr unglücklich mit der Situation. »Ich kann das gerade gar nicht richtig glauben. Er ist etwas eigen, ja, aber so? Sagtest du, du wolltest bis an seine Tür?«
»Ja, ich wollte ihm die Zeitung dorthin bringen.«
»Oh, aber das darfst du nicht!«, erwiderte sie händeringend. »An seine Tür gehen, meine ich. Du darfst nur bis zu dem Stein am Zaun. Hatte ich etwa vergessen, dir das zu sagen?«
»Ja!«, rief David entsetzt. »Ja, das hast du ganz offensichtlich vergessen! Gott, ich dachte, der knallt mich ab!«
»Er ist da etwas eigen«, erklärte sie zähneknirschend. »Aber ich glaube, das war keine echte Waffe. Ich erinnere mich vage, dass er mir einmal erzählt hat, eine Schreckschusspistole zu besitzen. Er fühlt sich damit sicherer, weil es potentielle Angreifer abschreckt.«
»Angreifer? Ich bin der Zeitungsmann, was soll ich denn von ihm wollen?«
»Er kennt dich eben nicht«, gab Margery zurück. »Aber jetzt weiß er ja, dass von dir keine Gefahr ausgeht. Er wird seine Gründe haben, warum er so übervorsichtig ist.«
»Hat er dich etwa auch schon mit seiner Plastikknarre bedroht?«, wollte David wissen und verschränkte die Arme.
»Nein. Dass er vor einer älteren Dame nichts zu befürchten hat, wusste er auch so. Aber wir haben uns ab und an ein wenig unterhalten. Hunde, die bellen, beißen nicht. Ich weiß, es ist viel verlangt, aber möchtest du ihm nicht noch eine Chance geben? Ich kann auch mit ihm reden, wenn du willst. Ich denke, er bringt mir ein gewisses Vertrauen entgegen. Ach, Dave, das ist so schrecklich. Aber ich glaube, diesem Mann muss Schlimmes widerfahren sein. Wenn du nur bis zu dem Stein gehst, wird so etwas sicher nicht noch einmal passieren.«
Danach hatte David beschlossen, Fjallgren noch eine Chance zu geben. Wenn Margery, die ihn jahrelang beliefert hatte, sich so sicher war, dass hinter den Drohgebärden keine echte Gefahr steckte, war er geneigt, ihr Glauben zu schenken. Er wollte seinen Nebenjob ordentlich ausführen, denn er brauchte jeden zusätzlichen Penny. Und darum stand er jetzt in aller Herrgottsfrühe auf, während andere weiter im warmen Bett liegenbleiben durften.
Sam war gestern Abend zu müde gewesen, um mit ihm zu telefonieren. David war nicht böse darüber. So war er wenigstens nicht ganz so fix und fertig, wie er befürchtet hatte. Kurz erwog er, eine Dusche zu nehmen, beschloss dann aber, sie auf nachher zu verschieben, wenn er ohnehin wieder verschwitzt sein würde. Nachdem er sich angekleidet und ein kleines Frühstück zu sich genommen hatte, schnallte er die schwere Tasche mit den Zeitungen auf den Gepäckträger seines Fahrrads und fuhr los.
Die Luft war schneidend kalt, kälter als an den Tagen zuvor, denn der Himmel war klar und wolkenlos. Noch ließ nichts den bald heraufziehenden Morgen erahnen, allein die Sterne und die Lampe seines Fahrrads spendeten ein wenig Licht. Er kam sich vor, als sei er der einzige Mensch im Dorf, der wach war, obwohl er wusste, dass das nicht stimmte. Als er schließlich die enge Bergstraße hinauffuhr, zeigte sich im Osten der erste winzige Streifen der Dämmerung. Es war Viertel vor sieben.
»Guten Morgen«, begrüßte ihn Fjallgrens heisere Stimme aus der Dunkelheit, als er sein Fahrrad an den maroden Zaun lehnte.
David drehte sich um. Er war nicht wirklich erschrocken, denn er hatte schon damit gerechnet, dass der Kerl ihm auflauern würde. »Guten Morgen, Mr Fjallgren«, grüßte er zurück. »Ich bringe Ihnen Ihre Zeitung.«
»Ach, wirklich? Die von gestern auch?«
»Nein, die News sind doch sowieso schon veraltet. Dafür die druckfrische Samstagsausgabe.«
»Mhm. Und warum waren Sie gestern nicht hier?«
»Weil Sie mich mit einer Pistole bedroht haben«, erwiderte David ohne Umschweife und öffnete das Gartentor.
»Das könnte ich heute wieder tun«, entgegnete Fjallgren gleichmütig.
»Diesmal würde es mich aber nicht einschüchtern, weil ich inzwischen weiß, dass es keine echte Waffe ist.« David legte die Zeitung auf den Stein und zog sich zurück.
»Was Sie so zu wissen meinen.« Fjallgren stieß ein dunkles Lachen aus und erhob sich.
David sah den Schatten auf sich zukommen, und als er sich näherte, musste er feststellen, dass der Mann wieder nichts als einen Morgenmantel und einen Schal trug. Und keine Schuhe. Mit bloßen Füßen stand er im von harschen Schneekristallen überzogenen Gras und wartete offenbar, dass David sich noch weiter entfernte, sodass er seine Zeitung holen konnte.
»Ist Ihnen nicht kalt?«, fragte David abermals, auch wenn er nicht wirklich damit rechnete, diesmal eine Antwort zu erhalten.
»Ihre Sorge um meine Körpertemperatur rührt mich zu Tränen«, gab der andere zurück, »aber sie ist unangebracht. Wenn mir kalt wäre, würde ich mich wärmer anziehen.«
»Sie werden sich den Tod holen«, entgegnete David kopfschüttelnd.
»Der kommt nicht mal zu mir, wenn ich ihn bitte, also machen Sie sich darüber keinen Kopf.«
David ergriff den Lenker seines Fahrrads und schwang sich auf den Sattel. »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Samstag, Mr Fjallgren«, sprach er, weil er glaubte, dass es besser war, ihre Begegnung zu beenden, bevor sie wieder allzu seltsam wurde.
»Ihnen auch, Mr Warum.« Fjallgren blieb drei Schritte hinter dem Stein stehen und schien abwarten zu wollen, bis David sich entfernt hatte, bevor er die Zeitung aufhob.
»Rowbotham.«
»Ist das Ihr Name?«
»Ja. David Rowbotham. Nur damit Sie’s wissen, für die nächste Beschwerde.«
Wieder stieß Fjallgren dieses leise Lachen aus und David sah seine Zähne in der Dunkelheit aufblitzen. »Namentlich werde ich mich wohl nie über Sie beschweren, denn ich kann Ihren Namen nicht aussprechen.«
»Ich Ihren auch nicht. Ich tu’s trotzdem.«
»Und ich wünschte, Sie würden es lassen. Kommen Sie morgen wieder so pünktlich.«
»Wir werden sehen«, erwiderte David unbestimmt und fuhr los. Bevor er sich auf seinem Fahrrad den Berg hinunterrollen ließ, warf er noch einen Blick zurück und sah, wie Fjallgren die Zeitung von dem Stein aufhob.
Langsam begann David, sich an das frühe Aufstehen zu gewöhnen. Am Abend ging er zeitiger zu Bett, schon allein, weil die Müdigkeit ihn dazu zwang. Die Telefonate mit Sam fielen dementsprechend kurz oder komplett aus, was diesen immer wieder zu kleinen Beschwerden veranlasste, aber es nützte nichts. David brauchte das Geld, das das Zeitungsaustragen ihm einbrachte, und Schlaf benötigte er ebenfalls, sonst würde er das alles nicht sehr lange durchhalten.
Es gab so einige Dinge, die neuerdings zu seinem täglichen Ritual gehörten, bevor er seinen Laden aufschloss oder auch nur an ein richtiges Frühstück zu denken wagte. Dazu zählte nicht nur die Runde durch das Dorf mit der schweren Zeitungstasche auf dem Gepäckträger, sondern auch ein kurzes Gespräch mit Mr Fjallgren. Oft waren es nur drei, vier Sätze, die sie miteinander wechselten, aber der Mann war immer da und trat auf die Veranda, sobald David sein Fahrrad an den morschen Zaun lehnte. Egal ob es stürmte, regnete oder schneite, er kam heraus, stets barfuß und im Morgenmantel.
Die Gespräche, die sie führten, glichen eher kurzen Schlagabtauschen. Fjallgren machte sich über Davids vermeintliche Unzuverlässigkeit lustig, die es zu kontrollieren galt. David wiederum zog ihn mit seiner Plastikwaffe auf. Er hatte erwartet, dass Fjallgren sich vielleicht für sein extremes Verhalten bei ihrer ersten Begegnung entschuldigen würde, aber der tat nichts dergleichen.
Dann halt nicht, dachte David. Wenn andere Menschen keine Manieren kannten, dann konnte er auch nichts dafür. Er würde deshalb trotzdem freundlich bleiben und sich nicht auf dieses Niveau herabbegeben. Im Gegenteil. Er hatte heute etwas für Mr Fjallgren dabei, in einem länglichen Karton über der Zeitungstasche. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Mann ihm den Inhalt dieses Kartons entgegenpfeffern würde, war groß. Daran gemessen, sowie an der Tatsache, dass David eigentlich keinen einzigen Penny zu entbehren hatte, war diese Aktion ziemlich dumm. Aber er konnte einfach nicht anders. Es beschäftigte ihn Tag und Nacht, obwohl es ihn im Grunde genommen überhaupt nicht zu interessieren hatte. Was ging ihn die Lebensweise dieses Mannes an? Nichts. Aber seine Eltern – die richtigen, sowie seine Zieheltern Maria und Ron – hatten ihn gelehrt, stets ein offenes Auge für seine Mitmenschen zu haben. Und deshalb transportierte er auf dem Gepäckträger neben den Tageszeitungen nun einen Schuhkarton.
In den ganzen zwei Wochen, die David nun schon seinen neuen Nebenjob versah, hatte Mr Fjallgren kein einziges Mal Schuhe getragen. Egal, wie vereist oder matschig der Boden war, er kam stets barfuß. Da David sich nicht vorstellen konnte, warum irgendein Mensch auf dieser Welt sich das freiwillig antun sollte, und Fjallgren sich beharrlich weigerte, die Frage nach seiner Barfüßigkeit zu beantworten, blieb David nur noch eine mögliche Schlussfolgerung: Der Mann hatte kein Geld für Schuhe. David hatte strenggenommen auch keines, weshalb seine ausgetretenen Stiefel noch eine Saison durchhalten mussten, aber er hatte wenigstens überhaupt welche, und musste nicht barfuß im Schnee gehen. Fjallgren hingegen würde sich Erfrierungen holen, wenn das so weiterging, denn dieser Winter war sehr kalt und noch lange nicht vorbei.
Seine Schuhgröße hatte David nur schätzen können und hoffte, dass er damit nicht völlig danebenlag. Für den Fall, dass Fjallgren sein Präsent überhaupt annahm, was er, wenn er ehrlich zu sich selbst war, ein wenig bezweifelte. Vermutlich war der Mann einer, dessen Stolz durch ein solches Geschenk gekränkt wurde. Trotzdem hoffte David, dass die Vernunft gewinnen und er die Schuhe annehmen würde.
Die kalte, neblige Luft stach ihm in den Bronchien und brachte sie zum Rasseln, als er die steile, enge Bergstraße hinaufradelte, die zu Fjallgrens geisterhaftem Anwesen führte. Keine Straßenlaterne leuchtete ihm den Weg, nur seine einsame Fahrradlampe. Aber die Hecken mit den Skelettfingern machten ihm nicht mehr eine solche Angst wie anfangs, auch wenn sie heute in der nasskalten Düsternis noch schauderhafter als sonst erschienen.
Als er endlich die Anhöhe des Berges erreichte, nahm er vom Haus her einen schwachen Lichtschein wahr, als wolle man ihm die Richtung weisen. Dort angekommen stellte er fest, dass das Licht direkt von Fjallgrens Veranda kam, und lehnte sein Fahrrad wie üblich an den morschen Zaun. Eine Silhouette schälte sich aus dem Lichtkegel, vertraut und doch durch den Nebel seltsam verzerrt. Ein Schauer lief durch Davids Körper und ließ ihm die Zähne klappern. Er verschränkte die Arme um die Zeitung und den Schuhkarton und machte einen Schritt auf das Gartentor zu.
»Guten Morgen, David.« Der unheimliche Schatten mit der heiseren Stimme blieb auf halbem Wege stehen.
»Guten Morgen, Mr Fjallgren. Ich komme jetzt rein.«
Als der andere nichts erwiderte, öffnete David mit einer Hand das Gartentor und betrat das verbotene Grundstück. In dem dichten Nebel den Stein auszumachen, war schwierig, aber da David bereits seit zwei Wochen die Zeitung hierher brachte, wusste er ungefähr, wo er sich befand.
»Seien Sie vorsichtig auf dem Rückweg«, warnte Fjallgren unerwartet. »Die Straße ist bei solchem Wetter äußerst rutschig und Sie rasen ja auf Ihrem Rad immer wie ein Irrer.«
David überlegte, was er auf diese seltsame Warnung erwidern sollte, aber ihm fiel beim besten Willen nichts ein, also ging er gleich zu seinem eigenen Anliegen über: »Ich habe etwas für Sie mitgebracht, Mr Fjallgren. Abgesehen von der Zeitung, meine ich. Ich lege es auf den Stein.«
»Etwas mitgebracht?«, erklang die heisere Stimme gedämpft aus dem Nebel. »Ich kann mich nicht daran erinnern, Sie gebeten zu haben, mir irgendetwas mitzubringen.«
»Es ist ein Geschenk von mir.« David stieß mit dem Fuß gegen den Stein und verbiss sich einen kleinen Fluch.
»Ich will nichts von Ihnen«, gab Fjallgren kalt zurück. »Nehmen Sie es wieder mit.«
»Schauen Sie es sich doch wenigstens an«, bat David.
»Was ist es?«
»Eine Überraschung. Es ist in dem Karton unter der Zeitung. Nehmen Sie es mit ins Haus und schauen Sie es sich in Ruhe an.«
Ein unwilliges Schnauben war zu vernehmen. »Denken Sie, ich falle darauf herein?«
»Darauf hereinfallen?« David runzelte die Stirn und versuchte, Fjallgrens Gesicht im Nebel auszumachen, erkannte aber nicht mehr als eine verschwommene Silhouette. »Wovon zum Teufel sprechen Sie?«
»Zum Teufel, ja.« Knirschendes Gras verriet, dass Fjallgren ein paar Schritte näherkam. David blinzelte ihm entgegen, erkannte wie üblich nackte Füße und den dunklen Morgenmantel. »Sie haben mir irgendeine Widerlichkeit in diese Kiste gesteckt und wollen, dass ich mich darüber erschrecke und ärgere.«
»Bitte, was? Eine Widerlichkeit? Warum sollte ich so etwas tun?« Fassungslos schüttelte David den Kopf. Was faselte dieser irre Kerl da? Gott, wie er sich über seine dumme Idee ärgerte. Natürlich würde Fjallgren sein Geschenk nicht annehmen. Das hieß, er hatte fünfundzwanzig Pfund in den Sand gesetzt, weil diese Schuhe ihm selbst eine Nummer zu klein waren.
»Sie wollen sich an mir rächen«, schlussfolgerte Fjallgren und seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Dafür, wie ich Ihnen bei unserer ersten Begegnung gegenübergetreten bin.«
»Gott im Himmel!«, heulte David auf. Wie paranoid konnte ein Mensch sein? »Wenn ich mich hätte rächen wollen, dann wäre das längst passiert und nicht jetzt, zwei Wochen später. Glauben Sie es oder nicht: Ich habe das Trauma unserer ersten Begegnung überwunden und will Ihnen nichts Böses, solange Sie ihre Seifenblasenpistole in Zukunft stecken lassen. Jetzt nehmen Sie endlich mein scheiß Geschenk, verdammt nochmal. Es hat mich fünfundzwanzig Pfund gekostet, die ich eigentlich gar nicht entbehren kann.«