Das Friedensdorf – Village de la Paix setzt sich als Verein für eine Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit ein. Der Verein besteht aus über 200 Mitgliedern, arbeitet konfessionsunabhängig und wird zweisprachig geführt.

Für Jugendliche bietet das Friedensdorf – Village de la Paix seit der UNO-Dekade 2001–2010 das Programm «Jugendliche für Gewaltfreiheit». Es beinhaltet Impulstage zu verschiedenen Themen und steht unter dem Patronat der UNESCO. «Jugendliche für Gewaltfreiheit» entspricht den Qualitätskriterien für NGO-Bildungsangebote der Stiftung Education21 und wird von verschiedenen staatlichen und kirchlichen Organisationen unterstützt. Neben dem Programm für Jugendliche bietet das Friedensdorf – Village de la Paix Weiterbildungen für Erwachsene.

An wunderschöner Lage besitzt das Friedensdorf – Village de la Paix ein Gästehaus mit verschiedenen Räumlichkeiten (u. a. Seminarräume, Mehrzwecksaal, Kapelle), welches für Klassenlager oder andere Anlässe genutzt werden kann.

Friedensdorf – Village de la Paix

Ch. de Bouleyres 1

Postfach 17

1636 Broc

Telefon: 026 921 96 42

E-Mail: bildung@friedensdorf.ch

Website: www.friedensdorf.ch

Copyright

Buchtitel:

Konflikte wagen – Frieden leben

Ein Manual zur Gewaltprävention bei Jugendlichen

Autor/-innen:

Xenia Müller, Rahel Steger, Bruno Grünenfelder, Pascal Lottaz

© 2014, Verein Friedensdorf – Village de la Paix

info@friedensdorf.ch

ALLE RECHTE VORBEHALTEN

Herstellung und Verlag:

BoD - Books on Demand, Norderstedt

ISBN: 978-3-7322-0225-6

Inhaltsverzeichnis

1 Vorwort

»Im Leben soll man nichts fürchten, man soll es nur verstehen. Jetzt ist es Zeit, mehr zu verstehen, um weniger zu fürchten.«

Marie Curie

Wir leben in einer von Gewalt geprägten Welt, und auf die eine oder andere Weise sind wir alle davon betroffen: durch Medien, Filme, gewalttätige Computergames, in der eigenen Familie, in der Öffentlichkeit, am Arbeitsplatz oder in der Schule. Teilweise leben wir in gewalthaltigen Strukturen, beeinflusst u.a. durch Kultur, Wirtschaft, Politik oder Religion. Doch Gewalt »passiert« nicht einfach so – sie wird ausgeübt durch Personen oder Strukturen, hinter denen Personen stehen.

»Jugend und Gewalt« wird in den Medien immer wieder debattiert, doch oft wird die Komplexität des Themas vernachlässigt. »Jugend und Gewalt« wird allzu schnell der »Jugendgewalt«, der Gewalttätigkeit der Jugend, gleichgestellt. Dabei geht vergessen, dass gerade Jugendliche den gewalttätigen Situationen oder Strukturen unserer Gesellschaft besonders ausgeliefert sind.

Dieses Manual zur Gewaltprävention bei Jugendlichen verstehen wir als Beitrag zu Gewaltabbau. Dabei wollen wir Jugendliche im konstruktiven Umgang mit Konflikten stärken.

Im Gegensatz zu Gewalt sind Konflikte nicht per se destruktiv, im Gegenteil: Konflikte resultieren natürlicherweise aus dem Zusammenleben von Menschen und können, richtig ausgetragen, ein Motor von Innovation, Kooperation und Fortschritt sein. Die Herausforderung liegt dabei in der »richtigen« Austragung eines Konfliktes. Neben verschiedenen konstruktiven, friedlichen Mitteln, einen Konflikt zu bearbeiten und zu lösen, ist Gewalt ein weiteres Mittel, welches zur Konfliktlösung eingesetzt wird. »Gewalt ist keine Lösung« klingt zwar wie eine Binsenwahrheit, Gewalt ist aber eine von mehreren möglichen Lösungen. Sie kann einen Konflikt rasch beenden und eine einseitige Lösung für eine der beiden streitenden Parteien herbeiführen. Dies ist ein Grund dafür, dass immer wieder Gewalt zur Konfliktaustragung angewendet wird. Sei es der Vater, der sein ungehorsames Kind ohrfeigt, sei es ein Schüler in Leader-Rolle, welcher drohend Geld von einem jüngeren Schüler fordert, sei es der Einsatz von Waffen gegen das demonstrierende Volk.

Weil Gewalt häufig auf Grund von fehlenden Kenntnissen und Kompetenzen in Bezug auf Handlungsalternativen angewendet wird, geht es nicht nur darum, die negativen Konsequenzen von Gewalt zu thematisieren, sondern konstruktive Lösungsformen zu suchen, zu lernen und zu üben. Zentral erscheint uns in der Arbeit mit Jugendlichen, bei ihren eigenen Erfahrungen anzuknüpfen und ihre Ressourcen zu aktivieren, um auf alternative Handlungsstrategien zu stossen, welche in ihren Alltag übertragbar sind.

Konflikte sind normale Bestandteile sozialer Interaktionen

Gewalt ist eine inakzeptable Konfliktlösungsstrategie

Fähigkeiten zur gewaltfreien Konfliktbewältigung sind nach unserer Meinung nicht angeboren, sondern vielmehr lern- und lehrbar. Man kann lernen, sich in Konfliktsituationen friedfertig zu verhalten und sie ohne Gewalt zu lösen.

Der Verein Friedensdorf – Village de la Paix führt seit 2001 erfolgreich Programme mit Jugendlichen und Kindern (9–16jährig) durch, wo diese Fähigkeiten vermittelt und geübt werden, und konnte dabei vielfältige Erfahrungen sammeln. Der Verein, der zweisprachig geführt wird und 1981 von den kirchlichen Jugendverbänden Blauring und Jungwacht gegründet wurde, mittlerweile jedoch unabhängig von Kirche und konfessionsneutral arbeitet, führt diese Programme auf Anfrage von Lehrpersonen durch. Die Lehrpersonen kommen jeweils mit einer Gruppe von Jugendlichen/Kindern nach Broc im Greyerzerland, wo der Verein eine Liegenschaft besitzt und das Programm zu einem spezifischen Thema wie z. B. Umgang mit Konflikten oder Gewalt von geschulten Leitern/Leiterinnen durchgeführt wird. Diese Programme dauern meistens einen Tag, wodurch die Auseinandersetzung mit der Thematik zwar sehr intensiv ist, trotzdem aber nur Impulse gegeben werden können. Die Übertragung in den Alltag wird anschliessend von den Kindern/Jugendlichen selbst, allenfalls mit Unterstützung der Lehrpersonen, vollzogen. Dabei fällt auf, dass eine Mehrzahl der Anfragen von Lehrpersonen des Religionsunterrichts stammt, mit denen sich eine intensivere Zusammenarbeit entwickelt hat. Dafür gibt es zwei Erklärungen:

Einerseits hat sich der Religionsunterricht gewandelt und neben klassischen Religionsthemen (z. B. Katechese, biblische Geschichten) werden weltliche Themen im Bereich der Ethik mit den Jugendlichen behandelt. Dies bedeutet, dass auch Themen wie Gewalt und Konflikte im Lehrplan des Religionsunterrichts stehen. Dies macht durchaus Sinn, weil die Geschichte von Religionen nicht nur friedlich, sondern auch von Gewalt geprägt ist, was eine kritische Auseinandersetzung erforderlich macht. Es bieten sich also im Bereich des Religionsunterrichts vielseitige Möglichkeiten, sich mit Gewalt und Konflikten auseinanderzusetzen.

Andererseits ist das Friedensdorf wegen seiner Vergangenheit vor allem in kirchlichen Kreisen und weniger in öffentlichen Schulen bekannt.

Aus diesen Gründen ist die Idee entstanden, ein Modul für die Ausbildung von Lehrpersonen des Religionsunterrichtes zu entwickeln. Ziel des Kurses »Konflikte wagen – Frieden leben!« ist es, Lehrpersonen Grundlagen für die Arbeit in den Bereichen Gewalt und Konflikte zu vermitteln, damit sie eigenständig mit den Jugendlichen zu diesen Themen arbeiten können und nicht mehr auf externe Fachleute angewiesen sind.1

Vorteilhaft ist dabei, dass die Lehrpersonen die Jugendlichen über längere Zeit begleiten und die Themen somit vertiefter bearbeitet werden können als an einem einzelnen Tag. Zudem kennen die Lehrpersonen die Jugendlichen in der Regel ziemlich gut, so dass sie den Unterricht besser an deren Bedürfnisse und Lernvoraussetzungen anpassen können. Letzteres bringt jedoch nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile mit sich. So ist zum Beispiel denkbar, dass sich Jugendliche einem externen Leiter/einer externen Leiterin gegenüber eher öffnen und Erfahrungen in Bezug auf eigene Gewaltausübung einbringen, da diese die Jugendlichen in der Regel nicht kennen und keine Verbindung zu Schule oder Elternhaus besteht, wo häufig im Fall von Gewaltanwendung Sanktionen ausgesprochen werden.

Das vorliegende Manual dient einem zweifachen Zweck. Einerseits als Vertiefung zu den Modulinhalten, andererseits als Nachschlagewerk. Es ist eine Ergänzung zur Ausbildung und vermittelt theoretische und praktische Grundkenntnisse zu Gewaltprävention und Konfliktbewältigung. Somit dient dieses Manual als praktische Gebrauchsanleitung für die Arbeit mit Jugendlichen und ist zur Vor- und Nachbereitung sowie als Nachschlagewerk während der Arbeit nützlich. Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass dieses Manual nicht nur durch Lehrpersonen des Religionsunterrichts verwendet werden kann, welche den Kurs »Konflikte wagen – Frieden leben!« absolviert haben, sondern dass es sich an alle Personen richtet, welche über eine pädagogische Ausbildung verfügen und mit Jugendlichen zu den Themen Gewalt und Konflikte arbeiten möchten.

Das Jugendprogramm kann je nach dem an einem oder mehreren Tagen in Form eines Blockes oder verteilt über mehrere Wochen in kleineren Programmeinheiten durchgeführt werden. Die zwei übergeordneten Themen »Umgang mit Konflikten« und »Gewalt« werden im Kapitel 4.5 (Grobplanung) in zwei verschiedenen thematischen Blöcken aufgeführt. Wenn möglich sollten die beiden Themen nicht zu stark vermischt werden, um Verwechslungen zu vermeiden und eine möglichst differenzierte Wahrnehmung der Jugendlichen zu erzielen.

Zum Aufbau des Manuals:

In den Kapiteln 2 und 3 werden verschiedene Theorien zu den Themen Gewalt und »Umgang mit Konflikten« vorgestellt und kritisch betrachtet. Die Theorien sind für Erwachsene ausgelegt. Sie stellen das intellektuelle Fundament dar, auf dem das Programm mit den Jugendlichen steht, sollten aber nicht eins zu eins an Jugendliche weitervermittelt werden. Über die Theorien hinaus sind zudem eigene Reflexionen und Argumente von entscheidender Wichtigkeit. Sie beinhalten die persönliche Auseinandersetzung mit Fragen rund um das Thema Gewalt und das eigene Konfliktverhalten. Als Erfahrungswert wird dies helfen, mit den Fragen der Jugendlichen besser umzugehen.

Im Kapitel 4 wird aufgezeigt, wie mit Jugendlichen konkret gearbeitet werden kann. Dabei wird Hintergrundwissen in Bezug auf die Entwicklung von Jugendlichen vermittelt. Die Anleitungen zu den Aktivitäten, welche für die konkrete Arbeit mit den Jugendlichen erforderlich sind, können über bildung@friedensdorf.ch angefordert werden.

Im Anhang des Manuals findet sich zusätzlich für interessierte Lehrpersonen, welche im Bereich des Religionsunterrichts mit Jugendlichen arbeiten, eine Darstellung zu Friede und Gewalt in Religionen.

Das Gelingen dieses Manuals haben wir zahlreichen Personen zu verdanken, die uns mit finanziellen Mitteln, hilfreichen Anmerkungen und Verbesserungsvorschlägen unterstützt haben. Diesen sei herzlich gedankt.

Nun wünschen wir Ihnen eine interessante Auseinandersetzung mit den Themen und viel Erfolg bei der Anwendung mit Jugendlichen!

 

1 Im weiteren Verlauf dieses Manuals wird von »Jugendlichen« als Zielgruppe gesprochen, da seine Inhalte vorwiegend auf das Alter 13–16 zugeschnitten sind. Darum wird im Folgenden auch von »Jugendprogramm« die Rede sein.

2 Konflikte

(Pascal Lottaz)

»Das Ziel eines Konflikts oder einer Auseinandersetzung soll nicht der Sieg, sondern der Fortschritt sein.«

Joseph Joubert

2.1 Definition

Den Begriff »Konflikt« umfassend und zufriedenstellend zu definieren ist schwer, da er ein breites Bedeutungsfeld umfasst. Vereinfachend und verallgemeinernd lässt sich jedoch sagen, dass ein Konflikt dann entsteht, wenn sich Interessen widersprechen. Ein Konflikt (sei er sozialer, kultureller, psychologischer oder sonstiger Art) ist ein Aufeinanderprallen von verschiedenen Interessen oder unvereinbaren Zielen. Das heisst, es bestehen unterschiedliche Vorstellungen (bzw. Wünsche) darüber, was getan, gesagt, gedacht, oder gefühlt werden soll. Daraus folgt eine zweite Eigenschaft, die für die meisten Konflikte gilt, und zwar, dass sie zwischen mindestens zwei Personen oder zwei Parteien bestehen. Eine Partei kann aus nur einer Person, mehreren Leuten, einer Firma, einer Nation, einer Ethnie oder einem ganzen Erdteil bestehen. Eine spezielle Konfliktform ist der »intrapersonelle Konflikt«. Dabei sind beide Parteien in einer Person vereint (etwa bei Gewissenskonflikten).

Im Folgenden werden zwei konkrete Definitionen von Konflikten aus der Fachliteratur vorgestellt. Die Definition von Rubin, Pruitt & Kim (1994) wird als weite, die Definition von Friedrich Glasl (2011) als enge bezeichnet, wobei beide Definitionen die intrapersonelle Konfliktform ausklammern.

Weite Definition

»Ein Konflikt ist eine wahrgenommene Divergenz von Interessen zwischen zwei Parteien oder deren Vorstellung, dass die von ihnen angestrebten Ziele nicht gleichzeitig zu erreichen sind.«

(Rubin, Pruitt & Kim 1994, S. 5)

Nach der Definition von Rubin, Pruitt & Kim sind widersprechende Interessen bereits ein Konflikt, wenn die betroffenen Parteien dies wahrgenommen haben. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Interessendivergenz sich bereits psychisch oder physisch in Konfliktverhalten der beiden Parteien äussert, sondern nur, dass eine solche Unvereinbarkeit von zwei Interessen oder angestrebten Zielen besteht und wahrgenommen wird.

Enge Definition

»Ein sozialer Konflikt ist eine Interaktion zwischen Aktoren (Individuen, Gruppen, Organisationen usw.), wobei wenigstens ein Aktor eine Differenz bzw. Unvereinbarkeiten im Wahrnehmen und im Denken bzw. Vorstellen und im Fühlen und im Wollen mit dem anderen Aktor (den anderen Aktoren) in der Art erlebt, dass beim Verwirklichen dessen, was der Aktor denkt, fühlt oder will, eine Beeinträchtigung durch einen anderen Aktor (die anderen Aktoren) erfolge.«

(Glasl 2011, S. 17)

Friedrich Glasl bestimmt mit dieser Definition einen Konflikt als etwas, das sich erst im Handeln von Menschen manifestiert. Der Widerspruch gewisser Gefühle, Vorstellungen, Wahrnehmungen oder Bedürfnisse der beteiligten Parteien allein reicht ihm nicht aus, um eine Situation bereits einen Konflikt nennen zu können. Dafür ist zusätzlich zur Interessendivergenz eine Interaktion (eine Handlung/ein Verhalten) vonnöten. Aktionen sind in dieser Konzeption zentral, wobei bereits ein Augenrollen, ein kurzer Ausspruch oder eine kleine Geste unter den Begriff »Aktion« fallen. Eine Interessendivergenz alleine ist laut Glasl lediglich eine Vorstufe des Konflikts.

2.2 Klassifikationen von Konflikten

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Konflikte in Kategorien einzuteilen. Orientiert man sich an der ersten der beiden Definitionen, so kann man zum Beispiel zwischen latenten und manifesten Konflikten unterscheiden. Latente Konflikte sind laut Rubin, Pruitt & Kim (1994, S. 12) noch »nicht ausgebrochene Konflikte« sondern erst »Ressentiments«, also negative Gefühle zwischen zwei Parteien. Da die negativen Gefühle sich nicht in konkretem Konfliktverhalten zeigen, ist der Konflikt noch nicht an die Oberfläche getreten, sondern erst latent vorhanden. Manifeste Konflikte hingegen sind Auseinandersetzungen, die sich in erkennbarem Verhalten äussern (Diskussionen, Konfliktvermeidung, Streit, Gewalt, je nach Eskalationsstufe).

Wer die »engere Definition« nach Glasl bevorzugt, für den wird eine solche Kategorisierung keinen Sinn machen. Denn nach seiner Definition sind »latente Konflikte« ohne Aktionen aufgrund einer Interessendivergenz lediglich Meinungsverschiedenheiten. Glasl (2011, S. 77ff.) unterscheidet aus diesem Grund zwischen »heissen« und »kalten Konflikten«:

In »heissen Konflikten« sind die Konfliktparteien stark für eine Sache engagiert. Die Ziele der Interaktion sind sogenannte Erreichungsziele, wobei für die Erreichung der Ziele ein Zusammenstoss mit der Gegenpartei in Kauf genommen wird. In »kalten Konflikten« begegnen sich die Parteien mit »tiefen Enttäuschungen, einer weitgehenden Desillusionierung und Frustration«. Hier spielen eher Vermeidungsziele eine Rolle (vgl. Abb. 1).

(Abb. 1: Kalte und heisse Konflikte)

2.3 Eskalationstheorien

Sobald sich ein sozialer Konflikt ergibt, kann er sich in verschiedene Richtungen entwickeln. Idealerweise wird er zu einem »produktiv-kooperativen« Konflikt, (was man auch einen »konstruktiven Konflikt« nennen kann). Dies ist der Fall, wenn die beteiligten Parteien die Interessendivergenz als kooperative Situation auffassen, die dadurch gelöst werden kann, dass beide ihre Ziele erreichen (»Win-win-Situation«). Sie werden also versuchen, kooperativ den entstandenen Konflikt zu lösen. Wird die Situation hingegen als »kompetitiv-destruktiv« verstanden, werden beide Parteien versuchen, einseitig ihre Interessen durchzusetzen, weil sie sich in einem Wettstreit mit der anderen Partei verstehen. Ein kompetitiv-destruktiv verstandener Konflikt entwickelt in seinem Verlauf oft eine Dynamik, in der mindestens eine Partei nur dann das eigene Ziel erreichen zu können glaubt, wenn die Gegenpartei ihr Ziel nicht erreicht (»Win-lose-Situation«). Wenn ein Konflikt stark eskaliert, kann sogar das eigene ursprüngliche Interesse in den Hintergrund treten und nur noch die Verhinderung der Interessen des Kontrahenten/der Kontrahentin zum Ziel werden. Diese Situation wird keine der Parteien ihr Ziel erreichen lassen (»Lose-lose-Situation«) (vgl. Abb. 2).

(Abb. 2.: Entwicklung eines Konflikts)

Was wir in der Alltagssprache unter Konflikten verstehen, sind normalerweise kompetitiv-destruktive Konflikte, da sie typische Symptome sich negativ entwickelnder Auseinandersetzungen zeigen (Frontenbildung, verbale, psychische oder physische Gewalt). Um eine nachhaltige Lösung für beide Parteien zu erreichen, muss jede kompetitiv-destruktive Situation in eine produktiv-kooperative umgewandelt werden. Dazu ist es nötig, über verschiedene Eskalationsstufen, welche Konflikte annehmen können, Bescheid zu wissen. Je nach Stufe sind unterschiedliche Deeskalationsmethoden gefragt, um eine Umwandlung in einen produktivkooperativen Konflikt bewerkstelligen zu können. Im Folgenden werden zwei Eskalationstheorien vorgestellt: Einerseits die Theorie der Eskalationsstufen nach F. Glasl (2011) und anderseits die Theorie der Eskalationsarten nach P. Patfoort (2008):

2.3.1 Eskalationsstufen nach F. Glasl

F. Glasl (2011, S. 234) führt 9 Stufen der Konflikteskalation auf. Je weiter der Konflikt eskaliert ist, desto schwieriger ist es einerseits, für die Konfliktparteien eine kooperative Lösung zu finden, und anderseits für aussenstehende Personen einzugreifen:

1 Verhärtung

Standpunkte können sich verhärten, prallen aufeinander. Die Spannung kann jedoch durch Gespräche gelöst werden. Es gibt noch keine Parteien oder Lager. Kooperation ist grösser als Konkurrenz.

2 Polarisierung

Polarisierung im Denken, Fühlen und Wollen. Konfliktparteien greifen auf verbale Gewalt zurück und werten sich gegenseitig ab. Zum Teil bilden sich Subgruppen, und Standpunkte verhärten sich. Kooperationsdenken ist auf dieser Stufe noch gleich ausgeprägt wie Konkurrenzdenken.

3 Konfrontation

Bei den Konfliktparteien bildet sich die Ansicht, dass Reden nichts mehr hilft und darum Taten folgen müssen. Es entsteht eine Diskrepanz zwischen verbalem und nonverbalem Verhalten, wobei nonverbales Verhalten zu dominieren beginnt (Gesten und Handlungen). Das Wir-Gefühl innerhalb der Parteien verstärkt sich mit der Überzeugung, dass man selbst die richtige Meinung vertritt. Konkurrenzdenken und -handeln ist grösser als Kooperationsdenken und -handeln.

Während in den drei ersten Stufen die Konfliktparteien selber zu einer guten Lösung (win-win) finden können, ist ab Stufe vier das Eingreifen von »neutralen Schlichtern/Schlichterinnen« oder Mediatoren/Mediatorinnen notwendig, um eine konstruktive Lösung zu erreichen. Ansonsten ist eine Win-lose-Lösung wahrscheinlicher, da es sich um einen »Kampf unter Gegnern/Gegnerinnen« handelt.

4 Vom Gegner zum Feind

Die vierte Eskalationsstufe ist gekennzeichnet durch Verhaltensweisen wie beispielsweise das Verbreiten von Gerüchten, Vorurteilen und Klischees und das Führen von Image-Kampagnen. Dazu gehört das gegenseitige Manövrieren in negative Rollen und das gegenseitige Bekämpfen, Werben um Anhänger/-innen. Die Konfliktparteien sind ab dieser Stufe der Überzeugung, es gebe nur noch Sieg oder Niederlage.

5 Gesichtsverlust

Auf dieser Stufe werden Diffamieren und Blossstellen des Anderen als Mittel zur Konfliktlösung eingesetzt. Man beginnt, das Gegenüber als Feind/-in zu verachten.

6 Drohstrategien

Es folgen Drohungen und Gegendrohungen. Absichtserklärungen werden unveränderbar und absolut.

Ab Stufe 7 sind die Parteien so sehr im Konflikt verhärtet, dass es nur noch darum geht, dem Gegenüber Schaden zuzufügen. Dabei wird der eigene Schaden in Kauf genommen (Lose-lose-Situation).

Die Wahrnehmung und die Gefühle erhalten eine stark negative Gewichtung und lassen keine Lösungsfindung mehr zu. Gegenseitige Zerstörung kann nur noch durch Eingreifen einer Drittperson und Trennung der Konfliktparteien erreicht werden.

7 Begrenzte Vernichtungsschläge

Vergeltungsschläge als passende Antwort. Es herrscht offener Kampf, und jede Partei geht entsprechende Risiken ein, um eigene Interessen durchzusetzen.

8 Vernichtung des Feindes

Es geht nicht mehr um das Durchsetzen von eigenen Interessen, sondern nur noch um die Zerstörung des Feindes mit dem Versuch, selber am Leben zu bleiben.

9 Gemeinsam in den Abgrund

Es gibt keinen Weg mehr zurück. Die Parteien nehmen den eigenen Untergang in Kauf, wenn nur die andere ebenfalls zugrunde geht.